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Katalog: Monika Sosnowska "Fatigue"

Der Katalog erscheint anlässlich der Ausstellung "Fatigue" der polnischen Künstlerin Monika Sosnowska im Oktober 2022.

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Stach Szabłowski<br />

In the exhibition space of Kunstraum Dornbirn, which was once<br />

an industrial factory hall, I look at <strong>Monika</strong> <strong>Sosnowska</strong>’s titanic<br />

steel sculptures and it seems to me I can hear an echo of a<br />

memorable key line uttered in Franklin J. Schaffner’s movie<br />

Planet of the Apes: “The question is not so much where we<br />

are as when we are”.<br />

In Planet of the Apes astronauts from the Earth find themselves<br />

in a world where an alternative evolutionary scenario<br />

has been enacted. In this scenario, the roles of apemen and<br />

manapes have been distributed inversely to the reality that<br />

we all know. It is the man-resembling primates (hominidae)<br />

who articulated language, produced culture and technology,<br />

and built civilization. Human beings (homo) find themselves<br />

beyond the pale; they don’t have the status of a person along<br />

with all associated statutory laws; they are the counterpart of<br />

what anthropocentric culture calls an “animal”.<br />

Thus degraded, the astronauts wonder what kind of reality<br />

they have ended up in. Where could this world, so similar to<br />

ours, and at the same time so different, possibly be located?<br />

They will discover the answer only after finding out that, instead<br />

of travelling in space, they have travelled in time.<br />

Is it the same when we view <strong>Sosnowska</strong>’s exhibition in<br />

Dornbirn, near the border between Switzerland and Austria, in<br />

the very heart of Old Europe? Do we visit this exhibition after<br />

the end of history? Or after the end of modernity? After the Industrial<br />

Age? After the fall of the Berlin Wall? After all illusions<br />

have been finally shattered? Waiting for a turning point to come?<br />

Sensing possible catastrophe?<br />

The exhibition is entitled Fatigue. Thus we should pose two<br />

further questions to all those that were asked before: Who suffers<br />

from fatigue? What is fatigued and fatigued of what exactly?<br />

Before we start searching for answers to these questions,<br />

following the paths proposed by <strong>Sosnowska</strong>, let us take a look<br />

at the exhibition itself. Kunstraum Dornbirn is a space endowed<br />

with the charm appropriate to post-industrial objects, which<br />

After, that is, before<br />

<strong>Monika</strong> <strong>Sosnowska</strong>’s sculptures<br />

at Kunstraum Dornbirn<br />

has been adopted as an art exhibition space. The particular<br />

expressive nature of such spaces results from their raw simplicity,<br />

which is not artificial and staged as in the case of white cubes<br />

art galleries, but sincere and convincing, as is anything that is<br />

functional. Such spaces bring their former identity to the art<br />

discourse and exercise an allegorical appeal; after all, it is not<br />

irrelevant whether the space in which we view art is a palace,<br />

an aseptic laboratory, or a factory.<br />

At Kunstraum Dornbirn, the former identity of the exhibition<br />

space voices itself in a particularly eloquent manner. Under the<br />

ceiling of the hall there is still a system of swivel arms with chain<br />

hoists ready to move heavy loads, the smell of the grease from<br />

the machines that used to operate here still lingers in the air.<br />

In such scenery, <strong>Sosnowska</strong>’s works seem to feel at home,<br />

as if they were site-specific installations designed specifically for<br />

Kunstraum Dornbirn spaces – although, in reality, they are sculptures<br />

that originated somewhere else and in different contexts.<br />

Fatigue shows four sculptures, all of them made of structural<br />

steel elements used in the construction industry. It is not difficult<br />

to imagine that similar elements could have been forged and<br />

modelled in a place such as the former workshop hall which is<br />

today’s Kunstraum Dornbirn.<br />

It is equally possible to imagine another scenario: production<br />

activity has terminated a long time ago, but the transformation<br />

process of the produced elements did not come to an end; steel<br />

forms continue to morph, or even mutate, now living their own<br />

mysterious life, which does not conform to their original purpose<br />

as designed by the manufacturers.<br />

A bundle of rebar protrudes from one of the walls. It resembles<br />

a giant steel horse tail. The sculpture is entitled Rebar 16. The<br />

number refers to the diameter of each of the bars, measured in<br />

millimetres. Against the wall on the opposite end of the room,<br />

there is a massive T-shaped structural steel profile; the title<br />

of the sculpture is simply T. Profiles of this type usually form<br />

the invisible skeleton of buildings, hidden within their “bodies”,<br />

6<br />

7<br />

Danach, das heißt davor<br />

<strong>Monika</strong> <strong>Sosnowska</strong>s Skulpturen<br />

im Kunstraum Dornbirn<br />

Stach Szabłowski<br />

In der Ausstellungshalle des Kunstraum Dornbirn, einer ehemaligen Industriehalle,<br />

blicke ich auf <strong>Monika</strong> <strong>Sosnowska</strong>s titanenhafte Stahlskulpturen<br />

und mir ist, als halle das Echo eines denkwürdigen Filmzitats aus Franklin J.<br />

Schaffners „Planet der Affen“ durch den Raum: „Die Frage ist weniger, wo wir<br />

sind, sondern vielmehr, wann wir sind.“<br />

In „Planet der Affen“ finden sich irdische Astronauten in einer Welt wieder,<br />

in der sich ein alternatives evolutionäres Szenario abgespielt hat. In dieser<br />

Welt sind die Rollen von Affenmenschen und Menschenaffen im Vergleich zur<br />

Realität, wie wir sie kennen, vertauscht. Auf dem „Planeten der Affen“ sind<br />

es die menschenähnlichen Primaten (Hominidae), die Sprache, Kultur und<br />

Technologie entwickelt und eine Zivilisation aufgebaut haben. Der Mensch<br />

(Homo) ist in dieser Gesellschaft ein Außenseiter: Er genießt keinen Personenstatus<br />

und auch nicht die damit verbundenen Rechte; er ist das Pendant<br />

dessen, was in einer anthropozentrischen Kultur als „Tier“ bezeichnet wird.<br />

Die Astronauten, auf das Niveau von Tieren herabgestuft, fragen sich, in<br />

welche Realität sie da geraten sind. Wo könnte sich diese Welt, die der unseren<br />

so ähnlich und gleichzeitig so anders ist, nur befinden? Schließlich erkennen<br />

sie, dass sie nicht durch den Raum, sondern durch die Zeit gereist sind.<br />

Wann also sind wir, wenn wir <strong>Monika</strong> <strong>Sosnowska</strong>s Ausstellung in Dornbirn<br />

besuchen, nahe der Grenze zwischen der Schweiz und Österreich, im Herzen<br />

des „alten Europa“? Spielt sich unser Ausstellungsbesuch nach dem Ende der<br />

Geschichte ab? Oder nach dem Ende der Moderne? Nach dem Industriezeitalter?<br />

Nach dem Fall der Berliner Mauer? Nachdem alle Illusionen endgültig<br />

zerschlagen wurden? Warten wir darauf, dass ein Wendepunkt kommt? Wittern<br />

wir eine mögliche Katastrophe?<br />

Die Ausstellung trägt den Titel „Fatigue“ – Ermüdung, Erschöpfung. Daher<br />

sollten wir den zuvor gestellten Fragen zwei weitere hinzufügen: Wer leidet<br />

unter Erschöpfung? Was ist ermüdet, und wodurch genau?<br />

Bevor wir beginnen, nach Antworten auf diese Fragen zu suchen und dabei<br />

den Wegen zu folgen, die <strong>Sosnowska</strong> uns vorschlägt, werfen wir zunächst<br />

einen Blick auf die Ausstellung selbst. Der Kunstraum Dornbirn kann mit dem<br />

Charme jener postindustriellen Objekte aufwarten, die zu einem Ausstellungsraum<br />

für Kunst umfunktioniert wurden. Die besondere Ausdruckskraft solcher<br />

Räume resultiert aus ihrer rohen Einfachheit, die nicht, wie im Falle eines White<br />

Cube, künstlich und inszeniert ist, sondern aufrichtig und überzeugend, wie<br />

es funktionale Dinge so an sich haben. Diese Orte bringen ihre ehemalige<br />

Identität in den Kunstdiskurs ein und haben eine allegorische Anziehungskraft;<br />

schließlich ist es nicht unerheblich, ob der Raum, in dem wir Kunst betrachten,<br />

ein Palast, ein steriles Labor oder eine Fabrik ist.<br />

Der Kunstraum Dornbirn tut seine ehemalige Identität auf besonders redselige<br />

Weise kund. Unter der Decke der Halle befindet sich noch immer ein<br />

System aus Schwenkarmen mit Kettenzügen zum Heben schwerer Lasten<br />

und der Geruch der Schmiere von Maschinen, die hier einst betrieben wurden,<br />

hängt in der Luft. In einer solchen Kulisse scheinen sich <strong>Sosnowska</strong>s Arbeiten<br />

wie zu Hause zu fühlen, als wären sie ortsspezifische Installationen, speziell<br />

für den Kunstraum Dornbirn konzipiert – obwohl es sich in Wahrheit um Werke<br />

handelt, die andernorts und in unterschiedlichen Kontexten entstanden sind.<br />

Die vier Skulpturen in „Fatigue“ sind hergestellt aus Stahlelementen, die<br />

in der Bauindustrie zum Einsatz kommen. Man kann sich unschwer vorstellen,<br />

wie an diesem Ort der ehemaligen Maschinenhalle des Kunstraum Dornbirn<br />

ganz ähnliche Elemente geschmiedet und geformt werden.<br />

Ebenso ist es möglich, sich ein anderes Szenario auszumalen: Die Produktion<br />

wurde schon vor langer Zeit eingestellt, aber der Transformationsprozess<br />

der produzierten Elemente ist weiter im Gange. Stahlformen verwandeln sich<br />

oder mutieren gar, leben nun ihr eigenes, geheimnisvolles Leben, das nicht<br />

ihrem ursprünglichen industriellen Zweck entspricht.<br />

Aus einer der Wände ragt ein Bündel Stahlstreben. Es ähnelt einem riesigen<br />

Pferdeschwanz. Die Skulptur trägt den Titel „Rebar 16“. Die Zahl bezieht sich<br />

auf den Durchmesser der einzelnen Stäbe, gemessen in Millimetern.<br />

An der Wand auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes befindet sich<br />

ein massives L-förmiges Stahlprofil. Der Titel der Skulptur: „T“. Profile dieser<br />

Art bilden in der Regel das unsichtbare Skelett von Gebäuden, versteckt in<br />

deren „Körpern“, bedeckt von der „Haut“ der Wände und Fassaden. Jenes<br />

tragende Bauelement, das <strong>Sosnowska</strong> nach Dornbirn brachte, ist nicht nur<br />

sichtbar, sondern wurde auch gebogen – ganz entgegen seinem eigentlichen<br />

Wesen, denn die Funktion der im Bau verwendeten T-Träger besteht darin, sich<br />

eben nicht unter dem zu tragenden Gewicht zu verformen. Der T-Stahlträger,<br />

den die Künstlerin zu einer Skulptur geschmiedet hat, wiegt 900 Kilogramm,<br />

trägt jedoch nichts. In die Form des Buchstabens „L“ gebogen, nimmt er seine<br />

Position an der Wand ein, als ob er sich bereitwillig niedergelassen hätte, um<br />

die Ausstellung zu betrachten oder um sich einfach ein wenig auszuruhen.

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