ECHO Seminarguide 2022
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Interview
Balanceakt Digital Detox
Kulturanthropologin Hannah Kanz erklärt Digital Detox als menschlichen
Versuch, die Balance zwischen Digitalem und Analogem auszuverhandeln.
ECHO: Was ist Kulturanthropologie?
Hannah Kanz: Sie befasst
sich mit kulturellen, alltäglichen
und gesellschaftlichen
Phänomenen, von
den agierenden Menschen
aus betrachtet, damit, wie
Menschen Bedeutung erzeugen
und erfahren.
ECHO: Ihr Forschungsgegenstand
ist Digital Detox?
Kanz: Bzw. die Frage, wie
Menschen digitale Balance
verhandeln und Abstand
zum Bildschirm gewinnen.
Ein Forschungsfeld sind
digitale Detox Camps, bei denen Menschen mehrere
Tage gemeinsam offline verbringen. Eine zweite Perspektive
sind junge Menschen zwischen Mitte 20 und
Anfang 30, die kein Smartphone besitzen. Smartphones
sind in diesem Alter die Norm schlechthin. Sich zu verweigern,
ist speziell und eine bewusste Handlung.
„Es gibt kein authentisches Leben, das
ganz abgekoppelt vom Digitalen existiert.“
ECHO: Was kann Digital
Detox leisten?
Kanz: In digitalen Detox
Camps geht um den
Bruch mit Routinen.
Durch die Abwesenheit
des Handys um Zeitvergessenheit.
So entsteht
Verlangsamung, Langeweile
als kreatives Potenzial,
ein Gegenraum zum
Alltag. Teilnehmende
möchten mehr Handlungsmacht
im Umgang
mit ihrer Zeit und digitalen
Geräten gewinnen.
Menschen ohne Smartphones
erleben eine über
das Gerät reduzierte Komplexität, ihre technischen
Geräte haben klare, eingeschränkte Funktionen. Diese
Reduktion schafft Räume zum Nichtstun, zum Gedanken-schweifen-Lassen.
Dies erleben die Personen als
sehr bereichernd, ebenso wie die stärker empfundene
Selbstbestimmung über die (Nicht-)Erreichbarkeit.
ECHO: Was bezeichnet der Begriff Digital Detox?
Kanz: Zunächst einen gesellschaftlichen Diskurs. Darin
geht es stark um die Schädlichkeit des Digitalen. Alltägliches
Verhalten wird problematisiert, pathologisiert,
oft in den Kontext von Sucht gerückt. Wissenschaftlich
ist aber nicht eindeutig geklärt, ob es eine Internet- oder
Smartphone-Sucht gibt. In einer solchen Betrachtungsweise
erscheint das Digitale übermächtig. Der Fokus
ruht auf dem Individuum, nicht auf gesellschaftlichen
Strukturen. Für den Einzelnen geht es häufig um den
Gewinn von Kontrolle und Handlungsmacht.
ECHO: Warum ist Digital Detox für uns von Bedeutung?
Kanz: Normen und Werte müssen neu verhandelt
werden, die Frage, welchen Stellenwert das Digitale
besitzen darf, zumal es immer mehr Raum in der Interaktion
einnimmt. Unbestritten ist: Es gibt kein authentisches
Leben, das ganz abgekoppelt vom Digitalen
existiert. Wir brauchen digitale Geräte. Es geht um
den richtigen Umgang mit den neuen Technologien,
darum, wie gutes gesellschaftliches Miteinander gestaltet
sein soll.
Fotos: Hannah Kanz
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