Ausgabe 1/2 2010 - BDH
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Dies + Das<br />
8<br />
Projekt „discovering hands“ mit positivem Abschluss:<br />
••• Behinderung<br />
wird zur Begabung<br />
Die Arbeitsmarktchancen für Menschen mit einer Behinderung sind immer noch deutlich<br />
schlechter als die von nicht behinderten Menschen. Blinde und sehbehinderte Menschen<br />
haben es oft besonders schwer. Für sie wurde jetzt ein neuer Beruf entwickelt, der sich<br />
darauf stützt, dass Blinde meist über einen ausgeprägten Tastsinn verfügen. Mit Unterstützung<br />
des LVR-Integrationsamtes wurde das Projekt „discovering hands“ abgeschlossen,<br />
bei dem die ersten Frauen im Laufe von acht Monaten zur Medizinischen Tastuntersucherin<br />
ausgebildet wurden. Einsatzgebiet: in gynäkologischen Praxen bei der Brustkrebsfrüherkennung.<br />
Der Gynäkologe Dr. Frank Hoffmann<br />
kam auf die Idee, blinde Menschen<br />
zu Assistenten bei der Brustkrebsbekämpfung<br />
zu machen. „Discovering<br />
Hands“ (Entdeckende<br />
Hände) – so heißt das Projekt,<br />
durch das blinde Frauen zu Medizinischen<br />
Tastuntersucherinnen ausgebildet<br />
werden konnten. Allerdings<br />
ist nicht jeder blinde Mensch für den<br />
Beruf geeignet. „Am wichtigsten<br />
sind drei Kriterien: Wie gut können<br />
die Frauen tasten, wie reagieren sie<br />
auf Stress und wie gut können sie<br />
mit Menschen umgehen“, sagt der<br />
Duisburger Gynäkologe.<br />
Jedes Jahr erkranken in Deutschland<br />
mehr als 50.000 Frauen neu<br />
an Brustkrebs, mehr als 15.000<br />
sterben. Die Heilungschance ist<br />
umso höher, je früher der Krebs<br />
entdeckt wird. „Die Tastuntersuchung<br />
der Brust spielt dabei eine<br />
wichtige Rolle“, so Hoffmann, „doch<br />
ein Gynäkologe hat dazu bei der<br />
Vorsorge nur einige Minuten Zeit.<br />
Daher kam mir der Gedanke, dass<br />
man diese Untersuchung ausgliedern<br />
und weiter ausbauen könnte“.<br />
„discovering hands“ – im August<br />
2006 gestartet - hatte das Ziel, die<br />
Voraussetzungen zur Anerkennung<br />
dieses Tätigkeitsfeldes zu schaffen.<br />
Der Projektverlauf und die Ergebnisse<br />
wurden von einem Projektbeirat<br />
verfolgt, dem Vertreter der Berufsbildungseinrichtungen,<br />
der Versicherungsträger,<br />
der Ärzteschaft<br />
sowie der Arbeitsagenturen und Integrationsämter<br />
angehörten. Gefördert<br />
wurde „discovering hands“ vom<br />
Landschaftsverband Rheinland<br />
(LVR) –Integrationsamt - aus Mitteln<br />
der Aktion Integration IV.<br />
Nach zwei intensiven Jahren der<br />
Entwicklung von Inhalten, Hilfsmitteln<br />
und nach erfolgreicher Ausbildung<br />
mit zertifiziertem Abschluss<br />
von nunmehr sechs Medizinischen<br />
Tastuntersucherinnen (MTU) wurden<br />
Ende 2009 erste Ergebnisse<br />
vorgelegt. Das Fazit fällt sehr positiv<br />
aus. Die Tätigkeit der MTU als<br />
medizinische Hilfskraft in gynäkologischen<br />
Praxen ist eine vollkommen<br />
neue Erfahrung für die blinden Frauen,<br />
für die untersuchten Patientinnen<br />
und auch für die Ärzte, in deren<br />
Verantwortung die MTU arbeiten.<br />
Die Akzeptanz durch die Patientinnen<br />
ist durch die Intensität und persönliche<br />
wie zeitliche Zuwendung<br />
bei der Untersuchung überaus groß.<br />
Die Ergebnisse der Tastuntersuchungen<br />
zeigen, dass das Auffinden<br />
von Veränderungen im Brustgewebe<br />
der MTU mindestens genau<br />
so gut, oft besser gelingt als einem<br />
ausgebildeten Mediziner.<br />
Das Besondere: Blinde Frauen<br />
konnten ihre Behinderung zur Begabung.<br />
Sie stehen in diesem Arbeitsgebiet<br />
nicht im Wettbewerb zu<br />
Sehenden, weil ihr Tastvermögen<br />
durch das langjährige Training in<br />
besonderer Weise ausgeprägt ist.<br />
Alle bisher ausgebildeten Medizinischen<br />
Tastuntersucherinnen wurden<br />
aus der Arbeitslosigkeit in das<br />
Berufsleben zurückgeführt. In einem<br />
weiteren Schritt werden nun<br />
die Voraussetzungen für eine Ausbildung<br />
der Ausbilder auf nationaler<br />
Ebene geschaffen, um mehr qualifizierte<br />
Ausbildungsplätze anbieten<br />
zu können.<br />
<strong>BDH</strong>-Kurier 1/2 <strong>2010</strong>