Wolf Günter Thiel Suplement_1
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DIE UTOPIE ALS METHODE<br />
<strong>Wolf</strong> Guenter <strong>Thiel</strong><br />
Die Utopie als Methode ist entsprechend der Ansicht der<br />
britischen Soziologin Ruth Levitas eine verdrängte, jedenfalls<br />
unterschätzte Dimension des Soziologischen und hilft in<br />
ihrer provisorischen, reflexiven und dialogischen Metho-de die<br />
Erforschung von alternativen Zukunftsmöglichkeiten zu<br />
verstehen und sie schließlich zu befördern. 5 Diese Idee der<br />
Utopie ist für die utopischen PraktikerInnen, die einzige<br />
Möglichkeit nicht zu verzweifeln, denn Utopien sind nichts für<br />
Politik und Wirtschaft, mithin der gesellschaftlichen EntscheidungsträgerInnen.<br />
Diese mühen sich meist mit dem<br />
üblichen Minimalkonsens ab und nicht mit der utopischen<br />
Annahme eines Ideals als Projektion auf die Zukunft. Die<br />
Idee der Utopie als Methode bricht diesen vermeintlichen<br />
Stillstand auf und macht Hoffnung. Erst einmal auf dem Weg,<br />
kann es für die praktischen UtopistInnen meist nur besser<br />
werden, wenn auch mühsam und gefühlt oft viel zu langsam.<br />
Woran also liegt es, das sich zwar Utopien wieder neuer Beliebtheit<br />
erfreuen, aber in der Alltagspolitik auf Bundes-,<br />
Landes regionaler oder kommunaler Ebene oftmals schon im<br />
Vorhinein abgelehnt werden? Ein Grund ist die histori-sche<br />
Einordnung der Utopie als eine ebensolche, und somit als<br />
unrealistisch und weltfremd. Der vom Briten Thomas More<br />
1516 geprägte Begriff war ausgelegt auf eine huma-nistische<br />
am Allgemeinwohl orientierte utopische Gesell-schaft, in der<br />
es unter anderem, um eine egalitäre Verteilung der Güter, der<br />
Abschaffung des Geldes und der klassischen Lohnarbeit ging.<br />
Alle leisten Arbeit zum Wohle der Allge-meinheit und setzen<br />
ihre großzügig bemessene freie Zeit für künstlerische Arbeit<br />
und Geistes- und Naturwissen-schaften ein. Diese<br />
Überzeugung wird zwar von heutigen Verfechtern eines<br />
generellen und bedingungslosen Grund-einkommens geteilt,<br />
hat sich in der Breite der Gesellschaft bisher dennoch nicht<br />
durchsetzen können. Auch wenn man diese Ansicht nicht teilt,<br />
muss man doch erklären was die Beschäftigten nach<br />
flächendeckendem Einsatz von Künst-licher Intelligenz und<br />
weitgehend ohne Industriearbeit, jen-seits ihres verdienten<br />
Altersruhestandes machen können und wollen können.<br />
Wir wissen nicht zuletzt durch Greta Thunberg und die „Fridays<br />
for Future“ Bewegung das der Klimaschutz in einer<br />
stark forcierten Form absolut notwendig ist, um die Mindestziele<br />
der Erderwärmung nicht drastisch zu verfehlen.<br />
Das besondere Phänomen ist das politische Trolle wie Donald<br />
Trump, Industrielobbyisten oder Vertreter der AFD die<br />
wissenschaftliche Faktizität so diskreditieren, das die Fra-ge<br />
der Erderwärmung von den Fakten getrennt, schließlich zu<br />
einer politischen Frage verkommen konnte. Man konnte auf<br />
einmal jenseits der wissenschaftlichen Erkenntnisse<br />
anderer Meinung sein! So absurd sich dies anhört, so verbreitet<br />
ist diese Auffassung. Der französische Soziologe und<br />
Philosoph Bruno Latour beklagt diese „künstlich am Lau-<br />
fen gehaltenen“ Kontroverse um die globale Erwärmung<br />
als Missbrauch des Sozialkonstruktivismus durch Klimawandelleugner:<br />
„Gefährliche Extremisten benutzen eben<br />
dasselbe Argument von sozialer Konstruktion, um mühsam<br />
gewonnene Beweise zu zerstören, die unsere Leben retten<br />
könnten.“ 6<br />
Latour fordert 2018 im „Terristrischen Manifest“ ein neues<br />
Verhältnis des Menschen zur Erde. Er tritt für eine Welt ein,<br />
in der das Lokale gegenüber dem Globalen an Bedeutung<br />
gewinnt. Sein Argument ist das die Dinge, die uns heute am<br />
meisten beunruhigen wie Migration, das Anwachsen sozialer<br />
Unterschiede oder der stark anwachsende Populismus<br />
sich wesentlich auf den Klimawandel zurückführen lassen.<br />
Alle Fragen der Zukunft – auch die sozialen Fragen der Umverteilung<br />
und Gerechtigkeit – werden vor diesem Hintergrund<br />
zu beantworten sein. Die Erde reagiert auf die fortschreitende<br />
Umweltzerstörung des Menschen in Form des<br />
Klimawandels. Die Idee des ewigen Fortschritts, die zuletzt<br />
die Globalisierung forciert hatte, stößt hier auf durch die<br />
Erde selbst gesetzte natürliche Grenzen. Der Mensch ist offensichtlich<br />
nicht mehr der einzige Handelnde, sondern die<br />
Erde selbst wird zum politischen Akteur. Sie verschafft sich<br />
durch Klimakatastrophen den Respekt, der ihren Erhalt garantiert.<br />
7 Das Lokale gewinnt an Bedeutung! Am Ort arbeiten<br />
um trotzdem als Weltbürger die Welt positiv beeinflussen<br />
zu wollen. Willkommen in der Old School in Havelberg!<br />
Der Ausbau eines alten Schulgebäudes mit dem Ziel einen<br />
Raum für Kultur zu schaffen ist als solches keine Utopie, aber<br />
wie wir sehen werden ein Bestandteil der Methode Utopie. 1<br />
Das Gebäude selbst wird jenseits seiner Inhaber und mit<br />
seiner spezifischen Ausstattung zum Bestandteil des sich<br />
bildenden dynamischen Netzwerkes. Die Methode kann<br />
als „materiellinhaltlich“ bezeichnet werden. Dies bedeutet,<br />
dass sie die Verbindungen aufzeigt, die ebenso materiell<br />
(zwischen Dingen) als auch inhaltlich (zwischen Konzepten)<br />
bestehen. Die Theorie geht davon aus, dass viele Verbindungen<br />
sowohl materiell als auch inhaltlich sind. Dies ist<br />
ablesbar an der jahrelangen quasi öffentlichen und beispielhaften<br />
ökologischen, nachhaltigen und kritischen Restaurierung<br />
des Hauses. Im Fall der Old School sind es nicht nur<br />
Künstler, Autoren oder aktive Partner die beispielgebend<br />
sind, sondern es ist der gestaltete wiederhergestellte Raum<br />
selbst. Ein Freiraum für Kultur, Kulturschaffende, Wissenschaftler<br />
und Gäste. Und es ist nicht der einzige, es gibt viele<br />
Räume dieser Art die entstanden sind oder noch entstehen<br />
wie zum Beispiel der Bürgermeisterhof in Salzwedel oder<br />
das Kommandeurshaus in Werben. Wie kommen nun solche<br />
materiell-inhaltlichen Netzwerke zusammen. Wie handeln<br />
sie als Ganzes und wie erscheinen sie nach außen in ihrer<br />
dynamischen Heterogenität trotzdem einheitlich als kohärentes<br />
Ganzes? Die von Mieste Hotopp-Riecke und Ammar<br />
In der in 1980er Jahren wurde die Akteur-Netzwerk-Theorie(ANT) entwickelt, in der das Soziale<br />
nicht als etwas angesehen wird, das zwischen Menschen entsteht, sondern die Beteiligung von nichtmenschlichen Entitäten hervorhebt.<br />
Permakulturgargen Claire Gregory Wikipedia<br />
Alwaniy propagierte „Methode Pascha“ ist aktiver Bestandteil<br />
der Old School und gibt hierzu einige Hinweise. Inklusiv<br />
nicht exklusiv und interkulturell statt monokulturell, im Dialog<br />
mit anderen und nicht allein. Die Methode Utopie, und um<br />
eine solche handelt es sich bei der Methode Pascha verfügt<br />
über ein diversifiziertes, hoch engagiertes und mit vielen<br />
sich ergänzenden Kompetenzen ausgestattetes Netzwerk<br />
in der die Old School als Gebäude und als Akteure seit 2015<br />
gleichermaßen aktiver Bestandteil sind. Die LKJ- Sachsen-<br />
Anhalt und das ICATAT Institut mit Mieste Hotopp-Riecke<br />
an der Spitze und Ammar Awaniy als kongenialem Partner<br />
sind geborene Partner des Hauses und aktive Utopisten. Das<br />
Netzwerk selbst wird zum Methodenpool für Utopien verschiedenster<br />
Art.<br />
In Havelberg gibt es traditionell Gärten zur Selbstversorgung,<br />
deren Existenz durchgehend vom Mittelalter bis heute<br />
nachzuweisen sind. Diese Tradition, obwohl bis heute durch<br />
Grundstücksbindung von Stadthäusern auf der Insel mit<br />
Gärten und Flurstücken zur Selbstversorgung existent, gerät<br />
erst heute zurück ins Bewusstsein. Vor dem Hintergrund<br />
aktueller Diskurse geraten weitergehende Überlegungen<br />
bezüglich der Gärten und ihrer Nutzung wieder in den Blickpunkt.<br />
Gesundheit, Bewegung und Arbeit in der frischen Luft<br />
sind wieder beliebt. Der selbstbestimmte und weitgehend<br />
autonome Anbau von Obst und Gemüse in den Gärten und<br />
Gartenkolonien entspricht wieder dem Zeitgeist. In Havelberg<br />
erfreute sich dieser Aspekt traditionell großer Beliebtheit.<br />
Die Bürger hatten ihre Gärten, egal welche politische<br />
oder ideologische Ausprägung die Gesellschaft vorantrieb.<br />
Mit dem Zuzug von ehemaligen Städtern, insbesondere junger<br />
Familien und Bildungsbürgern mittleren Alters entstehen<br />
verstärkt neue Bedürfnisse in Bezug auf Gesundheit,<br />
Bildung und Versorgung im Allgemeinen. Diese Bedürfnisse<br />
werden in Zusammenschlüssen von Gleichgesinnten und<br />
Betroffenen zum Ausdruck gebracht und häufig gemeinschaftlich<br />
angegangen. Vereine werden gegründet, Genossenschaften<br />
bilden sich und Überlegungen zur Selbstversorgung<br />
führen zu neuen gemeinschaftlichen Konzepten.<br />
Der Leipziger Verein Hayati und Gerald Walter haben mit<br />
Unterstützung der Old School hier in verschiedenen Aktionen<br />
immer wieder auf den Zusammenhang von Ernährung,<br />
Gesundheit und Sport hingewiesen. Die Methode Utopie ist<br />
in Leipzig genauso praktikabel wie in Havelberg.<br />
Kräuterspirale Wikipedia<br />
Manche Utopien wie die Havelberger Gartenstadt wurden<br />
realisiert und sind heute jedoch gänzlich vergessen.<br />
Durch die Koalitions- und Befreiungskriege 1813-15 hatte<br />
Preußen erhebliche wirtschaftliche Verluste erlitten, die<br />
teilweise durch die Säkularisation kirchlicher Besitztümer<br />
entschädigt wurden. Für Havelberg bedeutete dies die Enteignung<br />
der Domkurie (1819) und ihrer umfangreichen Gärten<br />
und Parklandschaften durch den preussischen Staat. So<br />
entstand durch schrittweise Verkäufe des Grundes seit 1839<br />
auf dem Kamps eine der ersten Villensiedlungen im Stil späterer<br />
Gartenstädte. Sie nimmt bereits wesentlich Ideen der<br />
späteren Gartenstadt als Utopie vorweg. Die Gartenstadt ist<br />
ein von dem Briten Ebenezer Howard im Jahr 1898 in England<br />
entworfenes Modell der planmäßigen Stadtentwicklung<br />
als Reaktion auf die schlechten Wohn- und Lebensverhältnisse<br />
sowie die horrend steigenden Bodenpreise in den<br />
stark gewachsenen Großstädten. Es ging nicht nur darum,<br />
die Wohnverhältnisse entscheidend zu verbessern, sondern<br />
die gesamte Gesellschaft neu zu gestalten, womit wesentliche<br />
Ideen der Lebensreformbewegung vorweggenommen<br />
wurden. 1902 wurde in Berlin die Deutsche Gartenstadt-<br />
Gesellschaft (DGG) gegründet, um als lebens- und sozialreformerische<br />
Organisation für die Idee der Gartenstädte<br />
einzutreten. Häuser sollten in kostengünstiger Bauweise<br />
und jedes mit eigenem Garten entstehen – Licht, Luft und<br />
Sonne waren die leitenden Gedanken. Eine wichtige Utopie<br />
des zwanzigsten Jahrhunderts wurde hier mindestens<br />
in entscheidenden Teilen schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts<br />
realisiert.<br />
Havelberg wird heute wie kaum eine andere Stadt in<br />
Deutschland eingeschlossen von Naturschutzgebieten und<br />
Biosphären an Elbe und Havel. Diese Erhaltung einer naturnahen<br />
Flusslandschaft mit ihrem reichen Artenspektrum<br />
stellen einen Beitrag zur Umsetzung der europäischen Wasserrahmenrichtlinie<br />
und des Netzwerkes Natura 2000 dar.“<br />
Träger des Projektes ist der NABU Deutschland. Er ist aktuell<br />
dabei in Phase II den Entwicklungsplan zwischen 2009<br />
bis 2025 umzusetzen. Ein Schwerpunkt ist ein dauerhaft<br />
umweltgerechter Umgang mit natürlichen Ressourcen. Die<br />
Gebiete schließen sowohl unbeeinflusst gelassene Bereiche<br />
(sogenannte Totalreservate), Naturschutzgebiete und<br />
Landschaftsschutzgebiete als auch Wohn- und Wirtschaftsflächen<br />
ein. Die Nutzung durch den Menschen ist also – bei<br />
Berücksichtigung der Umweltverträglichkeit – Bestandteil<br />
der Konzeption. Insbesondere die ökologisch- biologische,<br />
umweltgerechte Landwirtschaft und der naturnahe Touris-