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POLITIK<br />

BUNDESWEHR<br />

L<br />

imousinen fahren vor, Männer<br />

in Uniformen, grau, blau und<br />

olivgrün, hasten vorbei – im<br />

Bendlerblock, dem zweiten<br />

Dienstsitz des Bundesverteidigungsministeriums,<br />

geht es an<br />

diesem Septembertag hektisch zu. Als<br />

wolle man jetzt gleich die Bundeswehr mit<br />

den versprochenen 100 Milliarden Euro<br />

schnellstens umbauen. Und tatsächlich<br />

treibt der freundliche Herr, der im ersten<br />

Stock das Team empfängt, die Veränderungen<br />

jeden Tag voran. Generalin spekteur<br />

Eberhard Zorn ist der Vorgesetzte der<br />

mehr als 180000 Soldatinnen und Soldaten<br />

und der oberste Repräsentant der Bundeswehr.<br />

Wo hapert es? Wo geht’s voran?<br />

Und wie beurteilen die deutschen Militärs<br />

die Lage in der Ukraine? Legen wir los …<br />

Herr General, wie viel von den versprochenen<br />

100 Milliarden Euro ist<br />

schon bei Ihnen angekommen?<br />

Für das Gros der priorisierten Projekte<br />

haben wir eine Finanzierungszusage,<br />

das heißt: Der letzte Schritt vor dem konkreten<br />

Kaufvertrag mit der Industrie ist<br />

getan. An anderen Stellen können wir<br />

auf Rahmenverträge zurückgreifen, die<br />

wegen Finanzknappheit über einen längeren<br />

Zeitraum gestreckt waren und nun<br />

schneller realisiert werden können. Wir<br />

sind auf einem guten Weg.<br />

Können Sie ein Beispiel nennen?<br />

Vieles wird deutlich früher geliefert.<br />

Neue Gefechtshelme, Sprechfunksätze,<br />

Lkw und persönliche Bekleidung zum<br />

Beispiel. Und ab 2023 wird der Zulauf<br />

noch mal kontinuierlich steigen.<br />

Aber die versprochenen Schutzwesten<br />

und Nachtsichtgeräte sind<br />

noch nicht da, oder?<br />

Vieles kommt nach und nach. Wir statten<br />

Verbände jetzt in einem Schwung<br />

komplett aus, anders als vorher vereinzelt<br />

im Gießkannenprinzip. Zum Beispiel mit<br />

neuen Schutzwesten, Nachtsichtgeräten<br />

und Rucksäcken …<br />

… die früher bundeswehrintern acht<br />

Jahre lang geplant wurden …<br />

Das Beispiel ist plastisch und illustrierte<br />

leider auch unseren Hang zu Goldrandlösungen,<br />

anstatt fertige Produkte von<br />

der Stange zu kaufen. Zudem hat sich die<br />

Industrie manchmal viel Zeit gelassen.<br />

Sie suchen jetzt nach Gerät, das nicht neu<br />

entwickelt wird, sondern auf dem Markt<br />

und daher zügig zu bekommen ist?<br />

So ist es. Zum Beispiel den neuen Transporthubschrauber<br />

CH-47, den Chinook …<br />

… den Boeing seit Jahrzehnten baut …<br />

… und der sich bewährt hat in zig<br />

Nationen dieser Welt. Ebenso wie der<br />

„Alles, was wir abgeben,<br />

brauchen wir wieder zurück“<br />

Panzer für die Ukraine, Umbau der Bundeswehr, Führung durch<br />

die Zeitenwende: Generalinspekteur Zorn im Gespräch<br />

TEXT VON FRANZISKA REICH UND THOMAS TUMA FOTOS VON NIKITA TERYOSHIN<br />

Ordensmann<br />

Eberhard Zorn,<br />

62, dient seit<br />

2018 als Generalinspekteur<br />

und damit nun<br />

der dritten<br />

Ministerin<br />

Kampfjet F-35. Das Einzige, was der noch<br />

braucht, ist eine Zulassung für den deutschen<br />

Luftraum.<br />

Die Beharrungskräfte im Apparat sind<br />

aber stark, oder? Bei der Bestellung<br />

des Radpanzers Boxer wurden gleich<br />

wieder lange Listen mit Spezifikationswünschen<br />

geschrieben …<br />

… die wir nicht alle zulassen können.<br />

Weil es zu lange dauern würde und zu<br />

teuer wäre. Die Anpassung nehmen wir<br />

top down zusammen mit den Inspekteuren<br />

und dem Forderungscontrolling vor.<br />

Eingekauft werden muss derzeit<br />

viel. Aber wenn die Nachfrage<br />

wächst, steigen die Preise, oder?<br />

Uns trifft aktuell das Thema Inflation<br />

durchaus spürbar. Bei den großen Auftraggebern<br />

merken wir auch eine Konkurrenz,<br />

gerade mit osteuropäischen<br />

Ländern, die zügig ihre Truppen modernisieren<br />

wollen. Wir streben an, die Bestellungen<br />

künftig international zu bündeln,<br />

also Marktmacht zu schaffen. Die Frage<br />

ist, wie die Industrie die Produktionskapazitäten<br />

erhöhen und vorhalten kann.<br />

In den vergangenen Monaten wurde<br />

viel über den Ringtausch diskutiert:<br />

Osteuropäische Partner liefern Waffen<br />

an die Ukraine, wir ersetzen sie mit<br />

deutschem Gerät. Bislang scheint die<br />

Idee nicht gerade erfolgreich zu sein.<br />

Das braucht Zeit. Die Geräte, die getauscht<br />

werden, müssen ja auch passen.<br />

Positiv finde ich, dass zukünftig alle Nato-<br />

Partner über Gerät westlicher Bauart verfügen<br />

werden. Das wird sehr helfen. Mit<br />

Ländern wie der Slowakei, Tschechien,<br />

Griechenland und Slowenien sind wir<br />

schon auf einem guten Weg.<br />

Welches Gerät hat die Ukraine bislang<br />

wirklich aus Deutschland bekommen?<br />

Die Liste ist beachtlich, quantitativ wie<br />

qualitativ. Sie ist übrigens jederzeit auf<br />

dem Internetauftritt der Bundesregierung<br />

einsehbar. Wir haben mit den Niederländern<br />

zusammen ein ganzes ukrainisches<br />

Bataillon mit der Panzerhaubitze 2000<br />

ausgestattet, hinzu kommt der MLRS-<br />

Mehrfachraketenwerfer. Beides kam aus<br />

eigenen Beständen. Die letzten der 30 Geparden<br />

wurden gerade an die Ukrainer<br />

übergeben. Darüber hinaus haben wir<br />

unzählige Fahrzeuge, Munition und Ausrüstung<br />

geliefert. Mit IRIS-T schicken wir<br />

ein Raketenabwehrsystem, das wir selbst<br />

gerne hätten. Wir werden die Ukraine so<br />

lange unterstützen wie nötig.<br />

Kann die laufende Gegenoffensive<br />

der Ukraine Erfolg haben?<br />

Ich bin bei den Begriffen vorsichtig.<br />

Als Gegenoffensive bezeichnen wir zeitgleiche<br />

Angriffe auf breiter Front, um<br />

Gebiete zurückzuerobern. Was wir wahrnehmen,<br />

sind Gegenangriffe und Gegenstöße,<br />

mit denen man Orte oder einzelne<br />

Frontabschnitte zurückgewinnen, aber<br />

nicht Russland auf breiter Front zurückdrängen<br />

kann.<br />

Und wie agiert das russische Militär?<br />

Wir beobachten eine Stagnation, einen<br />

Abnutzungskrieg. Es werden keine weitreichenden<br />

Operationen geführt. Noch<br />

vor zwei Wochen hätte ich gesagt, dass<br />

der gesamte Donbass in sechs Monaten<br />

in russischer Hand ist. Heute sage ich:<br />

Das werden sie nicht schaffen.<br />

Woran liegt das?<br />

Die ukrainische Seite agiert klug, bietet<br />

selten eine Breitseite und führt souverän<br />

und sehr beweglich die Operationen.<br />

Hätten die Ukrainer für eine echte<br />

Gegenoffensive die Kraft?<br />

Sie bräuchten eine Überlegenheit von<br />

mindestens drei zu eins. Was nach und<br />

nach den Unterschied machen kann, ist<br />

die präzisere Bewaffnung, die sie vom<br />

Westen bekommen, etwa Munition, die<br />

die Ziele punktgenau trifft.<br />

Sie scheinen heute ein viel genaueres<br />

Wissen darüber zu haben, was gerade<br />

in der Ukraine tagesaktuell passiert.<br />

Unterschiedlich. Wir wissen mehr über<br />

die Russen als über die Ukrainer.<br />

Woran liegt das denn?<br />

Die Ukrainer verschleiern ihre Absichten<br />

sehr gut. Bei den Russen wird noch<br />

viel mit analogen Funkgeräten kommuniziert,<br />

besonders zwischen den einzelnen<br />

Gefechtsfahrzeugen<br />

und Kommandoposten. Da ist<br />

es leichter, das eine oder andere<br />

abzufangen. Zudem sehen<br />

wir Schwierigkeiten bei der<br />

Führung zusammenhängender<br />

Operationen.<br />

Die Bundeswehr arbeitet eher<br />

so analog wie die Russen?<br />

(Lacht.) So würde ich das<br />

nicht sehen. Aber nicht umsonst<br />

ist die Digitalisierung<br />

unserer Landstreitkräfte ein<br />

wesentlicher Bestandteil des<br />

Sondervermögens. Wir sind<br />

besser befähigt zur Führung geschlossener<br />

militärischer Operationen aller Waffengattungen.<br />

Gibt es irgendeinen Grund wenigstens zu<br />

leisem Optimismus in diesem Krieg?<br />

Die täglichen Bilder der zerstörten<br />

Städte und Häuser, Millionen von Ukrainerinnen<br />

und Ukrainern, die alles verloren<br />

haben, lassen niemanden unberührt.<br />

Der nahende Herbst und Winter, die kalte<br />

Jahreszeit, werden das Leid nicht mindern<br />

– im Gegenteil. Das ist das Dilemma<br />

LESERDEBATTE<br />

Sollte Deutschland<br />

Kampfpanzer<br />

liefern?<br />

Schreiben Sie<br />

uns an<br />

leserbriefe@<br />

focus-magazin.de<br />

dieses Krieges. Vorsichtig optimistisch bin<br />

ich angesichts der aktuellen regionalen<br />

militärischen Erfolge der Ukraine.<br />

Ist Ihre Angst, es könnte auch eine atomare<br />

Auseinandersetzung werden, eher<br />

größer geworden oder zurückgegangen?<br />

Ich hatte diese Angst nie. Wir beobachten<br />

von Anfang an alle russischen Atom-<br />

Arsenale. Da gibt es keine Aktivitäten,<br />

die uns derzeit besorgt sein lassen. Die<br />

Abschreckung funktioniert. Aber natürlich<br />

wird mit der nuklearen Komponente strategische<br />

Kommunikation betrieben. Mir<br />

macht größere Sorgen, wie viele Waffen<br />

unterhalb der nuklearen Schwelle zur Verfügung<br />

stehen.<br />

Wie dringend braucht Deutschland<br />

den Raketenabwehrschirm, den<br />

der Kanzler angekündigt hat?<br />

Die potenzielle Bedrohung durch das<br />

russische Raketenarsenal ist hoch und<br />

erfordert einen wirkungsvollen Raketenabwehrschirm.<br />

Er wird dann in die Luftverteidigung<br />

der Nato an der gesamten<br />

Ostflanke eingebunden. Russland verfügt<br />

mit den Iskander-Raketen in Kaliningrad<br />

über eine Waffe, die binnen weniger<br />

Minuten Berlin erreichen kann.<br />

Aktuell verlangt die Ukraine wieder<br />

mehr Waffen. Der Kanzler hat jüngst<br />

erneut abgelehnt, dass die Industrie<br />

Leopard-Panzer liefern darf, geschweige<br />

denn die Bundeswehr. Warum?<br />

Alle unsere Waffenlieferungen sind<br />

mit unseren Partnern abgestimmt. Am<br />

vergangenen Donnerstag war Frau Ministerin<br />

Lambrecht wieder<br />

beim Treffen in Ramstein, wo<br />

die kommende Hilfe direkt<br />

mit den Ukrainern bespro-<br />

chen wurde. Bis dato wurden<br />

von keinem unserer Partner<br />

Kampf- und Schützenpanzer<br />

westlicher Bauart geliefert.<br />

Das ist die abgestimmte Linie.<br />

Es wird keine Alleingänge<br />

Deutschlands geben.<br />

Es heißt, die Bundesregierung<br />

zeige sich auch deshalb zögerlich,<br />

weil jede Lieferung aus<br />

Beständen die eigene Fähigkeit<br />

zur Landesverteidigung schmälern würde.<br />

Das ist auch so. Nehmen wir den<br />

Kampfpanzer Leopard 2. Wir liegen dort<br />

unter Soll, und die in der Truppe verfügbaren<br />

Panzer sind längst nicht zu hundert<br />

Prozent einsatzbereit. Viele Leos befinden<br />

sich bei der Industrie zur Umrüstung,<br />

daher haben wir aktuell zu wenige<br />

verfügbar. Bei der Panzerhaubitze sieht<br />

es ähnlich aus. Da sind wir mit unseren<br />

Abgaben eigentlich schon über das vertretbare<br />

Maß hinausgegangen.<br />

34 FOCUS 38/2022 FOCUS 38/2022 35

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