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152_StadtBILD_Maerz_2016

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Leserbrief<br />

Der Leidensweg eines Görlitzer Jungen –<br />

Aus Dresden erreichte uns der folgende<br />

Leserbrief: Mit großer Ungeduld wartet<br />

mein Mann jeden Anfang des Monats auf<br />

„sein“ <strong>StadtBILD</strong>. Das kleine Heftchen<br />

ist die letzte zuverlässige Verbindung zu<br />

seiner Heimatstadt. Um diese Wichtigkeit<br />

zu verstehen, bedarf es einer Erklärung.<br />

Mein Mann wurde 1939 in Görlitz geboren,<br />

Er hatte noch vier Geschwister. Die<br />

zwei „Großen“ waren damals schon Soldaten.<br />

Sein Vater verstarb 1940. Nun mußte<br />

die Mutter die Familie durch die Kriegszeit<br />

bringen. Oft hielt sich mein Mann, damals<br />

vier-fünfjährig, bei seiner verwitweten<br />

Großmutter an der Bahnhofstraße auf.<br />

Ein großes warmes Bett und der Geruch<br />

von Biersuppe ist in der Erinnerung und<br />

wie die Panzer und Soldaten, die auf dem<br />

Bahnhof „verladen“ wurden. Aber bald<br />

wurde die Familie selbst verladen. Auf<br />

Lastautos verstaut, ging es heraus aus<br />

der Stadt wie viele Görlitzer 1945. Die<br />

Familie wurde getrennt, und er war mit<br />

seiner 75jährigen Oma allein. Sie erlebten<br />

eine furchtbare Zeit. Mein Mann erinnert<br />

sich an Feuer, Rauch, tote Menschen und<br />

hat Friedhofsgeruch in der Nase, denn<br />

sie versteckten sich unter den verwelkten<br />

Blumen und Kränzen auf den Friedhöfen.<br />

Manchmal erhielten sie ein Stück Brot.<br />

Der Hunger war neben der Angst wohl<br />

das Schlimmste. Ein kleiner Topf hing am<br />

Gürtel des Fünfjährigen. Er hörte etwas<br />

von Budysin, das klang so wie Pudding,<br />

und freute sich auf das gefüllte Töpfchen<br />

- aber leider umsonst. Die „Wanderung“<br />

der beiden ging weiter. Der kleine Junge<br />

erinnerte sich an ausgebrannte Schiffe<br />

und Häuser. Später erfährt er, dass sie sich<br />

in Wien-Neustadt befinden. Hier erkrankt<br />

seine Oma. Als er von einer „Essensuche“<br />

mit einem Stück Brot zurückkommt, ist<br />

seine Oma tot. Er will oder kann es nicht<br />

begreifen und wärmt seine Oma mit seinem<br />

Körper. Am nächsten Tage nehmen<br />

„Fremde“ die Oma mit. Seine Erinnerung<br />

ist nun nur noch ein schwarzes Loch. Sie<br />

beginnt wieder im Kloster Neuburg am<br />

Inn. Dort haben ehemalige schlesische<br />

Schwestern sich der Kriegswaisen angenommen.<br />

Seine Mutter hat von Görlitz aus<br />

versucht, Erfahrungen über den Verbleib<br />

ihrer Mutter und ihres Sohnes einzuziehen.<br />

Es dauert fast zwei Jahre, bis sie<br />

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