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22 quadrat 03 / 2010 � zurück geblättert<br />
Klaus Utesch als junger Soldat in Lüneburg: „Der Wehrdienst bedeutete für mich Freiheit!“<br />
Kurz vor der Reichsgründung fand in Lüneburg ein<br />
militärisches Großereignis statt: Vom 24. Septem-<br />
ber bis zum 9. Oktober 1843 wurden die Manöver<br />
des X. Bundes-Korps abgehalten. 26.000 Soldaten<br />
aus den Ländern des Norddeutschen Bundes<br />
aus den Länder Oldenburg, Hannover, Holstein,<br />
Mecklenburg, Braunschweig und den Hansestädten<br />
Hamburg und Bremen nahmen daran teil. In<br />
Lüneburgs Umgebung mussten 57 Ortschaften<br />
Soldaten als Einquartierung aufnehmen; im Lüneburger<br />
Schloss am Markt – heute ist darin das<br />
Landgericht untergebracht – wohnten unter anderem<br />
der König von Preußen, König Ernst-August<br />
von Hannover und der Herzog von Wellington. Zu<br />
Ehren des preußischen Königs fand auf dem Markt<br />
ein großer Zapfenstreich statt. Das Orchester hatte<br />
wagnersche Ausmaße – 569 Musiker wirkten<br />
mit. „Nie zuvor sah Lüneburg etwas so Großartiges“,<br />
schrieb ein Chronist. Zitiert ist er in Wilhelm<br />
Reineckes „Geschichte der Stadt Lüneburg“.<br />
Kaiser Wilhem II. besuchte – oder besser: durchfuhr<br />
– Lüneburg, wenn er zur Jagd in die Göhrde<br />
reiste. Die Truppen der Dragonerkaserne aber inspizierte<br />
er nie, was diese ihm recht übel nahm.<br />
Ihr Kommandant, Oberst von der Decken, jedenfalls<br />
befahl: „Wenn der Kaiser in der Stadt ist,<br />
zeigt sich kein Soldat auf der Straße. Ich jedenfalls<br />
bleibe im Bett.“<br />
In der Kaiserzeit bleibt Lüneburg Truppenstandort,<br />
auch nach der Niederlage 1918 in der Weimarer<br />
Republik. Was danach folgt, ist der Aufstieg zum<br />
Statt des Rades waren jetzt Jeep und schwere Lastwagen die Fahrzeuge der Wahl.<br />
Niedergang. Für Hitlers Weltmachtträume „schie-<br />
ßen“ drei Kasernenkomplexe aus dem Boden. Alle<br />
Arten von Truppen sind künftig in Lüneburg sta-<br />
tioniert, auch die modernste aller Streitkräfte – die<br />
Luftwaffe. In Lüneburg – das Gelände der Hobby-<br />
Flieger zeugt davon – ist die Staffel des KG 26 zu<br />
Hause.<br />
In der Salzstadt wird übrigens auch der letzte fl iegerische<br />
Akt des Zweiten Weltkriegs geschrieben:<br />
Die Kapitulation ist in Reims längst unterschrieben,<br />
auf dem Fliegerhorst stoßen Bodenpersonal<br />
und Briten auf das Ende des Krieges an, da brummt<br />
es am Morgen dieses 8. Mai in der Luft. Das Brummen<br />
wird lauter, alle blicken gen Himmel – ein<br />
deutsches, einsitziges Jagdfl ugzeug, eine Focke-<br />
Wulf Fw 190, setzt zur Landung an und rollt aus.<br />
Zum Erstaunen der Briten wie der Deutschen klettern<br />
nicht ein, sondern drei Mann aus der engen<br />
Kanzel des Jägers. Der Pilot, der Luftwaffenhauptmann<br />
Werner Wall, ist aus dem fernen Kurlandkessel<br />
vor der drohenden sowjetischen Gefangenschaft<br />
gefl ohen und nahm gleich zwei Kameraden<br />
mit in die Freiheit. Werner Wall blieb in Lüneburg.<br />
Bis zu seinem Tode war er Korrespondent der<br />
Deutschen Presseagentur in der Heidestadt.<br />
Es folgte die Besatzungszeit. Die „Tommys“ lebten<br />
nun in den Kasernen bis zur deutschen Wiederbewaffnung.<br />
Am 1. September 1958 rückten die<br />
ersten Rekruten in die Schlieffenkaserne ein. Lüneburg<br />
war wieder deutsche Garnisonstadt. Oft<br />
waren es mehr als 20.000 Mann, heute beherbergt<br />
die Theodor-Körner-Kaserne gerade noch 2.000.<br />
Fast eines Jahrtausend lang durchliefen viele junger<br />
Männer die „Schule der Nation“ am Standort<br />
Lüneburg. Viele Tausende, die hier ihre Ausbildung<br />
zum Soldaten bekommen haben, sind Opfer<br />
zweier Weltkriege geworden. Und so manches<br />
Mädchen wartete am Kasernentor auf „ihren“ Soldaten,<br />
beschienen vom gelben Licht der Laterne<br />
– wie einst Lilli Marleen.<br />
Von der Tragik, in den großen, Menschen verschlingenden<br />
Krieg ziehen zu müssen, sind die<br />
Bundeswehr-Soldaten der Garnison Lüneburg verschont<br />
geblieben. Nach der Ausbildung wartete<br />
zwar nicht der Krieg, wohl aber ein Studium oder<br />
eine andere Berufsausbildung auf die jungen Män-<br />
ner und neuerdings auch auf junge Frauen, die<br />
ebenfalls ihren Dienst in der Bundeswehr tun.<br />
Manche empfi nden den Dienst bei „Preußens“ als<br />
eine Last, andere als eine interessante Zeit, die sie<br />
nicht missen möchten. Und so mancher, der von<br />
weit her angereist kam, um seinen Wehrdienst ab-<br />
zuleisten, fand hier seine große Liebe – eine Lie-<br />
be zu der tausendjährigen Schönen, die Lüneburg<br />
heißt. Ein Beispiel für die vielen, die in Lüneburg<br />
hängen geblieben oder zurückgekehrt sind, ist der<br />
aus Braunschweig stammende Zahnarzt Klaus<br />
Utesch: „Ich weiß, dass manche den Dienst beim<br />
Bund als eine Fron empfi nden. In der Schule habe<br />
ich mich immer unterdrückt gefühlt, bei der Bun-<br />
deswehr aber erlebte ich meine Befreiung. Mag<br />
sein, dass ich besonderes Glück hatte. Aber ich