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Herzig_Landstrassenkind_Leseprobe

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Juventute gegenüber den Medien alles ab, lässt kein gutes Haar<br />

an den betroffenen Familien, schiebt die Verantwortung an<br />

Gemeinden und Kantone ab und lobt die liebevoll sorgenden<br />

Pflegefamilien, in die man die armen Kinder platziert habe.<br />

Doch die Fakten sind erdrückend. Die Konstruktion aus falschen<br />

Behauptungen, Vorurteilen und Verleumdungen bricht<br />

zusammen.<br />

Im Februar 1972 wird Pro Juventute das letzte vormundschaftliche<br />

Mandat übertragen. Nun wird «Kinder der Landstrasse»<br />

ein Thema für die Stiftungskommission. Sie hat innerhalb<br />

der Stiftung die Funktion eines Direktoriums. Zunächst<br />

versucht sie, die Sache auszusitzen, dann mit dem «Beobachter»<br />

zu bereinigen. Besprechungen werden abgehalten, Gegendarstellungen<br />

verlangt. Dabei offenbart sich, dass «Kinder der Landstrasse»<br />

auch intern umstritten ist. Schon länger. Die Erkenntnis<br />

reift, dass die Zeit abgelaufen ist. Wegen des Medienskandals,<br />

den der «Beobachter»­Artikel ausgelöst hat, wird das «Hilfswerk<br />

für die Kinder der Landstrasse» Ende 1973 aufge löst. Bis<br />

1975 werden die letzten Vormundschaften abge wickelt.<br />

Wie Teresa Grossmann steht auch Mariella Mehr in engem<br />

Kontakt zum Journalisten Hans Caprez. In ihrem Tagebuch<br />

hält sie Notizen dazu fest. Sie ist hin­ und hergerissen, fiebert<br />

mit, leidet. «ich führe krieg (endlich) gegen pro juventute»,<br />

schreibt sie 1973 einer Freundin, «weil ich christian ihrem einfluss<br />

entziehen will. weil ich will, dass er stolz auf seine herkunft<br />

ist, und wenn irgendwie möglich, meine diesbezüglichen komplexe<br />

nicht übernimmt.»<br />

Zu diesem Zeitpunkt steckt Christian in einem Heim im<br />

Kanton Graubünden fest, weit weg von Mariella, die in Bern<br />

wohnt. Sie schreibt in ihr Tagebuch, wie sehr sie mit ihrer eigenen<br />

Biographie kämpft, beschreibt Selbstzweifel, Depres sionen,<br />

Angst, Trotz, Wut und starke Stimmungsschwan kun gen.<br />

«eine fast beängstigend euphorische phase also. nun, sie gibt mir<br />

kraft für den nächsten psychischen tiefschlag.» An dem Tag, an<br />

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