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„Wir regeln das unter uns“ – 2021 beleuchteten wir<br />
den „Straßenkonflikt“ zwischen afghanischen und<br />
tschetschenischen Jugendlichen von innen. Dafür gab es den<br />
Östereichischen Jugendpreis 2022 des BKA.<br />
In „Das Leben mit den Sittenwächtern“ lieferten<br />
tschetschenische Frauen 2020 Einblicke in ihre<br />
streng verschlossene Community.<br />
Stunden in der Hand – wie immer. Immer hatte jemand einen<br />
Cousin, dessen Schwager, dessen Ex-Freundin jemanden<br />
kennt und… ach, ihr wisst schon, biber halt. Übrigens: Wie<br />
oft wir für unsere Shootings den Inhalt unserer Kühl- und<br />
Kleiderschränke, unsere Wohnungen, Geschwister, Partner<br />
oder eigene Körperteile hergeborgt haben – darüber<br />
schreibt Delna Antia-Tatić noch ausführlicher auf Seite 28.<br />
Die Faust, die unser Cover „Jung, brutal, kriminell“ im April<br />
2019 zierte (s. Seite 16), gehörte einem der Protagonisten<br />
– beim Shooting haben wir die Ursprungs-Idee gemeinsam<br />
mit unseren jämmerlichen Fake-Schlagringen beiseite gelegt<br />
und einfach das, was wir vor Augen hatten, abgelichtet. Und<br />
das ging dann auf. Beim Ausräumen unserer Redaktionsräumlichkeiten<br />
stieß ich letztens auf unsere Requisiten-Lade:<br />
Wenn jemand einen positiven Schwangerschaftstest, eine<br />
zerschnittene Türkei-Flagge oder einen aufblasbaren Globus<br />
braucht, gebt gern Bescheid. Gebetsteppiche, Kruzifixe und<br />
Talare hätten wir da auch im Angebot.<br />
Wir konnten jedenfalls aus nichts viel machen. Auch das<br />
war biber. Unsere Sprachenvielfalt in der Redaktion nutzten<br />
wir zum Vorteil: Nach dem verheerenden Erdbeben in der<br />
Türkei und in Syrien im Februar 20<strong>23</strong> waren wir das erste<br />
Medium, das Kontakte vor Ort hatte – die Familien unserer<br />
Redakteur:innen. Wir haben gemeinsam auf Anrufe gewartet,<br />
getrauert, gehofft – und darüber berichtet. Im April sind<br />
wir dann nach Hatay geflogen, um die Trümmer des Hauses<br />
der Familie unserer Kolumnistin Özben Önal zu dokumentieren.<br />
Das waren Reportagen, die nicht nur trockene Berichterstattung<br />
von außen waren, sondern Bestandsaufnahmen<br />
von Ereignissen, von denen unsere Redakteur:innen selbst<br />
betroffen waren – was alles doppelt schwierig machte,<br />
gleichzeitig aber auch doppelt sinnvoll. Wir hatten keine<br />
Fixer, keine Fahrer, keine Dolmetscher. Das waren alles wir<br />
selbst, unsere Familien und Bekannte vor Ort – was journalistisch<br />
ein Vorteil war, war auf der persönlichen Ebene dann<br />
aber doch schwierig. Umso stärker war dann das Endergebnis.<br />
Was nach außen oft nicht sichtbar war: Wir waren eine<br />
Handvoll Menschen, die immer 110 % gegeben haben,<br />
wenn‘s sein musste, auch mal rund um die Uhr. Die Engelsgeduld<br />
unserer Verlagsleiterin Aida Durić bei etlichen Social-<br />
Media-Shistorms, die aus unterschiedlichsten Communities<br />
daherkamen, gehört hier auch einmal erwähnt. Ich hätte an<br />
ihrer Stelle längst einfach das Internet gelöscht. Aber trotz<br />
aller Morddrohungen und Einschüchterungsversuche haben<br />
wir immer weiter gemacht. Wir haben oft improvisiert, uns<br />
jeden Tag etwas selbst beigebracht, manchmal sind wir an<br />
Recherchen gescheitert, viel öfter wurden andere Geschichten<br />
daraus – kein Strich war umsonst, wie ich jetzt weiß. Das<br />
Credo unseres ersten Chefredakteurs und letzten Herausgebers<br />
Simon Kravagna lautete übrigens immer: „Mach, wie<br />
du glaubst. Und wenns nicht geht, bin ich da.” Für diese<br />
Herangehensweise werde ich ihm immer dankbar sein – nur<br />
so hat biber-Journalismus funktioniert.<br />
Familien nicht erfahren dürfen, wer da mit biber gesprochen<br />
hat? Das Credo: Indem man mit ihnen auf Augenhöhe<br />
spricht. Was auch oft bedeutet hat, mit Leib und Seele über<br />
Wochen in Milieus einzutauchen, mit denen man sonst nicht<br />
in Berührung kommen würde.<br />
„DAS KANNST DU NICHT SCHREIBEN.”<br />
„Das kannst du nicht schreiben. Alles, nur nicht das. Misch<br />
dich da nicht ein“, wurde mir im Sommer 2020 von allen Seiten<br />
geraten. Damals war das Thema der tschetschenischen<br />
Sittenwächter, die ihre Landsfrauen verfolgt und bedroht<br />
hatten, wieder einmal in aller Munde. Die Politik hat sich<br />
darüber aufgeregt, die üblichen Twitter-Experten haben ihre<br />
Elfenbeinturm-Meinungen dazu abgegeben, die Schlagzeilen<br />
haben sich gehäuft. „Warum, zur Hölle, spricht aber niemand<br />
mit den Frauen selbst? Mit denen, um die es bei dieser<br />
ganzen Debatte eigentlich geht?”, die Frage ging mir damals<br />
nicht aus dem Kopf. Also hat biber es getan. Weil biber, wie<br />
so oft, den Zugang hatte. Mit den Frauen aus der Reportage<br />
habe ich bis heute Kontakt und sie liefern mir immer wieder<br />
Einblicke in eine Community, die sehr verschlossen lebt.<br />
Dabei sind es ja oft Themen, die von Politik und Boulevard<br />
nur so zerrissen werden – immer wieder sprach man in<br />
Österreich von untergetauchten Asylwerbern, die hier ohne<br />
Aufenthalt leben. Aber: Wer sind diese „U-Boote”, von denen<br />
die Politik so gerne redet? Was sind ihre Beweggründe und<br />
wie kann man in Österreich untergetaucht leben? Ich wollte<br />
es aus erster Hand erfahren. Etliche Streifzüge durch Wien<br />
bleiben ohne Erfolg. Ich telefonierte damals innerhalb von<br />
zwei Tagen über 200 Kontakte durch, bis ich endlich eine<br />
Spur hatte. Es ist Juni 20<strong>23</strong>, kurz vor Redaktionsschluss:<br />
„Du bist doch fix eine Zivilpolizistin!”, begrüßt mich mein<br />
neuer afghanischer Kontakt, der illegal in Österreich lebt, bei<br />
unserem Treffen am Praterstern. Als ich ihm meinen Presseausweis<br />
zeige, vertraut er mir immer noch nicht. „Nein, zeig<br />
dein Insta, erst dann glaub ich dir.” Gesagt, getan, Vertrauen<br />
gewonnen, weitere Kontakte bekommen, Reportage<br />
geschrieben. Und dann die nächste Frage.<br />
„WO KRIEGEN WIR HEUTE NOCH EINEN<br />
AFGHANISCHEN PASS HER?”<br />
Wie bebildert man Reportagen, auf denen die<br />
Protagonist:innen nicht erkennbar sein dürfen? Biber-<br />
Geschichten waren immer bildstark. Fade Stockfotos und<br />
Symbolbilder waren nie unser Ding. Unsere Fotochefin Zoe<br />
Opratko grübelte immer von Sekunde eins mit uns, wie wir<br />
die Bildebene am besten gestalten. Bei dieser Reportage war<br />
sofort klar: Ein afghanischer, syrischer und irakischer Pass<br />
müssen her. Aber wo treibt man so etwas auf, ohne offizielle<br />
Kontakte? Wir hielten die Requisiten innerhalb weniger<br />
© Calimaat, © Zoe Opratko<br />
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