03_30JahreFOCUS:BRD
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POLITIK<br />
ZEITGESCHICHTE<br />
Am Start Verleger Dr. Hubert Burda und FOCUS-Chefredakteur<br />
Helmut Markwort setzen am Morgen des 16. Januar 1993<br />
in Offenburg die Tiefdruck-Rotationsmaschine 11 (Cerutti)<br />
für die erste FOCUS-Ausgabe in Gang<br />
Foto: HBM<br />
Geschichten<br />
aufspüren,<br />
Geschichte<br />
schreiben<br />
Symbol und Zeuge<br />
einer Welt im rasenden<br />
Wandel: Der FOCUS,<br />
einst Wunderkind der<br />
deutschen Presse,<br />
wurde in 30 Jahren zum<br />
Chronisten der Republik<br />
TEXT VON MARKUS KRISCHER<br />
W<br />
as sonst noch geschah:<br />
In Hannover<br />
berieten auf<br />
getrennten Versammlungen<br />
Mitglieder<br />
von Bündnis<br />
90 und den<br />
Grünen über einen<br />
Zusammenschluss der beiden Parteien.<br />
In der Mainzer „Allgemeinen Zeitung“<br />
appellierte der Außenminister an die<br />
SPD, sich gegen eine Grundgesetzänderung,<br />
die Bundeswehreinsätze im Ausland<br />
erlauben würde, nicht weiter zu sperren.<br />
Und bei einer Rede in Neuss schloss der<br />
Bundeskanzler Steuererhöhungen für die<br />
nahe Zukunft aus. Das „Gerede“ darüber,<br />
so tadelte er, sei „unklug“ und gefährde<br />
den „Aufschwung“. Damals, am 16. Ja -<br />
nuar 1993, hieß der Außenminister Klaus<br />
Kinkel und sein Chef Helmut Kohl.<br />
Am Morgen jenes Samstags traten in<br />
Offenburg der Verleger Dr. Hubert Burda<br />
und sein erster Journalist, Helmut<br />
Markwort, an ein mächtiges Bedienpult<br />
mit etlichen Knöpfen, Hebeln und Lichtern.<br />
Gemeinsam setzten sie die Tiefdruck-<br />
Rotationsmaschine 11 (Cerutti, Bahnbreite<br />
1,92 Meter) in Gang, die eine Zeitschrift<br />
entstehen lassen sollte, die zwei Tage<br />
später überall in der Republik für vier<br />
D-Mark zu kaufen war. Zum allerersten<br />
Mal. Der FOCUS. Das Geschehen in<br />
Offenburg schaffte es nicht in die Tagesschau<br />
– aber es wirkte. Weit über den Tag<br />
hinaus.<br />
Mit seinem „modernen Nachrichtenmagazin“<br />
löste Burda nicht weniger als<br />
eine Revolution aus. Der FOCUS wurde<br />
auf Anhieb und in atemberaubend kurzer<br />
Zeit ein grandioser publizistischer<br />
und unternehmerischer Erfolg. Das Risiko,<br />
ausgerechnet am Montag zu erscheinen<br />
und damit den Unangreifbaren direkt<br />
anzugreifen, das seit einem halben Jahrhundert<br />
konkurrenzlose Montagsblatt<br />
„Spiegel“, zahlte sich aus.<br />
Der FOCUS brach das Monopol des<br />
Hamburger Magazins, avancierte zu<br />
einem der Leitmedien des Landes. Zu<br />
einem extrem profitablen noch dazu.<br />
Die deutsche Presse hatte ihr Wunderkind.<br />
Man konnte es beneiden, benörgeln<br />
oder bewundern. Aber man konnte<br />
es nicht überhören. Und nicht übersehen.<br />
Das gilt nun seit dreißig Jahren. In<br />
denen sich der FOCUS änderte. Er erscheint<br />
inzwischen (wie der „Spiegel“)<br />
am Samstag, und die Redaktion arbeitet<br />
nicht mehr in München, sondern in Berlin.<br />
Deutliche und klare journalistische Stimme<br />
aber ist der FOCUS geblieben. Die<br />
Stimme insbesondere jener Generation,<br />
die damals, Anfang der neunziger Jahre,<br />
zusammen mit dem Start des Magazins<br />
in ihre eigene berufliche und private<br />
Zukunft startete. Ihre Ausbildung hatten<br />
die Babyboomer 1993 längst abgeschlossen,<br />
die ersten Berufserfahrungen lagen<br />
hinter ihnen. Jetzt verlangte diese höchst<br />
agile und ehrgeizige Gruppe nach Orientierung.<br />
Sie sehnte sich nach Neuem –<br />
und ihr Kraftstoff war purer Optimismus.<br />
Mit einem Zauberwort zogen Burda<br />
und Markwort diese jungen Macher in<br />
ihren Bann. Den FOCUS erklärten sie<br />
zum Magazin der „Info-Elite“. Zu dieser<br />
erlesenen Leserschaft sollten jene gehören,<br />
die nach Fakten gierten. Nach Fakten,<br />
die ihnen die Welt erklärten – und sie<br />
voranbrachten. Auf Meinungsvorschriften<br />
und das Ausharren in den ewig gleichen<br />
ideologischen Gräben hatte dieses Pu -<br />
blikum keine Lust. Und keine Zeit.<br />
Aufbruch lag in der Luft<br />
Ohnehin schien die Zeit der Ideologien<br />
abgelaufen. Der Vorhang, der die Welt in<br />
Ost und West, in Gut und Böse geteilt hatte,<br />
war zerrissen. Die Sowjetunion war im<br />
Januar 1993 gerade mal seit einem Jahr<br />
aufgelöst. Deutschland seit 27 Monaten<br />
wiedervereint. Mag sein, dass drei Jahre<br />
nach dem Mauerfall die Euphorie über<br />
das „Ende der Geschichte“ bereits verflogen<br />
und somit selbst Geschichte geworden<br />
war.<br />
Dennoch lag Aufbruch in der Luft. Die<br />
Bundesrepublik sah sich vor gewaltigen<br />
Problemen, überraschenden Perspektiven<br />
und auch überwältigenden Chancen. All<br />
diese neuen, großen Herausforderungen<br />
mussten begriffen und beschrieben werden.<br />
Der FOCUS versprach genau das.<br />
Er vermaß die Welt neu – und stellte sie<br />
neu dar. Der FOCUS zeigte, im Gegensatz<br />
zum „Spiegel“, farbige Fotos. Er erklärte<br />
nicht nur mit Worten, sondern auch mit<br />
Tabellen, Grafiken und Zahlen. Schon in<br />
den ersten Ausgaben erschienen Ranglisten.<br />
Beurteilt und gerankt wurden Ärzte,<br />
Anwälte und später Kliniken. Was heute<br />
üblich ist, wurde damals vom FOCUS juristisch<br />
erstritten und journalistisch erobert:<br />
das Recht, berufliche Fähigkeiten zu<br />
bewerten und darzustellen. Also Transparenz<br />
zu schaffen für jene, die auf die Fähigkeiten<br />
dieser Personen angewiesen waren.<br />
Das Aussehen des FOCUS, sein Layout,<br />
war der eigentliche Skandal. Die Re-<br />
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FOCUS 3/2023<br />
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