Wolf Günter Thiel Suplement_1
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Martijn Schuppers<br />
I.<br />
„Das Eigenschaftswort terrestrisch beschreibt jene Methoden,<br />
Vorgänge, Daten, Systeme, Instrumente, Organismen, Ablagerungen<br />
oder Objekte, die irdisch, erdgebunden oder landgestützt<br />
sind: irdisch – sich auf den Planeten Erde beziehend,<br />
erdgebunden – sich auf der Erde befindend bzw. dort stattfindend“.<br />
1<br />
In der Geologie werden Ablagerungen, Erosionsprozesse und<br />
andere geologischen Vorgänge als terrestrisch bezeichnet.<br />
Beide Sinnzusammenhänge treffen im Zusammenhang mit<br />
Schuppers zu. Wir stellen bei den aktuellen Arbeiten einen umfänglichen<br />
terrestrischen Wesenszug fest.<br />
Der französische Philosoph Bruno Latour benutzt den Begriff<br />
terrestrisch analog zum Begriff des Anthropozän als wesentliches<br />
Element zum Verständnis unserer aktuellen globalen<br />
Klimakatastrophe und beschreibt hiermit, dass diese terrestrischen<br />
Prozesse von Menschen gemacht wurden und werden.<br />
Die Menschen verändern die Geologie des Planeten.<br />
Martijn Schuppers führt in seinen Bildern flächendeckende<br />
Erosionsprozesse durch. Das Resultat sind Erosionsprozesse,<br />
die hyperrealistische Abbildungen von geologischen Formationen<br />
zu sein scheinen. So werden die Bilder von Schuppers zu<br />
perfekten Sinnbildern dieses terrestrischen Wesenszuges. Der<br />
Begriff des Anthropozäns geht davon aus, dass der Mensch<br />
selbst seit einiger Zeit die ökologischen Prozesse der Erde erheblich<br />
beeinflusst und als Ergebnis hierdurch selbst zum Objekt<br />
wird, weil die Erde auf sein Verhalten unmittelbar mit globalen<br />
Interferenzen wie Stürmen oder Fluten reagiert.<br />
II.<br />
Die Menschheit registriert zunehmend, dass der Globus für<br />
unsere Ambitionen bezüglich eines globalen Wachstums nicht<br />
mehr die Ressourcen vorhält, er ist für unsere zu ambitionierten<br />
Zivilisationen schlichtweg zu klein. Die Folge davon ist die<br />
utopische Vorstellung von einer Besiedlung von Mond und<br />
Mars, um so die Existenz der Menschheit für die Zukunft zu<br />
sichern. Aus diesem Grund nimmt das Interesse an Satellitenbildern<br />
von Planeten und ihren Monden erheblich zu. Die Bilder<br />
von Schuppers entsprechen einem Wunsch nach Bildern neuer<br />
Welten und ihrer Erscheinungsformen. Bruno Latour plädiert<br />
für eine radikal materialistische Politik, die die ökologischen<br />
Bedingungen unserer Existenz unmittelbar mitdenkt. Wenn wir<br />
nun diese hyperrealistischen Bilder des Künstlers und ihren<br />
terrestrisch-geologischen Wesenszug betrachten, entsprechen<br />
wir diesem materialistischen Anspruch: Die Schönheit<br />
des materiellen Bildes ist bestechend, allein es trägt keinerlei<br />
Wesenszüge des Menschlichen. Schuppers schafft Bilder<br />
von Sachverhalten, die wir erst in einer fernen Zukunft sehen<br />
können, er schafft sogenannte Präzedenzbilder, Vorbilder im<br />
eigentlichen Wortsinn. Einige Bilder von Schuppers, gerade<br />
die „planetarischen“ Bilder, haben den Effekt, sich die erwähnten<br />
terrestrischen Komponenten des menschlichen Handelns<br />
nachhaltig ins Bewusstsein zu rufen. Berücksichtigen wir die<br />
vom Künstler systematisch horizontal wie vertikal durchgeführten<br />
Erosionsprozesse, sehen wir in ihnen eine sehr geeignete<br />
Bildmetapher. Die von uns auf sie projizierte Bildmetaphorik<br />
ergibt sich durch unsere eigene Bild- und Erfahrungswelt<br />
und den von Bruno Latour beschriebenen zivilisatorischen und<br />
gesellschaftlichen Diskurs.<br />
II.<br />
Bildvergleiche zu den Bildern von Martijn Schuppers bieten sich<br />
zu Photographien von Planeten, Monden und anderen kosmischen<br />
Erscheinungen an. Schuppers nennt eine Bildreihe nach<br />
der Sonde Cassini. Diese Sonde wurde durch eine Reihe von<br />
Aufnahmen der Saturnringe berühmt, die sie 2017 zuletzt nach<br />
ihrer 13 Jahre währenden Weltraummission aufnehmen konnte.<br />
So verweist der Künstler selbst auf den planetarischen Zusammenhang<br />
seiner Arbeiten.<br />
Die Leiterin des Nasa-Programms für Astrobiologie, Mary Voytek,<br />
sagt im Jahr 2021 ausdrücklich: „Bis jetzt haben wir die Öffentlichkeit<br />
darauf vorbereitet, dass es nur zwei Möglichkeiten<br />
gibt: Es ist Leben oder es ist kein Leben.“ Es brauche einen besseren<br />
Weg, um die Aufregung über Entdeckungen zu teilen und<br />
die Aufmerksamkeit hierfür zu wecken. 2 Es geht ihr hier ganz<br />
umfänglich um Phänomene, die wir im Weltall schon jetzt finden<br />
und in der Zukunft noch finden werden und insbesondere<br />
auch um neue, bisher unbekannte Lebensformen. Es braucht<br />
Bildmetaphern, die zukünftige Entwicklungen und Erkenntnisse<br />
diesbezüglich mit vorbereiten und deren gesellschaftliche<br />
Akzeptanz in der Zukunft erst mit ermöglichen. Voytek sucht<br />
als Wissenschaftlerin nach brauchbaren Modellen, Metaphern<br />
und Verkörperungen von Dingen, die wir bisher in ihrer Existenz<br />
zwar annehmen, aber außerhalb von Annahmen nicht beweisen<br />
können. Martijn Schuppers schafft vielleicht eben solche<br />
Bildmetaphern für neue und unbekannte kosmische Phänomene.<br />
Er schafft metaphorische Präzedenzbilder, die wir im<br />
Normalfall nie gesehen hätten. Ohne sie hätten wir nie gelernt,<br />
sie zu sehen, weil wir keinerlei Vorbilder gehabt hätten.<br />
Der französische Schriftsteller Jules Verne hat in für seine Zeit<br />
ungewöhnlichen Büchern immer wieder literarische Bildmetaphern<br />
geschaffen, die Menschen zu ungewöhnlichsten Reisen<br />
und Expeditionen inspiriert haben. Wernher von Braun spricht<br />
vom wesentlichen Einfluss den Jules Verne auf sein Interesse<br />
an der Raumfahrt hatte. Schuppers tut mit heutigen Mitteln<br />
Vergleichbares wie Jules Verne im 19. Jahrhundert. Komplexer<br />
werdende Zusammenhänge erfordern komplexer angelegte<br />
Bildmetaphern. Was er schafft sind Bildmetaphern, genauer<br />
gesagt Präzedenzbilder, die als Vorbilder für Bilder erscheinen,<br />
die im Kosmos erst noch gemacht werden werden. So haben<br />
wir sie glücklicherweise bereits heute!<br />
1 https://de.wikipedia.org/wiki/Terrestrisch vom 18.4.2022<br />
2 https://www.sueddeutsche.de/wissen/astrobiologie-nasa-loest-spekulationen-ueber-aliensaus-1.1031244<br />
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