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Was ist eine Kurzgeschichte? - SpecFlash

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92<br />

kurzgeschichte<br />

Stolz und Eitelkeit. Sie fühlte sich wie <strong>eine</strong><br />

verwunschene Prinzessin.<br />

All das sollte sie in Zukunft unter der eintönigen<br />

Schwesterntracht verbergen, wenn es<br />

nach der Oberin ging. Diese makellose Haut, die<br />

zierliche Taille, die schönen, langen B<strong>eine</strong>? Alles<br />

in Daniela wehrte sich gegen diese Vorstellung.<br />

So, wie sie sich gerade da im Spiegel betrachtete,<br />

würde ihr die Welt offen stehen, würde sie<br />

Männerherzen höher schlagen lassen. So wollte<br />

sie leben und nicht anders!<br />

Die Nonnen hatten den Mädchen schon früh<br />

alle kl<strong>eine</strong>n Schmuckstücke untersagt. »Wenn<br />

man nachts in den Spiegel sieht, guckt der Teufel<br />

heraus«, dieses altväterliche Sprichwort hatten<br />

sie den heranwachsenden Kindern immer<br />

wieder vorgehalten.<br />

‚Lächerlich’, dachte Daniela jetzt, als sie sich<br />

daran erinnerte.<br />

Mit der Gewissheit, <strong>eine</strong> Entscheidung über<br />

ihre Zukunft getroffen zu haben, legte sie sich<br />

auf ein ausrangiertes Sofa und kuschelte sich<br />

zufrieden in die nach Mottenkugeln duftenden<br />

Wolldecken.<br />

Ihr Schlaf war unruhig. Nicht nur die ungewohnte<br />

Umgebung machte Daniela zu schaffen,<br />

viel mehr der Alptraum, der sie quälte.<br />

Dabei fing er so harmlos an: Daniela sah sie sich<br />

erneut vor diesem kunstvollen, alten Spiegel<br />

stehen in dem bezaubernden, schwarzen Kleid.<br />

Dann entwickelte das Bild in diesem Spiegel ein<br />

Eigenleben. Es zeigte ihr wie in <strong>eine</strong>m Film die<br />

Szenen <strong>eine</strong>r imaginären Zukunft - ihrer Zukunft.<br />

Zuerst sah sie ihre Entdeckung als Sängerin bei<br />

<strong>eine</strong>m Talentwettbewerb in <strong>eine</strong>r großen Stadt,<br />

ihre aufsteigende Karriere und später deren<br />

<strong>SpecFlash</strong> - das Portal in <strong>eine</strong> parallele Realität<br />

schreckliches Ende in Form von Kokain und<br />

schmutzigen Schlagzeilen. Aber sie sah auch, wie<br />

ihr Charakter sich veränderte, von der anständig<br />

erzogenen jungen Dame zu <strong>eine</strong>r überheblichen,<br />

bösartigen Frau mit Starallüren. Und zuletzt<br />

zeigte dieser seltsame Spiegel ihr die Menschen,<br />

die sie zunächst umjubelten und dann voller<br />

Selbstsucht umschmeichelten, um sie schließlich<br />

fallen zu lassen und zu vergessen.<br />

Daniela erwachte schweißgebadet. Sie blickte<br />

an sich herunter und bemerkte, dass sie immer<br />

noch dieses Kleid trug. Hastig zog sie es aus und<br />

hängte es zurück in den Schrank. Dann schlüpfte<br />

sie in ihre eigenen Sachen und lief zur Tür der<br />

Dachkammer. Mit heftigem Klopfen machte sie<br />

auf sich aufmerksam, bis <strong>eine</strong> der Schwestern<br />

ihr schließlich öffnete. Mit immer noch zitternden<br />

Knien eilte die Waise in den <strong>Was</strong>chraum.<br />

Die me<strong>ist</strong>en Mädchen befanden sich<br />

schon beim Frühstück, so dass sie ganz all<strong>eine</strong><br />

war. Nach <strong>eine</strong>r Katzenwäsche blickte sie in den<br />

kl<strong>eine</strong>n, schon angelaufenen Spiegel über dem<br />

<strong>Was</strong>chbecken und stellte fest, dass sie immer<br />

noch ihre Haare offen trug. Wie gewohnt begann<br />

sie, diese wieder zu <strong>eine</strong>m Zopf zu flechten.<br />

Danach lief sie hinunter in den Speisesaal zu den<br />

anderen.<br />

Nach dem gemeinsamen Frühstück gingen die<br />

Mädchen an die ihnen zugewiesenen Arbeiten.<br />

Nur Daniela wurde erneut zur Oberin gerufen.<br />

Schüchtern blieb Daniela vor der Leiterin des<br />

Waisenhauses stehen, um deren Mund ein<br />

wissendes Lächeln spielte.<br />

»Nun, mein Kind, was <strong>ist</strong> dir in der letzten<br />

Nacht widerfahren. Du siehst sehr blass aus«,<br />

begann sie das Gespräch im mütterlichen Tonfall.<br />

Daniela machte <strong>eine</strong>n tiefen Atemzug. Sto-

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