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Mecklenburg egentlich_layout

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Wann hat Mecklenburg

eigentlich aufgehört?

Uwe Johnson: Ingrid Babendererde, 1985, S. 10

When did Mäkelborg

egentlich uphört?

Matthias Dettmann

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Einführung

Im Rahmen der BEDARFSHALTESTELLE präsentiert das KVLab des Kunstvereins zu Rostock

eine künstlerische Auseinandersetzung zum Autor Uwe Johnson und seine literarische Beziehung

zum Land Mecklenburg. Diese Auseinandersetzung ist eine Zusammenarbeit mit der Uwe Johnson-

Gesellschaft Rostock und Matthias Dettmann.

Welche Rolle spielt der ländliche Raum bei Johnson? Wie spiegelt sich die mecklenburgische Heimat

in der Fremde? Woran erinnert man sich? Wo zieht man Parallelen? Dabei wurden nicht nur

literarische Aspekte, sondern auch persönliche Beziehungen Johnsons zum Land Mecklenburg

untersucht. Ein weiterer Aspekt ist, wie Johnson das Mecklenburgische während seiner Reisen (zum

Beispiel nach New York) in seinem letzten Wohnort Sheerness-on-Sea aufgreift und wie Johnson

mecklenburgische Orte und Menschen dorthin mitgenommen und literarisch verarbeitet hat.

Zitate

Im Folgenden sind thematisch passende Originalzitate aus Uwe Johnsons literarischen Werk sowie

Briefen, Interviews und sonstigen Primärquellen zusammengetragen. Im zweiten Schritt wurden die

ausgesuchten Zitate frei übersetzt und in einem dadaistischen Ansatz Mecklenburger Platt, Hochdeutsch

und Englisch mit einander verwebt. Die Zitate werden zweifach geliefert: Vorangestellt ist

jeweils das Originalzitat Uwe Johnsons mit der Quellenangabe, dann folgt die freie Übersetzung.

Ergänzt werden diese Zitate durch Hintergrundinformationen, Notizen und durch Sekundärliteratur

zu Mecklenburg.

Exlibris.

Begleitend zu der textlichen Recherchearbeit ist eine Serie basierend auf Johnsons Exlibris entstanden,

die in der Technik des Stempels umgesetzt wurde. Das Original-Exlibris war ein Geburtstagsgeschenk

seiner Frau in Form von Aufklebern mit einer um 1939 angefertigten Maßzeichnung des

vorderen Giebels der nicht mehr erhaltenen Scheune Granskevitz auf der Insel Rügen. Die angefertigten

Stempel sind als grafische Zitate von Johnsons Original entwickelt und nehmen Bezug auf

die Texte. Durch das Experimentieren mit analogen Zeichenmitteln, Digitalisierungen, Zeichen-

Apps auf dem Smartphone und verschiedenen Vektorisierungsmöglichkeiten und Filtern bei dem

Programm Illustrator wurde der Versuch unternommen, die Möglichkeiten eines Schwarz-Weiß-

Stempels auszutesten. Wo liegen die Grenzen in der technischen Übersetzung eines Stempels?

Die vorliegende Arbeit zeigt lediglich einen Zustand und ist noch nicht abgeschlossen. Im Laufe

der weiteren Auseinandersetzung mit Uwe Johnson und Mecklenburg könnten sich Nebenwege

ergeben.

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Walter Kempowski an Uwe Johnson / 16. April 1971

„Was mecklenburgische Bücher angeht, so ginge es mir ähnlich wie dem Hasen mit dem Swinegel.

In verschiedenen Buchhandlungen wurde mir gesagt: „Mecklenburg?“ Das hat Herr Johnson gerade

alles weggekauft.“ (Leuwer in Bremen). Womit ich Sie natürlich nicht mit einem Igel vergleichen

möchte, obwohl der Vergleich in diesem Fall für Sie schmeichelhaft ausfiele.“

Uwe Johnson / Walter Kempowski: „Kaum beweisbare Ähnlichkeiten“. Der Briefwechsel, S. 13

(Der Hase und der Igel ist ein Schwank. Er steht in den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm ab der 5. Auflage von 1843 auf Plattdeutsch

und stammt aus Wilhelm Schröders Hannoverschem Volksblatt von 1840. Ludwig Bechstein übernahm den Tierschwank in

sein Deutsches Märchenbuch ab 1853 auf Hochdeutsch.(https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Hase_und_der_Igel)

(Leuwer in Bremen, ist einer der ältesten Buch- und Kunsthandlungen in Bremen, Am Wall 171)

Etwa 600 Bücher zur Geschichte Mecklenburg und zur Mecklenburg waren in Johnsons Arbeitsbibliothek.

Johnson schuf sich seine eigene Sprache- aus Hochdeutsch, Mecklenburgisches Platt und

Englisch. Gute englische Grundkenntnisse durch seinen Güstrower Lehrer Wilhelm Müller, geboren

1886 und der Bibliothek seiner damaligen Rostocker Vermieterin Alice Hensan, geboren 1900. Mit

ihr und deren Großmutter („Granny“ - aus England stammend) fanden Gespräche über Literatur

statt. Zumeist zweisprachig, erinnerte sich Katharina Walter. „Wir sprachen deutsch und Granny

antwortete auf Englisch.“

Vgl. Peter Nöldechen: Neues Bilderbuch, S. 65-66

„In der Mutter der Vermieterin Alice Hensan, der »Granny« genannten Ada Hensan,traf U. J. auf

eine Gesprächspartnerin, die sein Englisch anhören und korrigieren konnte.“

Zitiert nach Uwe Johnson/Siegfried Unseld: Der Briefwechsel, hg. von Eberhard Fahlke und Raimund Fellinger, Anm. 1, S. 638.

[...] In großer Verzweifelung also entschloß ich mich, in eine Studenten-Massenunterkunft in einem

der Vororte Rostocks zu ziehen. Dieser Vorort heißt Gehlsdorf, und Sie müssen wissen, daß der

Begriff „Gehlsdorf“ in dieser Gegend identifiziert ist mit dem der psychatrischen Klinik, die diese

Vorstadt besitzt. „Gehlsheim“ heißt sie. Böse Zungen könnten also behaupten, ich wäre nun endlich

dort gelandet, wo ich längst hätte sein müssen. Dem konnte ich dann nur entgegenhalten, ich stiege

erst eine Straßenbahnstation nach dem Irrenhaus aus. Das tue ich in der Tat, und dort gehe ich zu

der ehemaligen Gaststätte „Fährhaus“. An der Tür steht: „Dieser Betrieb ist geschlossen“, ich gehe

aber trotzdem hinein. Da ist ein großer Saal mit vielen Betten, ausströmend jene gräßliche, typische

Internatsluft, die herrührt von lange ungewaschenen Decken und ungenügender Lüftung. Penetrant

säuerlich ist das, ich versichere Sie, die ersten Nächte war es recht unerfreulich, bis ich schließlich an

mir den Beweis erbringen konnte, der Mensch sei ein Gewohnheitstier. [...]

Uwe Johnson an Charlotte Luthe, Brief vom 9. November 1952 aus Rostock; zitiert aus: „Die Katze Erinnerung“. Uwe Johnson.

Eine Chronik in Briefen und Bildern, S. 43-44

G. B. Leopold Buchhandlung Rostock

Paul Babendeerde

Kröpeliner Straße/Blutstraße/Buchbinderstraße- gibt eine Verbindung zu Fünfeichen 1950

(norddeutsches Antiquariat heute? Zumindest in der Nähe)

Studentenbude Johnsons-St. Georg Str. 71 (erbaut 1888- das ist das Geburtsjahr von Cresspahl)

[...] Wieder und wieder bittet Uwe Johnson Freunde und Bekannte aus DDR um Berichte und Informationen

aus Mecklenburg, auf die er, bei seiner Art zu erzählen, dringend angewiesen ist. So bestellt

er sich bei Brigitte Zeibig einen Bericht aus dem Klützer Winkel. Die Physiotherapeutin kennt er seit

der Leipziger Zeit. [...] Auch ihr mutet Uwe Johnson zu, in seinem Auftrag an die Ostseeküste zu

reisen, in eine Gegend, die an militärisches Sperrgebiet grenzt. Auf die Frage, warum gerade sie ihm

diesen Bericht anfertigen solle, erwidert Johnson, sie gehöre zu jenen Freunden, die man ohne Verlegenheit

um einen Gefallen bitten könne. [...]

„Die Katze Erinnerung“. Uwe Johnson. Eine Chronik in Briefen und Bildern, S. 214

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[...] Es hat etwas zu tun mit Ihrer Methode, einen Friedhof zu beschreiben (zum Beispiel; erinnern

Sie sich). Es ist eine sachliche Form des Berichts, nicht verzerrt durch Stilisierungen, mit einer

Blickweise, die etwas Ganzes zusammensetzt, ohne dass die Einzelheiten bei diesem Vorgang beschädigt.

[...] Am liebsten wäre mir, ich dürfte schon jetzt für versprochen halten dass Sie unabhängig, ganz

von vorn und noch einmal überlegen ob Sie es machen wollen. [...]

Uwe Johnson an Brigitte Zeibig, Brief vom 13. Dezember 1969 aus Berlin-Friedenau

Zitiert aus „Die Katze Erinnerung“. Uwe Johnson. Eine Chronik in Briefen und Bildern, S. 214

„Frühestens im März, heißt es in der Antwort, könne die „beauftragte Berichterstatterin“ an die

Ostsee reisen; vorsorglich schickt ihr Uwe Johnson gleich ein ganzes Bündel an Fragen:

Ins beste Hotel bitte. Wie heissen gute Hotels da so. Von Anmeldung bis Abreise, was fällt Ihnen

auf? (…)

Auf dem Friedhof, was ist da aus dem Feld für die Kriegstoten geworden? Wie sind die Kriegerdenkmäler

erhalten?

[...]

Wie würden Sie den Stil des Kulturhauses bezeichnen (wenn es eins gibt)?

Fallen Sachsen dort auf? (…)

Strassenbild: Verhältnis der Eleganz zu Potsdam oder Berlin. Sieht man noch alte Frauen mit Kopftuch

und Gummistiefeln? Steht da ein Denkmal für Körner, oder für wen sonst? Gibt es Zeitungskioske

ausser in Post und Bahnhof? Wie ist die Strasse beleuchtet? Was für Frisuren sind da Mode?

Trifft man auf Halbstarke? Wie ist die Versorgung mit Bedürfnisanstalten? Sieht man Pferdefurwerke

oft? (…)

Geschäfte: Ist das Meiste schon aus Plastik? Welche Branchen sind durch eigene Läden vertreten?

Sind die Schilder bemalte Holzplatten oder Neontransparente? Gibt es in der Fleischerei noch Sägemehl

auf dem Fussboden? Wird für Teilzahlung geworben?

Warum würden Sie da nicht für Geld und gute Worte leben wollen?“

Uwe Johnson an Brigitte Zeibig, Brief vom 12. Februar 1970 aus Berlin-Friedenau

Zitiert nach „Die Katze Erinnerung“. Uwe Johnson. Eine Chronik in Briefen und Bildern, S. 216-217

Brigitte Zeibig macht die gewünschte Reise und berichtet Johnson im Mai 1970 von ihren Beobachtungen.

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Die Orte des Aufwachsens aus dem Gedächtnis verlieren, das hiesse ja die Dievenow vergessen, die

für ein Kind zu breite Schlange Wassers mit ihren niedrigen schwarzen Booten, den glucksenden

Fischkästen, dem wildwüchsigen Bruch und den federnden Wiesen an ihren Ufern. Sie bleibt, wie

die Peene, die bei Karnin weissen Sand auswäscht, fein wie für Sanduhren, wie die Nebel, die an der

güstrower Bahnhofsbrücke den Blättersträhnen der Trauerweiden zu trinken gibt. Unverzichtbar

und jeweils aufs Neue zu leben ist der Tag, der aufwachte an der bützower Schleuse, seinen Mittag

hielt inmitten der Ebenen von Schwaan und den Abend beging auf den wiegenden Querwellen

des alten Hafens von Rostock. Alle Flüsse sind aufgehoben in ihrer Zeit, und alle von ihnen, vom

badischen Rhein bis zum Hudson der Walfänger, wozu sind sie denn da? zu erinnern an die Flüsse

von ehemals.

Uwe Johnson an Rolf Italiaander, Brief vom 29. November 1979 aus Sheerness-on-Sea

Zitiert nach „Die Katze Erinnerung“. Uwe Johnson. Eine Chronik in Briefen und Bildern, S. 11

Heimat ist schließlich ein privater Bereich, das sind Personen, das ist

eine Landschaft, dazu kann man sich bekennen.

Wilhelm J. Schwarz: Gespräche mit Uwe Johnson (Am 10.7.1969 in West-Berlin), in: Eberhard Fahlke (Hg.): »Ich überlege mir die

Geschichte …«. Uwe Johnson im Gespräch, S. 235

Heimat is en private area, dat sünd people, dat is a Landschap,

darto kann man sik bekennen.

Zum anderen, es gefällt Leuten, mich einen Mecklenburger zu nennen, als

sei das ein verläßliches Kennzeichen.

Rede anlässlich Uwe Johnsons Aufnahme in die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, 1977

Uwe Johnson: Ich über mich. Vorstellung bei der Aufnahme in die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, in:

Die Zeit, Nr. 46 vom 4.11.1977

Lüüd likes that, my Mäkelborger to call it, as as wenn dat en

verlässlich Kennteiken warrt.

„Dafür ist nachweisbar, daß mein Vater geboren wurde im Ritterschaftlichen Amte Crivitz und

aufwuchs im Domanialamt Schwerin, also in jenem »besten Mecklenburg«, das die traurigste Figur

machte unter den Staaten des damaligen Europa. Dem bin ich verbunden nicht nur durch einen

Vater, einen Absolventen des Landwirtschaftlichen Seminars Neukloster und Verwalter herrschaftlicher

Güter, sondern auch durch eigene, ausgiebige Beschäftigung mit dem Boden dieses Landes,

beim Kartoffelwracken, Rübenverziehen, Heuwenden, Einbringen von Raps und Roggen, des

Umgangs mit den Tieren auf diesem Boden nicht zu vergessen. In Mecklenburg habe ich gelernt,

daß man als Kind schlicht vermietet werden kann in drei Wochen Arbeit auf fremdem Acker gegen

einen Doppelzentner Weizen, daß Existenz umgesetzt werden kann in jeweils gültige Währung, und

ich bin dankbar für die frühe Lehre. In Mecklenburg war ich von meinem elften bis zu meinem

fünfundzwanzigsten Lebensjahr, und im sechzehnten mag ich begriffen haben, wie ich zu antworten

wünschte auf die Ansinnen der Leute und Behörden, mit denen ich befaßt war. Viel nun spricht

dafür, daß ich ein Mecklenburger sei.“

Uwe Johnson: Ich über mich. Vorstellung bei der Aufnahme in die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, in:

Die Zeit, Nr. 46 vom 4.11.1977

Es ist mecklenburgisch, und du hast es geerbt.

Uwe Johnson: Jahrestage (12. Oktober 1967, S. 170)

It`s mäckelborgisch, un you hest es gearbt.

Ein fremdes Land, dieses Mecklenburg.

Uwe Johnson: Jahrestage (28. April 1968, S. 1077)

Een fröher country, dit Mäkelborg

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Hier hast du Leben auf dem Lande, Mecklenburg, California; […].

Uwe Johnson: Jahresatge (26. Mai 1968, S. 1223)

Hier hest du Läben up the country, Mäkelborg, California; [...].

Dort lebte ein Mann namens Cresspahl in einem langen ebenerdigen Haus

am Bruch hinter der alten abgebrannten Ziegelei und gegenüber dem eingezäunten

Park, in dem die Villa der sowjetischen Kommandantur stand.

Gegen Ende des Krieges hatte der Ziegeleibesitzer seine Villa ohne

Nachdenken und Ausräumen stehen lassen, aber die beiden Planwagen aus

einem zersplitterten pommerschen Treck wendeten ohne Anhalten vor dem

offenen herrschaftlichen Tor und blieben auf der Strasse stehen vor

Cresspahls Haus, und weil er nun einmal aus der Tür gekommen war, nahm

er die Flüchtlinge auf und verteilte die größere Hälfte seines Hauses

unter sie.

Uwe Johnson, Mutmassungen über Jakob, S. 15-16

There lived a Mannslüd nåmens Cresspahl. In a long, äbenerdigen

hus next to the old afgebrannten brickworks un gägenœwer the

park mit een Tun rüm, in which the

Herrhus de Soviet commandant‘s office stood. Gägen Enn of the

war, hät de Ziegeleibesitter åhn and utrümen ståhn laten, åwer

de beid’n covered wagons from a splintered Pomeranian convoy

turned without stopping in front of the open manorial Dur and

bliewen uf de Stråt ståhn vör Cresspahls Hus, and because he

had just come out of the Dör, he took in the fugitives and divi

ded up gröttere Hälfte sienes Huses ünner se.

Norbert Mecklenburg: „Die Frage warum Cresspahl 1933 aus dem englischen Richmond nach

Mecklenburg (Jerichow) zurückkehrt, um später mitschuldig zu werden am Krieg.“

Peter Nöldichen: Neues Bilderbuch. Von Uwe Johnsons Jerichow und Umgebung (2008, Seite 68)

Der Verdienst an den Flughafenbauten war für Cresspahl nicht

weitergegangen.

Uwe Johnson: Jahrestage (12. Februar 1968, S. 710)

De merit an den airport buildings wier för Cresspahl

not proceeded.

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Aber der Flugplatz hatte in Jerichow nicht seinen Namen. Seit mehr als

einem Jahr arbeiteten und verdienten Handwerk und Handel der Stadt daran,

und doch hieß die Anlage »Mariengabe«, nach dem Dorf, das dabei

draufgegangen war.

Uwe Johnson: Jahrestage (22. Dezember 1967, S. 495)

Åwer de Fleigplace had in Jerichow not his name. Since more than

eenen Johr works and earned Handwark un trade de city to it, and

yet what was called from the plant »Mariengabe«, not from the

village that village killed in the process.

Es war mitten in der Ernte, aber Johnny nahm mich am Nachmittag mit zu

dem, was einst der Fliegerhorst Mariengabe gewesen war. Das Gebiet war

auf hundert Meter Abstand abgesperrt, aber auch aus der Entfernung war

zu erkennen, daß die ganze Anlage hin war, die Bauten flach, die Rollbahnen

Ketten von Löchern. Das war schwerlich wieder aufzubauen.

Uwe Johnson: Jahrestage (14. Juli 1968, S. 1553)

It was in the midden of the harvest, œwer Johnny took mi that

Nåmeddach to what used to be Mariengabe Air Base. Dat area ward

cordoned off at a distance of a hunnert yards, œwer ok from

a distance one could see that the whole facility was gone, the

buildings flat, the runways a chain of holes. It was difficult to

rebuild.

Mariengabe- Tarnewitz bei Boltenhagen und Marienehe Strahlflugzeug Heinkel Marienehe-Fischerdorf Marienehe

1996 Kraftwerk mit 160 Meter Schornstein Tarnewitz bei Boltenhagen-die Siedlung

Heiligendamm vs. Boltenhagen (Rande)- G8-Gipfel

Dieser fiktive Flugplatz hat zwei Vorlagen: den Namen des Flugplatzes der Rostocker Heinkel-Werke

„Marienehe“, der auf einem Gut dieses Namens errichtet wurde, und die nordöstlich von Klütz

gelegene Erprobungsstelle der Luftwaffe Tarnewitz. Im Auftrag des Reichsluftfahrtministeriums

wurde auf der Landzunge Tarnewitzer Huk westlich von Boltenhagen diese Erprobungsstelle der

Luftwaffe gebaut. Dazu wurde die nordöstlich der Landzunge liegende Untiefe Lieps genutzt, wo

vor 300 Jahren eine gleichnamige Insel in einer Sturmflut versunken war. 5,5 Mio. m3 Sand wurden

aufgeschüttet und durch eine Umdeichung aus Betonplatten geschützt, um ein Rollfeld ins Meer

hinaus zu bauen. Auf dem Fluggelände wurden Flugleistungen wie Geschwindigkeit und Steigleistungen

sowie Flugeigenschaften wie Wendigkeit, Eignung als Waffenträger und Dauerbelastung

getestet. Seit dem Arbeitsbeginn im Spätsommer 1935 entstanden mehrere Flugzeughallen, Werkstätten,

ein optisches Labor, Schießstände, Kasernen und ein Kasino. Raketenabschußvorrichtungen

waren geplant. Tarnewitz blieb bis 1945 eine Großbaustelle.

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Der Militärflugplatz Tarnewitz war am 3.7.1945 von der sowj. Armee übernommen worden, die

alle Gebäude, Einrichtungen und Zufahrtswege demontierte bzw. sprengte. Trotzdem wurde die

Anlage später von der Seepolizei, der Grenzpolizei und einer Küstenbrigade der NVA benutzt.

Jahrestage-Kommentar-online

Er überschrieb ihr einen Bauernhof am Stadtrand, mit Land, Scheune und

Nebengebäuden, bis zu ihrer Mündigkeit zu verwalten von ihrem Vater,

Heinrich Cresspahl, Kunsttischler, Richmond, Greater London.

Uwe Johnson: Jahrestage (2. November 1967, S. 250)

[…] He œwerwrote ji eenen farm yard an`n outskirts with land,

barn un outbuildings, bet tau their maturity tau managed of

their Vadder, Heinrich Cresspahl, Cabinetmaker, Richmond,

Greater London. [...]

[…] damit Heinrich Cresspahl tat, wie Lisbeth wollte, und zurückkam aus

England nach Jerichow.

Uwe Johnson: Jahrestage (1. Januar 1968, S. 538)

[…] dormit Heinrich Cresspahl did, woans Lisbeth wanted, un

trüch came ut England tau Jerichow. […]

Respekt för‘t Hus, das war so eine rostocksche Geschichte,

nichts für Jerichow.

Uwe Johnson: Jahrestage (24. Dezember 1967, S. 504)

Respect för`t Hus, dat was so eene rostocksche story,

nix for Jerichow.

Bi‘t Starben sünt wi all Meisters un Lihrjungs.

Uwe Johnson: Jahrestage (17. August 1968, S. 1871)

Bi`t Starben sünt wi all masters and apprentices.

Ach, das is bloß Cresspahl. Klattenpüker Cresspahl.

Uwe Johnson: Jahrestage (12. Februar 1968, S. 712)

Wolfgang Geisthövel, Reisen in Uwe Johnsons Mecklenburg, Rostock 2001

Ach, that‘s blot Cresspahl.Klattenpüker Cresspahl.

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Die Wolle für die Tuchfabriken in Malchow stammte von hiesigen Schafen. Diese würde als sogenannte

„Schmutzwolle“ eingekauft und war fettig und voll von Kletten. Das Klettenpusseln war

eine besonders schmutzige und schwere Arbeit und allgemein nicht angesehen. Geringschützig kam

daher der Ausdruck „Klattenpüker“ auf.

Heidemarie und Fred Ruchhöft, Plau-Malchow und Umgebung: Ein ilustriertes Reisehandbuch, Bremen 1993

Klattenpüker – (nd.) Klattenpussler; Klatt ist unreine, verklebte Wolle, Klattenpüker ist also einer,

der die Verfilzungen im Vlies der Schafe entwirrt oder herausschneidet. Spottname für Tuchmacher,

im übertragenen Sinne jemand, der seine Sache sehr genau nimmt, bis zur Verschrobenheit; vgl.

MJ, S. 23, die Anspielung, daß »das Geschling sehr unentwirrbar und überall voller Kletten schien«.

Aus „Jahrestage“-Kommentar online

In Malchow wurde ein Meister noch nur von Meistern auf den Wagen gesetzt

und ins Grab gelassen. Die Tuchmacher und die Schuster, die hatten

einen eigenen Leichenwagen.

Uwe Johnson: Jahrestage (26. September, 1967, S. 121)

In Malchow, a master warden nur placed up de Wågen by meisters

un left in the grave. The tüüch makers and dee schoosters had

their own hearse.

Die zahlreichen Arbeitslosen finden nur schwer Arbeitsplätze, da das Kleiderwerk und das Teppichwerk

nur noch wenige Personen beschäftigt. Tuchhandel bezeugt seit dem frühen 14. Jahrhundert,

Blütezeit im 18 Jahrhundert mit nahezu einhundert Tuchmmachermeistern. Umstelung von der

Hausindustrie auf fabrikindustrielle Herstellung in modernen Volltuchfabriken im 19. und 20.

Jahrhundert. Manchester Mecklenburgs. Seit dem Zweiten Weltkrieg Niedergang.

Wolfgang Geisthövel, Reisen in Uwe Johnsons Mecklenburg, Rostock 2001

Heidemarie und Fred Ruchhöft, Plau-Malchow und Umgebung: Ein ilustriertes Reisehandbuch, Bremen 1993

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Heinrich Cresspahl war ein mächtiger breiter Mann von schweren langsamen

Bewegungen, sein Kopf war ein verwitterter alter Turm unter kurzen

grauen scheitellosen Haaren. Seine Frau war tot seit achtzehn Jahren,

er entbehrte seine Tochter. In seiner Werkstatt stand wenig Arbeit an

den Wänden, er hatte das Schild seines Handwerks schon lange von der

Haustür genommen. Gelegentlich für das Landesmuseum besserte er kostbare

Möbel aus und für Leute die sich seinen Namen weitersagten. Er ging

viel über Land in Manchesterzeug und langen Stiefeln, da suchte er nach

alten Truhen und Bauernschränken. Manchmal hielten Pferdefuhrwerke vor

seinem Haus mit Stücken, die ihm hineingetragen wurden; später kamen

Autos aus den grossen Städten und fuhren das sattbraune kunstreich gefügte

Holz mit den stumpf glänzenden Zierbeschlägen davon in die Fremde.

So erhielt er sein Leben. Steuererklärung in Ordnung, Bankkonto

bescheiden passend zu den Ausgaben in einer abgelegenen kleinen Stadt,

kein Verdacht auf ungesetzliche Einkünfte.

Uwe Johnson: Mutmassungen über Jakob, S. 9

Heinrich Cresspahl was een powerful, broad Kierl of heavy slow

movements, sien Kopp wier een weather-beaten old tower ünner

short gray cropped Hoor. Siene Fru wier siet achteihn Johren

dead, he missed his daughter. In siener workshop ståhnt little

work an de Wänn‘, he had dat sign sienes Handwarks schon lang

von de Husdoor genommen. Occasionally hei repaired valuable

furniture for the state museum un for people who passed on his

name. Hei walked a lot across the country in Manchester men‘s

suit un long boots, looking for olt chests un Buerschapps.

Manchmål horse-drawn carriages stopped in front of his house

with pieces carried in for hei; låter, cars from the big cities

with the dull, shiny decorative fittings made their way abroad.

This is how hei got his Läben. Tax returns in order, bank ac

count modest tau match spending in eener remote kleene town,

keen suspicion uf illegal income.

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Sie hockte starr und unzugänglich auf den Stufen der hinteren Tür in

der scharfen Sonnenwärme des April und betrachtete grüblerisch die

fremde Frau, die auf dem halb abgedeckten Planwagen stand und ihre vernähten

Körbe Säcke Milchkannen hinunterreichte zu Cresspahl und bleiben

wollte; das pommersche Platt spricht sich sehr anders aus als das mecklenburgische

und hat auch eigene Wörter, die verstand sie nicht alle.

Uwe Johnson: Mutmassungen über Jakob, S. 17-18

Se crouched starr and untaugänglich up de Steps de achtern Dor

in de scharp sunshine des aprils un broodingly de stranger Fru,

de up dem halw afgedeckten covered wagons ståhnt un ehre ver

neigten Körf Säck Melckkannen hinünnerreichte to Cresspahl un

blieben willn; dat pommersche Platt schnackt sick anners ut as

dat mäkelborgische un hat ok egene Würd, de verståhn se nich

all.

Gewiss machte er sich auch Gedanken über die Zufälle, die einer Frau,

die wohnt in der Baustrasse, ihr Mann ist auf dem Rathaus, im Stadtwald

zugestossen sein sollten von einem siegreichen sowjetischen Soldaten;

er hatte aber nichts zu tun mit den Beleidigungen, deretwegen

eine verwilderte wie erbitterte Kampftruppe in ihrer eroberten Zone von

Deutschland um sich schlug und schoss und sich betrank und für alles

bezahlte mit ihrem eigenen Geld: er richtete sich ein.

Uwe Johnson, Mutmassungen über Jakob, S. 68-69

Certainly måkte she sick ok thoughts œwer de Taufall, de eener

Fru, de wåhnt in de Baustraat, ehr Kierl is up den Rathus, in’n

city forest taugestossen sein sallten von eenen siegrieken sovi

et soldiers; he hette åwer nix mit den insults, deretwägen eene

overgrown as bitter Kampftrupp in ehrer conquered zone von

Düütschland üm sick slåhn un lap un sick besupt und för allens

betåhlte mit ehrem egen Penunsen: he richtete sick een.

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„Wie kann man sich die Flucht aus dem Städtchen Anklam zum Dorf Recknitz vorstellen? Einfach

über Land gen Westen, so wie die Straßen sich anboten: Jarmen passierend, Demmin, Dargun,

Jördenstorf, Neu Heinde, bis man ab Liessow Feldwege benutzen mußte?

Oder rechnete sich der von der Natur aus und durch Lebensumstände mit dem Wasser verbundene

Knabe (Uwe Johnson) bessere Möglichkeiten aus, der sowjetischen Soldateska zu entkommen,

wenn der Fluchtweg auf Flüsse verlegt wurde?

Beinahe durchgehend wäre die Wasserverbindung immerhin gewesen. Die Peene aufwärts bis Demmin;

hier hält man sich rechts und wechselt auf die Trebel, die man an die dreißig Kilometer befährt

auf der Grenze zwischen Pommern und Mecklenburg.[…]

Die Flucht war vergeblich. Ab 1 Juli 1945 traf Uwe Johnson dasselbe Schicksal wie jene für ihn

„ziemlich wirkliche Person“ Gesine Cresspahl, von der 1978 in einer Einführung zu einer Lesung

aus „Jahrestage“ sagte, „daß sie nach dem Krieg eine Eingeborene der sowjetischen Besatzungszone

wurde und wenige Jahre später eine Bürgerin der Deutschen Demokratischen Republik, und beides,

ohne daß man sie das gefragt hatte.“

Wolfgang Geisthövel, Reisen in Uwe Johnsons Mecklenburg, Rostock 2001

„Im Mecklenburg des Nachkriegs allerdings galt ich als einer von den »Flüchtlingen«. Da verschlug

wenig, daß Vorpommern noch insofern zum Reste Deutschlands gehörte, als es der sowjetischen

Militär-Administration für das Land »Mecklenburg-Vorpommern« unterstand. Denn am 1. März

1947 verschwand Vorpommern in der gesetzlichen Kürzung »Land Mecklenburg«, und wir waren

endgültig von auswärts. In jeder ersten Prüfung durch die Einheimischen galt der Rest der Familie

als unwiderruflich überführt: wir hatten keine feste Statt in Mecklenburg, und wir hatten zu

wenig mitgebracht. »Flüchtling« also, nur daß diese Bezeichnung strengstens verbeten war durch

die Behörden, »Umsiedler« war statt dessen erwünscht. Siedeln hätte meine Mutter können, schon

damit ich einen anderen Anfang fortsetzte als den eines Lehrlings in einer Dorfschmiede; sie ging in

die Stadt Güstrow, da stand das ehemalige Gymnasium, das mein Vater für mich gewünscht hatte,

die John Brinckman-Oberschule. Der Namensgeber war in Nordamerika gewesen, aber geschrieben

hatte er im mecklenburgischen Platt. Das lasen wir auch.“

Uwe Johnson: Ich über mich. Vorstellung bei der Aufnahme in die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung, in: Die Zeit, Nr. 46 vom

4.11.1977

1945 Flucht Johnsons von Anklam nach Dorf Recknitz

Min Hüsing-Anklam-Peene aufwärts bis Demmin-dann rechts auf die Trebel (Grenze von Pommern und Mecklenburg)-

hölzerne Klappbrücke hinter Nehringen-von der Trebel auf die Recknitz-Blinde Trebel Richtung Stralsund nach Grimmen (Haken?) -

Rauhes Moor zwischen Trebel und Recknitz- Bad Sülze (Recknitzwiesen)-Dorf Liessow-Dorf Recknitz-Schmiede

Dudendorf bei Bad Sülze-an der Recknitz-nur entfernt mit Johnson zu tun...passt aber!

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„Flucht ist eine Reise von einem Ort zu einem anderen unter sehr großem Risiko, eine Reise, die

mit allen möglichen Mitteln behindert wird und in der sehr viel Gefahr enthalten ist: man wird

verfolgt, man läuft, es ist einem alles egal, außer daß man ankommt – die Leute, die das tun, sind

echte Flüchtlinge.“

Horst Bienek: Werkstattgespräch mit Uwe Johnson (am 3.-5.1.1962 in West-Berlin), in: Eberhard Fahlke (Hg.): »Ich überlege mir die

Geschichte …«. Uwe Johnson im Gespräch, S. 206

[…] ein Bild aus Schatten, stillen und losen, oben von einhängendem

Dunkel eingefaßt wie von Baumkronen, und zwischen den gleitenden Abbildern

von Schattenmenschen ist der Hintergrund tief geworden, weißliches

Seelicht gesehen unter Laubgrün, Boote auf dem Wasser, vor mir unverlierbar

gewußte Umrisse, […].

So der dick bedeckte Tag aus Dunst über dem jenseitigen Flußufer, über

den austrocknenden Laubfarben vor dem verwischten Wasser, verspricht

einen Morgen in Wendisch Burg, das Segelwetter zum Morgen vor vierzehn

Jahren, erzeugt Verlangen nach einem Tag, der so nicht war, fertigt mir

eine Vergangenheit, die ich nicht gelebt habe, macht mich zu einem falschen

Menschen, der von sich getrennt ist durch die Tricks der Erinnerung.

Uwe Johnson: Jahrestage (28. September 1967, S. 124f.)

[...]Een image ut shadows, still and loose, båben framed by han

ging darkness as if by treetops, and between the gliding images

is de Achtergrund become deip, whitish sealight een under green

foliage, boats on the water, before me I knew that I could never

lose outlines, […]

So de dick overcast day ut haze over de otherworldly river bank,

öwer de drying colors of the leaves vör de front of the

blurred water, promise a Morgen in Wendisch Burg, dat

Sägelwäder tau’n Morgen vör vierteihn Johren, creates a

desire for a day, that wasn‘t like that, fardigt mi one

Past, de ick nich geläbt hebb, makes mi tau a

false person, separated from miself by de tricks of

memory [...]

Erinnerungen Gesine in New York = Johnsons New York/Mecklenburgische Seenlandschaft

Frühjahr 1953 – Wendisch Burg (Flucht) – Seenlandschaften – Güstrow an der Müritz – Schleuse in Mirow – Waren

Vgl. hierzu Peter Nöldechen: Neuer Bilderbuch von Uwe Johnsons Jerichow und Umgebung

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Das ist mehr als 6000 Kilometer. Das ist wendische Gegend, Mecklenburg,

an einer anderen Küste. Dort habe ich gelebt, für zwanzig Jahre.

Uwe Johnson: Jahrestage (20. Dezember 1067, S. 490)

Dat is mien ass sössdusend of kilometers. This is Wendish

Gagend, Mäkelborg, an eener annerscoast. Dor hebb ick geläbt,

for twinty years.

Erinnerung an Mecklenburg an den Stränden New Yorks

Gneez bei Wendisch Burg: Gneez – Grevesmühlen – Güstrow

Eine kleine Stadt im südöstlichen Mecklenburg, samt Wallanlagen, Dom,

Oberschule, Gastwirtschaft „Zu den drei Raben“, Bahnhof, Rathaus,

siebzehn Strassen, Seeufer. Dazu: in gutem Zustand eine Havelschleuse,

später kenntlich als die von Wendisch Burg. Samt Inventar.

Uwe Johnson: Begleitumstände, S. 99

Eene kleene town in the south-east of Mäkelborg, including

ramparts, cathedral, Öbberstschaul, Gasthus “Zu den Drei Raben”,

Båhnhoff, Rathus, söbenteihn Stråten, Seeäuwer. Dortau: in the

Gauden Taustand a Havelschleuse, later recognizable as the von

Wendisch Burg. including inventory.

[…] von wo sie umsteigen in jene Lebensweise, die sie ansehen für

die falsche.

Uwe Johnson: Begleitumstände, S. 87

[…] Wur se switch to the way of life, de se ankieken för

de verkiehrte.

Das letzte Bild ist das der Wellen, die sie im Uferschilf hinterlassen,

da waren sie eben noch, nun sind sie gegangen.

Uwe Johnson: Begleitumstände, S. 87

Dat last picture is dat de waves, de se leave behind in the

reeds, dor wieren se äben still, nu are they gone […]

Flucht von Ingrid Babendeerde und Mitschüler Klaus Niebuhr (Frühjahr 1953)

mit einem geklauten Motorboot der Volkspolizei

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Im Haufen der Strafkolonne schlept sich Heinrich Cresspahl mit, apathisch, kraftlos, wie auf einem

träumerischen Nebenweg zur Ralität. Malchow und Waren liegen zurück, eben haben die

Gefangenen Penzlin durchquert. Der mühevolle Weg wird fortgesetzt entlang der Westflanke des

Tollensesees, bis endlich das Ziel erreicht ist.Erst auf einer Pritsche im Lager Fünfeichen zwischen

Neubrandenburg und Burg Stargard findet Heinrich Cresspahl zurück in die grauenvolle Wirklichkeit.

Vor ihm liegen drei elende Jahre.

Wolfgang Geisthövel, Reisen in Uwe Johnsons Mecklenburg, Rostock 2001

Ohne Ahnung war er auf einer unteren Pritsche im Lager Fünfeichen aufgewacht,

wie von Nirgends her, zum Essen zu schlapp, zum Augenöffnen zu

müde, lästig am Leben.

Uwe Johnson: Jahrestage (4. Juni 1968, S. 1288)

Without hope wier he up eener ünneren bunk in´n Lager

Fünfeichen upgewak, like from nowhere, tau´n Äten tau limp,

tau Open eyes tau mäud, a nuisance to life.

Ihn graute gar nicht vor der Aufgabe, die Leichen zu entkleiden vor dem

Verscharren, eher traute er sich das Ausschachten der Gräber nicht zu,

vorerst. Er wollte das nicht den Toten zuliebe tun, nicht um ein paar

Kartoffeln mehr in der Suppe, nicht um zu überleben; es ging ihm um die

Beschäftigung.

Uwe Johnson: Jahrestage (4. Juni 1968, S. 1295-1296)

Em graute garnich vör dei Upgåf, de corps tau undress vör dem

begraffen, eher trugte he sick dat excavation de Graffer nich

tau, vorierst. He willn dat nich den Toten tauleiwe daun, nich

üm een poor Tüffeln miehr in de Supp, nich üm tau œwerläben;

et gåhn em üm de employment.

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4 km südlich von Neubrandenburg gelegen, ehemals ein Gutshof, der dem jüd. Kunsthändler

Bruno Cassirer gehört hatte; von den Nazis vorwiegend als Lager für sowj. Kriegsgefangene genutzt,

die Anzahl der Toten ist unbekannt. Von Juni 1945 bis November 1948 »Speziallager Nr. 9« des

NKWD für dt. Soldaten und Zivilisten. Im Juni 1945 mit etwa 6.000 Häftlingen aus Rostock, Bergen

und Alt-Strelitz in Betrieb genommen. Durchschnittlich mit etwa 8.000 Häftlingen belegt. Im

Juli und August 1948 wurden 4.500 entlassen, etwa 3.000 wurden am 2.3. und 10.9.1948 nach Buchenwald,

160 Gefangene am 30.11.1948 nach Sachsenhausen gebracht. Mindestens 1.000 arbeitsfähige

Häftlinge wurden in die Sowjetunion deportiert. Das 1996 dem Roten Kreuz übergebene

»Lagerjournal« verzeichnet 4.786 Tote. Die später eingerichtete Gedenkstätte nennt mehr als 5.100

Opfer mit Namen. Sie wurden in Massengräbern im »Mühlenholz« am Sandberg, auch Fuchsberg

genannt, begraben. 1950 Militärstandort der NVA, 1979 zum totalen Sperrgebiet erklärt, seit 1989

Mahn- und Gedenkstätte […].

Es wird vermutet, daß Johnson Informationen von seinem Onkel Milding aus Recknitz bekommen

hat, der als Ortsgruppenleiter der NSDAP in Fünfeichen inhaftiert war.

Zitiert nach Jahrestage-Kommentar online

Mithin war ich fast elf Jahre alt, als ich meinem Staatsoberhaupt Adolf

Hitler zum letzten Mal begegnete in einem mecklenburgischen Dorf. Vertrauensvoll

und gerissen blickte der da in eine Gute Stube, als stünden

keine Sowjets vor seinem Bunker, als sei der Reichssender Hamburg immer

noch in grossdeutschen Händen statt in denen der Angelsachsen. Dann

gilt als Kindermund die Frage, ob dieser Wandschmuck auch rechtzeitig

abgehängt werde.

Die Antwort lautete: Das hat äe ni eh vedient, mein Kint.

Uwe Johnson: Begleitumstände, S. 25-26

I was almost eleven years old, as ick mienen head of state,

Adolf Hitler met for the last time in eenem mäkelborgischen

Dorp. Trusting and cunning, he looked dor in eene gaude Stuf, as

there were no Soviets standing in front of his bunker, as if

the Reichssender Hamburg ümmer noch in the hands of grotdütschen

Hänne instead of the Anglo-Saxons. Denn the question of whether

this wall decoration ob disser ok be taken down in time is con

sidered a child‘s mouth.

De Antwuurt was: Das hat äe ni eh vedient, mein Kint.

Bothmer-Kapelle Bothmer von 1946-Hans Kaspar von Bothmer (31. Januer 1919- 12. Februar 1946)

heute abgetragen ... Gedenktafel Bothmer

Das zweiteilige Drama „Die Flucht“ mit Maria Furtwängler spielt zum Teil auf

Schloss Bothmer https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Flucht_(2007)

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Die Freiheit kam am 3. Mai über die sonnenklare Bucht und war eine

Staffel britischer Bomber. Gegen halb drei kreuzten sie über dem Hafen

von Neustadt ein und nahmen sich die Athen vor. Die Deutschen verteidigten

ihre Häftlinge mit Flakfeuer, nach dem dritten Treffer hißten

sie eine weiße Fahne. Die britischen Piloten mögen das gesehen haben,

denn sie ließen von diesem Schiff ab und griffen die in der äußeren

Bucht an. Die Thielbek legte sich nach zwanzig Minuten auf die Seite

und verschwand ganz unter der Wasseroberfläche, denn da war es achtzehn

Meter tief. Die Cap Arcona, mit dem Bettuch des Kapitäns am Mast,

brauchte eine Stunde, dann neigte sie sich nach Backbord, langsam, immer

schneller, bis sie mit ihren sechsundzwanzig Metern Breite auf der

Seite lag, acht Meter davon über Wasser.

Uwe Johnson: Jahrestage (5. Mai 1968, S. 1113)

De Freedom came over the sunlit bay on May 3rd and was a

squadron of British bombers.Gägen two-thirty they crossed de

Håben of Neustadt un took on the Athens. De Germans defended

ehr prisoners with anti-aircraft fire, nå the drütt hit they

hoisted a white flag. De British pilots may have seen this

because they abandoned dat shipp un attacked those in the

outer bay. After twintig Minut, de Thielbek leggte on its side

un disappeared completely ünner de Wåter surface, denn it was

achteihn meters deip there. De Cap Arcona, with de Kaptein‘s

Bedddauk on the mast, took eene hour, then se pitched to port,

slowly, faster un faster, until se lay on her side at eighty

feet beam, eight feet above water.

Cap Arcona Passagierschiff der Hamburg Südamerikanischen Dampfschifffahrts-Gesellschaft. Das

Schiff wurde kurz vor Kriegsende für den Transport von KZ-Häftlingen eingesetzt. Am 3. Mai 1945

wurde es auf der Ostsee durch britische Jagdbomber versenkt. An Bord befanden sich 4600 Häftlinge.

Die Leichen wurden an den Stränden der Lübecker und Mecklenburger Bucht angeschwemmt.

Vgl. auch 1175.

Brit. Flugzeuge bombardierten am 3. Mai 1945 die Lübecker Bucht. Drei der vier großen Schiffe,

die sich in der Lübecker Bucht befanden, die »Cap Arcona«, die »Thielbeck« und die »Athen«, hatten

Häftlinge aus dem KZ Neuengamme an Bord. Die »Cap Arcona« und die »Deutschland«, auf

der sich nur die Besatzung befand, sanken.

Aus Jahrestage-Kommentar online

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„Es gab alles was die Leute, die nach Amerika oder Kanada auswandern wollten, fürs Erste brauchen:

Zeltplanen, Spirituskocher, Emailgeschirr, Bestecke und so weiter“

Bericht von Reinhard Sugge, Verwahrer von Kontobücher, Bestellbücher und Lohnlisten von Adolf Papenbrock, Pferdemarkt 2 Güstrow,

1886

Peter Nöldechen: Neues Bilderbuch, S. 39

Namensentleihe für Albert Papenbrock Getreidehändler in Jerichow

Et was a country from which the Arbeider ran away, an de Hunnertdusend

in föftig Johren, een sixth of he national population, the Mäkelborg,

Patriotic Association had already had John Brinkman‘s „Fastelabendsprärig“

distributed as a leaflet in 1855 in vain: Jehann, bliw hir, [...]

Wat wisst du in Amerika [...].

Versuch 9, Vgl. Peter Nöldechen: Neues Bilderbuch,

[...] Et was a country from which the Arbeider ran away, an

de Hunnertdusend in föftig Johren, een sixth of he national

population, the Mäkelborg, Patriotic Association had already

had John Brinkman‘s „Fastelabendsprärig“ distributed as a

leaflet in 1855 in vain: Jehann, bliw hir, [...]

Wat wisst du in Amerika [...]

Die Geschichte Mecklenburgs „[…] ist über Jahrhunderte geprägt von Armut und Leibeigenschaft;

die Menschen waren gezwungen, ihr Glück in der Welt zu suchen. Von 1850 – 1900 verließen

ca. 250.000 Mecklenburger ihre Heimat, davon gingen etwa 200.000 nach Übersee, vorzugsweise

in die USA. Damit war Mecklenburg das Land, das den höchsten Prozentsatz an Auswanderern

aufwies. Insbesondere in der ländlichen Bevölkerung Mecklenburgs dürfte es Ende des 19. Jahrhunderts

wohl nur wenige Familien gegeben haben, die nicht in Amerika ansässige Verwandte oder

nahe Bekannte hatten. Das Mecklenburgische blieb jedoch Teil ihrer Wirklichkeit, innerlich durch

Erinnerungen verankert als Land ihrer Kindheit.“

Anja-Franziska Scharsich/Angelika Fischer: Das Mecklenburg des Uwe Johnson, S. 3

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Einer von diesen, der sein Glück in Amerika versuchte, war Jürnjakob Swehn, der Amerikafahrer.

Der mecklenburgische Schriftsteller Johannes Gillhoff redigierte und veröffentlichte 1917 überlieferte

Briefe der realen Figur Carl Wiedow. Wiedow war Tagelöhner und versuchte in der neuen

Welt seine eigene Freiheit zu finden. Seinem ehemaligen Lehrer, Gillhoffs Vater schrieb er von der

harten Überfahrt nach New York, seinen ersten Versuchen als „farmhand (ähnlich wie Tagelöhner

in Deutschland, Menschen die keine eigene Wirtschaft haben und sich ihren Lohn auf fremden

Grundbesitz verdienen müssten)“ und den spätereb Aufbau seiner eigenen Farm im Bundesstaat

Iowa. Er beschrieb die Gründung seiner eigenen Familie, die Erichtung einer deutschen Schule und

einer Kirche ohne Pastor. Und vor allem beschrieb er in seinen Briefen die Suche nach der eigenen

Freiheit.

https://de.wikipedia.org/wiki/Johannes_Gillhoff#Johannes_Gillhoffs_Hauptwerk:_J%C3%BCrnjakob_Swehn,_der_Amerikafahrer

https://de.wikipedia.org/wiki/Landarbeiter

„Nein, ich bin hier zu Hause. Hier ist ja auch meist alles plattdeutsch und aus Mecklenburg. Und

dann bin ich in jungen Jahren rübergekommen. Ich habe hier geheiratet. Ich habe hier eine gute

Familie gereest (englisch: raised = aufgezogen). Ich habe hier gebaut. Ich habe hier gesät und geerntet.

Ich habe hier viel Schweiß auf dem Acker liegen, und der Schweiß tut hier sein Ding gerade

so gut als drüben. - Ne, dat deiht hei nich. Bi mi hett hei en ganz Deil mihr dahn, als hei tau Hus

dahn hadd. Im Dorf wär ich bei aller Arbeit doch man Tagelöhner geblieben und, wenn`s hoch

kam, Häusler, und meine Kinder wären wieder Tagelöhner geworden. Wir haben hier auch scharf

ranmüssen, viel schärfer als in old Country. Das muß auch wahr sein. Aber dafür hab ich mich frei

gemacht. Hier stehe ich mit meinen Füßen auf meinem eigenen Boden und taglöhnere nicht beim

Bauern. Das Freisein ist schon ein paar Eimer Schweiß wert.“

Johannes Gilldorf: Jürnjakob Swehn der Amerikafahrer

Haus Lange-Stege Güstrow Nr. 36- Uwe Johnson Nr. 48- Gesines Haus gegenüber

Adolf Papenbrock Nachf., Güstrow Erste Adresse Pferdemarkt 2

Namensentleihe für Albert Papenbrock Getreidehändler in Jerichow

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Ein Mecklenburger Kind, aufgewachsen eine Stunde Fusswegs von der Ostsee

entfernt, was würde die für eine Wohnung brauchen für den Abend

nach zehn Stunden zwischen den Schluchten aus Stein und Glas von Manhattan?

Da kam in Frage allein der Riverside Drive, eine in der Architektur

fast europäische Strasse an der Westküste von Manhattan, mit

Blick auf Parkbäume, Wiesen, Bodenschwünge und dahinter den Fluss

Hudson so breit wie ein Binnensee in Mecklenburg.

Uwe Johnson: Begleitumstände, S. 410

A Mäkelborgisch child, who grew up an Stunn Fautwech von the

Baltic Sea, wat would dei för an apartment for the evening

after teihn hours midddenmang the canyons of stone un glass of

Manhattan? Dor kåm in Fråch alleen de Riverside Drive, eene in

architecture almost European an de Westcoast of Manhattan, with

a view of park trees, meadows, rolling hills un, behind them,

the Hudson River as wide as a lake in Mecklenburg.

„Komm“ sagte sie, „wir gehen an den Strand“, ich besann mich auf die

verschlossene Tür, sie entfiel mir wieder wie alle Zeit bis zum Abend.

Ich erinnere mich dass der Himmel wieder völlig weiss war als wir aus

dem Haus kamen, es fing bald an zu regnen, der Himmel kam immer gewichtiger

dichter lastend herab auf die schmalen Ränder vom Land. Ich erinnere

mich an den harten Wind, der aus der See aufsprang und uns in die

Augen schlug und ihre Hände geklammert um meine Schultern und ihr Kopf

regennass unbeweglich neben mir hinunterstarrend auf die Brandung auf

die Wellen, die unter uns sich überschlugen, und quer ausliefen durch

die schweren Pfahlreihen hindurch und träge unhinderbar in ungebrochener

Länge ausrollten auf dem Sand. „On the crest of the waves“ sagte

ihre Stimme, ja, auf den Schaumflocken der Wellenkämme, bevor sie sich

überschlagen.

Uwe Johnson, Mutmassungen über Jakob, S. 215

„Come on,“ se said, „let‘s go to the beach,“ Ick remembered the

locked dör, it slipped my mind again, like all de Tied until

Åbend. Ick remember that de Häwen ward completely witt wedder

when wi came ut of de hus, it soon started to rain, de Häwen

came dal mier un mier heavily, weighing dal on the schmål edges

of de land.

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Ick remember de hard wind leaping out of the sea and

slapping our Ögings un her Hänn clasped around miene Schullern

un her Kopp rägennatt ünnen beside mi staring down at the surf

at de Wellen lapping un running sideways beneath us through

de schworen rows of poles un rolled out sluggishly, unhindered,

unbroken length on the sand. „On the crest of the waves“ seggte

sei voice, jå, on the flakes of foam of the crests of the waves

bevör they roll over.

Das Fischland ist das schönste Land in der Welt. Das sage ich, die ich

aufgewachsen bin an einer nördlichen Küste der Ostsee, wo anders. Wer

ganz oben auf dem Fischland gestanden hat, kennt die Farbe des Boddens

und die Farbe des Meeres, beide jeden Tag sich nicht gleich und untereinander

nicht. Der Wind springt das Hohe Ufer an und streift beständig

über das Land. Der Wind bringt den Geruch des Meeres überallhin.

Da habe ich die Sonne vor mir untergehen sehen, oft, und erinnere mich

an drei Male, zwar unbeholfen an das letzte. Jetzt sackt das schmutzige

Gold gleich ab in den Hudson.

Uwe Johnson: Jahrestage (4. Juli 1968, S. 1495-1496)

The Fishlann is the most beautiful Lann in the world. Dat segg

ick, de ick upwasen bün on eener northern Küst of the Oostsee,

was anners. Anyone who has confessed to the Fischlann knows the

farw of the Bodden and the farw of the sea, both of which

every roof does not gliek and the inside does not. The

wind hops dat high shore and always dew brushes œwers Lann.

The wind brings the smell of the sea œwerallhen. There hebb

ick de Sünn vör mi ünnergahn seihn, manly one, and remind me

of three times, twors unhelped to dat last time, now that

measurable Güld gliek up in the Hudson.

Zum Maler Alfred Partikel und seinem mysteriösen Verschwinden im Ahrenshooper Holz 1945:

Doch, die waren bewaffnet auf Suche gezogen im Kleinen Darss, als Alfred

Partikel verschütt gegangen war. Im Ernst, ihn retten wollten sie.

Weißt, Gesine, der Maler.

Uwe Johnson: Jahrestage (4. Juli 1968, S. 1493)

Vgl. dazu Hans-Joachim Seidel: Uwe Johnson zum 80. Geburtstag. Meine Besuche bei Ella Löber in Ahrenshoop, Privatdruck 2014/2021

Doch, de wieren armed up Söke gone. In’n Iernst they wanted to

save him. Do you know Gesine, de Måler

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7.10.1888-1945 oder 1946, verschollen; dt. Figuren- und Landschaftsmaler; er ließ sich nach dem

1. Weltkrieg in Ahrenshoop, Dorfstraße 32, ein Haus bauen, das er behielt, als er 1929 an die

Staatliche Kunstakademie Königsberg berufen wurde. Partikel hatte sich im Spätsommer 1945 oder

1946 vormittags von seiner Familie zu einem Spaziergang im Darß verabschiedet, von dem er nicht

zurückkehrte. Auch ein Suchtrupp der Roten Armee fand keine Spur von ihm.

Zitiert nach Jahrestage-Kommentar online

Ahrenshoop, 1938

Im August 1938 notierte eine Freundin des Malers Alfred Partikel, die Schriftstellerin Marie Luise

Kaschnitz, in ihren Ahrenshooper Tagebuchnotizen über das Haus des Künstlers: „Blick von unserem

Zimmer bei Partikels: die weiße von graugrünen Strandgras überzogene Düne. Reisig, braun,

hoch geschichtet. TT-förmige große Holz-blöcke, silbergrau. Material für die Buhnen. Alte Weiden.

Der rohrgeflochtene graugelbe Zaun. Nachts knarrt die Wetterfahne, der ku-rische Wimpel.“Sie

erinnerte sich an eine Zeit vor dem Krieg: „Als wir wegfahren, stehen alle auf der Düne, tiefbraun

mit hellen Haaren, und winken, es ist da noch nicht Krieg, der Sohn noch nicht gefallen, der Vater

noch nicht verschwunden, nichts, nichts ist geschehen.“

Christian Büttrich u.a. (Hrsg.): Marie Luise Kaschnitz: Ahrenshooper Tagebuchnotizen Sommer 1937 und 1938. In: Tagebücher aus den

Jahren 1936–1966. Band 1, Frankfurt am Main 2000

Christian Büttrich Norbert Miller (Hrsg.): Marie Luise Kaschnitz, Orte. In: Gesammelte Werke in 7 Bänden, Band 3. Die autobiographische

Prosa II, Frankfurt am Main 1982

Wolfgang Reif (Hrsg.): Land im silbernen Licht. Fischland, Darß, Zingst. Lesebuch. Band 1, Fischerhude 2013

Vgl. dazu Matthias Dettmann, „... oder bist Du das Reisen satt?“. Künstlerische Begegnungen zwischen New York und Hiddensee,

Heidelberg 2012

Denn sittst vilicht, verraden un verköfft, in son‘n amerikanschen Wald

...

Uwe Johnsons: Jahrestage (20. Dezember 1967, S. 490)

Denn sittst vilicht, wer weit soon/Du ok, verraden and verköfft

/In son`n American forest...

Zitat aus John Brinckmans „Fastelabendsprärig för Jehann, dei nah Amerika furt will“, in: Brinckman,

John: Sämtliche Werke in fünf Bänden. Mit Einleitung und Anmerkungen herausgegeben von

Otto Weltzien, Leipzig 1903 (in Johnsons Bibliothek), Bd. 1, S. 105-109, hier S. 107. Das 20strophige

Gedicht wurde 1855 vom mecklenburgischen Patriotischen Verein als Flugblatt verteilt, um

die Landsleute vom Auswandern nach Amerika abzuhalten.

Es gibt keine Ansichtenpostkarten von Jerichow.

Uwe Johnson: Jahrestage (3. August 1968, S. 1772)

Et gäbt keene viewspostkorten from Jerichow.

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Jerichow zu Anfang der dreißiger Jahre war eine der kleinsten Städte in

Mecklenburg-Schwerin, ein Marktort mit zweitausendeinhunderteinundfünfzig

Einwohnern, einwärts der Ostsee zwischen Lübeck und Wismar gelegen,

ein Nest aus niedrigen Ziegelbauten entlang einer Straße aus Kopfsteinen,

ausgespannt zwischen einem zweistöckigen Rathaus mit falschen

Klassikrillen und einer Kirche aus der romanischen Zeit, deren Turm mit

einer Bischofsmütze verglichen wird; […].

Uwe Johnson: Jahrestage (28. August 1967, S. 30-31)

Zur „Bischofsmütze“ vgl. auch Uwe Johnson. Walter Kempowski. „Kaum beweisbare Ähnlichkeiten“.

Der Briefwechsel, hg. von Eberhard Fahlke und Gesine Treptow, Berlin 2006, S. 15, 23.

Jerichow tau af early the Johrs there was a small town in

Mäkelborg-Swerin, a market place with tweedusendhunnert and

föglich residents, inland middenmang Lübeck and Wismer, a nest

of lütten Backsteenhüser along a Straat and Koppsteenen,

stretched out in middenmang and a tweestöckiges Rathus with

inverted classical grooves and a church with a Romanesque tied,

whose tower was adorned with eener Bischopmütz; (...)

Aus „Jahrestage“-Kommentar online:

Unter einem Bischofsmützenturm versteht man einen achtseitigen Turmhelm, des öfteren bei mittelalterlichen

Kirchen Nordwestmecklenburgs zu finden, z.B. bei der Klützer Kirche St. Peter. In den »Mecklenburgischen

Monatsheften«, Jahrgang 1933, S. 422, wird der Turm der Klützer Kirche mit einer »Bischofsmütze« verglichen.

Johnson hatte die Stelle mit einem J gekennzeichnet. Die dreischiffige Klützer Hallenkirche wurde um

1280 begonnen und im 14. Jh, durch einen Westturm mit Schildgiebel und Achteckhelm im 14. Jh. ergänzt.

In der Kirche finden sich mehrere Grabmäler der Familie von Plessen aus dem 16. und 17. Jh., östlich der

Kirche ein Mausoleum der Familie Bothmer aus dem 18. Jh. Auf dem Friedhof steht ein Gedenkstein für 16

Opfer der »Cap Arcona« und der »Thielbeck«.

Kirche mit einem „achtseitigen Turmhelm“, wie er „des ofteren bei mittelalterlichen Kirchen Nordwestmecklenburgs

zu finden [ist], z. B. bei der Klützer Kirche St. Peter“ (Helbig u. a. 1999, S. 52). Die Turmform

erinnert an die Mutze eines Bischofs und wurde „Feldsteinkirchen meist aus romanischer Zeit bei ihrer Erweiterung

im backsteingotischen Stil angefugt“, etwa „in Parkentin bei Rostock, Neubuckow oder Butzkow“

Noldechen 2008, S. 20). Aus Sachkommentar aus dem Bd. 2 der Rostocker Ausgabe „Mutmassungen über Jakob“, S. 369.

25


Jerichow war früher eine Bauernstadt gewesen und zumeist im Eigentum

einer einzigen Familie von Adel: das waren tausend und ein Haus an der

mecklenburgischen Ostseeküste, wohin der Wind grau und rauh kam das

ganze Jahr ...; zum Strand war es eine Stunde zu gehen, am Bruch entlang

und dann zwischen den Feldern.

Uwe Johnson: Mutmassungen über Jakob, S. 15

Vgl. Anja-Franziska Scharsich, Photographien: Angelika Fischer, Das Mecklenburg des Uwe Johnson, Berlin 2008

Jerichow wier dunnemals eene farming town gewesen un

meistendeils in´n Egentum eener eenzig family of nobility:

dat wieren dusend un een Hus an de mäkelbörger Oostseeküst,

wohen de Wind gritty un ruuch keem dat ganz Johr...; tau´n

beach wier et eene Stunn tau Faut tau gåhn, an’n Bruch vörbi

un denn middenmank den Fellern.

Ja, von Jerichow tau’m Damshäger Krog.

Uwe Johnson: Jahrestage (8. Juli 1968, S. 1511)

Yes, from Jerichow tau`m Damshäger Krog.

Damshagen: Dorf, 4,8 km südlich von Klütz, an der Straße nach Grevesmühlen.

STOLZ Schuld mit Dorfkirche Rövershagen

„Gibt es ein Motiv dafür, daß Sie Jerichow an die Ostsee verlegt haben? Hat es irgendwas mit dem

märkischen Jerichow zu tun, oder gibt es an der Ostsee auch eins (in Sachsen soll es viele kleine

Jerichows geben), oder war es nur der Name, oder, oder, oder??“

Walter Boehlich an Uwe Johnson, Brief vom 25. August 1959

„Jerichow habe ich mir aus der Bibel genommen, wenn ich nicht irre. Ich weiss nicht, was die

Gründer der sächsischen Orte dieses Namens oder des märkischen sich gedacht haben mögen; es

ist ja aber kaum zu übersehen dass eine Stadt, die lange Zeit mächtig ist, eines Tages einer bloss

symbolischen Kraftanstrengung nicht standhält: und die Mauern werden fallen hin. Statt der Trompeten

könnte man auch einen Lautsprecherwagen nehmen. Oder gesticktes Tuch an der Stange.

(Als Trompeten maskierte Ultraschall-Erreger.) Und da ich fand dass der Laut dieses Namens an

der Ostsee angenehm blaugrau (etwas als Luft und Fischgeruch) auf der Zunge liegt, habe ich mir

ein Jerichow aufgebaut an der Ostsee; es ist besser, da gibt es auch eins. Ich sehe, ich kann es Ihnen

nicht erklären; es ist aber wohl auch eine Antwort.“

Uwe Johnson an Walter Boehlich, Brief vom 28. August 1959 aus Berlin-Dahlem

Beide Briefe zitiert aus „Die Katze Erinnerung“, S. 86.

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[…] da kehrte er am Markt vor dem Gefallenendenkmal um und stieg

trotzig öffentlich in den nächtlichen Krug.

Uwe Johnson: Mutmassungen über Jakob, S. 35

[…] da kiehrte er an`n Markt in front de Anlaag de an`n Doten

gedenkt um un gåhn defiant öffenlich in`n nightly Krog.

„Wi hem all dacht di seinw nich werre“ sagte er, als Cresspahl zurückkam

und sich neben die Theke setzte vor seine verschiedenen Getränke,

der schüttete sich den Klaren unbekümmert in den Hals und stellte das

Glas gleich zurück auf das blanke Blech. Fett und festfleischig stand

der Wirt über ihm und erwog hinter seinem prallen witzlustigen verschwiegenen

Gesicht die Umstände von Cresspahl, während er viel Bier

laufen liess aus dem Hahn und überhaupt mit einigen Gästen im Gespräch

war. „Du büst doch wo wäst“ fragte er beiläufig im Vorbeugen, als er

das zweite Glas auf den Rand der Theke stellte. In dem Lärm der Gaststube

hatten seine Worte nichts weiter als ein Aussehen genau wie

Cresspahl sein Gesicht zur Schräge verzog mit seinen Augenbrauen, und

was Cresspahl sagte war nur Geräusch unter den anderen, höflich sagte

er: „Jao. Bi de Hantwäkskamme“ und hustete aufgebracht hinzu „A laot

Schiet“: so entstand das zweite Gerücht „Er is man bloss zur Handwerkskammer

gefahren“, dem widersprach das erste „Ja, nu is er zum Westen.“

Uwe Johnson: Mutmassungen über Jakob, S. 36

„Wi hem all dacht di seinw nich werre“ he said, as Cresspahl

trüchkam un sick näben de Thek sett vör siene various drinks, de

köppte sick de clear unconcerned in the throat un stellte dat

Glas glieks trüch uf dat bare Bleck. Fett un fastfleechig ståhnt

de Wirt œwer em un erweig achter sienem plump witty secretive

face de Ümstände von Cresspahl, währens he väl Bier lopen låt

ut de Håhn un œwerhaupt mit eenigen Gäst in conversation wier.

„Du büst doch wo wäst“ fråchte he beiläufig im Vörbögen,as he

dat tweit Glas uf de edge de Thek stellte. In de Larm de Gast

stuf hette seene Wuurde nix wieder as een Utkieken nipp woans

Cresspahl sien face tau oblique wier man blot noise ünner de

annern,höflich seggte he: „Jao. Bi de Hantwäkskamme“ un haustete

upgebracht hentau „Ä laot Schiet“: so enståhnt dat tweite rumor

„Er is man bloss zur Handwerkskammer gefahren“, dem disagreed

dat ierste „Ja, nu is er zum Westen.“

27


Hat öffentlich im Krug von Jerichow (glaube nicht dass da im Krug »öffentlich«

bedeutet, die kennen sich doch alle, na ja: öffentlich im

Krug) das Lied gesungen von dem Hund, der in die Küche kam, der schiss

dort auf ein Ei, da nahm der Koch den Löffel, und schlug den Hund

zu Brei, da kamen die Hunde zusammen, und lobten sehr den Koch, und

schrieben auf den Grabstein, geschissen hat er doch, dann kam der Hund

wieder in die Küche und das hab ich jetzt vergessen und jaja ich verstehe

schon. Das schreiben die nun auf.

Uwe Johnson: Mutmassungen über Jakob, S. 9-10

Het öffenlich in`n Krog von Jerichow (don‘t say that dor in`n

Krog means „publicly“, you all know them, oh well: öffenlich

in`n Krog) dat Leed sung by`n Hunn, de in`n Koek came, you shoot

dor uf`n Ee, then take the Koeksch en Loeper, and then the Hunn

tau Brie, then the Hunns came tausåmen, and praised the Koeksch

bannig, and shouted up the Graffsteen, but you did shoot,

because came de Hunn wedder in`n Koek and dat hebb I‘ll pay now

and jojo I already understand. That‘s written up now.

Cresspahl schien plötzlich zu erwachen, ruckweise war sein Nacken

steif sein Kopf leicht schräg, mit einer ganz anderen Stimme fragte er

„Hest wat ätn?“. Wir lächelten beide (Jakob und ich) über den Klang,

der eigentlich fürsorglich war und zärtlich. „Ne-i“ sagte Jakob, „Un

he?“ fragte er, und er? „Je“ sprach Cresspahl mit List, aber da stand

er schon am Herd und entzündete das Gas, mit einer überraschenden Geschwindigkeit

stellte er die Pfanne hin und polkte Schmalz aus einer

Schale hinunter, „he hett mi to schpät telegrafiet, nu heck twei veschiedne

Sootn, Schnitzl un Kabonaode, öwe Jakob döef sick utsäukn“.

Wir sassen still wo wir waren und sahen ihm zu. Er stieg hin und her

durch die Küche und räumte den ganzen Tisch voll, das Fett zischte und

knallte und schrie, er schlug das Fleisch mit dem Holzhammer weich und

schob mir schnell das Brett hin, denn das Fett war in der Ruhe des Entsetzens,

nun kam ein Stück Fleisch hinein, das war so gross wie seine

Hand, und er hatte grosse Hände. Seine gelbhäutigen gichtkrummen Hände

mit den harten Aderknoten. Er redete unablässig: da sei er zu „Lowise

Arwt“ gegangen und habe gesagt viel Fleisch, und Lowise Arwt habe gesagt,

und auf der Strasse sei ein Hund geschritten, „de keek mi so an,

un dunn sähe“, so dass ich bald lachte; Jakob lehnte sich freundlich

beobachtend zurück. Aber sein Gesicht schien wie erstarrt vor Abwesenheit.

28


Cresspahl erklärte mir wie man es macht. Ein Schnitzel mit Salz und

Pfeffer. Tief durchbraten. Karbonade anders. Zwei Eier zerschlagen und

rühren, rühr mal. Darin das Fleisch umdrehen. Auf einem anderen Teller

in Brotmehl umwenden. Rein in die Pfanne. So. Ein Ei darüber? Los, mach

dir das. Er wischte den Tisch ab und schnitt Brot auf und stellte Geschirr

und Besteck hin und wies uns gegenüber an und liess sich nieder

an der Schmalseite. Er sah uns lange an unter den harten Schrunden seiner

Stirn. Die Augenbrauen waren sehr sanft geschwungen. Er hatte graue

Augen. Die Augen waren sein Alter und seine entfernte Tochter und die

dichte nasse Dunkelheit und seine Empörung und seine Fürsorge. Jakob

nickte. „Jetz willt ji ätn“ sagte Cresspahl.

Uwe Johnson: Mutmassungen über Jakob, S. 79-80

Cresspahl seemed to wake up with a (n) rope, back on her neck,

her head was slightly scratched, with a very different voice he

asked „Hest wat ätn?“. We both smiled (Jakob and ick) öwer de

Klang, de really caring like un tender. „Ne-i“ said Jacob, „Un

he? asked hey, un hey? „Je“ snaps Cresspahl with cunning, but

there ståhn hei all an‘n Hierd and offers that gas, with an aw

fully rapid speed hei de Pann put down and polkte Schmalz ut a

bowl henünner, „he telegraphed me too late, now heck two

different Sootn, Schnitzl and Kabonaode, öwe Jakob döef sick

ut säukn“. We let us sit and we kiekten em dew. He climbed up

and here there the chick and shouted at the whole thing, the fat

hissed and banged and screamed, he hit the flesh softly with the

wooden hammer and shoved me fixed the board, the fat was in the

throes of horror, now A piece of flesh came, it was so big

where your hand was, and he had big hands. Your gout-skinned

gouty hann with the hard vein knot. He räd incessantly: there he

said „Lowise Arwt“ and hebbed väl Fleesch, and Lowise Arwt

hebbed, and on the street a Hunn‘ walked, „de keek mi so an, un

dunn sä he“, so dat I soon laughed; Jacob leaned in and

gently observed. Œwho‘s face seemed frozen somewhere with

absence. Cresspahl verklonte mi woans man et måkt. A Schnitzel

with Solt and Pepper. Deip dörchbråden. Cabonaode anners. Two

Eeer smash and mix up, mix up. Inside that Fleesch around three.

Uf eenem annern Töller in Brotmähl ümwennen. Rin in de Pann. So.

Een Ee dorrœwer? Come on, måk mi dat. He wiped the dish and cut

the bread and put the crockery and cutlery in place and told us

who to go and didn‘t leave the Schmålsiet.[…] Jakob nickköppte.

„Jetz willt ji ätn“ said Cresspahl.

29


Nach dem Essen sass Jonas in dem trockenen Pflaumenbaum und sägte die

kleineren Äste heraus mit einm Fuchsschwanz. Unter ihm stand Cresspahl

zwischen den Stachelbeerbüschen und redete über den Feiertag, an dem

man nicht arbeiten dürfe, aber Jonas war es ganz zufrieden. Dann holten

sie die grosse Leiter aus dem Flur und nahmen alles ab, was über

der Gabelung stand; Cresspahl hielt die Leiter fest und zog mit einem

Strick an dem Ast, den Jonas gerade absägte. Manchmal kamen Leute auf

dem Weg am Gartenzaun vorüber und standen still bei ihnen, denn sie

waren so angezogen, nämlich sie hatten die Woche über gearbeitet, aber

nun war Sonntag, und sie sagten etwa: Ach, da werde wohl aus dem Baum

das Trockene weggenommen, und vielleicht solle sogar der ganze Baum aus

der Erde? Ja: sagten sie, denn auch Jonas lehnte sich zurück und sagte

etwas wo es zwischen Cresspahls Antworten passte: so verhalte es sich.

Es scheine eben als könne ein Pflaumenbaum nicht länger als zwanzig Jahre

leben. Das mag wohl sein: sagten sie, und dann gingen sie weiter.

[…] Dann sägten sie weiter, und als sie alles unten hatten, brachen und

sägten sie es handlich und trugen es in den Holzschuppen vor der Werkstatt.

Die Werkstatt war im rechten Winkel an das Haus gebaut und hatte

grosse staubige Fenster. […] In der Dämmerung hatten sie den Stamm

beinahe ganz ausgegraben. Die letzten Spaziergänger kamen vom Strandweg

herüber, dem sie eine Ecke abschneiden wollten, und blieben eine Weile

stehen und fragten: Hier werde wohl Brennholz gemacht. Ja: sagten sie.

Es habe ja den Anschein als ob es für den Winter ausreichen werde. Ja,

das Aussehen sei vorhanden. Man könne also sein Brennholz im Garten

wachsen lassen, nicht wahr? Das sei sozusagen möglich: sagte Cresspahl.

Uwe Johnson, Mutmassungen über Jakob, S. 167-168

After the meal, Jonas sat in de dry plummbom un sawed de

lütteren smaller Telches out the with a fox‘s tail.

Cresspahl stood below him twüschen de Stickelbeer bushes un

talked œwer the Fierdag when you weren‘t allowed to work,

åwer Jonas was quite content. Then they got de grot Ledder

out of de hall un took down allens that was over the fork;

Cresspahl hollt onto de Ledder un used a rope to pull

on de branch that Jonas was sagen off. Manchmål Lüd passed de

Gordentun on the path un stood by them, because sei were dressed

like this, because sei had been working all Woch, åwer now it

wier Sünndag un sei said something like: Oh, the drög part of de

Bom will be taken away, un villicht even the whole Bom should

come out of de Ierd?

30


Jå: sei seggte, because Jonas also leaned trüch un seggte so

mething that fit twüschen Cresspahl‘s Antwuurten: that‘s how

it should be. Et just seems like a plum bom can‘t live langer

as twintig Johr. Dat may well be the case: sei seggte, un then

sei went on. […] Then they sagte wieder, un when sie had allens

ünnen, sei broke un sagten et handily un carried it to de Holts

hed in front of the workshop. The workshop was built at right

angles to de Hus un had grote stoffige Finster.[…]

Bi de dusk sei had almost completely dug up de trunk. The last

of the walkers kåmen across from the beachwech, which sei

wanted to cut off a corner of, un stayed for a while un

frågten: „I suppose fireholt is being made here.“ Yo: sei

seggt. It seems like it will be nauch för de winter. Yo, the

appearance is there. So you can let your fireholt wassen in the

Gorden, right? That is, so to speak, possible: seggte Cresspahl.

Das schwere lange hochbeinige überspritzte Automobil warf in einer

Wendung kurzum auf der Stelle einen grossflächigen Schwung Schlamm an

den Zaun und-durch die Latten und kroch eilig auf das breitere wiewohl

ebenso rauhe Pflaster der Hauptstrasse zwischen den ebenerdigen Häusern,

am zweistöckigen Kaufhaus des Konsumvereins lief es rund um die Kirche

mit dem Bischofsmützenturm, von da an verirrte es sich im Friedhofsweg

und hielt endlich wie ratlos an hinter der alten Ziegelei neben der hohen

durchbrochenen Wand des stehengebliebenen aber baufälligen Trockenschuppens.

Uwe Johnson: Mutmassungen über Jakob, S. 40

Dat schwore long, high-beenige, œwerspluttering automobile slam

med a spattering cortüm up the place a large swath of mud on the

do and dörch the slats and krup hurry up dat breetere woanswoll

also ruuche Plaster de Hauptstråt midden-mank the äbenlerdigen

houses, an‘n two-story head of the Consumer association runs it

around the Kark with the Bischopmütztorm, from there it strayed

and sick in‘n FriedHœfswech and finally got somewhere wheelless

on the aft of the ollen Ziegelei näben to the high

dörchbrochenen Wänn‘ of the ståhnbliewenen åwer Dröchkabach.

Wenig später drückte sich der Wagen rückwärts und kletterte in den undeutlichen

vergrasten Weg zwischen Ziegeleihof und dem nassen Garten,

wandte sich heftig vor der sowjetischen Kommandantur und rettete sich

in schnellem Ansprung aus dem Morast auf die Ziegeleistrasse und eilte

auf die Bischofsmütze zu und umrundete den Friedhof und jagte davon in

die bläuliche Entfernung weg aus Jerichow, […].

Uwe Johnson, Mutmassungen über Jakob, S. 41

Tau later pushed the wagons trüchwarts in the grassy Wech

middenmang Ziegeleihœf and the natten Goorden, wobbled

violently in front of the Soviet commander‘s office and reddet

to him in a fixen Ansprung ut the morast up the Ziegeleistråt

and aimed up the Bischopmütz tau and I walked around the

Friedhœf and hunted from there in the dreadful distance away

from Jerichow, [...].

31


Marie ist nicht gern zu Gast im Restaurant Zum Heiligen Wenzel; es

gehört zu den Vorlieben, die sie Gesine nachsehen will. Sie kann sich

nicht mit dem Gespräch nebenan unterhalten. Der Abstand zwischen den

Tischen, die weißen Tücher, die zu Bischofsmützen gefalteten Servietten,

es erinnert sie an Reisen nach Europa.

Uwe Johnson: Jahrestage (2. Oktober 1967, S. 136)

Vgl. Uwe Johnson / Walter Kempowski: „Kaum beweisbare Ähnlichkeiten“. Der Briefwechsel

Marie is not giern a Gäst in the Gasthus zum Sankt Wenzel; it

belongs to the Vörleif that Gesine nåkieken will. Se can‘t sik

nich mit dem Schnack näbenan unnerhollen. The distance

middenmang the Dischen, the white Tüücher, the many bishop‘s

hats and folded serviettes, dat reminds se of trips to Europe.

Ick smit dat hen. Disse Loks, disse utleierten Strecken, dissn Signålsalat,

dor führ de Düvel. Godet Niejår, Gesine!

Godet Niejår ji all.

Uwe Johnson: Jahrestage (31. Juli 1968, S. 1690)

Die Bahnverbindung zwischen Klütz und Grevesmühlen mit dem Klützer Kaffeebrenner-Milchholexpress

auf der Strecke Jerichow-Gneez, 19 Tarifkilometer, vier regelmäßige Zwischenhalte und

einer auf Verlangen, nach dem Fahrplan 41 Minuten, damals etwa eine Stunde-Winterfahrplan

1946/47

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20. Januar 1983 / Uwe Johnson an Walter Kempowski

„Lieber Herr Kempowski,

[…]

Wüssten Sie einen Sammler von Mecklenburgica? Zu vermitteln hätte ich einige Landkarten aus

dem 17. Jahrhundert und eine Anzahl von Titeln zur Orts- und Landesgeschichte dazu Bände

des Jahrbuchs und Kalender.

Für eine baldige Auskunft in dieser Sache wäre ziemlich dankbar

Ihr

Uwe Johnson“

Uwe Johnson / Walter Kempowski: „Kaum beweisbare Ähnlichkeiten“. Der Briefwechsel, S. 127

Dank an Uva Piterane von der Uwe Johnson Gesellschaft Rostock und Dank an Christof Krüger für den Support.

Einen besonderen Dank an meinen Sohn Philipp Max Loseries (Wer schreibt die längsten Bücher?) und meiner

Frau Wiebke Loseries für die Geduld und Fürsprache bei diesem Projekt.

33


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