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nicht ankommen. Pflegeeltern, Nachbarschaft, Dorfschule,<br />
Kirche, Armenfürsorge, Psychiatrie, Erzieherinnen und Or densschwestern<br />
warten auf das «Vagantenbalg».<br />
Die Kinder werden nicht als Individuen behandelt, sondern<br />
als soziales Problem. Sie werden entmenschlicht, ihren Eltern<br />
und Geschwistern entfremdet, sozial und kulturell entwurzelt<br />
– «in gesundes Erdreich verpflanzt», heisst es beschö nigend.<br />
Die Betroffenen wehren sich. Kinder reissen aus und kehren<br />
zu ihrer Familie zurück. Eltern reisen durch die Schweiz<br />
auf der Suche nach ihren Kindern, entführen sie aus Heimen,<br />
manchmal mehrmals. Andere beschreiten den Instanzenweg.<br />
In den allermeisten Fällen vergeblich. In einem einzigen Fall<br />
hebt das Bundesgericht den Entzug der elterlichen Gewalt auf,<br />
die beiden Kinder bleiben aber im Heim. In den allermeisten<br />
Fällen entscheiden letztinstanzlich nicht Gerichte, sondern<br />
politische Behörden, meistens der Regierungsrat.<br />
Jenische Mütter und Väter kämpfen über Jahrzehnte dafür,<br />
ihre Kinder wiederzusehen. Teresa GrossmannHäfeli gehört<br />
zu den wenigen, denen es gelungen ist, ihre Kinder ausfindig zu<br />
machen. Zu spät allerdings. «Es war nicht mehr dasselbe», seufzt<br />
sie 1991 in dem preisgekrönten Dokumentarfilm «Die letzten<br />
freien Menschen» von Oliver Matthias Meyer. «Sie waren mir<br />
fremd und ich ihnen. Das Band war gerissen.»<br />
Teresa Grossmann setzt sich ihr Leben lang für die Rechte<br />
der Jenischen ein. Sie war vier Jahre alt, als sie ihren Eltern<br />
weg genommen wurde. «Meine Eltern haben erzählt, ich hätte<br />
mordio geschrien, weil ich nicht mitwollte. Es sind zwei Polizisten<br />
gekommen und zwei Nonnen. Und einer der Polizisten<br />
sagte, wenn ich nicht aufhöre, zu schreien, würde er mir den<br />
Kopf abhauen. Danach sei ich ruhig gewesen.»<br />
Die fünf Kinder von Teresa Grossmann erleiden dasselbe<br />
Schicksal. Zuerst nimmt ihr Pro Juventute die beiden ältesten<br />
fort. Daraufhin versteckt sie sich mit den anderen, ist ständig<br />
auf der Flucht vor den Behörden. «So ging das immer hin und<br />
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