Leben mit Tabus
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<strong>Leben</strong> <strong>mit</strong> ...<br />
TABUS<br />
„Versteckt<br />
euch nicht!“<br />
Saskia hat Morbus Crohn und<br />
einen künstlichen Darmausgang.<br />
Im Interview spricht sie über ihre<br />
Erkrankung, Vorurteile und das<br />
<strong>Leben</strong> <strong>mit</strong> einem Kock-Pouch.<br />
Seite 4<br />
Macht das Licht an –<br />
STI sind auf dem<br />
Vormarsch<br />
Seite 8<br />
Let's talk about Sex –<br />
<strong>mit</strong> Paula Lambert<br />
Seite 10–16<br />
Krebs ist (k)ein Tabu –<br />
die Patienten Christin,<br />
Danny, Edmond und<br />
Heidi im Interview<br />
Seite 22<br />
Nach mir die Freiheit –<br />
über den Umgang <strong>mit</strong><br />
dem Tod
2<br />
Vorwort<br />
Darüber spricht man (nicht)<br />
Neben gesellschaftlichen <strong>Tabus</strong> hat beinahe jeder sein ganz persönliches. Schon kleine<br />
Kinder erleben das Spannungsfeld von verboten und erlaubt, wenn sie lernen, dass Kacka<br />
böse ist und stinkt – dann aber wieder Lob ernten, wenn sie ein herrliches Häufchen für<br />
Mama und Papa hergestellt haben. Unverständlich nur, warum das braune Gold dann nicht<br />
als Fingerfarbe verwendet werden darf …<br />
Dr. med. Yael Adler<br />
Hautärztin, Ernährungsmedizinerin,<br />
Referentin,<br />
Bestsellerautorin<br />
www.yael-adler.de<br />
BUCHTIPP<br />
Wir können es nicht ändern,<br />
dass wir älter werden – aber<br />
wir können sehr wohl etwas<br />
daran ändern, wie dies geschieht.<br />
In „Genial vital“ gibt es<br />
verblüffende Tipps zur „Instandhaltung“<br />
unseres Körpers.<br />
Anders als Gesetze werden <strong>Tabus</strong><br />
selten offen oder gar öffentlich<br />
erörtert oder dokumentiert. Es<br />
sind eher tradierte, durch Familie<br />
und Gesellschaft anerzogene<br />
und stillschweigend befolgte.<br />
Doch ihre Macht ist nicht zu unterschätzen: <strong>Tabus</strong><br />
können unser <strong>Leben</strong> bestimmen und durchaus<br />
praktisch sein, weil sie<br />
uns einen Handlungsrahmen<br />
vorgeben. Seien wir<br />
ehrlich: Es ist manchmal<br />
auch ganz angenehm, wenn<br />
man nicht ständig darüber<br />
nachdenken muss, ob etwas<br />
nun richtig oder falsch, angemessen<br />
oder ungehörig<br />
ist. Oft aber engen <strong>Tabus</strong><br />
ein, besonders dann, wenn<br />
es um unseren Körper geht:<br />
um Hygiene, um seltsame<br />
Knubbel oder Pusteln, unangenehme<br />
Gerüche und<br />
Geräusche, die unser Körper<br />
nun mal produziert, die aber<br />
auch Zeichen einer schweren<br />
Erkrankung sein können.<br />
Mit einem besonders großen Tabu ist zudem fast<br />
alles belegt, was <strong>mit</strong> Sexualität zu tun hat. Einerseits<br />
wird sie – beispielsweise als Pornografie im<br />
Internet – für jeden zugänglich ausgelebt und gesehen,<br />
aber viele Menschen haben <strong>mit</strong> Sexualität<br />
immer noch ein Riesenproblem, sie sind peinlich<br />
berührt, haben Angst, darüber zu reden, kennen<br />
sich nicht <strong>mit</strong> ihrem Körper aus und trauen<br />
sich auch nicht, sich anzufassen – und, was am<br />
schlimmsten ist: Sie sprechen nicht <strong>mit</strong> anderen<br />
über Probleme oder Sorgen in diesem Bereich.<br />
Ein weiteres großes Tabu ist der Tod. Alles, was<br />
uns daran erinnert, löst Ängste aus, wird verdrängt<br />
und abgewehrt: Falten kriegen, gebrechlich<br />
sein, der Verlust körperlicher und geistiger<br />
“<br />
Oft engen <strong>Tabus</strong> ein,<br />
besonders dann, wenn<br />
es um unseren Körper<br />
geht. Doch je früher<br />
sich ein Patient seinem<br />
Arzt offenbart, umso<br />
effizienter ist die<br />
Behandlung.<br />
Fähigkeiten und das Befassen <strong>mit</strong> Testament,<br />
Nachlass und Bestattung.<br />
Dabei ist es so wichtig, über tabuisierte Probleme<br />
zu sprechen. Aus diesem Grund habe ich<br />
auch den Ratgeber „Darüber spricht man nicht“<br />
geschrieben. Zudem bemerke ich das bei vielen<br />
meiner Patienten daran, wie erstaunt und<br />
erleichtert sie sind, wenn<br />
sie mir ihre Sorgen, ein oft<br />
vermeintliches Tabu, anvertrauen<br />
und ich völlig<br />
sachlich darauf reagiere –<br />
weil ich da<strong>mit</strong> von vielen<br />
anderen ganz persönlichen<br />
Beichten vertraut bin: Ja,<br />
auch andere Frauen klagen<br />
über Scheidentrockenheit.<br />
Ja, man kann sich <strong>mit</strong> sexuell<br />
übertragbaren Krankheiten<br />
anstecken, ohne gleich<br />
unhygienisch oder eine Rotlichtgestalt<br />
zu sein! Ja, auch<br />
bei massivem Einsatz von<br />
diversen Präparaten sind<br />
bestimmte Körperausdünstungen<br />
nicht zu überduften – aber vielleicht kann<br />
man an Darmflora, Zahnhygiene, Kleidung oder<br />
Art der Hautpflege etwas verändern.<br />
So vielfältig gesundheitliche und körperliche<br />
<strong>Tabus</strong> sind, es gibt bisher wohl keines, das einer<br />
ganz für sich allein hat. Je eher der Patient ermutigt<br />
wird, sich seinem Arzt zu offenbaren, umso effizienter<br />
und verständlicher kann die Behandlung<br />
sein – die dem Patienten hilft, seine <strong>Leben</strong>squalität<br />
zu erhalten oder wieder zu verbessern. Das<br />
Wort Früherkennung trägt die entscheidende Voraussetzung<br />
schon in sich, denn viele Therapien<br />
sind auch ein Wettlauf <strong>mit</strong> der Zeit. Und bei sexuell<br />
übertragbaren Krankheiten trägt man – nicht<br />
anders als bei Herpes oder Fußpilz – auch Verantwortung<br />
für seine Mitmenschen. Also: Lassen Sie<br />
uns darüber sprechen!.<br />
<strong>Leben</strong> <strong>mit</strong> ... Magazin Healthcare Mediapartner GmbH | Pariser Platz 6a | 10117 Berlin | www.healthcare-mediapartner.de<br />
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STI<br />
“<br />
Foto: Cece<br />
Die individuelle Sexualität ist ein Tabuthema. Zwar wird heute<br />
ständig über Sexualität geredet, aber nicht über die eigene.<br />
<strong>Tabus</strong> führen wiederum zu einer Stigmatisierung.<br />
Macht das Licht an!<br />
Wegsehen ist keine Lösung: Sexuell übertragbare Infektionen (STI) und<br />
Geschlechtskrankheiten sind seit Jahren wieder auf dem Vormarsch. Welche<br />
sollten wir im Auge behalten und welche Rolle spielen Aufklärung und<br />
Enttabuisierung bei der Bekämpfung von STI? Das haben wir Prof. Dr. Norbert<br />
Brockmeyer, Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten und Präsident der<br />
Deutschen STI-Gesellschaft für sexuelle Gesundheit, gefragt.<br />
Redaktion Miriam Rauh
5<br />
Mehr auf www.leben<strong>mit</strong>.de | 5<br />
Herr Prof. Dr. Brockmeyer, wenn wir das<br />
Tabuthema ins rechte Licht rücken wollen<br />
– wie nennt man denn sexuell übertragbare<br />
Krankheiten korrekt?<br />
Der korrekte Begriff ist „sexuell übertragbare<br />
Infektionen“. Die Unterscheidung ist sehr<br />
wichtig: Es werden keine Krankheiten übertragen,<br />
sondern Infektionen, die zu einer<br />
Krankheit führen können. Sexuell übertragbare<br />
Infektionen und Geschlechtskrankheiten<br />
bedingen sich; eine Geschlechtskrankheit<br />
wird durch einen sexuell übertragbaren Erreger<br />
ausgelöst. In Kampagnen wird immer von<br />
STI geredet, „sexuell trans<strong>mit</strong>ted Infections“.<br />
Haben Geschlechtskrankheiten wie HIV ihren<br />
Schrecken verloren?<br />
Ja, für HIV kann man das so sagen. HIV ist<br />
nicht mehr so präsent. Das liegt daran, dass<br />
wir eine hervorragende Therapie haben und<br />
dass die Neuinfektionszahlen in Deutschland<br />
relativ gering sind. Deutschland gehörte<br />
schon immer zu den Ländern <strong>mit</strong> der geringsten<br />
Prävalenz und Inzidenz für HIV. In Kombination<br />
<strong>mit</strong> den guten Therapiemöglichkeiten<br />
hat dies dazu geführt, dass HIV zunehmend<br />
weniger sichtbar ist. HIV-positive Menschen,<br />
die gut therapiert sind, sind deutlich weniger<br />
infektiös. In manchen Teilen Afrikas oder Asiens<br />
haben wir eine ganz andere Situation.<br />
Andere sexuell übertragbare Infektionen standen<br />
nie so im Fokus wie HIV. Wir sehen hier<br />
aber seit dem Jahr 2000 eine deutliche Zunahme<br />
von Syphilis und anderen Infektionen.<br />
Woran liegt die fehlende Öffentlichkeit für<br />
Syphilis, Hepatitis, Tripper, Chlamydien,<br />
HPV und Co.?<br />
Sicher hat es auch da<strong>mit</strong> zu tun, dass die individuelle<br />
Sexualität ein Tabuthema ist. Diese<br />
Entwicklung hat schon gegen Ende des 18.<br />
Jahrhunderts begonnen, <strong>mit</strong> dem Aufkommen<br />
des Bürgertums. Sexualität wurde mehr<br />
und mehr zu einer Angelegenheit, die nicht<br />
aus den Familien heraus nach außen dringen<br />
sollte. Zwar wird heute ständig über Sexualität<br />
geredet, aber nicht über die eigene. Obwohl<br />
es vieles gibt, was die Menschen beschäftigt,<br />
vom sexuellen Selbstverständnis über Infektionen<br />
bis hin zur ungewollten Kinderlosigkeit.<br />
Diese Tabuisierung von Sexualität und da<strong>mit</strong><br />
auch von sexuell übertragbaren Infektionen<br />
sehen wir allerdings nicht nur in Deutschland,<br />
sondern auch in anderen Ländern und Kulturen.<br />
Teils noch deutlich stärker als hier. <strong>Tabus</strong><br />
führen wiederum zu einer Stigmatisierung.<br />
Das trifft an sich auch auf HIV zu. Was war<br />
oder ist hier anders?<br />
Durch gezielte Kampagnen haben wir in den<br />
1990er-Jahren erreicht, dass Diskriminierung<br />
und Ausgrenzung von HIV-positiven Menschen<br />
abnahmen. Aktuell scheinen wir allerdings<br />
wieder einen Schritt zurückzugehen,<br />
sowohl was die Diskriminierung von Menschen<br />
<strong>mit</strong> HIV als auch insgesamt den offenen<br />
Umgang <strong>mit</strong> Sexualität betrifft. Zwar kann ich<br />
diesen Eindruck derzeit noch nicht <strong>mit</strong> Zahlen<br />
belegen, mir berichten allerdings verstärkt<br />
Menschen <strong>mit</strong> HIV davon, dass sie Aggression<br />
erfahren, ausgegrenzt werden. Andere, die<br />
an Schulen Aufklärung betreiben, berichten,<br />
dass Schüler die Klassen verlassen und dass<br />
sie, die Dozenten, nach der Stunde massiv beschimpft<br />
werden. Das ist ein großes Problem,<br />
denn Aufklärung ist ein wesentlicher Aspekt<br />
der Prävention.<br />
Wie lässt sich dem entgegenwirken?<br />
Nur, indem wir die Aufklärung wieder verstärken.<br />
Die Kampagnen der BZgA sind deutlich<br />
zurückgefahren worden, dabei war gerade<br />
die Aufklärung unsere Stärke. Sie hat dazu geführt,<br />
dass es in Deutschland eine so geringe<br />
Prävalenz für HIV gab und auch noch gibt. Das<br />
Zusammenwirken aus Präventionsaktionen<br />
der BZgA <strong>mit</strong> NGOs, <strong>mit</strong> der Zivilgesellschaft<br />
– hier hatten wir Erfolge. All das hat aber in<br />
den 2000er-Jahren nachgelassen. Und was uns<br />
aktuell auf die Füße fällt, ist auch, dass wir es<br />
nicht wirklich geschafft haben, eine sexuelle<br />
Organisationsentwicklung in Institutionen<br />
einzubringen. Das ist aber das Entscheidende:<br />
Wir müssen in den Institutionen aktiv<br />
werden, an Schulen, in Einrichtungen. Wir<br />
müssen dort hingehen, wo Jugendliche sind,<br />
wo Menschen <strong>mit</strong> Behinderungen sind, wo<br />
unaufgeklärte sexuell aktive Menschen sind.<br />
Die Menschen wissen nicht, wie sie über Sexualität<br />
reden sollen. Man kann es aber lernen.<br />
Gibt es weitere sexuell übertragbare Infektionen,<br />
die wir in Deutschland im Blick behalten<br />
sollten?<br />
Fangen wir <strong>mit</strong> dem Einfachsten an: HPV.<br />
Humane Papillomviren führen noch immer<br />
jedes Jahr zu vielen Tausend Krebsvorstufen<br />
und Tumoren, bei Frauen wie bei Männern.<br />
Sie können Gebärmutterhalskrebs,<br />
Peniskarzinome, Analkarzinome oder auch<br />
Kehlkopfkrebs auslösen. Eine Impfung kann<br />
wahrscheinlich 95 bis 98 Prozent dieser<br />
Tumoren verhindern – in Deutschland<br />
liegen die Impfraten bei<br />
Frauen aber nur bei 60 und bei<br />
Männern lediglich bei 20<br />
Prozent. Wir vertun hier<br />
unsere Chance im Vergleich<br />
<strong>mit</strong> Dänemark,<br />
England oder Australien.<br />
Hier sind die<br />
Impfraten viel höher<br />
und wir sehen<br />
in Australien fast<br />
keine Todesfälle<br />
mehr, die auf<br />
eine HPV-Infektion<br />
zurückzuführen<br />
sind.<br />
Auch Chlamydien<br />
oder Gonokokkeninfektionen<br />
sind<br />
zu wenig bekannt<br />
in der Bevölkerung.<br />
Chlamydien können im Verlauf zu Unfruchtbarkeit,<br />
Darmentzündungen oder Tumorbildung<br />
führen, Gonokokken zu Tripper. Herpes<br />
simplex wird durch enge körperliche Kontakte<br />
übertragen und kann große Probleme machen,<br />
auch im Genitalbereich. Diese Krankheiten<br />
lassen sich in der Regel gut behandeln<br />
– allerdings muss das Bewusstsein dafür da<br />
sein, da<strong>mit</strong> man sich schützt und gegebenenfalls<br />
behandeln lässt. Das setzt Aufklärung voraus<br />
und die Möglichkeit, darüber zu reden.<br />
Bei mehr als fünf sexuellen Kontakten <strong>mit</strong> unterschiedlichen<br />
Partnern sollte man sich beraten<br />
und testen lassen, da<strong>mit</strong> Sex weiterhin<br />
Spaß macht. .<br />
“<br />
Mir berichten verstärkt<br />
Menschen <strong>mit</strong> HIV, dass<br />
sie Aggression erfahren,<br />
ausgegrenzt werden. Andere,<br />
die an Schulen Aufklärung<br />
betreiben, berichten,<br />
dass Schüler die<br />
Klassen verlassen und<br />
dass sie, die Dozenten,<br />
nach der Stunde massiv<br />
beschimpft werden. Das<br />
ist ein großes Problem,<br />
denn Aufklärung ist ein<br />
wesentlicher Aspekt der<br />
Prävention.
6<br />
<strong>Leben</strong> <strong>mit</strong> HIV –<br />
anders, als Sie denken!<br />
Egal ob es um den Job, Freizeit, Sexualität oder Familienplanung geht: Menschen <strong>mit</strong><br />
HIV können heute leben wie alle anderen. Bei rechtzeitiger Behandlung lässt sich der<br />
Ausbruch von Aids verhindern. HIV ist unter Therapie auch nicht mehr übertragbar.<br />
Das sind die guten Nachrichten. Die schlechten: Diskriminierung macht HIV-positiven<br />
Menschen das <strong>Leben</strong> oft immer noch unnötig schwer. Meist sind Vorurteile und<br />
Unwissenheit der Grund. Manche Leute fürchten nach wie vor eine Übertragung des<br />
Virus im Alltag und gehen deshalb auf Abstand, obwohl es dafür keinen Grund gibt.<br />
Nachfolgend geben sechs Menschen <strong>mit</strong> HIV einen Einblick in ihr <strong>Leben</strong>. Dabei wird<br />
deutlich: HIV muss im Alltag längst nicht mehr die Hauptrolle spielen.<br />
Redaktion Emma Howe<br />
in Zusammenarbeit <strong>mit</strong><br />
Hildegards Diagnose kam vor<br />
zehn Jahren völlig unerwartet.<br />
Als Postbotin in einem<br />
kleinen bayerischen Dorf<br />
hatte die heute 47-Jährige<br />
Angst vor Stigmatisierung<br />
und Ausgrenzung. Aber sie lernte schnell, dass<br />
HIV heute behandelbar ist, beruhigte ihre Eltern,<br />
erzählte Menschen in ihrem Umfeld von<br />
der Diagnose.<br />
Irgendwie zog die Nachricht Kreise. Schließlich<br />
brodelte die Gerüchteküche. Hildegard ließ<br />
<strong>mit</strong> Offenheit den Druck aus dem Kessel: „Ich<br />
musste den Deckel wegnehmen und erklären.<br />
Viele haben verstanden: Eine HIV-Infektion ist<br />
gar nicht so schlimm.“<br />
Denis macht Ju-Jutsu. Als er<br />
das Team über seine HIV-<br />
Infektion informierte, gab's<br />
Applaus und alle gingen locker<br />
da<strong>mit</strong> um.<br />
Möglich war diese entspannte Reaktion<br />
auch, weil Denis‘ Trainer von Anfang an<br />
hinter ihm stand und das Team über Basics<br />
informierte: Der Kampf <strong>mit</strong> Denis ist völlig<br />
ungefährlich – jedenfalls, wenn es um HIV<br />
geht. Manche seiner Gegner entwickeln<br />
trotzdem Berührungsängste. Dann stellen<br />
sich Trainer und Mannschaft vor ihren<br />
Teamkollegen.<br />
Schutzlos ausgeliefert war Denis anfangs<br />
Irgendwann fragte ihr Friseur, ob es für ihn gefährlich<br />
wäre, wenn er sie mal ins Ohr schneiden<br />
würde. Sie reagierte <strong>mit</strong> Offenheit und Humor:<br />
„Du darfst mich nicht ins Ohr schneiden! Aber<br />
nicht wegen HIV, sondern wegen der Ohren.“<br />
Vor allem die Nachricht, dass HIV unter Therapie<br />
nicht mehr übertragbar ist, beruhigte den<br />
Mann schließlich. Auch ihre Hausärztin lernte<br />
noch von Hildegard dazu.<br />
„Wenn hinter dem Rücken von Leuten getuschelt<br />
wird, reden alle <strong>mit</strong>, aber niemand kennt<br />
sich aus. Mir konnten alle selbst ihre Fragen stellen.<br />
Als sie <strong>mit</strong>bekommen haben, dass es okay<br />
ist, etwas nicht zu wissen, kamen wir richtig ins<br />
Gespräch.“.<br />
ausgerechnet den Sprüchen eines Arztes.<br />
Als er wegen Magenproblemen in die Notaufnahme<br />
ging, hörte er sinngemäß: Du bist<br />
ja selbst schuld an deiner HIV-Infektion,<br />
jetzt musst du auch <strong>mit</strong> den Nebenwirkungen<br />
klarkommen. Das war medizinisch genauso<br />
falsch wie menschlich, denn eine gut<br />
eingestellte HIV-Therapie hat heutzutage<br />
meist keine oder kaum Nebenwirkungen.<br />
Seiner Familie gegenüber hat Denis sich<br />
noch aus Versehen geoutet, als er einer Lokalzeitung<br />
anlässlich des Welt-Aids-Tages<br />
ein Foto erlaubte. Nun zeigt er schon zum<br />
zweiten Mal in einer Welt-Aids-Tag-Kampagne<br />
Gesicht, um Stigma und Diskriminierung<br />
entgegenzutreten..
7<br />
Mehr auf www.leben<strong>mit</strong>.de | 7<br />
In Uganda, wo Lillian aufgewachsen<br />
ist, hat sie viele ihr liebe Menschen<br />
durch Aids verloren, weil es dort an<br />
Zugang zu HIV-Therapien fehlte.<br />
Durch ihre Flucht nach Deutschland<br />
entkam sie selbst dem Tod: Ihre Tuberkulose<br />
wurde geheilt, ihre HIV-Infektion behandelt.<br />
Aber auch hier musste sie viele Widerstände<br />
und Vorurteile überwinden.<br />
Zum Beispiel, als ihre Tochter Yasemin in<br />
den Kindergarten kam: „Nachdem ich zum<br />
ersten Mal über mein <strong>Leben</strong> <strong>mit</strong> HIV gesprochen<br />
hatte, haben Eltern ihren Kindern<br />
verboten, in ihre Freizeitgruppe zu gehen.<br />
Sie hatten Angst, meine Tochter könnte ihre<br />
Berlin ist eine Bubble. „Wir haben<br />
gut informierte Ärzte und<br />
die queere Szene geht auch relativ<br />
entspannt <strong>mit</strong> dem Thema<br />
HIV um“, sagt Giovanni, der seit<br />
acht Jahren hier lebt und als<br />
Projektmanager in der Wärmepumpenbranche<br />
arbeitet.<br />
Der 31-jährige Italiener weiß, wovon er<br />
spricht. In seiner katholisch geprägten Heimat<br />
Italien sei man von „schamfreier, nicht schuldbesetzter<br />
Sexualität“ noch recht weit entfernt.<br />
Und das erschwert auch den offenen Umgang<br />
<strong>mit</strong> HIV. Dementsprechend war Giovanni sehr<br />
nervös, als er sich bei seiner Mutter outete. Als<br />
Verstärkung <strong>mit</strong> im Team: seine Schwester.<br />
Kristina kennt ein Mittel gegen<br />
Berührungsängste: Kuscheln.<br />
Sie organisiert Events, wo<br />
Menschen in geschütztem<br />
Rahmen <strong>mit</strong>einander auf<br />
Schmusekurs gehen können,<br />
um ihre Bedürfnisse nach Berührung zu erkennen<br />
und auszuleben.<br />
Vor vielen Jahren stellte Kristina fest, dass<br />
sie sexsüchtig war. Gerade als sie eine Möglichkeit<br />
suchte, sich neu <strong>mit</strong> ihrer Sexualität<br />
auseinanderzusetzen, war ihr HIV-Test positiv.<br />
„Das war nicht, was ich gewollt hatte, aber<br />
letztlich war es gut für mich“, sagt Kristina<br />
heute. Sie lernte, dass sie oft nur Berührung<br />
und Nähe suchte, wenn sie Sex hatte.<br />
Bei einem Sex-Date verzichtete<br />
Thomas einmal auf ein Kondom,<br />
weil der Partner sagte, er sei frisch<br />
negativ auf HIV getestet. Thomas<br />
hatte Pech: Sein Test war kurz<br />
darauf positiv. Seine feste Beziehung<br />
hat das sogar gefestigt: „Mein Mann hat<br />
mir ver<strong>mit</strong>telt: Wir schaffen das zusammen.“<br />
Thomas entwickelt nach der Diagnose zunächst<br />
Ekel vor sich selbst und konnte keinen Sex mehr<br />
haben. Heute gibt er beim Online-Dating selbstbewusst<br />
im Profil an, dass er positiv ist und dass<br />
HIV aufgrund der Therapie nicht mehr übertragbar<br />
ist.<br />
Drei Arten von Menschen begegnen ihm dabei:<br />
Kinder <strong>mit</strong> HIV infizieren.“<br />
Was natürlich Quatsch ist. Das sagte Yasemin<br />
den anderen Kindern auch. Die glaubten<br />
ihr, weil sie sie kannten und ihr vertrauten.<br />
Yasemin war <strong>mit</strong> dem Wissen um<br />
Mamas Infektion groß geworden und kannte<br />
sich aus.<br />
Das ist <strong>mit</strong>tlerweile einige Zeit her. Vor Kurzem<br />
hat Yasemin Lillian zur Großmutter gemacht.<br />
Und ihre Enkeltochter wird hoffentlich<br />
nicht die gleichen Probleme haben wie<br />
ihr Kind. Die meisten Menschen in Lillians<br />
Umgebung haben <strong>mit</strong>tlerweile verstanden:<br />
„Vor mir muss niemand Angst haben. Und<br />
vor meiner Tochter auch nicht.“.<br />
Die ist Ärztin und hatte schon früher per Zufall<br />
von der HIV-Infektion ihres Bruders erfahren:<br />
Bei einem Besuch zu Hause in Italien hatte er<br />
eine Pille verloren, die im Wäschekorb wieder<br />
auftauchte. Giovanni zog seine Mutter bei einem<br />
ihrer regelmäßigen Berlinbesuche ins<br />
Vertrauen. Es gab Tränen, aber kein Drama.<br />
Seine Schwester wartete in Rom am Flughafen,<br />
um die Mutter nach der Landung aufzufangen<br />
– <strong>mit</strong> Informationen.<br />
„Die Angehörigen von Menschen <strong>mit</strong> HIV<br />
müssen ja auch Bescheid wissen, da<strong>mit</strong> sie<br />
sich keine unnötigen Sorgen machen“, sagt<br />
Giovanni. „Erst wenn alle auf dem gleichen<br />
Wissensstand sind, kann man wirklich <strong>mit</strong>einander<br />
reden.“.<br />
Was nicht bedeutet, dass sie jetzt auf Sexualität<br />
verzichtet: „Sex macht mir einfach<br />
großen Spaß und ich schäme mich nicht<br />
dafür.“<br />
Aus der ehemaligen Journalistin ist <strong>mit</strong>tlerweile<br />
eine Sexualtherapeutin und professionelle<br />
Organisatorin von Kuschelevents<br />
geworden. Kristinas wichtige Botschaft:<br />
Niemand soll sich schämen müssen. Nicht<br />
für Bedürfnisse. Nicht für Sexualität. Nicht<br />
für eine HIV-Infektion. „Es ist vollkommen<br />
okay, <strong>mit</strong> HIV zu leben!“, betont sie.<br />
.<br />
Auch für Kristinas Tochter sind die HIV-<br />
Infektion ihrer Mutter und ihr Aktivismus<br />
übrigens völlig normal.<br />
Die einen wissen schon gut Bescheid. Die anderen<br />
lernen gerne dazu. Und wieder andere lehnen<br />
ihn ab, beschimpfen ihn, weil er trotz HIV<br />
auf den Dating-Plattformen ist. „Da hilft dann<br />
nur blocken“, sagt Thomas. „Aber zunächst versuche<br />
ich immer, Verständnis für HIV-positive<br />
Menschen zu schaffen und aktuelles Wissen zu<br />
ver<strong>mit</strong>teln.“ Denn das größte Problem liegt darin,<br />
dass viele Menschen noch nicht ausreichend<br />
<strong>mit</strong>bekommen haben, wie stark sich das <strong>Leben</strong><br />
<strong>mit</strong> HIV in den letzten 25 Jahren verändert hat.<br />
Als Thomas seiner Mutter die Diagnose <strong>mit</strong>teilte,<br />
war sie geschockt, als er kurz darauf bei ihr eintraf,<br />
war sie schon wieder beruhigt. „Thomas“,<br />
sagte sie, „ich habe gerade im Internet nachgeguckt.<br />
Es ist ja gar nicht mehr so schlimm.“.
8<br />
Let's talk about Sex<br />
instagram.com/<br />
therealpaulalambert<br />
Paula Lambert schreibt<br />
und spricht über Liebe,<br />
Sex, Beziehungen und<br />
alles, was dazwischenliegt.<br />
Was ein guter Liebhaber<br />
können sollte und warum<br />
wir ein Work-Sex-Balance-<br />
Problem haben, verrät sie<br />
im Interview.<br />
Foto: Lydia Gorges<br />
„Frau Lambert, lassen Sie<br />
uns über Sex sprechen“<br />
Warum fällt das vielen immer noch so<br />
schwer?<br />
Weil wir das nicht gelernt haben und leider<br />
auch immer noch nicht tun. Dabei wäre es<br />
doch eigentlich etwas grundlegend Verständliches,<br />
über die größten Bedürfnisse<br />
zu sprechen. Aber leider ist die Scham<br />
schlicht zu groß. Und da Scham im Schatten<br />
lebt, hilft wirklich nur, das Thema ans<br />
Licht zu holen.<br />
Was ist Ihrer Meinung nach guter Sex?<br />
Der, bei dem beide wissen, dass sie in diesem<br />
Moment nichts anderes lieber machen<br />
würden als genau das. Klingt einfach,<br />
ist aber in der Praxis komplex.<br />
Und was ist eine gute Liebhaberin bzw.<br />
ein guter Liebhaber?<br />
Jeder Mensch, der in der Lage ist, sich auf<br />
die Bedürfnisse des anderen einzustellen<br />
und dementsprechend zu handeln. Ein<br />
bisschen Grundbegabung und eine Vorstellung<br />
der menschlichen Anatomie helfen<br />
natürlich auch. Und Begeisterungsfähigkeit!<br />
Work-Sex-Balance – ist sexuelle Lustlosigkeit<br />
ein weitverbreitetes Thema in Deutschland?<br />
Ja, es mangelt an gelebter Inti<strong>mit</strong>ät, vor allem<br />
im Gespräch. Es bringt ja nichts, nebeneinanderher<br />
zu leben und dann <strong>mit</strong> Sex einen Kick<br />
produzieren zu wollen. Sex ohne innere Glut<br />
macht wenig bis keinen Spaß.<br />
Wie kommen wir aus der Spirale der Lustlosigkeit<br />
heraus?<br />
Indem man das Thema Inti<strong>mit</strong>ät ernst nimmt.<br />
Und zwar auf einer emotionalen Ebene: Was<br />
beschäftigt dich, wovon träumst du, wo<strong>mit</strong><br />
fühlst du dich wohl … das sind Fragen, die<br />
sich die wenigsten Paare noch oder je stellen.<br />
Die sind aber wichtig!<br />
Kommen wir zum Höhepunkt: Nur jede<br />
vierte Frau kommt beim Sex – hat Deutschland<br />
ein Orgasmusproblem?<br />
Leider ja! Und es hält sich hartnäckig der Irrtum,<br />
dass für Frauen Sex ohne Orgasmus normal<br />
ist. Das stimmt einfach nicht! Extra dafür<br />
biete ich im Frühling einen Kurs an, das Pussy<br />
Bootcamp!.<br />
Beim Solosex sieht das schon besser aus.<br />
Doch viele trauen sich nicht, sich selbst zu<br />
berühren. Was raten Sie hier?<br />
Indem wir häufiger darüber sprechen und<br />
weniger so verschämt <strong>mit</strong> dem Thema umgehen.<br />
Es tut doch jeder, warum also die Scham?<br />
Dildo, Satisfyer und Co. – wie können Erotikartikel<br />
mehr Schwung ins Liebesleben<br />
bringen?<br />
Ich finde, <strong>mit</strong> der größte Verdienst von Toys<br />
ist es, das Gespräch über Lust oder Unlust in<br />
Gang zu bringen. Sobald Menschen darüber<br />
sprechen, ist wirklich die größte Hürde geschafft.<br />
Und dann ist auch Platz für das Spielerische,<br />
was natürlich richtig viel Spaß macht<br />
– also: ran an die Sextoys.<br />
Ist es an der Zeit für neue Versuchungen?<br />
Davon haben wir eigentlich genug, jetzt geht<br />
es eher darum, <strong>mit</strong> ihnen umzugehen. Und<br />
zu verstehen, dass Sex auf ganz vielen Ebenen<br />
wichtig ist und nicht nur eine Nebensache,<br />
sondern eine Hauptsache ist!.<br />
Redaktion Emma Howe
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INTIMACY RELOADED:<br />
So bringt ihr frischen Wind<br />
in eurer Liebesleben<br />
Mehr Abwechslung gefällig? Leichter gesagt als getan. Vielen Paaren fällt es schwer,<br />
neuen Schwung in ihr Liebesleben zu bringen. Doch die große Frage, die sich alle<br />
stellen: Wie? Denn Wünsche und Bedürfnisse sind bekanntlich verschieden.<br />
Wir haben 6 Tipps für euch zusammengestellt, wie ihr es gemeinsam schafft,<br />
eure eingeschlafenen Sexroutinen hinter euch zu lassen.<br />
1Du willst es? Sag es!<br />
Laut des AMORELIE Sexreports sprechen 30 % kaum<br />
bis gar nicht <strong>mit</strong> ihrem Partner oder ihrer Partnerin<br />
über die eigenen sexuellen Bedürfnisse. Und das<br />
obwohl fast 44 % sich wünschen, mehr darüber zu erfahren.<br />
Oftmals liegt es daran, dass es einem schwer fällt, über die<br />
eigenen Bedürfnisse zu sprechen. Kartenspiele <strong>mit</strong> intimen<br />
Fragen können dabei helfen, um sich spielerisch besser<br />
kennenzulernen oder neu zu entdecken. Denn sexuelle Bedürfnisse<br />
können sich im Laufe der Jahre auch verändern.<br />
2Habt Sexdates!<br />
Wir wollen behaupten, dass sich fast jede/r über<br />
Überraschungen freut. Warum also nicht mal <strong>mit</strong> Sex<br />
überraschen? Im Wechsel überlegt sich jede/r etwas<br />
neues, um den anderen oder die andere zu überraschen.<br />
Ein Tipp: Staycation! Bucht euch und eurem Partner oder<br />
eurer Partnerin ein Hotelzimmer für eine Nacht in eurer<br />
Stadt und verbringt eine heiße Nacht in der fremden Umgebung.<br />
Alleine der Tapetenwechsel kann zu prickelnden<br />
Gefühlen führen.<br />
3Probiert Neues aus!<br />
40 % der Befragten aus dem AMORELIE Sexreport<br />
sagen, dass sie gerne etwas Neues ausprobieren<br />
möchten. Überlegt euch gemeinsam, was ihr spannend<br />
findet und entdeckt gemeinsam eure neue gemeinsame<br />
Vorliebe. Oder …<br />
Bleibt neugierig! Vielleicht ist das auch euer neues Ding<br />
und ihr probiert ab sofort nur noch neue Sachen gemeinsam<br />
aus.<br />
4Rollenspiele<br />
Laut des AMORELIE Sexreports stehen 26 %<br />
der Befragten auf Rollenspiele. Mit Rollenspielen<br />
könnt ihr eurer Kreativität freien lauf<br />
lassen. Ob <strong>mit</strong> verführerischen Kostümen oder inszenierten<br />
Situationen – so könnt ihr Euer Sexleben auf<br />
ein ganz neues Level bringen. Durch das Schlüpfen in<br />
eine andere Rolle fällt es vielen oft leichter, auch mal<br />
Dinge zu machen, die man sich sonst vielleicht nicht<br />
traut. Sehr prickelnd kann es zum Beispiel sein, sich in<br />
einer Bar zu verabreden und so zu tun, als ob man sein<br />
erstes Date hätte. Guckt doch mal, was der Abend so<br />
bringt …<br />
5Neue Orte<br />
Zugegeben: Sex im Bett ist gemütlich und bietet<br />
sich eben ganz gut an, wenn man eh schon leicht<br />
bekleidet nebeneinander liegt. Kann man machen,<br />
muss man aber nicht. Ein bisschen Abwechslung schadet<br />
nie. Zum Beispiel sagen 32 % der Befragten im AMORE-<br />
LIE Sexreport, dass sie gerne mal Sex in der Natur hätten.<br />
12 % würden es sogar gerne mal auf einer Party tun. Also<br />
raus aus der Komfortzone und entdeckt gemeinsam Orte<br />
des Vergnügens!<br />
6Mit dem Timing spielen<br />
Lieber morgens oder abends? Für viele mal so<br />
oder so. Erfrischend kann es schon werden, wenn<br />
ihr mal fernab eurer Sexroutine intim werdet. Vielleicht<br />
mal im Homeoffice während der Mittagspause?<br />
Oder einfach direkt, wenn ihr Lust verspürt. Setzt euch<br />
keine Zeitli<strong>mit</strong>s, sondern genießt Lustmomente, wann<br />
immer ihr möchtet.<br />
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Die exklusive „Come Together“-Einsteigerbox ist perfekt für Paare,<br />
die gemeinsam Neues entdecken wollen. 5 Produkt-Highlights aus<br />
dem AMORELIE-Sortiment wurden von erfahrenen Expert:innen<br />
zusammengestellt. Weitere Inspirationen und Produkte findet ihr auf:<br />
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„Ohne Vorsorge wären<br />
wir heute nicht mehr hier“<br />
Christin und Danny waren beide unter 30, als sie ihre Krebsdiagnose bekamen – in einem Alter,<br />
in dem die wenigsten an Krebs denken oder Vorsorge ernst nehmen. Dass Christin und Danny<br />
dennoch die selbst ertasteten Knoten zügig abklären ließen, rettete ihr <strong>Leben</strong>.<br />
Redaktion Miriam Rauh
11<br />
Mehr auf www.leben<strong>mit</strong>.de | 11<br />
Christin, Sie sind jetzt 34 Jahre alt. Seit<br />
wann wissen Sie, dass Sie Brustkrebs haben?<br />
Seit 2019, ironischerweise war das genau<br />
zum Start von Pinktober. Ich war schwanger<br />
und hatte einen Knoten getastet. Mein Frauenarzt<br />
überwies mich gleich zur Biopsie.<br />
Wenige Tage später hatte ich das Ergebnis:<br />
Brustkrebs, leider eine sehr aggressive Form.<br />
Danny, wie wurde der Krebs bei Ihnen entdeckt?<br />
Eher durch Zufall. Mein Mann und ich saßen<br />
auf dem Sofa; als er aufstehen wollte, fiel er<br />
so unglücklich auf mich, dass sein Ellenbogen<br />
direkt in meinen Hoden landete. Das tat<br />
natürlich sehr weh. Die Schmerzen wurden<br />
aber nach drei, vier Tagen nicht besser, sondern<br />
schlimmer. Weil mir das komisch vorkam,<br />
ging ich zum Arzt: Im Ultraschall konnte<br />
man den Tumor sehen.<br />
Was ging in diesem Moment in Ihnen vor?<br />
Danny: Ich dachte, muss ich jetzt sterben,<br />
wie geht es weiter? Gleichzeitig habe ich<br />
aber auch nichts gedacht. Ich kann gar nicht<br />
so genau beschreiben, was in mir vorging.<br />
Eine Mischung aus allem. Ich wurde gleich<br />
operiert. Der Tumor hatte gestreut, aber<br />
insgesamt hatte ich Glück: Die Metastasen<br />
konnten <strong>mit</strong> Chemo gut entfernt werden.<br />
Der Tumor wurde keinen Moment zu früh<br />
entdeckt, noch später und es hätte auch<br />
schiefgehen können.<br />
Christin: Wenn jemand die Diagnose Krebs<br />
bekommt, sieht man erst mal das <strong>Leben</strong> an<br />
sich vorbeiziehen. Das war bei mir auch so.<br />
Ich hatte große Angst, auch um mein Kind<br />
und meinen Mann. Zum Glück hatte ich gute<br />
und auch einfühlsame Ärzte. Und natürlich<br />
meine Familie, die mir eine große Stütze war,<br />
besonders mein Mann. Ich bin ihm unendlich<br />
dankbar dafür.<br />
Danny: Das war und ist bei mir auch so –<br />
mein Mann war sehr für mich da.<br />
Viele nehmen das Thema Krebsvorsorge<br />
noch gar nicht ernst. Wie war das bei Ihnen?<br />
Christin: Ich ging zur Vorsorge, den Abstrich<br />
zur Gebärmutterhalskrebsvorsorge oder<br />
auch das Abtasten der Brust habe ich immer<br />
machen lassen. Einen Ultraschall allerdings<br />
nicht, das muss man selbst bezahlen. Ob<br />
man <strong>mit</strong> Mitte/Ende 20 Geld in seine Vorsorge<br />
investiert … das machen vermutlich wenige.<br />
Man muss es sich auch leisten können!<br />
Und viele denken, Krebs bekommt man,<br />
wenn man alt ist – nicht <strong>mit</strong> Ende 20. So war<br />
es bei mir auch. Sogar Ärzte sagen das oft.<br />
Danny: Ganz ehrlich – ich weiß gar nicht, ob<br />
es eine geregelte Hodenkrebsvorsorge gibt.<br />
Ich glaube nicht, jedenfalls habe ich nie davon<br />
gehört. Aber an sich wäre es wichtig, das<br />
zu etablieren. Zwar erkranken nicht so viele<br />
Männer an Hodenkrebs. Aber bei denen, bei<br />
“<br />
denen Hodenkrebs erkannt wird, ist der Tumor<br />
meist schon recht groß. Die Kosten, die<br />
dadurch entstehen, sind sicher deutlich höher<br />
als die für eine Vorsorge. Und es betrifft<br />
hier ja meist junge Männer, die das <strong>Leben</strong><br />
noch vor sich haben.<br />
Christin: Es kann jeden treffen, in jedem<br />
Alter, das muss man sich immer wieder bewusst<br />
machen.<br />
Ich wünsche mir,<br />
dass viel mehr über<br />
Krebs geredet werden<br />
würde – auch über<br />
Vorsorge. Krebs ist<br />
aber noch immer ein<br />
Tabuthema, gerade<br />
unter jungen Leuten.<br />
Wenn mehr Leute über<br />
ihre Krebserkrankung<br />
sprechen, rückt das<br />
Thema mehr ins<br />
Bewusstsein. Es sollte<br />
auch niemand das<br />
Gefühl haben, sich<br />
deswegen schämen zu<br />
müssen. Das Thema<br />
Krebs geht uns alle etwas<br />
an, denn es kann jeden<br />
treffen, ausnahmslos.<br />
Was sind nach Ihrer Erfahrung die größten<br />
Probleme in der Vorsorge?<br />
Christin: Geld. Und Verständnis. Obwohl<br />
wirklich viel für die Brustkrebsaufklärung<br />
getan wird, zum Beispiel im Fernsehen<br />
oder <strong>mit</strong> Aktionen wie Pinktober. Auch auf<br />
Instagram gibt es viele, die wie ich selbst<br />
betroffen sind und andere daran teilhaben<br />
lassen, was die Krebserkrankung bedeutet,<br />
wie man vorsorgen kann etc. Brustkrebs ist<br />
die häufigste Krebserkrankung bei Frauen,<br />
<strong>mit</strong> aktuell fast 70.000 Neuerkrankungen<br />
pro Jahr, und die Zahlen steigen.<br />
Wie könnte man mehr – auch junge –<br />
Menschen dazu bewegen, zur Vorsorge<br />
zu gehen?<br />
Christin: Sehr helfen würde sicher, wenn<br />
mehr Vorsorgemaßnahmen Kassenleistung<br />
wären. Aber ich frage mich selbst immer,<br />
wie man mehr Menschen für das Thema<br />
sensibilisieren kann. Ich versuche, sie<br />
über Social Media zu erreichen, und bin<br />
deswegen auf Instagram aktiv. Dort versuche<br />
ich, <strong>mit</strong> Witz aufzuklären, und bekomme<br />
dafür viel positives Feedback. Manche<br />
schreiben mir, seitdem sie das bei mir gesehen<br />
haben, tasten sie ihre Brust regelmäßig<br />
selbst ab. Ich glaube, <strong>mit</strong> der Selbstuntersuchung<br />
der Brust und insgesamt einem<br />
Bewusstsein für sich kann man schon einiges<br />
erreichen. Wichtig finde ich auch, dass<br />
Ärzte einen ernst nehmen, auch wenn man<br />
jung ist. Im Zweifelsfall lieber eine Probe<br />
entnehmen – auch wenn das Warten auf<br />
das Ergebnis der Biopsie die Hölle ist. Aber<br />
besser so, als einen Tumor zu übersehen.<br />
Danny: Ich wünsche mir insgesamt, dass<br />
viel mehr über Krebs geredet werden würde<br />
– auch über Vorsorge. Krebs ist aber<br />
noch immer ein Tabuthema, gerade unter<br />
jungen Leuten. Wenn mehr Leute über ihre<br />
Krebserkrankung sprechen, rückt das Thema<br />
mehr ins Bewusstsein. Es sollte auch<br />
niemand das Gefühl haben, sich deswegen<br />
schämen zu müssen. Das Thema Krebs<br />
geht uns alle etwas an, denn es kann jeden<br />
treffen, ausnahmslos.<br />
Was hat die Diagnose für Ihren Alltag<br />
bzw. für Ihre Familienplanung bedeutet?<br />
Danny: Ich wurde vor der Operation gefragt,<br />
ob ich ein Hodenimplantat haben<br />
möchte, weil der Hoden entnommen wird.<br />
Das war mir egal – viel gravierender fand<br />
ich: Durch die Chemotherapie werden die<br />
meisten Männer unfruchtbar. Wenn man<br />
aber zum Beispiel Samen einfrieren lassen<br />
möchte, um noch Vater werden zu können,<br />
übernehmen das die Kassen nicht. Die wenigsten<br />
unter 30 haben das Geld, so etwas<br />
privat zu bezahlen. Das heißt, sie werden<br />
nie eine Familie haben können.<br />
Christin: Als ich die Diagnose bekam, war<br />
ich in der 30. Woche schwanger. Meine<br />
Tochter musste früher geholt werden, da<strong>mit</strong><br />
die Therapien beginnen konnten. Es<br />
war anfangs ganz, ganz schwer für mich,<br />
allein darüber zu reden – ich hatte das<br />
Gefühl, ich muss doch da sein! Natürlich<br />
musste ich erst mal die Therapien machen,<br />
um da sein zu können, aber das geht einem<br />
eben durch den Kopf. Zum Glück hat mein<br />
Mann sich wunderbar um unsere Tochter<br />
gekümmert und mich auch sehr unterstützt.<br />
Was würden Sie anderen gerne <strong>mit</strong>geben?<br />
Danny: Nicht zu schweigen. Redet und<br />
macht andere aufmerksam! Wenn auch<br />
nur ein Einziger mehr dadurch zur Vorsorge<br />
geht oder auf sich selbst achtet, ist es<br />
das wert.<br />
Christin: Überhaupt auf sich selbst achtzugeben<br />
und auf die Menschen, die man<br />
liebt. Erinnert eure Liebsten ruhig daran,<br />
zur Vorsorge zu gehen!.
12<br />
Blasenkrebsfrüherkennung<br />
Männer,<br />
wir müssen<br />
reden!<br />
Foto: privat<br />
Vorsorge rettet <strong>Leben</strong>: Spätestens wenn der Urin rot gefärbt ist, sollte man der Ursache dringend<br />
nachgehen. Warum auch weniger eindeutige Symptome immer abgeklärt werden müssen<br />
und man sich nicht von einer Blasenspiegelung abschrecken lassen sollte, erläutert Dr. Edmond<br />
Schiek-Kunz, Sprecher des Selbsthilfe-Bundes Blasenkrebs e. V., im Interview.<br />
Herr Dr. Schiek-Kunz, Sie sind selbst von Blasenkrebs<br />
betroffen. Wann haben Sie bemerkt,<br />
dass etwas nicht stimmt?<br />
Ich hatte häufigen Harndrang, den ich zunächst<br />
nicht <strong>mit</strong> Krebs in Verbindung brachte. Als ich<br />
auf einer Radtour <strong>mit</strong> einem Urologen unterwegs<br />
war, fragte ich ihn, was die Ursache sein<br />
könne. Er gab mir den Rat, mich auf ein Blasenkarzinom<br />
untersuchen zu lassen. Ich fiel aus<br />
allen Wolken, ließ aber gleich nach der Radtour<br />
eine Bildgebung machen. Dabei erhärtete sich<br />
der Verdacht.<br />
Welche Untersuchungen wurden gemacht?<br />
Man macht üblicherweise eine Blasenspiegelung,<br />
eine Zystoskopie, und entscheidet dann,<br />
ob und welche weiteren Schritte folgen. Wird<br />
bei der Spiegelung eine Auffälligkeit entdeckt,<br />
wird in der Regel eine transurethrale Resektion<br />
gemacht. Das erkrankte Gewebe, der Krebs – in<br />
meinem Fall in der Blase – wird durch eine urologische<br />
Operation entfernt. Anhand des entnommenen<br />
Gewebes kann dann die Diagnose<br />
gestellt werden: In welche Gewebe ist der Krebs<br />
bereits gewachsen, wie aggressiv ist er und gibt<br />
es eine Ausbreitung? Danach erfolgen gegebenenfalls<br />
weitere Therapien.<br />
Sie sind selbst Arzt und kennen die Symptome<br />
von Ihren eigenen Patienten. Was ging in<br />
Ihnen vor?<br />
Ein typisches Symptom für Blasenkrebs ist rot<br />
gefärbter Urin. Das hatte ich nicht, die Diagnose<br />
hat mich eiskalt erwischt. Eine Krebsdiagnose<br />
ist immer ein Einbruch, der eine massive Veränderung<br />
zum bisherigen <strong>Leben</strong> darstellt. Von da<br />
an ändert sich mehr oder weniger alles. Man ist<br />
nicht mehr der gleiche Mensch wie zuvor – und<br />
zwar bereits bevor einschneidende Therapien<br />
beginnen. Danach bleibt ständige Unsicherheit.<br />
Wurde wirklich alles entfernt, kommt der Krebs<br />
zurück? Man muss die Veränderungen, welche<br />
die Diagnose <strong>mit</strong> sich bringt, erst mal verarbeiten.<br />
Das braucht Zeit, manchmal Jahre.<br />
Haben Sie sich von den Ärzten und Ärztinnen,<br />
die Sie betreut haben, in Ihrer Situation aufgefangen<br />
gefühlt?<br />
Ich habe das Glück, dass meine Frau selbst Ärztin<br />
ist und mich von Anfang an begleitet und<br />
unterstützt hat. Die allgemeine Arzt-Patienten-<br />
Kommunikation ist für Betroffene in dieser sehr<br />
belastenden Situation jedoch oft nicht ausreichend.<br />
Das ist auch immer wieder Thema in<br />
den Selbsthilfegruppen. Patienten werden medizinisch<br />
bestmöglich betreut, auf psychischer<br />
Ebene sind sie recht allein. Und der psychische<br />
Aspekt spielt bei Blasenkrebs eine enorme Rolle<br />
– Impotenz kann die Folge einer Blasenkrebsoperation<br />
sein. Das trifft die betroffenen Männer<br />
sehr schwer.<br />
Urologen bieten bei dieser Problematik häufig<br />
technische Lösungen an, die für viele Betroffene<br />
nicht zufriedenstellend sind. Deshalb sollte man<br />
den Operateur vor der Operation bitten, gefäßund<br />
nervenschonend zu arbeiten, um einer<br />
Impotenz entgegenzuwirken. Auch Psychoonkologen<br />
können nicht immer helfen, insbesondere<br />
dann, wenn sie sich nicht in die Situation<br />
einfühlen können, was der Verlust der Potenz<br />
für einen Mann bedeutet. Selbsthilfegruppen<br />
sind für die Aufarbeitung der Situation wirklich<br />
entscheidend.<br />
Sie haben sich Hilfe in einer Selbsthilfegruppe<br />
oder -einrichtung gesucht. Wie kam es dazu?<br />
Den Hinweis, dass es Selbsthilfegruppen gibt,<br />
bekam ich von einer Psychoonkologin. In der<br />
Selbsthilfegruppe habe ich zum ersten Mal erlebt,<br />
dass ich <strong>mit</strong> meinen Sorgen, meinen Ängsten<br />
und Symptomen nicht alleine bin. Das war<br />
sehr wichtig für mich. Man tauscht in der Gruppe<br />
auch praktische Tipps aus, zum Beispiel wie man<br />
<strong>mit</strong> Inkontinenz oder Impotenz umgehen kann.<br />
Was macht den Austausch so wertvoll?<br />
In der Gruppe entsteht ein Solidaritätseffekt,<br />
das hilft enorm. Der Austausch steuert auch<br />
dem Rückzugseffekt entgegen, der zwangsläufig<br />
nach einer OP, die so stark ins bisherige<br />
<strong>Leben</strong> eingreift, einsetzt. Wer neu zur Gruppe<br />
kommt, profitiert von den Erfahrungen der<br />
anderen. Zum Beispiel welche Einlagen bei Inkontinenz<br />
funktionieren, was die häufige Folge<br />
einer künstlichen Harnblase ist oder welcher<br />
Stomabeutel (Anm. d. Red.: künstliches Urinreservoir)<br />
dafür am besten passt.<br />
Noch immer gehen viele Betroffene zu spät<br />
zum Arzt. Woran liegt das?<br />
Der Krebs zeigt sich nicht immer eindeutig <strong>mit</strong><br />
dem typischen Symptom, dem roten Urin. Man<br />
rechnet möglicherweise nicht da<strong>mit</strong>. Eine Blasenspiegelung<br />
schiebt man vielleicht auch lieber<br />
vor sich her. Sie ist aber ein wichtiges Instrument,<br />
um die Erkrankung zu entdecken.<br />
Wie ist die medizinische Versorgungssituation?<br />
Dank frühzeitiger Erkennung werden viele Blasenkrebsfälle<br />
rechtzeitig entdeckt, sodass die<br />
Blase erhalten werden kann. Auch die Krebsforschung<br />
hat große Fortschritte gemacht. Es gibt<br />
neue Therapiemöglichkeiten und Alternativen.<br />
Wünschen würde ich mir, dass Ärzte, Ärztinnen<br />
und Kliniken möglichst früh auch auf Selbsthilfegruppen<br />
hinweisen, am besten bereits vor<br />
einer OP, denn der Austausch dort ist für Betroffenen<br />
eine wertvolle Stütze.<br />
Was würden Sie anderen gerne <strong>mit</strong> auf den<br />
Weg geben?<br />
Es dauert, bis man als Betroffener zurück ins<br />
<strong>Leben</strong> findet. Es braucht viel Geduld, sich <strong>mit</strong><br />
Symptomatiken wie Impotenz und Inkontinenz<br />
zurechtzufinden. Man sollte sich auch Hilfe<br />
suchen. Man darf auch die Angehörigen nicht<br />
vergessen, sie tragen einen Teil der Veränderungen<br />
durch die Diagnose <strong>mit</strong>. Partner sind in der<br />
Selbsthilfegruppe sehr willkommen – ich freue<br />
mich immer, wenn sie dabei sind..<br />
Redaktion Miriam Rauh
Advertorial<br />
Blasenkrebs darf<br />
kein Tabu sein!<br />
Wussten Sie, dass in Deutschland jährlich mehr als 30.000<br />
Menschen neu an Blasenkrebs erkranken? Blasenkrebs<br />
ist in Deutschland die vierthäufigste Krebserkrankung<br />
bei Männern und tritt bei ihnen etwa dreimal häufiger auf<br />
als bei Frauen. Trotzdem wird über die Erkrankung in der<br />
Öffentlichkeit nur wenig gesprochen. Mögliche Symptome<br />
sind vielen gar nicht bekannt oder werden nicht ernst<br />
genommen. Bislang gibt es keine allgemein anerkannten<br />
Vorsorgeuntersuchungen für Blasenkrebs. Deshalb ist es<br />
so wichtig, typische Symptome zu erkennen und rechtzeitig<br />
zu handeln: ROT HEISST REDEN!<br />
B<br />
lasenkrebs (manchmal auch<br />
Harnblasenkrebs oder Harnblasenkarzinom<br />
genannt)<br />
entsteht durch ein unkontrolliertes<br />
Wachstum der Zellen<br />
in der Schleimhaut der Harnblase<br />
oder den ableitenden Harnwegen<br />
(dem Urothel).<br />
Dies führt zu<br />
bösartigen Neubildungen,<br />
sogenannten<br />
Tumoren.<br />
Risikofaktoren<br />
für Blasenkrebs<br />
Theoretisch kann<br />
jeder Mensch,<br />
egal welchen<br />
Alters oder Geschlechts,<br />
an Blasenkrebs<br />
erkranken.<br />
Es gibt aber<br />
bestimmte Faktoren,<br />
die das Risiko einer Erkrankung erhöhen<br />
können. Dazu zählen aktives und<br />
passives Rauchen, zunehmendes <strong>Leben</strong>salter<br />
und häufige Blasenentzündungen.<br />
Mögliche Symptome von Blasenkrebs<br />
Im frühen Stadium bleibt Blasenkrebs oft<br />
unerkannt, da keine oder kaum merkliche<br />
Symptome auftreten. Prof. Dr. Helmut Haas,<br />
Urologe und Geschäftsführer der Urologischen<br />
Stiftung Gesundheit: „Es gibt zwei<br />
Hauptsymptome. Das erste ist, dass man rot<br />
sieht, also Blut im Urin sieht. Das ist auch<br />
bei einem Krebs oft ohne Schmerzen. Doch<br />
es gibt auch Patienten, bei denen äußert<br />
sich der Blasenkrebs <strong>mit</strong> Beschwerden beim<br />
Wasserlassen, sodass sie denken, sie haben<br />
eine Blasenentzündung. Umso wichtiger<br />
ist es, Symptome immer ärztlich abklären<br />
zu lassen. Wenn sich herausstellt, dass es<br />
harmlos ist, freuen wir uns alle.“<br />
Frühes Erkennen verbessert die Behandlungschancen<br />
Eine möglichst<br />
frühzeitige Diagnosestellung<br />
ist<br />
wichtig, weil sich<br />
dadurch die Behandlungschan-<br />
Eine möglichst<br />
frühzeitige<br />
Diagnosestellung<br />
ist wichtig, da sich<br />
dadurch die<br />
Behandlungschancen<br />
verbessern.<br />
cen verbessern.<br />
Im Frühstadium<br />
hilft eine Operation,<br />
zu einem späteren<br />
Zeitpunkt<br />
können den ganzen<br />
Organismus<br />
betreffende Therapien<br />
das <strong>Leben</strong><br />
verlängern. Neben<br />
der schon lang etablierten systemischen<br />
Chemotherapie gibt es heute einen weiteren<br />
Behandlungsansatz, die systemische<br />
Immuntherapie. Immuntherapien unterstützen<br />
das körpereigene Immunsystem<br />
und aktivieren seine natürliche Fähigkeit,<br />
die Krebszellen anzugreifen und zu zerstören.<br />
Entscheidend bleibt immer ein frühes Erkennen<br />
der Erkrankung. Denn: Je früher<br />
der Blasenkrebs erkannt, desto eher ist die<br />
Gefahr gebannt. Und deshalb kann man es<br />
nicht oft genug sagen: Rot heißt reden! Kontrollieren<br />
Sie Ihren Urin und sprechen Sie<br />
bei Veränderungen <strong>mit</strong> Ihrem Arzt..<br />
13<br />
Mehr auf www.leben<strong>mit</strong>.de | 13<br />
Checken<br />
Sie Ihren<br />
Urin!<br />
Alles im gelben<br />
Bereich?<br />
Nehmen Sie sich einen Moment Zeit<br />
und vergleichen Sie die Farbskala <strong>mit</strong><br />
Ihrer Urinfarbe. Stellen Sie fest, dass<br />
die Farbe Ihres Urins rötlich ist, sollten<br />
Sie einen Arzt aufsuchen und die Veränderung<br />
untersuchen lassen.<br />
Weiter so!<br />
Guter Wasserhaushalt,<br />
Sie trinken genug.<br />
Top!<br />
Sie sind gut hydriert.<br />
Mehr trinken!<br />
Sie nehmen zu wenig<br />
Flüssigkeit auf.<br />
Hinweis auf Blut.<br />
Gehen Sie zum Arzt!<br />
Könnte Blut sein.<br />
Gehen Sie zum Arzt!<br />
Altblutiger Urin.<br />
Gehen Sie zum Arzt!<br />
Mehr Informationen rund um<br />
Blasenkrebs gibt es hier:<br />
www.rotheisstreden.de<br />
Merck Healthcare Germany GmbH<br />
Waldstraße 3, 64331 Weiterstadt<br />
Telefon: +49 (0)6151-62850<br />
E-Mail: healthcare.germany@merckgroup.com
14<br />
Darmkrebsvorsorge<br />
„Wissen Sie<br />
nicht, dass<br />
Sie Krebs<br />
haben?“<br />
Noch immer gehören Darmkrebs und Darmkrebsvorsorge<br />
zu Tabuthemen. Rund 75.000<br />
Menschen erhalten in Deutschland jedes<br />
Jahr die Diagnose. Heidi Lutter ist eine von<br />
ihnen und wäre fast gestorben. Im Interview<br />
spricht sie über den Kampf ihres <strong>Leben</strong>s<br />
und klärt über Darmkrebsvorsorge auf.<br />
Redaktion Emma Howe<br />
Frau Lutter, in Ihrer Familie gab es bereits<br />
Darmkrebstodesfälle. Besonders bei<br />
familiären Vorbelastungen ist die Darmkrebsvorsorge<br />
auch in jungen Jahren<br />
enorm wichtig, da es ein erhöhtes Risiko<br />
gibt zu erkranken. Hat Sie ein Arzt darauf<br />
aufmerksam gemacht?<br />
In meiner Familie gab es schon einige<br />
Darmkrebserkrankungen: Meine Oma ist<br />
<strong>mit</strong> 63 Jahren an diesem Krebs verstorben,<br />
meine Mutter wurde nur 52 Jahre alt, und<br />
die Cousine meiner Mutter ist <strong>mit</strong> 39 Jahren<br />
daran verstorben. Leider hat uns kein Arzt<br />
über ein erhöhtes Risiko in unserer Familie<br />
aufgeklärt, und eine Vorsorge in jungen Jahren<br />
war damals noch absolut unüblich.<br />
Doch dann kamen erste Symptome.<br />
Ich war gerade 45 Jahre alt, als ich eines<br />
Morgens massiv aus dem Darm blutete.<br />
Aber da mein normaler jährlicher Check<br />
bei meinem Hausarzt unauffällig war, habe<br />
ich mir zuerst keine Sorgen gemacht und<br />
wollte ganz normal zur Arbeit fahren. Aber<br />
irgendwie habe ich dann doch ein sehr unbehagliches<br />
Gefühl gehabt und bin dann<br />
direkt zum Arzt gefahren, und mein Hausarzt<br />
schickte mich direkt zum Gastroenterologen,<br />
der mir sagte, dass ich sofort ins<br />
Krankenhaus müsste. Er wollte aber erst<br />
selbst noch eine Spiegelung machen, um<br />
zu sehen, was denn die Blutung verursacht<br />
hat. Einen Tag nach der Koloskopie bin ich<br />
dann ins Krankenhaus gefahren. „Wissen<br />
Sie denn nicht, dass Sie Krebs haben?“, <strong>mit</strong><br />
diesen Worten empfing mich der Stationsarzt,<br />
nachdem ich ihn gefragt hatte, warum<br />
ich so schnell operiert werden müsse.<br />
Was haben Sie in diesem Moment gefühlt?<br />
Diese Frage traf mich wie eine Faust ins Gesicht.<br />
Ich taumelte und es riss mir sprichwörtlich<br />
den Boden unter den Füßen weg.<br />
Der Arzt fragte mich nur noch, ob ich einen<br />
Kaffee brauche oder ob er <strong>mit</strong> der OP-Besprechung<br />
fortfahren könne. Ich habe nur<br />
gedacht, warum denn noch eine Besprechung<br />
nötig sei. Ich kannte diesen Gegner.<br />
Er hat schon meine Mutter, meine Tante<br />
und meine Großmutter besiegt. Ihnen allen<br />
blieb nach der Diagnose nur noch zwei Wochen<br />
Zeit und ich war mir sicher, dass auch<br />
ich nur noch ganz wenige Wochen leben<br />
würde.<br />
Wie ging es dann weiter?<br />
Mein Gastroenterologe hat mich nach der<br />
OP im Krankenhaus angerufen und <strong>mit</strong> mir<br />
das Ergebnis der Histologie besprochen.<br />
Da ich zwar einen fortgeschrittenen Tumor<br />
hatte, aber Gott sei Dank keine Lymphknoten<br />
befallen waren und keine Metastasen<br />
gefunden wurden, hat mir mein Arzt geraten,<br />
keine Therapie zu machen, sondern<br />
in den ersten zwei Jahren alle drei Monate<br />
eine Darmspiegelung machen zu lassen.<br />
Es war für mich die richtige Entscheidung,<br />
aber ich hatte auch Angst.<br />
“<br />
Foto: WDR/Annika Fußwinkel<br />
Ich kannte diesen<br />
Gegner. Er hat schon<br />
meine Mutter, meine<br />
Tante und meine<br />
Großmutter besiegt,<br />
und ich war mir<br />
sicher, dass ich nur<br />
noch ganz wenige<br />
Wochen leben würde.<br />
Was waren Ihre größten Ängste?<br />
Ich habe von vielen Freunden und Kollegen<br />
gesagt bekommen, dass ich unbedingt positiv<br />
denken muss, da<strong>mit</strong> ich gesund bleibe.<br />
Wie soll man das machen, wenn man noch<br />
so viel im <strong>Leben</strong> machen möchte und Angst<br />
hat, dass dadurch, dass man nicht positiv<br />
denken kann, der Krebs wieder wächst? Es<br />
war ein ständiges Wechselbad der Gefühle,<br />
ich wollte alles machen, um alt zu werden,<br />
und hatte eine unbändige <strong>Leben</strong>sgier. Vor<br />
allem wollte ich meine Tochter aufwachsen<br />
sehen, und diese Angst, das nicht zu erleben,<br />
hat mir sehr oft fast die Luft zum Atmen genommen.
15<br />
Mehr auf www.leben<strong>mit</strong>.de | 15<br />
Sie gehören zur sogenannten HNPCC-<br />
Gruppe, das heißt, der Darmkrebs ist genetisch<br />
bedingt. Wie haben Sie davon erfahren?<br />
Zufällig habe ich in der Reha eine weitere<br />
Darmkrebspatientin kennengelernt, die mir<br />
von ihrer HNPCC-Erkrankung berichtet hat.<br />
Unsere Familiengeschichten waren sehr ähnlich,<br />
und da sie ganz in meiner Nähe gewohnt<br />
hat, konnte sie mir direkt auch die passenden<br />
Ansprechpartner für eine genetische Untersuchung<br />
nennen. Ich bin ihr heute, nach<br />
fast genau 25 Jahren, noch immer unendlich<br />
dankbar, denn wahrscheinlich hätte es lange<br />
gedauert, bis ich eine Humangenetik kontaktiert<br />
hätte. Dort wurden Blutuntersuchungen<br />
gemacht und es wurde ein Familienstammbaum<br />
erstellt, und danach bekam ich die Diagnose<br />
HNPCC.<br />
Diese Genveränderung erhöht das Risiko,<br />
erneut zu erkranken. Wie gehen Sie da<strong>mit</strong><br />
um und welche Vorsorgemaßnahmen werden<br />
bei Ihnen getroffen?<br />
Diese zusätzliche Belastung, ein lebenslanges<br />
erhöhtes Krebsrisiko zu haben, hat mich<br />
lange Zeit sehr verunsichert. Bei jedem Kopfschmerz<br />
habe ich befürchtet, einen Hirntumor<br />
zu haben, jede Magen-Darm-Infektion<br />
verursachte bei mir Panik. Inzwischen ist der<br />
Gedanke an eine erneute Krebserkrankung<br />
überhaupt nicht mehr präsent, allerdings<br />
nehme ich meine regelmäßigen Nach- bzw.<br />
Vorsorgeuntersuchungen sehr ernst. Für meine<br />
Schwester und meine Tochter mache ich<br />
auch immer gleich die Termine <strong>mit</strong>, denn obwohl<br />
beide wissen, dass sie auch zur Risikogruppe<br />
gehören, finden sie die regelmäßigen<br />
Spiegelungen sehr lästig und aufwendig.<br />
In Deutschland ist die Darmkrebsvorsorge<br />
für viele ein Tabu. Nur rund 20 Prozent der<br />
Bevölkerung nehmen die Möglichkeiten<br />
zur Darmkrebsvorsorge wahr. Woran liegt<br />
das Ihrer Meinung nach?<br />
Ich höre nicht nur in meiner Familie immer<br />
wieder die Aussage, dass man diese Untersuchung<br />
gar nicht möchte. Wahrscheinlich ist<br />
immer noch alles, was <strong>mit</strong> Ausscheidung zu<br />
tun hat, eines der letzten <strong>Tabus</strong> in unserem<br />
<strong>Leben</strong>, dabei kann man Darmkrebs am einfachsten<br />
durch eine Spiegelung verhindern.<br />
Kleine Polypen können direkt abgetragen<br />
werden, und wenn alles ohne Befund war, hat<br />
man für einige Jahre die Gewissheit, dass der<br />
Darm gesund ist.<br />
Wenn man eine große<br />
Abneigung gegen<br />
oder Angst vor einer<br />
Darmspiegelung hat,<br />
gibt es inzwischen sehr<br />
gute, hochsensible<br />
Stuhltests. Nehmen<br />
Sie Möglichkeiten zur<br />
Vorsorge wahr – das<br />
kann Ihr <strong>Leben</strong> retten!<br />
Welche Möglichkeiten neben der Koloskopie<br />
gibt es?<br />
Wenn man eine große Abneigung gegen oder<br />
Angst vor einer Darmspiegelung hat, gibt es<br />
inzwischen auch schon sehr gute, hochsensible<br />
Stuhltests, die im Internet bestellt werden<br />
können und die man anonym zu Hause<br />
machen kann. Sollten dann aber Auffälligkeiten<br />
festgestellt werden, sollte man doch<br />
zeitnah zu einem Gastroenterologen, um sich<br />
dort zu eventuellen weiteren Untersuchungen<br />
beraten zu lassen. Denn: Darmkrebsvorsorge<br />
kann <strong>Leben</strong> retten..<br />
Früherkennung rettet <strong>Leben</strong><br />
Darmkrebsvorsorge ohne Arztbesuch – jetzt möglich<br />
Darmkrebs ist in frühen Stadien gut behandelbar.<br />
Die Symptome sind jedoch möglicherweise erst<br />
bemerkbar, wenn der Krebs fortgeschritten ist.<br />
Aus diesem Grund ist die Vorsorgeuntersuchung<br />
ein wichtiges Instrument zur Früherkennung von<br />
Darmkrebs. Ein Darmkrebs-Heimtest sucht nach<br />
Blut im Stuhl, das für das menschliche Auge nicht sichtbar ist.<br />
Die Ergebnisse dieses Tests können anzeigen, ob weitere Tests<br />
oder Untersuchungen erforderlich sind.<br />
Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts betrifft etwa jede achte<br />
Krebserkrankung in Deutschland den Dickdarm (Kolon) oder<br />
Enddarm. Im Jahr 2017 wurden etwa 26.592 Frauen und 32.320<br />
Männer neu diagnostiziert. Darmkrebs ist eine der häufigsten<br />
Krebserkrankungen in Deutschland. Mehr als die Hälfte der Patienten<br />
wird nach dem 70. <strong>Leben</strong>sjahr diagnostiziert, und nur<br />
etwa 10 Prozent der Darmkrebserkrankungen treten vor dem 55.<br />
<strong>Leben</strong>sjahr auf. Dickdarmkrebs wird oft früh erkannt und ist in<br />
der Regel gut behandelbar. Bei frühzeitiger Erkennung kann eine<br />
hochinvasive Behandlung vermieden werden und eine Remission<br />
ist wahrscheinlicher.<br />
Scannen Sie den<br />
QR-Code<br />
und erhalten Sie<br />
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für zu Hause,<br />
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müssen Sie die Stuhlprobe entnehmen und in einem frankierten<br />
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16<br />
CED<br />
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liebesklang<br />
„Ihr seid nicht allein“<br />
Mehr als 320.000 Menschen in Deutschland leiden an den chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen<br />
(CED) Morbus Crohn und Colitis ulcerosa. Dennoch wissen viele Menschen<br />
nichts oder nur wenig darüber, das Thema wird trotz der hohen Zahl an Betroffenen<br />
häufig tabuisiert. Saskia hat eine CED. Im Interview erzählt sie ihre Geschichte.<br />
Redaktion Emma Howe<br />
Erkrankungen des Darms sind Tabuthemen.<br />
Warum ist das Ihrer Meinung nach so?<br />
Seit ich Mutter geworden bin, frage ich mich<br />
das sogar noch mehr. Bei Babys freuen wir uns<br />
über jeden Pups, da<strong>mit</strong> die kleinen Wesen sich<br />
nicht quälen. Ab einem gewissen Alter aber<br />
fängt die Gesellschaft an, uns beizubringen,<br />
dass Pupsen „iiih“ ist und man das bloß an<br />
einem stillen Ort zu machen hat. So<strong>mit</strong> wird<br />
uns als Kind schon suggeriert, dass das Thema<br />
Verdauung etwas ist, wofür man sich schämen<br />
muss. Dabei ist es das Natürlichste der Welt.<br />
Sie selbst leiden seit Ihrem 16. <strong>Leben</strong>sjahr<br />
an einer Darmerkrankung. Bitte klären Sie<br />
uns auf.<br />
Ich habe Morbus Crohn. Das ist eine chronisch-entzündliche<br />
Darmerkrankung und<br />
bedeutet, dass der Magen-Darm-Trakt sich<br />
immer wieder entzündet. Die Erkrankung<br />
verläuft in Schüben, was sie unberechenbar<br />
macht. Von heute auf morgen kann sich der<br />
Gesundheitszustand rapide ändern. Bei mir<br />
fing es <strong>mit</strong> Schleim im Stuhl an, dann kam Blut<br />
hinzu und ich ging zum Arzt.<br />
Der stellte jedoch eine andere Diagnose.<br />
Ja, zuerst bekam ich die Diagnose Colitis ulcerosa.<br />
Da ich anfangs keinerlei Schmerzen hatte<br />
und absolut nicht wusste, was diese Erkrankung<br />
<strong>mit</strong> einem machen kann, machte mir die<br />
Diagnose zunächst keine Sorgen. Ich dachte,<br />
<strong>mit</strong> ein bisschen Blut im Stuhlgang kann man<br />
irgendwie schon leben.<br />
Doch es blieb nicht dabei.<br />
Leider schlugen die Medikamente, die ich<br />
nehmen musste, nicht richtig an und mein<br />
Gesundheitszustand verschlechterte sich<br />
enorm. Ich hatte unerträgliche Schmerzen,<br />
die täglich schlimmer wurden. Nach der Entfernung<br />
meines Dickdarms erhielt ich die Diagnose<br />
Morbus Crohn. Ich war inzwischen 17<br />
Jahre alt und mein Alltag veränderte sich stark.<br />
Inwiefern?<br />
Starke Schmerzen und übermäßig viele<br />
Durchfälle hielten mich zu Hause fest. Ich<br />
musste nicht nur ständig ein Klo in meiner<br />
Nähe haben, auch mein Körper litt optisch<br />
sehr unter dieser Erkrankung. Durch das Kortison<br />
schwemmte ich auf, hatte das bekannte<br />
Mondgesicht und bekam Tag für Tag immer<br />
größere Dehnungsstreifen.<br />
Wie sind Sie da<strong>mit</strong> umgegangen?<br />
Ich muss sagen, diese Erkrankung hat mich<br />
auf ganzer Linie gefordert. Es ist normal, an<br />
einen Punkt zu kommen, an dem man nicht<br />
mehr kann oder will. Ich war mehr im Kran-
17<br />
Mehr auf www.leben<strong>mit</strong>.de | 17<br />
kenhaus als zu Hause und bekam innerhalb<br />
eines Jahres ein Stoma, also einen künstlichen<br />
Darmausgang. Ich hatte einen epileptischen<br />
Anfall, als Nebenwirkung der Medikamente,<br />
und hatte einmal Wasser in der Lunge, weshalb<br />
ich mich zwei Monate lang zurück ins<br />
<strong>Leben</strong> kämpfen musste. Einige Monate später,<br />
nach Anlegen des Stomas, musste dann der<br />
Dickdarm entfernt werden. Er war zu entzündet,<br />
zu kaputt und einfach nicht mehr brauchbar.<br />
Jedoch gesundheitlich betrachtet, war es<br />
die richtige Entscheidung. Seit der Entfernung<br />
des Dickdarms habe ich keinerlei Einschränkungen<br />
mehr, was Entzündungen im Darm<br />
angeht.<br />
Mit einem Stoma zu leben, war sicherlich<br />
eine große Umstellung.<br />
An sich kam ich <strong>mit</strong> dem Stoma gut zurecht,<br />
doch machte es mir aus technischer Sicht häufig<br />
Probleme, weshalb es oft korrigiert werden<br />
musste. Aufgrund der ständigen Fehlfunktion<br />
des Stomas wurde mir die Kock-Pouch-<br />
Methode vorgestellt. Daraufhin traf ich eine<br />
schwierige, aber rückblickend betrachtet die<br />
beste Entscheidung für mein <strong>Leben</strong>.<br />
Was ist ein Kock-Pouch genau?<br />
Kurz gesagt, ist der Kock-Pouch ein aus dem<br />
Dünndarm geformtes Reservoir, das den<br />
Stuhlgang von innen sammelt. Ein ebenfalls<br />
aus dem Dünndarm geformtes Ventil verhindert<br />
das kontinuierliche Auslaufen des Stuhlgangs,<br />
und so<strong>mit</strong> klebt nur noch ein Pflaster<br />
am Bauch. Mehrmals am Tag muss ich dann<br />
durch die Bauchdecke einen Katheter einführen,<br />
um da<strong>mit</strong> die Kocksche Tasche zu leeren.<br />
Würden Sie rückblickend gesehen etwas anders<br />
machen?<br />
Ich musste viele Entscheidungen treffen.<br />
Musste entscheiden, was ich <strong>mit</strong> meinem Körper<br />
mache, was ich ihm zumute und was aus<br />
ihm werden soll. Auf meinem Weg habe ich<br />
viel gelernt, wünschte mir aber, dass es damals<br />
jemanden wie Susanne Körner, Deutschlands<br />
erste Kock-Pouch-Krankenschwester, und ihre<br />
WhatsApp-Gruppe für Austausch gegeben<br />
hätte. Als Einzige <strong>mit</strong> einem Kock-Pouch fühlte<br />
ich mich lange Zeit sehr alleine. Doch ich bin<br />
mir sicher, dass es noch einige Menschen <strong>mit</strong><br />
Kock-Pouch gibt, die wie ich gar nicht wissen,<br />
wie viele es eigentlich in Deutschland gibt.<br />
Ein künstlicher Darmausgang ist etwas, worüber<br />
man nicht gern spricht. Wie haben<br />
Freunde und Familie reagiert?<br />
Ein künstlicher Darmausgang oder Stuhlgang<br />
sollte kein Grund zur Scham sein! Ich habe für<br />
mich erkannt, dass Offenheit mir am besten<br />
liegt. Neuen Menschen in meinem <strong>Leben</strong> teile<br />
ich meine Situation <strong>mit</strong>, um spätere Erklärungen<br />
zu vermeiden. In Familie, Freundschaften<br />
und Arbeit wurde dies nie zu einem großen<br />
Thema gemacht. Es wurde als „normal“ akzeptiert,<br />
was für mich sehr positiv ist.<br />
Es ist erlaubt,<br />
Hilfe anzunehmen<br />
– niemand muss<br />
alleine durch solche<br />
Situationen gehen.<br />
Wie geht es Ihnen heute?<br />
Ich bin inzwischen Mutter eines elf Monate alten<br />
Sohnes und mir geht es aus gesundheitlicher<br />
Sicht gut. Ich habe einen tollen Arbeitgeber, wo<br />
ich als Brand Designer arbeite. In meiner Freizeit<br />
fotografiere ich Menschen <strong>mit</strong> Narben und besonderen<br />
Geschichten.<br />
Welchen Tipp haben Sie für Betroffene einer<br />
CED?<br />
Austausch bedeutet Wachstum. Lange Zeit<br />
dachte ich, es sei in Ordnung, nicht viel über den<br />
Kock-Pouch oder CED zu wissen. Doch im Rückblick<br />
erkenne ich, wie bereichernd es ist, sich<br />
gegenseitig aufzubauen und zu ermutigen. Es<br />
ist erlaubt, Hilfe anzunehmen – niemand muss<br />
alleine durch solche Situationen gehen. Und vergiss<br />
nie: DU BIST GENUG. Deine Reise ist einzigartig<br />
und wertvoll und darf manchmal auch einfach<br />
für einen Moment scheiße sein. .<br />
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Tami für ein besseres Bauchgefühl<br />
M<br />
it einer App ein besseres Bauchgefühl für<br />
deine CED bekommen? Das geht <strong>mit</strong> der<br />
neuen Tami App! Das praktische Tool für<br />
dein Smartphone weiß sehr genau, was du<br />
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deine Colitis ulcerosa besser zu verstehen.<br />
Das liegt vor allem daran, dass die Tami App gemeinsam <strong>mit</strong><br />
CED-Betroffenen entwickelt wurde. Auch in die Weiterentwicklung<br />
fließen Ideen von Menschen <strong>mit</strong> CED ein. Mit der<br />
Tami App kannst du neben Symptomen, wie Bauchschmerzen<br />
oder Anzahl der Stuhlgänge, auch andere Faktoren der <strong>Leben</strong>squalität<br />
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wirklich geht oder wo du im Alltag die CED sonst noch zu spüren<br />
bekommst. Die Tami App macht dich zum Experten für<br />
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Deine CED: Das Unsichtbare sichtbar machen<br />
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mehr: Du kannst die Faktoren festhalten, die deine CED –<br />
positiv wie negativ – beeinflussen. Das hilft dir dabei, Zusammenhänge<br />
besser zu verstehen und dich und deine Erkrankung<br />
besser kennenzulernen. Welche Beschwerden und Faktoren<br />
du verfolgst, kannst du individuell auswählen. Deine<br />
persönliche Auswertung verschafft dir Überblick über deinen<br />
Krankheitsverlauf. Wenn du Ideen hast, wie die Tami App noch<br />
besser werden kann, ist deine Meinung erwünscht. Du kannst<br />
Erfahrungen <strong>mit</strong> der App in der Tami-Sprechstunde teilen,<br />
neue Ideen posten oder zu den Ideen von anderen voten, was<br />
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18<br />
Ernährung<br />
Gesundheit beginnt im Darm<br />
Der größte Hebel, die Darmgesundheit positiv zu beeinflussen,<br />
ist unser Essverhalten. Wie genau das gelingen<br />
kann, ist aktuell eines der Lieblingsthemen ernährungsmedizinischer<br />
Forschung.<br />
Fotos: Ave Calvar, Gräfe und Unzer/Gaby Gerster (Kreis)<br />
Darmgesundheit –<br />
zu wichtig, um ein<br />
Tabuthema zu sein<br />
Der Darm wird oft als das zweite Gehirn<br />
bezeichnet, weil er eine so wichtige<br />
Schaltzentrale für die Gesundheit des<br />
Menschen ist. Aber wieso ist die<br />
Darmgesundheit noch immer ein Thema,<br />
über das man nicht so gerne redet?<br />
Und welche Rolle spielt die Ernährung?<br />
Das haben wir Diabetologe und<br />
Ernährungsmediziner Dr. Matthias Riedl<br />
und Sternekoch Johann Lafer gefragt.<br />
Redaktion Miriam Rauh
19<br />
Mehr auf www.leben<strong>mit</strong>.de | 19<br />
L<br />
afer und Riedl möchten <strong>mit</strong><br />
ihrem Buch „Medical Cuisine<br />
– Gesunder Darm“ nichts Geringeres,<br />
als Deutschlands Küchen<br />
zu revolutionieren – auf<br />
genussvolle Art. Das ist auch<br />
dringend nötig, denn noch immer wissen viel<br />
zu wenige um den Zusammenhang zwischen<br />
Ernährung und (Darm-)Gesundheit. Und um<br />
diese steht es hierzulande schlecht.<br />
Der Darm spielt eine sehr zentrale Rolle im<br />
Körper. Zu seinen Aufgaben gehören neben<br />
der Nährstoffverwertung auch die Abwehr<br />
von Erregern und der Abtransport von Giftstoffen.<br />
Er reguliert die Psyche und beherbergt<br />
das Immunsystem. Vor diesem Hintergrund<br />
ist kaum verständlich, dass man noch<br />
immer kaum über den Darm und Darmgesundheit<br />
spricht. Millionen Deutsche leiden<br />
regelmäßig an Verdauungsbeschwerden,<br />
darunter allein über 300.000 an den chronisch-<br />
entzündlichen Darmerkrankungen<br />
Colitis ulcerosa und Morbus Crohn. Die Zahl<br />
der Darmkrebspatienten steigt beständig.<br />
Besonders alarmierend sind die Zuwachsraten<br />
bei den Jüngeren. Dabei ließen sich viele<br />
Erkrankungen durchaus verhindern: <strong>mit</strong>hilfe<br />
eines gesunden <strong>Leben</strong>sstils und einer besseren<br />
Ernährung.<br />
Ein Superheld im Bauch<br />
„Viele genieren sich, über das Thema Darmgesundheit<br />
zu sprechen, obwohl es jeden<br />
Einzelnen von uns betrifft“, so Dr. Matthias<br />
Riedl. Johann Lafer ergänzt: „Es gilt, den<br />
Menschen schmackhaft zu machen, sich einfach<br />
besser und gesünder zu ernähren. Dann<br />
muss man gar nicht so viel über Beschwerden<br />
reden, sondern kann sich über die gute<br />
Gesundheit freuen. Das macht das Thema<br />
gleich viel salonfähiger.“ Der wohl größte<br />
Hebel, die Darmgesundheit positiv zu beeinflussen,<br />
ist das Essverhalten. Genau aus diesem<br />
Grund ist es in den letzten Jahren auch<br />
zunehmend in den Fokus der Forschung gerückt.<br />
Besonders ein Faktor scheint eine sehr<br />
zentrale Rolle zu spielen: das sogenannte<br />
Darmmikrobiom.<br />
Der Verdauungstrakt ist die Heimat von rund<br />
95 Prozent aller Mikroben, die meisten davon<br />
wiederum finden sich im Dickdarm. Auch<br />
wenn es vielleicht seltsam klingt: Diese Mikroorganismen<br />
bzw. Bakterien gehen eine<br />
komplexe Symbiose <strong>mit</strong> uns Menschen ein,<br />
von der (im Idealfall) beide Seiten profitieren.<br />
Riedl: „Nur wenn das Gleichgewicht unter<br />
den Mikroben stimmt, bleiben wir gesund.<br />
Bestimmte <strong>Leben</strong>s<strong>mit</strong>tel und Nahrungsbestandteile<br />
‚füttern‘ die guten Darmbakterien,<br />
andere wiederum fördern die schlechten.“<br />
Gute Mikroben, schlechte Mikroben<br />
Gute Mikroben regen die Darmbewegung an<br />
und helfen, die Nahrung zu verwerten. Sie<br />
produzieren Vitamin K, das für die Blutgerinnung<br />
wichtig ist, und sind an der Bildung von<br />
Hormonen beteiligt. Sie stärken die Barrierefunktion<br />
des Darms gegenüber Erregern.<br />
Sie bilden Botenstoffe, Enzyme und Substrate,<br />
die für eine gesunde Funktion von Fett -,<br />
Nerven- und Leberzellen sorgen – und vieles<br />
mehr. Man geht heute sogar davon aus, dass<br />
gute Darmbakterien möglicherweise sogar<br />
die Intelligenz des Menschen beeinflussen<br />
können – und die Lust, sich zu bewegen.<br />
„Das Darmmikrobiom hat einen direkten<br />
Einfluss auf unsere Gesundheit, und auch<br />
in unserem Blut finden wir nützliche Eiweiße,<br />
die ebenfalls von Bakterien produziert<br />
wurden“, erläutert Dr. Matthias Riedl den Zusammenhang.<br />
„Keins ist wie das andere. Das<br />
Mikrobiom unseres Darms ist genauso individuell<br />
wie unser Fingerabdruck.“<br />
Schutz vor Krankheiten<br />
Ein möglichst vielfältiges und ausgeglichenes<br />
Darmmikrobiom besteht aus Billionen von<br />
Bakterien. Viele von ihnen produzieren Stoffe,<br />
die für uns Menschen lebensnotwendig<br />
sind und viele weitere Vorgänge im Körper<br />
beeinflussen. Doch ohne die entsprechende<br />
Nahrung können diese Bakterien nicht sein,<br />
und oft gibt es zu wenige der „guten“ Bakterien<br />
im Darm. Infolgedessen ist das Risiko für<br />
verschiedene Zivilisationserkrankungen erhöht,<br />
von rheumatischen Beschwerden über<br />
Diabetes bis hin zu Krebs.<br />
Studien zeigen, dass viele Deutsche sich aktuell<br />
auf eine Art ernähren, die Darm und<br />
Mikrobiom schwer zusetzen. Naturbelassene<br />
<strong>Leben</strong>s<strong>mit</strong>tel, Ballaststoffe oder Fermentiertes<br />
sind selten auf unseren Tellern zu finden,<br />
von hochverarbeiteten <strong>Leben</strong>s<strong>mit</strong>teln wie<br />
Fertiggerichten, Wurst und Süßwaren essen<br />
wir hingegen viel. Zu viel, denn sie schwächen<br />
nicht nur die Verdauung, sondern auch<br />
unser Immunsystem, das stark vom Darm<br />
Buchtipp<br />
beeinflusst wird. Sich das bewusst zu machen,<br />
ist ein wichtiger erster Schritt. Doch<br />
wie kann eine bessere Ernährung gelingen?<br />
Einfach lecker, ohne Verbote<br />
„Mit den Rezepten in unserem Buch kann es<br />
jeder sehr leicht schaffen, sich darmgesund<br />
zu ernähren“, so Riedl. „Nur ein gesunder<br />
Darm kann alle benötigten Nähr- und Vitalstoffe<br />
für den Organismus auf schlüsseln und<br />
Krankheitserreger abwehren. Das Konzept<br />
unserer ‚artgerechten‘ Ernährung haben wir<br />
genau auf diese Wirkung hin optimiert.“ –<br />
„Zugleich steht wieder der Genuss im Zentrum!“,<br />
wirft Starkoch Johann Lafer ein. Lafer<br />
und Riedl haben typische Lieblingsgerichte<br />
wie Grießnockerlsuppe, Matjessalat und Reibekuchen,<br />
aber auch exotische Leckerbissen<br />
wie Sushi, Ceviche und Pho so verändert,<br />
dass sie beides können – die Darmgesundheit<br />
fördern und gleichzeitig gut schmecken.<br />
Denn das ist wichtig, da<strong>mit</strong> man die gesunde<br />
Art zu kochen nicht nur ausprobiert, sondern<br />
auch beibehält. Für ein längeres <strong>Leben</strong> <strong>mit</strong><br />
mehr <strong>Leben</strong>squalität.<br />
Ihr kulinarisches Konzept heißt „Medical<br />
Cuisine“. Über Monate saßen Riedl und Lafer<br />
für ihr gleichnamiges Buch zusammen.<br />
Sie schrieben Zutatenlisten, veränderten<br />
Würzungen und passten Rezepte an, bis sie<br />
<strong>mit</strong> dem Ergebnis rundum zufrieden waren.<br />
Entstanden ist eine volksnahe Alltagsküche<br />
<strong>mit</strong> schnell zuzubereitenden Gerichten<br />
und ohne Verbote. Auch Zutaten wie Fleisch<br />
oder Kartoffeln kommen in den Rezepten<br />
vor, dazu viele weitere, die ein ausgeglichenes<br />
Darmmikrobiom fördern und den Darm<br />
funktionsfähig halten. Und sie schmecken –<br />
und zwar richtig gut..<br />
Unser Darm ist mehr als ein Verdauungsorgan:<br />
Das „Bauchhirn“ schlängelt<br />
sich durch den Körper, regelt Psyche, Immunsystem,<br />
Körpergewicht und Krankheiten.<br />
Höchste Zeit, ihm mehr Aufmerksamkeit,<br />
Ballaststoffe und Präbiotika zu<br />
schenken.<br />
Viele kennen es: Der Darm zwickt und<br />
zwackt, der Bauch macht Probleme<br />
und fühlt sich gebläht an. Das ist nicht<br />
nur unangenehm, es überträgt sich<br />
auch aufs gesamte Wohlbefinden.<br />
Deutschlands Top-Ernährungsmediziner<br />
Dr. Matthias Riedl und Starkoch Johann<br />
Lafer zeigen in 100 Rezepten, welche<br />
<strong>Leben</strong>s<strong>mit</strong>tel gegen Entzündungen im<br />
Darm, bei Verdauungsproblemen und<br />
Reizdarm helfen.<br />
Der Beweis, dass Gesundheit und Genuss<br />
kein Widerspruch sind und wie<br />
Lieblingsgerichte zum Booster für Darm<br />
und Verdauung werden!<br />
Medical Cuisine – Gesunder Darm<br />
Gräfe und Unzer<br />
ISBN-10: 3833892358<br />
ISBN-13: 978-3833892356
20<br />
Organspende<br />
<strong>Leben</strong>sretter werden<br />
Die Organspende ist immer noch ein gesellschaftliches Tabuthema. Viele setzen sich nicht<br />
<strong>mit</strong> dem Sterben auseinander und wollen auch nicht darüber nachdenken, was nach dem<br />
Tod <strong>mit</strong> ihren Organen geschieht. Mehr als 8.000 Menschen hoffen in Deutschland auf ein<br />
Spenderorgan. Eine Transplantation ist für sie häufig die letzte Hoffnung. Viele warten jedoch<br />
vergeblich – hierzulande kommen nur 11,4 Spender auf eine Million Einwohner. Dabei kann<br />
eine postmortale Organspende bis zu sieben Menschenleben retten. Nachfolgend wollen wir<br />
die acht häufigsten Fragen zur Organspende beantworten.<br />
1<br />
Gibt es eine Altersgrenze für die<br />
Organspende?<br />
Für die Organspende gibt es keine<br />
feststehende Altersgrenze.<br />
Entscheidend ist der Zustand der<br />
Organe. Dieser hängt jedoch nur bedingt vom<br />
kalendarischen Alter ab. Über die Frage, ob ein<br />
Organ transplantiert werden kann, entscheiden<br />
medizinische Tests nach dem Tod – und letztlich<br />
die Ärztinnen und Ärzte, die die Organe<br />
transplantieren. Die bisher älteste Organspenderin<br />
Deutschlands war 98 Jahre alt und ihre<br />
Leber konnte erfolgreich transplantiert werden.<br />
2<br />
Welche (Vor-)Erkrankungen<br />
schließen eine Organspende<br />
aus?<br />
Eine Organentnahme wird in der<br />
Regel ausgeschlossen, wenn bei<br />
der Verstorbenen oder dem Verstorbenen eine<br />
akute maligne Tumorerkrankung oder eine<br />
nicht behandelbare Infektion vorliegt. Bei allen<br />
anderen Erkrankungen entscheiden die Ärztinnen<br />
und Ärzte nach den vorliegenden Befunden,<br />
ob Organe für eine Entnahme infrage<br />
kommen.<br />
3<br />
Genügt der Organspendeausweis<br />
als Rechtsgrundlage für eine<br />
Organentnahme? Werden die<br />
Angehörigen trotz Organspendeausweis<br />
um ihre Zustimmung<br />
gebeten?<br />
Ist das Einverständnis der verstorbenen Person<br />
dokumentiert, so ist eine Organentnahme<br />
rechtlich zulässig. Der Wille des Verstorbenen<br />
hat Vorrang. Bei vorliegendem Organspendeausweis<br />
werden die Angehörigen also nicht um<br />
eine Entscheidung zur Organspende gebeten,<br />
sie müssen jedoch darüber informiert werden.<br />
4<br />
Genügt auch ein Tattoo als<br />
Rechtsgrundlage für eine Organspende?<br />
Ein Tattoo kann als eine Art Zeichen<br />
bzw. Statement für Organspende<br />
gewertet werden und den Angehörigen<br />
im Fall der Fälle als Anhaltspunkt dienen, wenn<br />
diese nach dem mutmaßlichen Willen der verstorbenen<br />
Person eine Entscheidung treffen<br />
müssen. Ein Tattoo stellt jedoch keine rechtlich<br />
bindende Grundlage für eine Organentnahme<br />
dar. Daher ist es ratsam, zusätzlich einen Organspendeausweis<br />
auszufüllen und – ebenso<br />
wichtig – die Angehörigen zu informieren. Die<br />
Dokumentation der Entscheidung ist in einem<br />
Organspendeausweis zudem wesentlich differenzierter<br />
möglich. Man kann zum Beispiel die<br />
Spende auf bestimmte Organe oder Gewebe beschränken,<br />
einer Person die Entscheidung übertragen<br />
und vor allem: Man kann die Entscheidung<br />
jederzeit ändern und bei Bedarf einfach<br />
einen neuen Organspendeausweis ausfüllen.<br />
5<br />
Welche Voraussetzungen müssen<br />
für eine postmortale Organspende<br />
erfüllt sein?<br />
Bevor Organe für eine Transplantation<br />
entnommen werden können,<br />
müssen zwei grundlegende Voraussetzungen<br />
erfüllt sein: Der Tod der Spenderin oder des<br />
Spenders muss durch Feststellung des irreversiblen<br />
Ausfalls der Gesamtfunktion des Gehirns<br />
nach den Richtlinien der Bundesärztekammer<br />
festgestellt worden sein. Zweitens muss<br />
für die Entnahme eine Einwilligung vorliegen,<br />
entweder in Form einer schriftlichen Einverständniserklärung<br />
der Verstorbenen oder des<br />
Verstorbenen (Organspendeausweis und/oder<br />
Patientenverfügung) oder indem eine von ihr<br />
oder ihm dazu bestimmte Person oder die Angehörigen<br />
im Sinne der Verstorbenen oder des<br />
Verstorbenen zustimmen.<br />
6<br />
Ich habe bereits einen Organspendeausweis.<br />
Wird auf einer<br />
Intensivstation trotzdem alles<br />
medizinisch Mögliche für mich<br />
getan, wenn ich lebensbedrohlich<br />
erkranke?<br />
Ziel aller medizinischen Maßnahmen im Falle<br />
eines Unfalls oder einer schweren Erkrankung<br />
ist es, das <strong>Leben</strong> des Patienten oder der Patientin<br />
zu retten. Die Bemühungen der Rettungsteams<br />
sowie der Ärztinnen und Ärzte sind allein auf<br />
dieses Ziel ausgerichtet. Manchmal kann die<br />
Redaktion Emma Howe<br />
in Zusammenarbeit mir der<br />
Patientin oder der Patient trotz aller Bemühungen<br />
nicht mehr gerettet werden, Krankheit<br />
oder Unfallfolgen sind zu weit fortgeschritten.<br />
Mitunter tritt der Tod dabei durch den unumkehrbaren<br />
Ausfall der Gesamtfunktion des<br />
Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms<br />
ein; Kreislauf und Atmung können nur noch<br />
künstlich durch Beatmung und Medikamente<br />
aufrechterhalten werden. Nur bei dieser kleinen<br />
Gruppe von Verstorbenen stellt sich die Frage<br />
einer Organspende. Voraussetzung für die Organspende<br />
ist dabei immer, dass der Tod gemäß<br />
dem Transplantationsgesetz von zwei dafür<br />
qualifizierten Ärzten unabhängig voneinander<br />
nach den Richtlinien der Bundesärztekammer<br />
festgestellt worden ist. Diese Ärzte dürfen weder<br />
an der Entnahme noch an der Übertragung der<br />
Organe aus dieser Organspende beteiligt sein<br />
noch der Weisung eines beteiligten Arztes oder<br />
einer beteiligten Ärztin unterstehen.<br />
7<br />
Ich bin noch nicht volljährig.<br />
Kann ich trotzdem einen eigenen<br />
Organspendeausweis ausfüllen?<br />
Minderjährige können ab dem 16.<br />
<strong>Leben</strong>sjahr ihre Bereitschaft zur Organspende<br />
auf einem Ausweis dokumentieren. Der Widerspruch<br />
kann bereits ab dem 14. <strong>Leben</strong>sjahr erklärt<br />
werden. Den Organspendeausweis gibt es<br />
unter anderem beim Infotelefon Organspende<br />
unter der kostenlosen Rufnummer 0800/90 40<br />
400.<br />
8<br />
Kann die Familie den Verstorbenen<br />
nach der Organentnahme<br />
nochmals sehen?<br />
Die Familie kann in der von ihr<br />
gewünschten Weise Abschied von<br />
der verstorbenen Person nehmen. Nach der<br />
Entnahmeoperation wird die Operationswunde<br />
<strong>mit</strong> der gebührenden Sorgfalt verschlossen. Der<br />
Leichnam kann aufgebahrt werden und die Bestattung<br />
wie gewünscht stattfinden.<br />
Auf der nächsten Seite erzählen drei Angehörige<br />
die Geschichten ihrer <strong>Leben</strong>sretter.
Lena, 17 Jahre<br />
Leonard, 13 Jahre<br />
Käte, 84 Jahre<br />
U<br />
nsere Lena war ein richtiger<br />
Sonnenschein“, beschreibt<br />
Gabi Mödder<br />
ihre Tochter. „Im August<br />
ist Lena schon acht Jahre<br />
nicht mehr bei uns. Wir<br />
kämpfen uns irgendwie ins <strong>Leben</strong> zurück<br />
– mal funktioniert es gut, mal weniger gut.“<br />
An einem Sommermorgen war die 17-Jährige<br />
<strong>mit</strong> ihrer besten Freundin zum Ausreiten<br />
verabredet. Lena ritt vor, da sich ihre Freundin<br />
verspätete. Als sie Lena fand, lag sie leblos<br />
am Boden. Bis heute ist nicht klar, was<br />
an diesem Morgen passiert ist.<br />
Ein Rettungshubschrauber brachte das<br />
Mädchen in eine Klinik. „Drei Tage nach der<br />
Not-OP stand fest, dass es für Lena keine<br />
Hoffnung mehr gibt.“ Am fünften Tag nach<br />
dem Unfall wurden die Eltern von der Deutschen<br />
Stiftung Organtransplantation (DSO)<br />
angesprochen. „Wir hatten uns vorher nie<br />
Acht Jahre ist es nun her, als<br />
uns durch Polizeibeamte<br />
die Nachricht überbracht<br />
wurde, die unser <strong>Leben</strong><br />
veränderte.<br />
Unser 13-jähriger<br />
Sohn Leonard hatte auf<br />
dem Weg zur Schule einen<br />
Fahrradunfall <strong>mit</strong> lebensgefährlichen<br />
Kopfverletzungen“,<br />
erzählt Nicole<br />
Siebens.<br />
Die Hoffnung auf eine<br />
Chance für Lenny wurde<br />
den Eltern schnell genommen.<br />
„Unser Kind stirbt.“ Der<br />
Gedanke riss Nicole Sieben den<br />
Boden unter den Füßen weg. Plötzlich<br />
prasselten so viele Fragen auf sie ein, Fragen,<br />
die sie sich vorher nie gestellt hatte. Schließlich<br />
mussten sich Nicole und ihr Mann der<br />
schwersten Frage ihres <strong>Leben</strong>s stellen: „Sollen<br />
Unsere Mutter ist im Februar<br />
2020 bei ihrem täglichen<br />
Spaziergang im nahe gelegenen<br />
Wald <strong>mit</strong> ihrem Hund,<br />
aufgrund einer Hirnblutung<br />
durch ein Aneurysma, zusammengebrochen.<br />
Sie und auch wir haben<br />
nicht gewusst, dass sie so etwas im Kopf hat.<br />
Ihr Hund wachte neben ihr, als sie von Passanten<br />
„gefunden“ wurde und dann <strong>mit</strong> dem<br />
Helikopter ins Krankenhaus gebracht wurde.<br />
Als wir eintrafen, war sie <strong>mit</strong>tlerweile operiert<br />
worden und lag im Koma. Der Zustand war<br />
zu dem Zeitpunkt schon bedenklich, aber wir<br />
hatten noch Hoffnung. Am nächsten Tag jedoch<br />
sollte sie in ein weiteres Krankenhaus für<br />
eine erneute OP verlegt werden. Diese OP hätte<br />
unsere Mutter aber nicht mehr vollkommen<br />
retten können, trotzdem wollte mein Vater<br />
diese OP durchführen lassen. Wir respektierten<br />
seinen Wunsch und hatten schreckliche<br />
Angst vor den möglichen Folgen. Es zeichnete<br />
21<br />
Mehr auf www.leben<strong>mit</strong>.de | 21<br />
<strong>mit</strong> dem Thema beschäftigt, doch nach anfänglichem<br />
Zögern haben wir die Organspende<br />
genehmigt. Unsere Lena hat sechs<br />
Organe gespendet und da<strong>mit</strong> fünf schwerstkranke<br />
Menschen gerettet. Wir haben sogar<br />
einen Dankesbrief erhalten. Uns schrieb<br />
eine Mutter, die Lenas Leber bekommen<br />
hat. Ohne die Leber hätte sie nicht überlebt,<br />
berichtete die anonyme Empfängerin. Dank<br />
Lenas Spende könne sie nun ein lebenswertes<br />
<strong>Leben</strong> führen.“<br />
Noch heute prägen Hoffnung und Trauer<br />
das <strong>Leben</strong> von Lenas Familie. „Durch die<br />
regelmäßigen Veranstaltungen der DSO<br />
werden wir aber immer wieder darin bekräftigt,<br />
dass wir richtig entschieden haben,<br />
Lenas Organe zu spenden. Lena lebt in den<br />
Organempfängern weiter, das gibt uns Hoffnung.<br />
In unseren Herzen ist Lena fest verankert<br />
und durch viele wunderbare Fotos,<br />
die überall in unserem Haus stehen, immer<br />
präsent.“.<br />
wir die Organe unseres Kindes zur Transplantation<br />
freigeben?“ Viel Zeit hatten sie nicht,<br />
um eine Antwort zu finden. „Der Entscheidungsprozess<br />
war unendlich schmerzhaft.<br />
Aber wir waren uns sicher,<br />
dass Leonard sich dafür entschieden<br />
hätte. Also taten<br />
wir es auch. Wir waren fast<br />
die ganze Zeit bei Lenny<br />
im Krankenhaus.“ Es<br />
war nicht einfach, den<br />
Organspendeprozess anlaufen<br />
zu sehen, und beiden<br />
wurde klar, wie wenig<br />
sie über all das wussten.<br />
Leonard musste viel zu früh <strong>mit</strong><br />
13 Jahren sterben. „Heute finden<br />
wir Trost in dem Gedanken, dass ein Teil<br />
von ihm weiterlebt. Wir möchten Menschen<br />
<strong>mit</strong> ähnlichen Schicksalen unterstützen und<br />
engagieren uns für die Organspende und für<br />
trauernde Eltern.“.<br />
sich aber auch danach ab, dass sich die Hirntätigkeiten<br />
meiner Mutter weiter verschlechterten.<br />
Dann trat der Hirntod ein. Meine Mutter<br />
führte stets einen Organspendeausweis bei<br />
sich und wir konnten unseren Vater von der<br />
Durchführung ihres Willens überzeugen. So<br />
wurde in der darauffolgenden Nacht die Organentnahme<br />
durchgeführt. Meine Mutter<br />
war 84 Jahre alt und konnte ihre Leber und<br />
die Nieren spenden und die Transplantationen<br />
waren gut verlaufen. Wir wurden von<br />
dem Arzt telefonisch über den Ablauf und das<br />
Ergebnis sehr einfühlsam informiert. Das hat<br />
uns ein wenig in unserer Trauer geholfen, zu<br />
wissen, dass die Organe unserer Mama in zwei<br />
Menschen weiterleben.<br />
Wir sind stolz auf unsere Mutter, wie sie ihr<br />
<strong>Leben</strong> lang ihre Familie umsorgt und auch zusammengehalten<br />
und dass sie sogar im Tode<br />
fremden Menschen noch geholfen hat..
22<br />
Testamentsspende<br />
Fotos: privat<br />
„Nach mir die Freiheit“<br />
Obwohl jeder Mensch eines Tages stirbt, gehört der Tod zu den größten Tabuthemen<br />
unserer Gesellschaft. Wir verdrängen die Gedanken an die eigene Endlichkeit. Dabei ist<br />
es wichtig, sich <strong>mit</strong> dem Tod und letzten Wünschen auseinanderzusetzen. Wir sprachen<br />
darüber <strong>mit</strong> Testamentsvollstreckerin Annette Thewes.<br />
Dieses Interview wurde in Zusammenarbeit <strong>mit</strong><br />
umgesetzt<br />
Frau Thewes, Sie arbeiten unter anderem im<br />
Auftrag von Amnesty International. Gibt es<br />
hier eine Begebenheit, die Ihnen besonders in<br />
Erinnerung geblieben ist?<br />
Ja, es ist die Geschichte von Nils Genrich – er<br />
hat Amnesty jahrzehntelang als Spender unterstützt.<br />
Sein Testament wickeln wir noch immer<br />
ab. Diese Geschichte ist fast wie ein Krimi: Wir<br />
haben früh erfahren, dass es ein Testament gibt,<br />
in dem Amnesty berücksichtigt ist. Aber dieses<br />
Testament war – um es vorsichtig zu formulieren<br />
– verschollen. Es brauchte sehr große Anstrengungen,<br />
um es aufzufinden. Obwohl nicht sicher<br />
war, dass wir das Original finden würden, sagten<br />
wir uns, wir müssen uns kümmern, auch um<br />
eine würdevolle Beisetzung, um buchstäblich<br />
die letzte Ehre zu erweisen. Also haben wir uns<br />
vor Ort <strong>mit</strong> den anderen Beteiligten in der Wohnung<br />
des Verstorbenen getroffen und sind auf<br />
Spurensuche gegangen, wie Detektive, um alles<br />
so organisieren zu können, wie Nils Genrich es<br />
gewollt hätte.<br />
Annette Thewes<br />
ist zertifizierte Testamentsvollstreckerin<br />
und kümmert sich seit<br />
mehr als 20 Jahren um die Abwicklung<br />
von Nachlässen für gemeinnützige<br />
Organisationen<br />
Konnten Sie sich auch ein Bild der Person machen?<br />
Es war eindrucksvoll, in der Wohnung von Herrn<br />
Genrich zu sein. Er war ein sehr außergewöhnlicher<br />
Mensch, hat sehr selbstbestimmt gelebt,<br />
das konnte man noch über seinen Tod hinaus<br />
deutlich spüren. Es schien fast so, als wäre er<br />
anwesend, er war präsent. Das ist nicht immer<br />
so. Auch die Menschen um Nils Genrich herum,<br />
seine engsten Freunde, <strong>mit</strong> denen wir Kontakt<br />
hatten, waren außergewöhnlich. Sie haben viel<br />
und sehr lebendig von ihm erzählt. Ein Freund<br />
berichtete, wie sie immer zusammen Wein auf<br />
einer Bank bei seiner Hamburger Wohnung getrunken<br />
hätten, um dann auf den Kanälen <strong>mit</strong><br />
dem Kanu zu fahren. Sein Kanu lag noch immer<br />
auf dem Wasser vor der Terrasse, als wir in die<br />
Wohnung kamen.<br />
Wie war das <strong>mit</strong> der Beisetzung?<br />
Herr Genrich hatte sich eine Seebestattung gewünscht,<br />
wir organisierten das, suchten das<br />
Schiff aus, die Urne … auch ein Foto von ihm, das<br />
wir in der Wohnung gefunden hatten, legten wir<br />
dazu. Viele Freunde waren gekommen, Bekannte,<br />
Nachbarn – alle sprachen auf der Beerdigung<br />
sehr lebendig über ihn. Die Tochter einer ehemaligen<br />
<strong>Leben</strong>sgefährtin kam <strong>mit</strong> ihrem Baby<br />
und erzählte, wie sie die Zeit <strong>mit</strong> ihm empfunden<br />
hat. Alle schilderten sehr eindringlich, was für<br />
ein Mensch Herr Genrich war – selbstbestimmt,
auch stur, aber auch sehr großherzig. Und sehr,<br />
sehr lebensbejahend. Hier war es wirklich so,<br />
dass uns die Geschichten und die Eindrücke zu<br />
diesem Menschen sehr bewegt haben.<br />
Amnesty hat eine Traueranzeige für Herrn<br />
Genrich geschaltet – wie kam es<br />
dazu?<br />
Auch das ist ein besonderer Fall, das<br />
wird nicht immer gemacht. Wir schalten<br />
eine Traueranzeige aus Dankbarkeit<br />
und auch aus Wertschätzung den<br />
Verstorbenen gegenüber. Natürlich<br />
nur, wenn das Umfeld da<strong>mit</strong> einverstanden<br />
ist. Bei Herrn Genrich haben<br />
wir Trauerkarten verschickt und die<br />
Anzeige geschaltet, um so alle erreichen<br />
zu können, die vielleicht nicht<br />
in so engem Kontakt zu den Freunden<br />
standen, die uns bekannt waren.<br />
Wenn die Familie oder das Umfeld<br />
sagen, nein, der oder die Verstorbene<br />
hätte das nicht gewollt, machen wir<br />
es nicht.<br />
Sie wickeln seit 25 Jahren Testamente für gemeinnützige<br />
Organisationen ab. Hat sich in<br />
dieser Zeit etwas verändert?<br />
Ja, es hat sich einiges verändert. Als wir anfingen,<br />
wurde keinerlei Werbung zum Thema Nachlass<br />
und Testament gemacht. Kaum jemand wusste,<br />
dass man auch über den Tod hinaus eine Organisation<br />
unterstützen kann, indem man sein<br />
Testament zugunsten der Organisation macht.<br />
Heute ist das anders. Es wird offen kommuniziert,<br />
dass man auch nach seinem Tod Gutes<br />
tun und so seinem <strong>Leben</strong> noch mal auf einer<br />
anderen Ebene einen Sinn geben kann.<br />
Warum bedenkt jemand eine Organisation<br />
in seinem Testament?<br />
Selbstbestimmtheit spielt eine große Rolle.<br />
Jemand, der selbstbestimmt gelebt hat,<br />
möchte diese Freiheit meist auch über das<br />
<strong>Leben</strong> hinaus. Man kann die Spuren, die man<br />
hinterlässt, selbst prägen, kann das, was einem<br />
im <strong>Leben</strong> wichtig war, über den eigenen<br />
23<br />
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Tod hinaus unterstützen.<br />
Warum ist es so wichtig, sich um die Themen<br />
Nachlass und Testament zu kümmern?<br />
Nur wenn man sich selbst dazu Gedanken<br />
macht, hat man eine Wahl. Dabei<br />
geht es oft gar nicht so sehr ums<br />
Geld, sondern mehr um die Frage,<br />
ob das eigene <strong>Leben</strong> einen Sinn hatte.<br />
Wenn man sich darauf einlässt,<br />
sich im <strong>Leben</strong> Gedanken darüber zu<br />
machen, was danach passiert, dann<br />
kann das sehr beruhigend sein.<br />
Es ist auch wichtig, seine Wünsche<br />
festzuhalten, denn sonst passiert<br />
eventuell nicht das, was man sich<br />
selbst wünscht. Für den Fall, dass<br />
es kein Testament gibt, sieht die Gesetzgebung<br />
eine klare Regelung vor,<br />
die aber nicht immer zum eigenen<br />
<strong>Leben</strong> passt.<br />
Warum sollte man Amnesty International<br />
im Testament bedenken?<br />
Wer sich für Amnesty entscheidet, dem sind<br />
die Werte wichtig, die Amnesty vertritt: Es ist<br />
die Entscheidung, die Welt <strong>mit</strong> seinem Erbe<br />
ein bisschen freier und besser zu machen.<br />
Mit dem Zitat „Nach mir die Freiheit“ beschrieb<br />
mal jemand die Motivation, Amnesty<br />
als Erben einzusetzen. Ich finde, das trifft es<br />
auf den Punkt..<br />
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MIT IHREM TESTAMENT.<br />
Gestalten Sie eine Zukunft, in der jeder Mensch in Würde,<br />
Recht und Freiheit leben kann. Bedenken Sie Amnesty International<br />
in Ihrem Testament.<br />
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Nachlassgestaltung für die Menschenrechte.<br />
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Wir freuen uns, von Ihnen zu hören.<br />
Mehr Informationen unter<br />
www.amnesty.de/testament