Martin Steinhäuser: Kinderkirche, Christenlehre & Co. (Leseprobe)

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I-1-2 Wiesenbrunn ― Eine Stunde Dann dürfen die Kinder selbst ein Spiel vorschlagen. Begeistert machen die Kinder einige Vorschläge und wählen aus: „Feuer, Wasser, Sand“. Beim Spiel ist eine höhere Beteiligungsmotivation spürbar als in der thematisch-kreativen Phase. Ein Kind meldet sich, um Spielleiter zu sein. Die Kinder sagen, dass sie das Spiel aus der Schule als Wettkampfspiel kennen, jedoch wird es in der <strong>Christenlehre</strong> nicht als Wettkampf-, sondern als Bewegungsspiel gespielt. Während des Spieles tut sich ein Kind weh und beginnt zu weinen. Die Gemeindepädagogin tröstet es. Die Kinder bieten dem verletzten Kind an, neuer Spielleiter zu sein. Daraufhin scheinen die Schmerzen des Kindes zu verfliegen. 16.39 Uhr | Schlussritual Die Kinder stellen sich erneut im Kreis auf. Das folgende Ritual scheint ihnen vertraut: Sie fassen sich an den Händen, wobei sie die Arme überkreuzen. Die Gemeindepädagogin wünscht den Kindern eine gesegnete Woche. Danach drehen sich die Kinder nach außen und lösen den Kreis auf. Noch einmal wird ein Gemeinschaftsgefühl innerhalb der Gruppe spürbar. REFLEXION Die beobachtete Stunde bietet den Kindern eine Fülle von Beteiligungsmöglichkeiten, welche von den Kindern auch tatsächlich ergriffen werden. Diese beziehen sich auf ■ unterschiedliche Gegenstände (Spiele, Thema, Rituale), ■ verschiedene Formen (verbal wie nonverbal, ruhig vs. bewegungsintensiv, kreativ-schöpferisch vs. gedanklichrezeptiv) und ■ unterschiedliche Freiheitsgrade (Beobachtung, Mitwirkung, Mitbestimmung – auch ein zeitweiser Rückzug aus dem Gruppengeschehen ist möglich). Der häufige Wechsel von Sozialformen und Gestaltungselementen ermöglicht es auch jenen Kindern, die zwischenzeitlich ermüden oder sich aus anderen Gründen aus dem gemeinsamen Prozess zurückziehen, wieder einzusteigen und Anschluss zu finden. Die räumlichen Voraussetzungen werden von der Gemeindepädagogin geschickt zur Unterstützung der kindlichen Aktions- und Beteiligungsbedürfnisse genutzt. Didaktisches Profil: Die „Sache“ der Stunde lässt sich als „erste Sammlung von Merkmalen eines Gebetes und Aneignung des Textes des Vaterunsers“ zusammenfassen. Es geht darum, Material für die Begegnung mit dem Thema zu sammeln und für spätere Vertiefungen bereitzulegen. Die gesetzten Impulse zielen nicht darauf, Bewertungen abzugeben oder Bedeutungen feststellen zu lassen. Es geht vielmehr darum, einen Problemhorizont zu öffnen und Erfahrungen und Wissensvorräte der Kinder für das Thema zu aktivieren. Die Begegnung der Kinder mit dieser Sache ist zweifach „eingebettet“: In Phasen frei gewählter, aber gruppenbezogener Spiele am Anfang und am Ende der Stunde sowie in die beiden rituell geformten Stücke der Lieder und der Kerzenrunde sowie des Schlusskreises. Die Inszenierung des Themas wird nicht wie eine Unterbrechung in eine ansonsten abwechslungsreiche, beteiligungsorientierte und spielgeprägte Gesamtstruktur hineingestellt, sondern nutzt deren jeweilige Möglichkeiten für die thematische Begegnung, sodass der Eindruck eines organischen Ganzen entsteht. Die Beziehung zwischen den Beteiligten ist von engagiertem wechselseitigen Interesse und herzlicher Zuwendung geprägt. Anna Lehmanns Verhalten verrät ein feines pädagogisches Gespür für die individuellen Bedürfnisse und eine Suche nach jeweils geeigneten Herausforderungen. Obwohl sie punktuell die Rolle wechselt und selbst mitspielt, sind keine Anzeichen zu erkennen, dass ihre Autorität als Leiterin der Gruppe von den Kindern insgesamt oder von Einzelnen infrage gestellt würde. Die Kinder wiederum zeigen ein vertrauensvolles und zugleich respektierendes Verhältnis zu ihr. Auch untereinander scheinen die Kinder aufmerksam und respektvoll umzugehen. Sie handeln Regeln aus, helfen dem verletzten Kind aus seinem Kummer, achten auf Balance in den Meinungsführerschaften und tolerieren die Außenseiterrolle von Frido, der sich wenig am Prozess beteiligt. 25
I-2-1 Oberstadt ― Annäherungen Profilentwicklung im Experimentierfeld inszenierter Beziehungen Der Kindertreff in der Kleinstadt Oberstadt* In Oberstadt leben ca. 25.000 Einwohnende, weniger als 6% von ihnen mit evangelischer Konfession. Zur Kirchgemeinde gehören auch einige Umlanddörfer. Die meisten Gruppenangebote sind im Gemeindehaus von Oberstadt beheimatet, ein gutes Stück von der Stadtkirche entfernt, recht unauffällig in einer Nebenstraße der Altstadt gelegen. Ein Hof ist zweckmäßig aufgeteilt und bietet Platz für diverse Spielflächen und -geräte, wie z. B. einen Kicker. Der Kindertreff findet im Gartengebäude statt. Es ist mit dem Haupthaus architektonisch verbunden und wurde wie dieses vor Kurzem saniert. Der Kindertreff hat seine Zeit dienstags von 15 bis 17 Uhr. Zwei geschlechtergetrennte Teilgruppen folgen aufeinander. Die meisten Kinder der jeweils anderen Teilgruppe besuchen den Kinderchor, der sich (ebenfalls geschlechtergetrennt) parallel im gleichen Haus trifft. Vor, zwischen und nach den beiden Teilstunden des Kindertreffs *Alle Namen von Orten, Personen und anderweitigen identifizierbaren Bezügen sind anonymisiert; die Fotos bilden andere Gruppen an anderen Orten ab. 39
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