Wildernews_No86_Feuer_im_Dach
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Doppelinterview<br />
Die Natur selbst als Lösung anerkennen<br />
Marie-Claire Graf, eine der bekanntesten Kl<strong>im</strong>agerechtigkeits-Aktivistinnen der Schweiz<br />
und Maren Kern, Geschäftsleiterin von Mountain Wilderness Schweiz, diskutieren <strong>im</strong> Interview<br />
darüber, weshalb erneuerbare Energie nicht auf Kosten von Natur und Landschaft produziert<br />
werden soll. Beide sehen grosses Potenzial in der Suffizienz und stören sich daran, dass die Lösung<br />
von Kl<strong>im</strong>a- und Biodiversitätskatastrophe vor allem mit technischen Mitteln gesucht wird.<br />
Interview: Sebastian Moos<br />
Marie-Claire Graf – Die Kl<strong>im</strong>agerechtigkeits-Aktivistin<br />
Marie-Claire ist Aktivistin für Kl<strong>im</strong>agerechtigkeit<br />
und hat diverse Kl<strong>im</strong>astreiks und Demonstrationen<br />
in der Schweiz und international mitorganisiert.<br />
Sie war die jüngste Verhandlungsführerin der Schweiz<br />
bei den Kl<strong>im</strong>averhandlungen und bildet derzeit<br />
junge Diplomat:innen aus der ganzen Welt für multilaterale<br />
Prozesse aus. Marie-Claire hat an der<br />
ETH und der Universität Zürich Politik- und Umweltwissenschaften<br />
studiert.<br />
marieclairegraf.com<br />
© zVg. Marie-Claire be<strong>im</strong> Interview während<br />
ihrer Interrailreise in Sevilla.<br />
«Ich glaube, das Spannungsfeld liegt<br />
eher zwischen natürlichen Lösungen –<br />
die Natur als Lösung selbst anzuerkennen –<br />
und den technischen Lösungen.»<br />
Seit eineinhalb Jahren ist ein Wettlauf<br />
um erneuerbare Energie <strong>im</strong><br />
Gang, der zunehmend unerschlossene<br />
alpine Räume tangiert: Ende 2021<br />
erscheint die 15er-Liste des Runden<br />
Tischs Wasserkraft. Im Herbst 2022<br />
verabschiedet das Schweizer<br />
Parlament den Solarexpress und <strong>im</strong><br />
Frühling 2023 diskutiert es mit dem<br />
sogenannten «Mantelerlass» schwerwiegende<br />
Eingriffe in den Naturund<br />
Landschaftsschutz zugunsten der<br />
Förderung von Erneuerbaren. Der<br />
Mantelerlass führt die Revisionen des<br />
Energiegesetzes und des Stromversorgungsgesetzes<br />
unter dem Namen<br />
«Bundesgesetz über eine sichere<br />
Stromversorgung mit erneuerbaren<br />
Energien» zusammen. Politiker:innen<br />
begründen die Schritte mit der<br />
Dringlichkeit der Kl<strong>im</strong>akatastrophe<br />
und einer drohenden Strommangellage.<br />
Es scheint sich ein Graben<br />
aufzutun zwischen Menschen, denen<br />
Kl<strong>im</strong>aschutz wichtig ist und Menschen,<br />
die sich für Biodiversität und<br />
Landschaft einsetzen. Gibt es diesen<br />
Graben tatsächlich, und wie können<br />
wir ihn gegebenenfalls überwinden?<br />
Marie-Claire Graf und Maren Kern<br />
diskutieren über brennende Fragen<br />
der Kl<strong>im</strong>a- und Umweltbewegung.<br />
Mountain Wilderness: Was<br />
beschäftigt euch zurzeit am meisten?<br />
Marie-Claire Graf: Im sechsten<br />
Weltkl<strong>im</strong>abericht beschreibt die<br />
Wissenschaft erneut ein klares Bild<br />
der Lage: Wir befinden uns in<br />
einer Kl<strong>im</strong>a- und Biodiversitätskrise,<br />
und das Fenster zum Handeln<br />
schliesst sich rapide. Auch wird<br />
klar aufgezeigt, dass es essenziell ist,<br />
Biodiversitäts- und Kl<strong>im</strong>a-Aktionen<br />
miteinander zu denken und umzusetzen<br />
– zusammen mit den Menschen<br />
vor Ort.<br />
Maren Kern: Mich wühlen aktuell<br />
vor allem die Verhandlungen zum<br />
Mantelerlass <strong>im</strong> Parlament auf.<br />
Menschen wie Ra<strong>im</strong>und Rodewald,<br />
die sich seit Jahrzehnten mit Naturund<br />
Landschaftsschutz beschäftigen,<br />
sagen mir, dass sie einen solch<br />
grossen Angriff auf Umwelt und<br />
Raumplanung noch nie erlebt haben.<br />
Die Energiewende ist ein zentrales<br />
Thema …<br />
Marie-Claire: Einerseits ist die<br />
Dringlichkeit bei vielen Entscheidungstragenden<br />
angekommen und<br />
viele Akteur:innen beschäftigen<br />
sich endlich damit – auch gerade in<br />
Wirtschaft und Politik. Das ist<br />
dringend nötig, weil die anstehenden<br />
Herausforderungen keine Partei<br />
alleine lösen kann. Andererseits führt<br />
dies dazu, dass sich viele unfundiert<br />
mit dem Thema beschäftigen.<br />
Sie übersehen bei dieser Dringlichkeit<br />
die Komplexität und sind dann offen<br />
für Schnellschüsse.<br />
Maren: Die Komplexität ist eine<br />
grosse Hürde. Die Gesetzesfahne<br />
des Mantelerlasses umfasst mehr als<br />
140 Seiten. Da den Überblick zu<br />
behalten, sich die Konsequenzen<br />
plastisch vorzustellen und eine ausgewogene<br />
Vorlage auszuarbeiten, ist<br />
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