188_StadtBILD_Maerz_2019
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Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />
Vorwort<br />
in der heutigen Ausgabe unseres beliebten Stadt-<br />
Bild Magazins widmen wir uns wieder einigen sehr<br />
interessanten Themen. Die Geschichte der Stadt<br />
Görlitz war und bleibt wechselhaft. Freud und Leid<br />
liegen da oft nah beieinander. So auch bei dem<br />
Thema, das jeden von uns berührt, dem lieben<br />
Geld. Was die wenigsten unter uns vielleicht wissen,<br />
die Stadt Görlitz prägte auch unter der böhmischen<br />
Krone bereits ab 1220 ihr eigenes Münzgeld.<br />
Dieser wechselvollen Geschichte widmet sich<br />
unser erster Beitrag.<br />
In Fortsetzung der Lebensgeschichte des bedeutenden<br />
Görlitzer Baumeisters Gerhard Röhr bringen<br />
wir den letzten Teil der Biographie, bevor wir<br />
in den folgenden Heften einzelne bedeutende<br />
Bauwerke von ihm vorstellen.<br />
Der Beitrag „Kirchen auf Wanderschaft“ wird vielleicht<br />
verwundern. Aber auch die Geschichte ging<br />
an vielen prächtigen alten Kirchenbauten nicht<br />
spurlos vorbei. Auch sie wurden aus politischen<br />
und wirtschaftlichen Gründen oft schon früher abgebrochen,<br />
aber im Gegensatz zur heutigen Zeit<br />
blieb es nicht nur beim Abbruch, sondern sie wurden<br />
teilweise mit viel Mühe anderen Orts wieder<br />
aufgebaut. So auch in unserer Region, wo dem<br />
Braunkohleabbau so manches sakrale, aber auch<br />
gewerbliches Bauwerk zum Opfer fiel. Doch nicht<br />
nur der Industrialisierung, auch Naturereignissen<br />
und schweren Bränden zerstörten so manches<br />
wertvolle, historisches Bauwerk. Jüngstes trauriges<br />
Beispiel ist der verheerende Brand der ehemaligen<br />
Maschinenfabrik Roscher vom 25. Februar<br />
<strong>2019</strong> in der Görlitzer Reichenbacher Straße 3.<br />
Dieses denkmalgeschützte Industrieensemble<br />
wurde durch eine Großbrand zerstört, welcher<br />
durch Fahrlässigkeit ausbrach. Mehrere kleinere<br />
und mittlere Betriebe befanden sich auf dem<br />
Grundstück, deren Existenzen innerhalb weniger<br />
Stunden durch die Flammen vernichtet wurden.<br />
Unter diesen Betrieben befanden sich auch etliche<br />
treue Kunden unseres Verlages. Wir haben<br />
dies zum Anlaß genommen und gehen in einem<br />
Sonderbeitrag auf die wechselvolle Geschichte der<br />
Maschinenfabrik Roscher in den letzten 130 Jahren<br />
bis zur Gegenwart ein.<br />
Erfahrungsgemäß dauern die rechtlichen Fragen<br />
nach Ursache und Haftung bei derartigen Großbränden<br />
immer etwas länger, so dass auch die Geschädigten,<br />
die jetzt ohne Einnahmen da stehen,<br />
zumeist lange auf die Leistungen ihrer Versicherungen<br />
warten müssen.<br />
Wir dürfen Sie, liebe Leser und Leserinnen und unsere<br />
lieben Inserenten und Interessierte deshalb<br />
höflichst bitten, entsprechend ihren Möglichkeiten<br />
auch einen Beitrag zur Linderung der Not für die<br />
Mitarbeiter und Unternehmer der betroffenen Firmen<br />
zu leisten. Die Sparkasse Oberlausitz-Niederschlesien<br />
hat kurzerhand ein Spendenkonto:<br />
IBAN DE........................<br />
eingerichtet. In der Hoffnung, dass Sie liebe Leser<br />
sich auch an der Hilfsaktion beteiligen, verbleiben<br />
wir Ihre, nicht nur an historischen, sondern auch<br />
an aktuellen Beiträgen, interessierte<br />
<strong>StadtBILD</strong>-Redaktion<br />
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Einleitung<br />
3
Die Münzen der Stadt Görlitz –<br />
Görlitzer Münze<br />
Heller, sogen. Kattersinken (Katterfinken); 2. Hälfte 15. Jhd. (Böhmische Krone); Stadt Görlitz<br />
Foto: Görlitzer Sammlungen<br />
Die Stadt Görlitz prägte bald nach ihrer<br />
Gründung (um 1220) Münzen, allerdings<br />
wohl nur als Pächterin, denn das Münzrecht<br />
stand zunächst dem Landesherrn<br />
zu. Aus dieser Zeit hat sich in Linda im<br />
Jahre 1791 eine Reihe Brakteaten (Hohlmünzen)<br />
mit der Aufschrift Gorlitz vorgefunden,<br />
die, weil sie die böhmische<br />
Krone zeigen 3), wohl noch vor 1253 liegen<br />
4). Um 1300 befand sich der Lehnbesitz<br />
der Münze in den Händen des<br />
Apecz von Radeberg oder Apecz aus der<br />
Münze; wahrscheinlich sein unmittelbarer<br />
Nachfolger war Heinrich von Salza,<br />
der mit der Stadt einen heftigen Streit<br />
hatte. Beide haben sicher geprägt. 1330<br />
übertrug König Johann das Münzrecht<br />
der Stadt, und sein Sohn Karl IV. bestätigte<br />
das in der goldenen Bulle. Leider<br />
ist bis jetzt kein Görlitzer Münzstück aus<br />
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4<br />
Geschichte
Ratsarchivar und Historiker Richard Jecht<br />
Görlitzer Münze<br />
dem 14. Jahrhundert gefunden. 1429 erlaubte<br />
König Sigmund, daß die Görlitzer<br />
„eine silberne Münze erheben und machen<br />
könnten, nämlich Pfennige, deren<br />
7 oder 6 einen böhmischen Groschen,<br />
und auch Heller, deren 12 oder 14 auch<br />
einen böhmischen Groschen gelten und<br />
wert seien“. Doch hat man in Görlitz<br />
nicht sofort geprägt, sicher nicht bis<br />
1434. Ob schon 1437, ist auch zweifelhaft.<br />
Gewiß ist, daß man 1449 zu münzen<br />
begann. Ob ein Hohlpfennig mit der<br />
Krone, den die Forscher in diese Zeit unserer<br />
Stadt zuschreiben wollen, wirklich<br />
in Görlitz geprägt sei, wage ich nicht zu<br />
entscheiden. Für die neue Münze erwarb<br />
man - auch das ist ein Zeichen, daß die<br />
Münze seit sehr langer Zeit geruht hatte<br />
- ein besonderes Haus, jetzt Untermarkt<br />
7, den Teil des Rathauses, in dem sich<br />
jetzt die erste Dienststelle befindet.<br />
Über die rege Tätigkeit, die nunmehr von<br />
1449-1470 in diesem neuen Münzhause<br />
begann, haben wir durch zwei gleichzeitige<br />
Münzbücher die ausführlichsten<br />
Nachrichten. 1468 wurde allein eine<br />
Summe von 540000 damaliger Görlitzer<br />
Zahlgroschen in Pfennigen und Hellern<br />
(Halbpfennigen), das sind allein in Pfennigen<br />
3780000 Stück, ausgeprägt. Die<br />
ersten Prägungen - die Gregor Seliger<br />
und Bibersteiner, nach den Bürgermeistern<br />
genannt - waren die besten. Der<br />
Silbergehalt betrug mehr als 5 Lot; die<br />
Hauptseite hat die Schrift Gor oder auch<br />
bloß G im Weckenkreise, der wiederum<br />
in einem Viereck steht, die Rückseite<br />
einen böhmischen Löwen im Weckenkreise;<br />
später tritt statt des Löwen die<br />
böhmische Krone auf, noch später, als<br />
das Korn geringer wurde, fiel auch das<br />
Viereck (Quadrangel) weg. Die Görlitzer<br />
Pfennige sind in Größe, Gehalt und<br />
Gewicht sehr verschieden; merkwürdig<br />
ist, daß eine bestimmte Grenze, wo die<br />
kleinen Pfennige oder Heller anfangen,<br />
nicht wahrnehmbar ist. Es sind ihrer in<br />
den Münzsammlungen noch sehr viele<br />
vorhanden, allerdings darunter auch viel<br />
„böse“, „schottische“ und „gottische“<br />
Pfennige. Noch vor 40 Jahren fand man<br />
in alten Görlitzer Häusern an versteckten<br />
Orten die unansehnlichen Stücke<br />
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Geschichte 5
Die Münzen der Stadt Görlitz –<br />
Görlitzer Münze<br />
hier und da verstreut. Außer den Pfennigen<br />
und Hellern schlug Georg Emmerich<br />
noch eine geringe Anzahl zwifiche (zweifache)<br />
oder große Pfennige, von denen<br />
sich freilich, soweit bekannt, keiner erhalten<br />
hat. Groschen hat Görlitz nie geprägt,<br />
nur zwei Probehalbgroschen und<br />
ein Probeheller aus dem Jahre 1516 lassen<br />
sich nachweisen; ein Probegroschen<br />
und ein Probeheller sind erhalten. Zwei<br />
Görlitzer Pfennige galten einen böhmischen<br />
Pfennig, 7 Görlitzer Pfennige oder<br />
15 Görlitzer Heller machten einen Zahlgroschen<br />
aus.<br />
Pfennige und Heller waren Scheidemünzen,<br />
bei größeren Zahlungen genügten<br />
sie nicht. Man mußte eine „Handelsmünze“<br />
haben. Als solche kursierten vor allem<br />
böhmische Groschen, die man noch<br />
jetzt hier und da in der Oberlausitz vergraben<br />
und versteckt findet, dann meißensche<br />
Groschen, von denen einer um<br />
1455 14/25 (0,56 böhmische Groschen)<br />
ausmachte, hessische Groschen, vor<br />
allem aber ungarische und rheinische<br />
Gulden. Diese Goldgulden, besonders<br />
die ungarischen Gulden (später Dukaten<br />
genannt) gaben im Laufe der Zeit,<br />
wo das Silber immer mehr fiel und auch<br />
die Prägungen in kleineren Silberstücken<br />
immer schlechter ausfielen, geradezu<br />
den Gradmesser für die Silbermünzen.<br />
Nach meinen Zusammenstellungen galt<br />
1434 der ungarische Gulden 27 Görlitzer<br />
Zahlgroschen, der rheinische 21,<br />
1446 der ungarische 30, der rheinische<br />
24, 1454 der ungarische 34, 1465 der<br />
ungarische 50, 1480 der ungarische 59,<br />
der rheinische 40, 1500 der ungarische<br />
67, 1508-1510 der ungarische 68, 1517<br />
96 Groschen (Zeit der Inflation). 1521<br />
stand der ungarische Gulden 34 breite<br />
böhmische Groschen oder 48 schlesische<br />
weiße Groschen und der böhmische<br />
breite Groschen 16 kleine Pfennige<br />
oder 8 böhmische oder weiße Pfennige,<br />
die man später alte böhmische Groschen<br />
nannte.<br />
Oft hört man die Frage, wie stellt sich der<br />
Wert dieser Pfennige, Groschen und Gulden<br />
zu dem Gelde in neuerer Zeit? Will<br />
man damit die Kaufkraft der damaligen<br />
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6<br />
Geschichte
Ratsarchivar und Historiker Richard Jecht<br />
Görlitzer Münze<br />
Münze erfahren, so muß eingestanden<br />
werden, daß man wissenschaftlich daraus<br />
eine Antwort nicht geben kann. Man<br />
wird schon nicht Rates wissen, wenn die<br />
Frage etwa so lautet, was galt ein Taler<br />
1815 und was galt er 1915? noch viel<br />
weniger, wenn man 400 bis 500 Jahre<br />
zurückgeht. Auch die Getreidepreise,<br />
die man wohl, um Klarheit zu Schaffen<br />
zugrunde legte, geben gar keinen Anhalt;<br />
gerade sie wechselten je nach der<br />
örtlichen Ernte früher vielfach mehr als<br />
jetzt. Wenn man ferner aus dem Tagelohn<br />
eines ungelernten Arbeiters von 8<br />
Pfennigen und dem eines gelernten Arbeiters<br />
von 2 bis 3 Groschen um 1430,<br />
folgend den Görlitzer Ratsrechnungen,<br />
einen Gradmesser erblicken will, so irrt<br />
man wieder; denn ein damaliger Pfennig<br />
(Heller) bestand aus Silber und muß anders<br />
gewertet werden 4) als sein entarteter<br />
kupferner Bruder der Neuzeit (vielleicht<br />
10 mal so hoch). Man hat ferner<br />
die Frage lösen wollen, indem man den<br />
eigentlichen Metallwert, die innere Güte<br />
(bonitas intrinsecus) durch Wiegen und<br />
Feingehaltproben ermittelte; das ist ja,<br />
wenn auch unter Münzopfern und nur<br />
annähernd, möglich, aber das Gold und<br />
Silber steigt und fällt wie jede andere<br />
Ware.<br />
Wir haben bis jetzt von geprägten Münzen<br />
gesprochen. Um aber das Rechnungswesen<br />
übersichtlich zu machen,<br />
bediente man sich der „Rechnungsmünzen“,<br />
die ohne selbst Münzen zu sein,<br />
eine Summe von Münzstücken darstellen.<br />
Neben dem Talent, das 40 Groschen<br />
ausmachte, finden sich in diesem Sinne<br />
Pfund, Mark, Schock, Schilling (ferto,<br />
firdung, solidus, orth). Das Pfund verschwindet<br />
in unseren Gegenden schon<br />
im 14. Jahrhundert, die Mark bleibt über<br />
600 Jahre, das Schock nimmt von etwa<br />
1380 bis 1600 die führende Rolle ein.<br />
Schilling usw. entspricht unserm Dutzend<br />
(Groschen). Die Mark Groschen<br />
polnischer Anzahl, die in Görlitz durchweg<br />
bei Rechnungen üblich war, betrug<br />
in Görlitz 48 Groschen (in Zittau 56 Groschen),<br />
das Schock 60 Groschen. Solche<br />
Rechnungen mit diesen Werten finden<br />
sich in Görlitz bis etwa 1600, dann tra-<br />
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Geschichte<br />
7
Die Münzen der Stadt Görlitz –<br />
Görlitzer Münze<br />
ten meist andere Werte ein. Der Görlitzer<br />
Groschen ist ein Zahlgroschen und<br />
entsprach dem (geprägten) polnischen<br />
Groschen von 6 oder 7 Görlitzer Pfennigen.<br />
Schon Ende des 15. Jahrhunderts war<br />
die Prägung der Görlitzer Pfennige und<br />
Heller immer schlechter geworden. Das<br />
Korn der Pfennige ging bis auf 3 Lot herab,<br />
auch wurden sie am Schrot verringert.<br />
Anfang des neuen Jahrhunderts<br />
überschwemmten vielleicht infolge der<br />
erhöhten Tuchausfuhr nach Osten polnische<br />
Groschen die Oberlausitz. Während<br />
nun ihr Kurs sonst 6 Görlitzer Pfennige<br />
betrug, rechneten die Görlitzer selbst sie<br />
zu 7 Pfennigen, wodurch der polnische<br />
Händler mit Vorliebe die Neißestadt aufsuchte<br />
und das Görlitzer Bier sich auch<br />
leichter verkaufte. Die übrige Oberlausitz<br />
litt darunter. Die polnische Münze<br />
häufte sich dadurch in der Stadt, die<br />
Zahlungen in ihr nach den meisten auswärtigen<br />
Stellen wollte und konnte man<br />
wegen Kursverlustes nicht leisten. Man<br />
trieb daher die eigene Münze mit Pfennigen<br />
und Hellern aus der Stadt. Schließlich<br />
mußte Görlitz den Schwesterstädten<br />
nachgeben und versprechen, den Kurs<br />
der polnischen Münze bis zum Frühjahr<br />
1511 auf 6 Pfennige herabzusetzen. Es<br />
suchte nun wieder in Schlesien, wo der<br />
Kurs zu 7 Pfennigen bestand, die Münze<br />
los zu werden, und da nun in Schlesien<br />
eine neue Kleinmünze eingeführt und<br />
die alte eingeschmolzen wurde, entstand<br />
plötzlich in Görlitz ein Mangel an<br />
Scheidemünzen. So ließ man denn unter<br />
dem Münzmeister Baldauf von 1510 bis<br />
1515 eine ungeheure Anzahl Pfennige<br />
im Werte von „über etzlich 100 mal 1000<br />
Schock prägen.“ So schreibt Haß, allerdings<br />
mit dem Zusatze „als man redet“!<br />
100000 Schock ergeben aber allein die<br />
unglaubliche Summe von 42 Millionen<br />
Pfennigstücken. Das Schlimme bei der<br />
Sache war, daß man in weiten Kreisen<br />
glaubte, die Münze sei geringer als früher<br />
und daß die Prägung in Wirklichkeit<br />
nachlässig wurde: Man lief den Quadrangel<br />
weg und weißte das Silber nicht, so<br />
daß die Prägung ganz undeutlich herauskam.<br />
Und diese Unklarheit des Münzge-<br />
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8<br />
Geschichte
Ratsarchivar und Historiker Richard Jecht<br />
Görlitzer Münze<br />
Heller, sogen. Kattersinken (Katterfinken); 2. Hälfte 15. Jhd. (Böhmische Krone); Stadt Görlitz<br />
Foto: Görlitzer Sammlungen<br />
bildes hatte die allerschlimmsten Folgen.<br />
Man prägte anderwärts minderwertig<br />
nach. Münzstellen in Böhmen, Schlesien<br />
(so in Bunzlau, Greiffenberg), ja bei<br />
Braunschweig gaben sich dazu her, auf<br />
Verlangen aus Eisen, Kupfer oder Kupfer<br />
mit wenig Silber die Görlitzer Pfennige<br />
nachzuschlagen. Solcher Münzen mit der<br />
Aufschrift Got und der Krone erschienen<br />
in ungeheurer Anzahl. Diese schlechten<br />
und unterwertigen Stücke strömten nun<br />
nach der Oberlausitz und Görlitz als der<br />
ursprünglichen Münzstätte in Haufen zusammen<br />
und brachten auch die echten<br />
Stücke in Verruf, so daß niemand die<br />
Görlitzer Münze mehr annehmen wollte.<br />
Es nützte auch nichts, daß der Görlitzer<br />
Rat die Annahme und Vertreibung der<br />
falschen Stücke verbot und zur Klarstellung<br />
an einem Drahte die bösen Pfennige<br />
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Geschichte<br />
9
Die Münzen der Stadt Görlitz –<br />
Görlitzer Münze<br />
am Weinkeller und an der Waage aushängen<br />
ließ. Es hieß damals, mindestens<br />
der zehnte Teil der laufenden Münze sei<br />
falsch. Mähren, Böhmen, Schlesien (Löwenberg,<br />
Bunzlau, Sagan, Hirschberg),<br />
die Bergstädte Graupen, Annaberg und<br />
andere, etliche Städte in der Niederlausitz<br />
„verriefen“ das Görlitzer Geld, andere<br />
führten einen hohen „Aufsatz“ (Agio)<br />
ein. Infolgedessen wurde die Münzeinfuhr<br />
in der Oberlausitz immer größer. Mit<br />
ihr kamen die Händler von allenthalben<br />
und kauften alle Ware, die sie bekommen<br />
konnten, bezahlten anscheinend<br />
viel, aber alles in Görlitzer Pfennigen. So<br />
fiel deren Kurs reißend schnell: Gingen<br />
früher zwei Pfennige Görlitzer auf einen<br />
Pfennig böhmisch, so galt der böhmische<br />
Pfennig jetzt 3 bis 4 Pfennige Görlitzisch.<br />
Um großen Verlusten zu entgehen, forderten<br />
die Kaufleute starkes Aufgeld<br />
(25-33 %). Der ungarische Gulden stieg<br />
auf 96 (bisher 68) Groschen. Die Preise<br />
der Lebensmittel und der Industrieprodukte<br />
erhöhten sich gewaltig. Freilich<br />
hatten manche Handelsleute und Handwerker<br />
(so Tuchmacher und Gerber)<br />
großen Vorteil; wer nur immer Görlitzer<br />
Münze hatte, mochte er einheimisch<br />
oder auswärtig sein, dem war nichts<br />
beim Einkaufe von Spezereien, Tuch,<br />
Leder, Eisen und dergl. zu teuer. Aber<br />
der gemeine Mann, der keinerlei Waren<br />
in Händen hatte und doch Lebensmittel<br />
haben mußte, geriet in die größte Not.<br />
Eine „Inflation“, die an die Erscheinungen<br />
der Jahre 1921, 1922 und 1923<br />
erinnert - wo freilich ganz Deutschland<br />
beteiligt war - und ärgste Teurung traten<br />
ein, nicht allein in Görlitz und der Oberlausitz,<br />
sondern auch darüber hinaus,<br />
und richteten schlimmsten Schaden an;<br />
denn die Görlitzer Münze war bis dahin<br />
wegen der kleinen ausgeprägten Stücke<br />
und wegen des regen Verkehrs von<br />
und nach Görlitz sehr beliebt. Böhmen<br />
lieferte sein Getreide mehr nach Zittau<br />
und Bautzen, ebenso wenig Schlesien<br />
nach Lauban und Görlitz. Scharenweise<br />
strömten die Zittauer übers Gebirge, um<br />
Brot in Körben zu holen. Auch von weiter<br />
entfernten Gegenden der Lausitz zog<br />
und fuhr man nach Böhmen, um sich<br />
dort mit Lebensmitteln zu versorgen. Die<br />
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10<br />
Geschichte
Ratsarchivar und Historiker Richard Jecht<br />
Görlitzer Münze<br />
Bäcker bekamen kein Getreide und Mehl<br />
und konnten nicht backen. In Görlitz war<br />
man daher gezwungen, im Salzhause auf<br />
dem Obermarkte einen Getreidespeicher<br />
anzulegen und von dort aus verhältnismäßig<br />
wohlfeil die Gottesgabe zu verkaufen.<br />
Zu allem Unglück war der Winter<br />
1515/1516 naßkalt und schädigte die<br />
Saaten, so daß die Not in der Folgezeit<br />
noch stieg. - Es war nun natürlich, daß<br />
die übrigen Oberlausitzer mit Vorwürfen<br />
gegen die Görlitzer nicht zurückhielten:<br />
Sie hätten zu viel und dazu leichtfertig<br />
und schlecht gemünzt. Die Görlitzer<br />
leugneten das und schoben die Schuld<br />
an der Not auf die Fälschungen und auf<br />
das Verbot der Einfuhr ihrer Münze nach<br />
Böhmen. Städtetage in Löbau, Landtage<br />
in Bautzen, Zusammenkünfte in Prag<br />
wurden deshalb abgehalten, Botschaften<br />
gingen nach Meißen, Dresden, der<br />
Niederlausitz, der Mark und Schlesien<br />
in dieser Sache. Die Oberlausitzer forderten<br />
von Görlitz eine neue vollgültige<br />
Münze, Einziehen der bösen Stücke und<br />
Weißen der schwarzen Schrötlinge. Da<br />
das hartköpfige Görlitz hierbei Schwierigkeiten<br />
bereitete, platzten die Geister<br />
heftig aufeinander. Zittau, das in großer<br />
Sorge um das liebe Brot stand und auch,<br />
um die durstigen Kehlen zu befriedigen,<br />
eine Anleihe in Bier beim Kloster Oybin<br />
gemacht hatte, war der Meinung, in der<br />
Stadt Görlitz sei darauf hinzielend ein<br />
Schandlied gemacht und gesungen, und<br />
erregte sich darüber heftig. Am meisten<br />
erzürnte sich der Adel; es fielen Drohungen,<br />
man wolle den Görlitzern die Zufuhr<br />
sperren; in einer Sitzung mußte sich<br />
der Görlitzer Oberstadtschreiber Haß einen<br />
Lügner nennen lassen, und als er<br />
heftig auf die „Kretschamworte“ (Kneipenausdrücke)<br />
Nickels von Gersdorff<br />
auf Malschwitz erwiderte, erhob sich ein<br />
heftig Gemurmel; die Hände legten sich<br />
an die Schwerter, und nicht viel hätte<br />
gefehlt, so wären die städtischen, vornehmlich<br />
die Görlitzischen Abgesandten<br />
in Stücke gehauen. Als die Görlitzer einmal<br />
hören mußten, man wolle auch in den<br />
5 Schwesterstädten die Görlitzer Münze<br />
verbieten, da drohte die Neißestadt mit<br />
dem Austritt aus dem Sechsstädtebunde<br />
(sie wollten fürder ihre zugeordneten<br />
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Geschichte<br />
11
Die Münzen der Stadt Görlitz –<br />
Görlitzer Münze<br />
Dreikreuzer, 1623, Görlitz<br />
Foto: Görlitzer Sammlungen<br />
Freunde nicht sein 2), eine Drohung, die<br />
während dieser Wirren noch einmal wiederholt<br />
wurde. Die Stadt Görlitz gab nur<br />
insofern nach, daß sie massenhaft die<br />
alten schwarzen Münzen weißen ließ,<br />
wozu sie auch ihren Münzmeister nach<br />
Zittau, Bautzen und Kamenz schickte.<br />
Zum Prägen neuartiger und vollwertiger<br />
Münzen verstand sie sich nicht, sie legte<br />
1516 nur Proben vor. Eingeschmolzen<br />
und umgeprägt (gekörnt) wurde ebenfalls<br />
eine große Zahl alter Pfennige, die<br />
man sackweise in die Stadt brachte.<br />
Auch Privatpersonen beteiligten sich dabei.<br />
Freilich benutzte man zum Umprägen<br />
nur die besseren, die schlechteren<br />
blieben zurück und drückten noch mehr<br />
auf den Kurs. Andere Münzen als Görlitzer<br />
kamen überhaupt in der Stadt nur<br />
noch selten in Verkehr. Trotz aller Anstrengungen<br />
konnte man die böhmische<br />
Regierung nicht dazu bringen, die Görlitzer<br />
Münze wieder im Königreich zuzulassen.<br />
Zu Anfang 1518 schienen sich die<br />
Verhältnisse zu bessern. Damals machte<br />
auch Johannes Haß, der überhaupt als<br />
ein Kenner des Münzwesens uns entgegentritt,<br />
einen beachtenswerten Vorschlag,<br />
der an die Art und Weise erinnert,<br />
wie man in Deutschland am Schlusse des<br />
Jahres 1923 der Inflation Herr wurde: Er<br />
wollte das Hufengeld der Bauern und<br />
die Geldsummen, die man bei einzelnen<br />
Bürgern geborgt hatte, dazu verwenden,<br />
neue vollwertige Pfennige zu schlagen.<br />
Damit wäre man sicherlich mit einem<br />
Schlage wieder zu festen Verhältnissen<br />
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12<br />
Geschichte
Ratsarchivar und Historiker Richard Jecht<br />
Görlitzer Münze<br />
gekommen. So aber „ist der Irrtum der<br />
Münze gestanden bis ungefähr in das<br />
Jahr 1530; da hat sichs etwas gemildert<br />
und ist die Münze bemeiling (allmählich)<br />
in der Krone (Böhmen) und Schlesien<br />
angenehmer worden, sonderlich aus Gebruch<br />
(aus Bedürfnis) der kleinen Münze“<br />
derart, daß man 1534 „2, 3 auch 4<br />
Groschen auf die Mark aufgeben (darauf<br />
legen) muß auf die Polichen oder ungarische<br />
Pfennige, wenn man Görlitzische<br />
Pfennige dafür haben will“.<br />
Wie verlustreich für die Görlitzer Verwaltung<br />
der schlechte Stand der Münze<br />
gewesen ist, dafür mögen als Zeugnis<br />
die Worte Haßens aus dem Jahre 1518<br />
dienen: Der Rat hat merklichen Schaden<br />
des Irrtums (der Münzen) genommen,<br />
indem er, so er sollte Zinsen richten,<br />
Zehrung ausgeben in fremde Lande, Güter<br />
und (das Dorf) Sänitz bezahlen usw.,<br />
hat allewege vor 1 Mark böhmischer<br />
Pfennige ein Schock Görlitzer Pfennige,<br />
vor einen ungarischen Floren 2 Mark<br />
(96 Groschen) und dergleichen geben<br />
müssen; und hat doch sein Einkommen<br />
nicht anders denn an Görlitzer Münze<br />
eingenommen; und dieser und anderer<br />
Schade des Wechsels hat ein Jahr mehr<br />
aufgetragen 1), denn die ganze Nutzung<br />
des Gutes Penzig.“ Sicher aber hat gerade<br />
durch den Tiefstand der Görlitzer<br />
Münze das Exportgewerbe der Tuchmacher<br />
einen besonderen Nutzen gehabt,<br />
ähnlich wie wir in den Jahren 1921 und<br />
1922 bei Warenerzeugung in Deutschland,<br />
die für die Ausfuhr berechnet war,<br />
es erlebten.<br />
Freilich drohte bereits, bevor der Münzverfall<br />
in Görlitz eintrat, gerade der Ausfuhr<br />
der Görlitzer Tuche ein empfindlicher<br />
Schaden. Der Stadt Breslau nämlich<br />
gelang es Anfang des Jahres 1511 bei<br />
einer persönlichen Anwesenheit des<br />
Landesherrn Wladislaus, für die Hauptstadt<br />
Schlesiens eine Erneuerung ihres<br />
alten Stapelrechtes durchzusetzen.<br />
Quelle: Geschichte der<br />
Stadt Görlitz<br />
von Richard Jecht<br />
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Geschichte<br />
13
Friedrich Paul Gerhard Röhr –<br />
Architekt G. Röhr<br />
Gerhard Röhr mit Ehefrau Elise und den Kindern Käthe und Hans-Joachim, um 1904<br />
Die Zeit seiner Selbstständigkeit in Görlitz<br />
war auch die Zeit, seinem Leben eine<br />
neue Facette hinzuzufügen. Er findet die<br />
Frau seines Herzens. Am Heiligen Abend<br />
des Jahres <strong>188</strong>9 verlobt er sich mit Elise<br />
Jeschke, Tochter des Getreidehändlers<br />
August Jeschke aus dem südlich von<br />
Liegnitz liegenden Jauer (heute Jawor).<br />
Am 11.10.1890 werden beide in der<br />
Kirche St. Peter und Paul getraut. Das<br />
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14<br />
Geschichte
Leben und Werk eines bedeutenden Görlitzer Architekten<br />
Architekt G. Röhr<br />
Besuch Kaiser Wilhelm II. zur Einweihung des Reiterstandbildes seines Großvaters Wilhelm I.<br />
am 18. Mai 1893 auf dem Görlitzer Obermarkt. Das Kaiserzelt von G. Röhr<br />
junge Paar wohnte im eigenen Haus Augustastraße<br />
27, das kurz zuvor gebaut<br />
worden war. Die überaus glückliche<br />
Zweisamkeit dauerte nicht lange. Am<br />
9.8.1891 wurde Tochter Käthe geboren.<br />
Am 17.6.1897 kam Sohn Hans-Joachim<br />
auf die Welt. Dem Paar wurde ein drittes<br />
Kind, Sohn Fritz, geboren. Es starb vor<br />
Erreichen seines ersten Lebensjahres.<br />
Rückhalt und Kraft für seine anspruchs-<br />
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Geschichte<br />
15
Friedrich Paul Gerhard Röhr –<br />
Architekt G. Röhr<br />
volle Arbeit fand er in seiner harmonischen<br />
Familie und in der innigen Liebe<br />
zwischen ihm und seiner Frau Elise.<br />
Als Gerhard Röhr sein Atelier in Görlitz<br />
eröffnet hatte, herrschte in Görlitz eine<br />
große Bautätigkeit. Die <strong>188</strong>5 in Görlitz<br />
veranstaltete Gewerbe- und Industrieausstellung<br />
hatte diese Tendenz noch<br />
befördert. Es war also nicht verwunderlich,<br />
so dass die Liste der Bauten, die<br />
der junge Architekt Röhr entwarf, immer<br />
größer wurde. Die Verantwortlichen der<br />
Stadt wurden auf ihn aufmerksam, so<br />
dass Aufträge aus dieser Richtung auf<br />
ihn zukamen. So wurden nach seinen<br />
Entwürfen Festzelte für Kaiser Wilhelm<br />
II. gebaut, der 1892 das Reiterdenkmal<br />
auf dem Obermarkt für seinen Großvater<br />
Kaiser Wilhelm I. enthüllte, und<br />
ebenso 1896 vor dem Ständehaus. Diese<br />
wirtschaftlichen Erfolge gestatteten<br />
es Röhr, 1897 sein Atelier zu erweitern.<br />
Er ging eine vielversprechende Bürogemeinschaft<br />
(Bahnhofstraße 50) mit dem<br />
Architekten Paul Haebler aus Großschönau<br />
ein, die allerdings wegen des baldigen<br />
Todes von Haebler nur von kurzer<br />
Zeichenstuben und Wohnort, Biesnitzer Str. 35<br />
Dauer war. 1903 erwarb Röhr von dem<br />
Ziegeleibesitzer Wilhelm Brose auf der<br />
Biesnitzer Straße ein Grundstück. Die<br />
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16<br />
Geschichte
Leben und Werk eines bedeutenden Görlitzer Architekten<br />
Architekt G. Röhr<br />
großzügige Stadtvilla an der Biesnitzer<br />
Straße 35 war fortan das Wohnhaus der<br />
Familie Röhr. Auch sein großes Architekturbüro<br />
war hier untergebracht. Nach<br />
Röhrs Entwurf wurde für Wilhelm Brose<br />
bereits 1899 die Stadtvilla Biesnitzer<br />
Straße 36 errichtet.<br />
In diese Zeit schöpferischen Schaffens<br />
ist die Aufnahme in die Görlitzer Freimaurerloge<br />
„Zur gekrönten Schlange“<br />
einzuordnen. Am 20.10.1897 wurde<br />
Röhr gemeinsam mit dem Maurermeister<br />
und Stadtrat Oskar Voigt durch den<br />
Meister vom Stuhl August Reimann,<br />
Landgerichtsdirektor, in den Freimaurerbund<br />
aufgenommen. Röhr und Voigt<br />
wurden auch gemeinsam zu Freimaurer-<br />
Gesellen und Freimaurermeistern am<br />
26.10.1898 und 11.10.1899 befördert.<br />
Den Logenakten konnte nicht entnommen<br />
werden, wer Röhr den Logenbrüdern<br />
zur Aufnahme empfohlen hatte.<br />
Es liegt aber sehr nahe, dass dies durch<br />
den Baumeister Julius Grosser erfolgte,<br />
der bereits im November 1894 Logenmitglied<br />
wurde. Logenämter hatte Gerhard<br />
Röhr nicht.<br />
Eine lange Liste von Gebäuden, an deren<br />
Errichtung Gerhard Röhr beteiligt<br />
war, würde den Rahmen dieses Biogramms<br />
sprengen. Die nach seinen<br />
Architektentwürfen errichteten Häuser<br />
entlang der Goethestraße, Augustastraße<br />
und Carl-von-Ossietzky-Straße (ehemalige<br />
Seydewitzstraße) prägten deren<br />
Erscheinungsbild. Es sei daher dem Autor<br />
gestattet, auf folgende Objekte zu<br />
verweisen:<br />
- Rothenburger Versicherungsgesellschaft<br />
an der Furtstraße (in ein Bleiglasfenster<br />
ließ er freimaurerische Symbolik<br />
einarbeiten),<br />
- Idee und Bauleitung bei der Umgestaltung<br />
der Nikolaikirche zu einer Gedenkstätte<br />
für die Gefallenen Gemeindemitglieder<br />
im Ersten Weltkrieg,<br />
- unentgeltliche Übernahme der Bauleitung<br />
bei der Errichtung der Görlitzer<br />
Kreuzkirche, weil der eigentliche Bauleiter<br />
zum Militär eingezogen wurde,<br />
- beide Portale der Straßburg-Passage,<br />
- Verwaltungs- und Direktorengebäude<br />
der Landskron-Brauerei,<br />
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Geschichte<br />
17
Friedrich Paul Gerhard Röhr –<br />
Architekt G. Röhr<br />
Das Wilhelmtheater, der erste Großbau von G. Röhr. Baujahr <strong>188</strong>9<br />
- Gebäude außerhalb von Görlitz in Löwenberg,<br />
Greiffenberg, Seidenberg,<br />
Moys, Muskau, Weisswasser, Niesky,<br />
Penzig, Bunzlau usw.<br />
Abschließend sei noch auf seine Entwürfe<br />
von Grabstätten auf dem Görlitzer<br />
Friedhof hingewiesen, deren imposantes<br />
Aussehen heute noch bewundert<br />
werden kann. Dazu zählen zum Beispiel<br />
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18<br />
Geschichte
Leben und Werk eines bedeutenden Görlitzer Architekten<br />
Architekt G. Röhr<br />
Rothenburger Versicherungsanstalt, Atelier Teil, 1913/14<br />
die Gräber der bekannten Görlitzer Familien<br />
Brose, Mattke, Sydow, Straßburg,<br />
Schwetasch und von Witzleben.<br />
Nur wenige Jahre konnten Gerhard und<br />
Elise Röhr das traute Familienglück in<br />
ihrem großen Haus Biesnitzer Straße 35<br />
genießen. Im Juni 1908 starb Elise, erst<br />
41 Jahre alt, nach langer Krankheit. Ein<br />
wunderschöner Grabstein, nur für sie<br />
allein, steht heute noch auf der Fami-<br />
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Geschichte<br />
19
Friedrich Paul Gerhard Röhr –<br />
Architekt G. Röhr<br />
Landskron-Brauerei Direktorenzimmer<br />
liengrabstelle. Röhr konnte wegen des<br />
Todes seiner Elise ein viertel Jahr später<br />
nicht so richtig die Goldene Hochzeit seiner<br />
Eltern begehen. In seiner Wohnung<br />
heiratete am 4.7.1910 Röhr die Görlitzer<br />
Fabrikantenwitwe Elisabeth Raschke.<br />
Sie war ihm in den folgenden beiden<br />
Jahrzehnten eine wahre Stütze.<br />
Die beruflichen Erfolge von Gerhard Röhr<br />
brachten es mit sich, dass er Mitglied in<br />
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20<br />
Geschichte
Leben und Werk eines bedeutenden Görlitzer Architekten<br />
Architekt G. Röhr<br />
Oberlausitzer Gedenkhalle mit Kaiser Friedrich Museum (Ruhmeshalle) Richtfest am 25. August 1900<br />
den verschiedensten Vereinen wurde.<br />
Der Verkehrsverein, der Gewerbeverein<br />
und der Verein deutscher Ingenieure<br />
seien an dieser Stelle nur erwähnt. Zum<br />
Wohle seiner Stadt Görlitz engagierte<br />
er sich aber auch in verschiedenen<br />
Komitees: Errichtung der Gedenkhalle<br />
(im Volksmund Ruhmeshalle genannt)<br />
und der Stadthalle, der Durchführung<br />
der Gewerbeausstellung 1905 und der<br />
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Geschichte<br />
21
Friedrich Paul Gerhard Röhr –<br />
Architekt G. Röhr<br />
Villa Hagspihl Gartenpartie<br />
Schlesischen Musikfeste. Den Görlitzer<br />
Stadträten war Gerhard Röhr ein kompetenter<br />
Berater für Bauangelegenheiten.<br />
Röhr war ein treues und sehr aktives<br />
Mitglied der evangelischen Kirche.<br />
Seit 1921 war er bis zu seinem Tode Kirchenältester<br />
der Kreuzkirche. Als Abgeordneter<br />
hat er seine Kirchgemeinde im<br />
Parochialverband und der Kreissynode<br />
vertreten.<br />
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22<br />
Geschichte
Leben und Werk eines bedeutenden Görlitzer Architekten<br />
Architekt G. Röhr<br />
Dem 65-jährigen Gerhard Röhr blieb<br />
eine Teilnahme am Ersten Weltkrieg<br />
erspart. Die dem Krieg folgenden Jahre<br />
der Inflation und Wirtschaftskrise<br />
vernichteten sein Vermögen. Aber auch<br />
privates Leid ereilte Gerhard. Sein Vater<br />
starb 1922 im gesegneten Alter von 90<br />
Jahren. Seine Mutter verstarb 1910 als<br />
75-jährige. Röhr war gezwungen, um<br />
1923 sein Haus an den Carl Krahl, Besitzer<br />
einer Metallwarenfabrik, zu verkaufen.<br />
Es muss eine innige Freundschaft<br />
zur Familie Hagspihl gewesen sein, die<br />
dafür sorgte, dass Gerhard Röhr in seinem<br />
ehemaligen Haus mietfrei bleiben<br />
konnte. Trotz der Belastungen, die auf<br />
Gerhard Röhr lagen, schaffte er es, seinem<br />
Sohn Hans-Joachim den Weg in die<br />
Selbstständigkeit als Drogist zu erleichtern.<br />
Seine letzte Arbeit vollendete Gerhard<br />
Röhr mit dem Gemeindehaus der evangelischen<br />
Kirche in Weißwasser. Als<br />
bauleitender Architekt übergab er Mitte<br />
1930 dem Generalsuperintendenten<br />
die Schlüssel zu dem Haus. Bereits zu<br />
diesem Zeitpunkt war er von einer Lungenkrankheit<br />
gezeichnet, die er sich im<br />
strengen Winter 1928/29 zuzog. Viel zu<br />
spät dachte er an seine eigene Gesundheit.<br />
Ein Kuraufenthalt in Oberschlema<br />
brachte keine Linderung. Es war ihm<br />
vergönnt, die Geburt seines vierten Enkelkindes,<br />
Anna Elise Röhr, im Juli 1930<br />
noch zu erleben.<br />
Das Weihnachtsfest 1930 wurde still<br />
begangen. Gerhard Röhr erlebte das<br />
neue Jahr nicht mehr. Gegen 15.00 Uhr<br />
des 30. Dezember tat er seinen letzten<br />
Atemzug. Am 3.1.1931 nahmen in der<br />
Feierhalle des Görlitzer Krematoriums<br />
Familie, Freunde und Weggefährten von<br />
ihm Abschied.<br />
Es stände unserer Stadt sehr gut zu Gesicht,<br />
wenn eine Straße nach Gerhard<br />
Röhr benannt würde, um seine großen<br />
Leistungen und Verdienste zu würdigen.<br />
Verwendung der Bilder und Texte<br />
mit freundlicher Genehmigung<br />
von Harald Wenske<br />
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Geschichte<br />
23
Maschinenfabrik Roscher GmbH –<br />
Anteilnahme<br />
Im Jahr <strong>188</strong>8 gründete Wilhelm Roscher<br />
die (Ziegelei-) Maschinenfabrik Roscher in<br />
der preußischen Provinz Schlesien in der<br />
Stadt Görlitz. Ursprünglich in der Innenstadt,<br />
Dresdner Straße 7, angesiedelt, stellte<br />
sie bereits <strong>188</strong>9 die erste Ziegelpresse<br />
her. Noch vor der Jahrhundertwende wurde<br />
der Firmensitz auf die Reichenbacher<br />
Straße 3 (damals hieß diese noch äußere<br />
Rauschwalder Straße) verlegt.<br />
Die dort bereits bestehende Ziegelei wurde<br />
nun als Versuchsziegelei in die Produktion<br />
einbezogen, die anliegenden Bahnschienen<br />
machten den Standort optimal.<br />
Wilhelm Roscher galt als Spezialist für<br />
Dampfmaschinenbau. So wurden neben<br />
Ziegeleimaschinen auch Dampfmaschinen<br />
bis 100 PS hergestellt. Im Jahr 1899 wurde<br />
der Standort auf der Dresdner Straße<br />
geschlossen, bereits ab 1907 wurden ausschließlich<br />
Ziegeleimaschinen hergestellt.<br />
Der Name Maschinenfabrik Roscher wurde<br />
bis heute beibehalten und spiegelt sich in<br />
dem Kürzel „MARO“ wider.<br />
Am 10.9.1904 wurde eine GmbH gegründet,<br />
und bereits im Jahr 1914 erfolgte die<br />
Anteilsübernahme durch Dr. jur. Maximilian<br />
Hollaender (meinem Großvater) und Carl<br />
Lehmann (dessen Schwiegervater). Im<br />
Jahr 1917 wurde die alte Ziegelei abgebrochen<br />
und durch ein modernes Versuchswerk<br />
ersetzt.<br />
Zu je einem Drittel erbten die 3 Kinder meines<br />
Großvaters die Maschinenfabrik Roscher.<br />
Von 1933 bis 1945 war mein Vater<br />
Jochen Hollaender als Geschäftsführer der<br />
MARO tätig. Darüber hinaus war er aber<br />
auch jahrelang im Aufsichtsrat der „Görlitzer<br />
Aktien Brauerei“ - und besaß auch<br />
namhafte Anteile der Landskron Brauerei<br />
Görlitz.<br />
Wegen der Kriegswirren und der Demontage<br />
der Maschinen (während des Krieges<br />
wurden auch in der MARO Kriegsmaterialien<br />
hergestellt) hatte mein Vater von der<br />
ehemaligen Ziegeleimaschinenfabrik nur<br />
noch leere Hallen. Eine Wiederaufnahme<br />
der Produktion von Ziegeleimaschinen war<br />
ausgeschlossen. Es fehlte an allem, und<br />
so nutzte er den in dieser Zeit rechtsfreien<br />
Raum. Zusammen mit seinem besten<br />
Freund, welcher durch Kinderlähmung<br />
stark körperbehindert war, zogen sie durch<br />
die Straßen der Stadt und bargen alte Fahr-<br />
Gesponsert von der GWZ.io<br />
24<br />
Unsere Anteilnahme gilt den betroffenen Firmen.
Aus der Geschichte bis zur Katastrophe <strong>2019</strong>.<br />
Anteilnahme<br />
Gelände der Firma Roscher um 1925<br />
zeuge der Deutschen Wehrmacht, die stark<br />
beschädigt zurückgelassen worden waren.<br />
Mein Vater wurde dabei aufgrund seiner<br />
Beinamputation von seinem Kumpel auf<br />
dem Leiterwagen gezogen. Die geborgenen<br />
Fahrzeuge ließ mein Vater in der MARO<br />
Fabrik entweder reparieren oder nutzte sie<br />
als Ersatzteilspender. Später wurde der<br />
Schwerpunkt auf die Produktion von Anhängern<br />
gelegt. Kurze Zeit später gründete<br />
er die Taxi-Innung der Stadt Görlitz und<br />
betrieb eine Spedition. Somit legte mein<br />
Vater den Grundstein für das spätere KFZ-<br />
Instandsetzungswerk. Ende 1951 flüchtete<br />
mein Vater mit der Familie vor dem DDR-<br />
Regime - übrigens kurz nach meiner Geburt.<br />
Somit kam es zur Enteignung und zur<br />
Liquidation in den Jahren 1951 bzw. 1954.<br />
Aus dem historischen Areal der Maschinenfabriken<br />
Roscher wurde 1958 der „VEB Autoreparaturwerk<br />
Görlitz“, welcher bis 1990<br />
betrieben wurde. Andere Teile des MARO<br />
Areals wurden an den Görlitzer Maschinenbau<br />
Bergmann-Borsig verpachtet.<br />
Gesponsert von der GWZ.io<br />
Bitte helfen auch Sie in der größten Not !<br />
25
Maschinenfabrik Roscher GmbH –<br />
Anteilnahme<br />
Seit 2009 - Sitz der Firma Autoglas Görlitz GmbH<br />
Ab 1990 übernahm die Treuhand unter<br />
dem Namen: „Auto-Service Görlitz GmbH“<br />
die MARO - Immobilie. 1992/93 erfolgte<br />
die Reprivatisierung der Maschinenfabrik<br />
Roscher GmbH. Am 1.7.1993 wurde die<br />
Zweitfirma „Auto Roscher Team GmbH“<br />
gegründet.<br />
Unter diesem<br />
Namen dürfte<br />
das Objekt an<br />
sich noch vielen<br />
Görlitzern<br />
bekannt sein.<br />
Meines Wissens<br />
von der<br />
Treuhand vorgegeben,<br />
konzentrierte<br />
man<br />
sich hier auf<br />
die Automarken<br />
Iveco, Fiat und<br />
Lancia. Nach<br />
relativ kurzer<br />
Zeit kamen die<br />
Eigentümer jedoch<br />
ihren Zahlungsverpflichtungen<br />
– auch mir gegenüber – nicht mehr<br />
nach, so dass die MARO erneut, mit allen<br />
rechtlichen Konsequenzen und enormen<br />
finanziellen Verlusten zurückübertragen<br />
wurde.<br />
Michael Hollaender (aus <strong>StadtBILD</strong> Ausgabe 107)<br />
Gesponsert von der GWZ.io<br />
26<br />
Unsere Anteilnahme gilt den betroffenen Firmen.
Aus der Geschichte bis zur Katastrophe <strong>2019</strong>.<br />
Anteilnahme<br />
Großbrand am 25. Februar <strong>2019</strong> gegen 14 Uhr<br />
Im vergangenden Jahr konnten die Mieter<br />
des Maro Gewerbeparks Görlitz gemeinsam<br />
mit Vertretern der Eigentümergesellschaft<br />
das 130 jährige Bestehen der MAschinenfabrik<br />
ROscher feiern.<br />
Seit dem 25.<br />
Februar <strong>2019</strong><br />
ist nun aber alles<br />
anders - ein<br />
Großbrand vernichtet<br />
einen<br />
Großteil des Immobilienkomplexes<br />
und erstickt<br />
Illusionen.<br />
Gegen 14.00 Uhr<br />
wird die Feuerwehr<br />
alamiert,<br />
der starken<br />
Rauchentwicklung<br />
folgen offene<br />
Flammen.<br />
In wenigen Minuten<br />
brennt<br />
der komplette<br />
Dachstuhl des<br />
Hauptgebäudes und greift straßenseitig in<br />
den Zwischenbau über.<br />
Einsatzkräfte von Polizei, Feuerwehr, Ordnungsamt<br />
und THW leisten über Stunden<br />
hinweg fantastische Arbeit. Ihnen gilt besonderer<br />
Dank.<br />
Gesponsert von der GWZ.io<br />
Bitte helfen auch Sie in der größten Not !<br />
27
Maschinenfabrik Roscher GmbH –<br />
Anteilnahme<br />
Noch am Folgetag mußte weiter gelöscht werden.<br />
Auch in der Nacht und am Folgetag müssen<br />
immer wieder kleinere Brände gelöscht werden.<br />
Es grenzt an ein Wunder, das zum Einen<br />
der sich auf dem Gelände befindliche Gastank<br />
nicht explodiert ist, zum Anderen sich<br />
der Brand nicht auf das Verwaltungsgebäude<br />
und weitere Hallen ausgebreitet hat.<br />
Trotzdem sind fast alle Mieter von dem Brand<br />
betroffen, sämtliche Medien funktionieren<br />
nicht mehr.<br />
Allerdings sind<br />
viele Görlitzer<br />
Unternehmen in<br />
dem Objekt völlig<br />
ausgebrannt z.B.<br />
die Firma Autoglas,<br />
RKW und<br />
Autopflege.<br />
Es sind weitere<br />
Firmen massiv<br />
von Brand- und<br />
Löschwasserschäden<br />
betroffen<br />
so. z.B. die SF<br />
Lackiererei, Sanitärinstallation<br />
Hille<br />
und Reinhardt<br />
und die Gebäudereinigung Hoppadietz um<br />
nur einige zu bezeichnen.<br />
Görlitzer Firmeninhaber, die viele Jahre hart<br />
gearbeitet haben und deren Angestellte -<br />
Es ist eine menschliche Tragödie, die sich in<br />
den Gedanken nur ein klein wenig dadurch<br />
mindern lässt, das es wie durch ein Wunder<br />
keine Toten gibt.<br />
Gesponsert von der GWZ.io<br />
28<br />
Unsere Anteilnahme gilt den betroffenen Firmen.
Aus der Geschichte bis zur Katastrophe <strong>2019</strong>.<br />
Anteilnahme<br />
Neben furchtbaren Spekulationen, wilden<br />
Hetzattacken und weiteren unschönen Szenen<br />
wird von ganz vielen Seiten Hilfsbereitschaft<br />
signalisiert.<br />
In den nächsten Tagen wird die Homepage<br />
der Maro, www.maro-goerlitz.de wieder<br />
aquiriert. Hier erfolgen dann auch neben den<br />
lokalen Medien weitere Informationen.<br />
Es ist geplant spezifisch und ausschließlich<br />
für die betreffenden Mieter ein Spendenkonto<br />
einzurichten. Dieses Konto wird in Eigenverantwortung<br />
der Mieter geführt.<br />
Wir bitten an dieser Stelle dringend um<br />
Geldspenden für die Mieter - viele auch hier<br />
namentlich nicht erwähnte stehen vor dem<br />
wirtschaftlichen Fiasko. Durch diesen Brand<br />
haben sich furchtbare menschliche Tragödien<br />
abgespielt.<br />
Ungeachtet dessen waren Vertreter der Eigentümer<br />
vor Ort.<br />
Der Wiederaufbau unter Beachtung der Erhaltung<br />
der historischen Front- und Seitenansicht,<br />
aber auch die Erhaltung des Industrieschornsteins<br />
ist das erklärte Ziel.<br />
OB Deinecke war am 26. und 27. Februar<br />
zu Gesprächen im Objekt . Er konnte zusichern,<br />
das von Seiten der Stadt alle Weichen<br />
für ein schnelles unbürokratisches Handeln<br />
zugesichert wird. Viele weitere, u.a. der Abgeordnete<br />
Octavian Ursu (CDU) , aber auch<br />
Firmen und Privatpersonen bieten Hilfe an.<br />
Wir sind dankbar für jegliche Informationen<br />
und Hilfen die uns als vom Großbrand Betroffene<br />
zuteil werden.<br />
Im Gespräch mit den Mietern kristallisiert<br />
sich heraus, dass man auf dem Maro Gelände<br />
verbleiben möchte.<br />
Hauptaugenmerk dient jetzt der Objektsicherung,<br />
der Notversorgung mit Strom und<br />
Wasser für noch bestehende Gebäudeteile.<br />
Vermutlich werden Bürocontainer und eine<br />
Leichtbauhalle aufgestellt, alles ist in der<br />
Planungsphase und kann hoffentlich zeitnah<br />
realisiert werden.<br />
Egal wie, aber Helfen ist toll. Wir bitten an<br />
dieser Stelle alle Görlitzer zur Unterstützung,<br />
verfolgen Sie die weiteren Ereignisse auf<br />
unserer Homepage! Geldspenden kommen<br />
ausschließlich den Mietern und nicht der Eigentümergesellschaft<br />
zu Gute.<br />
Für weitere Hilfsangebote bitte über E-Mail:<br />
loewe.six@t-online.de Kontakt aufnehmen.<br />
Selbst historisches Bildmaterial kann<br />
schon helfen.<br />
Anke Klaus<br />
Gesponsert von der GWZ.io<br />
Bitte helfen auch Sie in der größten Not ! 29
Kirchen auf Wanderschaft –<br />
Neue Kirche am Butterhübel Olbersdorf<br />
In Anlehnung an das überlieferte Kinderlied<br />
„Taler, Taler du musst wandern von<br />
der einen Hand zur anderen“ handelt es<br />
sich im folgenden jedoch um Kirchen, die<br />
sich auf Wanderschaft begeben. Doch<br />
wie soll denn das wohl gehen? Meist<br />
mussten über Jahrzehnte angestammte<br />
Kirchen ihren Standort in der Lausitz<br />
verlassen, um dem Braunkohlen-Abbau<br />
zu weichen. Nicht nur ganze Ortschaften<br />
fielen ihm zum Opfer und verschwanden<br />
für immer von der Landkarte. Menschen<br />
wurden umgesiedelt, waren heimatlos,<br />
ihren sozialen Kontakt entzogen. Allerdings<br />
bieten sich Vergleiche mit der<br />
gegenwärtigen Vertreibung auf Grund<br />
anzeige<br />
30<br />
Geschichte
für den Braunkohleabbau<br />
Kirchen<br />
Hoffnungskirche Görlitz − Königshufen<br />
ethnischer Auseinandersetzungen nur<br />
bedingt an. Bereits im Jahre 1975 erfolgte<br />
die Umsiedlung der Einwohner<br />
von Olbersdorf (Niederdorf) bei Zittau,<br />
um dem Tagebau „Glück auf“ zu weichen.<br />
Eigens dafür wurden im Ortsteil<br />
mehrstöckige Ersatzbauten errichtet, im<br />
Volksmund als „Golan-Höhe“ bekannt.<br />
Im Jahre 1984 fand der letzte Gottesdienst<br />
in der Olbersdorfer Kirche statt.<br />
Nach deren Abriss wurde an dieser Stelle<br />
das alte Turmkreuz und eine Gedenktafel<br />
am Kirchberg angebracht. Der Blick<br />
fällt auf den später entstandenen und<br />
beliebten Olbersdorfer See, sowie Freizeitoase.<br />
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Geschichte<br />
31
Kirchen auf Wanderschaft –<br />
Barocke Nochtener Kirche aus dem Jahr 1748<br />
Bereits im Jahre 1986 erfolgte die Grundsteinlegung<br />
für den Bau einer neuen Kirche<br />
mit Glockenturm am „Butterhübel“<br />
des Ortes. Ein ähnliches Schicksal erlitt<br />
die ehemalige Gemeinde Deutsch-Ossig<br />
bei Görlitz. Auch deren Kirche musste der<br />
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32<br />
Geschichte
für den Braunkohleabbau<br />
Kirchen<br />
Braunkohle weichen. Statt eines totalen<br />
Abrisses entschied man sich für eine akribische<br />
Demontage und den Wiederaufbau<br />
in Königshufen, einem Stadtteil von<br />
Görlitz. Dort ist sie als Gotteshaus und<br />
Veranstaltungsort nicht mehr wegzudenken.<br />
In Nochten konnte die Kirche inmitten<br />
des ausgedehnten Kohlebeckens in<br />
unmittelbarer Nachbarschaft zum Findlingspark<br />
überleben. Statt feierlichem<br />
Orgelklang klingt gewaltig der Sound der<br />
Bagger und Förderbänder herüber.<br />
Um eine spektakuläre Wanderung handelt<br />
es sich bei der „Kirche Wang“ im<br />
benachbarten Karpacz (VR Polen). Diese<br />
mittelalterliche norwegische Holzkirche<br />
sollte ursprünglich abgerissen werden<br />
und in Oslo wiederaufgebaut werden,<br />
wurde jedoch im Jahre 1841 vom preußischen<br />
König Friedrich Wilhelm IV. für<br />
427 Mark erworben und ohne eiserne<br />
Nägel mit einem frei stehenden Glockenturm<br />
wiederaufgebaut.<br />
Am 28. Juli 1844 fand in Anwesenheit<br />
des Königs die feierliche Einweihung<br />
statt. Wiederum stand ein sakrales Bauwerk<br />
aus dem Jahre 1517, eine spätgotische<br />
Hallenkirche in Most (Tschechien),<br />
ehemals Brückenberg, den Braunkohlebaggern<br />
im Weg. Im Jahre 1964 wurde<br />
wegen nachhaltiger Braunkohlevorkommen<br />
beschlossen, die gesamte Altstadt<br />
abzureißen. Als eine ingenieurtechnische<br />
Meisterleistung gilt es noch heute weltweit,<br />
als im Jahre 1975 die Dekanatskirche<br />
„Mariae Himmelfahrt“ als einziges<br />
historisches Gebäude, 10000 Tonnen<br />
schwer, im Zeitraum von 5 Jahren um 1<br />
Kilometer (exakt 841 Meter) auf Schienen<br />
verschoben wurde. Ein ähnliches Schicksal<br />
widerfuhr der Kirche in Heuersdorf,<br />
wo das gesamte Dorf dem Bergbau weichen<br />
musste. Nur die „Emmaus-Kirche“<br />
wurde gerettet. Im Zeitraum vom 23.<br />
bis 31. Oktober 2007 wurde die Kirche<br />
in einem Stück ins 12 km entfernte Borna<br />
umgesetzt, wobei über 50 Firmen der<br />
Region am Transport beteiligt waren. Mit<br />
einem Gewicht von insgesamt 660 Tonnen,<br />
einer Länge von 14,5 einer Breite<br />
von 8,5 und einer Höhe von 19,6 Meter<br />
mussten 2 Hochspannungsleitungen unterfahren,<br />
2 Bahnübergänge gekreuzt, 2<br />
Flüsse und Engstellen passiert werden.<br />
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Geschichte<br />
33
Kirchen auf Wanderschaft<br />
Stabholzkirche Wang in Karpacz (Polen), beliebtes Ausflugsziel im polnischen Riesengebirge<br />
Das Ziel konnte am 30.10.2007, ein Tag<br />
früher als geplant am neuen Standort in<br />
Borna erreicht werden. Wie viele Taler<br />
(Euro) bei einer solchen Wanderschaft<br />
allerdings von einer Hand in die andere<br />
gelangt sind, konnte leider nicht ex-<br />
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34<br />
Impressum:<br />
Herausgeber (V.i.S.d.P.):<br />
incaming media GmbH<br />
Geschäftsführer:<br />
Andreas Ch. de Morales Roque<br />
Carl-von-Ossietzky Str. 45<br />
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Anzeigenschluss für die April-Ausgabe:<br />
15. März <strong>2019</strong><br />
Redaktionsschluss: 20. März <strong>2019</strong><br />
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