Leben mit Tabus
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Blasenkrebsfrüherkennung<br />
Männer,<br />
wir müssen<br />
reden!<br />
Foto: privat<br />
Vorsorge rettet <strong>Leben</strong>: Spätestens wenn der Urin rot gefärbt ist, sollte man der Ursache dringend<br />
nachgehen. Warum auch weniger eindeutige Symptome immer abgeklärt werden müssen<br />
und man sich nicht von einer Blasenspiegelung abschrecken lassen sollte, erläutert Dr. Edmond<br />
Schiek-Kunz, Sprecher des Selbsthilfe-Bundes Blasenkrebs e. V., im Interview.<br />
Herr Dr. Schiek-Kunz, Sie sind selbst von Blasenkrebs<br />
betroffen. Wann haben Sie bemerkt,<br />
dass etwas nicht stimmt?<br />
Ich hatte häufigen Harndrang, den ich zunächst<br />
nicht <strong>mit</strong> Krebs in Verbindung brachte. Als ich<br />
auf einer Radtour <strong>mit</strong> einem Urologen unterwegs<br />
war, fragte ich ihn, was die Ursache sein<br />
könne. Er gab mir den Rat, mich auf ein Blasenkarzinom<br />
untersuchen zu lassen. Ich fiel aus<br />
allen Wolken, ließ aber gleich nach der Radtour<br />
eine Bildgebung machen. Dabei erhärtete sich<br />
der Verdacht.<br />
Welche Untersuchungen wurden gemacht?<br />
Man macht üblicherweise eine Blasenspiegelung,<br />
eine Zystoskopie, und entscheidet dann,<br />
ob und welche weiteren Schritte folgen. Wird<br />
bei der Spiegelung eine Auffälligkeit entdeckt,<br />
wird in der Regel eine transurethrale Resektion<br />
gemacht. Das erkrankte Gewebe, der Krebs – in<br />
meinem Fall in der Blase – wird durch eine urologische<br />
Operation entfernt. Anhand des entnommenen<br />
Gewebes kann dann die Diagnose<br />
gestellt werden: In welche Gewebe ist der Krebs<br />
bereits gewachsen, wie aggressiv ist er und gibt<br />
es eine Ausbreitung? Danach erfolgen gegebenenfalls<br />
weitere Therapien.<br />
Sie sind selbst Arzt und kennen die Symptome<br />
von Ihren eigenen Patienten. Was ging in<br />
Ihnen vor?<br />
Ein typisches Symptom für Blasenkrebs ist rot<br />
gefärbter Urin. Das hatte ich nicht, die Diagnose<br />
hat mich eiskalt erwischt. Eine Krebsdiagnose<br />
ist immer ein Einbruch, der eine massive Veränderung<br />
zum bisherigen <strong>Leben</strong> darstellt. Von da<br />
an ändert sich mehr oder weniger alles. Man ist<br />
nicht mehr der gleiche Mensch wie zuvor – und<br />
zwar bereits bevor einschneidende Therapien<br />
beginnen. Danach bleibt ständige Unsicherheit.<br />
Wurde wirklich alles entfernt, kommt der Krebs<br />
zurück? Man muss die Veränderungen, welche<br />
die Diagnose <strong>mit</strong> sich bringt, erst mal verarbeiten.<br />
Das braucht Zeit, manchmal Jahre.<br />
Haben Sie sich von den Ärzten und Ärztinnen,<br />
die Sie betreut haben, in Ihrer Situation aufgefangen<br />
gefühlt?<br />
Ich habe das Glück, dass meine Frau selbst Ärztin<br />
ist und mich von Anfang an begleitet und<br />
unterstützt hat. Die allgemeine Arzt-Patienten-<br />
Kommunikation ist für Betroffene in dieser sehr<br />
belastenden Situation jedoch oft nicht ausreichend.<br />
Das ist auch immer wieder Thema in<br />
den Selbsthilfegruppen. Patienten werden medizinisch<br />
bestmöglich betreut, auf psychischer<br />
Ebene sind sie recht allein. Und der psychische<br />
Aspekt spielt bei Blasenkrebs eine enorme Rolle<br />
– Impotenz kann die Folge einer Blasenkrebsoperation<br />
sein. Das trifft die betroffenen Männer<br />
sehr schwer.<br />
Urologen bieten bei dieser Problematik häufig<br />
technische Lösungen an, die für viele Betroffene<br />
nicht zufriedenstellend sind. Deshalb sollte man<br />
den Operateur vor der Operation bitten, gefäßund<br />
nervenschonend zu arbeiten, um einer<br />
Impotenz entgegenzuwirken. Auch Psychoonkologen<br />
können nicht immer helfen, insbesondere<br />
dann, wenn sie sich nicht in die Situation<br />
einfühlen können, was der Verlust der Potenz<br />
für einen Mann bedeutet. Selbsthilfegruppen<br />
sind für die Aufarbeitung der Situation wirklich<br />
entscheidend.<br />
Sie haben sich Hilfe in einer Selbsthilfegruppe<br />
oder -einrichtung gesucht. Wie kam es dazu?<br />
Den Hinweis, dass es Selbsthilfegruppen gibt,<br />
bekam ich von einer Psychoonkologin. In der<br />
Selbsthilfegruppe habe ich zum ersten Mal erlebt,<br />
dass ich <strong>mit</strong> meinen Sorgen, meinen Ängsten<br />
und Symptomen nicht alleine bin. Das war<br />
sehr wichtig für mich. Man tauscht in der Gruppe<br />
auch praktische Tipps aus, zum Beispiel wie man<br />
<strong>mit</strong> Inkontinenz oder Impotenz umgehen kann.<br />
Was macht den Austausch so wertvoll?<br />
In der Gruppe entsteht ein Solidaritätseffekt,<br />
das hilft enorm. Der Austausch steuert auch<br />
dem Rückzugseffekt entgegen, der zwangsläufig<br />
nach einer OP, die so stark ins bisherige<br />
<strong>Leben</strong> eingreift, einsetzt. Wer neu zur Gruppe<br />
kommt, profitiert von den Erfahrungen der<br />
anderen. Zum Beispiel welche Einlagen bei Inkontinenz<br />
funktionieren, was die häufige Folge<br />
einer künstlichen Harnblase ist oder welcher<br />
Stomabeutel (Anm. d. Red.: künstliches Urinreservoir)<br />
dafür am besten passt.<br />
Noch immer gehen viele Betroffene zu spät<br />
zum Arzt. Woran liegt das?<br />
Der Krebs zeigt sich nicht immer eindeutig <strong>mit</strong><br />
dem typischen Symptom, dem roten Urin. Man<br />
rechnet möglicherweise nicht da<strong>mit</strong>. Eine Blasenspiegelung<br />
schiebt man vielleicht auch lieber<br />
vor sich her. Sie ist aber ein wichtiges Instrument,<br />
um die Erkrankung zu entdecken.<br />
Wie ist die medizinische Versorgungssituation?<br />
Dank frühzeitiger Erkennung werden viele Blasenkrebsfälle<br />
rechtzeitig entdeckt, sodass die<br />
Blase erhalten werden kann. Auch die Krebsforschung<br />
hat große Fortschritte gemacht. Es gibt<br />
neue Therapiemöglichkeiten und Alternativen.<br />
Wünschen würde ich mir, dass Ärzte, Ärztinnen<br />
und Kliniken möglichst früh auch auf Selbsthilfegruppen<br />
hinweisen, am besten bereits vor<br />
einer OP, denn der Austausch dort ist für Betroffenen<br />
eine wertvolle Stütze.<br />
Was würden Sie anderen gerne <strong>mit</strong> auf den<br />
Weg geben?<br />
Es dauert, bis man als Betroffener zurück ins<br />
<strong>Leben</strong> findet. Es braucht viel Geduld, sich <strong>mit</strong><br />
Symptomatiken wie Impotenz und Inkontinenz<br />
zurechtzufinden. Man sollte sich auch Hilfe<br />
suchen. Man darf auch die Angehörigen nicht<br />
vergessen, sie tragen einen Teil der Veränderungen<br />
durch die Diagnose <strong>mit</strong>. Partner sind in der<br />
Selbsthilfegruppe sehr willkommen – ich freue<br />
mich immer, wenn sie dabei sind..<br />
Redaktion Miriam Rauh