Weihnachten 2005 - Hoffnung kommt in die Welt.pdf - Viertelstunde.ch

Sieben heisse
Fragen
Sie haben mit den gefährlichsten
Straftätern zu tun.
Haben Sie manchmal Angst?
Direkt Angst habe ich nicht,
aber manchmal ein unangenehmes
Gefühl, wenn neue
Gefangene eingewiesen werden.
Wenn ich all die Einweisungspapiere,
Gutachten und
Urteile lese, bekomme ich
zeitweise den Eindruck, als
hätte ich es mit einem Monster
zu tun. Da habe ich beim
Eintrittsgespräch manchmal
feuchte Handflächen oder einen
erhöhten Puls, sicher aber
Respekt.
Sie sind schon über 23 Jahre
im Gefängnis tätig.
Wie halten Sie das aus?
Ich vergleiche das gerne mit
Aussagen aus der Bibel, wo der
Umgang mit Menschen gelehrt
wird: Vergib dem anderen,
wie Gott dir vergeben hat.
Ich sehe den Menschen auf
der einen und seine Tat auf
der anderen Seite. So sieht es
auch Gott: Er verurteilt die
Tat, nicht den Menschen. Menschen,
die gemordet haben,
sind nicht einfach Mörder, es
sind Menschen, die auch noch
ganz andere Seiten haben, die
ich auch in ihnen sehe, ohne
dabei die Opfer zu vergessen.
Sie sind engagierter Christ
und arbeiten mit Verbrechern.
Wie bringen Sie das
zusammen?
Ich laufe nicht mit der Bibel
im Gefängnis umher. Der Glaube
ist für mich etwas ganz
Natürliches, das sich im Alltag
zeigt. Die Frage, was nach dem
Tod kommt, beschäftigt die
Gefangenen häufig. Sie haben
viel Zeit zum Überlegen. Wenn
Gefangene nach meiner Haltung
fragen, dann erzähle ich
ihnen davon. Ich würde aber
nie jemandem etwas aufdrängen.
Einmal liess sich ein Gefangener
in der Strafanstalt
nach seiner Umkehr taufen.
Die Taufe wurde in der Dusche
des Gefängnisses durchgeführt.
Einige Vollzugsangestellte
haben zuerst gelacht,
waren dann aber beeindruckt
Verbrecher nicht nur wegsperren,
sondern versuchen,
sie zum Guten zu verändern.
Bruno Graber im Betreuungsgespräch.
von der konsequenten Haltung
des Gefangenen, der eine hohe
Strafe verbüssen musste.
Kann nach Ihrer Erfahrung
jeder Mensch zum Verbrecher
werden?
Grundsätzlich ist der Mensch
zum Bösen und zum Guten
fähig. Für einige Taten unse-
zVg.
rer Gefangenen kann ich ein
gewisses Verständnis aufbringen.
Was mich betrifft, habe ich
einen gesund funktionierenden
Mechanismus, der mich
rechtzeitig stoppt. Ich bin
überzeugt, dass ich als Nachfolger
von Christus ein geschärftes
Gewissen habe, welches
mir schnell klar macht,
was gut und böse ist.
Braucht es Sühne?
Die Freiheitsstrafe ist ein
Stück weit eine Sühne, weil
der Gefangene damit für seine
Schuld einen gewissen Ausgleich
schaffen kann. Die Strafe
bietet auch Gelegenheit,
sich mit dem Opfer zu versöhnen.
Diese Gesamtsicht von
Straftat und Opfer ist uns
wichtig. Es gehört zu unseren
Aufgaben, bei der Täter-Opfer-
Beziehung behilflich zu sein
und die Wiedergutmachung
und Versöhnung mit Opfern
oder Angehörigen zu ermöglichen.
Das klappt natürlich
nicht immer.
Sie haben mit Menschen zu
tun, die niemand mehr will.
Glauben Sie noch ans Gute im
Menschen?
Ja, wenn nicht, könnte ich nicht
in diesem extremen Bereich
arbeiten. Jeder Mensch strebt
nach Aufmerksamkeit und Zuneigung.
Viele Gefangene haben
das in ihrem Leben bisher
oft durch aggressives und gewalttätiges
Verhalten zu erreichen
versucht. Wenn wir dieses
Muster in kleinen Schritten
durchbrechen können, ist bei
diesen Menschen eine Veränderung
zum Besseren möglich.
Mit Gegendruck wird nach meiner
Erfahrung das Gegenteil
erreicht.
Gibt es also Hoffnung?
Für jeden Menschen gibt es
Hoffnung; auch im Gefängnis
gibt es keine hoffnungslosen
Fälle. Das Wichtigste für solche
Menschen ist, dass sie wieder
Vertrauen zu anderen Menschen
haben können. Durch
ihr Verhalten hat sich die Umgebung
häufig vollständig vor
ihnen verschlossen, weil sie
die anderen immer wieder
verletzt haben oder kaum
beziehungsfähig sind. Da gibt
es Hoffnung für den Aufbau
einer Beziehung zu Menschen
– und zum Schöpfer. (mb.)
tour de bible>>>
«Dann vertrieb Gott den Menschen aus dem Garten
Eden.» (1. Mose (Genesis) 3,22)
Vertrieben aus dem Paradies.
Vergessen Sie den Apfel. Auch das Wort «Sünde» kommt
hier gar nicht vor. Der Anfang vom Ende war das
Misstrauen. Die Unterstellung, Gottes fürsorgliche Liebe
sei Bevormundung. Die Lüge, wir könnten «sein wie Gott».
Also Gut und Böse selbst definieren, Leben und Tod in die
eigene Hand nehmen. Solche selbsternannten Götter
schufen Verdun und Stalingrad, Auschwitz und Hiroshima,
Kambodscha und Ruanda. Ein «Garten» Eden ist umzäunt.
Wenn man den Zaun des Menschlichen durchbricht,
kommt man in die Wildnis. Nackt, beschämt, sterbensfertig.
Und immer selber schuld.
ProfiTour
� Die Geschichte der Verführung und der Vertreibung
aus dem Paradies finden Sie in 1. Mose (Genesis) 3, den
Kommentar dazu in Römer 5,12 - 20.
� Wie gehen Sie mit Verletzungen um, die Ihnen zugefügt
wurden oder die Sie andern zugefügt haben?
Ein Blick des Chefs in eine
Zelle des Hochsicherheitstrakts.
Lenzburg gilt als sicherstes
Gefängnis der Schweiz.
2
Mörder stellte sich
nach19 Jahren
Ein Jahr vor der Verjährung zeigte sich der
als «Knonauer Postmörder» in die Kriminalgeschichte
eingehende Rolf L. selbst bei
der Polizei an und legte ein umfassendes
Geständnis ab.
Er hatte am 22. März 1985 bei einem Raubüberfall auf
das Postamt in Knonau den 56-jährigen Posthalter erschossen.
Die Tat konnte ihm damals nicht nachgewiesen
werden. Später verbüsste Rolf L. wegen anderen
Raubüberfällen und wegen Sexualdelikten einige Jahre
im Zuchthaus. Im Jahr 2001 kam er mit engagierten
Christen in Kontakt, studierte mit ihnen die Bibel und entschied
sich für ein neues Leben mit Gott. Er besuchte
nun verbindlich eine evangelische Freikirche in Baden-
Wettingen. Zwei Jahre später beichtete er einer Frau
das Verbrechen. Im Januar 2004 hielt er seine Gewissensnot
nicht mehr aus: Er stellte sich der Polizei. Er sei
bereit, die Verantwortung für seine Tat zu übernehmen.
Er wolle die Sache nun zu Ende bringen, sagte Rolf L. Ende
September wurde er zu acht Jahren Gefängnis und einer
Genugtuung an die Wittwe des Ermordeten von 30 000
Franken verurteilt. (fh.)
4telstunde Ausgabe 2006 9
zVg.