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04 quadrat 03 / 2010 � 1 jahr quadrat!<br />

EINE GESCHICHTE AUS DER SCHREIBWERKSTATT LÜNEBURGER AUTOREN UND AUTORINNEN „DIE WORTMÄLZER“<br />

„Ich bin so eindimensional“, sagte der Strich.<br />

Gott überlegte und strich sich über die Glatze.<br />

„Gut“, meinte er schließlich, „du bekommst<br />

eine zweite Dimension. Ich nehme dich zum<br />

<strong>Quadrat</strong>.“<br />

„Ich bin so fl ach“, klagte das <strong>Quadrat</strong>.<br />

„O.k.“, meinte Gott gutmütig, „ich gebe dir<br />

noch eine Dimension.“<br />

„Ich fühle mich so leer“, nölte der Würfel.<br />

„Undankbare Kreatur! Ich kann auch anders.“<br />

Jetzt zürnte Gott. Er nahm dem Würfel die<br />

dritte Dimension und zog die Wurzel aus dem<br />

<strong>Quadrat</strong>.<br />

Schmal und unscheinbar lag wieder der Strich<br />

da.<br />

Kurz darauf kam der Teufel vorbei.<br />

„Ich bin so eindimensional, keiner sieht mich“,<br />

piepste der Strich.<br />

„Kein Problem, ich nehme dich zum <strong>Quadrat</strong>“,<br />

erwiderte der Teufel.<br />

„Es ist ein bisschen besser, aber ich bin doch<br />

sehr fl ach. Man wird mich noch übersehen,<br />

mich übergehen“, jammerte das <strong>Quadrat</strong> mit<br />

gepresster Stimme.<br />

„Das lässt sich ändern“, sagte der Teufel lässig,<br />

„ich habe noch eine Dimension für dich.“<br />

„Danke“, sagte der Würfel, „schon besser. Nur<br />

fühle ich mich leider so leer.“ Seine Stimme<br />

klang hohl.<br />

„Du weißt doch, ich habe für alles eine Lösung“,<br />

warf sich der Teufel in die Brust, „ich werde dir<br />

Punkte verpassen.“<br />

„Punkte?“ rief der Würfel entsetzt, „diese<br />

mickrigen Winzlinge? Mit denen will ich nichts<br />

zu tun haben. Nicht einmal als Strich habe ich<br />

mich mit denen abgegeben. Punkte sind unterste<br />

Kategorie.“<br />

„Berührungsängste? Stell dich nicht so an“,<br />

lachte der Teufel und verpasste dem Würfel<br />

Zum <strong>Quadrat</strong><br />

VON JULIANE RATZ-BREIL<br />

Punkte. Jedes seiner <strong>Quadrat</strong>e bekam eine andere<br />

Anzahl. Von eins bis sechs war alles vorhanden.<br />

Der Teufel warf den Würfel ins Leben und fragte<br />

nicht, ob ihm das passte.<br />

Der Würfel machte Karriere. Man riss sich um<br />

ihn. Er wanderte durch zarte Frauenhände,<br />

durch die Pranken wuchtiger Kerle, die zittrigen<br />

Hände von Greisen und durch kleine verschwitzte<br />

Kinderhände.<br />

Er merkte, dass er Kinder zum Lachen und zum<br />

Weinen bringen konnte, dass Männer fl uchten<br />

und Frauen spitz aufschrieen, wenn er über den<br />

Tisch rollte und irgendwann liegen blieb und<br />

eine Seite nach oben zeigte.<br />

Eine Zeitlang genoss er seine Macht.<br />

Endlich bin ich wer, endlich schaut man auf<br />

mich, sagte er sich und dachte voller Dankbarkeit<br />

an seinen Wohltäter, den Teufel.<br />

Aber bald fi el ihm auf, dass die Kinder, die<br />

Männer, die Frauen nie von ihm sprachen.<br />

Sie sagten nicht: Der Würfel hat mir Glück gebracht.<br />

Sie sagten: Endlich eine Sechs! Oder sie fl uchten:<br />

Mist, nur eine Eins!<br />

Manchmal freuten sie sich jedoch sogar über<br />

die Eins, diesen einen kleinen Punkt: Ha, genau<br />

dich habe ich jetzt gebraucht, riefen sie<br />

dann.<br />

Sie beschäftigten sich nicht mit ihm, sondern<br />

mit den Winzlingen, den Punkten. Je länger er<br />

das beobachtete, umso unerträglicher fand er<br />

es, dass diese überall auf seiner Oberfl äche sa-<br />

ßen, dass sie all seine <strong>Quadrat</strong>e besetzt hielten.<br />

Ich möchte frei sein. Ich möchte wieder freie<br />

<strong>Quadrat</strong>e haben, sagte er sich und wandte sich<br />

erneut an den Teufel.<br />

„Kein Problem“, sagte der Teufel. Schon war<br />

der Würfel die Punkte los.<br />

„Ah, das tut gut.“ Er atmete auf und lächelte<br />

den Teufel an. Der entfernte sich mit hämischem<br />

Grinsen.<br />

Der Würfel blieb allein zurück. Die Menschen<br />

konnten ihn nicht mehr gebrauchen. Achtlos<br />

ließ man ihn liegen.<br />

Noch einmal ging er zum Teufel: „Ich fühle<br />

mich überflüssig. Kannst Du mir noch mal helfen?“<br />

Der Teufel zuckte mit den Schultern. Im Vorbeigehen<br />

entzog er dem Würfel die dritte Dimension.<br />

Ganz und gar fl ach lag wieder ein <strong>Quadrat</strong> auf<br />

dem Boden.<br />

Was fange ich nun mit mir an? „Teufel“, rief es,<br />

„ich bin platt und weiß nicht, was ich tun soll.“<br />

„Du gehst mir auf die Nerven“, rief der Teufel,<br />

„ich habe Wichtigeres zu tun, führe gerade<br />

Krieg.“<br />

Ratlos blieb das <strong>Quadrat</strong> liegen. Eine lange<br />

Zeit.<br />

Mit Gott habe ich´s mir verdorben, mit dem<br />

Teufel auch. Keiner wird mir noch helfen. Jetzt<br />

muss ich mich also damit abfi nden, dass ich<br />

ein <strong>Quadrat</strong> bin, sagte es sich irgendwann. Immer<br />

noch besser als ein Strich oder gar ein<br />

Punkt! Es kicherte ein wenig. Während es so in<br />

sich hineinkicherte und sich freute, dass es<br />

kein Strich war, kam ein Zeitungsmacher vorbei.<br />

Er bückte sich: Was ist das denn? Ah, ein <strong>Quadrat</strong>!<br />

Das ist es! Unsere Artikel im <strong>Quadrat</strong>! Das<br />

wird ein Hingucker. Du hast das Format für unsere<br />

neue Zeitung.“<br />

Das <strong>Quadrat</strong> brachte der jungen Zeitung Glück.<br />

Vor Stolz und Zufriedenheit blähte es sich ein<br />

wenig und war bald nicht mehr ganz so fl ach.<br />

Und großzügig duldete es, dass sich künftig der<br />

eine oder andere Punkt auf seinen Seiten fand.

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