29.09.2023 Aufrufe

Seltene Erkrankungen

In der Schweiz leben zirka 600'000 Menschen mit einer seltenen Krankheit. Oft fühlen sich Patient:innen aufgrund ihrer Erkrankung allein. Ziel der Kampagne «Seltene Krankheiten» ist es, das Netzwerk Betroffener zu stärken sowie durch gezielte Wissensvermittlung das Bewusstsein von Angehörigen, Fachpersonen und der allgemeinen Bevölkerung für seltene Krankheiten zu schärfen.

In der Schweiz leben zirka 600'000 Menschen mit einer seltenen Krankheit. Oft fühlen sich Patient:innen aufgrund ihrer Erkrankung allein. Ziel der Kampagne «Seltene Krankheiten» ist es, das Netzwerk Betroffener zu stärken sowie durch gezielte Wissensvermittlung das Bewusstsein von Angehörigen, Fachpersonen und der allgemeinen Bevölkerung für seltene Krankheiten zu schärfen.

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<strong>Seltene</strong> Krankheiten<br />

EINE THEMENZEITUNG VON MEDIAPLANET<br />

Lesen Sie mehr unter www.selteneerkrankungen.ch<br />

Schnittstelle für Betroffene<br />

Hereditäres Angioödem<br />

<strong>Seltene</strong> Krebserkrankung<br />

Schmetterlingsfrühchen<br />

Case Management<br />

Stell dir vor, du verlierst<br />

morgen deine Stimme...<br />

…, was würdest du heute sagen? Eines Morgens erwachte Nora und<br />

konnte plötzlich nicht mehr sprechen. Im Interview beschreibt sie<br />

ihren Weg zur Diagnose und gibt einen Einblick in das Leben mit einer<br />

seltenen Erkrankung.<br />

Seite 6–7<br />

FOTO: RAIMUND NICS


2 | Lesen Sie mehr unter www.selteneerkrankungen.ch<br />

VERANTWORTLICH<br />

FÜR DEN INHALT<br />

DIESER AUSGABE:<br />

VORWORT<br />

Sich seltener Krankheiten<br />

bewusst zu sein, lohnt sich!<br />

Kerstin Köckenbauer<br />

Industry Manager Health<br />

Mediaplanet GmbH<br />

Informieren, vernetzen und koordinieren – dies sind<br />

die Hauptaufgaben von ProRaris, dem Dachverband<br />

für Patientenorganisationen von Menschen mit<br />

einer seltenen Krankheit sowie für isolierte Kranke,<br />

die von keiner Organisation vertreten werden. Wir<br />

fungieren als Schnittstelle zwischen Betroffenen und<br />

den Versorgungsnetzwerken, verbinden Betroffene<br />

miteinander und bringen die Patientenexpertise in die<br />

Projekte des Gesundheitswesens ein.<br />

Industry Manager: Kerstin Köckenbauer<br />

Lektorat: Joseph Lammertz<br />

Grafik und Layout: Daniela Fruhwirth<br />

Managing Director: Bob Roemké<br />

Medieninhaber: Mediaplanet GmbH,<br />

Bösendorferstraße 4/23, 1010 Wien,<br />

ATU 64759844 · FN 322799f FG Wien<br />

Impressum: mediaplanet.com/at/<br />

impressum<br />

Bildcredits: Shutterstock.com<br />

(ausser anders angegeben)<br />

Distribution: GEO Magazin<br />

Druck: Walstead NP Druck GmbH<br />

Kontakt bei Mediaplanet:<br />

Tel: +43 676 847 785 115<br />

E-Mail: kerstin.koeckenbauer@<br />

mediaplanet.com<br />

ET: 29.09.2023<br />

Bleiben Sie in Kontakt:<br />

mediaplanet.switzerland<br />

@mediaplanet.switzerland<br />

@dergesundheitsratgeber.ch<br />

Auch wenn jede<br />

Krankheit für sich<br />

selten ist, so sind<br />

bei 7000 bis 8000<br />

seltenen Krankheiten rund<br />

600'000 Personen in der<br />

Schweiz davon betroffen. Diese<br />

Menschen haben mit zahlreichen<br />

Herausforderungen<br />

zu kämpfen. Dies fängt bereits<br />

damit an, dass es oftmals<br />

eine ganze Weile dauert, bis<br />

unspezifische Symptome wie<br />

Müdigkeit, Schmerzen oder<br />

Erschöpfung richtig eingeordnet<br />

und einer seltenen Krankheit<br />

zugeordnet werden. Es ist<br />

darum wichtig, dass sowohl<br />

die Gesundheitsfachpersonen<br />

als auch die Bevölkerung ein<br />

Sensorium für seltene Krankheiten<br />

haben.<br />

Vernetzung hilft<br />

aus der Isolation<br />

Lange Irrwege bis zur Diagnose,<br />

Unsicherheiten über den<br />

Krankheitsverlauf, fehlende<br />

Therapiemöglichkeiten,<br />

Sorgen wegen der Übernahme<br />

von Krankheitskosten<br />

und Zukunftsängste sind für<br />

Patient:innen mit seltenen<br />

Krankheiten und deren Angehörige<br />

sehr belastend. «Gäbe<br />

es nur eine andere Person,<br />

die mich versteht, weil sie das<br />

Gleiche durchmacht …!», das<br />

hören wir oft von Betroffenen<br />

und ihren Angehörigen. Einfach<br />

ist es nicht, aber unser<br />

Netzwerk ist gross, und immer<br />

wieder schaffen wir es, andere<br />

Patient:innen oder sogar eine<br />

passende Patientenorganisation<br />

zu finden. Der daraus<br />

entstehende Austausch kann<br />

dann sehr bereichernd sein<br />

– für beide Seiten. Sind Sie<br />

von einer seltenen Krankheit<br />

betroffen oder kennen Sie<br />

eine betroffene Person? Dann<br />

melden Sie sich bei uns und<br />

bleiben Sie mit Ihrer Krankheit<br />

nicht allein!<br />

Zuhören, informieren,<br />

sichtbar machen<br />

Neben der Vernetzung<br />

brauchen die Betroffenen aber<br />

auch Beratung und Informationen.<br />

Oft ist ein verständnisvolles<br />

Gespräch nötig, denn<br />

die Patient:innen haben beim<br />

Kontakt mit uns meist schon<br />

einen langen Leidensweg<br />

hinter sich, kämpfen mit der<br />

Bewältigung der Krankheit<br />

und suchen nach diversen<br />

Unterstützungsmöglichkeiten.<br />

Auch hier können wir behilflich<br />

sein. Zudem ist es uns<br />

FOTO: ZVG<br />

Dr. Jacqueline<br />

de Sá<br />

Geschäftsführerin<br />

ProRaris<br />

Allianz <strong>Seltene</strong>r<br />

Krankheiten –<br />

Schweiz<br />

<strong>Seltene</strong>n<br />

Krankheiten ein<br />

Gesicht geben


MEDIAPLANET | 3<br />

wichtig, Menschen mit seltenen<br />

Krankheiten eine Stimme<br />

und ein Gesicht zu geben. So<br />

vermitteln wir Menschen, die<br />

von einer seltenen Krankheit<br />

betroffen sind, für Porträts in<br />

den Medien oder verfassen<br />

eigene Beiträge mit Betroffenen.<br />

Interessierte finden die<br />

Porträts, die jeweils auch eine<br />

Erklärung der entsprechenden<br />

Krankheit beinhalten, auf<br />

unserer Website.<br />

Betroffene als Expert:innen<br />

einbinden<br />

Menschen mit seltenen Krankheiten<br />

und ihre Angehörigen<br />

brauchen nicht nur Unterstützung,<br />

sie verfügen auch<br />

über wertvolles Wissen. Dank<br />

ProRaris ist anerkannt, dass<br />

Patient:innen eine Expertise<br />

mitbringen und diese genutzt<br />

werden soll. Das wurde bereits<br />

2015 bei der Planung der<br />

Umsetzung des Nationalen<br />

Konzepts <strong>Seltene</strong> Krankheiten<br />

erkannt. ProRaris ist als<br />

Schlüsselpartnerin genannt<br />

und seither an allen Projekten<br />

beteiligt, indem wir die<br />

Patientenexpertise einbringen<br />

und die Patientenbeteiligung<br />

koordinieren. Viele wertvolle<br />

Informationen zum Thema<br />

finden Interessierte in den<br />

Unterlagen zum Tag der seltenen<br />

Krankheiten, der im März<br />

2023 stattgefunden hat.<br />

Netzwerkanlass: Tag der<br />

seltenen Krankheiten<br />

Seit ihrer Gründung 2010<br />

organisiert ProRaris jedes Jahr<br />

einen Anlass zum «Tag der<br />

seltenen Krankheiten». Der<br />

Anlass ist öffentlich und eine<br />

Plattform für Betroffene, ihre<br />

Familien und Fachleute. Er<br />

dient auch dazu, Erfolge<br />

sichtbar zu machen, und<br />

findet das nächste Mal am<br />

2. März 2024 in Zusammenarbeit<br />

mit dem Zentrum für<br />

seltene Krankheiten am<br />

Inselspital in Bern statt.<br />

Reservieren Sie sich das<br />

Datum schon heute.<br />

Informationen<br />

Webinar<br />

Zusammenfassung<br />

Webinar<br />

Auf der Website publiziert ProRaris regelmässig<br />

Erfahrungsberichte von Betroffenen, so auch<br />

den von Beat Amacker.<br />

Weitere Informationen:<br />

www.proraris.ch oder folgen Sie uns auf LinkedIn oder X (vormals Twitter)<br />

Newsletter-Anmeldung, damit Sie wissen, was sich im<br />

Bereich seltener Krankheiten tut:<br />

www.proraris.ch/de/newsletter-anmelden-306.html<br />

Unterstützen Sie unsere Arbeit für Menschen mit seltenen Krankheiten<br />

Online-Spende: IBAN: CH22 0076 7000 E525 2446 2 (BCV)<br />

FOTO: ZVG<br />

Informiere dich bei<br />

„HAEllo zum Leben“!<br />

Dort findest du<br />

• hilfreiche Tipps<br />

für ein gutes Leben<br />

mit HAE<br />

• Anlaufstellen<br />

• und vieles mehr<br />

Allergie? Darmerkrankung?<br />

Insektenstich?<br />

HAELLO<br />

zum Leben!<br />

Plötzliche Schwellungen im Gesicht, im Hals, an den Gliedmassen und<br />

Bauchschmerz attacken können die seltene Erkrankung Hereditäres<br />

Angioödem (HAE) sein.<br />

Du weisst nicht, ob du HAE hast? Du hast schon eine Diagnose<br />

und fragst dich, wie es jetzt weitergeht?<br />

HAEllo zum Leben – eine Initiative der<br />

BioCryst Schweiz GmbH<br />

Weitere Informationen unter<br />

www.haellozumleben.ch sowie auf<br />

Facebook und Instagram @haellozumleben<br />

Approval-Nr. CH.ORL.00019, Stand 09/2023


4 | Lesen Sie mehr unter www.selteneerkrankungen.ch<br />

BRANDREPORT<br />

HAE –<br />

in Diagnose<br />

Prof. Dr. Karin Hartmann vom Unispital Basel klärt im Interview<br />

darüber auf, was sich hinter der Abkürzung HAE versteckt und wie<br />

die Diagnose der seltenen Erkrankung erfolgt.<br />

FOTO: ZVG<br />

Prof. Dr. med.<br />

Karin Hartmann<br />

Stv. Chefärztin<br />

Dermatologie<br />

Leiterin Allergologie<br />

Leiterin Klinische<br />

Studien<br />

Forschungsgruppenleiterin<br />

am Departement<br />

Biomedizin<br />

und am<br />

Departement<br />

Klinische Forschung<br />

Universitätsspital<br />

Basel<br />

Was versteht man genau unter einem hereditären<br />

Angioödem, kurz: HAE?<br />

Das hereditäre Angioödem ist eine seltene,<br />

erbliche Krankheit, bei der die Betroffenen<br />

einen genetischen Defekt aufweisen, der zu<br />

Schwellungen der Haut oder der Schleimhäute<br />

führt. Diese Schwellungen können sichtbar sein<br />

und stören – etwa wenn das Auge oder die Lippe<br />

geschwollen ist. Das HAE kann aber auch mit<br />

Schwellungen im Hals verbunden sein, sodass<br />

es zu lebensbedrohlichen Atembeschwerden<br />

kommt. Daher versuchen wir, alle Patientinnen<br />

und Patienten sorgfältig aufzuklären und<br />

möglichst gut zu behandeln, damit eine solche<br />

Situation erst gar nicht auftritt.<br />

Das heisst, die Erkrankung zeigt sich über<br />

Schwellungen. Welche Symptome können<br />

noch auftreten?<br />

Für Betroffene können insbesondere auch die<br />

Schwellungen an den Schleimhäuten, also etwa<br />

im Magen-Darm-Trakt, sehr unangenehm sein.<br />

Das kann zu starken, krampfartigen Bauchschmerzen<br />

führen. Manchmal ist das über Jahre<br />

auch das einzige Symptom. Der Beginn der<br />

klinischen Manifestation der Erkrankung kann<br />

unterschiedlich sein – trotz gleichen genetischen<br />

Defekts. Häufig treten die Schwellungen<br />

erstmals im jungen Erwachsenenalter auf. Bei<br />

70 Prozent der Fälle ist das HAE bereits in der<br />

Familie bekannt. Bei 30 Prozent sind es Neumutationen,<br />

die in Zukunft erblich sein können.<br />

Welche Auslöser kann es für eine HAE-Attacke<br />

geben?<br />

Die Schwellungen können durch mechanische<br />

Reizung getriggert werden, beispielsweise bei<br />

einer zahnärztlichen Behandlung. Aber auch<br />

hormonelle Veränderungen im Laufe des Zyklus<br />

bei Frauen können Auslöser sein. Darüber<br />

hinaus können auch Stresssituationen sowie<br />

Infekte und andere <strong>Erkrankungen</strong> die Schwellungen<br />

auslösen.<br />

Viele Menschen mit seltenen <strong>Erkrankungen</strong><br />

erzählen von einem langen Leidensweg bis<br />

zur richtigen Diagnose. Wie sieht das bei<br />

HAE aus?<br />

In den letzten Jahrzehnten hat sich aus meiner<br />

Sicht die Situation für Patientinnen und Patienten<br />

verbessert. Das HAE wird jetzt meist früher<br />

diagnostiziert – auch weil der Bekanntheitsgrad<br />

gestiegen ist. Aber dennoch wird das HAE<br />

nicht immer gleich erkannt. Schliesslich kann<br />

es auch andere Ursachen für die Schwellungen<br />

oder Beschwerden geben. Um das HAE sicher<br />

zu diagnostizieren, braucht es neben den<br />

klinischen Befunden auch bestimmte<br />

Laborwerte oder genetische Befunde.<br />

Wohin können sich Menschen<br />

wenden, wenn sie mögliche<br />

HAE-Symptome abklären<br />

lassen möchten?<br />

Es gibt spezialisierte Expertenzentren<br />

an vielen grösseren<br />

Spitälern, etwa auch bei uns am<br />

Unispital Basel. Diese Zentren<br />

haben viel Erfahrung und<br />

Expertise in der Diagnosestellung<br />

und Therapie. Auch die Betroffenen<br />

selbst sind sehr aktiv geworden und<br />

haben Selbsthilfegruppen gegründet, die<br />

ebenso über das HAE aufklären. All das hat<br />

dazu beigetragen, dass die Diagnose heute<br />

schneller gestellt und die Erkrankung besser<br />

behandelt werden kann.<br />

Universitätszentrum für <strong>Seltene</strong> Krankheiten Basel<br />

Helpline für Betroffene und Angehörige:<br />

061 704 10 50 I rarediseasesbasel@ukbb.ch<br />

Montag bis Donnerstag, 08:00 bis 12:00 Uhr


MEDIAPLANET | 5<br />

BRANDREPORT<br />

Neue Wege<br />

und Therapie<br />

Am Inselspital Bern behandeln PD Dr. Urs Steiner und Dr. Isabel<br />

Morales gemeinsam HAE-Betroffene. Im Interview sprechen sie<br />

über neue Therapien und den Einfluss auf die Lebensqualität.<br />

Welche akuten Behandlungsmöglichkeiten<br />

gibt es für Menschen mit einem HAE?<br />

Morales: In der Schweiz gibt es zwei Varianten<br />

an akuten Therapiemöglichkeiten –<br />

entweder als Fertigspritze subkutan oder als<br />

intravenöse Verabreichung. Beide Varianten<br />

können nach einer sorgfältigen Instruktion<br />

von Patientinnen und Patienten selbstständig<br />

verabreicht werden.<br />

Welche präventiven Therapieoptionen<br />

haben Betroffene?<br />

Steiner: Als Langzeitprophylaxe können wir<br />

neue Medikamente einsetzen, die Betroffene<br />

entweder subkutan applizieren<br />

oder oral einmal täglich<br />

einnehmen. Die Therapien<br />

sind State of the Art, im<br />

Gegensatz zu veralteten<br />

Therapien auf hormoneller<br />

Basis. Die<br />

Langzeitprophylaxe<br />

verhindert akute<br />

Angioödeme.<br />

Warum sollten<br />

HAE-Betroffene<br />

regelmässig an<br />

spezialisierten<br />

Zentren behandelt<br />

werden?<br />

Steiner: Es ist wichtig, dass<br />

Patientinnen und Patienten mit<br />

seltenen <strong>Erkrankungen</strong> wie HAE<br />

an spezialisierten Zentren, wie bei<br />

uns am Inselspital Bern, mitbetreut<br />

werden, in Zusammenarbeit<br />

mit den Hausärztinnen<br />

und -ärzten. Wir führen<br />

umfassende Studien<br />

durch, in denen wir<br />

den Krankheitsverlauf und die Therapiemodalitäten<br />

sowie die Lebensqualität verfolgen. So<br />

haben wir die Möglichkeit, die neuen, teuren<br />

Medikamente individualisiert und effizient<br />

einzusetzen.<br />

In welchen Abständen sollten Patientinnen<br />

und Patienten ans HAE-Zentrum kommen?<br />

Morales: Wenn die Erkrankung gut kontrolliert<br />

ist, mindestens einmal im Jahr. Treten<br />

die Attacken aber häufiger auf, braucht es<br />

mehr Kontrollen, um die Therapie anzupassen.<br />

Unser Ziel ist es, die Therapie so einzustellen,<br />

dass die HAE-Betroffenen frei von<br />

HAE-Attacken werden.<br />

Welchen Einfluss hat HAE auf die Lebensqualität<br />

von Betroffenen?<br />

Steiner: Das HAE hat einen starken Einfluss<br />

auf die Lebensqualität, da die Angioödem-<br />

Attacken entstellen können, Schmerzen<br />

verursachen und bei einer Schleimhautschwellung<br />

der Atemwege lebensgefährlich<br />

sind. Das macht Betroffenen natürlich Angst<br />

und kann das private und berufliche Leben<br />

entsprechend beeinflussen. Wenn wir durch<br />

eine gute Therapie Angioödem-Attacken entweder<br />

verhindern oder dann gut behandeln<br />

können, steigert das die Lebensqualität von<br />

Patientinnen und Patienten enorm.<br />

Können Menschen mit HAE heute ein<br />

ganz normales Leben führen?<br />

Steiner: Ja, dank der neuen Therapieformen<br />

ist das für viele HAE-Betroffene möglich<br />

geworden.<br />

Inselspital Bern – Interdisziplinäre<br />

Sprechstunde für Immundefekte und<br />

Autoinflammatorische <strong>Erkrankungen</strong><br />

031 632 31 70 I anmeldung.rheumapoli@insel.ch<br />

031 632 22 69 I aip@insel.ch<br />

FOTO: ZVG<br />

Dr. med. Isabel<br />

Morales<br />

Assistenzärztin<br />

Poliklinik für<br />

Allergologie<br />

und klinische<br />

Immunologie<br />

Inselspital, Universitätsspital<br />

Bern<br />

FOTO: ZVG<br />

PD Dr. med.<br />

Urs Steiner<br />

Leitender Arzt<br />

Universitätsklinik<br />

für Rheumatologie<br />

und<br />

Immunologie<br />

Inselspital, Universitätsspital<br />

Bern


6 | Lesen Sie mehr unter www.selteneerkrankungen.ch<br />

Mit Stift und Papier –<br />

aber ohne Smalltalk<br />

Nora Sophie Aigner schreibt – und spricht – offen über ihre<br />

seltene Erkrankung. Warum das für sie etwas Besonderes ist<br />

und was es bedeutet, von heute auf morgen nicht mehr wie<br />

gewohnt kommunizieren zu können, lesen Sie hier.<br />

Text: Magdalena Reiter-Reitbauer<br />

Du lebst mit einer seltenen<br />

Erkrankung, bei der du<br />

plötzlich nicht mehr sprechen<br />

konntest. Wie manifestiert<br />

sie sich?<br />

Das Eagle-Syndrom, die seltene<br />

Erkrankung, mit der ich<br />

lebe, betrifft neben der Stimme<br />

auch viele andere Bereiche.<br />

Das führt zu einer sehr<br />

diffusen und vor allem sehr<br />

schmerzhaften Symptomatik<br />

im Kopf-, Hals- und Nackenbereich.<br />

Das ist auch der Grund,<br />

warum die Erkrankung so<br />

schwer zu diagnostizieren war.<br />

Durch eine Verknöcherung<br />

von Bändern werden wichtige<br />

Hirnnerven verletzt. Sind<br />

auch die Blutgefässe betroffen,<br />

entstehen verschiedene<br />

zusätzliche Schmerzen und<br />

Probleme. Aktuell befinde ich<br />

mich leider wieder in einer Art<br />

Ausnahmezustand, weil bei<br />

mir kürzlich eine weitere Form<br />

des Eagle-Syndroms diagnostiziert<br />

wurde: nämlich das<br />

Eagle-Jugular-Syndrom mit<br />

hochgradiger Kompression der<br />

Vena jugularis interna. Bald<br />

steht meine vierte Schädel-<br />

Operation in Deutschland an.<br />

Der Kampf geht also weiter.<br />

Wie hast du den Moment<br />

wahrgenommen, als du die<br />

Diagnose erhalten hast?<br />

Die Zeit bis zur richtigen<br />

Diagnose kann man sich<br />

wie eine Vorhölle vorstellen.<br />

Man befindet sich in einem<br />

Schwebezustand, in dem man<br />

nicht weiss, was man hat, aber<br />

ein deutliches körperliches<br />

Missempfinden wahrnimmt.<br />

Man ist bei der sehr hohen<br />

Anzahl an ärztlichen Besuchen<br />

mit klinischem Labelling<br />

und Gaslighting konfrontiert.<br />

Der Tag der Diagnose ist daher<br />

eher ein Tag der Erleichterung<br />

durch die Gewissheit, obwohl<br />

die Reise dann erst losgeht.<br />

Welche Behandlungsmöglichkeiten<br />

gibt es für das<br />

Eagle-Syndrom?<br />

Es gibt konservative Behandlungsmöglichkeiten,<br />

wie Physio-<br />

oder Infiltrationstherapie.<br />

Aufgrund der langen Diagnosezeit<br />

sind die Beschwerden<br />

aber häufig so stark chronifiziert,<br />

dass man sie nur mehr<br />

mit Operationen lösen kann.<br />

Ob eine (Teil-)Regeneration<br />

überhaupt möglich ist, hängt<br />

von vielen Faktoren ab und leider<br />

spielt dabei auch die Dauer<br />

der Erkrankung eine Rolle.<br />

Du hast zwar deine Stimme<br />

verloren, aber nicht deine<br />

Ausdrucksform. Und du<br />

hast sogar ein Buch herausgebracht.<br />

Mit welcher Intention<br />

hast du zu schreiben<br />

begonnen?<br />

Ich konnte über Jahre nicht<br />

sprechen, bin nur von Spital<br />

zu Spital gereist und brauchte<br />

ein Ventil dafür. Stift und<br />

Papier hatte ich immer dabei<br />

– schliesslich war das mein<br />

Mittel, um zu kommunizieren.<br />

Ich habe in dieser Zeit<br />

Listen dazu erstellt, was ich<br />

wem sagen möchte, wenn ich<br />

wieder sprechen kann. Daraus<br />

ist eine spielerische Form von<br />

Texten entstanden, die mir<br />

Freude bereitet hat. Ich dachte<br />

mir, dass das vielleicht auch<br />

anderen Leuten in schwierigen<br />

Situationen Mut machen<br />

kann. Und irgendwann habe<br />

ich begonnen, Gedichte zu<br />

schreiben – über Liebe, Sehnsüchte,<br />

Glück und Hoffnung.<br />

So ist die Idee zum Buch<br />

entstanden.<br />

Neben deinen körperlichen<br />

Beschwerden: Mit welchen<br />

psychischen Herausforderungen<br />

warst oder bist du<br />

konfrontiert?<br />

Körperlich nicht fit zu sein<br />

wirkt sich stark auf die<br />

Lebensqualität aus und geht<br />

mit Verlusten einher. Mein<br />

Leben hat sich von einem Tag<br />

auf den anderen verändert.


MEDIAPLANET | 7<br />

FOTO: JOSEPH KRPELAN<br />

Viele Zukunftsvorstellungen,<br />

Ziele und Träume haben sich<br />

in Luft aufgelöst. Die Ungewissheit,<br />

ob man sich jemals<br />

besser fühlen wird, hat mich<br />

ständig begleitet. Da es in<br />

meinem Fall kein spezifisches<br />

medizinisches Zentrum gibt,<br />

musste ich mich allein durch<br />

das Gesundheitssystem navigieren.<br />

Ich lese mich täglich<br />

in Studien ein und schreibe<br />

Ärztinnen und Ärzte im Ausland<br />

an. Vollkommen allein<br />

dazustehen wird mit der Zeit<br />

anstrengend und führt zur<br />

sozialen Isolation. Man fühlt<br />

sich unverstanden und lebt<br />

in einer anderen Welt als der<br />

eigene Bekanntenkreis. Das ist<br />

ein sehr einsames Gefühl.<br />

Was bedeutet das Leben<br />

mit einer seltenen Erkrankung<br />

für zwischenmenschliche<br />

Beziehungen?<br />

Wenn man gewohnt ist, über<br />

die Stimme zu kommunizieren<br />

und keine Zeichensprache<br />

kann, fehlt in der Kommunikation<br />

die Emotion. Es<br />

geht ein Stück Persönlichkeit<br />

verloren, wenn man nicht<br />

mitscherzen kann oder fünf<br />

Minuten braucht, um auf<br />

etwas zu antworten, weil man<br />

Geschriebenes erst vorlesen<br />

lassen muss. Das war mit der<br />

Zeit sehr bitter und isolierend.<br />

Und wie war der Moment für<br />

dich, als du wieder sprechen<br />

konntest?<br />

Ich habe nicht mit dem Finger<br />

geschnipst und konnte wieder<br />

sprechen, sondern musste mir<br />

alles mühsam von Satz zu Satz<br />

neu erarbeiten. Meine Stimmkapazität<br />

war sehr gering. Ging<br />

ich über meine Grenzen, brach<br />

sofort eine neue Entzündung<br />

aus. Es war eine harte Schule,<br />

wenn man genau überlegen<br />

muss, was man sagt und was<br />

nicht.<br />

Oft spricht man im Alltag<br />

ohne dabei tatsächlich etwas<br />

auszusagen. Wie haben<br />

sich deine Erfahrungen auf<br />

deine heutige Kommunikation<br />

ausgewirkt?<br />

Vor der Erkrankung war ich ein<br />

schüchterner Mensch. Ich habe<br />

mir geschworen, Dinge zukünftig<br />

anzusprechen. Damit tue<br />

ich mir aber immer noch<br />

schwer – im Übrigen auch mit<br />

Smalltalk auf Partys. Ich finde<br />

es wichtig, beim Sprechen ans<br />

Eingemachte zu gehen.<br />

Was möchtest du anderen<br />

Menschen mit (seltenen) <strong>Erkrankungen</strong><br />

mitgeben?<br />

Offen mit der Erkrankung<br />

umzugehen, hat mir zu mehr<br />

Lebensqualität verholfen. Man<br />

hat als chronisch kranke<br />

Person das Gefühl, sich<br />

zurückziehen zu müssen, weil<br />

man den Eindruck gewinnt,<br />

dass diese Welt nur für<br />

Gesunde gemacht ist. Aber hier<br />

braucht es ein Umdenken und<br />

eine inklusivere Gesellschaft.<br />

Durch meine Offenheit<br />

versuche ich, dafür zu sensibilisieren.<br />

Stimme der Hoffnung<br />

Verlag Bibliothek<br />

der Provinz<br />

ISBN: 978-3-99126-162-9<br />

Bei medizinischen Ideen zur Behandlung<br />

von Schmerzgedächtnis<br />

melden Sie sich bitte unter:<br />

www.norasophie.at<br />

@nora.sophiiie


8 | Lesen Sie mehr unter www.selteneerkrankungen.ch<br />

Nebennierenrindenkarzinom (ACC)<br />

Das Nebennierenrindenkarzinom ist eine bösartige Erkrankung der Nebennierenrinde.<br />

Mit nur etwa 1–2 Neuerkrankungen pro 1 Mio. Einwohner im Jahr ist das Nebennierenkarzinom<br />

äusserst selten und es gibt nur wenige Einrichtungen, die auf die<br />

Behandlung spezialisiert sind. Wir sprachen mit Prof. Dr. Dr. Matthias Kroiß vom<br />

LMU Klinikum über diese seltene Krebserkrankung.<br />

Text: Alexandra Lassas<br />

Herr Professor Kroiß, welche<br />

Symptome verursacht das<br />

Nebennierenrindenkarzinom und<br />

was ist die Schwierigkeit bei der<br />

Diagnose?<br />

Es gibt verschiedene Symptome, die<br />

bei Betroffenen auftreten und zur<br />

Diagnose eines Nebennierenkarzinoms<br />

führen können. Ein Teil der<br />

Tumoren führt zu einer Überproduktion<br />

von Hormonen, zum Beispiel<br />

von Geschlechtshormonen. Im<br />

weiblichen Körper führt dies dann zu<br />

Bartwachstum, einer tiefen Stimme,<br />

Haarausfall und Akne. Bei Männern<br />

kann ein Überschuss an weiblichen<br />

Hormonen zu Brustwachstum oder<br />

verminderter Libido führen. Es gibt<br />

auch zahlreiche Fälle, in denen das<br />

Nebennierenkarzinom Cortisol<br />

produziert und es folglich zu einem<br />

Überschuss dieses Stresshormons<br />

kommt. Die Folge sind Bluthochdruck,<br />

Diabetes oder Infektanfälligkeit.<br />

Dieses Beschwerdebild nennt<br />

man Cushing-Syndrom.<br />

Tumoren, die keine Hormone<br />

bilden, können durch Wachstum und<br />

die zunehmende Grösse unspezifische<br />

Bauchschmerzen verursachen<br />

und ein Druckgefühl auslösen. Diese<br />

nehmen mit der Grösse des Tumors<br />

zu, sodass er im Frühstadium, wenn<br />

der Tumor noch klein ist, kaum zu<br />

diagnostizieren ist. Hinzu kommt:<br />

Gutartige Nebennierentumoren sind<br />

sehr häufig und es fällt daher schwer,<br />

aus den vielen kleinen Tumoren<br />

der Nebenniere die wenigen bösartigen<br />

Nebennierenkarzinome<br />

«herauszufiltern». Insgesamt sind<br />

die Beschwerden eher unspezifisch<br />

und können verschiedene andere<br />

Ursachen haben, sodass sie nicht<br />

unmittelbar auf diese Krebsart<br />

zurückzuführen sind.<br />

Wie sehen die derzeitigen Therapiemöglichkeiten<br />

aus und welche<br />

Rolle spielt der Diagnosezeitpunkt?<br />

Die Therapie, die die Krankheit<br />

heilen kann, ist die Operation.<br />

Eine Operation der Nebenniere mit<br />

Entfernung des Tumors ist jedoch<br />

meist nur sinnvoll, wenn der Krebs<br />

sich noch nicht in andere Teile des<br />

Körpers ausgebreitet hat, sich also<br />

in einem frühen Stadium befindet.<br />

Der Zeitpunkt der Diagnosestellung<br />

ist daher für den Krankheitsverlauf<br />

von grosser Bedeutung. Deshalb ist<br />

es wichtig, bei Beschwerden einen<br />

Arzt aufzusuchen, und dieser sollte<br />

dann auch die Diagnostik rasch in<br />

die Wege leiten.<br />

Eine Nebennierenoperation sollte<br />

grundsätzlich in einem erfahrenen<br />

Zentrum durchgeführt werden.<br />

Nach der vollständigen Entfernung<br />

des Tumors können Medikamente<br />

verabreicht werden, um die<br />

Wahrscheinlichkeit des Wiederauftretens<br />

zu verringern. Ist eine<br />

operative Entfernung nicht möglich,<br />

zielt die Behandlung darauf<br />

ab, den Krankheitsverlauf durch<br />

eine medikamentöse Behandlung<br />

zu verlangsamen. Ziel ist es, das<br />

Tumorwachstum zu hemmen und<br />

die Beschwerden zu lindern. Im fortgeschrittenen<br />

Stadium ist oft eine<br />

Chemotherapie notwendig. Darüber<br />

hinaus wird Patienten im fortgeschrittenen<br />

Stadium der Erkrankung<br />

empfohlen, an klinischen Studien<br />

teilzunehmen, in denen neue<br />

Medikamente getestet werden. Es<br />

gibt immer wieder Fälle, in denen<br />

Patienten sehr gut auf die Therapie<br />

ansprechen, und in Einzelfällen<br />

kann, trotz fortgeschrittenem Stadium,<br />

eine Heilung erreicht werden.<br />

Wo finden Betroffene Unterstützung<br />

und wo werden sie optimal<br />

versorgt?<br />

Bei Verdacht auf ein Nebennierenkarzinom<br />

sollte Kontakt zu einem<br />

spezialisierten Zentrum aufgenommen<br />

werden. Dabei sollte es sich um<br />

eine Klinik handeln, die über eine<br />

entsprechend ausgewiesene<br />

endokrinologische Abteilung verfügt<br />

und sich rasch um den Patienten<br />

kümmern kann.<br />

Prof. Dr. Dr.<br />

Matthias Kroiß<br />

Leiter AG Endokrine<br />

Onkologie<br />

Klinikum der<br />

Universität<br />

München<br />

Es gibt auch eine internationale Patienteninitiative (www.<br />

letscureacc.com), bei der Patienten Rat und Hilfe finden. In<br />

Würzburg findet am 13. April 2024 ein Treffen für Betroffene<br />

und Angehörige statt. Darüber hinaus würde ich mir wünschen,<br />

dass sich betroffene Patienten und ihre niedergelassenen<br />

Ärzte schnell mit geeigneten Zentren vernetzen.<br />

FOTO: ZVG<br />

Pharma<br />

Rare Diseases<br />

HRA Pharma<br />

Deutschland GmbH<br />

unterstützt:<br />

1-23-07-1, A-1-23-07-1, CH-1-23-07-1 Stand Juli 2023


MEDIAPLANET | 9<br />

Schmetterlingsfrühchen Amir:<br />

Eine Geschichte der Hoffnung<br />

und Unterstützung<br />

Am Tag des 30.<br />

November letzten<br />

Jahres merkte ich<br />

schon mittags, dass<br />

etwas anders war. Da ich erst<br />

in der 33. Schwangerschaftswoche<br />

war, rief ich im Spital<br />

an, ob ich mich untersuchen<br />

lassen könnte. Kurz darauf<br />

fuhr ich in die Frauenklinik<br />

und um 3.04 Uhr kam Amir per<br />

Kaiserschnitt zur Welt.<br />

Man sagte mir schon vor<br />

der OP, dass man Amir zuerst<br />

in ein Nebenzimmer bringen<br />

würde, wo ihn Kinderärzt:innen<br />

der Neonatologie untersuchen<br />

würden, und ich ihn<br />

danach sehen könnte. Noch<br />

während ich genäht wurde,<br />

durfte mein Mann zu Amir<br />

gehen. Als er wenige Minuten<br />

später zu mir zurückkam, zeigte<br />

er mir besorgt zwei Bilder,<br />

die er von Amir geschossen<br />

hatte und auf denen man sah,<br />

dass ihm Haut an Füssen und<br />

Ellbogen fehlte. Ich weiss nicht<br />

warum, aber ich habe mir da<br />

noch nicht zu viele Gedanken<br />

gemacht. Von der Schmetterlingskrankheit<br />

hatte ich bislang<br />

auch noch nichts gehört.<br />

Dann wurde uns gesagt,<br />

dass Amir aufgrund seines<br />

Zustands in das Kinderspital<br />

Zürich verlegt werden müsse.<br />

Ich sah Amir das erste Mal in<br />

Folie eingewickelt mit Atemmaske<br />

hinter der Scheibe eines<br />

Babybetts für den Krankentransport.<br />

Ohne ihn berührt,<br />

gefühlt oder gerochen zu<br />

haben, musste ich mich von<br />

ihm verabschieden und wurde<br />

Amir ist unser drittes Kind. Amir ist ein Frühchen.<br />

Amir hat Epidermolysis bullosa.<br />

auf die Wochenbettstation<br />

gebracht.<br />

Amir verbrachte insgesamt<br />

35 Tage im Spital. Wir wurden<br />

von Anfang an sehr eng<br />

durch das Pflegepersonal wie<br />

auch die Ärzt:innen betreut.<br />

Schnell hatte sich hier ein<br />

Ärzteteam der Neonatologie,<br />

Intensivstation, Dermatologie<br />

und Kardiologie aufgebaut,<br />

und Mitarbeiter:innen der<br />

Abteilungen Sozialberatung,<br />

Psychologie, Seelsorge wie<br />

auch Physiotherapie boten<br />

ihre Dienste an. In diesen<br />

35 Tagen wurde ich mit einer<br />

Fülle an Informationen über<br />

EB, Amirs Herzerkrankung,<br />

seinen Frühgeborenenstatus<br />

von Expert:innen überschüttet.<br />

Der gut gemeinte Rat der<br />

Ärzt:innen, den sie mir nach<br />

der Diagnosestellung gaben,<br />

war, die Krankheit nicht<br />

zu googeln. Zurück auf der<br />

Wochenbettstation gab ich<br />

Epidermolysis bullosa in mein<br />

Handy ein und ich sah mir das<br />

FOTO: ZVG<br />

erste Video an, das ich fand.<br />

Wenn man wie ich noch keine<br />

Berührungspunkte mit einem<br />

seltenen Gendefekt hatte, fühlt<br />

man sich sehr hilflos und muss<br />

schauen, wohin mit seinen<br />

Gefühlen. Ich weinte die ganze<br />

Nacht mit den neugeborenen<br />

Babys, die ich durch meine<br />

Zimmertür über den Gang<br />

hören konnte, und hatte nichts<br />

und niemanden, der meine<br />

Gefühle auffangen konnte. Was<br />

mir zwischen den ganzen Arztgesprächen,<br />

Verbandswechseln,<br />

dem Milchabpumpen,<br />

Warten, Bangen und Recherchieren<br />

von Informationen im<br />

Internet gefehlt hatte, war eine<br />

Gesprächsperson, die wirklich<br />

verstand, welche Ängste ich<br />

durchlebte und welche Fragen<br />

mir durch den Kopf schossen.<br />

Hier hätte ich mir gewünscht,<br />

dass ich mich eher an DEBRA<br />

gewandt hätte und somit sofort<br />

eine Ansprechperson gehabt<br />

hätte. Eine stille Umarmung<br />

von einer Mutter, die schon<br />

das hinter sich hatte, was mir<br />

noch bevorstünde, hätte mir<br />

Hoffnung und Mut gemacht,<br />

dass alles gut kommen würde.<br />

Es ist nicht zu unterschätzen,<br />

was eine Patientenorganisation<br />

für Betroffene und ihre<br />

Angehörigen leisten kann.<br />

Sicherlich, Amir war ärztlich<br />

gut versorgt – da muss man<br />

sich in der Schweiz keine<br />

Sorgen machen.<br />

Da aber die Krankheit so<br />

selten ist, dass sogar unter<br />

Ärzt:innen und Pflegepersonal<br />

zu wenig Erfahrungswerte<br />

DEBRA Schweiz ist seit 1998<br />

die Patientenorganisation für<br />

Menschen, die mit Epidermolysis<br />

bullosa (EB) leben.<br />

Für die Betroffenen und deren<br />

Angehörige bietet DEBRA<br />

Schweiz Unterstützung bei der<br />

Bewältigung des Alltags durch<br />

Beratung oder gezielte unparteiische<br />

Finanzierung, wenn die<br />

Sozialversicherungen die Kosten<br />

nicht übernehmen, zum Beispiel<br />

bei Hilfsmitteln.<br />

DEBRA Schweiz bietet ein<br />

Netzwerk zum Erfahrungs- und<br />

Informationsaustausch. An<br />

organisierten Weiterbildungen<br />

und Workshops kommen die betroffenen<br />

Familien untereinander<br />

in Kontakt. Die Fachpersonen<br />

tauschen ihr Wissen aus und es<br />

wird über internationale Erkenntnisse<br />

informiert.<br />

DEBRA Schweiz arbeitet mit<br />

dem EB-Kompetenzzentrum am<br />

Universitätsspital Bern (EB-Insel)<br />

sowie dem Kinderspital Zürich<br />

zusammen. DEBRA Schweiz ist<br />

Mitglied bei DEBRA International<br />

sowie ProRaris, dem Dachverband<br />

für seltene Krankheiten in<br />

der Schweiz.<br />

DEBRA Schweiz ist als gemeinnützig<br />

anerkannt. Spenden<br />

an DEBRA Schweiz können bei<br />

den Steuern in Abzug gebracht<br />

werden.<br />

DEBRA Schweiz<br />

Bahnhofstrasse 55<br />

5001 Aarau<br />

T +41 62 836 20 90<br />

sekretariat@schmetterlings<br />

kinder.ch<br />

www.schmetterlingskinder.ch<br />

vorhanden sind, um alltagstaugliche<br />

Lösungen und Tipps<br />

an die Betroffenen und ihre<br />

Familien weitergeben zu<br />

können, ist eine solche<br />

Patientenorganisation<br />

unerlässlich. DEBRA schliesst<br />

hier eine Lücke, die von<br />

keinem Ärzteteam oder einer<br />

sonstigen Institution gefüllt<br />

werden könnte. Daher möchte<br />

ich allen Ehrenamtlichen für<br />

ihr Engagement danken.


10 | Lesen Sie mehr unter www.selteneerkrankungen.ch<br />

Case Management –<br />

eine Herkulesaufgabe<br />

FOTO: WWW.KMSK.CH/ELFETERAMADANI<br />

Manuela Stier<br />

Gründerin und<br />

Geschäftsleiterin<br />

Förderverein für<br />

Kinder mit seltenen<br />

Krankheiten<br />

www.kmsk.ch<br />

So verschieden seltene<br />

Krankheiten sind,<br />

so individuell ist die<br />

entsprechende Koordination<br />

und Kommunikation<br />

zwischen allen Akteuren.<br />

Um Eltern von Kindern mit<br />

seltenen Krankheiten in der<br />

Koordination und Umsetzung<br />

von zahlreichen Terminen<br />

besser zu unterstützen, bedarf<br />

es eines Case Management. Bis jetzt fiel<br />

diese Herkulesaufgabe mit einer Selbstverständlichkeit<br />

den Eltern zu. Case<br />

Management ist ein Prozess, in dem die<br />

Eltern mit den involvierten Fachpersonen<br />

gemeinsam festlegen, in welcher<br />

Form sie organisatorisch, bei medizinischen<br />

Notfällen und bei komplexen<br />

psychosozialen Fragen eine zusätzliche<br />

Unterstützung benötigen.<br />

Wissenstransfer rund um das Thema<br />

«<strong>Seltene</strong> Krankheiten bei Kindern»<br />

Der Förderverein für Kinder mit<br />

seltenen Krankheiten (KMSK) hat sich<br />

zum Ziel gesetzt, das vielfältige Wissen<br />

in mittlerweile sechs KMSK Wissensbüchern<br />

«<strong>Seltene</strong> Krankheiten» zu bündeln<br />

und allen Dialoggruppen kostenlos<br />

zur Verfügung zu stellen. Nach der<br />

Diagnose fühlen sich die Eltern häufig<br />

überfordert und allein. Wissen befähigt<br />

die Eltern, selbstbewusst und auf<br />

Augenhöhe den Dialog mit Fachpersonen<br />

zu führen. Die Wissensbücher sind<br />

wichtige Instrumente mit Wissen aus<br />

der Praxis und dienen (neu) betroffenen<br />

Eltern, der Ärzteschaft, Pflegekräften,<br />

Forschenden, Therapeut:innen,<br />

Auszubildenden, Pädagog:innen und<br />

Politiker:innen als Nachschlagewerk.<br />

«Im neuesten KMSK Wissensbuch<br />

gehen wir deshalb auf die Herausforderungen<br />

im Zusammenspiel zwischen


MEDIAPLANET | 11<br />

Eltern, der Ärzteschaft und weiteren<br />

Akteuren ein, lassen betroffene<br />

Familien und Fachpersonen zu<br />

Wort kommen und zeigen machbare<br />

Lösungsansätze auf», erklärt Manuela<br />

Stier, Gründerin des Fördervereins.<br />

Optimale Kommunikation dank<br />

der Verfügbarkeit von Wissen und<br />

digitalen Ressourcen<br />

Eltern sind der wichtigste Teil des<br />

Teams, haben jedoch oft nicht die<br />

Kapazität, selbst das Case Management<br />

zu übernehmen. Für ein umfassendes<br />

Case Management braucht es<br />

verbesserte Strukturen und Hilfeleistungen.<br />

Hier ist vor allem auch die<br />

Politik gefordert. Für eine bestmögliche<br />

Versorgung und Unterstützung<br />

müssen sich das Gesundheitswesen<br />

und andere Bereiche des sozialen<br />

Lebens (Schule, Arbeit, Freizeit) mehr<br />

an den Bedürfnissen betroffener<br />

Familien ausrichten. Dies kann nur<br />

mit einer funktionierenden Kommunikation<br />

zwischen Ärzteschaft,<br />

Therapeut:innen, Versicherungen,<br />

Bildungseinrichtungen und anderen<br />

Akteuren, die für die Lebensqualität<br />

der Betroffenen wichtig sind, gelingen.<br />

In der Pandemiezeit ist deutlich<br />

geworden, dass effizientes Zusammenwirken<br />

von Politik, Wissenschaft,<br />

Gesellschaft und Industrie möglich<br />

ist und in kurzer Zeit konkrete Ergebnisse<br />

hervorbringen kann. Eva Luise<br />

Köhler von der Eva Luise und Horst<br />

Köhler Stiftung für Menschen mit<br />

<strong>Seltene</strong>n <strong>Erkrankungen</strong> erklärt im<br />

sechsten KMSK Wissensbuch weiter:<br />

«Ein vergleichbarer Schulterschluss<br />

im Bereich der seltenen <strong>Erkrankungen</strong><br />

ist dringend nötig, damit auch<br />

die Waisen der Medizin am enormen<br />

wissenschaftlichen und technologischen<br />

Fortschritt unserer Dekade<br />

teilhaben.»<br />

Aktuelle Studie zu<br />

Case Management<br />

Der Kinderarzt und Palliativmediziner<br />

Dr. med. Jürg Streuli, der auch als<br />

Beirat beim Förderverein für Kinder<br />

mit seltenen Krankheiten fungiert,<br />

veröffentlichte gemeinsam mit dem<br />

Förderverein KMSK eine aktuelle<br />

Studie zum Thema Case Management.<br />

Die Ergebnisse betonen die<br />

mangelnde integrative Unterstützung<br />

für betroffene Familien. Die<br />

Eltern stossen beim Übernehmen der<br />

Case-Management-Aufgaben häufig<br />

an die Grenzen ihrer Belastbarkeit.<br />

Um einen ganzheitlichen Ansatz<br />

für alle Familien zu ermöglichen,<br />

wird eine enge Kooperation zwischen<br />

Spezialsprechstunden, Kompetenzzentren<br />

für seltene Krankheiten und<br />

Netzwerkstützpunkten für Palliative<br />

Care empfohlen. Die moderne<br />

Medizin sollte sich nicht nur auf die<br />

Behandlung von Schwäche und<br />

Leiden konzentrieren, sondern auch<br />

darauf, das Kind und die Familie als<br />

Ganzes zu sehen.<br />

Damit Kinder mit einer Beeinträchtigung<br />

mehr Lebensfreude haben.<br />

Stiftung Joël<br />

Wir pflegen mit Qualität, Kompetenz und Herz.<br />

Kinder, die besondere Pflege brauchen, stellen Eltern, Geschwister und Umfeld vor<br />

hohe Herausforderungen. Die Kinderspitex bietet unkomplizierte und unbürokratische<br />

Soforthilfe in der Pflege von schwerkranken, be einträchtigten oder sterbenden<br />

Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen.<br />

Wir unterstützen ­ Zuhause, im Heim und in der Schule. Für jedes Kind steht<br />

ein sorgfältig zusam mengestelltes Team zur Verfügung, um optimal auf die individuelle<br />

Situation und persönlichen Bedürfnisse einge hen zu können. Neben der<br />

medizinisch, therapeutischen Pflege bieten wir auch psychopädiatrische Pflege,<br />

Entlastungswochenenden, Spital­ und Trauerbegleitungen an. Die Kosten werden<br />

durch die Stiftung und Spenden gedeckt.<br />

Ihre Spende ist für die Kinder<br />

überlebenswichtig, da leider viele<br />

zwingend benötigten Leistungenweder<br />

von Kran kenkassen, Invalidenversicherung<br />

noch von Gemeinden<br />

oder Kantonen finanziert werden.<br />

Gönhardweg 6, 5000 Aarau<br />

info@joel-kinderspitex.ch<br />

www.joel-kinderspitex.ch<br />

hilft schnell<br />

und unkompliziert<br />

Jetzt mit TWINT<br />

spenden!<br />

Spenden:<br />

Bank Linth LLB AG, 8730 Uznach<br />

CH85 0873 1555 0307 4200 2


12 | Lesen Sie mehr unter www.selteneerkrankungen.ch<br />

SPRECHEN SIE<br />

BETROFFENE DIREKT AN!<br />

Erzählen wir gemeinsam Erfolgsgeschichten, bieten wir Patient:innenorganisationen,<br />

Betroffenen und Expert:innen eine Bühne um Patient:innenmündigkeit zu fördern<br />

und Bewusstsein für Krankheiten zu schaffen.<br />

Lesen Sie mehr unter www.selteneerkrankungen.ch<br />

EINE THEMENZEITUNG VON MEDIAPLANET<br />

<strong>Seltene</strong><br />

Krankheiten<br />

Du bist<br />

nicht allein!<br />

Patient:innen fühlen sich aufgrund ihrer Erkrankung oft allein.<br />

In der Schweiz leben zirka 600'000 Menschen mit einer seltenen Krankheit.<br />

Deshalb bieten Patient:innenorganisationen Betroffenen<br />

Unterstützung dabei, sich zu vernetzen.<br />

«Viktor Award»<br />

Manuela Stier wird als<br />

herausragendste Persönlichkeit<br />

im Schweizer Gesundheitswesen<br />

ausgezeichnet<br />

Seite 6–7<br />

Selbsthilfe Schweiz<br />

Video-Selbsthilfegruppen<br />

helfen, Menschen mit gleichem<br />

Schicksal zu vernetzen<br />

Seite 12<br />

ProRaris<br />

Yvonne Feri ist zur neuen<br />

Präsidentin des Dachverbandes<br />

für seltene <strong>Erkrankungen</strong> in<br />

der Schweiz gewählt worden<br />

Seite 14<br />

Werden Sie Teil einer unserer<br />

Gesundheitskampagnen –<br />

melden Sie sich jetzt!<br />

FOTO : S H U T T E R S TO C K<br />

Kerstin Köckenbauer<br />

Industry Manager Health<br />

+43 676 847 785 - 115<br />

kerstin.koeckenbauer@mediaplanet.com

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