EWKE 23-25
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Mit der „Flasche“ auf Reisen – Ein Tagebuch von 1932<br />
von Joachim Ringelnatz Folge 10<br />
... Sie meinten, unser Gastspiel<br />
wäre ganz deplaziert,<br />
da am selben Abend die<br />
Comedian Harmonists in<br />
Eisenach gastierten, die uns<br />
alles Publikum wegschnappen<br />
würden. Dasselbe äußerten<br />
alle die Menschen,<br />
die mich bis zum Abend<br />
auf der Straße oder in Lokalen<br />
ansprachen, nur daß<br />
die meisten den Namen<br />
Comedian Harmonists<br />
wegließen, weil sie ihn<br />
nicht aussprechen konnten.<br />
Einer sagte dafür Christian<br />
Science.<br />
Es war natürlich einleuchtend,<br />
daß eine Stadt<br />
wie Eisenach nicht zwei<br />
Premieren an einem Abend<br />
vertrug. Wir vom Kollektiv<br />
waren sehr verstimmt<br />
und schimpften auf einen<br />
gewissen Jemand, der uns<br />
und das hessische und das<br />
thüringische Publikum<br />
betrog.<br />
In diesem Theater war das<br />
Rauchen sogar auf der Bühne<br />
verboten, was uns wiederum<br />
verdroß. Nach dem<br />
ersten Akt fragte mich ein<br />
Feuerwehrmann: »Wie lange<br />
dauert denn das Ganze?«<br />
– »Nun, etwa bis elf.« – Da<br />
sagte er unwirsch: »Na,<br />
Ginder, beeild euch mal ä<br />
bißchen. Sowas sinn mer<br />
hier nich gewehnt.«<br />
Ich flocht in meinen<br />
Schlußmonolog des ersten<br />
Aktes eine kleine satirische<br />
Anzüglichkeit gegen das<br />
Rauchverbot ein.<br />
Das wenige Publikum<br />
nahm unser Spiel sehr<br />
wohlwollend auf. Freund<br />
W. hatte nochmals eine<br />
Hattorfer Gesellschaft mitgebracht.<br />
Aber dennoch<br />
erfüllte mich der Gedanke<br />
an den spärlichen Theaterbesuch<br />
bei uns und an das<br />
ausverkaufte Haus bei den<br />
Comedian Harmonists (das<br />
war mir bereits berichtet)<br />
mit ungerechter Wut, so daß<br />
ich nach dem zweiten Akt<br />
meinen Kollegen sagte, ich<br />
würde mich auf keinen Fall<br />
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ich würde überhaupt nicht<br />
zurückkommen, sondern<br />
erwartete sie, die Kollegen,<br />
hinterher im Zwingerkeller.<br />
Sonst pflegte ich mich immer<br />
zum Schluß des dritten<br />
Aktes noch einmal einzufinden,<br />
um bei dem von<br />
uns allzu flau betriebenen<br />
»Gesang- und Stimmengewirr<br />
der nahenden Seeleute«<br />
mitzuwirken und um<br />
mich eventuell noch »von<br />
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den Schauspielern herausgezerrt«<br />
als Autor zu verneigen.<br />
Es gab da jedesmal<br />
einen kleinen Kampf zwischen<br />
Autor und den Schauspielern,<br />
denn diese wollten<br />
am liebsten, daß ich sofort<br />
nach dem ersten Vorhang<br />
mich verbeugte. Aber das<br />
ging doch nicht an. Denn<br />
ich hatte im letzten Akt gar<br />
nicht mitgespielt, sondern<br />
war sogar »als Ertrunkener<br />
betrauert« worden. Sowie<br />
also das Schluß- und Stichwort<br />
von Petra fiel »Seeleute<br />
kommen«, versteckte ich<br />
mich irgendwo zwischen<br />
dem phantastischen Kulissen-Schwindelwirrwarr<br />
und lächelte, wenn ich<br />
bald danach herumeilende<br />
Stimmen rufen hörte »Ringelnatz!<br />
Wo steckt er denn<br />
wieder?« Meist war dann<br />
Kellner der Detektiv, der<br />
mich in meinem Versteck<br />
aufstöberte.<br />
Also ich verließ das Eisenacher<br />
Theater in der großen<br />
Pause und suchte die Süße<br />
Ecke und andere vertraute<br />
Plätze auf, wo ich Jahre<br />
zuvor manchmal mit glühenden<br />
Backfischen und<br />
auch mit M. gesessen hatte.<br />
Da blieb auf der Straße ein<br />
Ehepaar mir nachsehend<br />
stehen, und die Dame rief:<br />
»Dort geht ja der Ringelnatz,<br />
und wir klatschen uns<br />
im Theater die Hände nach<br />
ihm wund!« Ich grüßte und<br />
schritt versöhnt lächelnd<br />
weiter.<br />
Im Zwingerkeller stellte ich<br />
mein Ensemble den Bergherren<br />
und Bergdamen<br />
vor. Die Hattorfer spendierten<br />
etwas. Aber die<br />
Nordhäuser mußten bald<br />
scheiden. Sie fuhren mit<br />
einem Sonderomnibus, der<br />
billiger war als die Eisenbahn,<br />
nach Liebenstein zurück.<br />
Wir andern zechten<br />
weiter, und die ausgelassene<br />
Gesellschaft tröstete<br />
mir den letzten Rest von<br />
Wut aus der Galle.<br />
Fortsetzung folgt...