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Dezember 2023 - coolibri

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22 | Musik von hier<br />

„ICH MÖCHTE ANDEREN MÄNNERN<br />

Conny, gerade startete deine Tour mit 18<br />

Terminen. Ein gutes Gefühl?<br />

Ich würde lügen, wenn ich nicht sagen<br />

würde, dass es auch viel Druck bedeutet.<br />

Meine Freund:innen sagen alle:<br />

„Wow, 18 Gigs, wie geil für dich“. Und von außen<br />

gibt es genau nur diese „Wow“-Perspektive. Allerdings<br />

muss man als Independent-Artist so viel<br />

organisieren, es herrscht viel finanzieller Druck,<br />

weil wir noch keine Venues spielen können, bei<br />

denen am Ende richtig viel Kohle übrigbleibt. Allerdings<br />

war ich als Musiker noch nie so weit, eine<br />

so große eigene Tour zu spielen. Das fühlt<br />

sich wie ein totales Geschenk an, auch ungreifbar.<br />

Wenn die Leute aber da sind und sie vor mir<br />

stehen, ich sie am Merch-Stand sehe – dann werde<br />

ich es wohl erst richtig begreifen.<br />

Was erledigt man kurz vor der Tour noch?<br />

Ich schreibe Tour-Moderationen. Für mich ist ein<br />

Motto immer wichtig. Die letzte EP heißt „Für<br />

immer temporär“, es dreht sich also um Zeit,<br />

und genau das möchte ich auch in den Moderationen<br />

aufgreifen. Die Leute kommen, weil ich ein<br />

politischer Künstler bin und sie dazu etwas erwarten.<br />

Deswegen möchte ich das vorbereiten<br />

und nicht freestylen, sondern etwas Gutes sagen<br />

können. Und ich probe viel, weil ich mit Lampenfieber<br />

zu kämpfen habe und mir routinierte<br />

Abläufe dann mehr Sicherheit geben.<br />

DIE HAND REICHEN“<br />

Für eine neue Generation macht CONNY gesellschaftskritischen Rap – mit Themen<br />

wie Feminismus und Geschlechterrollen. Christopher Filipecki hat ihn interviewt.<br />

Was vermisst du auf Tour am meisten, was du<br />

privat hast – und was umgekehrt?<br />

Ruhe ist auf Tour nicht vorhanden. Man ist zusammen<br />

im Tourbus, man hat nicht unbedingt<br />

ein Einzelzimmer. Was es aber nirgendwo gibt<br />

außer auf Tour, ist ein so kontinuierlich langes<br />

Arbeiten an der Musik selbst. Es gibt Momente<br />

als Künstler:in, in denen du so viel Marketing<br />

machst, postest, Schnipsel vorstellst, Szenen in<br />

Musikvideos tausendmal anschaust – das entfernt<br />

dich aber alles von der Musik. Wenn du die<br />

Songs live spielst, empfindest du plötzlich einzelne<br />

Zeilen nochmal anders. Das Konzert ist so<br />

kurz, genau in dieser Konstellation an Menschen<br />

und Location so einmalig. Danach ist es weg, für<br />

immer. Ein mentaler, beeindruckender Zustand.<br />

Du hast Philosophie und Informatik studiert.<br />

Gibt es Skills aus dem Studium, die dir heute<br />

noch helfen?<br />

Mein philosophischer Ansatz ist, über kleine,<br />

einzelne Momente nachzudenken und davon<br />

ausgehend auf die großen Dinge zu kommen.<br />

Dass plötzlich ein Vorhang aufgeht. Mein Info-<br />

Background hat mir im Nachgang, als ich als<br />

Softwareentwickler selbständig war, viel gebracht,<br />

weil man auch als Artist ein Unternehmen<br />

ist, eine Brand. Viele Künster:innen können<br />

den kreativen Part super, den organisatorischen<br />

aber nicht so – für mich ist ein ganzer Tag Büro<br />

überhaupt gar kein Problem.<br />

Zu deinen Pubertätszeiten war einerseits Ami-<br />

Rap sehr erfolgreich, später dann deutscher<br />

Conny greift in seinen Rap-Texten Themen an, die sich andere nicht mal zu denken trauen.<br />

Gangster-Rap . Hat dich das damals schon textlich<br />

eher abgeschreckt?<br />

Als ich angefangen habe, Ami-Rap zu hören, habe<br />

ich auf den Text gar nicht so stark geachtet.<br />

Ich habe die im vollen Umfang noch gar nicht<br />

verstanden, da ging es mehr um den Flow und<br />

um die Reime.<br />

Als die Deutsch-Rap-Welle aufkam, habe ich<br />

eher Bands wie Blumentopf gehört. Ich fand das<br />

damals schon komisch, wenn im Deutsch-Rap<br />

Dinge gesagt wurden, die nichts mit meiner Lebensrealität<br />

zu tun hatten.<br />

Die Akteure, die aber aufkamen, waren trotzdem<br />

insofern wichtig, dass plötzlich Menschen<br />

eine Sichtbarkeit und Hörbarkeit bekamen, die<br />

sie vorher nicht hatten. Vorher war Rap nur für<br />

weiße, privilegierte Menschen. Den Aspekt sehe<br />

ich aber heute erst.<br />

Die Musik von denen war einfach nicht so<br />

meins. Ich habe zu der Zeit auch schon gerappt<br />

und wenn ich etwas geschrieben habe, was in so<br />

eine Richtung ging, hat mein Umfeld mir direkt<br />

zurückgemeldet, dass ich das gar nicht bin. Das<br />

wäre also auch damals schon gar nicht authentisch<br />

gewesen.<br />

Gibt es einen Zeitpunkt, zu dem du gemerkt<br />

hast, dass du für etwas anderes stehst?<br />

Ich habe 2015 das Theaterstück „Lieder über Lara“<br />

geschrieben“. Die Songs, die unmittelbar danach<br />

entstanden sind, waren so, als ob ich plötzlich<br />

meine eigene Geschichte verstanden hätte.<br />

Ich bin immer noch auf der Reise zu meiner<br />

Stimme. Ich weiß, dass ich meine Geschichte zu<br />

Männlichkeit, Feminismus und Genderrollen erzählen<br />

möchte. Themen, die ich seitdem bewusster<br />

verhandele und die so starke Emotionen in<br />

mir auslösen, dass ich auch emotional darüber<br />

schreiben kann. Gleichzeitig bezahle ich, weil es<br />

so nah an mir ist, einen Preis. Es macht mich<br />

verletzlich. Das finden viele aber so toll, und es<br />

macht mich womöglich zu einer besonderen Figur<br />

im Deutsch-Rap. Ich möchte damit anderen<br />

jungen Männern die Hand reichen, dass ich mich<br />

damit auseinandersetze und es mir auch schwerfällt,<br />

mich manchmal nicht zu verlieren, aber<br />

vielleicht gibt es Leuten auf diese Weise Halt.<br />

Mehr auf connyohconny.de,Facebook: connycallsshotgun,<br />

Instagram: connycallsshotgun;<br />

Nächste Termine: 6.12. Münster, 14.12. Bochum<br />

Foto: Niels Freidel

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