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THEMA <strong>ERF</strong> MEDIEN MAGAZIN ı 09.<strong>2023</strong> ı 7 ENGAGEMENT: BRENNEN OHNE AUSZUBRENNEN? Schonungslos VON MARKUS GIGER Christenmenschen engagieren sich für diese Welt. Das gehört sich so, schliesslich stolpern sie ihrem Meister nach. So engagiert wie er wollen sie auch sein. Meistens. Doch ab und zu und bei vielen mit zunehmendem Alter immer heftiger machen sich Lustlosigkeit und Erschöpfung breit. Ein persönlicher, schonungslos kritischer, aber nicht perspektivenloser Blick auf das christliche Engagement. 35 Jahre Engagement – abgebrannt wie eine Kerze Zugegeben, im Rückblick erscheint mir jene Gebetsgemeinschaft von uns Gymnasiasten ziemlich überhitzt: Wir waren ein wild zusammengewürfelter Haufen junger Leute, die sich in jener Ferienwoche das erste Mal trafen. Es wurde debattiert und gebetet; leidenschaftlich, eifrig, engagiert. Nach einer solchen Gebetssession kam eine Teilnehmerin auf mich zu und sprach mich an. Ich erinnere mich weder an ihren Namen noch an ihr Aussehen, aber ihre Worte begleiten mich nun schon bald vierzig Jahre. Dabei waren mir ihre Aussagen damals unangenehm; zu direkt, vielleicht auch zu persönlich: Doch meine Wahrnehmung hat sich verändert. Dramatisch. Ich kann es kaum erwarten, diese dreimonatige Auszeit. Aus und vorbei – zumindest für einige Wochen – einfach frei und ledig ohne die Verantwortung für all die anvertrauten Menschen. Seit einiger Zeit fühle ich die Worte jener jungen Frau, sehe das Bild der beinahe abgebrannten Kerze, die seit mehr als 35 Jahren brennt. Ja, ich fühle mich ausgebrannt, verbraucht und müde. Als ich für diesen Artikel angefragt wurde, hatte ich gute Gründe, eine wohlformulierte Absage zu schreiben. Natürlich ist die Agenda vor einer Auszeit voll, aber der eigentliche Grund für meinen Widerwillen war «Du bist wie eine Kerze, durch dich DU BIST WIE EINE KERZE. und ist meine Befindlichkeit: Ich DURCH DICH WERDEN VIELE werden viele Menschen Licht erfahren, kann kein flammendes Plädoyer für MENSCHEN LICHT <strong>ERF</strong>AHREN. aber der Preis dafür, dass Kerzen Licht das christliche Engagement verfassen und fühle mich unfähig, eine ABER DER PREIS DAFÜR, DASS spenden, ist, dass sie dabei abbrennen. KERZEN LICHT SPENDEN, IST, Du wirst bei dem, was du tun wirst, verbraucht werden.» Das war’s. Mehr zu sehr hinterfrage ich momentan differenzierte Sicht zu entwerfen, DASS SIE DABEI ABBRENNEN. hat sie nicht gesagt und soweit ich mich erinnere, war ich schlicht zu baff, als dass ich nachgefragt hätte. In den letzten Monaten denke ich oft an diese Begegnung. Ich stehe unmittelbar vor einem dreimonatigen Sabbatical, das ich notabene fünf Mal verschoben habe. Es war immer der falsche Moment, mein vielfältiges Engagement in der streetchurch und der Gefängnisseelsorge liessen es nicht zu. Zumindest war dies meine tiefe Überzeugung und so argumentierte ich alle gutgemeinten Ratschläge jahrelang eloquent aus dem Weg. meine diesbezügliche Haltung der vergangenen Jahrzehnte: «Immer an der Arbeit, alle an der Arbeit!» Wie oft habe ich diesen methodistischen Schlachtruf aus dem Munde meiner Mutter gehört – und sie selbst hat ihm bis weit über die Grenzen des Gesunden für andere nachgelebt. Erst in den letzten Jahren, in denen die Phasen der Erschöpfung häufiger werden und die Regenerationszeiten immer mehr Zeit beanspruchen, wird mir bewusst, wie stark ich von Glaubenssätzen geprägt bin, die ich bereits als Kind verinnerlicht habe.