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Herzig_Landstrassenkind_Leseprobe

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einem Interview mit dem Schweizer Fernsehen, dass es sich<br />

«nicht behaupten lasse, dass die Jenischen» in der Churer Klinik<br />

«weder in den Stammbäumen noch in den Patientenakten anders<br />

behandelt worden wären als die gewöhnlichen Patienten<br />

auch». Ende der 1980er­Jahre steht die psychiatrische Behandlung<br />

der Jenischen in Chur unter massiver Kritik. Und obwohl<br />

Maissen dies bestreitet, ist mittlerweile ausreichend belegt, wie<br />

Psychiatrie und Behörden in der Diskriminierung von Jenischen<br />

zusammengearbeitet haben.<br />

Die Verfolgung verläuft systematisch. Ziel ist es, allen jenischen<br />

Familien die Kinder wegzunehmen. Erfolgreich ist Pro<br />

Juventute damit indessen nicht. Aus Kapazitätsgründen, aber<br />

auch, weil nicht alle Behörden mitmachen. Die invol vierten<br />

Gemeinden lehnen mehr als die Hälfte aller Gesuche ab. Das<br />

führt zu einer Konzentration der Kindswegnahmen: Sechzig<br />

Prozent der Kinder stammen aus sieben Familien aus sechs<br />

Heimatgemeinden in drei Kantonen. Zwanzig Prozent aller<br />

Kinder gehören zur zweiten Opfergeneration. Christian Mehr<br />

ist einer von fünf, deren Grosseltern auch schon «versorgt»<br />

worden sind.<br />

Auch wenn viele Gemeinden die Zwangsassimilation befürworten,<br />

meiden einige die damit verbundenen Kosten. Teilweise<br />

lehnen Gemeinden neue Fälle ab, obwohl sie früher in<br />

vergleichbaren Situationen der Pro Juventute die Vormundschaft<br />

über jenische Kinder zugesprochen hatten.<br />

Dort allerdings, wo Pro Juventute und Behörden am selben<br />

Strick ziehen, werden jenische Familien gnadenlos gehetzt.<br />

Und auch jene, die davonkommen, können sich nie sicher sein,<br />

nicht doch noch Opfer der Verfolgung zu werden, denn das<br />

behördliche Handeln ist unberechenbar.<br />

Auf ihren Leidenswegen lernen die Kinder Heime, Anstalten<br />

und mehr als eine Pflegefamilie kennen und fürchten. Häufig<br />

kündigt Pro Juventute die Kinder an und redet sie bereits<br />

im Vorfeld schlecht. So eilt ihnen ein Ruf voraus, gegen den sie<br />

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