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vznews, Deutschland, Oktober 2023, Ausgabe 72

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vz news <strong>72</strong> / <strong>Oktober</strong> <strong>2023</strong> Seite 5<br />

MEINUNGEN<br />

„Sie müssen<br />

Ihre Natur<br />

überlisten“<br />

Finanzprofessor Heiko Jacobs erklärt, welchen<br />

Fallstricken Anlegerinnen und Anleger immer wieder<br />

unterliegen und wie sie diesen entgehen können.<br />

© Thomas Raffler<br />

Herr Professor Jacobs, was ist der<br />

größte Anlegerfehler?<br />

Der größte Anlegerfehler ist, nicht<br />

an der Börse zu investieren! Leider machen<br />

80 Prozent der Deutschen diesen<br />

Fehler. Denn nur etwa 20 Prozent besitzen<br />

überhaupt Aktien – direkt oder<br />

in Form von Fonds oder ETFs.<br />

Woher kommt diese Skepsis gegenüber<br />

dem Aktienmarkt?<br />

Viele glauben, dass die Börse wie<br />

ein Spielcasino ist. Das stimmt – wenn<br />

man auf der Jagd nach dem schnellen<br />

Gewinn ständig kauft und verkauft. Je<br />

„Leider unterschätzen<br />

die meisten Menschen<br />

den Zinseszinseffekt.“<br />

länger aber die Anlagedauer und je breiter<br />

die Diversifikation, desto weniger<br />

spielt der Zufall eine Rolle.<br />

Warum halten sich nicht alle Anleger<br />

an diese einfache Regel?<br />

Weil sie gegen die Natur ist: Der<br />

Mensch will immer Einfluss nehmen.<br />

In fast allen Bereichen des Lebens ist<br />

aktives Handeln ja auch erfolgversprechender<br />

als passives Abwarten. An der<br />

Börse ist es aber genau umgekehrt: Hier<br />

werden die Geduldigen belohnt, die<br />

ihrer Strategie treu bleiben.<br />

Dank des Zinseszinseffekts?<br />

Genau. Leider unterschätzen ihn<br />

die meisten Menschen. Sie können<br />

nicht einschätzen, was ein Renditeoder<br />

Gebührenunterschied von zum<br />

Beispiel nur 1 Prozent pro Jahr langfristig<br />

ausmacht. Sie verstehen deshalb<br />

nicht, wie wichtig eine langfristige<br />

Perspektive bei der Geldanlage ist.<br />

Rechnen Sie es bitte mal vor.<br />

1.000 Euro, zu 6 Prozent jährlich<br />

angelegt, wachsen nach 30 Jahren<br />

auf 5.744 Euro; zu 5 Prozent angelegt<br />

aber nur auf 4.322 Euro. Wenn davon<br />

2 Prozent Dividenden sind, die<br />

man konsumiert, statt sie wieder anzulegen,<br />

verzinst sich das Kapital aber<br />

nur mit 3 Prozent. Dann wächst es in<br />

30 Jahren nur auf 2.427 Euro.<br />

Das zeigt, dass auch die Wiederanlage<br />

der Ausschüttungen einen großen,<br />

oft unterschätzten Einfluss auf<br />

den Anlageerfolg hat. Von der Wissenschaft<br />

wissen wir aber, dass viele Investoren<br />

Erträge in ein anderes mentales<br />

Konto packen. Sie geben diese Erträge<br />

tendenziell schnell für konsumtive<br />

Zwecke aus, statt sie wieder anzulegen.<br />

Wie kann ich diese vielen Fallstricke<br />

umschiffen?<br />

Sie müssen Ihre Natur überlisten:<br />

Beginnen Sie sofort mit einem ETF-<br />

Sparplan, der breit gestreut investiert.<br />

Das Geld wird vom Konto abgebucht,<br />

bevor Sie es richtig wahrnehmen. So<br />

sparen Sie mehr, haben aber nicht den<br />

Eindruck, verzichten zu müssen. Bekommen<br />

Sie eine Gehaltserhöhung,<br />

erhöhen Sie die Sparsumme. Positiver<br />

Nebeneffekt: Ein ETF-Sparplan legt<br />

Ausschüttungen automatisch wieder<br />

an. Dadurch geraten Sie gar nicht erst<br />

in Versuchung, die Erträge zu konsumieren<br />

und können erheblich vom<br />

Zinseszinseffekt profitieren.<br />

ZUR PERSON<br />

Professor Heiko Jacobs (41) ist<br />

seit 2017 Inhaber des Lehrstuhls<br />

für Finanzierung an der Universität<br />

Duisburg-Essen. Er beschäftigt<br />

sich mit Anlegerverhalten<br />

(Behavioral Finance) und empirischer<br />

Kapitalmarktforschung.<br />

Ein Schwerpunkt seiner Arbeit<br />

liegt darin, die strikten Annahmen<br />

hinter dem „homo oeconomicus“<br />

und der Finanzmarkttheorie<br />

auf ihre Validität in der<br />

Realität hin zu überprüfen.

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