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Herzig_Landstrassenkind_Leseprobe

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Rockkonzerte arten zu Saalschlachten aus. Neue soziale Bewegungen<br />

entstehen. Gegen den Krieg, gegen Atomkraft, gegen<br />

totalitäre Anstalten wie Jugendheime und gegen Zwang in der<br />

Psychiatrie.<br />

Eine Enthüllungsgeschichte im «Schweizerischen Beobachter»<br />

deckt die Machenschaften von Pro Juventute auf. Daraufhin<br />

wird das «Hilfswerk» aufgelöst. Bis zu diesem Zeitpunkt<br />

bemächtigt sich Pro Juventute dreihundert Mädchen<br />

und 286 Knaben. Sie werden in Pflegefamilien gesteckt, in<br />

Heime, Kliniken und Gefängnisse. Geschwister werden getrennt.<br />

Die Eltern werden über das Schicksal ihrer Kinder im<br />

Dunkeln gelassen. Wehren sie sich, werden sie weggesperrt.<br />

Werden sie krank vor Kummer oder ertränken ihr Leid in Alkohol,<br />

werden sie ebenfalls weggesperrt.<br />

Die Entscheide fällen Vormundschaftsbehörden, meistens<br />

Laiengremien. Den Antrag an sie stellt grösstenteils Pro Juventute.<br />

Aber auch andere Institutionen machen mit, beispielsweise<br />

das Seraphische Liebeswerk Luzern. Einige katholische<br />

Priester setzen sich jedoch auch für die betroffenen Familien<br />

ein.<br />

Mehr als die Hälfte aller Kinder stammen aus Familien mit<br />

einem Bündner Heimatort. Dazu gehören 84 Waser aus Morissen,<br />

78 Moser aus Obervaz, 23 Huber aus Savognin und 29 Mehr<br />

aus Almens, unter ihnen Christians Grossmutter, seine Mutter<br />

und er selbst.<br />

In keinem anderen Kanton wird der Entzug der elterlichen<br />

Gewalt öfter beschlossen als in Graubünden. Er verfügt über<br />

eine institutionalisierte «Vagantenfürsorge». Diese kantonale<br />

Behörde arbeitet eng mit der psychiatrischen Klinik Waldhaus<br />

in Chur zusammen, wo sich seit dem frühen 20. Jahrhundert<br />

verschiedene Ärzte mit den Jenischen beschäftigen und mit<br />

ihren Verlautbarungen die wissenschaftlich verbrämte Legitimation<br />

für Behördenentscheide liefern. Nichtsdestotrotz<br />

behauptet der Bündner Regie rungsrat Aluis Maissen 1989 in<br />

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