Dezember 2023 - coolibri
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
22 | Musik von hier<br />
„ICH MÖCHTE ANDEREN MÄNNERN<br />
Conny, gerade startete deine Tour mit 18<br />
Terminen. Ein gutes Gefühl?<br />
Ich würde lügen, wenn ich nicht sagen<br />
würde, dass es auch viel Druck bedeutet.<br />
Meine Freund:innen sagen alle:<br />
„Wow, 18 Gigs, wie geil für dich“. Und von außen<br />
gibt es genau nur diese „Wow“-Perspektive. Allerdings<br />
muss man als Independent-Artist so viel<br />
organisieren, es herrscht viel finanzieller Druck,<br />
weil wir noch keine Venues spielen können, bei<br />
denen am Ende richtig viel Kohle übrigbleibt. Allerdings<br />
war ich als Musiker noch nie so weit, eine<br />
so große eigene Tour zu spielen. Das fühlt<br />
sich wie ein totales Geschenk an, auch ungreifbar.<br />
Wenn die Leute aber da sind und sie vor mir<br />
stehen, ich sie am Merch-Stand sehe – dann werde<br />
ich es wohl erst richtig begreifen.<br />
Was erledigt man kurz vor der Tour noch?<br />
Ich schreibe Tour-Moderationen. Für mich ist ein<br />
Motto immer wichtig. Die letzte EP heißt „Für<br />
immer temporär“, es dreht sich also um Zeit,<br />
und genau das möchte ich auch in den Moderationen<br />
aufgreifen. Die Leute kommen, weil ich ein<br />
politischer Künstler bin und sie dazu etwas erwarten.<br />
Deswegen möchte ich das vorbereiten<br />
und nicht freestylen, sondern etwas Gutes sagen<br />
können. Und ich probe viel, weil ich mit Lampenfieber<br />
zu kämpfen habe und mir routinierte<br />
Abläufe dann mehr Sicherheit geben.<br />
DIE HAND REICHEN“<br />
Für eine neue Generation macht CONNY gesellschaftskritischen Rap – mit Themen<br />
wie Feminismus und Geschlechterrollen. Christopher Filipecki hat ihn interviewt.<br />
Was vermisst du auf Tour am meisten, was du<br />
privat hast – und was umgekehrt?<br />
Ruhe ist auf Tour nicht vorhanden. Man ist zusammen<br />
im Tourbus, man hat nicht unbedingt<br />
ein Einzelzimmer. Was es aber nirgendwo gibt<br />
außer auf Tour, ist ein so kontinuierlich langes<br />
Arbeiten an der Musik selbst. Es gibt Momente<br />
als Künstler:in, in denen du so viel Marketing<br />
machst, postest, Schnipsel vorstellst, Szenen in<br />
Musikvideos tausendmal anschaust – das entfernt<br />
dich aber alles von der Musik. Wenn du die<br />
Songs live spielst, empfindest du plötzlich einzelne<br />
Zeilen nochmal anders. Das Konzert ist so<br />
kurz, genau in dieser Konstellation an Menschen<br />
und Location so einmalig. Danach ist es weg, für<br />
immer. Ein mentaler, beeindruckender Zustand.<br />
Du hast Philosophie und Informatik studiert.<br />
Gibt es Skills aus dem Studium, die dir heute<br />
noch helfen?<br />
Mein philosophischer Ansatz ist, über kleine,<br />
einzelne Momente nachzudenken und davon<br />
ausgehend auf die großen Dinge zu kommen.<br />
Dass plötzlich ein Vorhang aufgeht. Mein Info-<br />
Background hat mir im Nachgang, als ich als<br />
Softwareentwickler selbständig war, viel gebracht,<br />
weil man auch als Artist ein Unternehmen<br />
ist, eine Brand. Viele Künster:innen können<br />
den kreativen Part super, den organisatorischen<br />
aber nicht so – für mich ist ein ganzer Tag Büro<br />
überhaupt gar kein Problem.<br />
Zu deinen Pubertätszeiten war einerseits Ami-<br />
Rap sehr erfolgreich, später dann deutscher<br />
Conny greift in seinen Rap-Texten Themen an, die sich andere nicht mal zu denken trauen.<br />
Gangster-Rap . Hat dich das damals schon textlich<br />
eher abgeschreckt?<br />
Als ich angefangen habe, Ami-Rap zu hören, habe<br />
ich auf den Text gar nicht so stark geachtet.<br />
Ich habe die im vollen Umfang noch gar nicht<br />
verstanden, da ging es mehr um den Flow und<br />
um die Reime.<br />
Als die Deutsch-Rap-Welle aufkam, habe ich<br />
eher Bands wie Blumentopf gehört. Ich fand das<br />
damals schon komisch, wenn im Deutsch-Rap<br />
Dinge gesagt wurden, die nichts mit meiner Lebensrealität<br />
zu tun hatten.<br />
Die Akteure, die aber aufkamen, waren trotzdem<br />
insofern wichtig, dass plötzlich Menschen<br />
eine Sichtbarkeit und Hörbarkeit bekamen, die<br />
sie vorher nicht hatten. Vorher war Rap nur für<br />
weiße, privilegierte Menschen. Den Aspekt sehe<br />
ich aber heute erst.<br />
Die Musik von denen war einfach nicht so<br />
meins. Ich habe zu der Zeit auch schon gerappt<br />
und wenn ich etwas geschrieben habe, was in so<br />
eine Richtung ging, hat mein Umfeld mir direkt<br />
zurückgemeldet, dass ich das gar nicht bin. Das<br />
wäre also auch damals schon gar nicht authentisch<br />
gewesen.<br />
Gibt es einen Zeitpunkt, zu dem du gemerkt<br />
hast, dass du für etwas anderes stehst?<br />
Ich habe 2015 das Theaterstück „Lieder über Lara“<br />
geschrieben“. Die Songs, die unmittelbar danach<br />
entstanden sind, waren so, als ob ich plötzlich<br />
meine eigene Geschichte verstanden hätte.<br />
Ich bin immer noch auf der Reise zu meiner<br />
Stimme. Ich weiß, dass ich meine Geschichte zu<br />
Männlichkeit, Feminismus und Genderrollen erzählen<br />
möchte. Themen, die ich seitdem bewusster<br />
verhandele und die so starke Emotionen in<br />
mir auslösen, dass ich auch emotional darüber<br />
schreiben kann. Gleichzeitig bezahle ich, weil es<br />
so nah an mir ist, einen Preis. Es macht mich<br />
verletzlich. Das finden viele aber so toll, und es<br />
macht mich womöglich zu einer besonderen Figur<br />
im Deutsch-Rap. Ich möchte damit anderen<br />
jungen Männern die Hand reichen, dass ich mich<br />
damit auseinandersetze und es mir auch schwerfällt,<br />
mich manchmal nicht zu verlieren, aber<br />
vielleicht gibt es Leuten auf diese Weise Halt.<br />
Mehr auf connyohconny.de,Facebook: connycallsshotgun,<br />
Instagram: connycallsshotgun;<br />
Nächste Termine: 6.12. Münster, 14.12. Bochum<br />
Foto: Niels Freidel