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Juli/August 2023

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Im Gespräch | 23<br />

fühl, dass das voll schräg ist, als Frau Musik zu<br />

machen. Wir haben ganz früher englische Musik<br />

gemacht und haben gar nichts inhaltlich gesagt.<br />

Es war null politisch, null irgendwas. Wir haben<br />

einfach nur auf der Bühne gestanden. Und das<br />

allein war schon hochgradig politisch. Obwohl<br />

wir nur da waren. Ich kann nicht aus meiner<br />

Haut, wahrscheinlich wird das immer, wenn ich<br />

als Frau auf einer Bühne stehe, für viele schon<br />

eine Ansage sein. Ich möchte nur, dass es irgendwann<br />

für Leute einfach normal ist.<br />

Wer sind denn deine Vorbilder in der Musik?<br />

Wer inspiriert dich persönlich?<br />

Da wir gerade davon geredet haben, dass es so<br />

besonders ist, wenn man eine Frau als Frontsängerin<br />

oder eine Frau auf einer Bühne sieht – und<br />

das ist auch für mich als junges Mädchen schon<br />

so gewesen – war ich immer von Judith Holofernes<br />

von Wir Sind Helden begeistert. Die bei Rock<br />

am Ring auf der Mainstage stand und gesungen<br />

hat. Das war für mich wie: „Oh mein Gott, das<br />

geht?“. Als Band haben wir auch mal einen Auftritt<br />

von Peaches gesehen und waren so angetan,<br />

dass man nicht nur Musik, sondern sogar ein<br />

ganzes Theaterstück drumherum machen kann.<br />

Das hat uns alle total vom Hocker gehauen, wie<br />

provokant und frech das war.<br />

Es gibt sehr viele 2000er-Easter-Eggs auf der<br />

Platte zu entdecken. Wie schaust du auf diese<br />

Zeit zurück? Hast du dir Erwachsensein damals<br />

so vorgestellt, wie es nun ist?<br />

Es war immer ein Traum, auf einer Bühne zu<br />

stehen und dort kreativ zu sein. Noch mehr, das<br />

mit meinem sehr guten Kumpel Johann und<br />

meiner Schwester Lotta, die ich total gerne habe,<br />

tun zu dürfen. Einfach machen zu können, was<br />

man will. Deswegen bin ich auch sehr dankbar,<br />

dass es jetzt so ist. Irgendwo habe ich mir das<br />

schon so vorgestellt. Gleichzeitig aber auch, dass<br />

Musikmachen ein bisschen glamouröser wäre.<br />

Dass es nicht mit so vielen Hürden und in den<br />

Weg gelegten Steinen verbunden ist.<br />

Heißt also, du würdest schon sagen, dass es<br />

sich zwischendrin wie Arbeiten anfühlt?<br />

Klar, ist ja auch Arbeit. Auf jeden Fall. Aber natürlich<br />

sind auch Interviews schön und viele andere<br />

Aspekte. Wir wollten nie nur Musik machen,<br />

wir wollten nicht nur auf einer Bühne stehen,<br />

sondern auf andere Art und Weise kreativ<br />

sein. Ob das jetzt Musikvideos sind, Fotoshootings<br />

oder andere Ideen. Jetzt haben wir zum<br />

Beispiel für das Album Unterwasser-Pre-Listening-Sessions<br />

gemacht. Und da stand ich immer<br />

wieder mit den anderen und habe nur gedacht:<br />

„Ist das gerade ein Traum? Machen wir das hier<br />

gerade ernsthaft? Ist das gerade wirklich unser<br />

Job, dass wir hier in so einer Bademeister-Kabine<br />

stehen und den Leuten sagen, sie können jetzt<br />

ins Wasser gehen und dann kommt in Unterwasser-Boxen<br />

unser neues Album und die Leute liegen<br />

auf Schwimmnudeln?“. Wahnsinn.<br />

Ihr singt gerne auch über Themen, die sich<br />

schwerer anfühlen. Zum Beispiel geht es in dem<br />

Song „Mein Boy“ um Mental Health, um Therapien.<br />

Nimmst du auch wahr, dass das Thema<br />

seit der Pandemie präsenter ist?<br />

Auf jeden Fall. Ich kann das immer nur bei mir<br />

beobachten, in unserem Freundeskreis oder in<br />

meinem Social-Media-Feed. Das hat natürlich zugenommen,<br />

dass Leute sich damit auch auseinandersetzen.<br />

Vielleicht, weil sie sich für eine Zeit<br />

nicht ablenken konnten und sich mit sich beschäftigen<br />

mussten wohl oder übel. Eigentlich<br />

schadet es niemandem, mal eine Therapie zu<br />

machen. Aber das ist so leicht gesagt, weil es eine<br />

unglaubliche Odyssee ist, überhaupt einen<br />

Therapieplatz zu finden, sich dann noch mit einer<br />

Person zu verstehen. Und in Städten wie<br />

Chemnitz, wo wir herkommen, ist das besonders<br />

Horror. Wenn du dann noch speziellere Themen<br />

hast, die du gerne ansprechen willst, ist das so<br />

unglaublich schwierig. Ein System, in dem es<br />

Leuten eigentlich einfacher gemacht werden<br />

müsste, aber stattdessen ist es unglaubliche Arbeit.<br />

Du musst rumtelefonieren und recherchieren,<br />

wirst dahin geschickt. Wirklich kein einfaches,<br />

zugängliches, niederschwelliges System.<br />

Eure Attitüde in „Oberköperfrei“ ist gleichzeitig<br />

krawallig und ironisch. Wie entstand die Idee?<br />

Musstet ihr ständig dumme Fragen über Veganismus<br />

beantworten?<br />

Bevor der Bezug zum Veganismus war, war das<br />

Wort „Oberkörperfrei“ da. Ich komme irgendwo<br />

hin, schmeiß die Tür auf und ich nehme Raum<br />

ein. Ich bin da und ich bin laut und ihr könnt<br />

mich alle mal. Lotta hat gesagt, sie würde gerne<br />

Veganismus thematisieren und Johann wollte<br />

eher ein Schlägerei-Ding. Deswegen ist es immer<br />

schwierig, im Nachhinein zu sagen, wie dann<br />

Step für Step der Song entstanden ist, weil ein<br />

Text sich auch noch 40.000 Mal ändert. Aber die<br />

Attitüde war die ganze Zeit klar. Dieses mit dem<br />

Mittelfinger irgendwo reinkommen. Bam! Es<br />

macht auch sehr viel Spaß, den live zu spielen.<br />

Immer mehr FLINTA*-Personen ziehen ihre<br />

Shirts in dem Moshpit aus. Also ist es auch auf<br />

unseren Konzerten ein schönes Zeichen, wenn<br />

Leute sagen, ich fühle mich so wohl, dass ich als<br />

Nicht-Cis-Mann mein Oberteil ausziehe.<br />

Ihr seid permanent in der Familie von Menschen<br />

umgeben gewesen, die Musik machen.<br />

Sowohl eure Eltern als auch eure Brüder mit ihrer<br />

Band Kraftklub. Hast du das immer als inspirierend<br />

empfunden oder hat dich das Omnipräsente<br />

teilweise auch genervt?<br />

Es war eigentlich immer schön. Wir mussten nie<br />

Diskussionen darüber führen, warum wir uns<br />

für den Berufsweg entscheiden. Es gab Leute, die<br />

uns gezeigt haben, dass man das machen kann<br />

und dass es funktioniert, überhaupt kreativ zu<br />

arbeiten. Alle haben immer etwas Künstlerisches<br />

gemacht. Uns wurden natürlich viele Wege geebnet.<br />

Es gab Zeiten, in denen man gesagt hat, dass<br />

ein Kumpel ein Tonstudio hat, wo wir unsere<br />

erste EP aufnehmen könnten zum Beispiel. Ich<br />

finde das voll krass, wenn Leute aus Haushalten<br />

kommen, in denen das keine Rolle spielte und<br />

dann den Step machen, eine Band zu gründen,<br />

das Studium abzubrechen. Da ziehe ich meinen<br />

Hut vor. Bei uns war es der normale Weg.<br />

Warst du denn auch an Musiktheorie interessiert<br />

oder machst du das eher nach dem Motto<br />

„Learning by Doing“?<br />

Wir hatten alle ein paar Unterrichtsstunden. Ich<br />

war früher in der Musikschule, hab Gitarre gelernt.<br />

Dann habe ich sie aber drei Jahre lang<br />

nicht mehr angefasst, weil mir dadurch der Spaß<br />

ausgetrieben wurde. Einem siebenjährigen Kind<br />

Theorie beizubringen, obwohl man eigentlich zu<br />

Rock am Ring auf die Bühne will? Warum zeigst<br />

du mir die ganze Zeit irgendwelche Blätter, was<br />

soll das? (lacht) Dann hatten wir aber auch zum<br />

Glück durch unsere Eltern Kumpels, die wirklich<br />

in Bands gespielt haben, die uns Unterricht geben<br />

konnten, entweder am Schlagzeug oder an<br />

der Gitarre. Hauptsache, man kann spielen, sich<br />

begleiten, singen und kriegt ein Gespür dafür. Johann<br />

wiederum war lange in der Musikschule,<br />

der konnte das besser händeln. Ich bin in Theorie<br />

eine absolute Null, ich kann Noten lesen,<br />

aber ich brauch dafür Stunden.<br />

Aktuell ist Festival-Saison. Ihr seid beim Juicy<br />

Beats in Dortmund mit dabei und im Herbst<br />

folgt eure eigene Tour. Wie unterscheiden sich<br />

für dich Festivalauftritte von der eigenen Tour?<br />

Beim Festival sehen uns immer wieder Leute, die<br />

uns noch gar nicht gesehen haben. Das ist natürlich<br />

eine Challenge, ob man sie nun kriegt, sie<br />

auf seine Seite holen kann oder nicht. Manchmal<br />

fixiere ich eine Person an, bei der ich merke, die<br />

war noch nie da und dann gucke ich, ob sie lacht<br />

oder nicht. Nach zwei Songs merke ich, dass sie<br />

mit uns im Vibe ist. Natürlich ist es auch lustig,<br />

wenn Leute Songtexte zum ersten Mal hören<br />

und bei den Pointen plötzlich lachen. Bei den eigenen<br />

Konzerten kennen alle die Texte, singen<br />

mit, sind eingegroovt und man hat richtig das<br />

Gefühl, dass wir eine sehr nette Fanbase haben.<br />

Die sind wirklich unfassbar rücksichtsvoll und<br />

lieb zueinander. Das ist übelst schön, wenn du in<br />

den Raum reinkommst und bemerkst, dass alle<br />

so nette und sympathische Menschen sind.<br />

Zum Schluss darfst du dir eine Sache wünschen,<br />

die du diesen Sommer unbedingt noch<br />

gerne tun würdest.<br />

Als Formation Blond und Friends würden wir<br />

uns gerne ein riesiges Schlauchboot mieten und<br />

damit den ganzen Tag rumfahren. Wir waren<br />

früher als Kinder immer zusammen im Paddelurlaub,<br />

weil Johanns und unsere Eltern befreundet<br />

sind. Uns verbindet also das Auf-dem-Wasser-in-einem-Boot-sitzen.<br />

Ich habe aber vorhin<br />

die E-Mail gekriegt, dass leider alles ausgebucht<br />

ist. Das muss ich jetzt im Winter für nächsten<br />

Sommer buchen.<br />

Das komplette Interview gibt es auf coolibri.de;<br />

Mehr auf blond-band.de, Facebook: BandBlond,<br />

Instagram: blond.official;<br />

Nächster NRW-Termin: 29.7. Juicy Beats, Westfalenpark,<br />

Dortmund & 29.11. Live Music Hall,<br />

Köln<br />

Zur Band<br />

Hinter Blond stecken Nina Kummer<br />

(Gesang, Gitarre), Lotta Kummer<br />

(Gesang, Schlagzeug) und Johann<br />

Bonitz (Gesang, Bass, Synthesizer).<br />

Nina und Lotta sind Schwestern und<br />

kennen den blinden Multiinstrumentalisten<br />

Johann aus Kindertagen.<br />

Aus der Kummer-Familie sind<br />

des Weiteren die beiden älteren Brüder<br />

Felix und Till bekannt, die Mitglieder<br />

der Band Kraftklub sind. Der<br />

gemeinsame Vater Jan Kummer war<br />

Sänger der DDR-Band AG Geige.<br />

Blond machen Musik, die dem Indie-Pop-Genre<br />

zugeordnet werden<br />

kann, lassen aber auch andere Richtungen<br />

mit einfließen. Gegründet<br />

wurde die Band 2011, 2020 erschien<br />

das Debütalbum „Martini Sprite“,<br />

das viel positive Kritik erlangen<br />

konnte. Das im April veröffentlichte<br />

„Perlen“ ist der Nachfolger und<br />

schaffte erstmalig den Sprung in die<br />

Top 20 der Albumcharts.

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