197_StadtBILD_Dezember_2019
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Heiliger Florian, geschnitzte und farbig gefasste Holzfigur, Schlesien/Grafschaft Glatz, 18./19. Jahrhundert;<br />
Schlesisches Museum zu Görlitz, Sammlung Heidi und Fritz Helle; Foto René Pech, © SMG
Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />
Vorwort<br />
das <strong>StadtBILD</strong>-Jubiläumsjahr neigt sich dem<br />
Ende zu. In diesem Jahr ereilten uns auch erneut<br />
wieder zahlreiche Leserbriefe. So auch<br />
der Leserbrief von Heinert Lehmann Anfang<br />
Juli des Jahres. In dem machte er darauf aufmerksam,<br />
dass bereits 1931 ein Elektro-LKW<br />
aus dem Hause Bergmann für die Landskron<br />
Brauerei im Einsatz war. Bei den Recherchen<br />
stießen wir dann auf die erstaunliche Geschichte<br />
wie aus der Firma Bergmann, später<br />
VEB Bergmann Borsig nach der Wende<br />
Siemens Power Generation wurde. In der<br />
vorliegenden Ausgabe finden Sie die Historie<br />
der Görlitzer Maschinenbauanstalt und die<br />
folgende Fusion zur WUMAG bis zum Anfang<br />
des zweiten Weltkrieges.<br />
Eine großzügige Schenkung religiöser Volkskunst<br />
aus Schlesien ereilte das Schlesische<br />
Museum zu Görlitz, dass überaus dankbar<br />
für diese großzügigen Schenkungen ist und<br />
damit seine Sammlung an Zeugnissen der religiösen<br />
Volkskunst erheblich an Umfang und<br />
Bedeutung gewonnen hat.<br />
Fast bisher vergessen worden ist, dass es in<br />
Görlitz auch mal ein „Schlösschen“ gegeben<br />
hat. Auch dies finden Sie in der vorliegenden<br />
Ausgabe in unserer neuen Rubrik „Alt-Görlitz<br />
einst und jetzt“.<br />
Die „Nudel“ ist zwar nicht in Löbau geboren<br />
aber inzwischen 118 Jahre Nudelproduktion<br />
aus Löbau sind doch sehr erfreulich, getreu<br />
dem Motto „Nudeln sind mein Leibgericht, jedoch<br />
nur ANKER, andre nicht!“<br />
Auch in diesem Jahr haben die Görlitzer<br />
Sammlungen in der (Vor-) Weihnachtszeit im<br />
Barockhaus Neißstraße 30 wieder das große<br />
Puppenhaus des Herrn Kurt-Franken sowie<br />
die Puppenküche aus dem Braunen Hirsch<br />
aufgebaut. Dazu kommt historisches Spielzeug<br />
und Weihnachtsferien-Kreativangebote<br />
des Kulturhistorischen Museums.<br />
An dieser Stelle möchten wir gern mit einem<br />
kleinen Gedicht an die Weihnachtszeit erinnern.<br />
Bäume leuchtend, Bäume blendend,<br />
Überall das süße spendend,<br />
In dem Ganze sich bewegend,<br />
Alt und junges Herz erregend -<br />
Solche ein Fest ist uns bescheret,<br />
Mancher Graben Schmuck verehret;<br />
Staunend schaun wir auf und nieder,<br />
Hin und her und immer wieder.<br />
Johann Wolfgang von Goethe<br />
In diesem Sinne wünschen wir all unseren<br />
Lesern, unseren Inserenten und allen ehrenamtlichen<br />
Autoren frohe Weihnachten und ein<br />
glückliches und friedliches Neues Jahr 2020!<br />
Ihr Andreas Ch. de Morales Roque<br />
und das <strong>StadtBILD</strong>-Team.<br />
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Einleitung<br />
3
Von der Görlitzer Maschinenbauanstalt (GMA)<br />
In den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts<br />
folgte ein erheblicher wirtschaftlicher<br />
Aufschwung, der mit der Erweiterung<br />
der Märkte durch den Zusammenschluss<br />
deutscher Staaten zum Deutschen Zollverein<br />
(1834) und der Einführung maschineller<br />
Verfahren zusammenhing.<br />
1830 arbeiteten in Preußen bereits 215<br />
Dampfmaschinen. Ein stark wachsender<br />
Bedarf an Elektroenergie und die Entstehung<br />
der Eisenbahnnetze waren Zeichen<br />
einer europaweiten industriellen<br />
Revolution.<br />
Auch in Görlitz entwickelte sich in weniger<br />
als 50 Jahren aus einer kleinen Maschinenbauwerkstätte<br />
ein Unternehmen,<br />
dessen Ruf als Görlitzer Maschinenbauanstalt<br />
(GMA) für Dampfmaschinen von<br />
diesem Zeitpunkt an unbestritten feststand<br />
und dessen Absatzgebiet sich auf<br />
fast alle europäische und viele überseeische<br />
Länder erweiterte.<br />
Begonnen hatte diese Erfolgsgeschichte<br />
1847 mit der Gründung der „Steiningerschen<br />
Maschinenbauwerkstätten“ durch<br />
Wilhelm Steininger.<br />
Carl Körner<br />
Carl Körner übernahm 1853 im Alter von<br />
27 Jahren die sechs Jahre zuvor von Wilhelm<br />
Steininger in der Görlitzer Altstadt<br />
gegründete „Steiningersche Maschinenbauwerkstatt“.<br />
1858 beschloß er die Fertigung von<br />
Dampfmaschinen mit eigener Eisengießerei<br />
und legte somit den Grundstein<br />
für das größte Maschinenbauunternehmen<br />
von Görlitz.<br />
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4<br />
Geschichte
is zur Gründung der WUMAG vor dem 2. Weltkrieg<br />
Görlitzer Maschinenbau<br />
Nach Abitur, Lehre und Studium an der<br />
Königlichen Gewerbeakademie Berlin<br />
(1858–1861) trat Adolph Behnisch 1864<br />
als erster Ingenieur in das Unternehmen<br />
Carl Körners ein.<br />
Von 1872 bis 1904 ist er alleiniger Erster<br />
Direktor der GMA.<br />
1872 erfolgte schließlich der Übergang<br />
zur Aktiengesellschaft „Görlitzer Maschinenbauanstalt<br />
und Eisengießerei AG<br />
– GMA“ mit ihren 239 Arbeitern und 17<br />
Beamten. Die GMA, welche das Ausführungsrecht<br />
der Steuerung für Dampfmaschinen<br />
seinerzeit für ganz Deutschland,<br />
Russland, Schweden, Norwegen und<br />
Dänemark kontraktlich erwarb, wurde<br />
mit Aufträgen überhäuft. Die Zahl der<br />
Arbeiter und Beamten stieg von 263<br />
im Jahre 1872 auf etwa 1000 im Jahre<br />
1900.<br />
Adolph Behnisch dehnte den Dampfmaschinenexport<br />
auf ganz Europa und<br />
Übersee aus. Ab 1890 baute er die Zusammenarbeit<br />
mit Siemens & Halske zur<br />
Lieferung von Elektrozentralen auf.<br />
Bereits 1892 verläßt die 1000. Dampfmaschine<br />
das Görlitzer Werk.<br />
Adolph Behnisch<br />
Drei 200 PS Dampfmaschinen aus der<br />
Görlitzer Maschinenbauanstalt (GMA)<br />
mit Wechselstromgeneratoren von Siemens<br />
& Halske Berlin gehörten 1896 zur<br />
Ausstattung des ersten Görlitzer Kraftwerkes<br />
an der Prager Straße im Ostteil<br />
der Stadt.<br />
Die GMA trug in der 2. Hälfte des 19.<br />
Jahrhunderts mit zahlreichen Exporten<br />
zur Industrialisierung Mitteleuropas bei.<br />
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Geschichte<br />
5
Von der Görlitzer Maschinenbauanstalt (GMA)<br />
Auslieferung der 2.000 Dampfmaschine, 1904<br />
Im Jahr 1902 wurden insgesamt 240<br />
GMA-Dampfmaschinen mit Siemens &<br />
Halske Generatoren deutschlandweit an<br />
Elektrozentralen geliefert<br />
Im Jahr 1904 verließ die 2000. Dampfmaschine<br />
das Görlitzer Werk. Doch die<br />
Dampfmaschinen mit einer Leistungsgrenze<br />
von 700 PS waren dem Energiebedarf<br />
des 20. Jahrhunderts nicht<br />
mehr gewachsen. Die Görlitzer Maschinenbauanstalt<br />
(GMA) sah sich zunehmend<br />
von der rasanten Entwicklung der<br />
Dampfturbinenfertigung in mehreren<br />
europäischen Maschinenfabriken unter<br />
Druck gesetzt. So kam die Geschäftsleitung<br />
unter Direktor Adolph Behnisch<br />
1903 zu dem Entschluss, in der GMA die<br />
Dampfturbinenfertigung aufzunehmen.<br />
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6<br />
Geschichte
is zur Gründung der WUMAG vor dem 2. Weltkrieg<br />
Görlitzer Maschinenbau<br />
1906 erfolgte die erste Lieferung einer<br />
600 PS Dampfturbine der GMA an die<br />
Elektrizitätswerke Liegnitz in Niederschlesien.<br />
Bereits ein Jahr später begann<br />
man mit der Fertigung der 25.<br />
GMA-Dampfturbine.<br />
Nach dem Erlöschen der Diesel’schen<br />
Hauptpatentansprüche beschloss die<br />
Görlitzer Maschinenbauanstalt im Jahr<br />
1908 die Aufnahme der Fabrikation von<br />
Dieselmotoren mit eigenen Konstruktionen.<br />
Im Jahr 1910 kam es zur Entwicklung<br />
von eigenen Konstruktionen mit Ausrichtung<br />
auf den Einsatz in Elektrizitätswerken<br />
und in der Industrie. Dabei<br />
löste sich die GMA durch ihre eigene<br />
Dampfturbinenentwicklung schrittweise<br />
von den Escher-Wyss-Lizenzen, die sie<br />
erworben hatte.<br />
Im selben Jahr konnten die erste Entnahmeturbine<br />
und die erste Gegendruckturbine<br />
geliefert werden.<br />
1911 erfolgte die Inbetriebnahme der<br />
ersten Bahnstrom-Turbine für die Berliner<br />
Hoch- und Untergrund-Bahn.<br />
Inserat der GMA um 1910<br />
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Geschichte<br />
7
Von der Görlitzer Maschinenbauanstalt (GMA)<br />
Inserat der GMA um 1920<br />
Ein Jahr später kam es zur Auslieferung<br />
der ersten Verdichter-<br />
Antriebsturbine und der ersten<br />
Turbine nach Übersee (Argentinien).<br />
Im selben Jahr 1912 erweiterte<br />
die GMA ihr Erzeugnisspektrum<br />
um Kreiselpumpen. Die<br />
erste Bahnstrom-Turbine für die<br />
Deutsche Reichsbahn wurde 1913<br />
ausgeliefert.<br />
1914 überschritten die Ingenieure<br />
die Großmotorenmarke von<br />
1000 PS und lieferten zwei GMA-<br />
Schiffsdieselmotoren mit je 1100<br />
PS an eine holländische Werft.<br />
Die Belegschaftsstärke der GMA<br />
war 1914 auf über 1400 Arbeiter<br />
und Beamte angewachsen. Parallel<br />
dazu nahm die Bevölkerungsentwicklung<br />
der Stadt Görlitz, insbesondere<br />
der Südstadt, rasant<br />
zu.<br />
Während des Ersten Weltkrieges<br />
war die Abteilung Motorenbau für<br />
militärische Zwecke stark in Anspruch<br />
genommen.<br />
Durch den Wegfall des Exportge-<br />
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8<br />
Geschichte
is zur Gründung der WUMAG vor dem 2. Weltkrieg<br />
Görlitzer Maschinenbau<br />
Die Görlitzer Maschinenbau-Anstalt, um 1910<br />
schäftes und vieler Inlandsinvestitionen<br />
im Ersten Weltkrieg brach der jährliche<br />
Dampfturbinenausstoß drastisch ein und<br />
erholte sich erst langsam wieder ab 1921.<br />
Mit Ausnahme des Dampfturbinenbaus<br />
blieb die Fertigung von Wärmekraftmaschinen<br />
der GMA neben der Rüstungsproduktion<br />
beständig auf hohem Niveau<br />
und wurde 1918 um hydraulische Pressen<br />
erweitert. Die Produktion wurde für<br />
den U-Boot-MAN-Dieselmotorenbau und<br />
GMA-Diesel-Motoren für Bordhilfszwecke<br />
auf Kriegsschiffen ausgerichtet.<br />
Von 1858 bis 1919 wurden 2860 Dampfmaschinen<br />
mit mehr als 750 000 PS geliefert.<br />
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Geschichte<br />
9
Von der Görlitzer Maschinenbauanstalt (GMA)<br />
Die Görlitzer Maschinenbau-Anstalt, um 1915<br />
Die Jahre 1920 bis 1925 waren gekennzeichnet<br />
von Reparationsleistungen,<br />
Nachkriegsauswirkungen, wirtschaftlicher<br />
Stagnation sowie von einem erheblichen<br />
Kapitalmangel für Investitionen.<br />
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10<br />
Geschichte
is zur Gründung der WUMAG vor dem 2. Weltkrieg<br />
Görlitzer Maschinenbau<br />
Maschinenbauhalle, um 1915<br />
Die beiden größten Görlitzer Betriebe,<br />
Görlitzer Maschinenbauanstalt und Eisengießerei<br />
AG und Görlitzer Waggonbau<br />
AG, sowie die Cottbuser Maschinenbauanstalt<br />
und Eisengießerei AG<br />
konnten die Auswirkungen durch die<br />
Zusammenlegung zur „Waggon- und<br />
Maschinenbau Aktiengesellschaft Görlitz“<br />
(WUMAG) am 6.1.1921 abfangen.<br />
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Geschichte<br />
11
Von der Görlitzer Maschinenbauanstalt (GMA)<br />
Eigenkonstruktion der GMA, um 1915<br />
Durch den am 16.4.1922 zwischen der<br />
UdSSR und dem Deutschen Reich abgeschlossenen<br />
Rapallo-Vertrag bahnte<br />
sich im Dampfturbinenbau der WUMAG<br />
eine zusätzliche Belebung an.<br />
Aufbauend auf früheren Lieferungen der<br />
GMA in das zaristische Russland, gelang<br />
es, mit der Handelsvertretung der<br />
UdSSR zu neuen Vertragsabschlüssen<br />
zu kommen.<br />
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12<br />
Geschichte
Von der Görlitzer Maschinenbauanstalt (GMA)<br />
Eigenkonstruktion der GMA, um 1916<br />
Der verstärkte Konkurrenzdruck Anfang<br />
der 1920er Jahre zwang die WUMAG<br />
zur Entwicklung neuer, größerer und für<br />
komplizierte Wärmeschaltungen geeigneter<br />
Dampfturbinen.<br />
In dieser Zeit wurden von der WUMAG<br />
viele theoretische und praktische Untersuchungen<br />
zur Optimierung des Turbinenwirkungsgrades<br />
geführt.<br />
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14<br />
Geschichte
is zur Gründung der WUMAG vor dem 2. Weltkrieg<br />
Görlitzer Maschinenbau<br />
Eigenkonstruktion der neu gegründeten WUMAG, um 1922<br />
Das Absatzgebiet für WUMAG-Dampfturbinen<br />
hatte sich Dank eines guten<br />
Rufes weltweit stabilisiert.<br />
1923 wurden von der WUMAG die Dresdner<br />
Maschinenfabrik und Schiffswerft<br />
AG, die Maschinenbauanstalt Dresden<br />
und Regensburg Eisengießerei und die<br />
Dampfkesselfabrik Pautsch AG, Landsberg<br />
a. d. Warthe übernommen.<br />
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Geschichte 15
Von der Görlitzer Maschinenbauanstalt (GMA)<br />
Aktie der WUMAG, 1921<br />
1926-1928, nach einem schleppenden<br />
wirtschaftlichen Wiederaufstieg in der<br />
Weimarer Republik, wurde dieser große<br />
Firmenverbund wieder geschrumpft, indem<br />
die Abteilung Landsberg 1926, die<br />
Abteilung Dresden-Übigau / Regensburg<br />
1927 und die Abteilung Cottbus wieder<br />
verkauft wurden.<br />
Die Weltwirtschaftskrise der Jahre 1929<br />
bis 1933 hatte erhebliche Auswirkungen<br />
auf die WUMAG.<br />
Die planmäßige Elektrifizierung der<br />
UdSSR und die damit verbundenen Lieferungen<br />
konnten drastische Entlassungen<br />
seitens der WUMAG verhindern.<br />
Jedoch flachten mit der Machtübernah-<br />
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16<br />
Geschichte
is zur Gründung der WUMAG vor dem 2. Weltkrieg<br />
Görlitzer Maschinenbau<br />
Produktionshalle der WUMAG, um 1923<br />
me der Nationalsozialisten vorerst die<br />
neuen Auftragszahlen aus der UdSSR<br />
ab.<br />
Erst ab 1938 stieg der WUMAG-Dampfturbinenabsatz<br />
wieder auf mehr als<br />
zwanzig Stück pro Jahr. Indirekte Rüstungsaufträge,<br />
wie Dampfturbinen für<br />
die Sprengstoffindustrie, das Kraftwerk<br />
Peenemünde im V2-Raketen-Versuchsgelände<br />
auf Usedom und die Kraftstoffherstellung<br />
aus Steinkohle („Schlesien-Benzin“)<br />
kennzeichneten diese<br />
Wirtschaftsjahre.<br />
Fortsetzung folgt<br />
Quelle: Siemens AG | Steam Turbines<br />
Standort Görlitz<br />
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Geschichte 17
Religiöse Volkskunst Schlesien<br />
Sonderausstellung<br />
Das Ehepaar Heidi und Fritz Helle im SMG, 2014; Foto: SMG<br />
Bereits 2010 hatte das Sammlerehepaar<br />
Heidi und Fritz Helle dem SMG eine<br />
Sammlung von 120 Hinterglasbildern aus<br />
Kaiserswalde/Lasówka in der Grafschaft<br />
Glatz überlassen: 60 Bilder konnten käuflich<br />
erworben werden, weitere 60 Bilder<br />
schenkte das Ehepaar dem Museum. Sie<br />
waren damals in der Ausstellung „Heilige<br />
auf Glas“ zu bewundern und werden<br />
seither zum Teil ständig präsentiert. Es<br />
erschien ein reich illustrierter Katalog.<br />
Heidi und Fritz Helle blieben leidenschaftliche<br />
Sammler und trugen weitere Hinter-<br />
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18<br />
Sonderausstellung
Großzügige Schenkung für das Schlesische Museum zu Görlitz<br />
Sonderausstellung<br />
glasbilder aus Kaiserswalde<br />
zusammen – und zwar<br />
mit der Absicht, diese<br />
Neuerwerbungen später<br />
dem SMG zu übergeben.<br />
Die Bilder zeigen bekannte<br />
Motive in neuen Variationen<br />
oder auch bisher<br />
nicht in der Sammlung<br />
vertretene Motive: Meist<br />
sind Szenen aus dem<br />
Leben Jesu und verschiedene<br />
Heilige dargestellt<br />
oder Gnadenbilder schlesischer<br />
und böhmischer<br />
Wallfahrtsorte. Seltenheitswert<br />
haben zwei<br />
Hinterglasbilder mit profanen<br />
Motiven: „Feuer“<br />
und „Luft“. Sie gehören<br />
wohl zu einer bisher unbekannten<br />
Serie der vier<br />
Elemente.<br />
Heiliger Isidor, Hinterglasbild<br />
aus Kaiserswalde, 2. Hälfte<br />
19. Jahrhundert; Foto: SMG<br />
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Sonderausstellung<br />
19
Religiöse Volkskunst Schlesien<br />
Sonderausstellung<br />
Nach dem plötzlichen<br />
Ableben von Heidi Helle<br />
Ende 2018 hat Fritz<br />
Helle nun dem Museum<br />
58 Hinterglasbilder geschenkt.<br />
Außerdem übergab<br />
er 33 farbig gefasste<br />
Holzskulpturen aus dem<br />
18. und 19. Jahrhundert.<br />
Diese Figuren stellen Heilige<br />
dar (zum Beispiel Nepomuk<br />
und Florian) oder<br />
sind Kopien der Gnadenbilder<br />
von verschiedenen<br />
Wallfahrtsorten, die dort<br />
wie die Hinterglasbilder<br />
als Andenken erworben<br />
werden konnten. Elf Figuren<br />
zeigen das Gnadenbild<br />
von Albendorf/<br />
Wambierzyce in der<br />
Grafschaft Glatz, vier die<br />
Darstellung des Feuers,<br />
Hinterglasbild aus Kaiserswalde,<br />
2. Hälfte 19. Jahrhundert;<br />
Foto: SMG<br />
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20<br />
Sonderausstellung
Großzügige Schenkung für das Schlesische Museum zu Görlitz<br />
Sonderausstellung<br />
thronende Madonna von<br />
Wartha/Bardo. Vertreten<br />
ist aber auch der böhmische<br />
Wallfahrtsort Pribram/Přibram.<br />
Die Figuren haben als<br />
Zeugnisse des Volksglaubens<br />
ebenso wie die<br />
Hinterglasbilder einen eigenen<br />
Reiz, auch wenn<br />
die künstlerische Qualität<br />
und die handwerkliche<br />
Ausführung nicht besonders<br />
hochwertig sind.<br />
Für die Gläubigen war<br />
die Funktion dieser Wallfahrtsandenken<br />
ohnehin<br />
wichtiger: Möglichst noch<br />
am Wallfahrtsort geweiht,<br />
wurden sie zuhause<br />
in der Stube oder dem<br />
Gnadenbild Maria von Daub,<br />
Hinterglasbild aus Kaiserswalde,<br />
Mitte bis 3. Viertel 19. Jahrhundert;<br />
Foto: SMG<br />
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Sonderausstellung<br />
21
Religiöse Volkskunst Schlesien<br />
Sonderausstellung<br />
Die Geburt Jesu zu Bethlehem, Hinterglasbild aus Gablonz, um 1830; Foto: René Pech<br />
Schlafzimmer aufgestellt und sollten so<br />
die Familie, Haus, Hof und Vieh vor Unheil<br />
schützen.<br />
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22<br />
Sonderausstellung
Großzügige Schenkung für das Schlesische Museum zu Görlitz<br />
Sonderausstellung<br />
Holzfiguren mit dem Abbild der stehenden Madonna mit dem Jesuskind von Albendorf/Wambierzyce in der<br />
Grafschaft Glatz; Schlesien/Grafschaft Glatz, 18./19. Jahrhundert; Foto René Pech, © SMG<br />
Das Schlesische Museum ist überaus<br />
dankbar für diese großzügigen Schenkungen.<br />
Seine Sammlung an Zeugnissen<br />
der religiösen Volkskunst hat damit<br />
erheblich an Umfang und Bedeutung<br />
gewonnen.<br />
Präsentation der Hinterglasbilder und Heiligenfiguren im Haus „Zum Goldenen Baum“, Untermarkt 4<br />
vom 4.12.-20.12.<strong>2019</strong> und 8.1.-28.2.2020, geöffnet Mittwoch-Freitag 13.00-16.00 Uhr, Eintritt frei<br />
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Sonderausstellung<br />
23
Das Schlösschen und der Görlitzer Vogtshof<br />
Blick zur Peterskirche, zeitgenössische Darstellung 16. Jahrhundert<br />
Dort, wo sich heute die stolze Peterskirche<br />
und das Gebäude des einstigen<br />
Zuchthauses erheben, lag vor der Gründung<br />
unserer Stadt der alte Slawische<br />
Ringwall. Erst im Jahre 1268, als Görlitz<br />
durch Teilung der Oberlausitz der Mittelpunkt<br />
der östlichen Oberlausitz wurde,<br />
war ein Gebäude als Wohnung für den<br />
Landvogt entstanden, dass natürlich Eigentum<br />
des Landesherren war.<br />
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24<br />
Geschichte
Alt-Görlitz einst und jetzt<br />
Schlösschen<br />
So sagte König Johann von Böhmen<br />
1329: „Unser Vogt in unserem Hofe zu<br />
Görlitz“. In diesem „Vogtshof“, der in<br />
den Ratsrechnungen von 1419 bis 1437<br />
„Hos, Vontes Hos“ oder „Hus“ hieß,<br />
wurde auch das Land- oder Hofgericht<br />
abgehalten. Der große Stadtbrand vom<br />
18. Juni 1456 zerstörte das Gebäude<br />
und seitdem lag es über 100 Jahre wüst<br />
und öde.<br />
Neben dem Vogtshof lag östlich ein anderes<br />
kleines Haus, das “Schlösschen”<br />
genannt, dass obgleich mit dem ehemaligen<br />
Zuchthaus baulich vereint, eine<br />
besondere Nummer trug. Nach dem es<br />
sich einige Jahre im Besitz von Privatpersonen<br />
nachweisen lässt, gehörte es<br />
im Jahre 1425 der Stadt, die es 40 Jahre<br />
später Jakob von Hag überließ. Er hatte,<br />
wie eine an der Hinterseite befindliche<br />
Inschrift angab, Kriegsdienste unter<br />
Kaiser Karl V. getan, war Schlosshauptmann<br />
und Kapitän auf dem Qybin unter<br />
Kaiser Ferdinand I. und danach dem Kaiserlichem<br />
Rat Maximilians I. unterstellt.<br />
Dann hatte er „dieses Haus auf dem<br />
Gipfel des Berghanges mit vieler Mühe<br />
gewölbt und voll Liebe zum Vaterland<br />
und besonderer Anhänglichkeit an diese<br />
Städte gesetzt, die wegen des Kranzes<br />
der Berge und besonders wegen des<br />
vorbeifließenden Stromes Geflüster so<br />
lieblich und gesund gelegen ist“.<br />
Im Jahre 1578 kaufte der Rat das<br />
„Schlösschen“ zurück, um es an Sebastian<br />
Hofmann zu veräußern. Von diesem<br />
erwarb es der Ritter Friedrich Späth, der<br />
nach tapferen Kriegsdiensten in Görlitz<br />
seine Ruhe fand. Am 20. Februar 1589<br />
starb er 74jährig und wurde als ein<br />
Ritter zur Erde bestattet. Seine Leiche<br />
wurde von 8 Junkern mit Fackeln nebst<br />
einer Fahne, einem Rosse, Helm und<br />
Sporen bis in die Nikolaikirche getragen<br />
und dort aufgebahrt. Danach wurde er<br />
in der Kirche in einem Grabe, darin zuvor<br />
ein Priester gelegen hatte, beigesetzt.<br />
In der Peterskirche ließ er sich und<br />
den seinen noch bei Lebzeiten ein Epitaph<br />
setzen, dass aber bei dem großen<br />
Brand von 1691 zu Grunde ging. Im Jahre<br />
1565 überließ Kaiser Maximilian II.<br />
den Vogtshof der Stadt Görlitz zu einem<br />
„Getreide- oder Schütthause“, erlaubte<br />
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Geschichte<br />
25
Das Schlösschen und der Görlitzer Vogtshof<br />
Das „Schlösschen“, zeitgenössische Darstellung 16. Jahrhundert<br />
aber zugleich den Görlitzer Landständen<br />
„notwendige Zimmer, darin sie ihre Versammlungen<br />
halten“, auf eigene Kosten<br />
zu erbauen. Die „Steinhütte, so bei der<br />
Kirche gestanden“, wurde dort im Jahre<br />
1572 weggerissen und auf den Vogtshof<br />
gesetzt, aber 5 Jahre später fiel das Gebäude<br />
unter großem Krachen ein.<br />
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26<br />
Geschichte
Alt-Görlitz einst und jetzt<br />
Schlösschen<br />
1579 wurde das Vorderhaus dem königlichen<br />
Amt mit Stuben, Gewölben und<br />
Kammern zugerichtet.<br />
Im Jahr 1791 richtete die Stadt das ständische<br />
Verwaltungszimmer und das Archiv<br />
auf zum großen Teil eigene Kosten<br />
neu ein. Zwanzig Jahre später kauften<br />
die oberlausitzischen Stände des Kreises<br />
Görlitz den Vogtshof, das angeschlossene<br />
sogenannte Schlösschen und den<br />
Zwinger der Stadt für 9900 Taler ab, um<br />
an dessen Stelle ein Zucht- und Arbeitshaus<br />
zu errichten.<br />
In diesem Zustand blieb das Haus bis<br />
zum Jahre 1811. Die knappen Ressourcen<br />
während der Koalitionskriege ließen<br />
den Bau jedoch nicht vorangehen. Infolge<br />
des Wiener Kongresses wechselte<br />
die östliche Oberlausitz samt Görlitz von<br />
Sachsen nach Preußen.<br />
Als im Jahre 1826 die Regierung in Liegnitz<br />
Anspruch auf das Gebäude machte,<br />
überließen es ihr die Stände für 25.000<br />
Taler. Jedoch behielten sie das Schlösschen.<br />
Die Landstände bauten 1826 das<br />
Schlösschen zum Landhaus um, in dem<br />
sie bis zur Fertigstellung des neuen<br />
Ständehauses an der Promenade (heute:<br />
Dr.-Kahlbaum-Allee) 1854 tagten.<br />
Schließlich kaufte die Regierung 1826<br />
das Gelände samt dem begonnenen<br />
Bau für 25.000 Taler und vollendete<br />
das Zuchthaus bis 1830. Der preußische<br />
Staat nutzte den Bau anfangs auch als<br />
Garnisonskaserne.<br />
Am 27./28. Mai 1848 brannte erst der<br />
nördliche Flügel und am 7. November<br />
des gleichen Jahres der Flügel am<br />
Schlösschen ab. Im Jahr 1928 kaufte die<br />
Stadt unter dem Oberbürgermeister Georg<br />
Wiesner das aufgegebene Zuchthaus<br />
wieder zurück. Nach 1945 richtete die<br />
Volkssolidarität zuerst im Vogtshof eine<br />
Küche sowie Werkstätten und Lagerräume<br />
ein. Im Jahr <strong>197</strong>6 zogen in den seit<br />
1945 weitgehend leerstehenden Vogtshof<br />
das Studentenwohnheim und Teile<br />
des Ratsarchivs ein. Nach der Wende<br />
erfolgte die heutige Umgestaltung vom<br />
vierseitigen Gefängniskomplex zu einem<br />
modernen Studentenwohnheim.<br />
Quelle: Alt-Görlitz einst und jetzt.<br />
von Prof. Ludwig Feyerabend, 1928<br />
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Geschichte<br />
27
„Nudeln sind mein Leibgericht, jedoch nur ‚Anker‘, andre nicht!“<br />
Nudelproduktion<br />
Ansicht Nudelfabrik, 2018, Quelle: Stadtarchiv Löbau<br />
Das Haus, das Hans Scharoun<br />
das liebste war, steht<br />
unmittelbar neben Löbaus<br />
ehemaliger Nudelfabrik in<br />
der Kirschallee. Wenn sein<br />
Auftraggeber Fritz Schminke<br />
morgens erwachte, im<br />
Bett lag und aus dem Fenster<br />
sah, soll er gleich vor Augen<br />
gehabt haben, was ihn<br />
im Berufsalltag erwartete:<br />
das Wirken in der Nudelfabrik,<br />
dessen Eigentümer<br />
er war. Gegenüber hatte er<br />
sich das Wohnhaus – das<br />
berühmte Haus Schminke<br />
– für seine Familie bauen<br />
lassen. Dieses Haus trägt<br />
als Beispiel für moderne<br />
Architektur die einzigartige<br />
Handschrift des Architekten<br />
Hans Scharoun. Auch<br />
das Gebäude der Nudelfabrik<br />
ist aus verschiedenen<br />
Gründen einzigartig, vor<br />
allem wegen des neuen,<br />
organischen Bauens, mit<br />
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28<br />
Geschichte
118 Jahre Nudelproduktion in Löbau<br />
dem Hans Scharoun der<br />
Oberlausitzer Sechsstadt<br />
Löbau ein Kleinod hinterlassen<br />
hat.<br />
Löbau ist in mehrfacher<br />
Hinsicht einmalig. Ein herausragendes<br />
Beispiel<br />
dafür lieferte Bäckermeister<br />
Friedrich August<br />
Bretschneider, indem er im<br />
Jahr 1854 die Errichtung<br />
des gusseisernen Turmes<br />
finanzierte. Bretschneider<br />
lag Löbau am Herzen. Er<br />
setzte sein Vermögen ein,<br />
um den heute einzigen in<br />
Europa noch erhaltenen<br />
gusseisernen Turm zu errichten<br />
und seiner Heimatstadt<br />
ein Denkmal zu<br />
setzen. Auch Charlotte und<br />
Fritz Schminke waren Löbau<br />
verbunden. Die Familie<br />
mit den vier Kindern war<br />
wohlhabend und gebildet,<br />
an Kunst interessiert und<br />
mit zeitgenössischer Archi-<br />
Haus Schminke, Quelle: Stadtarchiv Löbau<br />
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Geschichte<br />
29
„Nudeln sind mein Leibgericht, jedoch nur ‚Anker‘, andre nicht!“<br />
Nudelproduktion<br />
Werbung für die Anker-Teigwaren, Quelle: Stadtarchiv Löbau<br />
tektur vertraut. Da für die<br />
kinderreiche Familie der<br />
Platz im Haus in der Löbauer<br />
Goethestraße nicht mehr<br />
ausreichte, wandte sich das<br />
Ehepaar an den befreundeten<br />
Hans Scharoun mit dem<br />
Wunsch, ein Wohnhaus für<br />
die Familie in unmittelbarer<br />
Nähe zur Nudelfabrik zu<br />
bauen. Schon 1916 hatte<br />
die Architektengemeinschaft<br />
Lossow und Kühne<br />
dafür den Bau einer Fabrikantenvilla<br />
geplant, doch<br />
das Bauverbot für private<br />
Bauvorhaben während des<br />
Ersten Weltkriegs stoppte<br />
den Bau der Villa. Lossow<br />
und Kühne waren auch die<br />
Planer des Leipziger Hauptbahnhofs,<br />
der Synagoge in<br />
Görlitz und des Schauspielhauses<br />
in Dresden. Das<br />
Haus Schminke hat Löbau<br />
überregional und international<br />
bekannt gemacht.<br />
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30<br />
Geschichte
118 Jahre Nudelproduktion in Löbau<br />
1920 übernahm Fritz<br />
Schminke im Alter von 22<br />
Jahren von seinem Vater<br />
Wilhelm Schminke die<br />
1874 gegründete Nudelfabrik<br />
Loeser & Richter. Der<br />
Textilfabrikant Wilhelm<br />
Schminke war nach Löbau<br />
gekommen und hatte als<br />
erfolgreicher Geschäftsmann<br />
auch Loeser & Richter<br />
mit einer eingespielten<br />
Belegschaft geführt. Wie<br />
dann auch sein Sohn setzte<br />
er auf Modernisierung.<br />
Dabei ging es ihm nicht nur<br />
um die Anschaffung neuer,<br />
leistungsfähiger Maschinen<br />
und um die Optimierung<br />
des Produktionsprozesses,<br />
sondern genauso um<br />
Werbung für die Produkte,<br />
damit der deutsche Absatzmarkt<br />
erschlossen werden<br />
könnte und die Waren nicht<br />
nur durch Export abgesetzt<br />
würden.<br />
Anker-Nudeln in der Cellophanverpackung, Quelle: Stadtarchiv Löbau<br />
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Geschichte<br />
31
„Nudeln sind mein Leibgericht, jedoch nur ‚Anker‘, andre nicht!“<br />
Nudelproduktion<br />
Schutzmarke Anker bekamen<br />
die in Löbau hergestellten<br />
Teigwarenprodukte<br />
im Jahr 1881. Schnell wurden<br />
die Löbauer Nudeln als<br />
Markenprodukt weltweit<br />
bekannt. Sie waren die ersten<br />
Nudeln deutscher Fabrikation,<br />
welche ausnahmslos<br />
nach einem Schweizer<br />
Patent im 1908 erfundenen<br />
Cellophan verpackt wurden.<br />
In China gab es damals einen<br />
Eierüberschuss. Durch<br />
die Trennung des Eigelbs<br />
vom Eiweiß und durch die<br />
Trocknung des Eigelbs als<br />
Pulver konnte die Teigwarenproduktion<br />
ganz andere<br />
Anker-Warensortiment, 1920er Jahre, Quelle: Stadtarchiv Löbau Qualität annehmen. Der<br />
erste Weltkrieg bremste zunächst<br />
die Nudelproduktion, doch bald<br />
Zu Beginn jedoch produzierte die Teigwarenfabrik<br />
in gemieteten Räumen in erlebte sie einen Aufschwung, als man<br />
der Löbauer Lindenstraße, ehe sie um den Stellenwert der Nudel für die Ernährung<br />
der Bevölkerung und der Truppen<br />
1900 in die Äußere Bautzner Straße zog.<br />
Dort steht das Gebäude heute noch. Die erkannte. In den 1920er Jahren konnte<br />
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32<br />
Geschichte
118 Jahre Nudelproduktion in Löbau<br />
Fabrikansicht, 1917, Quelle: Stadtarchiv Löbau<br />
sich das Unternehmen zum Markenunternehmen<br />
entwickeln. Verpackungen<br />
wurden nicht mehr bunt durcheinander<br />
produziert, sondern erschienen in einem<br />
einheitlichen Firmenlayout. Es gab<br />
Faltschachtverpackungen mit und ohne<br />
Sichtfenster.<br />
Die Fassade des Fabrikgebäudes zeigt<br />
durch ihr uneinheitliches Äußeres die<br />
An- und Umbauten und die Aufstockungen,<br />
die zu verschiedenen Zeiten vorgenommen<br />
wurden. Auch den Erfolg des<br />
Löbauer Unternehmens am Markt zeigen<br />
diese Baufortschritte. 1900 begann<br />
es mit einem zweigeschossigen Fabrikgebäude<br />
mit dem Verwaltungstrakt<br />
und dem Kesselhaus. Letzteres wurde<br />
zehn Jahre später um einen Arbeitssaal<br />
aufgestockt. Zwischen Kesselhaus und<br />
Fabrikgebäude gab es dann seit 1913<br />
eine Überdachung und Verbindung. An<br />
der Seite zur Kirschallee erfolgte 1914<br />
ein zweigeschossiger Anbau, der den<br />
Maschinensaal und die Teigmischerei<br />
beherbergen sollte. 1916 wurde das<br />
Gebäude im Norden um einen dreigeschossigen<br />
Teil erweitert, Lager- und<br />
Versandräume kamen hinzu. Im Obergeschoss<br />
wurde eine Kistentischlerei<br />
mit Packraum eingerichtet und ein Las-<br />
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Geschichte<br />
33
„Nudeln sind mein Leibgericht, jedoch nur ‚Anker‘, andre nicht!“<br />
Nudelproduktion<br />
Kohlenschuppen am Kesselhaus<br />
abgerissen und ein<br />
Maschinenhaus an das Kesselhaus<br />
gebaut. Der Verwaltungstrakt<br />
konnte 1921<br />
aufgestockt und auch als<br />
Wohnung genutzt werden.<br />
Nach Hans Scharouns Plänen<br />
wurde 1937 ein Fahrradschuppen<br />
gebaut, der<br />
bis <strong>197</strong>1 stand. Dann wurde<br />
eine neue Lagerbaracke<br />
errichtet. Auch das angebaute<br />
Treppenhaus mit den<br />
abgerundeten Formen, den<br />
Glasbausteinen und den<br />
sanitären Einrichtungen<br />
entstand nach den Plänen<br />
des weltberühmten Architekten<br />
Scharoun. Über dem<br />
Fassade der Nudelfabrik mit Anker-Logo, bis <strong>197</strong>1, Quelle: Stadtarchiv Löbau Teil des Gebäudes, in dem<br />
die Trocknung lag, wurde<br />
tenaufzug eingebaut. Der Anbau in der 1953 aufgestockt. Auch zur Kirschallee<br />
Kirschallee wurde 1917 erweitert und hin wurden Dachaufbauten für größere<br />
Mehlsilos geschaffen. Umfangreiche<br />
erhielt dann 1929 die Fassade, die wohl<br />
weiß verputzt war und durch rote Stahlrahmenfenster<br />
auffiel. 1919 wurde ein von 2002 bis 2010 die Nutzung der<br />
Umbauten ermöglichten in den Jahren<br />
Fab-<br />
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34<br />
Geschichte
„Nudeln sind mein Leibgericht, jedoch nur ‚Anker‘, andre nicht!“<br />
Nudelproduktion<br />
Anbau <strong>197</strong>1, Quelle: Stadtarchiv Löbau<br />
rik für die Ausbildung in Bauberufen.<br />
Am Äußeren der Fabrik lässt sich erahnen,<br />
wie erfolgreich die Nudelproduktion<br />
gewesen sein muss. Fortschrittlich<br />
unter Fritz Schminke war in jedem Fall<br />
der Stellenwert, den die Belegschaft<br />
einnahm. Sanitäre Einrichtungen für die<br />
Belegschaft, u.a. Duschen und Heißlufthandtrockner,<br />
ließ er sicherlich nicht<br />
nur wegen hygienischer Vorschriften<br />
errichten, sondern wertschätzte die Arbeit<br />
seiner Angestellten dadurch. Luftschutzräume<br />
wurden 1934/35 gebaut,<br />
1936 eine Sanitätsstube. Eine Nähstube<br />
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36<br />
Geschichte
118 Jahre Nudelproduktion in Löbau<br />
und eine Wäscherei hatte<br />
die Firma über mehrere<br />
Jahrzehnte. Auch für private<br />
Zwecke durften sie von<br />
der Belegschaft genutzt<br />
werden. Diese war im Jahr<br />
1939 auf 280 Personen<br />
angewachsen. Weiter trug<br />
die Werbung in Form von<br />
Zeitungsartikeln, Schaufensterdekorationen<br />
und<br />
der hauseigenen Zeitschrift<br />
„Nach Ladenschluss“ zum<br />
Erfolg des Unternehmens<br />
bei. „Nach Ladenschluss“<br />
erschien in einer Auflage<br />
von 10000 Exemplaren<br />
monatlich kostenlos für Löbau<br />
und Umgebung. Nach<br />
dem Zweiten Weltkrieg war<br />
die Firmenleitung durch<br />
die Rohstoffknappheit gezwungen,<br />
die Produktion<br />
zunächst auf Spielwaren<br />
und Handtaschen zu verlegen.<br />
Die Waren wurden<br />
lokal abgesetzt, ehe die<br />
Treppenhaus nach Scharouns Plänen, 1937, Quelle: Stadtarchiv Löbau<br />
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Geschichte<br />
37
„Nudeln sind mein Leibgericht, jedoch nur ‚Anker‘, andre nicht!“<br />
Nudelproduktion<br />
Produktion VEB Anker-Teigwaren, Quelle: Stadtarchiv Löbau<br />
Produktion langsam wieder<br />
in Gang kommen konnte.<br />
Am 1.7.1946 wurde die Fabrik<br />
enteignet und zum Eigentum<br />
des Volkes erklärt.<br />
In den Jahren von 1945<br />
bis 1955 steigerte sich die<br />
Produktionsleistung dann<br />
wieder von 239 Tonnen<br />
auf 6200 Tonnen. Mit der<br />
erwähnten Aufstockung im<br />
Jahr 1953 ging eine Änderung<br />
in der Produktion einher:<br />
Allgemein fehlte es an<br />
den Makkaroni. Im Auftrag<br />
der Regierung wurde der<br />
Umbau und die Produktionsänderung<br />
so vorgenommen,<br />
dass der Makkaroni-<br />
Anteil in der Produktion 65<br />
Prozent ausmachte.<br />
Bis 1992 gab es das Unternehmen<br />
Anker-Teigwaren.<br />
Laut Aussagen ehemaliger<br />
Angestellter hätte die<br />
finanzielle Situation der<br />
Firma ein Fortbestehen er-<br />
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38<br />
Geschichte
118 Jahre Nudelproduktion in Löbau<br />
möglicht. Dennoch wurde sie „abgewickelt“.<br />
Danach stellte das Gebäude in der Äußeren<br />
Bautzner Straße u.a. Räume für<br />
die Lehrbauhof GmbH und später den<br />
Lehrhof e.V. zur überbetrieblichen Ausbildung<br />
in Bauberufen. Aktuell nutzt der<br />
Mitteldeutsche Rundfunk immer wieder<br />
einige Räume als Backstage-Bereiche für<br />
die Produktion der Unterhaltungsshow<br />
„Privatkonzert“, die im Haus Schminke<br />
in Koproduktion von der Deutschen Welle<br />
und dem Mitteldeutschen Rundfunk<br />
aufgezeichnet und auf beiden Sendern<br />
ausgestrahlt wird.<br />
Heute gibt es einen Anfang für ein neues<br />
Zentrum in der ehemaligen Teigwaren-Fabrik.<br />
Die Große Kreisstadt Löbau<br />
hat Ende des Jahres 2018 das Gebäude<br />
der ehemaligen Nudelfabrik „Loeser &<br />
Richter“ in der Äußeren Bautzner Straße<br />
32 erworben, um es für die Errichtung<br />
eines multifunktionalen Zentrums zu<br />
nutzen, das in seiner Gestaltung für die<br />
Oberlausitz einzigartig sein wird. Unter<br />
dem vorläufigen Namen „Anker Kulturgut“<br />
sollen dort einmal die Städtischen<br />
Sammlungen Löbaus beherbergt und<br />
somit dem Stadtarchiv und dem Stadtmuseum<br />
Räume für Ausstellungen, Magazine,<br />
Depots, Besucherverkehr gegeben<br />
werden. Geplant sind u.a. auch<br />
ein Tagungsraum und Übernachtungsmöglichkeiten.<br />
Aus der räumlichen und<br />
historischen Nähe zu dem Fabrikantenwohnhaus,<br />
dem Haus Schminke, ergibt<br />
sich der Einbezug dieses so einzigartigen<br />
Gebäudes.<br />
Corinna Wandt<br />
Quellen:<br />
Stadtarchiv Löbau, Sonderbestand<br />
Schminke, Teil C<br />
insbesondere: Entwicklungsgeschichte<br />
des VEB Anker-Teigwaren-Fabrik, Löbau<br />
Martin Meßer, Die Geschichte der<br />
ehemaligen Anker-Teigwarenfabrik<br />
in Löbau,<br />
unveröffentlichtes Manuskript 2003<br />
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Geschichte<br />
39
Von Puppenhaus und Spielzeug bis Natur und Idee –<br />
Nostalgisches<br />
Puppenstube<br />
Auch in diesem Jahr haben die Görlitzer<br />
Sammlungen in der (Vor-) Weihnachtszeit<br />
im Barockhaus Neißstraße 30 wieder<br />
das große Puppenhaus des Herrn Kurt-<br />
Franken sowie die Puppenküche aus<br />
dem Braunen Hirsch aufgebaut. Dazu<br />
kommt historisches Spielzeug.<br />
Puppenhaus, Puppenküche und An-<br />
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40<br />
Weihnachtliches
Angebote des Kulturhistorischen Museums für die Winterzeit<br />
Spielzeug<br />
ker-Steinbaukästen bleiben bis zum<br />
23.02.2020 ausgestellt.<br />
Das große Puppenhaus<br />
Im Ruhestand fertigte Claus-Peter Kurt-<br />
Franken dieses der Görlitzer Gründerzeit<br />
nachempfundene Miniaturwohn- und<br />
Geschäftshaus im Maßstab von 1:15 an.<br />
Er hatte in Görlitz das Handwerk des<br />
Steinmetzes im bekannten Betrieb von<br />
Carl Däunert erlernt. Später führte ihn<br />
sein Lebensweg in den Westen Deutschlands.<br />
Erst als Rentner kehrte Herr Kurt-<br />
Franken nach Görlitz zurück.<br />
Das 1,60 x 2,00 m große Puppenhaus<br />
mit angegliedertem Markt und Garten<br />
kam als Leihgabe aus Privatbesitz ins<br />
Museum. Es ist unterkellert und verfügt<br />
über 22 Räume, in denen mit großer<br />
Liebe zum Detail verschiedene Alltagssituationen<br />
inszeniert wurden. Möbel und<br />
Einrichtungsgegenstände, Bilder und<br />
Accessoires wurden in Handarbeit gefertigt,<br />
sogar eine Beleuchtung installiert.<br />
Nur die Bewohner des Hauses, etwa 100<br />
Püppchen, wurden käuflich erworben.<br />
Museumspädagogin Ulrike Knoll bietet<br />
Familien und Kindern in den Winterferien<br />
an, mit ihr gemeinsam das Puppenhaus<br />
zu entdecken und danach eigene<br />
Puppenstubenmöbel zu basteln, die<br />
auch noch bemalt und gestaltet werden<br />
können.<br />
Mittwoch, 12.02., 10:00-11:30 Uhr und<br />
14:00-15:30 Uhr,<br />
Mittwoch, 19.02., 10:00-11:30 Uhr und<br />
14:00-15:30 Uhr<br />
Ferienkreativangebot mit Ulrike<br />
Knoll<br />
Die große Welt im Kleinen. Das große<br />
Puppenhaus und Basteln von Puppenstubenmöbeln<br />
Anmeldung wünschenswert unter Telefon<br />
03581 671410.<br />
Das Angebot eignet sich ebenfalls für<br />
Kita- und Hortgruppen (bis zur 4. Klasse)<br />
sowie Familien. Termine können auf<br />
Wunsch ab Januar 2020 vereinbart werden.<br />
Die Puppenküche der Frau Zurbonsen<br />
Über Jahrzehnte war dieses Spielzeug<br />
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Weihnachtliches<br />
41
Von Puppenhaus und Spielzeug bis Natur und Idee –<br />
Nostalgisches<br />
Puppenstube<br />
bei Familie Domke im Braunen Hirsch in<br />
Görlitz zu Hause und in Benutzung. Immer<br />
wieder wurden für das einen Meter<br />
breite und gut 50 Zentimeter hohe Spielzeug<br />
weitere Einrichtungsgegenstände<br />
erworben. Die langjährige Besitzerin war<br />
zum Ende des Zweiten Weltkrieges als<br />
Flüchtling in Münster untergekommen.<br />
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42<br />
Weihnachtliches
Angebote des Kulturhistorischen Museums für die Winterzeit<br />
Spielzeug<br />
Puppenstube<br />
Dorthin verschickte die zunächst in Görlitz<br />
verbliebene und später nach Westfalen<br />
gezogene Mutter die Puppenküche<br />
in Einzelteilen. So spielte fortan die<br />
nächste Generation mit ihr. 2016 kehrte<br />
die Puppenküche nach Görlitz zurück.<br />
Seither wird sie in der Weihnachtszeit im<br />
Museum ausgestellt.<br />
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Weihnachtliches<br />
43
Von Puppenhaus und Spielzeug bis Natur und Idee<br />
Nostalgisches<br />
Puppenküche<br />
Anker-Steinbaukästen und anderes<br />
Spielzeug<br />
Neben Puppenhaus und Puppenküche<br />
hat das Kulturhistorische Museum dieses<br />
Mal zwei Vitrinen mit historischem<br />
Spielzeug aus dem Sammlungsbestand<br />
bestückt. Ein Klassiker des Kinderspielzeugs<br />
ist der Anker-Steinbaukasten aus<br />
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44<br />
Weihnachtliches
Von Puppenhaus und Spielzeug bis Natur und Idee –<br />
Nostalgisches<br />
Anker-Steinbaukasten<br />
Rudolstadt in Thüringen.<br />
Vorläufer waren Kugel, Quader und<br />
Würfel, die als Spielformen im pädagogischen<br />
Konzept von Friedrich Fröbel eine<br />
Rolle spielten. Aber erst der Steinbaukasten<br />
wurde zum Urahn unserer heutigen<br />
Baukästen und Systemspielzeuge.<br />
Aus Sand, Schlämmkreide und Leinöl<br />
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46<br />
Weihnachtliches
Angebote des Kulturhistorischen Museums für die Winterzeit<br />
Spielzeug<br />
Hänsel und Gretel im Schattentheater<br />
wird eine Art künstlicher Sandstein in<br />
den Farben Dunkelrot, Ocker und Dunkelgrau<br />
entsprechend den Baumaterialien<br />
Ziegelstein, Sandstein und Schiefer<br />
als Quader, Säule oder Rundbogen<br />
produziert. Die Steine wurden gepresst<br />
und gebacken. Sie weisen eine glatte<br />
Oberfläche auf und wurden ohne Kleber<br />
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Weihnachtliches<br />
47
Von Puppenhaus und Spielzeug bis Natur und Idee –<br />
Nostalgisches<br />
verbaut. Die Bauwerke hielten allein aufgrund<br />
ihrer Statik. Verpackt wurden die<br />
Steine in genormten Holzkästen, die mit<br />
einem Schiebedeckel versehen waren.<br />
Dieser ließ sich nur schließen, wenn alle<br />
Bausteine in perfekter Ordnung einsortiert<br />
waren.<br />
Zahlreiche Grundformen, Varianten, Zusatz-<br />
und Spezialbaukästen mit Begleitheften,<br />
gefüllt mit Mustern und Anleitungen<br />
wurden entworfen und produziert<br />
von Künstlern, Illustratoren und Architekten.<br />
Übrigens: Die Erfinder der Steinbaukästen<br />
waren die Gebrüder Otto und<br />
Gustav Lilienthal, die aber als Unternehmer<br />
wegen fehlender Marketingmaßnahmen<br />
scheiterten. Sie verkauften ihre<br />
Erfindung an den Unternehmer Friedrich<br />
Adolf Richter, der sie patentieren ließ<br />
und ab 1882 von Thüringen in die ganze<br />
Welt verkaufte. Bis zu offiziellen Einstellung<br />
der Produktion im Jahre 1963<br />
sollen rund 5 Milliarden Ankerbausteine<br />
verkauft worden sein. 1995 hat die Anker<br />
Steinbaukasten GmbH wieder die<br />
Produktion aufgenommen.<br />
Hänsel und Gretel im Schattentheater<br />
Weihnachten und Märchen sind untrennbar<br />
miteinander verbunden. Und um die<br />
Wartezeit bis Weihnachten zu verkürzen,<br />
erwecken die Görlitzer Sammlungen eines<br />
der beliebtesten Grimm´schen Märchen<br />
mit Licht und Schatten im Barockhaus<br />
Neißstraße 30 zum Leben – Hänsel<br />
und Gretel.<br />
Großeltern, Familien und Kinder sind<br />
herzlich dazu eingeladen!<br />
Die Vorführung übernehmen Ines Haaser,<br />
Sonja Münzberg, Karin Stichel und<br />
Christa-Maria Vogel.<br />
Sonntag, 08.12., 15:00-16:00 Uhr<br />
Freitag, 13.12. und<br />
20.12., 15:00-16:00 Uhr<br />
Bitte nutzen Sie die Möglichkeit zur<br />
Voranmeldung unter Telefon 03581<br />
671410.<br />
Auch am Großeltern-Enkel-Tag, dem<br />
19.01., findet 15:00 Uhr eine Vorführung<br />
statt.<br />
Weitere Termine werden in den Winterferien<br />
2020 angeboten.<br />
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48<br />
Weihnachtliches
Angebote des Kulturhistorischen Museums für die Winterzeit<br />
Spielzeug<br />
Natur und Idee<br />
(bis 16.02.2020)<br />
Inmitten der Sammlungskabinette<br />
der<br />
Oberlausitzischen Gesellschaft<br />
der Wissenschaften<br />
im Barockhaus<br />
Neißstraße 30 präsentieren<br />
die Görlitzer Sammlungen<br />
die Sonderausstellung<br />
Natur und Idee“.<br />
Sie vereint Arbeiten von<br />
Adolf Traugott v. Gersdorf<br />
(1744-1807) und<br />
Egbert Kasper (* 1957).<br />
Beide entstammen sehr<br />
unterschiedlichen Epochen,<br />
doch sie verbindet<br />
ein intensives Interesse<br />
an der Natur und ihren<br />
Gestaltungsformen.<br />
Egbert Kasper (* 1957)<br />
Objektplatte (Pflaumenkerne)<br />
Naturmaterialien, <strong>2019</strong><br />
Leihgabe des Künstlers<br />
Foto: Kai Wenzel<br />
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Weihnachtliches<br />
49
Von Puppenhaus und Spielzeug bis Natur und Idee –<br />
Nostalgisches<br />
Bereits seit den 1780er Jahren hat der<br />
Oberlausitzer Adlige Adolf Traugott v.<br />
Gersdorf intensiv mit Elektrizität experimentiert.<br />
Ein Ergebnis dieser Versuche<br />
sind seine Lichtenbergschen Figuren,<br />
die elektrische Ladungen mithilfe von<br />
Farbpulvern sichtbar machen. Ihren Namen<br />
verdanken sie dem Naturwissenschaftler<br />
Georg Christoph Lichtenberg<br />
(1742-1799). Er hatte das Phänomen<br />
eher zufällig entdeckt, doch erst Gersdorf<br />
übertrug die fragilen Staubbilder<br />
auf Papier. Jede seiner rund 1.500 erhaltenen<br />
Figuren ist ein Unikat. Heute<br />
gelten sie als Vorläufer abstrakter grafischer<br />
Kunst. Die für ihre Herstellung<br />
benutzten Instrumente und Maschinen<br />
sind im Physikalischen Kabinett hier im<br />
Barockhaus ausgestellt.<br />
Seit mehr als drei Jahrzehnten ist der in<br />
Görlitz geborene Egbert Kasper als freischaffender<br />
Grafiker und Bildhauer in<br />
Lückersdorf bei Kamenz tätig. Themen<br />
findet er vor allem in der Natur und ihren<br />
vielfältigen Erscheinungsformen.<br />
Diese abstrahiert er zu freien Strukturen<br />
oder betont die Eigenschaften eines Objekts,<br />
wie dessen Farbigkeit und Oberflächenstruktur.<br />
In Kaspers Werken ist die<br />
Natur daher stets eine Ko-Autorin, auf<br />
deren Eigenarten der Künstler reagiert.<br />
Diesen symbiotischen Arbeitsprozess<br />
reflektieren auch die Werktitel, die weitere<br />
Bedeutungsebenen öffnen und es<br />
ermöglichen zwischen rationalistischem<br />
Objektstudium und subjektiver Naturwahrnehmung<br />
hin und her zu wechseln.<br />
In den Werken Adolf Traugott v. Gersdorfs<br />
und Egbert Kaspers wird ein gemeinsames<br />
ästhetisches Verständnis<br />
sichtbar, in dem Natur und Idee eng miteinander<br />
verwoben sind.<br />
Sie entdecken und sammeln Phänomene<br />
der Natur und reflektieren diese in ihren<br />
künstlerischen Werken. Neben einer<br />
Auswahl an Lichtenbergschen Figuren,<br />
die Adolf Traugott v. Gersdorf im späten<br />
18. Jahrhundert schuf, werden aktuelle<br />
Druckgrafiken, Zeichnungen, Plastiken<br />
und Objekte von Egbert Kasper gezeigt.<br />
Die Sonderausstellung unternimmt einen<br />
Brückenschlag über mehr als zwei<br />
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50<br />
Weihnachtliches
Angebote des Kulturhistorischen Museums für die Winterzeit<br />
Spielzeug<br />
Jahrhunderte hinweg.<br />
17.01.2020, 15:00-16:00 Uhr<br />
Führung mit dem Künstler Egbert Kasper<br />
11.02.2020, 14:30-16:00 Uhr Familienführung<br />
und Experimente mit Dr. Constanze<br />
Herrmann<br />
14.02.2020, 15:00-16:00 Uhr<br />
Führung mit Kai Wenzel<br />
Physikalische Phänomene<br />
Bei dieser Familienführung stellt Dr. Constanze<br />
Herrmann die wichtigsten Gerätschaften<br />
im Physikalischen Kabinett des<br />
Adolf Traugott v. Gersdorf vor. Anschließend<br />
zeigt sie, wie Lichtenbergsche Figuren<br />
erschaffen werden<br />
28.12.<strong>2019</strong>, 14:30-16:00 Uhr und<br />
16:00-17:30 Uhr<br />
In den Winterferien bietet Dr. Constanze<br />
Herrmann für naturwissenschaftlich<br />
interessierte Nachwuchswissenschafter<br />
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jeweils 14:30-16:00 Uhr<br />
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Kabinett empfehlen wir Ihnen<br />
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Öffnungszeiten:<br />
Dienstag bis Donnerstag 10:00-17:00 Uhr, Freitag bis Sonntag 10:00-18:00 Uhr, zusätzlich<br />
am 25.12. und 26.12.<strong>2019</strong> 13:00-17:00 Uhr, am 01.01.2020 13:00-16:00 Uhr<br />
Januar bis März: Dienstag bis Sonntag 10:00-16:00 Uhr<br />
Hinweis: Am 24.12. und 31.12. bleiben das Barockhaus Neißstraße 30 und der Kaisertrutz geschlossen.<br />
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Weihnachtliches<br />
51
Schätze des Ratsarchivs<br />
Ratsarchivar<br />
„Do besampten si sich noch stercker<br />
und kommen vor das Rathaus.“<br />
Ersterwähnung des Görlitzer Rathauses<br />
vor 650 Jahren<br />
Es liegt eine treffliche Symbolik in der<br />
urkundlichen Ersterwähnung unseres<br />
Rathauses am 1. November 1369. Denn<br />
die Handwerker kämpfen um politische<br />
Mitbestimmung und um die Erweiterung<br />
ihrer Rechte im Rathaus, dem Zentrum<br />
der politischen Macht der Stadt, wie der<br />
herrschenden brauenden Kaufmannschaft.<br />
„Do besampten [versammelten]<br />
si sich noch stercker und kommen vor<br />
das Rathaus ..., so liest man in einem<br />
Bericht des Görlitzer Rates an Kaiser Karl<br />
IV. über den ersten Aufstand der Handwerker<br />
vom 1. November 1369 den uns<br />
Bartholomäus Scultetus überlieferte. Sie<br />
forderten u.a. Versammlungsfreiheit der<br />
Zünfte ohne Überwachung durch den<br />
Rat und das Recht in den Schöppenstuhl<br />
(Gerichtsbarkeit) gewählt zu werden.<br />
Außerdem forderten sie die Abschaffung<br />
des Braumonopols der Kaufleute. Etwa<br />
500 bis 600 Tuchmacher protestierten<br />
daher lautstark vor dem Hause des Bürgermeisters<br />
und eben auch vor dem<br />
Rathaus. Der Rat musste flüchten. Immer<br />
wieder kam es zu Aufläufen auf den<br />
Straßen. Dem Rat gelang es jedoch mit<br />
viel Geschick beim Landesherren Karl IV.,<br />
dem sie die Tumulte in dem Schreiben<br />
vom 1. November 1369 wortreich und<br />
dramatisch schilderten, Recht zu erhalten.<br />
So blieb der Status Quo erhalten.<br />
Die Aufstände der Handwerker endeten<br />
letztlich erst mit deren Niederlage im<br />
Jahre 1527. Das Rathaus verdankte den<br />
Ereignissen aber seine Ersterwähnung.<br />
Es war steinernes Symbol städtischer<br />
Autonomie und Macht und als Gebäude<br />
der Gerichtspflege, Stadtpolitik und<br />
Verwaltung. Entstanden ist es jedoch<br />
erst in der Mitte des 14. Jahrhunderts,<br />
denn aus dem Jahr 1298 ist bekannt,<br />
dass eine sehr bedeutsame Urkunde in<br />
einem Schrank in der Peterskirche verwahrt<br />
wurde. Ebenso führte der Görlitzer<br />
Rat im Jahr 1314 wichtige Verhandlungen<br />
im Privathaus des Nicolaus von<br />
Scharfenberg. Vermutlich existierte zu<br />
jener Zeit jedoch schon ein hölzerner<br />
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52<br />
Geschichte
Vom Görlitzer Rathaus<br />
Rathaus<br />
Görlitzer Rathaus um 1900<br />
Vorgängerbau, wie er für<br />
Zittau belegt ist.<br />
Bereits im Jahre 1303 bestätigte<br />
Markgraf Hermann<br />
von Brandenburg der Stadt<br />
Görlitz das Magdeburger<br />
Stadtrecht. Das Wachstum<br />
der Stadt und diese<br />
Rechtsverleihung bedingten<br />
immer komplexere und<br />
umfangreichere Anforderungen<br />
an die kommunale<br />
Verwaltung und das Gerichtswesen.<br />
Auf der Zeile<br />
des Untermarktes befand<br />
sich neben dem Markthaus<br />
der Tuchmacher zentral<br />
gelegen eine Art hölzernes<br />
Rathaus, welches aber<br />
mehr der Abwicklung von<br />
Handelsgeschäften diente.<br />
Die Raumnot führte so um<br />
das Jahr 1350 zum Kauf<br />
eines bereits existierenden<br />
massiven Gebäudes<br />
an der Südwestecke des<br />
Untermarktes, um dort ein<br />
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Geschichte<br />
53
Schätze des Ratsarchivs<br />
Ratsarchivar<br />
Rathaus in Görlitz um 1930<br />
Prätorium (Gerichtsstelle)<br />
und ein Rathaus (curia)<br />
einzurichten. Vermutlich<br />
handelte es sich um einen<br />
ehemaligen Freihof mit<br />
kleinem Wehrturm. Parallel<br />
zur Stadt- und Verwaltungsentwicklung<br />
beginnt<br />
zu jener Zeit eine Jahrhunderte<br />
währende bauliche<br />
Veränderung und Erweiterung<br />
des Görlitzer Rathauses.<br />
Im Jahre 1378 baute<br />
man am Gerichtshaus in<br />
der Brüdergasse wo auch<br />
ein Tanzhaus entstand. Im<br />
gleichen Jahr wird auch das<br />
„Türmchen“ erwähnt. 1511<br />
bis 1516 wurde der quadratische<br />
Unterbau durch<br />
Stadtwerkmeister Albrecht<br />
Stieglitzer auf etwa 60<br />
Meter erhöht, „damit man<br />
die Stadt und alle Straßen<br />
eigentlich besichtigen und<br />
bewachen mocht.“ Der Görlitzer<br />
Stadtgrundriss ähnelt<br />
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54<br />
Geschichte
Vom Görlitzer Rathaus<br />
Rathaus<br />
dem vieler böhmischer und schlesischer<br />
Städte. Im Zentrum befand sich der Ring<br />
(Untermarkt) mit einer zentralen Bebauung,<br />
der Zeile. Unser Rathaus befindet<br />
sich allerdings nicht im Zentrum des<br />
Platzes wie sonst zumeist üblich. Es beherrscht<br />
und dominiert den Untermarkt,<br />
das Stadtzentrum daher architektonisch<br />
weit weniger als die Rathäuser in Prag,<br />
Breslau oder Zittau. Dessen war man<br />
sich in der prosperierenden Stadt zu<br />
Beginn des 15. Jahrhunderts bewusst.<br />
Als man auf dem auf dem Neumarkte<br />
(Obermarkt) mit dem Bau des „Neuen<br />
Hauses“, dem späteren Salzhaus, begann<br />
(1407), wollte man ursprünglich<br />
ein neues, prächtiges Markt- und Rathaus<br />
errichten. Die die Finanz und- Wirtschaftskrise<br />
in Folge der Hussittenkriege<br />
vereitelten wohl dieses Vorhaben.<br />
Nach Erwerb des Hauses Untermarkt 7<br />
in der Mitte des 15. Jahrhunderts wurde<br />
hier nicht nur die städtische Münze<br />
eingerichtet, gleichzeitig entstand auch<br />
nach Westen hin der immer noch existierende<br />
kleine Ratssitzungssaal. Die<br />
räumliche Ausdehnung des besonders<br />
durch die Renaissance geprägten Rathauskomplexes<br />
zwischen Untermarkt,<br />
Brüderstraße, Apothekergasse/Helle<br />
Gasse und Rosenstraße bezog Schritt<br />
für Schritt benachbarte Gebäude mit<br />
ein und fand erst mit der Errichtung<br />
des Neorenaissancegebäudes, des so<br />
genannten Neuen Rathauses, in den<br />
Jahren 1902/03 ihren Abschluss. Durch<br />
diesen ungewöhnlichen Ausdehnungsprozess<br />
stellt sich das Rathaus heute<br />
als ein Konglomerat aus verschiedenen<br />
Baukörpern dar, das dem Gebäude<br />
seinen besonderen Reiz verleiht. Der<br />
hohe ästhetische Anspruch der Görlitzer<br />
Stadtväter, der über Jahrhunderte<br />
gehalten wurde und sich sowohl im Äußeren<br />
als auch im Inneren des Gebäudes<br />
niedergeschlagen hat, macht das<br />
Görlitzer Rathaus zu einem Architekturzeugnis,<br />
dessen Wertigkeit weit über die<br />
regionalen Grenzen hinausreicht.<br />
Siegfried Hoche<br />
Ratsarchivar<br />
Geschichte 55
Die alte Görlitzer Stadtbefestigung (Teil V)<br />
Frauenkirche mit Spittelthor, hinten Frauenthor 1884<br />
Unter Basteien verstand man viereckig<br />
ausgeführte Gebäude, welche inwendig<br />
mit Böden, an der Mauer mit Schießscharten<br />
und oben mit einem von den<br />
Ecken der Mauern zulaufenden Dach<br />
versehen, und deren um die Stadt 13<br />
vorhanden waren.<br />
Der heute als Ochsenbastei bezeichnete<br />
Turm war bis in die Hälfte des 19. Jahrhunderts<br />
ein Bestandteil des sogenann-<br />
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56<br />
Geschichte
Die alte Görlitzer Stadtbefestigung (Teil V) –<br />
Bastei zum Ochsenkopf. Alte strategische Befestigung an der Uferstraße.<br />
ten Ochsen- oder Kahle -Tores. Rondelle<br />
waren im Mauerwerk rund, hatten<br />
gleichfalls inwendig Böden, in den Mauern<br />
Schießlöcher und oben ein in der<br />
Runde spitz zulaufendes Dach, wo oben<br />
auf der Spille ein Knopf (Kugel) steckte.<br />
Die Zahl der Rondelle betrug 19.<br />
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58<br />
Geschichte
Basteien, Rondelle, Viertel und Stadtsoldaten<br />
Stadtbefestigung<br />
Im Jahr 1476 sollen nur 21 Basteien und<br />
Rondelle vorhanden gewesen sein, mit<br />
einer täglichen Wache von 355 Mann<br />
unter 33 Hauptleuten, denen 17 Büchsenmeister,<br />
33 Handbüchsen und 68<br />
größere und kleinere Geschütze zur Verfügung<br />
standen.<br />
Aus dem Jahr 1547 stammt eine Aufzählung<br />
der Basteien, die vom Rathausturm<br />
zu sehen waren: Die Graben-<br />
Bastei; Melzers Bastei; Ferbers Bastei;<br />
Kadel-Bastei; Emmerichs niedere und<br />
Emerichs obere Bastei; Syndici-Bastei;<br />
Jacobs-Bastei; Neuburners Bastei und<br />
Rabenbastei.<br />
Leider ist kaum noch festzustellen, welche<br />
jeweils darunter zu verstehen ist.<br />
Über das vornehmste, größte und wichtigste<br />
Rondell, nämlich den Kaisertrutz,<br />
der jetzt die Görlitzer Sammlungen<br />
(Kulturhistorisches Museum) beheimatet<br />
und gleichzeitig ein Wahrzeichen unserer<br />
Stadt darstellt, werde ich ab dem<br />
nächsten Teil ausführlich berichten.<br />
Hier noch zur Viertelseinteilung. Das<br />
alte Görlitz hatte 4 Viertel, benannt nach<br />
den Toren: Das Frauen-, das Reichenbacher-,<br />
das Nicolai- und das Neiße-Viertel.<br />
Diese Einteilung war ursprünglich militärisch,<br />
wie sich denn für Viertel auch bei<br />
den einzelnen Gassen die Bezeichnung<br />
Tor bis ins 15. Jahrhundert findet.<br />
Noch bis 1820 gab es für jedes Viertel<br />
einen Viertels-Hauptmann, der wieder<br />
einem Stadthauptmann unterstand. Der<br />
Stadthauptmann hatte auch die Stadtsoldaten<br />
unter sich, deren es im Jahr<br />
1740 noch 28 gab, im Jahr 1800 waren<br />
es dann 26 und 1820 gerade einmal<br />
noch neun.<br />
(Fortsetzung folgt; Quellenverzeichnis<br />
am Ende der Serie)<br />
Klaus-Dieter Hübel<br />
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Geschichte<br />
59
Aus der Geschichte des<br />
Annenschule<br />
1950 Schülerkonzert der Annenschule in der Stadthalle Görlitz<br />
Civitas decori civibus educandi, die Zierde<br />
einer Stadt ist die Bildung seiner Bürger.<br />
So die Inschrift an der Universität<br />
in Lemberg (Lwiw). Um die Bedeutung<br />
dieser Aussage wissend, schenkte man<br />
trotz Lehrermangel, nach dem 8.5.1945<br />
in der Görlitzer Annenschule, (Grundschule<br />
5) dem Musikunterricht eine besondere<br />
Aufmerksamkeit. Man war sich<br />
bewusst, dass er eine Bildungsfunktion<br />
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60<br />
Geschichte
Augustum-Annen-Gymnasiums<br />
Annenschule<br />
besitzt und einen Beitrag zur Allgemeinbildung<br />
leistet wie die anderen Schulfächer.<br />
Anteil daran hatte damals als Musiklehrer,<br />
Kurt Richter. Er war zugleich<br />
Kantor an der Dreifaltigkeitskirche in<br />
Görlitz. In Koedukation wurde durch<br />
ihn, den Schülern und Schülerinnen,<br />
Kenntnisse über Musik, Musikgeschichte<br />
und Musikliteratur vermittelt. Sie erwarben<br />
sich durch ihn eine Fülle an wertvollem<br />
Liedgut. Unterstützt wurde Kurt<br />
Richter bei der Umsetzung des Musikunterrichts<br />
durch den damaligen Rektor<br />
dieser Grundschule, Otto Maier, der<br />
auch Kantor und Leiter des Kirchenchores<br />
an der katholischen Hlg. Kreuzkirche<br />
auf der Struvestraße in Görlitz war.<br />
Ein Höhepunkt des Musikunterrichts an<br />
der Annenschule war das jährlich in der<br />
Görlitzer Stadthalle stattfindende Schülerkonzert.<br />
Geleitet wurde es von Kurt<br />
Richter. An diesen Konzerten beteiligten<br />
sich 800 bis 1000 Knaben und Mädchen,<br />
die das gesamte treppenförmig angeordnete<br />
Podium im großen Saal des<br />
Festspielhauses der Schlesischen Musikfeste<br />
ausfüllten.<br />
Zu diesen Konzerten erklang regelmäßig<br />
die weltweit einzige, im Original erhaltene,<br />
spätromantische Konzertorgel mit<br />
Schwell- und Echowerk, die sich im großen<br />
Saal der Stadthalle befand und von<br />
Kurt Richter bei diesen Schülerkonzerten<br />
gespielt wurde. In dieses Schülerkonzert<br />
brachten sich Gesangssolisten<br />
aus der Görlitzer Bevölkerung und Mitglieder<br />
des Städtischen Orchesters ein,<br />
ergänzt durch die bekannte Pianistin,<br />
Frau Martha Bartling, am Flügel. Anlässlich<br />
des 200. Geburtstages von Johann<br />
Wolfgang von Goethe im Jahr 1949, beinhaltete<br />
die Vortragsfolge des Schülerkonzertes<br />
im sogenannten Goethejahr<br />
unter dem Titel: „Wir grüßen Johann<br />
Wolfgang von Goethe! Vertonte Texte,<br />
dieses großen deutschen Literaten und<br />
Humanisten.“ Eine weitere Vortragsfolge<br />
machte auf die große Bedeutung des<br />
Erhalts des Friedens mit der Überschrift:<br />
„Wir grüßen den Frieden!“ aufmerksam,<br />
da einem nicht geringen Anteil der vortragenden<br />
Sänger und Sängerinnen der<br />
Frieden und dessen Erhalt auf ihrem<br />
weiteren Lebensweg wichtig war.<br />
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Geschichte 61
Augustum-Annen-Gymnasiums<br />
Annenschule<br />
Sie hatten zum Teil die Schrecken des<br />
Krieges hautnah erlebt, der von den<br />
Deutschen am 1. September 1939 mit<br />
dem Einmarsch in Polen begonnen wurde<br />
und der am 8.5.1945 endete.<br />
Durch diese Kriegserfahrungen wurde<br />
ihnen bewusst, dass der deutsche Nationalismus<br />
kein Segen für die Menschheit<br />
ist. Darum sangen sie warnend<br />
den Kanon mit dem Text. „Krieg ist ein<br />
schrecklich Ding, Krieg mordet und zerstört<br />
Dein Glück, das Glück der Völker<br />
und Dein schönes Vaterland.“<br />
Verfasst hatte den Text Kurt Richter.<br />
Die Melodie stammte von Wolfgang<br />
Amadeus Mozart.<br />
Eine weitere Vortragsfolge beinhaltete<br />
unter der Überschrift „Wir grüßen den<br />
Frühling!“ wertvolles Liedgut, dessen<br />
Text den Frühling willkommen hieß.<br />
Auch in dieser Vortragsfolge brachte<br />
sich Kurt Richter mit einer eigenen<br />
Komposition ein. Als Musiklehrer an<br />
der Annenschule hatte Kurt Richter auf<br />
vielfältiger Weise einen großen Anteil<br />
an der Musikerziehung Heranwachsender<br />
in Görlitz. Nicht wenige von ihnen<br />
gehörten später als Erwachsene verschiedenen<br />
Chören in Görlitz an. Solche<br />
Schulkonzerte die den großen Saal in<br />
der Stadthalle bis auf den Platz füllten,<br />
sind seit 2004 durch die Schließung dieser<br />
Konzerthalle und eines schleppenden<br />
Sanierungsverlaufes der Stadthalle<br />
trotz großzügiger finanzieller Unterstützung<br />
durch den Freistaat Sachsen und<br />
den Bund nicht mehr möglich, obwohl<br />
im Vergleich z. B. der Wiederaufbau des<br />
ausgebrannten Stadttheaters in Glogau<br />
(Głogów) im polnischen Niederschlesien<br />
innerhalb von zwei Jahren erfolgte oder<br />
die umfangreiche Umgestaltung des Kulturpalastes<br />
in Dresden der den Zeitraum<br />
von 3 Jahren vom Oktober 2014 bis 28.<br />
April 2017 in Anspruch nahm.<br />
Dr. med. Jürgen Wenske<br />
Ihre Meinung ist uns wichtig. Senden Sie<br />
uns gern Leserzuschriften zu. Wir finden<br />
in den kommenden Ausgaben garantiert<br />
den Platz für die eine oder andere „Entdeckung“.<br />
Ihre Redaktion<br />
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62<br />
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