münchen - Münchner Stadtmuseum
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2012-13 | Heft 23<br />
<strong>münchen</strong><br />
Stummfilmtage<br />
Jean Rollin<br />
Nuri Bilge Ceylan<br />
Ulrike Ottinger<br />
Martin Scorsese<br />
Prager Frühling<br />
Das Erinnern weitertragen<br />
Rumänien<br />
Olympia 1936<br />
Rosa von Praunheim<br />
Neapel und der Film<br />
Sonja Ziemann<br />
Jean-Marie Straub<br />
Filmemigration<br />
Denis Villeneuve<br />
Henri-Georges Clouzot<br />
FilmWeltWirtschaft
Eintrittspreise<br />
4 € (3 € für MFZ-Mitglieder). Ab 120 Minuten Film länge<br />
oder mit Gästen: 1 € Aufschlag. Ab 180 Mi nu ten, mit<br />
Live-Musik oder bei 3D: 2 € Aufschlag. Die Kasse öffnet<br />
jeweils 60 Minuten vor und schließt 30 Minuten<br />
nach Beginn der Vorstellung. Bei allen öffentlichen Ver -<br />
anstal tungen bleibt ein Karten kon tin gent für den freien<br />
Ver kauf an der Abendkasse reserviert.<br />
Kartenreservierung<br />
Kartenreservierungen sind ab vier Wochen im voraus<br />
möglich und können unter der Telefonnummer 089/<br />
233 96450 auf Band gesprochen werden. Vor be stellte<br />
Karten müssen bis 20 Minuten vor Vor stellungs beginn<br />
an der Kasse abgeholt worden sein, ansonsten verfällt<br />
die Reservierung.<br />
Kartenvorverkauf<br />
Kartenvorverkauf ist ab vier Wochen im voraus möglich.<br />
Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass unmittelbar<br />
vor Vorstellungsbeginn bei starkem Besucherandrang<br />
kein Kartenvorverkauf möglich ist. Vorverkaufte Karten<br />
be hal ten ihre Gültigkeit nur bis Vorstellungsbeginn. An<br />
der Abend kasse können vorverkaufte Karten bis 20 Mi -<br />
nuten vor Vorstellungsbeginn gegen Kosten erstattung<br />
wieder zurückgegeben werden.<br />
Mitgliedschaft<br />
Wer sich für die Arbeit des Filmmuseums interessiert,<br />
kann Mitglied im Verein der Freunde des Filmmuseums<br />
München, dem <strong>Münchner</strong> Filmzentrum e.V. (MFZ) werden.<br />
Der Jahresbeitrag beträgt 20 € und berechtigt<br />
zum ermäßigten Eintritt ins Filmmuseum sowie zur<br />
Teil nahme an den Mitgliederversammlungen des MFZ,<br />
in denen die Programmplanungen des Filmmuseums<br />
diskutiert und Projekte entwickelt werden. Mitglieds an -<br />
träge sind an der Kinokasse erhältlich. Die Termine der<br />
nächsten Mitgliederversammlungen des MFZ stehen in<br />
der Kalenderübersicht. Weitere In for mationen unter<br />
0176/50472957 oder www.filmzentrum-muenchen.de<br />
oder kontakt@muenchner-filmzentrum.de.<br />
Programmabonnement<br />
Das Kinoprogramm und aktuelle Newsletter können Sie<br />
im Internet unter www.filmmuseum-muenchen.de<br />
kostenlos abonnieren. Das Programmheft wird an Mit -<br />
glieder des MFZ auf Wunsch kostenlos versandt. An -<br />
sonsten bitten wir um die Zusendung eines mit 1,45 €<br />
frankierten und adressierten DIN A5-Briefumschlages<br />
an die Adresse des Filmmuseums.<br />
Rollstuhlfahrer / Hörgeschädigte<br />
Der Kinosaal im Untergeschoss ist über einen Aufzug<br />
für Rollstuhlfahrer zugänglich. Die Behindertentoilette<br />
be findet sich im Untergeschoss neben dem Kino ein -<br />
gang. Das Kino ist mit einer Induktionsschleife für Hör -<br />
geräte besitzer ausgestattet.<br />
Saalmikrofon<br />
Das Kino ist mit einem Saalmikrofon zur Kontrolle des<br />
Kinotons durch die Filmvorführer ausgestattet.<br />
Verkehrsverbindung<br />
Sie erreichen das Filmmuseum in 3 Gehminuten vom<br />
U/S-Bahnhof Marienplatz oder in 5 Gehminuten vom<br />
U-Bahnhof und der Tramhaltestelle Sendlinger Tor.<br />
»Open Scene« am Donnerstag<br />
Die Termine am Donnerstag sind teilweise für aktuelle Sonderveranstaltungen reserviert. Das Programm wird<br />
spätestens acht Tage vorher festgelegt und in den Schaukästen an der Kinokasse, im E-Mail-Newsletter, auf der<br />
Website www.filmmuseum-muenchen.de, auf Facebook, auf Twitter und durch Ankündigungen in der Tagespresse<br />
bekannt gegeben.<br />
Ausstellungen im Kinofoyer<br />
In den Schaukästen im Kinofoyer sind kleinere Fotoausstellungen zu sehen, die die Filmreihen und Kino ver anstal -<br />
tungen des Filmmuseums begleiten.<br />
Impressum<br />
Landeshauptstadt München. Filmmuseum im <strong>Münchner</strong> <strong>Stadtmuseum</strong><br />
St.-Jakobs-Platz 1, 80331 München, 089/233 20538, filmmuseum@muenchen.de<br />
Redaktion: Stefan Drößler, Claudia Engelhardt, Stephanie Hausmann, Christoph Michel, Klaus Volkmer<br />
Gestaltung: Heiner Gassen, München · Druck: Mediengruppe Universal, Allach
Digitalisierung, Gäste, Open Scene, Katrin Seybold<br />
In rasanten Schritten geht die Digitalisierung voran. Die Umstellungen in der<br />
Filmbranche sind massiv, Insolvenzen und Zusammenbrüche tech nischer<br />
Firmen verändern die Landschaft, Filmlager werden aufgelöst, die Kinos geraten<br />
als Programmanbieter immer mehr in die Defensive, und alle rätseln,<br />
wie das Handling und die Lagerung der digitalen Daten langfristig am<br />
sichersten vonstatten gehen sollte. Das digitale Fernsehen mit seinem 16:9-<br />
Bildformat reduziert noch einmal die Ausstrahlung alter Filme, und die Anzahl<br />
der Blu-ray-Veröffentlichungen alter Klassiker jenseits des Main streams<br />
ist erschreckend gering.<br />
Die Digitalisierung bietet aber auch Chancen. Plötzlich werden Filme in optimaler<br />
Qualität verfügbar, die im Kino nur in verstümmelten Fassungen oder<br />
in minderer Bildqualität zu sehen waren. Eine Retrospektive wie die mit Filmen<br />
von Jean Rollin wäre vor Jahren undenkbar gewesen, als es noch keine<br />
Abtastungen vom ungeschnittenen Originalnegativ gab. Auch die Bandbreite<br />
des Werks von Martin Scorsese, das neben seinen Kinofilmen auch Fernsehdokumentationen,<br />
Werbefilme und Musikvideos umfasst, hätte im Filmmuseum<br />
nicht gezeigt werden können. Insgesamt bewirkt der Medien -<br />
wandel durchaus Positives: Die Akzeptanz abgenutzter Filmkopien mit verrauschtem<br />
Ton, Sprüngen in Dialogen und Lücken in Handlungsabläufen,<br />
starken Farbstichen, schlechter Bildqualität und beschnittenem Bildformat<br />
hat abgenommen, niemand nimmt solche Beeinträchtigungen als unvermeidliches<br />
Übel hin, wenn er im Kino einen alten Film sieht. Das Film -<br />
museum hat in vielen Fällen eine analoge und eine digitale Kopie desselben<br />
Films verglichen um zu testen, welche auf der Kinoleinwand einen authen -<br />
tischeren Eindruck vom Film gibt. Die Ergebnisse sind eindeutig: Wenn wir<br />
nicht eine nagelneue 35mm-Kopie bekommen, ist in fast allen Fällen die<br />
digitale Kopie die bessere Alternative.<br />
Das neue Programm bietet wieder die gewohnte Mischung aus Bekanntem<br />
und Unbekanntem, Neuem und Altem, Genrekino und Autorenfilm, anspruchvollem<br />
Mainstream und innovativer Avantgarde. Wir freuen uns,<br />
Gespräche mit vielen Gästen aus den verschiedensten Bereichen anbieten<br />
zu können: Filmemacher und Schauspieler, Dokumentaristen und Kameraleute,<br />
Filmkritiker und Filmhistoriker, Zeitzeugen und Psychoanalytiker. Dazu<br />
kommen noch die kurzfristig programmierten Veranstaltungen in der »Open<br />
Scene«, über die Sie sich durch unseren E-Mail-Newsletter, über Facebook<br />
und Twitter, auf der Website des Filmmuseums und durch den Aushang in<br />
den Schaukästen an der Kinokasse informieren können. Am 6. September<br />
wird beispielsweise Thomas Weidner im Begleitprogramm zur Ausstellung<br />
»Typographie des Terrors« den Film SA-MANN BRAND (1933) vorstellen, am<br />
13. September präsentiert Thilo Wydra seine Biografie über Grace Kelly, die<br />
zu ihrem 30. Todestag erscheint.<br />
Am 27. Juni 2012 ist Katrin Seybold verstorben. Sie war eine begeisterte<br />
Besucherin des Filmmuseums, hat dort auch viele ihrer eigenen Filme vor -<br />
gestellt und für unser Programmheft noch wenige Monate vor ihrem Tod<br />
einen schönen Text über Tony Gatlif geschrieben. Wir vermissen sie sehr<br />
und werden sie 2013 mit einer umfangreichen Retrospektive würdigen.<br />
Ihr Filmmuseum<br />
3 Stummfilmtage . . . .<br />
6 Jean Rollin . . . .<br />
11 Nuri Bilge Ceylan . . . .<br />
15 Ulrike Ottinger . . . .<br />
18 Martin Scorsese . . . .<br />
30 Prager Frühling . . . .<br />
39 Das Erinnern weitertragen . . . .<br />
41 Underdox . . . .<br />
42 Rumänien . . . .<br />
46 Film und Psychoanalyse . . . .<br />
48 Olympia 1936 . . . .<br />
51 Rosa von Praunheim . . . .<br />
55 Neapel und der Film . . . .<br />
58 Zuschauerkino . . . .<br />
59 Sonja Ziemann . . . .<br />
62 Jean-Marie Straub . . . .<br />
70 Filmemigration . . . .<br />
77 Denis Villeneuve . . . .<br />
80 Henri-Georges Clouzot . . . .<br />
86 FilmWeltWirtschaft . . . .<br />
87 Kalenderübersicht . . . .<br />
R = Regie · B = Drehbuch · K = Kamera<br />
· M = Musik · S = Schnitt ·<br />
D = Darsteller · P = Produktion ·<br />
OF = Originalfassung · OmU = Originalfassung<br />
mit deutschen Unter -<br />
titeln · OmeU = Originalfassung mit<br />
englischen Untertiteln · OmfU = Originalfassung<br />
mit französischen Untertiteln<br />
· OmÜ = Origi nalfassung mit<br />
deutscher Über setzung · dtF = deutsche<br />
Synchronfassung<br />
© = Copyright
Rückblick<br />
26. Februar 2012: München ehrt die Unterzeichner des Oberhausener Manifests. Zum Festakt im Filmmuseum kamen zusammen:<br />
Christian Doermer, Dieter Lemmel, Bernhard Dörries, Edgar Reitz, Rob Houwer, Hansjürgen Pohland, Wolfgang Urchs, Ronald Martini,<br />
Alexander Kluge und der damalige Leiter der Internationalen Westdeutschen Kurzfilmtage Oberhausen Hilmar Hoffmann.<br />
25. April 2012: Anlässlich einer Retrospektive ihrer Filme im Rahmen<br />
des Projekts »Stimmen der Roma« waren Delphine Mantoulet<br />
und Tony Gatlif im Filmmuseum zu Gast.<br />
22. März 2012: Dieter Wieland und Claudia Engelhardt vor den<br />
Schaukästen des Filmmuseums beim Empfang zu Ehren von<br />
Dieter Wieland anlässlich seines 75. Geburtstags.<br />
17. März 2012: Podiumsdiskussion im Filmmuseum beim dreitägigen Symposium über den Umgang mit »Vorbehaltsfilmen« aus der<br />
NS-Zeit mit Karl Griep (Bundesarchiv), Christiane von Wahlert (Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft), Markus Zimmer (Concorde-<br />
Film), Ernst Szebedits (Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung), Hans Schmid (Filmhistoriker) und Stefan Drößler (Filmmuseum München).
Internationale Stummfilmtage<br />
Das Filmmuseum München beginnt sein neues Programm<br />
traditionsgemäß mit einer Auswahl von seltenen<br />
und neu rekonstruierten Stummfilmen aus dem<br />
Programm des »Bonner Sommerkinos«, des größten<br />
deutschen Stummfilmfestivals. Zur Aufführung gelangen<br />
die besten Kopien der jeweiligen Filme, oft wertvolle<br />
Unikate, für die namhafte Stummfilmmusiker<br />
neue Musikbegleitungen ausarbeiten und live aufführen.<br />
Die einzelnen Filme werden in einem separaten<br />
Programmheft vorgestellt, das an der Kinokasse ausliegt<br />
und im Internet unter www.foerderverein-filmkul<br />
tur.de zum Download bereitsteht.<br />
Die Auswahl für das Programm des <strong>Münchner</strong> Film -<br />
museums konzentriert sich auf Raritäten, die hier noch<br />
nicht zu sehen waren. Es sind sehr unterschiedliche<br />
Filme aus verschiedenen Ländern und Kontinenten, die<br />
die Vielfalt und hohe Qualität des Stummfilmschaffens<br />
dokumentieren. Die meisten Filmkopien sind das Ergebnis<br />
aufwändiger Restaurierungsarbeiten der internationalen<br />
Filmarchive, die in der FIAF (Fédération Inter -<br />
nationale des Archives du Films) zusammengeschlossen<br />
sind und zu deren Mitgliedern auch das Film -<br />
museum München zählt. Gleich zu Beginn können Sie<br />
ein besonderes Experiment erleben: Der Schauspieler,<br />
Kabarettist und Sänger Norbert Alich wird einen Film in<br />
der Tradition eines klassischen Filmerzählers live kommentieren<br />
– eine weitgehend vergessene Praxis aus<br />
der Frühgeschichte des Kinos, die sich heute nur in<br />
Japan noch einer ungebrochenen Popularität erfreut.<br />
Stefan Drößler<br />
KAFKA VA AU CINEMA (KAFKA GEHT INS KINO) –<br />
Frankreich 2002 – R+B: Hanns Zischler – K: Ute<br />
Adamczewski, Miriam Fassbender, Hanns Zischler –<br />
52 min, dtF – Hanns Zischler untersucht in seinem<br />
Film essay Kafkas Kinobesuche und ihren Niederschlag<br />
in Kafkas Werk. – NICK WINTER ET LE VOL DE LA<br />
JOCONDE (NICK WINTER UND DER RAUB DER<br />
MONA LISA) – Frankreich 1911 – R+B: Paul Garbagni,<br />
Gé rard Bourgeois – D: Georges Vinter – 6 min, OF –<br />
Der weltweit Aufsehen erregende Diebstahl des Gemäldes<br />
»Mona Lisa« aus dem Louvre wurde zeitnah vom<br />
Kino aufgegriffen. Franz Kafka und Max Brod sahen<br />
den Film: »Die Geschichte spielt im Louvresaal, alles<br />
trefflich imitiert, die Gemälde und in der Mitte die drei<br />
Nägel, an denen die Mona Lisa hing. Entsetzen; Herbeirufen<br />
eines komischen Detektivs; ein Schuhknopf Croumolles<br />
als falsche Fährte; der Detektiv als Schuhputzer;<br />
Jagd durch die Pariser Kaffeehäuser.« (Max Brod) –<br />
DEN HIVDE SLAVEHANDELS SIDSTE OFFER (DIE<br />
WEISSE SKLAVIN) – Dänemark 1911 – R: August<br />
Blom – B: Peter Christensen – K: Axel Graatjær – D:<br />
Clara Pontoppidan, Lauritz Olsen, Thora Meincke, Otto<br />
Lagoni – 47 min, OmÜ – Eine kolportagehafte Geschichte<br />
um internationalen Mädchenhandel. Franz<br />
Kafka sah den Film 1911 und war so beeindruckt, dass<br />
er sich für eine Episode in dem mit Max Brod konzipierten<br />
Roman »Samuel und Richard« inspirieren ließ.<br />
▶ Donnerstag, 30. August 2012, 19.00 Uhr (Am Flügel:<br />
Joachim Bärenz, Filmerzähler: Norbert Alich, Einfüh -<br />
rung: Stefan Drößler)<br />
HYAKUNENGO NO ARUHI (EIN TAG IN 100 JAHREN)<br />
– Japan 1933 – R+B+K: Shigeji Ogino – 11 min,<br />
OmeU – Amateurfilmer Shigeji Ogino reflektiert über<br />
seine Rolle als Filmemacher und sieht verblüffenderweise<br />
den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs ziemlich<br />
genau voraus. Ogino bedient sich verschiedener Tricktechniken,<br />
die er geschickt mit Realaufnahmen kombiniert.<br />
– TOKYO NO EIYU (DER HELD VON TOKYO) –<br />
Japan 1935 – R: Hiroshi Shimizu – K: Hiroshi Nomura<br />
– D: Mitsugu Fuji, Mitsuko Yoshikawa, Yuichi Iwata, Michiko<br />
Kuwano, Kôji Mitsui – 64 min, OmeU – Einer der<br />
letzten japanischen Stummfilme erzählt die Geschichte<br />
eines jungen Mannes, der mit seinen krummen Geschäften<br />
ins Halbweltmilieu abdriftet und seine Familie<br />
enttäuscht. Die konzentrierte Ökonomie im Einsatz filmischer<br />
Mittel bestätigt Hiroshi Shimizu als einen der<br />
großen Autoren des japanischen Kinos, der erst in den<br />
letzten Jahren wiederentdeckt wurde. Sein düsterer<br />
Gangsterfilm ist gegen den Strich erzählt und erreicht<br />
dennoch eine ungewöhnliche Intensität.<br />
▶ Freitag, 31. August 2012, 18.30 Uhr (Am Flügel und<br />
an der Violine: Günter A. Buchwald)<br />
Stummfilmtage<br />
3
Stummfilmtage<br />
4<br />
THE WEDDING MARCH (HOCHZEITSMARSCH) – USA<br />
1928 – R: Erich von Stroheim – B: Erich von Stroheim,<br />
Harry Carr – K: Ben F. Reynolds, Hal Mohr – D: Erich<br />
von Stroheim, Fay Wray, Matthew Betz, Zasu Pitts,<br />
George Fawcett – 109 min, OF – Erich von Stroheim<br />
selbst spielt in seinem Film die Hauptrolle als Spross<br />
einer heruntergekommenen Habsburger Adelsfamilie,<br />
der sich im Wien von 1914 in ein Mädchen aus ein -<br />
fachen Verhältnissen verliebt. Damit gerät er in Konflikt<br />
mit seinem Vater, der für seinen Sohn eine Geldheirat<br />
organisiert. »Bordellszenen mit sinnlos betrunkenen<br />
Fürsten und Hoflieferanten, Ehekuppelei der oberen<br />
Tausend, Sittenlosigkeit, Zynismus, Brutalität und Dekadenz<br />
sind von Stroheim, diesem Kenner jener Kaste,<br />
so bildhaft geworden, dass man mitunter denkt: Grosz<br />
oder Dix hätten photographiert! Stroheim scheint mitunter<br />
von einem naturalistischen Bildwollen erfüllt zusein,<br />
das an Besessenheit grenzt …« (Erich Kästner)<br />
Die Schlusssequenz vor dem Stephansdom wurde im<br />
Zweifarb technicolor-Verfahren gefilmt.<br />
▶ Freitag, 31. August 2012, 21.00 Uhr (Am Flügel:<br />
Joachim Bärenz)<br />
3 BAD MEN (DREI EHRLICHE BANDITEN) – USA<br />
1926 – R: John Ford – B: John Stone, nach dem<br />
Roman »Over the Border« von Herman Whittaker – K:<br />
George Schneiderman – D: Tom Santschi, J. Farrell<br />
MacDonald, Frank Campeau, George O’Brien, Olive<br />
Borden, Lou Tellegen – 91 min, OF – Der letzte<br />
Stummfilmwestern von John Ford zeigt schon all die<br />
Qualitäten auf, die seine späteren Meisterwerke auszeichnen.<br />
Vor dem Hintergrund des landrush von Dakota,<br />
als 1876 Indianergebiet zur Goldsuche und Besiedelung<br />
freigegeben wurde, wird die Geschichte von<br />
drei Banditen erzählt, die eine junge Frau retten und<br />
mit einem verbrecherischen Sheriff abrechnen. Fords<br />
Sympathien liegen ganz eindeutig bei den Außensei-<br />
tern: Einem Bankräuber, einem Falschspieler und<br />
einem Pferdedieb. »Ford löst die Story in einer perfekten<br />
Balance von persönlichen und epischen Elementen<br />
auf. Die drei guten-bösen Männer können, so scheint<br />
es – so scheint es aber auch nur –, nichts ernst nehmen,<br />
schon gar nicht sich selbst.« (Janey Ann Place)<br />
▶ Samstag, 1. September 2012, 18.30 Uhr (Am Flügel<br />
und an der Violine: Günter A. Buchwald)<br />
LE VOYAGE DANS LA LUNE (DIE PHANTASTISCHE<br />
REISE NACH DEM MONDE) – Frankreich 1902 – R+B:<br />
Georges Méliès – K: Michaut, Lucien Tainguy – D:<br />
Georges Méliès, Henri Delannoy, Bleuette Bernon,<br />
Jeanne d’Alcy, Victor André – 15 min, OF – Vor 110<br />
Jahren hatte dieser frühe Science-Fiction-Film Premiere,<br />
in dem Zauberkünstler Georges Méliès in naiver<br />
Tricktechnik im Stile Jules Vernes eine Expedition zum<br />
Mond beschreibt. – ROTAIE (SCHIENEN) – Italien<br />
1929 – R: Mario Camerini – B: Corrado D’Errico, Mario<br />
Camerini – K: Ubaldo Arata – D: Käthe von Nagy, Maurizio<br />
D’Ancora, Daniele Crespi, Giacomo Moschini,<br />
Mario Camerini, Carola Lotti – 72 min, OmU – Ein junges<br />
Liebespaar will aus dem Leben scheiden, als es bei<br />
einem ziellosen Spaziergang eine gefüllte Brieftasche<br />
findet, mit dem Zug an die Riviera fährt und beim Rou-<br />
lette sein Glück versucht. Die realistische Milieu -<br />
beschreibung nimmt Elemente des Neorealismus vorweg,<br />
der das italienische Kino der Nachkriegszeit berühmt<br />
machte. Die verloren geglaubte originale Stummfilmfassung<br />
dieses italienischen Klassikers wurde erst<br />
jüngst von der Cineteca Italiana in Mailand restauriert.<br />
▶ Samstag, 1. September 2012, 21.00 Uhr (Am Flügel:<br />
Joachim Bärenz)<br />
L’INHUMAINE (DIE UNMENSCHLICHE) – Frankreich<br />
1924 – R: Marcel L’Herbier – B: Pierre MacOrlan – K:<br />
Georges Specht – D: Georgette Leblanc, Jaque Cate-
lain, Philippe Hériat, Marcello Pradot, Fred Kellerman,<br />
Léonid Walter de Malte – 134 min, OmU – Das legendäre<br />
Meisterwerk von Marcel L’Herbier um eine berühmte<br />
Sängerin, die in einem ultramodernen Haus<br />
wohnt, und einen Erfinder, der in seinem futuristischen<br />
Labor Tote wieder zum Leben erwecken kann, verbindet<br />
Elemente des Science-Fiction-Films mit Stilmitteln<br />
der französischen Avantgarde der 1920er Jahre. Zu<br />
den Set-Designern des Films gehören Fernand Léger<br />
und Robert Mallet-Stevens. »Alle bisherigen Sensationen<br />
werden in den Schatten gestellt durch die Szenen,<br />
die sich anlässlich der Todeserweckung abspielen. Der<br />
Architekt – es ist Frankreichs modernster Baukünstler<br />
Mallet Stevens – hat hier mit dem Filmkünstler atemberaubende<br />
Bilder gestellt, ein hohes Lied auf die Monumentalität<br />
der modernen und utopischen Technik.«<br />
(Adolf Loos) Der Film wurde mit seinen Farbviragen<br />
vom Centre National du Cinéma in Paris restauriert.<br />
▶ Sonntag, 2. September 2012, 18.30 Uhr (Am Flügel:<br />
Joachim Bärenz)<br />
EAST SIDE, WEST SIDE (TITANIC) – USA 1927 –<br />
R+B: Allan Dwan, nach dem Roman von Felix Riesenberg<br />
– K: Teddy Pahle, George Webber – D: George<br />
O’Brien, Virginia Valli, J. Farrell MacDonald, Dore<br />
Davidson, Sonia Nodell – 90 min, OF – Der deutsche<br />
Verleihtitel lenkt die Aufmerksamkeit auf den ausführlich<br />
geschilderten Untergang eines Ozeanliners, dem<br />
sich im Film eine Nebenfigur ausgesetzt sieht. Doch im<br />
Mittelpunkt von Allan Dwans wunderbarer Hommage<br />
an die Stadt New York geht es um den Aufstieg eines<br />
jungen Mannes, der beim Wolkenkratzerboom der<br />
1920er Jahre als Architekt und Ingenieur mitmischen<br />
will. Dabei steigt er von der ärmlichen East Side Manhattans<br />
in die bessere Gesellschaft der West Side auf.<br />
»EAST SIDE, WEST SIDE (1927) beweist, dass man<br />
selbst in einer doch eher schablonenartig konstruierten<br />
Liebes- und Abenteuergeschichte unzählige Momente<br />
wahrer Filmkunst entdecken kann.« (Thomas Vorwerk)<br />
Der Film wurde vom Museum of Modern Art mit Unterstützung<br />
der National Endowment for the Arts und The<br />
Film Foundation restauriert.<br />
▶ Sonntag, 2. September 2012, 21.00 Uhr (Am Flügel<br />
und an der Violine: Günter A. Buchwald)<br />
DAS WEISSE STADION – Schweiz 1928 – R+B: Arnold<br />
Fanck, Othmar Gurtner – K: Sepp Allgeier, Richard<br />
Angst, Albert Benitz, Hans Schneeberger – 100 min –<br />
Der offizielle abendfüllende Film über die 2. Olympischen<br />
Winterspiele 1928 in St. Moritz. Mit Hilfe der<br />
Kameraleute Sepp Allgeier, Hans Schneeberger, Albert<br />
Benitz und Richard Angst, die sich schon bei Fancks<br />
Bergfilmen bewährt hatten, entstand ein einzigartiger,<br />
wegweisender Sportfilm. Seine Bildästhetik und Montagesequenzen,<br />
an denen auch Avantgardefilmer Walther<br />
Ruttmann mitarbeitete, wurden 1936 von Leni Riefenstahl,<br />
die in einigen Spielfilmen Fancks mitgewirkt<br />
hatte, wieder aufgegriffen und weitergeführt. Selbst die<br />
Fancks Filmen sonst sehr ablehnend gegenüberstehende<br />
Zeitschrift »Film und Volk« notierte anerkennend:<br />
»Ein Sport- und Naturfilm, aus dem der Regisseur<br />
seine unausstehliche Leni Riefenstahl samt allem<br />
›Humor‹ weggelassen hat, und der deshalb ausgezeichnet<br />
geworden ist.« DAS WEISSE STADION wurde<br />
vom International Olympic Committee aufwändig rekonstruiert<br />
und digital restauriert.<br />
▶ Dienstag, 4. September 2012, 18.30 Uhr (Am Flügel<br />
und an der Violine: Günter A. Buchwald)<br />
OKTJABR (ZEHN TAGE, DIE DIE WELT ERSCHÜTTER-<br />
TEN) – Sowjetunion 1927 – R: Sergej M. Eisenstein –<br />
B: Sergej M. Eisenstein, Grigorij Aleksandrov – K: Eduard<br />
Tissé, Vladimir Nilsen, Vladimir Popov – M: Edmund<br />
Meisel – D: Nikolaj Popov, Vasilij Nikandrov,<br />
Boris Livanov, Eduard Tissé – 116 min, OmU – Sergej<br />
Eisenstein arbeitete an seinem Jubiläumsfilm zum Jahrestag<br />
der Oktoberrevolution so intensiv, dass er erst<br />
mit fünf Monaten Verspätung aufgeführt werden konn -<br />
te. Der Film hat in unterschiedlichen Schnittfas sun gen<br />
überlebt, aus denen die Urfassung vom Filmmuseum<br />
München rekonstruiert wurde – inklusive einer später<br />
von Stalin entfernten Szene mit Trotzki. Edmund Meisel<br />
schrieb für den Film eine furiose Orchestermusik, die<br />
synchron eingespielt wird. »Eine Musik, die versucht,<br />
den Puls des Films rein und unmittelbar umzusetzen.<br />
Die Musik malt nicht aus, sie schafft keine zweite oder<br />
dritte Sinnebene, sondern läuft wie ein Transformator<br />
von Energien mit dem Bild.« (Bernd Thewes)<br />
▶ Mittwoch, 5. September 2012, 18.30 Uhr<br />
Stummfilmtage<br />
5
Jean Rollin<br />
6<br />
Jean Rollin bei den Dreharbeiten zu LE VIOL DU VAMPIRE<br />
Die phantastischen Welten des Jean Rollin<br />
Jean Rollin polarisiert. Für die einen ist er der Schöpfer<br />
dilettantischer Machwerke mit amateurhaft agierenden<br />
Darstellerinnen, die als lesbisch-exhibitionistische Vampirinnen<br />
ihre Brüste entblößen, um die Löcher in den<br />
unlogischen Handlungsabläufen zu kaschieren. Für die<br />
anderen ist er der abseits des kommerziellen Erzähl -<br />
kinos wandelnde und deshalb häufig missverstandene<br />
Regisseur einiger Juwelen des phantastischen Films,<br />
die sich durch eine surrealistische, stets originelle und<br />
in ihrer Art unvergleichliche Bildsprache auszeichnen<br />
und traumhaft-poetische Welten der Imagination auf<br />
die Kinoleinwand zaubern. Nachdem die Rollin-Verächter<br />
lange in der Überzahl waren und die oft vernichtende<br />
Kritik bestimmten, holen die Rollin-Connaisseure<br />
inzwischen auf. Die Feuilletons großer Tageszeitungen,<br />
die Rollin früher als pathetischen Nichtskönner und<br />
»Sultan der Verderbtheit« schmähten, berichten heute<br />
wohlwollend darüber, wenn seine Filme in digital überarbeiteten<br />
Fassungen auf DVD erscheinen. Der vom<br />
British Film Institute herausgegebene »Companion to<br />
Horror« erteilt ihm den Ritterschlag der Cineasten,<br />
indem er ihn als den einzigen auteur des Horrorgenres<br />
würdigt, den Frankreich hervorgebracht hat.<br />
Rollins Karriere ist auch für Filmliebhaber interessant,<br />
die sich eher nicht für Horror und Sex-Vampire begeis-<br />
tern. Sie ist ein Prüfstein dafür, wie viel Toleranz eine<br />
Filmkultur dem scheinbar Abseitigen und dezidiert Persönlichen<br />
gegenüber aufbringt und ob Kritiker über das<br />
geeignete Instrumentarium verfügen, um ihre Vermittlungsfunktion<br />
zu erfüllen, statt das der Norm Trotzende<br />
a priori abzulehnen. Wie viel persönliche Vision verträgt<br />
der Mainstream, ohne sein Publikum zu vergrätzen?<br />
Wie viel braucht er, um nicht steril zu werden? Wie bestimmt<br />
man, ob jemand gegen die etablierten Regeln<br />
des Filmemachens verstößt, weil er sie studiert und für<br />
untauglich befunden hat oder ob er sie nicht einhalten<br />
kann, weil er sie nicht kennt? Wo verläuft die Grenze<br />
zwischen dem Kunstwillen der Avantgarde und der<br />
ganz persönlichen Kunst des Dilettanten? Und spielt<br />
das überhaupt eine Rolle, solange das Ergebnis originell<br />
ist? Das sind Fragen, mit denen man sich beim<br />
manchmal enigmatischen, gelegentlich enervierenden<br />
und immer wieder erstaunlichen und faszinierenden<br />
Werk von Jean Rollin konfrontiert sieht. Wer sich ihnen<br />
stellt, erfährt viel über den Film an sich.<br />
Jean Michel Rollin le Gentil (1938–2010), wie er mit<br />
vollem Namen hieß, stammte aus einer der Kunst zugewandten<br />
Familie und wuchs nach der Trennung der<br />
Eltern im noblen Pariser Vorort Neuilly-sur-Seine unter<br />
Frauen auf. Seine Mutter war mit Georges Bataille be-
freundet, der dem kleinen Jean zum Einschlafen Geschichten<br />
von einem als Priester getarnten Wolf erzählte.<br />
Rollin würde später Filme mit viel Eros und religiöser<br />
Ikonographie drehen, die man auch als Märchen<br />
für Erwachsene bezeichnen könnte. Wer diese in einen<br />
kulturgeschichtlichen Zusammenhang einordnen will,<br />
hat in Batailles Schriften einen guten Ausgangspunkt.<br />
Rollin verfügte nur über rudimentäre praktische Kenntnisse,<br />
als er mit 20 Jahren seinen ersten Kurzfilm inszenierte.<br />
Nachdem er mit einem selbst finanzierten,<br />
unvollendet gebliebenen Langfilm (mit Dialogen von<br />
Marguerite Duras) seine Ersparnisse verloren hatte,<br />
entdeckte er eine Nische, die ihm einen Grad an künstlerischer<br />
Freiheit gewährte, von der renommiertere Kollegen<br />
nur träumen konnten, solange er sich an zwei<br />
simple Regeln hielt: Er musste ein fast nicht existentes<br />
Budget einhalten, und seine Darstellerinnen mussten in<br />
gewissen Abständen die Hüllen fallen lassen, damit der<br />
Produzent Abnehmer fand.<br />
Rollins erster Vampirfilm, auf dem Höhepunkt der Studentenunruhen<br />
im Mai 1968 in Paris uraufgeführt, war<br />
ein Skandalerfolg. Bei LE VIOL DU VAMPIRE deuten<br />
sich schon einige der Elemente an, die dann zu seinen<br />
Markenzeichen werden sollten: Die ungewöhnlich starken<br />
Frauenfiguren. Die meditative Mischung des Melodramatischen<br />
mit dem Bizarren. Das Anzitieren von<br />
Autoren wie Gaston Leroux und Gustave Gailhard sowie<br />
der surrealistischen, von Illustratoren wie Gino Starace<br />
gestalteten Umschläge ihrer Sensations- und Kriminal-<br />
romane. Das Nebeneinander von Vergangenheit und<br />
Gegenwart. Das Trügerische der Erinnerung. Die Liebe<br />
zu alten, dem Untergang geweihten Bauten, vom<br />
Schloss über die Villa auf dem Lande bis zu von der Abrissbirne<br />
bedrohten Mietquartieren im Pariser Arbeiterund<br />
Einwandererviertel Belleville. Die hypnotisch langsame<br />
Erzählweise. Und ein unheimlicher Strand, der in<br />
Rollins Filmen immer wieder auftauchen und zu seiner<br />
Seelenlandschaft werden sollte wie das Monument Valley<br />
für John Ford. Kritiker sahen darin ein Sammel -<br />
surium von Idiosynkrasien und den fehlgeleiteten Ausdruckswillen<br />
eines Dilettanten. Das greift zu kurz.<br />
Rollin schrieb das »Szenario« für den 1967 erschienenen<br />
Kult-Comic »Saga de Xam«, in dem eine Agentin<br />
von einem fernen Planeten zur Erde und dort durch Zeit<br />
und Dimensionen reist. Das gibt die Richtung für seine<br />
filmischen »Traumflüge« vor (wie er sie nennt), auf<br />
denen er falsch und richtig Erinnertes, Träume und<br />
Realität, Vergangenes und soeben Erlebtes mischt,<br />
ohne die Übergänge immer kenntlich zu machen. Im<br />
Idealfall gelingen ihm atmosphärische, von einer morbiden<br />
Melancholie durchdrungene Bilder, die aus sich<br />
selbst heraus so stark sind, dass sie sich mit anderen<br />
solchen Bildern zu einer zusätzlichen, parallel zur Handlung<br />
verlaufenden oder diese kreuzenden Bedeutungsebene<br />
verbinden. Statt mit den Mitteln des realistischen<br />
Kinos phantastische Inhalte zu erzählen, versucht<br />
Rollin in seinen Filmen, eine dem Phantastischen<br />
adäquate Form zu finden, »eine Öffnung hin zu einer<br />
LE FRISSON DES VAMPIRES<br />
Jean Rollin<br />
7
Jean Rollin<br />
8<br />
Poesie des Anderswo«, wie er es im Spätwerk LA NUIT<br />
DES HORLOGES formuliert, mit dem er ein Resümee<br />
seines Schaffens zieht.<br />
Rollin war ein echter auteur: also einer, der einem Film,<br />
obwohl Produkt der Anstrengung von vielen Leuten,<br />
seinen ganz persönlichen Stempel aufdrückt. Das bestreiten<br />
nicht einmal seine Gegner. Im Nachhinein fragt<br />
man sich, warum es ihm nicht glückte, als Teil der nouvelle<br />
vague zu Ruhm und Ehre zu gelangen. Mit Truffaut,<br />
Chabrol und Godard, die alle ein paar Jahre älter<br />
als er waren, verband ihn die Lust an der Dekonstruktion<br />
überkommener Genremuster. Doch das Trennende<br />
überwog (am ehesten lässt er sich noch mit Jacques<br />
Rivette vergleichen). Rollin bewunderte den poetischen<br />
Realismus der Filme von Marcel Carné und Jacques<br />
Prévert, gegen den sich die Kritiker der Cahiers du cinéma<br />
um Truffaut polemisch abgrenzten, mischte ihn<br />
mit Horror-, Comic- und Pop-Art-Elementen, gab Surrealismus,<br />
Fetischkostüme, nackte Busen, alte Gemäuer,<br />
Geheimgesellschaften sowie Verweise auf Malerei<br />
und Literatur mit dazu, inszenierte lyrische Dialogpassagen<br />
im deklamatorischen Stil von Prévert und ironisierte<br />
diesen durch von den Darstellern improvisierte<br />
Unsinnssätze, ersetzte die psychologisch-realistische<br />
Erzählweise durch assoziative Bilderfolgen, favorisierte<br />
die episodisch offene Handlung der ciné-romans von<br />
Louis Feuillade (LES VAMPIRES) und der US-Serials der<br />
1930er und 1940er Jahre. Für Zuschauer, die gern die<br />
eigene Phantasie walten lassen und die sich nicht am<br />
Gängelband durch eine vorgegebene Geschichte führen<br />
lassen wollen, hat diese wilde, auf Kinokonventionen<br />
keine Rücksicht nehmende Melange etwas ungemein<br />
Befreiendes. Aber sie war auch so originell, dass<br />
sie zu keiner Gruppierung passte.<br />
Rollins Filme fragen, ob die Lebenden von den Toten<br />
oder die Toten von den Lebenden träumen, ob die<br />
Toten tot sind oder die Lebenden noch nicht lebendig.<br />
Es wird nicht überraschen, dass er, selbst mehrfacher<br />
Außenseiter, den Außenseitern seine Sympathien<br />
schenkte. Aus dem gängigen Horrorpersonal suchte er<br />
sich die Vampire aus, weil sie den Menschen am<br />
nächsten sind. Oft sind Rollins Monster sogar humaner<br />
als die Menschen. Seine Vampirfrauen sind oft blind<br />
oder stumm, werden das Opfer von männlichen Übergriffen,<br />
von Umweltsünden oder von die Normabweichung<br />
nicht tolerierenden Familien, müssen sich einen<br />
Platz am Rande einer Gesellschaft erstreiten, die sie<br />
nicht haben will. Er mag Frauen, die in einer männlichen<br />
Welt wie Schwestern sind und ein auch sexuelles<br />
Verhältnis zueinander haben. Das Ungekünstelte und<br />
Laienhafte der Darstellerinnen verleiht seinen Sexszenen<br />
eine mit Unschuld gepaarte Erotik, die sie von<br />
denen anderer Regisseure unterscheidet. Dabei sind<br />
seine Frauen beileibe nicht nur Opfer und Lustobjekte.<br />
Das Rachemotiv nimmt in seinem Werk eine zentrale<br />
Stelle ein. Vermutlich war es all das, was Rollin so interessant<br />
für Ovidie machte, Frankreichs prominenteste<br />
Vertreterin des »sex-positiven Feminismus«.<br />
»Wir müssen uns der Idee hinter der offiziellen Filmgeschichte<br />
widersetzen, dieser würdevollen Prozession<br />
von ›wichtigen Werken‹, die einige der aufregendsten<br />
Filme und Filmemacher im Schatten versteckt hält«,<br />
schreibt Martin Scorsese in einem seiner Texte zu den<br />
abseits der großen Studios und der institutionalisierten<br />
Finanzstrukturen operierenden Helden der No-Budget-<br />
Produktion. »Je anrüchiger das Genre und je niedriger<br />
das Budget, desto weniger hat man zu verlieren und<br />
desto mehr Freiheit hat man, zu experimentieren und<br />
neue Bereiche auszuloten.« Kaum einer machte davon<br />
mehr Gebrauch als Jean Rollin. Holen wir ihn also aus<br />
dem Schatten. Hans Schmid<br />
LES PAYS LOINS (DAS WEITE LAND) – Frankreich<br />
1965 – R+B: Jean Rollin – K: Gérard de Battista – D:<br />
Pascal Fardoulis, Nadine Ninio, Bernard Papineau, Ben<br />
Zimet – 17 min, OmeU – Ein Mann und eine Frau geraten<br />
in eine Parallelwelt mit babylonischem Sprachgewirr;<br />
auf der Suche nach einem Ausweg begegnen sie<br />
Schwarzafrikanern, Arabern und dem Sänger Ben
Zimet, dem Bewahrer der Kultur des osteuropäischen<br />
Judentums. – LE VIOL DU VAMPIRE (DIE VERGEWAL-<br />
TIGUNG DES VAMPIRS) – Frankreich 1968 – R+B:<br />
Jean Rollin – K: Guy Leblond – M: Yvon Géraud, François<br />
Tusques – D: Solange Pradel, Bernard Letrou, Jacqueline<br />
Sieger, Ariane Sapriel, Eric Yan, Ursule Pauly –<br />
90 min, OmeU – Die Geburt des nackten Kino-Vampirs.<br />
Ein Psychiater will vier in einem einsamen Landhaus lebende<br />
Frauen vom Vampirismus heilen, den er für eine<br />
Psychose hält, bis er erkennt, dass es nicht ganz so<br />
einfach ist. Ein Film, der aus der Zeit gefallen scheint<br />
und doch die Umwälzungen des Jahres 1968 reflektiert;<br />
entstanden im Umfeld des Lacan-Schülers und<br />
Psychiatrie-Rebellen Félix Guattari, dessen Klinik La<br />
Borde damals als die mögliche Keimzelle einer neuen<br />
Gesellschaft galt. Mit einer Verwaltungsangestellten<br />
der Klinik als Königin der Vampire und mit der Musik<br />
von François Tusques, dem Pionier des Free Jazz.<br />
▶ Dienstag, 4. September 2012, 21.00 Uhr (Einführung:<br />
Hans Schmid)<br />
LES AMOURS JAUNES (DIE GELBEN LEIDENSCHAF-<br />
TEN) – Frankreich 1958 – R+B: Jean Rollin – D: Jean<br />
Denisse, Dominique Vidal, Guy Huiban – 10 min, OmeU<br />
– Evokation der maritimen Verse des von den Surrealisten<br />
und Huysmans’ Romanfigur Jean des Esseintes<br />
(»Gegen den Strich«) hoch geschätzten Tristan Corbière;<br />
mit Zeichnungen von Fabien Loris. – LA VAM-<br />
PIRE NUE (DIE NACKTE VAMPIRIN) – Frankreich<br />
1970 – R+B: Jean Rollin – K: Jean-Jacques Renon –<br />
M: Yvon Serault – D: Caroline Cartier, Olivier Rollin,<br />
Marie-Pierre und Catherine Castel, Michel Delahaye,<br />
Ursule Pauly – 88 min, OmeU – Pierre begegnet einer<br />
Vampirfrau, die von Männern mit Tiermasken verfolgt<br />
wird, gerät an den Pariser Ableger von Robert Louis<br />
Stevensons Selbstmörderclub und findet heraus, dass<br />
sein Vater mysteriöse Blutexperimente betreibt, was<br />
ihn in ein Schloss auf dem Lande und an den Strand<br />
von Pourville führt. Am Ende steht nur fest, dass auch<br />
Geschäftsleute sterblich sind. Ein Film im Stil der alten<br />
Serials – über parallele Welten, beeinflusst von den Gemälden<br />
von Max Ernst und André Delvaux sowie von<br />
den Filmen von Georges Franju. Mit dem bei den Cahiers<br />
du cinéma als Kritiker gerade gefeuerten Michel<br />
Delahaye als Großmeister der Außerirdischen.<br />
▶ Dienstag, 11. September 2012, 21.00 Uhr<br />
JEAN ROLLIN, LE REVEUR EGARE (JEAN ROLLIN,<br />
DER STREUNENDE TRÄUMER) – Frankreich 2011 –<br />
R+B: Damien Dupont, Yvan Pierre-Kaiser – K: Thomas<br />
Van Hoecke, Yvan Pierre-Kaiser – M: Philippe D’Aram –<br />
mit Jean Rollin, Jean-Pierre Bouyxou, Pete Tombs, Natalie<br />
Perrey, Brigitte Lahaie, Ovidie, Jean-Loup Philippe<br />
– 78 min, OmeU – Deutsche Erstaufführung eines<br />
Dokumentarfilms über Jean Rollin, der die Premiere<br />
nicht mehr miterlebte. »Was an dem Film beeindruckt,<br />
ist Rollin selbst, seine Menschlichkeit und sein Humor,<br />
sein präziser Blick und seine ehrlichen Worte über<br />
seine Filme, ihre Stärken und ihre Schwächen. Rollin<br />
ist ein Anarchist. Man erfährt, dass er seine Darsteller<br />
nicht führt, weil er es nicht mag, von jemand anderem<br />
Anweisungen zu erhalten. Sein Kino strahlt eine Art von<br />
Freiheit aus, erinnert zuweilen an Jahrmarkt, und besitzt<br />
etwas Magisches.« (Nicolas Bardot)<br />
▶ Dienstag, 18. September 2012, 21.00 Uhr (Zu Gast:<br />
Yvan Pierre-Kaiser)<br />
LE FRISSON DES VAMPIRES (DAS ERSCHAUDERN<br />
DER VAMPIRE) – Frankreich 1971 – R+B: Jean Rollin<br />
– K: Jean-Jacques Renon – M: Acanthus – D: Sandra<br />
Julien, Jean-Marie Durand, Michel Delahaye, Jacques<br />
Robiolles, Dominique, Marie-Pierre Castel, Kuelan<br />
Herce, Nicole Nancel – 95 min, OmeU – Ein frisch verheiratetes<br />
Paar will auf der Hochzeitsreise die in einem<br />
Schloss wohnenden Cousins der Braut besuchen und<br />
erfährt, dass diese gestorben seien. Als um Mitternacht<br />
Jean Rollin<br />
9
Jean Rollin<br />
10<br />
die mit einem Ketten-Kostüm bekleidete, hinter Vorhängen<br />
und aus Standuhren auftauchende Vampirin Dominique<br />
erscheint und die Braut verführt, wird klar, dass<br />
hier nicht alles mit rechten Dingen zugeht. Eine Vampirfilm-Parodie<br />
mit experimenteller Farbgestaltung, Hippie-Vampiren,<br />
einer Verneigung vor René Magritte und<br />
einem Showdown am Strand von Pourville.<br />
▶ Dienstag, 2. Oktober 2012, 21.00 Uhr<br />
LA ROSE DE FER (DIE EISERNE ROSE) – Frankreich<br />
1973 – R+B: Jean Rollin – K: Jean-Jacques Renon –<br />
M: Pierre Raph – D: Françoise Pascal, Hugues Quester,<br />
Natalie Perrey, Mireille Dargent – 85 min, OmeU – Rollins<br />
Version von Luis Buñuels EL ANGEL EXTAMINA-<br />
DOR (DER WÜRGEENGEL) ist sein poetischster Film –<br />
und war sein größter kommerzieller Misserfolg. Eine<br />
junge Frau und ein junger Mann streifen durch den<br />
Friedhof von Amiens und können den Ausgang nicht<br />
mehr finden. Ein Friedhof, sagt Rollin in einem Interview,<br />
sei für ihn wie eine gigantische Steinskulptur. Der<br />
ideale Ort für eine Meditation über die Jugend und das<br />
Alter, das Leben und den Tod sowie darüber, was wir<br />
dem Sterben ent gegenzusetzen suchen.<br />
▶ Dienstag, 9. Oktober 2012, 21.00 Uhr<br />
LES DEMONIAQUES (DIE DÄMONISCHEN) – Frankreich<br />
1974 – R+B: Jean Rollin – K: Jean-Jacques<br />
Renon – M: Pierre Raph – D: Joëlle Cœur, John Rico,<br />
Lieva Lone, Patricia Hermenier, Louise Dhour, Willy<br />
Braque, Paul Bisciglia – 95 min, OmeU – »Ein expressionistischer<br />
Film« (Vorspann), im Geiste des Marquis<br />
de Sade. Zwei schiffbrüchige Schwestern werden von<br />
Strand piraten überfallen, schließen in der Ruine eines<br />
Klosters einen Pakt mit dem Teufel und kehren als<br />
Geister wieder, um sich zu rächen. Mit Joëlle Cœur als<br />
sadistischer femme fatale sowie einer Hommage an<br />
Fritz Lang, dessen MOONFLEET einer von Rollins Lieblingsfilmen<br />
war. Poesie zwischen Halluzination und<br />
Banalität.<br />
▶ Dienstag, 16. Oktober 2012, 21.00 Uhr<br />
LEVRES DE SANG (BLUTIGE LIPPEN) – Frankreich<br />
1975 – R: Jean Rollin – B: Jean Rollin – K: Jean-François<br />
Robin – M: Didier William Lepauw – D: Jean-Loup<br />
Philippe, Annie Belle, Natalie Perrey, Marie-Pierre und<br />
Catherine Castel, Martine Grimaud, Serge Rollin –<br />
88 min, OmeU – Die surreale Geschichte einer amour<br />
fou. Frédéric hat Visionen von einer sinnlichen jungen<br />
Frau, der er als Kind in einer Burg begegnete. Als er ein<br />
Foto der Burg sieht und bald danach auch die junge<br />
Frau, die seit seiner Kindheit nicht gealtert scheint,<br />
begibt er sich auf eine Suche, in deren Verlauf er eine<br />
Gruppe von Vampirinnen freisetzt, auf ein finsteres<br />
Familiengeheimnis stößt und zum Château-Gaillard gelangt,<br />
wo einst, im ciné-feuilleton von Louis Feuillade,<br />
Judex sein Hauptquartier hatte. Ein Film über die Magie<br />
des Kinos, über die Entdeckung der Sexualität, über<br />
verlorene Erinnerungen und darüber, wie es ist, wenn<br />
man sie wiederfindet.<br />
▶ Dienstag, 23. Oktober 2012, 21.00 Uhr<br />
FASCINATION (FASZINATION) – Frankreich 1979 – R:<br />
Jean Rollin – B: Jean Rollin – K: Georgie Fromentin –<br />
M: Philippe d’Aram – D: Franca Maï, Brigitte Lahaie,<br />
Jean-Marie Lemaire, Myriam Watteau, Fanny Magier –<br />
80 min, OmeU – Rollin lässt seine Figuren gern in steinernen<br />
Zeugen der Vergangenheit wie Burgen und<br />
Friedhöfen agieren. Hier siedelt er die gesamte Geschichte<br />
in einer untergegangenen Epoche an. 1905.<br />
Ein Bandit auf der Flucht findet Unterschlupf in einem<br />
Wasserschloss, wo sieben Frauen einen Blutkult zelebrieren.<br />
Frankreichs Erotik-Ikone Brigitte Lahaie als<br />
Sensenfrau. Inspiriert von Joseph-Ferdinand Gueldrys<br />
Gemälde »Die Bluttrinker« und YELLOW SKY, einem<br />
Western von William Wellman. Kurzum: Auch ohne Vermischung<br />
von Zeitebenen und Dimensionen ein echter<br />
Rollin.<br />
▶ Dienstag, 30. Oktober 2012, 21.00 Uhr
Dreharbeiten BIR ZAMANLAR ANADOLU’DA: Nuri Bilge Ceylan, Gökhan Tiryaki<br />
Retrospektive Nuri Bilge Ceylan<br />
Nuri Bilge Ceylan (geboren 1967) ist ein Filmemacher,<br />
der als Fotograf begann. Diese Tatsache wurde oft<br />
schon zu einem wesentlichen Schlüssel für sein Werk<br />
gemacht, aus guten Gründen. Denn in diesen sechs<br />
Langfilmen und einem Kurzfilm, die bisher vorliegen, ist<br />
ein Blick auf die Welt zu erkennen, der in zweierlei Hinsicht<br />
fotografisch strukturiert ist: die Bilder sind so verfasst,<br />
dass sie sich eher einer allmählichen Entzifferung<br />
preisgeben als einer sofortigen Erfassung (der<br />
Faktor Zeit wird gegenüber der Bewegung privilegiert);<br />
und der Ton tritt zu diesen Bildern in einer Weise hinzu,<br />
die ihrer ursprünglichen Stummheit noch zu entsprechen<br />
scheint. Nicht von ungefähr war sein erster (Kurz-<br />
)Film KOZA noch ohne Dialog – eine Meditation über<br />
das Verstreichen der Zeit, die von alten Fotografien<br />
ihren Ausgang nahm. Schon hier bleiben wesentliche<br />
Momente einer möglichen Geschichte unausdrücklich;<br />
man kann sich davon eine Vorstellung machen, aber<br />
die Hinweise sind spärlich. Überreich ist hingegen die<br />
Zeichenwelt in KOZA. Die Welt spricht, aber sie spricht<br />
in Rätseln. Sie ist durchlässig für die Träume, die in Bildern<br />
sprechen, die ein Rätsel darstellen, das Rätsel der<br />
jeweils eigenen Identität.<br />
Von KOZA bis zu BIR ZAMANLAR ANADOLU’DA (ONCE<br />
UPON A TIME IN ANATOLIA) hat Nuri Bilge Ceylan eine<br />
enorme Entwicklung durchgemacht, ohne sein Vorgehen<br />
im Kern allzu stark verändert zu haben. Er hat nur<br />
die erzählerischen Möglichkeiten entscheidend erwei-<br />
tert: Das, was sich aus den vielen, für nicht-türkische<br />
Zuschauer häufig gar nicht erkennbaren, Details ergibt,<br />
sind Situationen, in denen das Universale des menschlichen<br />
Geschichtenerbes mit den konkreten Umständen<br />
der Türkei in der gegenwärtigen Epoche der Transformation<br />
vermittelt wird. Dass er schon im Titel seines<br />
jüngsten Films ausdrücklich Anatolien ins Spiel bringt,<br />
also das Hinterland der türkischen Metropolen Istanbul<br />
und Ankara, ist dabei ein Programm, das sich durch<br />
das Werk zieht. In einem Land ohne ein nennenswertes<br />
bürgerliches Milieu sind auch die meisten Intellektuellen<br />
und Künstler noch stark mit ihrer ländlichen Herkunft<br />
verbunden, durch Familienmitglieder (wie in<br />
UZAK) oder durch Projekte wie das des Filmemachers<br />
Muzaffer, der in MAYIS SIKINTISI (BEDRÄNGNIS IM<br />
MAI) in sein Dorf zurückkehrt, um dort einen Film zu<br />
machen. Dem Verhältnis von Film und Fotografie setzt<br />
Nuri Bilge Ceylan dabei noch ein anderes Bilderverhältnis<br />
entgegen: Die Provinz ist in der Türkei auch der Ort<br />
populärer Fernsehserien, in denen das Landleben idealisiert<br />
wird und die Traditionen, die in der Stadt brüchig<br />
werden, kulturindustriell noch einmal durchgearbeitet<br />
werden – als Beschwernisse in einer melodramatischen<br />
Erzählung, aber auch als Identitätsanker in<br />
schwierigen Genealogien.<br />
In IKLIMLER (JAHRESZEITEN) finden wir die weibliche<br />
Hauptfigur am Ende in einer winterlichen Landschaft<br />
weit im Osten bei den Dreharbeiten zu einer solchen<br />
Nuri Bilge Ceylan<br />
11
Nuri Bilge Ceylan<br />
12<br />
UZAK<br />
populären Serie, während die männliche Hauptfigur<br />
zwischen Stadt und Land, zwischen promisker Sexualität<br />
und Paarbeziehung verloren gegangen ist. Dieser<br />
einsame Mann, den Nuri Bilge Ceylan selbst spielt (und<br />
für den er keine Sympathien zu schinden versucht) ist<br />
Fotograf, wie auch schon die Hauptfigur in UZAK<br />
(WEIT). Zieht man dann noch in Betracht, dass Ceylans<br />
Ehefrau Ebru in IKLIMLER die zweite Hauptrolle spielt,<br />
dann entsteht aus all diesen Figuren so etwas wie ein<br />
autobiographischer Knoten in Ceylans Werk, der allerdings<br />
nicht auf die Geheimnisse der eigenen Biographie<br />
zielt, sondern auf das repräsentative Element, das<br />
darin begriffen liegt: Die Bewegung, die jemand durchmacht<br />
in seiner Distanzierung von Ursprungsmotiven,<br />
ist die einer Kunst, die auf Welterschließung hinausläuft,<br />
bei gleichzeitiger Entfremdung durch Kontemplation.<br />
Ceylans Werk ist geprägt von beobachtenden Figuren,<br />
Männern vor allem, die in ihrer Reflexivität gefangen<br />
zu sein scheinen. Dem stehen gelegentliche<br />
Ausbrüche von Sinnlichkeit entgegen wie die wilden<br />
Liebesszenen in IKLIMLER, denen aber alles Erlösende<br />
fehlt.<br />
In ÜC MAYMUN (DREI AFFEN) wird Ceylans Ästhetik der<br />
Beobachtung besonders konkret mit gesellschaftlichen<br />
Umständen in Zusammenhang gebracht. Dialoge spielen<br />
kaum eine Rolle, gesprochen wird nur das, was im<br />
Alltag unumgänglich ist. Stattdessen blicken wir immer<br />
wieder lang in die verschlossenen Gesichter der Protagonisten,<br />
dazu hören wir, wie Türen knarren oder sich<br />
über dem Meer ein Gewitter zusammenzieht. Der Politiker<br />
Servet, der einen Unfall zu vertuschen sucht, ist die<br />
Figur, die all das auf sich zieht und damit zur mächtigen<br />
Bezugsperson, aber auch irgendwie zum Sündenbock<br />
wird. Die drei Affen, von denen im Titel die Rede<br />
ist, sind drei Menschen, die nicht so sehr vor der Wirklichkeit<br />
die Augen und Ohren und den Mund verschließen,<br />
sondern die sich aus der Wirklichkeit ausschließen,<br />
weil sie lieber in der stummen Welt ihres Rückzugs<br />
leben, in der Welt einer Resignation, von der offen<br />
bleibt, ob der stilbewusste Regisseur sie ihnen aufzwingt<br />
oder ob er sie so zeigt, weil er die Augen vor der<br />
türkischen Realität nicht verschließen will.<br />
Diese in ÜC MAYMUN spürbare, latente Gefahr einer<br />
Gefangensetzung der Figuren in einem formalen Konzept<br />
lässt Ceylan in BIR ZAMANLAR ANADOLU’DA souverän<br />
hinter sich. In diesem seinem bisherigen Hauptwerk<br />
finden die Themen und Strategien zu einer großen<br />
Erzählung zusammen, die sich aber als solche geradezu<br />
versteckt in den Einzelheiten, von denen das<br />
Bild und die Dialoge erzählen. Ein Mord ist geschehen,<br />
zwei Verdächtige wurden festgenommen, nun geht es<br />
darum, bei einem Lokalaugenschein die Leiche zu finden.<br />
In dieser langen Nacht, in der eine Gruppe von<br />
Polizisten und Justizbeamten mit den beiden Tätern<br />
durch die Landschaft irrt, wird ein ganzes Panorama<br />
der türkischen Gesellschaft erkennbar, allerdings weitgehend<br />
indirekt: Es setzt sich zusammen aus den kleinen<br />
Unterschieden zwischen den Figuren. Unterschiede,<br />
auf die diese manchmal geradezu erpicht sind,<br />
aber auch solche, über die sie sich nicht hinwegsetzen<br />
können. In einem gewagten Manöver radikaler Andeutung<br />
verleiht Ceylan der Geschichte am Ende noch eine
tragische Note: Die persönlichen Zwecke liegen eben<br />
manchmal mit allgemeineren im Streit. Diese aporetische<br />
Urerfahrung der Moderne, die ihre Wurzeln allerdings<br />
schon in der griechischen Tragik hat, wird in BIR<br />
ZAMANLAR ANADOLU’DA gewissermaßen »inkulturiert«.<br />
Im Weltkino sind es gerade Nationen, die sich in großen<br />
Veränderungsprozessen befinden, die in Autoren<br />
der Beobachtung ihre Chronisten gefunden haben: Jia<br />
Zhangke in China, Cristi Puiu in Rumänien, Nuri Bilge<br />
Ceylan in der Türkei – das sind die prononciertesten<br />
Registrierer. Man könnte sie als Geschichtsschreiber<br />
der Gegenwart begreifen. Sie beobachten das Geschehen,<br />
dessen Zeugen sie sind, mit einem Blick, der die<br />
Gegenwart durchsichtig macht für das, was an ihr essentiell<br />
ist. Dass dieses Essentielle häufig gerade in Details<br />
liegt, die man bei einem weniger fotografisch<br />
strukturierten Blick leicht übersehen könnte, ist eine<br />
Pointe, die Ceylans Werk einen Schein von Unendlichkeit<br />
verleiht. Bert Rebhandl<br />
KOZA – Türkei 1995 – R+B+K: Nuri Bilge Ceylan – D:<br />
Fatma Ceylan, Mehmet Emin Ceylan, Turgut Toprak –<br />
20 min, ohne Dialog – Zwei alte Leute leben in der<br />
Natur. Auf den Fotografien, die zu Beginn zu sehen<br />
sind, sind sie jung und einträchtig, ein Paar, das sich<br />
gemeinsam der Kamera darbietet. In den Szenen, die<br />
darauf folgen, sind sie mit sich allein, aber doch immer<br />
noch aufeinander bezogen. Und diese Bezogenheit ist<br />
das Geheimnis des Films, der immer wieder minutenlang<br />
durch die Wälder streift, zu Musik von Bach oder<br />
des russischen Komponisten Artemjev. – KASABA (DIE<br />
KLEINSTADT) – Türkei 1997 – R+B+K: Nuri Bilge Ceylan,<br />
nach einer Geschichte von Emin Ceylan – D: Mehmet<br />
Emin Toprak, Havva Saglam, Cihat Butun, Mehmet<br />
Emin Ceylan, Fatma Ceylan – 86 min, OmU – Die vier<br />
Jahreszeiten in einem türkischen Dorf, das nur geografisch<br />
fern vom Zentrum liegt: Die Schule, mit der die<br />
Bewegung des Films im Winter beginnt, dient der Integration<br />
in ein Gemeinwesen, das die beiden Kinder vorerst<br />
nur abstrakt begreifen können. KASABA ist eine<br />
politische Pastorale, ein Initiationsritus, der sich am natürlichen<br />
Kreislauf orientiert, diesem aber ein gesellschaftliches<br />
Ziel gibt.<br />
▶ Mittwoch, 5. September 2012, 21.00 Uhr<br />
MAYIS SIKINTISI (BEDRÄNGNIS IM MAI) – Türkei<br />
1999 – R+B+K: Nuri Bilge Ceylan – D: Mehmet Emin<br />
Ceylan, Muzaffer Özdemir, Fatma Ceylan, Mehmet<br />
Emin Toprak – 131 min, OmeU – Eine weitere Geschichte<br />
vom Land: Der Filmemacher Muzaffer, ein<br />
deutliches Alter ego von Ceylan, begibt sich in das Dorf<br />
seiner Herkunft, um dort mit den Menschen vor Ort<br />
einen Film zu machen. Zur Hauptfigur wird sein Vater,<br />
der mit den Behörden einen Kampf gegen die Abholzung<br />
eines Pappelhains führt. Gedreht in derselben Gegend<br />
wie KASABA, ist MAYIS SIKINTISI reich an autobiographischen<br />
Bezügen, die aber auf eine universale<br />
Ebene gehoben werden. Durch die Widmung an Tschechov<br />
(an dessen »Kirschgarten« man hier denken<br />
könnte) und durch die unübersehbaren Anleihen vor<br />
allem beim iranischen Kino stellt Ceylan hier sein Werk<br />
erstmals in einen konkreten ästhetischen Zusammenhang.<br />
Er ist ein Regisseur des Ostens, der aber nicht<br />
orientalisiert.<br />
▶ Mittwoch, 12. September 2012, 21.00 Uhr<br />
UZAK (WEIT) – Türkei 2002 – R+B+K: Nuri Bilge Ceylan<br />
– D: Muzaffer Özdemir, Mehmet Emin Toprak,<br />
Zuhal Gencer Erkaya, Nazan Kirilmis – 110 min, OmU –<br />
Auf eine pessimistische Weise ist UZAK der komischste<br />
Film von Ceylan: Zwei Männer, die sich den beschränkten<br />
Raum einer Wohnung in Istanbul teilen müssen.<br />
Der Fotograf Mahmut ist schon lange in der Stadt, er<br />
hat es geschafft und sich ein Leben geschaffen, während<br />
der jüngere Yusuf sich unter Berufung auf die familiäre<br />
Verbindung bei ihm einquartiert hat und nun seinerseits<br />
in Istanbul nach einem Leben sucht. Ein Film<br />
über misstrauisches Beobachten, über Beschattung<br />
und Erkundung, und über die sexuellen Bedürfnisse<br />
Nuri Bilge Ceylan<br />
13
Nuri Bilge Ceylan<br />
14<br />
BIR ZAMANLAR ANADOLU’DA<br />
einsamer Männer, die sich wortlos und unausdrücklich<br />
um das den ganzen Film hindurch zentral positionierte<br />
Fernsehgerät streiten. Der für Ceylan konstitutive Gegensatz<br />
zwischen Stadt und Land ist in UZAK in die<br />
Stadt eingewandert.<br />
▶ Mittwoch, 19. September 2012, 21.00 Uhr<br />
IKLIMLER (JAHRESZEITEN) – Türkei 2006 – R+B:<br />
Nuri Bilge Ceylan – K: Gökhan Tiryaki – D: Nuri Bilge<br />
Ceylan, Ebru Ceylan, Nazan Kesal, Mehmet Eryilmaz –<br />
101 min, OmU – Eine Liebe in Ruinen. Nuri Bilge Ceylan<br />
spielt selbst den verspäteten Akademiker Isa, der<br />
zu Beginn mit seiner Partnerin Bahar an einer Ausgrabungsstätte<br />
nach fotografischen Motiven sucht. Nach<br />
Motiven auch für eine Fortsetzung dieser Beziehung,<br />
aus der er sich längst in eine brütende Selbstbezüglichkeit<br />
davongemacht hat. Ceylan erzählt einmal mehr von<br />
den Jahreszeiten und führt eine vergehende Liebe allmählich<br />
in eine nicht mehr offene Zukunft: Der Sommer<br />
weicht dem Herbst, im Winter ist Bahar auch geografisch<br />
schon weit weg von Isa, und der Gegensatz<br />
zwischen Stadt und Land (wo eine populäre Fernseh -<br />
serie gedreht wird) wird zur Figur für eine urban konnotierte<br />
Entfremdung, die auch in den stereotypen Szenen<br />
der Seifenoper keine Erlösung findet.<br />
▶ Mittwoch, 26. September 2012, 21.00 Uhr<br />
ÜC MAYMUN (DREI AFFEN) – Türkei 2008 – R: Nuri<br />
Bilge Ceylan – B: Ebru Ceylan, Ercan Kesal, Nuri Bilge<br />
Ceylan – K: Gökhan Tiryaki – D: Yavuz Bingöl, Hatice<br />
Aslan, Ahmet Rifat Şungar, Ercan Kesal – 109 min,<br />
OmU – Der Chauffeur Eyüp geht für seinen Chef, einen<br />
lokalen Politiker, nach einem Unfall ins Gefängnis, die<br />
Familie bekommt während dieser Zeit eine regel -<br />
mäßige Summe Geld, am Ende soll es einen größeren<br />
Betrag geben, zur endgültigen Begleichung der verschobenen<br />
Schuld. Während Eyüp im Gefängnis sitzt,<br />
lebt sein Sohn Ismail ziellos in den Tag hinein. Er<br />
schläft viel, wenn seine Mutter Hacer ihn darauf anspricht,<br />
weicht er aus und läuft davon. Hacer wiederum<br />
findet ihre eigene Beziehung zu dem Machtmenschen,<br />
der hier eine ganze Familie im übertragenen Sinn in<br />
seine Gewalt bringt. Ceylans am meisten stilisierter<br />
Film, gedreht in Istanbul mit ständigem Blick auf das<br />
Meer, fällt ein wenig aus dem Gesamtwerk heraus, und<br />
zielt am stärksten auf eine konkrete Kritik der sozialen<br />
Verhältnisse.<br />
▶ Mittwoch, 3. Oktober 2012, 21.00 Uhr<br />
BIR ZAMANLAR ANADOLU’DA (ONCE UPON A TIME<br />
IN ANATOLIA) – Türkei 2011 – R: Nuri Bilge Ceylan –<br />
B: Ebru Ceylan, Nuri Bilge Ceylan, Ercan Kesal – K:<br />
Gökhan Tiryaki – D: Muhammet Uzuner, Yilmaz Erdogan,<br />
Taner Birsel, Ahmet Mümtaz Taylan – 157 min,<br />
OmU – In einem Dorf in Anatolien ist ein Mord geschehen.<br />
Zwei Verdächtige sind festgenommen worden,<br />
nun sollen sie gemeinsam mit Vertretern der einschlägigen<br />
Behörden (Polizisten, Staatsanwaltschaft, ein<br />
Arzt, Fahrer) bei einem Lokalaugenschein die Leiche<br />
bergen. Doch die Suche zieht sich hin, von den Mördern<br />
ist nur einer wirklich ansprechbar, ob er sich nicht<br />
erinnern kann oder nur Zeit gewinnen will, ist nicht<br />
gleich klar. Ceylan gewinnt dadurch die Zeit für eine<br />
detail- und beziehungsreiche Erzählung, die am Ende<br />
mit der Andeutung eines ungeheuren Geheimnisses<br />
alles noch einmal in ein anderes Licht stellt. ONCE<br />
UPON A TIME IN ANATOLIA ist ein Höhepunkt des impliziten<br />
Erzählens, das zu den wichtigsten Charakteristiken<br />
des avancierten Weltkinos geworden ist.<br />
▶ Mittwoch, 10. Oktober 2012, 19.00 Uhr
Hommage à Ulrike Ottinger<br />
Landschaften und Gesichter, Farben, Formen und<br />
Räume, vor allem die Schönheit fremder Kulturen und<br />
Mythologien prägen das einzigartige Werk von Ulrike<br />
Ottinger. Die Malerin und Fotografin, Kamerafrau, Autorin,<br />
Regisseurin und Produzentin von rund zwanzig großen<br />
Spiel- und Dokumentarfilmen erkundet seit vierzig<br />
Jahren einen eigenwilligen Bilderkosmos, der an die<br />
Moderne des frühen zwanzigsten Jahrhunderts anknüpft<br />
und beständig neu die Fragen nach Norm und<br />
Abweichung, Vorgefundenem und Inszeniertem, Objektwelt<br />
und Imagination stellt. Ulrike Ottingers Filme,<br />
ihre Fotografien, Installationen und Bücher feiern die<br />
Lust an Expeditionen ins Unbekannte, erforschen die<br />
Terrains möglicher Metamorphosen und dokumentieren<br />
mit unpathetischer Grandezza, wo auch in der Gegenwart<br />
die sieben Weltwunder zu finden sind.<br />
»Als Avantgardistin habe ich mich selbst nie gefühlt,<br />
aber die Reaktion eines Teils der Kritik hat mich dazu<br />
gemacht. Für mich war selbstverständlich, dass ich so<br />
gearbeitet habe«, beschreibt die siebzigjährige Künstlerin<br />
in einem Interview ihre Position innerhalb des deutschen<br />
Autorenfilms. Seit ihrem ersten experimentellen<br />
Spielfilm LAOKOON UND SÖHNE – DIE VERWAND-<br />
LUNGSGESCHICHTE DER ESMERALDA DEL RIO (1972)<br />
arbeitet Ulrike Ottinger an einem Gesamtkunstwerk, in<br />
dem sich ihre eigenen fotografischen, grafischen und<br />
collagierten Bilder mit ethnografischen, kunsthistorischen<br />
und literarischen Inspirationen kreuzen und<br />
durchdringen. Mit der Gender-Maskerade DIE BE -<br />
TÖRUNG DER BLAUEN MATROSEN (1975), dem Piratinnen-Märchen<br />
MADAME X – DIE ABSOLUTE HERR-<br />
SCHERIN (1977) und BILDNIS EINER TRINKERIN (1979)<br />
entwickelte Ulrike Ottinger, damals gemeinsam mit der<br />
Zeichnerin, Szenenbildnerin, Muse und Protagonistin<br />
Tabea Blumenschein, ihre eigene künstlerische Handschrift.<br />
Die Trilogie der Berlin-Filme BILDNIS EINER<br />
TRINKERIN, FREAK ORLANDO (1981) und DORIAN<br />
GRAY IM SPIEGEL DER BOULEVARDPRESSE (1984) ist<br />
als surrealistischer Kommentar auf die grotesken Freiräume,<br />
die das von der Mauer umgebene Westberlin<br />
darstellte, zu einem Klassiker des deutschen Autorenfilms<br />
geworden.<br />
Seit 1973 lebt die Künstlerin in Berlin. 1942 in Konstanz<br />
als Tochter eines Malers und einer Übersetzerin<br />
geboren, studierte Ulrike Ottinger zunächst in München<br />
Kunst und setzte danach bis 1969 ihre Arbeit als Malerin<br />
und Grafikerin in Paris fort, wo sie neben ethnologischen<br />
und kulturwissenschaftlichen Vorlesungen an<br />
der Sorbonne die Filmprogramme der Cinémathèque<br />
Française zur Schule ihrer ästhetischen Vorlieben<br />
machte. Die Gründung eines Avantgarde-Programm -<br />
kinos und einer Galerie Anfang der 1970er Jahre in<br />
ihrer frisch zur Universitätsstadt avancierten Heimatstadt<br />
Konstanz schärfte ihr Gespür für die Korrespondenzen<br />
zwischen Grafik, Fotografie und Film.<br />
Ulrike Ottingers bildmächtige Sehnsucht nach Expeditionen<br />
in die asiatischen Kulturen, die einen weiteren<br />
großen Zyklus ihrer Arbeit prägt, rekurriert auf Kindheitserzählungen<br />
und die Bücher-, Bilder- und Skulpturensammlungen<br />
ihrer ethnologisch interessierten Vorfahren.<br />
Lange vor dem heute zum Allgemeingut gewordenen<br />
Interesse an China zog sie zu ihren großen Reisen<br />
nach China, in die mongolische Taiga, später nach<br />
Japan und Korea aus. Filme über die west/östlichen<br />
Traditionsrouten auf dem Balkan und am Schwarzen<br />
Meer kamen hinzu. Ihre z. T. mehrstündigen Film -<br />
essays CHINA. DIE KÜNSTE, DER ALLTAG (1985) und<br />
TAIGA (1992), auch der Spielfilm JOHANNA D’ARC OF<br />
MONGOLIA (1989) und die dokumentarische Spurensuche<br />
nach dem Überleben jüdischer Holocaust-Flüchtlinge<br />
in EXIL SHANGHAI (1997) sind die markantesten<br />
Beispiele ihrer bis in die Gegenwart nicht versiegenden<br />
Faszination für die lebendige Tradition östlicher Lebenskunst.<br />
Ulrike Ottinger<br />
15
Ulrike Ottinger<br />
16<br />
PRATER<br />
Anders als die meisten Filmemacherinnen, die in den<br />
1970er Jahren begannen, ihre Anerkennung im männlich<br />
dominierten Neuen deutschen Film zu reklamieren,<br />
setzte sich Ulrike Ottinger konsequent vom autobiografisch<br />
gefärbten Kino des feministischen Diskurses ab.<br />
Konsequent löste sie das Narrativ des Identifikations -<br />
kinos auf und gewann mit ihrer Bildsprache früh große<br />
Aufmerksamkeit im internationalen Festival- und Kunstkontext.<br />
Ulrike Ottinger, die mit zahlreichen internationalen<br />
Preisen ausgezeichnet wurde, steht für ein kinematographisches<br />
Universum, in dem hermetisch schö -<br />
ne Frauen in Matrosinnen, Piratinnen, Amazoninnen<br />
und weibliche Dandies verwandelt sind und Oscar<br />
Wildes Dorian Gray und Virginia Woolfs Orlando als<br />
cineastische Schaubilder der Gender-Transgression<br />
wie derkehren. Mit Darstellerinnen wie der Underground-<br />
Ikone Magdalena Montezuma, dem Nouvelle-Vague-<br />
Star Delphine Seyrig und dem Zeitgeist-Model Ve -<br />
ruschka von Lehndorff schuf sie Chiffren einer eigentümlich<br />
diesseitigen Absolutheit. Eine statuarische<br />
Aura umgibt ihre Frauenbilder, in großen Tableaus und<br />
Landschaftspanoramen entgrenzen sich die Bildräume<br />
ihrer Filme. Gleich ob in BILDNIS EINER TRINKERIN eine<br />
elegante Nacht-Diva auf eine enthemmte Alkoholikerin<br />
trifft oder in ihrem jüngsten Film-Essay UNTER SCHNEE<br />
(2011) die freundlichen Geister des japanischen Kabuki-Theaters<br />
durch eine wundersam verschneite japa-<br />
nische Bergregion driften, Ulrike Ottingers Filme spielen<br />
mit dem Staunen und der Lust am stilvollen Zusammenprall<br />
des Inkompatiblen. Claudia Lenssen<br />
BILDNIS EINER TRINKERIN – BRD 1979 – R+B+K: Ulrike<br />
Ottinger – M: Peer Raben – D: Tabea Blumenschein,<br />
Christine Lutze, Magdalena Montezuma, Nina<br />
Hagen, Kurt Raab, Monika von Cube – 107 min – Ein<br />
altes Hotel am Berliner Kurfürstendamm wird zum morbide<br />
dekorativen Rückzugsort für zwei rebellische Trinkerinnen.<br />
Die schöne stumme Wiedergängerin weib -<br />
licher Ikonen à la Medea, Beatrice, Aspasia, ein Überweib<br />
großer Hollywood-Gestik und ihre vom Alkohol<br />
gezeichnete obdachlose Gefährtin entgleiten dem kontrollierten<br />
Rausch.<br />
▶ Freitag, 7. September 2012, 18.30 Uhr<br />
FREAK ORLANDO – BRD 1981 – R+B+K: Ulrike Ottinger<br />
– M: Wilhelm Dieter Siebert – D: Magdalena Montezuma,<br />
Delphine Seyrig, Albert Heins, Galli Müller,<br />
Eddie Constantine, Claudio Pantoja – 126 min – Ein<br />
»Kleines Welttheater«, ein szenisches Schauderkabinett<br />
der monströsen Geschichte der Zivilisation, in der<br />
»Freaks« dem Wahnsinn und der Grausamkeit aus -<br />
gesetzt waren. Fünf Episoden surrealer Visualisierung<br />
der Dialektik von Norm und Abweichung.<br />
▶ Samstag, 8. September 2012, 18.30 Uhr
DORIAN GRAY IM SPIEGEL DER BOULEVARD-<br />
PRESSE – BRD 1984 – R+B+K: Ulrike Ottinger – M:<br />
Peer Raben – D: Veruschka von Lehndorff, Delphine<br />
Seyrig, Tabea Blumenschein, Irm Hermann, Magdalena<br />
Montezuma, Toyo Tanaka – 152 min – Veruschka von<br />
Lehndorff als weiblicher Dr. Mabuse, die Virginia<br />
Woolfs Gender-Mutanten Dorian Gray neu erfindet,<br />
sich am Ende jedoch »mit der Phantasmagorie der vollkommenen<br />
Herrschaft über ihr Medienprodukt« betrügt.<br />
»Eine Gefangene des eigenen Wahns, ein Opfer<br />
technisch angezettelter Gefühle.« (Karsten Witte)<br />
▶ Sonntag, 9. September 2012, 18.00 Uhr<br />
PRATER – Österreich 2007 – R+B+K: Ulrike Ottinger –<br />
Mit Veruschka von Lehndorff, Peter Fitz, Elfriede Jelinek,<br />
Robert Kaldy-Karo – 107 min – Eine liebevolle<br />
Spurensuche nach den Schau-Kabinetten, Geisterbahnen<br />
und Grusel-Figurinen auf dem Prater-Gelände in<br />
Wien. »Das Faszinierende an diesem Ort ist, wie Geschichte,<br />
eigentlich die Kulturgeschichte der Vergnügungen,<br />
quer zu Ständen, sozialen Schichten, Zeitgeist,<br />
Moden, technischen Entwicklungen und Erfindungen,<br />
in frappierender Weise sichtbar wird.« (Ulrike Ottinger)<br />
▶ Freitag, 14. September 2012, 18.30 Uhr<br />
DIE KOREANISCHE HOCHZEITSTRUHE – Deutschland<br />
2009 – R+B: Ulrike Ottinger – K: Ulrike Ottinger, Lee<br />
Sunyoung – M: Kim Youngdong, Kim Soyoung – Mit<br />
Kim Keum-Hwa, Boseong, Kim Minja, Ahn Baekseung,<br />
Yun Minkyung – 82 min – Nach koreanischer Tradition<br />
erhält ein Brautpaar eine »nach alten Regeln sorgfältig<br />
gepackte, verpackte und verschnürte Holztruhe« (Ottinger).<br />
Der in Seoul entstandene Film-Essay folgt im Gestus<br />
einer Märchenerzählung den alten und neuen Ritualen<br />
koreanischer Hochzeitsfeierlichkeiten.<br />
▶ Samstag, 15. September 2012, 18.30 Uhr<br />
UNTER SCHNEE – Deutschland 2011 – R+B+K: Ulrike<br />
Ottinger – M: Yumiko Tanaka – Mit Takamasa Fujima,<br />
Kiyotsugu Fujima, Yumiko Tanaka, Yoko Tawada, Hiroomi<br />
Fukuzawa, Akemi Takanami – 108 min – In der<br />
japanischen Bergregion Echigo liegt oft bis in den Mai<br />
hinein hoher Schnee. Der Film schildert die Poesie der<br />
Feste, religiösen Rituale und erlesenen Speisenzubereitungen<br />
der Alltagskultur, die für die Menschen der Region<br />
charakteristisch ist. Zwei Kabuki-Darsteller folgen<br />
den Spuren des japanischen Autors Bokushi Suzuki in<br />
Episoden seines Märchens »Schneeland Symphonie«.<br />
▶ Sonntag, 16. September 2012, 18.30 Uhr<br />
Die Filmvorführungen stehen in Zusammenhang mit einer<br />
Ausstellung in der Sammlung Goetz zu Ulrike Ottingers 70. Geburtstag,<br />
in deren Mittelpunkt bis zum 6. Oktober 2012 ihre<br />
Installation FLOATING FOOD zu sehen ist.<br />
UNTER SCHNEE<br />
Ulrike Ottinger<br />
17
Martin Scorsese<br />
18<br />
Martin Scorsese zum 70. Geburtstag<br />
Das Kino als Schmelztiegel<br />
Kein anderer Regisseur scheint derart von der Frei -<br />
gebigkeit des Kinos überzeugt wie Martin Scorsese.<br />
Die Filmgeschichte birgt für ihn Reichtümer, an denen<br />
er sich ausgiebig bedienen kann. Seine prunkende<br />
Ciné philie ist Ernte und Saat zugleich. Er versteht es<br />
wie kein zweiter Überlebender der ruhmreichen Epoche<br />
des New Hollywood, das neu zu erfinden, was er an seinen<br />
Vorbildern bewunderte und das Gelungene noch zu<br />
überbieten. Andere Filmemacher würden gewiss haushälterischer<br />
mit ihren Erzählideen umgehen und sie auf<br />
zwei, drei Filme verteilen. Er hingegen kann verschwen -<br />
derisch sein, denn die Quellen seiner Inspiration werden<br />
nicht so schnell versiegen. Wie viel Disziplin es ihn<br />
kostet, im Schneideraum Entscheidungen zu treffen,<br />
wird nur seine treue Cutterin Thelma Schoonmaker ermessen<br />
können.<br />
Womöglich kann er sich deshalb so gut in die Erlebniswelt<br />
von Gangstern einfühlen, die sich ihrerseits der<br />
Verfügbarkeit der Welt gewiss sind. Er nähert sich<br />
ihnen mit dem Blick eines skeptischen Eingeweihten. In<br />
langen, subjektiven Plansequenzen demonstriert er in<br />
MEAN STREETS und GOODFELLAS, wie sich seine jungen<br />
Protagonisten als Fürsten durch ihr Milieu bewe-<br />
gen, sich im Zentrum eines dichten Netzes aus Er -<br />
gebenheit und Loyalität wähnen. Wie im Rausch flanieren<br />
sie durch eine Welt, die ihnen als ein einziges, verlockend<br />
drapiertes Auslagenfenster erscheint.<br />
Ein gelehriger Meister<br />
Längst ist jeder neue Film von Martin Scorsese ein<br />
Ereignis; nicht nur in den Augen von eingeschworenen<br />
Bewunderern, sondern mittlerweile auch in den Bilanzen<br />
der Studios, für die er arbeitet. Er gilt vielen als der<br />
bedeutendste amerikanische Filmemacher seiner Generation.<br />
Sein Name steht für das große Publikum nicht<br />
mehr im Schatten seiner Hauptdarsteller, denen er in<br />
serieller Monogamie treu geblieben ist – anfangs<br />
Harvey Keitel, dann Robert De Niro und nun Leonardo<br />
DiCaprio –, er ist vielmehr zu einem Markenzeichen<br />
von großer eigener Strahlkraft geworden. Die unerschöpfliche<br />
Virtuosität seines Regiestils fasziniert<br />
selbst die strengsten Kritiker. Er hat jeden Aspekt seines<br />
Mediums reflektiert und beherrscht ihn. Es gibt<br />
keine Szene in seinem Werk, die er nicht durch ungekannte<br />
Kameraperspektiven und Rhythmen dynamisiert<br />
hätte. In seinen Filmen formiert sich der Blick auf das<br />
Vertraute neu.<br />
Martin Scorsese und Michael Ballhaus bei den Dreharbeiten zu THE DEPARTED
Sein Kino schillert zwischen Tradition und Innovation.<br />
Es folgt einer persönlichen Vorstellung von Fortschritt<br />
und Bewahren. Er hat von den Besten gelernt und weiß,<br />
was er ihnen schuldig ist. In zwei großen Dokumentarfilmen<br />
erweist er seinen Vorbildern im amerikanischen<br />
und italienischen Kino seine Reverenz. Elia Kazan hat<br />
er eine Hommage gewidmet. Mit seiner Film Foundation<br />
bemüht er sich um die Restaurierung von Klassikern<br />
des Weltkinos.<br />
Die Filmgeschichte hat unverkennbare, verblüffende<br />
Spuren in seinem Werk hinterlassen. Es wird von dem<br />
ästhetischen Schock heimgesucht, den ihm die vagabundierende<br />
visuelle Phantasie eines Michael Powell in<br />
jungen Jahren bescherte. Bei GOODFELLAS hat er sich<br />
am Übermut der nouvelle vague inspiriert, an Truffauts<br />
JULES ET JIM und den launigen Regelbrüchen Godards.<br />
Referenzpunkte der Kampfszenen in GANGS OF<br />
NEW YORK sind das sowjetische Montagekino von Dovschenko,<br />
Eisenstein und Pudovkin sowie Orson Welles’<br />
Shakespeare-Adaption CHIMES AT MIDNIGHT. Das<br />
Drehbuchmotiv des Helden, der sich in eine Gangsterbande<br />
einschleicht (und daraufhin in einen Gewissensund<br />
Loyalitätskonflikt gerät), ist an Sam Fullers UNDER-<br />
WORLD, USA angelehnt. Die chinesische Pagode, in<br />
der einige Schlüsselszenen von GANGS OF NEW YORK<br />
spielen, ist dem Dekor nachempfunden, das Boris<br />
Leven (sein Szenenbildner bei NEW YORK, NEW YORK)<br />
für Sternbergs THE SHANGHAI GESTURE entwarf. In<br />
THE DEPARTED zitiert er versteckt Carol Reeds THE<br />
THIRD MAN, John Fords THE INFORMER und Howard<br />
Hawks’ SCARFACE.<br />
Derlei cinephile Verweise sind kein bloßer Selbstzweck,<br />
sondern entspringen einer biographischen Bringschuld.<br />
Das Kino war für ihn von Kindesbeinen an ein Instrument<br />
der Weltteilhabe und später eines, um sich über<br />
die eigenen Wurzeln Rechenschaft abzulegen. Es wird<br />
kein Zufall gewesen sein, dass Scorsese parallel zu<br />
den Vorbereitungen für GANGS OF NEW YORK an seinem<br />
Dokumentarfilm über das italienische Nachkriegskino<br />
arbeitete, IL MIO VIAGGIO IN ITALIA. Er ist gewissermaßen<br />
die epische Fortsetzung von ITALIANAMERI-<br />
CAN, der Dokumentation, die er 1974 über seine Eltern<br />
gedreht hat. In den Erinnerungen an seine Kindheit verdichtet<br />
sich das Bild von Little Italy als einer nahezu autarken,<br />
in sich geschlossenen Gemeinschaft. Das Kino<br />
war dort ein Medium der Heimatverbundenheit. Seine<br />
Großeltern, die 1910 aus Sizilien kamen, hatten keinerlei<br />
Bezug zur ihrer neuen Heimat. Ihre Kinder gingen<br />
morgens zur Arbeit »in eine andere Welt« (Scorsese);<br />
ihre Straße, die Elizabeth Street, »war Sizilien, jedes<br />
Haus ein anderes Dorf«. Ihr Enkel wuchs noch in einer<br />
selbstverständlich hermetischen Umgebung auf (er betrat<br />
angeblich zum ersten Mal die West Side, als er anfing,<br />
an der New York University in Greenwich Village zu<br />
studieren). Nicht von ungefähr ist eine der dichtesten<br />
Passagen der Dokumentation Fellinis I VITELLONI gewidmet,<br />
der als direkte Inspiration für MEAN STREETS<br />
kenntlich wird. Das Viertel, das gerade einmal zehn<br />
Blocks umfasst, ist ein Bollwerk gegen die bedrängende<br />
Unübersichtlichkeit der Großstadt, aber es<br />
schürt zugleich Träume von Flucht und Aufstieg.<br />
So wie in seinen frühen Filmen hatte man das Milieu<br />
der italienischen Einwanderer im US-Kino noch nicht<br />
gesehen. In MEAN STREETS besitzen die hergebrachten<br />
Rituale von Gewalt und Familiensinn noch umfassende,<br />
unwidersprochene Macht. Scorseses Blick auf<br />
seinen Helden ist voller Empathie, aber ohne Komplizenschaft.<br />
Der Mafioso Charlie ist zerrissen zwischen<br />
maskuliner Loyalität, einer beklemmend paranoiden<br />
Sexualmoral, zwischen dem Katholizismus und der<br />
Klassenzugehörigkeit. Erlösung glaubt er nur durch<br />
Schmerz und Gewalt zu erlangen. »Man büßt für seine<br />
Sünden nicht in der Kirche,« sagt er, »sondern auf der<br />
Straße.« Angesichts der Brutalität und Ausweglosigkeit<br />
und der heillosen Fiebrigkeit seiner Protagonisten, die<br />
in Scorseses filmischen Rekonstruktionen seiner Heimat<br />
herrscht, überrascht der Eindruck von Geborgenheit,<br />
den die Dokumentation erweckt. Scorsese erweist<br />
sich in IL MIO VIAGGIO IN ITALIA als wehmütiger Archäologe<br />
einer Welt, die längst verschwunden ist (nicht<br />
zuletzt dank der Emsigkeit ihrer asiatischen Nachbarn:<br />
Chinatown hat Little Italy heute fast gänzlich verschlungen).<br />
Es ist mithin auch das Dokument eines uramerikanischen<br />
Impulses, der Stammeszugehörigkeit. Eigentlich<br />
darf es nicht verwundern, dass einige der Lieblingsfilme<br />
dieses urbansten aller US-Regisseure Western<br />
sind.<br />
TAXI DRIVER: Robert De Niro und Martin Scorsese<br />
Martin Scorsese<br />
19
Martin Scorsese<br />
20<br />
Emphatische Eroberung<br />
Als Kind war er jedes Mal verblüfft, wenn er im Abspann<br />
eines Films über seine Heimatstadt las: »Made<br />
in Hollywood, USA«. Zwar hat auch er in NEW YORK,<br />
NEW YORK einmal eine in den Westküstenstudios entstandene,<br />
stilisierte Technicolor-Vision der Metropole<br />
entworfen. Aber vor allem hat er dem Kino ihre Realschauplätze<br />
als Terrain erobert. Sein Bild von New York<br />
ist in der atmosphärischen Erfahrung der Zerrissenheit,<br />
Fragmentierung, des Heterogenen grundiert. Scorseses<br />
filmisches New York besteht dementsprechend aus<br />
streng voneinander geschiedenen Sphären. So ist die<br />
Mobilität der Protagonisten von TAXI DRIVER und BRIN-<br />
GING OUT THE DEAD nur eine berufsbedingte, keine<br />
soziale. Getrieben von den Dämonen der Einsamkeit<br />
und dem Wunsch nach Erlösung bleiben sie allenthalben<br />
isoliert. In TAXI DRIVER erscheint die Stadt als ein<br />
Pandämonium aus Dunkelheit, Schmutz und Gewalt<br />
(es war ein Glücksfall für das Filmteam, dass während<br />
der Dreharbeiten gerade die Müllabfuhr streikte). Diese<br />
Verworfenheit ist schillernd, wie der Taxifahrer Travis<br />
Bickle gleichermaßen mit Abscheu und Faszination diagnostiziert.<br />
Sie ist sein unwirtliches Lebenselement,<br />
er scheut auch jene verrufenen Ecken nicht, um die<br />
seine Kollegen einen großen Bogen machen, fährt<br />
seine Gäste nach Harlem, zum Times Square oder ins<br />
East Village.<br />
Visuell vollzieht Scorsese die Isolation seines Protagonisten,<br />
indem er ihn aus seiner Umgebung loslöst,<br />
Rauchschwaden schieben sich dazwischen, der Regen<br />
lässt die Fassaden verschwimmen, durch Unschärfe<br />
und Zeitlupe setzt er das Taxi und seinen Fahrer vom<br />
Hintergrund ab. Es ist kein realistischer, sondern ein<br />
paranoider Blick, den Scorsese und sein Drehbuchautor<br />
Paul Schrader auf die Stadt richten: Als wollten sie<br />
die schummrigen Bilderwelten des film noir in die Gegenwart<br />
hinüber retten. Auch BRINGING OUT THE<br />
DEAD ist von der subjektiven Perspektive des Helden<br />
geprägt, auch hier erscheint die Stadtlandschaft wie<br />
eine Halluzination. Die Feindseligkeit der Außenwelt<br />
macht Scorsese jedoch in einer divergierenden visuellen<br />
Strategie kenntlich: als Eindringen in das Gesichtsfeld<br />
des manisch-depressiven Rettungssanitäters.<br />
Jede Beobachtung, jeder Lichteinfall wirkt wie eine Aggression.<br />
Die Freizügigkeit, die Zirkulation innerhalb<br />
der Großstadt sind bei Scorsese stets gefahrvoll und<br />
schuldbesetzt, wie auch der Abstecher des Programmierers<br />
aus Uptown nach SoHo in AFTER HOURS illustriert.<br />
Er kommt gewissermaßen als Tourist aus einem<br />
anderen Manhattan. Selbst auf dem Erzählterrain einer<br />
schwarzen Komödie herrscht Paranoia. Dunkle, verlas-<br />
sene Straßen werden zur Bühne verstörender, schicksalhafter<br />
Begegnungen, die Etappen der nächtlichen<br />
Odyssee (eine Bar, ein Loft, ein Nachtclub) scheinen<br />
alle auf rätselhafte Weise miteinander verbunden.<br />
Spätestens mit THE AGE OF INNOCENCE verändert und<br />
erweitert sich sein Blick auf die Stadt. Die magistrale<br />
Edith-Wharton-Verfilmung ist ebenfalls die Chronik<br />
einer exklusiven, in sich geschlossenen Gesellschaft.<br />
Sie trägt sich im Wesentlichen in Interieurs zu, die Scorsese<br />
mit »anthropologischer Neugierde« erkundet und<br />
einem Zartgefühl und Raffinement, das an Ophüls und<br />
Visconti erinnert. Whartons New Yorker Aristokratie ist<br />
im engmaschigen Netz der Verwandtschaftsbeziehungen<br />
und gesellschaftlichen Konventionen gefangen.<br />
Die Vertreter dieser Schicht beziehen ihre Selbstgewissheit<br />
aus ihrer angestammten Umgebung und mondänen<br />
Ritualen, die freilich noch aus der alten Welt<br />
stammen. In GANGS OF NEW YORK wird er noch tiefer<br />
nach den europäischen Wurzeln des Schmelztiegels<br />
Amerika schürfen. Seither hat er zwar nicht endgültig<br />
mit New York abgeschlossen, aber sein Kino strebt anderen<br />
Horizonten entgegen.<br />
Verwurzelte Weltoffenheit<br />
Scorseses Filmografie, das wird mit den Jahren immer<br />
deutlicher, gewinnt Struktur und Schlüssigkeit aus dem<br />
Zusammenspiel von Komplementärfilmen: Man denke<br />
an TAXI DRIVER und BRINGING OUT THE DEAD, GOOD-<br />
FELLAS und CASINO, THE LAST TEMPTATION OF<br />
CHRIST und KUNDUN, RAGING BULL und spätere Biopics<br />
wie THE AVIATOR. In dem Maße, in dem er neue<br />
Schauplätze (Las Vegas in CASINO und THE AVIATOR,<br />
Tibet in KUNDUN, Boston in THE DEPARTED und SHUT-<br />
TER ISLAND, schließlich Paris in HUGO CABRET) in den<br />
Blick nimmt, ist auch Scorseses Kino unvorhersehbarer<br />
geworden. Mit letzterem etwa hat er seinen ersten Kinderfilm<br />
gedreht, ein Plädoyer für Schaulust und Neugierde,<br />
bei dem er zugleich dem 3D-Kino den Ritterschlag<br />
verliehen hat, das er staunenswert phantasievoll<br />
einsetzt.<br />
Aber unberechenbar war er vielleicht schon immer. Mit<br />
ALICE DOESN’T LIVE HERE ANYMORE scherte er immerhin<br />
bereits 1974 erstmals aus dem maskulinen Universum<br />
seiner frühen Filme aus. Die Unvorhersehbarkeit<br />
ist freilich auch der Kern seines Schaffensprozesses.<br />
Es ist bekannt, dass ein Großteil seiner Regiearbeit<br />
im Schneideraum stattfindet. Es ist beinahe so, als<br />
würde dort, im Ringen um Narration und Abschweifung,<br />
der Film zum zweiten Mal entstehen. Die filmische Realität<br />
von Raum und Zeit wird aus dem Drehmaterial neu<br />
hergestellt. Durch den Soundtrack (auch das ein
Schmelztiegel heterogener Quellen – Popsongs stehen<br />
hier gleichberechtigt neben klassischen Werken wie<br />
»Le Sacre du Printemps« oder Bachs »Matthäuspassion«)<br />
fügt er seinen Filmen eine weitere entscheidende<br />
Dimension hinzu. Selbst seine engsten Mitarbeiter<br />
sind in der Regel verblüfft, das Endergebnis zu<br />
sehen: Sein Kameramann Michael Ballhaus erzählte<br />
einmal, bei der Premiere von GOODFELLAS habe er<br />
vollkommen vergessen, dass er den Film gedreht hatte.<br />
Gerhard Midding<br />
WHO’S THAT KNOCKING AT MY DOOR (WER<br />
KLOPFT DENN DA AN MEINE TÜR?) – USA 1968 –<br />
R+B: Martin Scorsese – K: Richard H. Coll, Michael<br />
Wadleigh – D: Harvey Keitel, Zina Bethune, Lennard<br />
Kuras, Michael Scarla, Harry Northup – 90 min, OmU –<br />
Ein junger New Yorker aus einer italienischen Familie<br />
möchte seine Freundin gerne heiraten, doch er kann<br />
nicht mit der Tatsache umgehen, dass sie einmal Opfer<br />
sexueller Gewalt war. WHO’S THAT KNOCKING AT MY<br />
DOOR wurde über Jahre hinweg gedreht und lief in unterschiedlichen<br />
Versionen unter diversen Titeln. Den<br />
Anfang nahm das Projekt als Studentenkurzfilm, auf<br />
Drängen eines Verleihers drehte Scorsese später (dezente)<br />
Sexszenen, um die Vermarktung zu erleichtern.<br />
▶ Freitag, 7. September 2012, 21.00 Uhr ▶▶ Dienstag,<br />
11. September 2012, 18.30 Uhr<br />
BOXCAR BERTHA (DIE FAUST DER REBELLEN) –<br />
USA 1972 – R: Martin Scorsese – B: Joyce Hooper Corrington,<br />
John William Corrington, nach dem Roman<br />
»Sisters of the Road« von Ben L. Reitman – K: John M.<br />
Stephens – M: Herb Cohen – D: Barbara Hershey,<br />
David Carradine, Barry Primus, Bernie Casey, John Carradine,<br />
Harry Northup – 88 min, OmU – Die Bauerntochter<br />
Bertha verliert in der Weltwirtschaftskrise der<br />
1930er Jahre ihr Zuhause und beginnt ein Leben am<br />
Schienenstrang. Sie schließt sich dem Gewerkschaftskampf<br />
der Gleisarbeiter an, der bald zum blutigen Widerstand<br />
wird. »Ein Partisanenfilm, aggressiv und zynisch.<br />
Nicht umsonst entwirft Scorsese für die Bewegungen<br />
seiner Helden keine wirkliche Zielrichtung. Die<br />
Balladenform kommt dieser Intention entgegen.«<br />
(Hans-Günther Pflaum)<br />
▶ Samstag, 8. September 2012, 21.00 Uhr<br />
MEAN STREETS (HEXENKESSEL) – USA 1973 – R:<br />
Martin Scorsese – B: Martin Scorsese, Mardik Martin –<br />
K: Kent Wakeford – D: Robert De Niro, Harvey Keitel,<br />
David Proval, Amy Robinson, Richard Romanus –<br />
112 min, OmU – Freundschaft, Loyalität, Verrat, Gewalt<br />
und Schuld unter Kleinganoven in den 1960er Jahren<br />
im Little Italy New Yorks – ein period picture. Virtuos<br />
verwendet Scorsese bereits hier kühne Kamera -<br />
bewegungen, überwältigende Musik und intensive<br />
Harvey Keitel und Zina Bethune in WHO’S THAT KNOCKING AT MY DOOR<br />
Martin Scorsese<br />
21
Martin Scorsese<br />
22<br />
Farbeffekte. Scorsese sagte, er habe das Rot so eingesetzt<br />
wie sein Idol Michael Powell in THE RED SHOES;<br />
da traf es ihn umso schwerer, dass Powell den Film<br />
nicht mochte. Mit MEAN STREETS wurden Scorsese,<br />
De Niro und Keitel schlagartig weltbekannt.<br />
▶ Sonntag, 9. September 2012, 21.00 Uhr ▶▶ Mittwoch,<br />
12. September 2012, 18.30 Uhr<br />
WHAT’S A NICE GIRL LIKE YOU DOING IN A PLACE<br />
LIKE THIS? – USA 1963 – R+B: Martin Scorsese – K:<br />
James Newman – M: Richard H. Coll – D: Zeph Michaelis,<br />
Mimi Stark, Sarah Braveman, Fred Sica, Martin<br />
Scorsese – 9 min, OF – Ein blockierter Schriftsteller<br />
entwickelt eine Obsession für ein Gemälde. – IT’S NOT<br />
JUST YOU, MURRAY! – USA 1964 – R: Martin Scorsese<br />
– B: Martin Scorsese, Mardik Martin – K+M: Richard<br />
H. Coll – D: Ira Rubin, Sam DeFazio, Andrea Martin,<br />
Catherine Scorsese – 15 min, OF – Ein Gangster<br />
blickt zurück auf seine Karriere und seinen vermeintlich<br />
besten Freund. – THE BIG SHAVE – USA 1967 – R+B:<br />
Martin Scorsese – K: Ares Demertzis – M: Peter Bernuth<br />
– 5 min, OF – »Eigentlich wuchs der Film aus meinen<br />
Gefühlen über Vietnam. Gemeint war er als wütender<br />
Aufschrei gegen den Krieg.« (Martin Scorsese) –<br />
ITALIANAMERICAN – USA 1974 – R: Martin Scorsese<br />
– B: Mardik Martin, Larry Cohen – Mit Catherine Scorsese,<br />
Charles Scorsese, Martin Scorsese – 49 min, OF<br />
– Scorseses Eltern sprechen von ihren Erfahrungen und<br />
Ansichten – und nebenbei erfahren wir ein hervor -<br />
ragendes Kochrezept. – AMERICAN BOY: A PROFILE<br />
OF STEVEN PRINCE – USA 1978 – R: Martin Scorsese<br />
– B: Mardik Martin, Julia Cameron – K: Michael Chapman<br />
– Mit Steven Prince, Martin Scorsese, Mardik Martin,<br />
Julia Cameron – 54 min, OF – Stephen Prince, der<br />
in TAXI DRIVER den Waffenhändler spielte, erzählt haarsträubende<br />
Begebenheiten aus seinem Leben.<br />
▶ Freitag, 14. September 2012, 21.00 Uhr<br />
ALICE DOESN’T LIVE HERE ANYMORE (ALICE LEBT<br />
HIER NICHT MEHR) – USA 1974 – R: Martin Scorsese<br />
– B: Robert Getchell – K: Kent L. Wakeford – M: Richard<br />
LaSalle – D: Ellen Burstyn, Kris Kristofferson,<br />
Diane Ladd, Jodie Foster, Harvey Keitel – 112 min, OF<br />
– Als Alice Hyatts Mann durch einen Unfall ums Leben<br />
kommt, hofft sie ihre frühere Gesangskarriere wieder<br />
aufnehmen zu können. Der Weg mit ihrem Sohn in ein<br />
neues Leben ist schwer und desillusionierend. Treibende<br />
Kraft hinter diesem Film war Hauptdarstellerin<br />
Ellen Burstyn, die stark in der Frauenbewegung engagiert<br />
war: »Ich rief Francis Coppola an und fragte ihn<br />
nach jungen, aufregenden Filmemachern. Er sagte, ich<br />
solle mir MEAN STREETS ansehen, der damals noch<br />
nicht herausgekommen war. Genau sowas suchten wir,<br />
denn unser Drehbuch war sehr gut geschrieben, aber<br />
ein bisschen zu glatt. Ich wollte was Rauheres.«<br />
▶ Samstag, 15. September 2012, 21.00 Uhr ▶▶ Dienstag,<br />
18. September 2012, 18.30 Uhr<br />
TAXI DRIVER – USA 1976 – R: Martin Scorsese – B:<br />
Paul Schrader – K: Michael Chapman – M: Bernard<br />
Herrmann – D: Robert De Niro, Cybill Shepherd, Albert<br />
Brooks, Harvey Keitel, Jodie Foster, Peter Boyle, Martin<br />
Scorsese – 110 min, OmU – Travis Bickle, 26 Jahre alt,<br />
Vietnamveteran, fährt nachts in New York Taxi. Vom<br />
Elend und der Gewalt rund um ihn zugleich angewidert<br />
und angezogen, entwickelt er Erlöserphantasien. Paul<br />
Schrader fuhr selber Taxi, als er das Drehbuch verfasste,<br />
er wohnte in seinem Auto. Für ihn war die Verarbeitung<br />
seiner Situation die Rettung. Die brillante<br />
Filmmusik mit ihrer schizoiden Gespaltenheit zwischen<br />
zwei Musikstilen war der letzte Score, den der einzig -<br />
artige Bernard Herrmann einspielte: Er starb in der<br />
Nacht nach der letzten Session.<br />
▶ Sonntag, 16. September 2012, 21.00 Uhr ▶▶ Mittwoch,<br />
19. September 2012, 18.30 Uhr<br />
NEW YORK, NEW YORK – USA 1976 – R: Martin Scorsese<br />
– B: Earl Mac Rauch, Mardik Martin – K: Laszlo<br />
Kovacs – M: Ralph Burns – D: Liza Minnelli, Robert De<br />
Niro, Lionel Stander, Barry Primus, Mary Kay Place,<br />
Georgie Auld – 163 min, OF – 1945 tun sich der Saxophonist<br />
Jimmy und die Sängerin Francine zusammen<br />
und bauen eine gemeinsame Big-Band-Karriere auf.<br />
Als Francines Weg nach Hollywood führt, hat der drogensüchtige<br />
Jimmy Angst, abgehängt zu werden. Scorsese<br />
schuf in enger Zusammenarbeit mit den<br />
Architekten, Ausstattern und Kostümbildnern ein modernes<br />
Hollywood-Musical über die Big-Band-Ära der<br />
1950er Jahre. Sein Kameramann Laszlo Kovacs vollbrachte<br />
das Kunststück, den klassischen Technicolor-<br />
Look wiederauferstehen zu lassen.<br />
▶ Freitag, 21. September 2012, 21.00 Uhr ▶▶ Dienstag,<br />
25. September 2012, 19.00 Uhr<br />
THE LAST WALTZ (THE BAND) – USA 1978 – R+B:<br />
Martin Scorsese – K: Michael Chapman, Laszlo Kovacs,<br />
Vilmos Zsigmond, David Myers, Bobby Byrne, Michael<br />
Watkins, Hiro Narita – Mit Robbie Robertson, Rick<br />
Danko, Levon Helm, Garth Hudson, Richard Manuel,<br />
Bob Dylan, Joni Mitchell, Neil Diamond, Emmylou Harris,<br />
Neil Young, Van Morrison, Eric Clapton, Ringo Starr,<br />
Martin Scorsese – 117 min, OF – Das monumentale
Jerry Lewis und Robert De Niro in THE KING OF COMEDY<br />
Abschiedskonzert der kanadischen Formation The<br />
Band brachte eine unglaubliche Zahl von Musikstars<br />
als »Gastmusiker« auf die Bühne. Scorsese verdichtete<br />
die fünf Stunden des Konzerts auf knapp zwei Stunden<br />
und schuf einen Meilenstein des Konzertfilms. Gespräche<br />
mit den Musikern vermitteln die Geschichte von<br />
The Band.<br />
▶ Samstag, 22. September 2012, 21.00 Uhr<br />
RAGING BULL (WIE EIN WILDER STIER) – USA 1980<br />
– R: Martin Scorsese – B: Paul Schrader, Mardik Martin,<br />
nach der Autobiographie von Jake LaMotta – K:<br />
Michael Chapman – D: Robert De Niro, Cathy Moriarty,<br />
Joe Pesci, Frank Vincent, Nicholas Colasanto –<br />
129 min, OmU – Die Geschichte Jake LaMottas, des<br />
ehemaligen Boxweltmeisters im Mittelgewicht, ist<br />
weder eine faktentreue Biographie noch nur ein Film<br />
übers Boxen. RAGING BULL erzählt vielmehr von Ängsten<br />
– Angst vor Sex, Angst um die eigene bröckelige<br />
Identität –, die in Gewalt nach außen und innen münden,<br />
ohne je bewältigt zu werden, und von (auch religiös<br />
motivierten) Schuldgefühlen. Alle Schläge im Ring<br />
helfen da nicht, und erst als Jake eingesperrt wird, stellt<br />
er sich seinem wahren Feind – sich selber. Der radikal<br />
stilisierte Film wurde in brilliantem Schwarzweiß gedreht.<br />
▶ Sonntag, 23. September 2012, 21.00 Uhr ▶▶ Mittwoch,<br />
26. September 2012, 18.30 Uhr<br />
THE KING OF COMEDY – USA 1983 – R: Martin Scorsese<br />
– B: Paul D. Zimmerman – K: Fred Schuler – M:<br />
Robbie Robertson – D: Robert De Niro, Jerry Lewis,<br />
Sandra Bernhard, Diahnne Abbott, Ed Herlihy, Lou<br />
Brown – 109 min, OF – Rupert Pupkin ist von der<br />
Vorstellung einer eigenen Talkshow besessen. Er beschließt<br />
sein Idol, den Fernsehstar Jerry Langford, zu<br />
entführen und einen Fernsehauftritt zu erpressen. Ein<br />
Film voller umwerfender, schmerzhafter Komik, und<br />
doch keine Komödie, sondern eher eine Farce mit Trauerrand,<br />
die ein präzises Bild der Medienwelt zeichnet.<br />
▶ Freitag, 28. September 2012, 21.00 Uhr ▶▶ Dienstag,<br />
16. Oktober 2012, 18.30 Uhr<br />
AFTER HOURS (DIE ZEIT NACH MITTERNACHT) –<br />
USA 1985 – R: Martin Scorsese – B: Joseph Minion –<br />
K: Michael Ballhaus – M: Howard Shore – D: Griffin<br />
Dunne, Rosanna Arquette, Verna Bloom, Thomas<br />
Chong, Teri Garr – 97 min, OF – Beim Versuch, sich<br />
nachts auf eigene Faust in Manhattan durchzuschlagen,<br />
gerät Paul Hackett in haarsträubende Verstrickungen<br />
und irrwitzige Katastrophen. Michael Ballhaus’ entfesselte<br />
Kamera liefert die perfekten Bilder für Scorseses<br />
Groteske voll schwarzem, grimmigem Humor und<br />
absurder Komik. – MIRROR, MIRROR – USA 1985 –<br />
R: Martin Scorsese – B: Joseph Minion – K: Robert M.<br />
Stevens – M: Michael Kamen – D: Sam Waterston,<br />
Martin Scorsese<br />
23
Martin Scorsese<br />
24<br />
THE LAST TEMPTATION OF CHRIST<br />
Helen Shaver, Dick Cavett, Tim Robbins, Dana Gladstone<br />
– 24 min, OF – Episode aus Steven Spielbergs<br />
Fernsehserie AMAZING STORIES: Nachdem sich ein erfolgreicher<br />
Autor von Gruselromanen in einer Talkshow<br />
über seine eigene Zunft lustig gemacht hat, sieht er im<br />
Spiegel eine geheimnisvolle Gestalt, die ihn bedroht.<br />
▶ Samstag, 29. September 2012, 21.00 Uhr ▶▶ Mittwoch,<br />
17. Oktober 2012, 18.30 Uhr<br />
ROUND MIDNIGHT (UM MITTERNACHT) – USA 1986<br />
– R: Bertrand Tavernier – B: David Rayfiel, Bertrand<br />
Tavernier – K: Bruno de Keyzer – M: Herbie Hancock –<br />
D: Dexter Gordon, François Cluzet, Gabrielle Haker,<br />
Sandra Reaves-Phillips, Herbie Hancock, Martin Scorsese,<br />
Philippe Noiret – 133 min, OF – Die Jazzszene in<br />
New York und Paris in den 1950er Jahren. Im Blue<br />
Note tritt der alkoholkranke Tenorsaxophonist Dale Turner<br />
auf, der Züge von Lester Young und Bud Powell in<br />
sich vereint. Ein Fan versucht ihm dabei zu helfen, sich<br />
vom Trinken zu befreien. Als Scorsese mit seinem Produzenten<br />
Irwin Winkler für Vorbereitungen zu THE LAST<br />
TEMPTATION OF CHRIST in Paris war, trafen sich die<br />
beiden mit Tavernier zum Essen. »Das Ergebnis des<br />
Mittagessens war, dass Bertrand mich bat, in seinem<br />
Film mitzuspielen. Er sagte, wenn ich spreche, hört<br />
man sofort New York heraus. Das würde ihm eine Men -<br />
ge establishing shots ersparen.« (Mar tin Scorsese)<br />
▶ Sonntag, 30. September 2012, 21.00 Uhr<br />
BAD – USA 1987 – R: Martin Scorsese – B: Richard<br />
Price – K: Michael Chapman – D: Michael Jackson,<br />
Adam Nathan, Wesley Snipes, Paul Chalderon, Roberta<br />
Flack – 16 min, OF – Wer nur das Musikvideo zu Michael<br />
Jacksons BAD kennt, hat noch gar nichts gesehen:<br />
Der komplette Kurzfilm erzählt eine Geschichte<br />
von großen Hoffnungen und verlorenen Wurzeln, von<br />
Selbstachtung und street credibility. – THE COLOR OF<br />
MONEY (DIE FARBE DES GELDES) – USA 1986 – R:<br />
Martin Scorsese – B: Richard Price, nach dem Roman<br />
von Walter Tevis – K: Michael Ballhaus – M: Robbie Robertson<br />
– D: Paul Newman, Tom Cruise, Mary Elizabeth<br />
Mastrantonio, Helen Shaver, John Turturro –<br />
119 min, OF – Ein alternder Poolbillardspieler nimmt<br />
ein junges Talent unter seine Fittiche und vermittelt ihm<br />
die Psychologie des Spiels und die Kunst des Abzockens.<br />
Paul Newman brilliert in seiner Rolle und erhielt<br />
seinen einzigen Oscar als bester Darsteller, Michael<br />
Ballhaus lässt seine Kamera kreisen.<br />
▶ Sonntag, 14. Oktober 2012, 21.00 Uhr<br />
THE LAST TEMPTATION OF CHRIST (DIE LETZTE<br />
VERSUCHUNG CHRISTI) – USA 1988 – R: Martin Scorsese<br />
– B: Paul Schrader, nach dem Roman von Nikos<br />
Kazantzakis – K: Michael Ballhaus – M: Peter Gabriel –<br />
D: Willem Dafoe, Harvey Keitel, Paul Greco, Verna<br />
Bloom, Barbara Hershey, John Lurie – 163 min, OF –<br />
Der Schreiner Jesus ringt mit mystischen Visionen, mit<br />
Versuchungen und mit seinen Schuldgefühlen, da er<br />
für die Römer Kreuze zimmert. Als er selbst ans Kreuz<br />
geschlagen wird, träumt er davon, seinem Schicksal zu<br />
entgehen und ein ganz gewöhnliches Leben zu führen.<br />
Der Film löste heftige Proteste aus. Religiöse Funda-
mentalisten erhoben Vorwürfe von Blasphemie und Sakrileg,<br />
natürlich ohne den Film gesehen zu haben.<br />
▶ Freitag, 19. Oktober 2012, 21.00 Uhr<br />
NEW YORK STORIES (NEW YORKER GESCHICHTEN)<br />
– USA 1989 – R: Martin Scorsese, Francis Ford Coppola,<br />
Woody Allen – B: Richard Price, Francis Ford Coppola,<br />
Sofia Coppola, Woody Allen – K: Nestor Almendros,<br />
Vittorio Storaro, Sven Nykvist – D: Nick Nolte,<br />
Rosanna Arquette, Patrick O’Neal, Heather McComb,<br />
Giancarlo Giannini, Woody Allen, Mia Farrow – 124<br />
min, OF – Drei Vignetten: Scorseses LIFE LESSONS<br />
zeigt einen erfolgreichen Maler, der sich im Kunstbetrieb<br />
aufreibt und eine private Krise heraufbeschwört.<br />
In Coppolas LIFE WITHOUT ZOE bringt die 12jährige<br />
Tochter ihre zerstrittenen Eltern wieder zusammen. In<br />
Woody Allens OEDIPUS WRECKS fühlt sich der Klient<br />
eines Therapeuten von seiner Mutter tyrannisiert, die<br />
riesengroß im Himmel über New York erscheint.<br />
▶ Samstag, 9. November 2012, 21.00 Uhr<br />
GOODFELLAS – USA 1990 – R: Martin Scorsese – B:<br />
Nicholas Pileggi, Martin Scorsese, nach dem Roman<br />
»Wiseguy« von Nicholas Pileggi – K: Michael Ballhaus –<br />
D: Robert De Niro, Ray Liotta, Joe Pesci, Lorraine<br />
Bracco, Paul Sorvino, Frank Sivero, Catherine Scorsese<br />
– 146 min, OF – Die Lebenserinnerungen von Henry<br />
Hill, der von klein auf den Traum hatte, Karriere in der<br />
Mafia zu machen. Scorsese gelang eine weder romantisierende<br />
noch moralisierende Darstellung der Gangster.<br />
Er wusste sofort, wie der Film aussehen sollte:<br />
»GOODFELLAS sollte wie ein Revolverschuss beginnen<br />
und dann immer schneller werden, wie ein zweieinhalbstündiger<br />
Trailer. Nur so kann man den rauschhaften<br />
Lebensstil spüren und verstehen, warum er auf<br />
viele Leute so anziehend wirkt.«<br />
▶ Mittwoch, 7. November 2012, 19.00 Uhr (Zu Gast:<br />
Michael Ballhaus) ▶▶ Samstag, 10. November 2012,<br />
21.00 Uhr<br />
DREAMS (AKIRA KUROSAWAS TRÄUME) – Japan<br />
1990 – R+B: Akira Kurosawa – K: Takao Saitô, Shôji<br />
Ueda – M: Shinichirô Ikebe – D: Akira Terao, Misuko<br />
Baishô, Chishû Ryû, Martin Scorsese, Mieko Harada –<br />
119 min, OmeU – In acht »Träumen« lässt Kurosawa<br />
sein Alter Ego Stationen von der Kindheit bis ins hohe<br />
Alter besuchen. Angeblich dienten Kurosawa seine eigenen<br />
Träume als Vorbilder für die Episoden. Doch<br />
nicht nur deshalb ist dies wohl sein persönlichster Film.<br />
Hier wird die Besinnung auf seine in der Malerei liegenden<br />
Wurzeln offensichtlich: In der Episode »Die Krähen«<br />
streift sein Alter Ego durch eine Ausstellung mit Gemälden<br />
von Vincent van Gogh, steigt buchstäblich in eines<br />
der Bilder hinein und begegnet dem Künstler, der von<br />
Martin Scorsese gespielt wird.<br />
▶ Sonntag, 11. November 2012, 21.00 Uhr<br />
THE KEY TO RESERVA (DER SCHLÜSSEL ZU RE-<br />
SERVA) – USA 2007 – R: Martin Scorsese – B: Ted<br />
Griffin – K: Harris Savides – M: Bernard Herrmann – D:<br />
Simon Baker, Kelli O’Hara, Michael Stuhlbarg, Christopher<br />
Denham, Martin Scorsese – 10 min, OF – Scorsese<br />
verfilmt ein Drehbuchfragment »aus Alfred Hitchcocks<br />
Nachlass«. Ein ganz und gar im Stil des Meisters<br />
gehaltener Kurzfilm, der seine zweifelhafte Herkunft zugleich<br />
ironisch reflektiert. – CAPE FEAR (KAP DER<br />
ANGST) – USA 1991 – R: Martin Scorsese – B: Wesley<br />
Strick, nach dem Roman »The Executioners« von John<br />
D. MacDonald – K: Freddie Francis – M: Bernard Herrmann<br />
– D: Robert De Niro, Nick Nolte, Jessica Lange,<br />
Juliette Lewis, Robert Mitchum, Gregory Peck –<br />
128 min, OmU – Max Cady, aus dem Gefängnis entlassen,<br />
hat nur ein Ziel: Rache an seinem Anwalt Sam<br />
Bowden, dem er die Schuld an seiner Haftstrafe wegen<br />
Vergewaltigung gibt. Scorseses Remake eines Thrillers<br />
von 1962 adaptiert dieselbe Filmmusik und lässt die<br />
Hauptdarsteller des Originals in Nebenrollen auftreten.<br />
▶ Sonntag, 18. November 2012, 21.00 Uhr<br />
LOLA MONTEZ – BRD 1955 – R: Max Ophüls – B: Max<br />
Ophüls, Jacques Natanson, Annette Wademant, Franz<br />
Geiger – K: Christian Matras – M: Georges Auric – D:<br />
Martine Carol, Peter Ustinov, Adolf Wohlbrück, Oskar<br />
Werner, Henri Guisol, Lise Delamare – 116 min – Die<br />
Geschichte der legendären Tänzerin Lola Montez, die<br />
zur Mätresse Ludwigs I. aufsteigt, als große, farbenprächtige<br />
Zirkusschau. Michael Ballhaus durfte als<br />
Achtzehnjähriger in München bei den Dreharbeiten zu-<br />
Martin Scorsese<br />
25
Martin Scorsese<br />
26<br />
schauen: »Was ich schon alles geklaut habe von diesem<br />
Film – bis ins Detail! Es gibt Einstellungen in THE<br />
AGE OF INNOCENCE, die sich unmittelbar an LOLA<br />
MONTEZ orientieren. Wie Ophüls mit dem Format umgegangen<br />
ist, mal wirklich Breitwand und dann wieder<br />
fast quadratisch, das hat bis heute niemand mehr so<br />
raffiniert geschafft. Wir haben es in THE AGE OF INNO-<br />
CENCE wenigstens ansatzweise hingekriegt.«<br />
▶ Mittwoch, 21. November 2012, 18.30 Uhr (Zu Gast:<br />
Michael Ballhaus)<br />
THE AGE OF INNOCENCE (ZEIT DER UNSCHULD) –<br />
USA 1993 – R: Martin Scorsese – B: Jay Cocks, Martin<br />
Scorsese, nach dem Roman von Edith Wharton – K: Michael<br />
Ballhaus – M: Elmer Bernstein – D: Daniel Day-<br />
Lewis, Michelle Pfeiffer, Winona Ryder, Miriam Margolyes,<br />
Geraldine Chaplin, Richard E. Grant – 138 min,<br />
OF – Ein wohlhabender junger Anwalt im New York der<br />
1870er Jahre riskiert seine Karriere, als er eine Gräfin<br />
kennenlernt. Unter allen Filmen Scorseses zeigt dieser<br />
am deutlichsten Einflüsse von Visconti, Ophüls und<br />
Rossellini. Der visuelle Stil des Films in Ausstattung,<br />
Kostümen, Darstellung, Bildgestaltung ist lyrisch,<br />
schwebend, romantisch, hinreißend. Michael Ballhaus’<br />
Kamera ist unaufhörlich in Bewegung, die komplexe<br />
Choreographie der Darsteller wirkt völlig ungezwungen.<br />
▶ Mittwoch, 21. November 2012, 21.00 Uhr (Zu Gast: Mi -<br />
chael Ballhaus) ▶ Freitag, 23. November 2012, 21.00 Uhr<br />
CASINO – USA 1995 – R: Martin Scorsese – B: Nicholas<br />
Pileggi, Martin Scorsese – K: Robert Richardson –<br />
D: Robert De Niro, Sharon Stone, Joe Pesci, James<br />
Woods, Frank Vincent, Kevin Pollak – 178 min, OmU –<br />
Sam leitet in den 1970ern ein Casino in Las Vegas für<br />
die Mafia, sein alter Freund Nicky ist der Mann fürs<br />
Grobe. Ausgerechnet die drogensüchtige Prostituierte<br />
Ginger bringt das kleine Reich der beiden ins Wanken.<br />
»Scorsese kann die Vergangenheit vergrößern und verklären,<br />
ohne seinen erbarmungslos genauen Realismus<br />
aufzugeben, ohne die (meist brutale) Wahrheit der<br />
Glücksspielstadt verschweigen zu müssen. ›Las Vegas,<br />
das war für Spieler das, was Lourdes für Gebrechliche<br />
und Verkrüppelte war‹, sagt De Niro einmal. Genauso<br />
hat der Katholik Scorsese die Stadt mit inbrünstiger<br />
Wahrheit dargestellt.« (Hellmuth Karasek)<br />
▶ Samstag, 24. November 2012, 21.00 Uhr ▶▶ Dienstag,<br />
27. November 2012, 19.00 Uhr<br />
A PERSONAL JOURNEY WITH MARTIN SCORSESE<br />
THROUGH AMERICAN MOVIES (EINE REISE DURCH<br />
DEN AMERIKANISCHEN FILM) – USA 1995 – R+B:<br />
Martin Scorsese, Michael Henry Wilson – K: Jean-Yves<br />
Escoffier – M: Elmer Bernstein – Mit Martin Scorsese,<br />
Kathryn Bigelow, Clint Eastwood, Francis Ford Coppola,<br />
Brian de Palma, Samuel Fuller, Gregory Peck, George<br />
Lucas, Arthur Penn, Billy Wilder – 225 min, OF – Scorseses<br />
Reise beginnt bei Meistern des Stummfilms wie<br />
D. W. Griffith und endet 1969, als er seine eigene Filmkarriere<br />
begann: »Ich fände es anmaßend, meine eigenen<br />
Filme oder die meiner Zeitgenossen zu kommentieren.«<br />
Das Ergebnis ist hypnotisch, mitreißend, aufregend,<br />
erhellend. Es gibt kaum eine andere Dokumentation,<br />
die so brennende Begeisterung transportiert und<br />
so unbändige Lust aufs Kino weckt.<br />
▶ Dienstag, 6. November 2012, 19.00 Uhr<br />
KUNDUN – USA 1997 – R: Martin Scorsese – B: Melissa<br />
Mathison – K: Roger Deakins – M: Philip Glass –<br />
D: Tenzin Thuthob Tsarong, Gyurme Thetong, Tencho<br />
Gyalpo, Tsewang Migyur Khangsar, Sonam Phuntsoik –<br />
THE AGE OF INNOCENCE
134 min, OmU – Ein Spielfilm über die Jugend von Tenzin<br />
Gyatso, dem 14. Dalai Lama, linear erzählt von<br />
1937 in Tibet bis 1959 im indischen Exil. »KUNDUN ist<br />
kein Film der großen Emotionen und kein Film, der Charaktere<br />
oder Story in den Vordergrund stellt. Kein Film,<br />
der viel erklärt oder Zusammenhänge und Motivationen<br />
ausbreitet. KUNDUN ist ein ungemein sinnlicher Film,<br />
der es versteht, durch Farbe, Rhythmus, Klang in seinen<br />
visionären Bann zu ziehen, den man nach einiger<br />
Zeit fast wie in Trance erlebt. Ein grandioser Rausch<br />
der Bilder und der Musik.« (Thomas Willmann)<br />
▶ Sonntag, 25. November 2012, 21.00 Uhr<br />
BRINGING OUT THE DEAD – USA 1999 – R: Martin<br />
Scorsese – B: Paul Schrader, nach dem Roman von<br />
Joe Connelly – K: Robert Richardson – M: Elmer Bernstein<br />
– D: Nicolas Cage, Patricia Arquette, John Goodman,<br />
Ving Rhames, Tom Sizemore, Mary Beth Hurt –<br />
121 min, OF – Der Rettungssanitäter Frank Pierce ist<br />
überarbeitet und erschöpft, dem Zusammenbruch<br />
nahe; die Geister derer, die er nicht zu retten vermochte,<br />
verfolgen ihn. Ein period picture vor der kosmetischen<br />
Verschönerung New Yorks, der Müll ist<br />
Requisite. Übergroße Close-Ups, schwindelerregende<br />
Kameraperspektiven, Schnittgewitter, Reißschwenks,<br />
Zeitlupe, Zeitraffer, Varispeed, digitale Effekte – was in<br />
den Händen anderer nur Mätzchen für Überwältigungskino<br />
sind, ist bei Scorsese funktional und mit Bedacht<br />
als Stilmittel gesetzt.<br />
▶ Freitag, 30. November 2012, 21.00 Uhr ▶▶ Mittwoch,<br />
5. Dezember 2012, 18.30 Uhr<br />
IL MIO VIAGGIO IN ITALIA (MEINE ITALIENISCHE<br />
REISE) – USA 2001 – R: Martin Scorsese – B: Suso<br />
Cecchi d’Amico, Raffaele Donato, Kent Jones, Martin<br />
Scorsese – K: Phil Abraham – D: Martin Scorsese –<br />
246 min, OmeU – Scorsese entdeckte das italienische<br />
Kino, als er zu Hause im Fernsehen Klassiker wie<br />
PAISA und ROMA CITTA APERTA von Roberto Rossellini<br />
sah. Seine Begeisterung für den Neorealismus geht<br />
einher mit der Suche nach seinen Wurzeln, nach seiner<br />
eigenen Familiengeschichte und der italienischen Kultur.<br />
Scorseses Blick auf die italienische Filmgeschichte<br />
ist einer seiner schönsten und persönlichsten Filme. Er<br />
betrachtet die etablierten Klassiker aus ungewohnter<br />
Perspektive und lenkt unsere Aufmerksamkeit auch auf<br />
vergessene und marginalisierte Filme.<br />
▶ Dienstag, 20. November 2012, 19.00 Uhr<br />
GANGS OF NEW YORK – USA 2002 – R: Martin Scorsese<br />
– B: Jay Cocks, Steven Zaillian, Kenneth Lonergan,<br />
nach einem Buch von Herbert Ashbury – K: Michael<br />
Ballhaus – M: Howard Shore – D: Leonardo Di-<br />
Caprio, Daniel Day-Lewis, Cameron Diaz, Jim Broadbent,<br />
John C. Reilly, Liam Neeson – 168 min, OmU –<br />
Eine lange schwelende Rachegeschichte vollendet sich<br />
vor dem Hintergrund der New Yorker draft riots im Juli<br />
1863, als sich Slumbewohner gegen die Zwangsein -<br />
berufung im Bürgerkrieg erhoben und die Kriegsmarine<br />
mit Kanonen in die Menge feuern ließ. Scorsese ließ für<br />
sein breit angelegtes Epos um die Entstehung der modernen<br />
amerikanischen Demokratie im römischen<br />
Cine città-Filmstudio ganze Straßenzüge und das Hafengelände<br />
am East River von Dante Ferretti nachbauen.<br />
▶ Mittwoch, 28. November 2012, 19.00 Uhr ▶▶ Samstag,<br />
1. Dezember 2012, 21.00 Uhr<br />
THE NEIGHBORHOOD – USA 2001 – R: Martin Scorses<br />
– B: Kent Jones, Martin Scorsese – K: Antonio Ferrara<br />
– Mit Martin Scorsese, Francesca Scorsese, Marie<br />
GANGS OF NEW YORK<br />
Martin Scorsese<br />
27
Martin Scorsese<br />
28<br />
Albanese – 7 min, OF – In seinem Beitrag für das als<br />
Reaktion auf die Anschläge vom 11. September 2001<br />
organisierte »Concert for New York« besucht Scorsese<br />
mit seiner Tochter die Elizabeth Street, in der er aufwuchs<br />
– FEEL LIKE GOING HOME – USA 2003 – R:<br />
Martin Scorsese – B: Peter Guralnick – K: Arthur Jafa –<br />
Mit Corey Harris, Sam Carr, Willie King, Taj Mahal,<br />
John Lee Hooker, Salif Keita – 83 min, OmU – Auf der<br />
Suche nach den Wurzeln des Blues fährt der Musiker<br />
Corey Harris ins Mississippi-Delta und von dort aus weiter<br />
bis nach Mali.<br />
▶ Sonntag, 2. Dezember 2012, 21.00 Uhr<br />
THE AVIATOR – USA 2004 – R: Martin Scorsese – B:<br />
John Logan – K: Robert Richardson – M: Howard Shore<br />
– D: Leonardo DiCaprio, Cate Blanchett, Kate Beckinsale,<br />
John C. Reilly, Alec Baldwin, Alan Alda, Ian Holm,<br />
Jude Law – 169 min, OmU – Das komplizierte Leben<br />
des Multimilliardärs, Luftfahrtpioniers und Filmproduzenten<br />
Howard Hughes. Ein besonderes Stilmittel von<br />
THE AVIATOR ist die Farbgebung: Die Jahre bis 1935<br />
sind in einer reduzierten Palette von Rot- und Blau -<br />
tönen gehalten, die an das damalige Multicolor-Verfahren<br />
angelehnt ist (Hughes war der Eigentümer von Multicolor).<br />
Die späteren Geschehnisse sind farblich den<br />
satten Technicolor-Tönen nachempfunden. In einigen<br />
Szenen fanden historische Schwarz-weiß-Materialien<br />
Verwendung, die entsprechend koloriert wurden.<br />
▶ Freitag, 7. Dezember 2012, 21.00 Uhr<br />
NO DIRECTION HOME: BOB DYLAN – USA 2005 –<br />
R+B: Martin Scorsese – K: Mustapha Barat, Maryse Alberti,<br />
Oliver Bokelberg, Anghel Decca, Ken Druckerman,<br />
Ellen Kuras, James Miller, James Reed, Lisa Ritzler,<br />
Michael Spiller – Mit Bob Dylan, Pete Seeger, Joan<br />
Baez, Mavis Staples, Don Alan Pennebaker – 207 min,<br />
OmU – Eher das Portrait einer Ära als eine schlichte<br />
Musikerbiographie. Der Fokus liegt auf den Jahren<br />
1961–66, in denen Bob Dylan vom Folksänger zum<br />
Protestsänger wurde, dann als Stimme einer ganzen<br />
Generation galt, sich schließlich zum Popstar im Folk -<br />
rock wandelte, ehe er nach seinem Motorradunfall<br />
1966 seinen Abschied vom Tourneebetrieb verkündete,<br />
an dem er acht Jahre festhielt.<br />
▶ Sonntag, 9. Dezember 2012, 19.00 Uhr<br />
THE DEPARTED (UNTER FEINDEN) – USA 2006 – R:<br />
Martin Scorsese – B: William Monahan, nach dem Film<br />
INFERNAL AFFAIRS von Alan Mak und Felix Chong – K:<br />
Michael Ballhaus – M: Howard Shore – D: Leonardo Di-<br />
Caprio, Matt Damon, Jack Nicholson, Mark Wahlberg,<br />
Martin Sheen, Vera Farmiga, Alec Baldwin – 151 min,<br />
OmU – Billy und Colin sind Nachwuchsbeamte der<br />
Staatspolizei in Massachusetts: Der eine soll als Undercover-Agent<br />
den Kopf des Bostoner Syndikats, Frank<br />
Costello, zu Fall bringen, der andere wurde von Costello<br />
in die Polizei eingeschleust. Beide geben ihr In -<br />
siderwissen an ihre wahren Auftraggeber weiter, beide<br />
sind durch ihre Doppelleben innerlich zerrissen. Das<br />
Remake eines Hong Kong-Thrillers ist angespannter<br />
und überdrehter, als es für US-Krimis üblich ist.<br />
▶ Samstag, 8. Dezember 2012, 21.00 Uhr ▶ Mittwoch,<br />
12. Dezember 2012, 19.00 Uhr<br />
SHINE A LIGHT – USA 2008 – R+B: Martin Scorsese –<br />
K: Robert Richardson – Mit Mick Jagger, Keith Richards,<br />
Charlie Watts, Ron Wood, Christina Aguilera,<br />
Bill Clinton, Hillary Clinton, Martin Scorsese – 122 min,<br />
OmU – Mitschnitt zweier Konzerte der Rolling Stones<br />
im New Yorker Beacon Theatre im Jahr 2006. Eines<br />
THE AVIATOR
davon war eine Geburtstagsgala für Bill Clinton. »Das<br />
Intro des Films zeigt die Vorbereitungen für das zu filmende<br />
Konzertereignis in der Form eines making of, in<br />
dem es um die Bühne und um die Kameras, auch um<br />
die set list geht und die Abstimmung der Inszenierung<br />
auf die zu erwartenden Songs – eine spielerische Koketterie,<br />
die sich mehr und mehr zu Selbstironie auswächst.<br />
Und dann geht’s los, mit ›Jumping Jack Flash‹,<br />
viel Energie und einer Menge Rock’n’Roll.« (Harald<br />
Mühlbeyer)<br />
▶ Freitag, 14. Dezember 2012, 21.00 Uhr<br />
SHUTTER ISLAND – USA 2010 – R: Martin Scorsese –<br />
B: Laeta Kalogridis, nach dem Roman von Dennis Lehane<br />
– K: Robert Richardson – M: Robbie Robertson –<br />
D: Leonardo DiCaprio, Mark Ruffalo, Ben Kingsley, Max<br />
von Sydow, Michelle Williams, Emily Mortimer –<br />
138 min, OmU – Ein suggestiver Horror-Thriller, eine<br />
virtuos inszenierte Welt der falschen Fährten und psychologischen<br />
Traumgespinste, die die Zuschauer in ein<br />
doppelbödiges Spiel zwischen Wahn und Wirklichkeit<br />
verwickeln. Eine Hommage an das klassische Paranoia-<br />
Kino der McCarthy-Ära. »Für unsere Kriege, unsere<br />
Terrorangst, unseren Sicherheits- und Gesundheitswahn<br />
findet Scorsese einen Spiegel in den 1950er Jahren.<br />
Schwarze Aufklärung über die Nähe von Wahnsinn<br />
und Gesellschaft.« (Rüdiger Suchsland)<br />
▶ Samstag, 15. Dezember 2012, 21.00 Uhr ▶▶ Dienstag,<br />
18. Dezember 2012, 18.30 Uhr<br />
PUBLIC SPEAKING – USA 2010 – R+B: Martin Scorsese<br />
– K: Ellen Kuras – M: Joe Rudge – Mit Fran Lebowitz,<br />
Ivo Juhani, Graydon Carter, Martin Scorsese –<br />
84 min, OF – Unterhaltsame und aufschlussreiche Dokumentation<br />
über Fran Lebowitz, die in den frühen<br />
1970er Jahren die New Yorker Literatenszene betrat<br />
und von Andy Warhol für eine Kolumne in seinem Magazin<br />
»Interview« verpflichtet wurde. Es ist ein Monolog,<br />
in dem Lebowitz rhetorisch brillant und mit bissiger<br />
Komik über Gott und die Welt, das Rauchen, Touristen<br />
in New York, die Wahrheit über Andy Warhols ›Superstars‹<br />
und die desaströse Entscheidung räsoniert, New<br />
York City in eine Touristenattraktion zu verwandeln.<br />
▶ Sonntag, 16. Dezember 2012, 21.00 Uhr<br />
A LETTER TO ELIA (EIN BRIEF AN ELIA) – USA 2010<br />
– R+B: Martin Scorsese, Kent Jones – K: Mark Raker –<br />
60 min, OF – Eine sehr persönliche Verbeugung Martin<br />
Scorseses vor seinem Regiekollegen Elia Kazan, der<br />
ihm ein wichtiges Vorbild war. Anhand zahlreicher Film -<br />
ausschnitte offenbart Scorsese, was Kazans Filme für<br />
das US-Kino allgemein und speziell für ihn bedeuten. –<br />
AMERICA, AMERICA (DIE UNBEZWINGBAREN) – USA<br />
1963 – R+B: Elia Kazan, nach seinem Roman – K:<br />
Haskell Wexler – M: Manos Hadjidakis – D: Stathis Giallelis,<br />
Frank Wolff, Harry Davis, Elena Karam, Estelle<br />
Hemsley, John Marley – 174 min, OF – Kurz vor 1900.<br />
Stavros Topouzoglou, Angehöriger der unterdrückten<br />
griechischen Minderheit in Anatolien, soll mit dem gesamten<br />
Geld der Familie nach Konstantinopel gehen<br />
und dort in den Teppichhandel eines Verwandten einsteigen.<br />
Doch er träumt davon, nach Amerika auszuwandern.<br />
Kazans Epos, das auf dem Leben seines Onkels<br />
basiert, ist eine der bewegendsten Darstellungen<br />
der immigrant experience.<br />
▶ Donnerstag, 20. Dezember 2012, 19.00 Uhr<br />
GEORGE HARRISON: LIVING IN THE MATERIAL<br />
WORLD – USA 2011 – R+B: Martin Scorsese – K: Robert<br />
Richardson – Mit Paul McCartney, Ringo Starr,<br />
Terry Gilliam, Jane Birkin, Eric Clapton, Ravi Shankar,<br />
Yoko Ono, Jackie Stewart, Olivia Harrison – 208 min,<br />
OmU – Dokumentarfilm über den englischen Musiker<br />
George Harrison. »Formal bleibt Scorsese im konventionellen<br />
Rahmen, mischt Archivmaterial mit Interviews<br />
und geht chronologisch vor. Zeitzeugen und Weggefährten<br />
kommen ausführlich zu Wort. Als Mensch, der<br />
sich gründlich auf die fernöstliche Meditation einließ,<br />
lebte Harrison ganz in der ›materiellen Welt‹. Mit dem<br />
Erfolg war er schnell zu Geld gekommen und zugleich<br />
einer inneren Leere gewahr geworden, die er mit Drogen<br />
und Hippie-Träumen zu überspielen versuchte.«<br />
(Roland Mörchen)<br />
▶ Samstag, 22. Dezember 2012, 19.00 Uhr<br />
HUGO 3D (HUGO CABRET) – USA 2011 – R: Martin<br />
Scorsese – B: John Logan, nach dem Roman von Brian<br />
Selznick – K: Robert Richardson – M: Howard Shore –<br />
D: Asa Butterfield, Ben Kingsley, Chloe Grace Moretz,<br />
Sacha Baron Cohen, Christopher Lee – 126 min, OmU<br />
– Scorseses Hommage an die Magie des Kinos und den<br />
Filmpionier Georges Méliès spielt im Paris der 1930er<br />
Jahre. »Der Bahnhof und die Züge, die raffinierten Uhrwerke<br />
und der kleine Automatenmensch, die Film -<br />
kamera und die Projektionstechnik sind hier alles andere<br />
als ›seelenlose‹ Maschinen; sie sind vielmehr<br />
handlungstragende Charaktere, Verlängerungen und<br />
Spiegelungen der menschlichen Figuren, Transportmittel<br />
für Assoziationen und metaphorische Bedeutungsebenen.«<br />
(Felicitas Kleiner)<br />
▶ Mittwoch, 19. Dezember 2012, 18.30 Uhr ▶▶ Freitag,<br />
21. Dezember 2012, 21.00 Uhr<br />
Martin Scorsese<br />
29
Prager Frühling<br />
30<br />
Die Tschechoslowakische Neue Welle<br />
der 1960er Jahre<br />
Die 1960er Jahre sind geprägt von Erneuerungsbewegungen<br />
des Kinos: Die nouvelle vague in Frankreich<br />
und das free cinema in England hatten Ende der<br />
1950er Jahre den Reigen eröffnet, das cinema novo<br />
in Brasilien, der Neue Deutsche Film in der Bundes -<br />
republik und letztendlich das New Hollywood sollten<br />
folgen. Auch in den osteuropäischen Ländern gab es<br />
im Zuge der Tauwetterperiode der Chruschtschow-Ära<br />
Aufbruchsbewegungen, die neue Formen des Autorenfilms<br />
gegen staatliche Gängelei und strenge inhaltliche<br />
Kontrollen durchzusetzen versuchten. In keinem Land<br />
aber debütierten innerhalb weniger Jahre so viele<br />
junge Filmemacher wie in der CSSR: Ab 1963 trat eine<br />
ganze Generation in Erscheinung, deren Filme in den<br />
kommenden Jahren auf allen internationalen Filmfestivals<br />
die höchsten Preise erhielten und sogar zwei Mal<br />
mit dem Oscar für den besten ausländischen Film ausgezeichnet<br />
wurden. Anders als in anderen Ländern war<br />
dies nicht nur ein Strohfeuer, das nach zwei oder drei<br />
Jahren wieder verlöscht war, sondern eine Bewegung,<br />
Prager Frühling<br />
die erst durch den Einmarsch der Truppen des Warschauer<br />
Pakts im August 1968 und die anschließenden<br />
Verbote zahlreicher Filme gestoppt wurde.<br />
Der Begriff »Prager Frühling« steht gemeinhin für das<br />
von der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei<br />
unter Alexander Dubček getragene Reformprojekt und<br />
den Versuch, einen »Sozialismus mit menschlichem<br />
Antlitz« aufzubauen. Diese Bewegung hatte aber ihren<br />
Vorlauf, der sich seit Anfang der 1960er Jahre in der<br />
CSSR bemerkbar machte und sich auf alle Künste erstreckte,<br />
insbesondere in der Literatur und beim Theater.<br />
Autoren wie Bohumil Hrabal und Milan Kundera lieferten<br />
Vorlagen für mehrere der Filme und arbeiteten<br />
selber an Drehbüchern mit. Die direkt nach dem Krieg<br />
eröffnete Filmfakultät an der Akademie der Musischen<br />
Künste (FAMU) in Prag wusste ihre Freiheiten auszunutzen<br />
und ihren Studenten einen unverstellten Blick<br />
auf gesellschaftliche Realitäten zu ermöglichen – fast<br />
alle wichtigen Filmregisseure der CSSR, die in den<br />
1960ern debütierten, durchliefen diese Schule. Die im<br />
Mai 1963 in Libice veranstaltete Kafka-Konferenz stieß<br />
nicht nur eine öffentliche Beschäftigung mit dem bis<br />
Evald Schorm, Pavel Bošek und Karel Mareš in VOM FEST UND DEN GÄSTEN
dahin in Osteuropa verfemten Werk Franz Kafkas<br />
an, sondern beflügelte den Kampf gegen Machtmissbrauch<br />
und Bürokratismus und für eine Welt der sozialen<br />
Demokratie, Initiative und Verantwortung. Jan Žalman<br />
beschrieb die Situation der 1950er Jahre folgendermaßen:<br />
»Zehn Jahre, einerseits erfüllt von einem<br />
messianischen Glauben an den Sozialismus und von<br />
Aufbaufieber, andererseits vom Kalten Krieg, von Isolation,<br />
von der Drohung einer atomaren Katastrophe und<br />
den Praktiken des Dogmatismus, brachten eine ›Erschütterung<br />
über den Verlust der Werte‹.«<br />
Die ersten Filme der Tschechoslowakischen Neuen<br />
Welle begnügten sich mit der möglichst realistischen<br />
Darstellung des Alltagslebens. »Auf der Leinwand war<br />
immer öfter die scheinbar nicht-stilisierte Welt der jungen<br />
Leute in deren authentischer Umgebung zu sehen,<br />
eine intim beleuchtete Welt von gewöhnlichen, nichtheldenhaften<br />
menschlichen Typen, die oft von Nicht-<br />
Schauspielern verkörpert wurden.« (Ivan Klimeš) Miloš<br />
Forman formulierte die Absichten seiner Filme sehr<br />
klar: Ȇblicherweise gilt als politischer Film nur der<br />
Film, in dem politische Inhalte dargestellt werden. Ich<br />
bin jedoch der Auffassung, dass auch Filme vollkommen<br />
unpolitischen Inhalts wie DIE LIEBE EINER BLON-<br />
DINE politisch sind. Denn der Tenor dieses Films ist die<br />
Überprüfung des eigenen Daseins, die Frage nach dem,<br />
was mit uns und um uns herum geschieht. Da liegt die<br />
Frage nach der Zukunft nicht mehr fern. Sicher wäre es<br />
möglich, engagierter und deutlicher zu argumentieren,<br />
auch andere Themen zu wählen, aber ich glaube, dass<br />
gerade jetzt, in dieser Situation, die nächste Frage die<br />
nach unseren eigenen Angelegenheiten sein soll, die<br />
Frage nach unseren individuellen Belangen. Dass es<br />
überhaupt möglich ist, einen Film darüber zu drehen,<br />
ist ein konkret politisches Zeichen. Vor einigen Jahren<br />
wäre das nach Kenntnis unserer Geschichte kaum<br />
denkbar gewesen.« Anders als die nouvelle vague in<br />
Frankreich oder das free cinema in England entwickelte<br />
der tschechoslowakische Film kein Starsystem, sondern<br />
definierte sich allein über seine Autoren und deren<br />
Sichtweisen.<br />
Der Episodenfilm PERLEN AUF DEM MEERESGRUND –<br />
zu dem auch noch der Kurzfilm GESAMMELTE ROHHEI-<br />
TEN zu zählen ist, der separat herausgebracht wurde –<br />
war das Manifest der jungen Filmemacher: Ausgehend<br />
von Kurzgeschichten Bohumil Hrabals zeigten sie ihre<br />
unterschiedlichen Handschriften. »Ein Politikum von<br />
gro ßer Tragweite verbarg sich auch im Prinzip der Originalität.<br />
Anders zu sehen als die anderen, enthielt ein<br />
Element des Trotzes und stellte eine unberechenbare,<br />
also unkontrollierbare Einzigartigkeit dar, die von der<br />
Macht Toleranz gegenüber alternativen Meinungen verlangte.<br />
Der Regisseur sollte nicht mehr nur der künstlerische<br />
Organisator einer Filminszenierung – um nicht<br />
fremder Gedanken zu sagen – sein, die Aussage über<br />
seine eigene Sichtweise der Welt wurde zum obersten<br />
Prinzip.« (Ivan Klimeš) Der Wille zum Experiment, zu<br />
neuen Stilen und zu neuen Visionen zeigt sich insbesondere<br />
in Filmen von Věra Chytilová, Jan Schmidt<br />
oder Juraj Jakubisko. TAUSENDSCHÖNCHEN ist eine<br />
feministische surreale Komödie, die bis heute in der<br />
Filmgeschichte einzigartig ist. ENDE AUGUST IM HOTEL<br />
OZON entwickelt eine Endzeitvision, die später oft kopiert<br />
und im amerikanischen Mainstream-Kino weiterentwickelt<br />
wurde. VÖGEL, WAISEN UND NARREN ist<br />
ein phantastisches Märchen »über die jungen Leute<br />
von heute, die nicht erwachsen werden wollen und<br />
durch ihre Verrücktheit, ihren Wahnsinn die eigene<br />
Unsicherheit überdecken«.<br />
Abrupt beendete der Einmarsch der Truppen des Warschauer<br />
Pakts in die CSSR am 21. August 1968 das<br />
Experiment des Prager Reformkommunismus und<br />
damit auch die Blütezeit der tschechoslowakischen Kinematographie.<br />
Ulrich Gregor beschreibt die Konsequenzen:<br />
»Zwar konnte das Kino der jungen Regisseure<br />
auch unter der Okkupation etwa noch ein Jahr<br />
ein verstecktes Dasein führen, manche Filme wurden<br />
noch gedreht und sogar exportiert, bis Ende 1969 die<br />
Entwicklung zu einem endgültigen Stillstand kam. In<br />
allen Bereichen wurden die bisher verantwortlichen Leiter<br />
des Filmwesens von ihren Posten entfernt und<br />
durch willfähige Diener des neuen Regimes ersetzt.<br />
Fast alle Regisseure des neuen tschechoslowakischen<br />
Films erhielten Arbeitsverbot, ihre früheren Filme wurden<br />
in die Archive verbannt und nicht mehr gezeigt<br />
(was dazu führte, dass das tschechoslowakische Kino<br />
der 1960er Jahre jahrzehntelang weder im In- noch<br />
Ausland präsent war und quasi zu existieren aufgehört<br />
hatte). Eine Reihe von Regisseuren emigrierte (aber nur<br />
Miloš Forman gelang es, sich in den USA zu etablieren<br />
und eine neue Karriere zu beginnen). Die blieben, konnten<br />
zunächst jahrelang keine Filme mehr drehen oder<br />
wurden wieder auf systemkonforme Unterhaltung festgelegt.<br />
Kirchhofsruhe beherrschte den tschechoslowakischen<br />
Film, der in Provinzialität und politischem Dogmatismus<br />
versank.«<br />
Die Filmreihe zeigt eine durchaus subjektiv gefärbte<br />
Auswahl von Filmen, die die Vielfalt des Kinos der<br />
1960er Jahre vermittelt. Einige der Filme sind hierzulande<br />
noch völlig unbekannt, manche wurden erst<br />
zwanzig Jahre nach ihrer Entstehung überhaupt für<br />
Aufführungen freigegeben. Verblüffend ist die stilisti-<br />
Prager Frühling<br />
31
Prager Frühling<br />
32<br />
sche Vielfalt und die Frische der Filme, die sie dank<br />
ihrer künstlerischen Innovationskraft und ihres politischen<br />
Wagemuts auch heute noch ausstrahlen. Das<br />
Filmmuseum München dankt dem Tschechischen Zentrum<br />
München und dem Národní filmový archiv für die<br />
Unterstützung bei der Konzeption der Retrospektive, für<br />
die Bereitstellung der Filme und für die Untertitelung<br />
von außerhalb von Tschechien unbekannten Werken.<br />
Einige der Filme laufen in neuen digital restaurierten<br />
Fassungen, so DER FEUERWEHRBALL und das legendäre,<br />
bildgewaltige Historiengemälde MARKETA LAZA-<br />
ROVA. Als Gäste und Zeitzeugen erwarten wir die Regisseure<br />
Jan Schmidt, Karel Vachek, Juraj Herz und Jiří<br />
Menzel sowie die Schauspielerin Magda Vašáryová und<br />
den Leiter des Národní filmový archiv Michal Bregant in<br />
München. Vachek hat mit WAHLVERWANDTSCHAFTEN<br />
das wichtigste filmische Dokument über die Vorgänge<br />
im Frühling 1968 geschaffen, das einen Markstein in<br />
der Geschichte des Dokumentarfilms darstellt.<br />
Stefan Drößler<br />
KRIK (DER ERSTE SCHREI) – CSSR 1963 – R: Jaromil<br />
Jireš – B: Ludvík Aškenazy, Jaromil Jireš – K: Jaroslav<br />
Kučera – M: Jan Klusák – D: Eva Límanová, Josef<br />
Abrhám, Eva Kopecká, Jiří Kvapil, Jiří Jánoška –<br />
77 min, OmeU – »Der Film erzählt einen Tag des Jahres<br />
1963 und verwebt drei Handlungslinien miteinander:<br />
Eine junge Frau steht vor der Geburt ihres ersten<br />
Kindes; ihr Mann, ein Fernsehmechaniker, geht in verschiedenen<br />
Wohnungen seiner Arbeit nach; die dritte<br />
Linie bilden Fragmente aus Wochenschauen – das Bild<br />
einer chaotischen, unsicheren, halbirren Welt, in die<br />
das Kind geboren werden soll.« (Jan Žalman) EIN<br />
ANLASS ZUM SPRECHEN – BRD 1966 – R+B: Haro<br />
Senft – K: Jaromír Šofr – M: Erich Ferstl – mit Hynek<br />
Bočan, Věra Chytilová, Jan Čuřík, Miloš Forman, Jaromil<br />
Jireš, Pavel Juráček, Elmar Klos, Jan Kučera, Jiří<br />
Menzel, Jan Němec, Ivan Passer, Evald Schorm, Otakar<br />
Vávra, Václav Havel – 103 min – Dokumentarfilm<br />
über die Filmfakultät der Akademie der musischen<br />
Künste (FAMU) in Prag, die nahezu alle Filme macher<br />
der Tschechoslowakischen Neuen Welle ausbildete.<br />
▶ Donnerstag, 20. September 2012, 19.00 Uhr<br />
POSTAVA K PODPIRANI (JOSEF KILIAN) – CSSR<br />
1963 – R: Pavel Juráček, Jan Schmidt – B: Pavel Juráček,<br />
Jan Schmidt – K: Jan Čuřík – M: Wiliam Bukový<br />
– D: Pavel Bartl, Pavel Šilhánek, Stanislav Michler –<br />
38 min, OmeU – Eine kafkaeske Darstellung absurder<br />
Situationen: Ein junger Mann verstrickt sich in den Maschen<br />
einer übermächtigen bürokratischen Welt. –<br />
SBERNE SUROVOSTI (GESAMMELTE ROHHEITEN) –<br />
CSSR 1965 – R+B: Juraj Herz, nach der Erzählung<br />
»Baron Prášil« von Bohumil Hrabal – K: Rudolf Milíč –<br />
M: Zdeněk Liška – D: Václav Halama, František Ketzek,<br />
Bobina Maršátová, Libuše Palečková, Jan Vlček –<br />
31 min – Groteske über die Relativität der Werte, die<br />
auf einem Wertstoffhof spielt. – NEZVANY HOST (DER<br />
UNGEBETENE GAST) – CSSR 1969 – R+B: Vlastimil<br />
Venclík – K: Tomáš Procházka – D: Iva Šašková, Jiří<br />
Hálek, Pavel Landovský, Václav Kotva – 23 min, OmeU<br />
– Ein junges Ehepaar wird durch ein Klopfen an der Tür<br />
aufgeschreckt. Ein Mann mit einem großen Koffer tritt<br />
ein und benimmt sich sofort wie zu Hause.<br />
▶ Freitag, 21. September 2012, 18.30 Uhr<br />
PERLICKY NA DNE (PERLEN AUF DEM MEERES-<br />
GRUND) – CCSR 1965 – R+B: Jiří Menzel, Jan Němec,<br />
Evald Schorm, Věra Chytilová, Jaromil Jireš, nach Kurzgeschichten<br />
von Bohumil Hrabal – K: Jaroslav Kučera –<br />
M: Jan Klusák, Jiří Šust – D: Emil Iserle, Miloš Čtrnáctý,<br />
Josefa Pechlátová, Vladimír Boudník, Dana Valtová –<br />
105 min, OmU – Ein Anthologiefilm der Tschechoslowakischen<br />
Neuen Welle, der sich von tragikomischen<br />
Erzählungen Bohumil Hrabals über die Poesie des Alltags<br />
inspirieren ließ. Fünf Episoden. DER TOD DES<br />
HERRN BALTHASAR: Eine Familie geht zu einem Autorennen.<br />
DIE SCHWINDLER: Zwei alte Männer erzählen<br />
im Krankenhaus von ihrem Leben. HAUS DER FREUDE:<br />
Zwei Versicherungsvertreter begegnen einem Maler<br />
und dessen Mutter. AUTOMAT WELT: Eine Hochzeitsfeier<br />
in einer vorstädtischen Imbissbude. ROMANZE:<br />
Liebesgeschichte zwischen einem Installateur und<br />
einer jungen Zigeunerin.<br />
▶ Samstag, 22. September 2012, 18.30 Uhr<br />
AZ PRIJDE KOCOUR (WENN DER KATER KOMMT) –<br />
CSSR 1963 – R: Vojtěch Jasný – B: Jan Werich, Jiří
Brdečka, Vojtěch Jasný – K: Jaroslav Kučera – M: Svatopluk<br />
Havelka – D: Jan Werich, Emília Vašáryová, Vlastimil<br />
Brodský, Jiří Sovák, Vladimír Menšík, Jiřina Bohdalová<br />
– 101 min, OmeU – »Der Kater einer Wanderschauspieltruppe<br />
enthüllt durch seinen magischen<br />
Blick den wahren Charakter der Menschen. Mit Hilfe<br />
einer Zauberbrille durchdringt er das moralische Chaos,<br />
in dem sich die Leute selbst nicht mehr zurechtfinden.<br />
Im Stil eines phantastischen Märchenballetts inszeniert,<br />
ignoriert der Film durch seine ironischen Implikationen,<br />
deren gesellschaftskritische Intentionen durchaus deutlich<br />
ablesbar sind, die Genregrenzen des Märchenfilms<br />
und wendet sich nicht nur an ein jugendliches Publikum.<br />
Bemerkenswert ist auch die kunstvolle Nutzung<br />
der Farbfotografie, die nach dramaturgischen Gesichtspunkten<br />
eingesetzt wird.« (Helmut Pflügl)<br />
▶ Freitag, 28. September 2012, 18.30 Uhr<br />
O NECEM JINEM (VON ETWAS ANDEREM) – CSSR<br />
1963 – R+B: Věra Chytilová – K: Jan Čuřík – M: Jiří<br />
Šlitr – D: Eva Bosáková, Věra Uzelacová, Josef Langmiler,<br />
Jiří Kodet, Milivoj Uzelac, Miroslava Matlochová –<br />
90 min, OmU – »Die Regisseurin konfrontiert ohne vordergründige<br />
Parteinahme den Alltag zweier Frauen –<br />
einer bekannten Sportlerin, deren Leben mit rastlosem<br />
Training ausgefüllt ist, und den einer Hausfrau und<br />
Mutter, die unter der Leere ihres Daseins leidet; während<br />
das Training der Sportlerin dokumentarisch gezeigt<br />
wird, ist die zweite Handlungslinie fiktiv. Die beiden<br />
Geschichten berühren sich nie, aber spiegeln sich<br />
aneinander, jedes Leben stellt das andere in Frage; aufgrund<br />
seiner originellen Konzeption löst der Film Gedanken<br />
und Fragen aus, auf die Věra Chytilová jedoch<br />
keine Antwort liefert.« (Ulrich Gregor)<br />
▶ Samstag, 29. September 2012, 18.30 Uhr<br />
NEJVETSI PRANI (MEIN INNIGSTER WUNSCH) –<br />
CSSR 1964 – R: Jan Špáta, Stanislava Hutková – B:<br />
Jan Špáta – K: Vladimír Skalský, Karel Kracík – M:<br />
Štěpán Koníček – 31 min, OmU – »Offensichtlich spontane<br />
Interviews mit über hundert jungen Tschechen<br />
aus allen Bereichen des Lebens. Die faszinierenden<br />
Antworten zeigen das Nichtvorhandensein der offiziellen<br />
›sozialistischen‹ Ideologie.« (Amos Vogel) – KAZDY<br />
DEN ODVAHU (MUT FÜR DEN ALLTAG) – CSSR 1964<br />
– R: Evald Schorm – B: Antonín Máša – K: Jan Čuřík –<br />
M: Jan Klusák – D: Jan Kačer, Jana Brejchová, Josef<br />
Abrhám, Jiřina Jirásková, Vlastimil Brodský – 87 min,<br />
OmeU – »Stilistisch von Antonioni beeinflusst, erzählt<br />
Schorm die tragische Geschichte eines jungen kommunistischen<br />
Aktivisten, der beim Versuch, den revolutio-<br />
nären Idealen treu zu bleiben, immer stärker in Konflikt<br />
mir seiner Umwelt gerät. Kühne ideologische Verweise,<br />
unmissverständliche Sinnbilder und treffende Kommentare<br />
zur nachrevolutionären Wirklichkeit stempeln diesen<br />
bitteren und ironischen Film zu einem politischen<br />
Werk von großer Bedeutung.« (Amos Vogel)<br />
▶ Sonntag, 30. September 2012, 18.30 Uhr<br />
A PATY JEZDEC JE STRACH (DER FÜNFTE REITER<br />
IST DIE ANGST) – CSSR 1964 – R: Zbyněk Brynych –<br />
B: Hana Bělohradská, Zbyněk Brynych, nach einer Novelle<br />
von Hana Bělohradská – K: Jan Kališ – M: Jiří<br />
Sternwald – D: Miroslav Macháček, Olga Scheinpflugová,<br />
Jiří Adamíra, Zdenka Procházková, Josef Vinklář,<br />
Ilja Prachař, Jana Prachařová – 97 min, OmeU – »Dieses<br />
expressionistische Drama um Verrat, Feigheit und<br />
Heldentum in einem totalitären Staat erforscht die<br />
Grenzen verschiedener menschlicher Verhaltensweisen<br />
unter extremen Bedingungen in glänzend angelegten<br />
Bildfolgen von hypnotischer Kraft. Die Geschichte eines<br />
jüdischen Arztes, der sich unerwartet einem schrecklichen<br />
Dilemma gegenübersieht, wirft elementare Fragen<br />
auf. Die Unterdrücker, angeblich Nazis, tragen<br />
keine Uniformen; die Ereignisse, scheinbar im letzten<br />
Weltkrieg angesiedelt, ereignen sich in einer zeitlosen<br />
und deshalb universellen Realität, was die bedrückende<br />
aktuelle Bedeutung des Films noch verstärkt.<br />
Ort der Handlung könnte Prag sein, Thema ist die<br />
Angst.« (Amos Vogel)<br />
▶ Dienstag, 2. Oktober 2012, 18.30 Uhr<br />
OBCHOD NA KORZE (DAS GESCHÄFT IN DER<br />
HAUPTSTRASSE) – CSSR 1965 – R: Ján Kadár, Elmar<br />
Klos – B: Ladislav Grosman, Ján Kadár, Elmar Klos,<br />
nach dem Roman von Ladislav Grosman – K: Vladimír<br />
Novotný – M: Zdeněk Liška – D: Ida Kaminská, Josef<br />
Króner, František Zvarík, Hana Slivková, Martin Hollý –<br />
122 min, OmU – 1942 soll in einer slowakischen<br />
Prager Frühling<br />
33
Prager Frühling<br />
34<br />
Kleinstadt im Zuge der nationalsozialistischen Säuberungswelle<br />
ein Tischler das Kurzwarengeschäft einer<br />
alten jüdischen Witwe übernehmen. »An der literarischen<br />
Vorlage fesselte uns vor allem die seltsame Mischung<br />
von Komödie und Tragödie. Es interessierte<br />
uns, diese diametral verschiedenen Ebenen zu einem<br />
harmonischen Ganzen zu verbinden. Beide sind für das<br />
Grundthema wesentlich: An der Gewalt sind nicht nur<br />
die Menschen mit dem Revolver im Gürtel schuld, sondern<br />
auch die ordentlichen, braven Menschen, die sich<br />
vor den Gewalttätern fürchten und deshalb zu ihren Mittätern<br />
werden.« (Ján Kadár / Elmar Klos)<br />
▶ Mittwoch, 3. Oktober 2012, 18.30 Uhr<br />
NIKDO SE NEBUDE SMAT (NIEMAND WIRD LACHEN)<br />
– CSSR 1965 – R: Hynek Bočan – B: Hynek Bočan,<br />
Pavel Juráček, nach der Erzählung »Směšné lásky« von<br />
Milan Kundera – K: Jan Němeček – M: Wiliam Bukový<br />
– D: Jan Kačer, Štěpánka Řeháková, Josef Chvalina,<br />
Hana Kreihanslová, Jaromír Spal – 95 min, OmeU – Ein<br />
junger Universitätsdozent wird von einem Wichtigtuer<br />
belästigt, der ihm schließlich zum Verhängnis wird.<br />
»Bočan hat aus der witzig-kritischen Erzählung von<br />
Milan Kundera einen skurrilen Film gemacht. Eine verrückte<br />
Wegumleitung um eine unbedeutende, aber<br />
dafür dauerhafte Straßenbaustelle steht kennzeichnend<br />
für die ganze Geschichte, die wirklich nur auf lächerlich<br />
umwegige Weise zu einem ›Fall‹ werden kann.<br />
Nicht als würde der Held zu einem unschuldigen Opfer.<br />
Auch sein Verhalten ist zweischneidig, wie der ganze<br />
Film in einer schönen Schwebe bleibt.« (Heinz Ungureit)<br />
»Bočans Debütfilm verrät große filmische Erzählkunst<br />
und weist stilistische Anklänge an Jacques Tati und Vittorio<br />
de Sica auf.« (Ivan Klimeš)<br />
▶ Dienstag, 9. Oktober 2012, 18.30 Uhr<br />
INTIMNI OSVETLENI (INTIME BELEUCHTUNG) –<br />
CSSR 1965 – R: Ivan Passer – B: Jaroslav Papoušek,<br />
Václav Šašek, Ivan Passer – K: Miroslav Ondříček,<br />
Josef Střecha – M: Josef Hart, Oldřich Korte – D: Karel<br />
Blažek, Zdeněk Bezušek, Miroslav Cvrk, Věra Křesadlová,<br />
Jaroslava Štědrá – 71 min, OmeU – »Zu einem<br />
Musikschuldirektor in einer Kleinstadt kommt an einem<br />
Wochenende ein alter Schulfreund mit seiner Geliebten.<br />
Der Film ist die Chronik weniger Tage, die die Freunde<br />
zusammen verbringen, die Beschreibung banaler Ereignisse.<br />
Aus der Beobachtung vieler Einzelheiten ergibt<br />
sich ein Röntgenbild kleinbürgerlicher Verhaltensweisen.<br />
Hinter der pittoresken Oberfläche zeigen sich<br />
Leere, Abstumpfung, Selbstzufriedenheit, Beschränktheit.<br />
Deshalb ist INTIME BELEUCHTUNG trotz zunächst<br />
gegenteiligen Anscheins kein ›liebenswerter‹, sondern<br />
eher ein grausamer Film.« (Ulrich Gregor)<br />
▶ Freitag, 12. Oktober 2012, 18.30 Uhr<br />
OSTRE SLEDOVANE VLAKY (LIEBE NACH FAHR-<br />
PLAN) – CSSR 1966 – R: Jiří Menzel – B: Jiří Menzel,<br />
Bohumil Hrabal, nach einem Roman von Bohumil Hrabal<br />
– K: Jaromír Šofr – M: Jiří Šust – D: Václav Neckář,<br />
Jitka Bendová, Josef Somr, Vladimír Valenta, Jiří Menzel<br />
– 78 min, OmU – Unpathetische Komödie um einen<br />
verträumten Bahnbeamtenanwärter, der sich auf<br />
einem tschechischen Provinzbahnhof gegen Ende des<br />
Zweiten Weltkrieges langweilt. Eine Partisanin führt ihn<br />
in die Geheimnisse der Liebe ein, und er wird eher zufällig<br />
zum Helden des Widerstands. »Ein Werk intelligenter<br />
und ironischer Regie – allerdings auch nicht frei<br />
von ausgewalzten Effekten und Derbheiten. Dem Film<br />
war ein außergewöhnlicher Erfolg beschieden, in den<br />
USA erhielt er einen Oscar.« (Ulrich Gregor)<br />
▶ Samstag, 13. Oktober 2012, 18.30 Uhr<br />
RUKA (DIE HAND) – CSSR 1966 – R+B: Jiří Trnka – K:<br />
Jiří Šafář – M: Václav Trojan – 18 min, ohne Dialog –<br />
Die traurige Geschichte über einen hilflosen Harlekin<br />
und eine allmächtige Hand als Parabel für die Ohnmacht<br />
der tschechischen Künstler jener Zeit. – O<br />
SLAVNOSTI A HOSTECH (VOM FEST UND DEN GÄS-<br />
TEN) – CSSR 1966 – R: Jan Němec – B: Ester Krumbachová,<br />
Jan Němec – K: Jaromír Šofr – M: Karel<br />
Mareš – D: Ivan Vyskočil, Jan Klusák, Jiří Němec, Pavel<br />
Bošek, Karel Mareš, Evald Schorm – 71 min, OmU –<br />
Ein nicht näher benannter Gastgeber lädt zu einem Fest<br />
im barocken Stil ein. Seine Gäste verhalten sich wie<br />
Figuren aus einem ideologischen Pamphlet – bis einer<br />
der Gäste »flüchtet« und damit die gesellschaftliche<br />
Gesetzmäßigkeit stört. »Im Verlauf des Films ver -<br />
wandelt sich Renoir in Buñuel, und wir werden eines<br />
vernichtenden, pessimistischen Kommentars über
menschliche unter dem Totalitarismus teilhaftig, einer<br />
kalten Dusche, zeitlos und unangenehm vertraut.«<br />
(Amos Vogel)<br />
▶ Sonntag, 14. Oktober 2012, 18.30 Uhr<br />
SEDMIKRASKY (TAUSENDSCHöNCHEN) – CSSR<br />
1967 – R: Věra Chytilová – B: Věra Chytilová, Ester<br />
Krumbachová, Pavel Juráček – K: Jaroslav Kučera – M:<br />
Jiří Šlitr, Jiří Šust – D: Jitka Cerhová, Ivana Karbanová,<br />
Julius Albert, Jan Klusák, Marie Češková, Jiřina<br />
Myšková – 73 min, OmU – »Eine närrische, dadaistische<br />
Komödie, eine Orgie spektakulärer visueller Köstlichkeiten,<br />
sinnlichen Dekors und wunderbarer Farbexperimente,<br />
eine groteske Farce, die trotzdem voll heiterer<br />
Weisheit ist. Zwei leichtsinnige junge Mädchen, gelangweilt<br />
und respektlos, weder der Vergangenheit<br />
noch der Zukunft bewusst, stolpern durch eine bizarre<br />
Reihe von Zufallsbekanntschaften, wilden Abenteuern,<br />
Fressorgien und Kuchenschlachten. Unter der Übertreibung,<br />
dem Sarkasmus und dem Übermut lauert ein<br />
ernsthafter Kommentar über einen betrügerischen Lebenswandel,<br />
der wie ein Spiel vonstatten geht und bei<br />
dem die Spieler zu Opfern werden.« (Amos Vogel)<br />
▶ Freitag, 19. Oktober 2012, 18.30 Uhr<br />
KONEC SRPNA V HOTELU OZON (ENDE AUGUST IM<br />
HOTEL OZON) – CSSR 1966 – R: Jan Schmidt – B:<br />
Pavel Juráček, Jan Schmidt – K: Jiří Macák – M: Jan<br />
Klusák – D: Beta Poničanová, Magda Seidlerová, Hana<br />
Vítková, Jana Nováková, Ondrej Jariabek, Vanda Kalinová<br />
– 80 min, OmeU – Die Welt nach einer nuklearen<br />
Katastrophe. Eine Gruppe von neun Frauen zieht durch<br />
die zerstörte Landschaft. Ihre alte Anführerin hat als<br />
einzige die Zeit vor der Katastrophe erlebt, die acht jungen<br />
Frauen in ihrer Begleitung haben ein zivilisiertes<br />
Leben nie kennen gelernt, sie sind ohne Moral und<br />
Gewissen aufgewachsen. Auf ihrer Suche nach einem<br />
Mann, mit dem sie Kinder zeugen und der Menschheit<br />
das Überleben sichern könnten, kommen die Frauen in<br />
eine ausgestorbene Stadt. Ein ungewöhnlicher Science-<br />
Fiction-Film, angesiedelt zwischen düsteren nuclear<br />
doomsday movies wie ON THE BEACH oder LORD OF<br />
THE FLIES und eskapistischen post-apocalyptic thrillers<br />
à la MAD MAX.<br />
▶ Samstag, 20. Oktober 2012, 18.30 Uhr (Zu Gast: Jan<br />
Schmidt)<br />
HORI, MA PANENKO (DER FEUERWEHRBALL) –<br />
CSSR 1967 – R: Miloš Forman – B: Miloš Forman, Ja-<br />
TAUSENDSCHÖNCHEN<br />
Prager Frühling<br />
35
Prager Frühling<br />
36<br />
roslav Papoušek, Ivan Passer – K: Miroslav Ondříček –<br />
M: Karel Mareš – D: Jan Vostrčil, Josef Šebánek, Ladislav<br />
Adam, Vratislav Čermák, František Debelka –<br />
71 min, OmeU – Zu Ehren des 86-jährigen Ehrenkommandanten<br />
der freiwilligen Feuerwehr wird im kleinen<br />
Grenzort Vrchlabí ein Ball ausgerichtet – doch das Fest<br />
wird ein Fiasko. »Formans subversives Künstlertum ist<br />
so hintergründig, dass einige Kritiker in seinen Filmen<br />
noch immer nichts als frohgemute volkstümliche Komödien<br />
erblicken. Doch hinter seinem handfesten und<br />
scharfen Humor lauert eine sardonische Kritik am Kleinbürgertum.<br />
Nirgendwo kam das deutlicher zum Vorschein<br />
als in diesem Film, einer vergnüglichen und zunehmend<br />
düster werdenden Geschichte.« (Amos Vogel)<br />
▶ Dienstag, 23. Oktober 2012, 18.30 Uhr<br />
HOTEL PRO CIZINCE (HOTEL FÜR FREMDE) – CSSR<br />
1968 – R+B: Antonín Máša – K: Ivan Šlapeta – M: Svatopluk<br />
Havelka – D: Petr Čepek, Taťána Fischerová,<br />
Vladimír Šmeral, Evald Schorm, Jiří Menzel – 103 min,<br />
OmeU – Ein Dichter wird in dem Hotel ermordet, in das<br />
er sich zurückgezogen hat. Anhand seiner rätselhaft<br />
fragmentarischen Tagebuchskizzen wird in Rückblenden<br />
sein Leben in der Scheinwelt des Hotels beleuchtet<br />
und versucht, den Hergang des Verbrechens zu rekonstruieren.<br />
Die poetische Tragikomödie ist inspiriert vom<br />
Gestus der Stummfilmgroteske und vom Stil des absurden<br />
Theaters. »Offensichtlich ist die nostalgisch geschilderte,<br />
verschnörkelte Welt des Hotels als Allegorie<br />
der gegenwärtigen Gesellschaft gemeint, deshalb<br />
wurde der Film auch erst 1968 verspätet zur Aufführung<br />
freigegeben.« (Ulrich Gregor)<br />
▶ Mittwoch, 24. Oktober 2012, 18.30 Uhr<br />
ZERT (DER SCHERZ) – CSSR 1968 – R: Jaromil Jireš<br />
– B: Milan Kundera, nach seinem Roman – K: Jan Čuřík<br />
– M: Zdeněk Pololáník – D: Josef Somr, Jana Dítětová,<br />
Luděk Munzar, Evald Schorm, Věra Křesadlová –<br />
77 min, OmeU – »Ein erstaunlich ehrlicher und unbequemer<br />
Film, nicht nur wegen seiner wütenden Attacke<br />
auf den Stalinismus, sondern auch wegen der kompromisslosen<br />
Art, in der er den politischen Opportunismus<br />
der neuen Mittelklasse darstellt. Indem er eines jungen<br />
Mannes Entwicklung von jugendlichem Leichtsinn über<br />
eine politische Gefängnisstrafe zur schließlichen Bewusstwerdung<br />
nachvollzieht, gerät er zur beklemmenden<br />
Untersuchung einer korrupten Gesellschaft.«<br />
(Amos Vogel)<br />
▶ Freitag, 26. Oktober 2012, 18.30 Uhr<br />
SPALOVAC MRTVOL (DER LEICHENVERBRENNER) –<br />
CSSR 1968 – R: Juraj Herz – B: Ladislav Fuks, Juraj<br />
Herz, nach dem Roman von Ladislav Fuks – K: Sta -<br />
nislav Milota – M: Zdeněk Liška – D: Rudolf Hrušínský,<br />
Vlasta Chramostová, Jana Stehnová, Miloš Vognič, Jiří<br />
Menzel – 96 min, OmeU – »Ein provozierender Versuch,<br />
zu den Quellen sadosexuellen Nazi-Ungeistes<br />
vorzudringen, wird in diesem stark expressionistischen<br />
Film über einen verklemmten Kleinbürger und Familienvater<br />
unternommen, dessen Arbeit an Leichen im ört -<br />
lichen Krematorium – ›um sie frei zu machen fürs<br />
Leben nach dem Tod‹ – während der Nazibesetzung<br />
unerwartete Bedeutung gewinnt. Seine demütige Frau<br />
lässt sich bereitwillig von ihm erhängen, sein Sohn wird<br />
ermordet, und die Beförderung zum Leiter eines Vernichtungslagers<br />
erscheint schließlich als logische Auflösung<br />
einer bizarren, kraftvollen Geschichte.« (Amos<br />
Vogel)<br />
▶ Samstag, 27. Oktober 2012, 18.30 Uhr (Zu Gast: Juraj<br />
Herz)<br />
FARARUV KONEC (DAS ENDE EINES PRIESTERS) –<br />
CSSR 1968 – R: Evald Schorm – B: Josef Škvorecký –<br />
K: Jaromír Šofr – M: Jan Klusák – D: Vlastimil Brodský,<br />
Jana Brejchová, Jan Libíček, Zdena Škvorecká, Jaroslav<br />
Satoranský, Vladimír Valenta – 99 min, OmeU – Die<br />
Bewohner eines kleinen Dorfes halten irrtümlicherweise<br />
einen gewöhnlichen Küster für einen Priester.<br />
Dieser klärt den Irrtum nicht auf, und mit Hingabe und<br />
Einfühlungsvermögen erfüllt er die ihm übertragene<br />
Aufgabe zur allgemeinen Zufriedenheit. »Dieser Film ist<br />
als turbulente Farce mit köstlichen Typen aus dem<br />
Dorfmilieu angelegt, doch es mischen sich permanent<br />
Untertöne von Bitterkeit in die Satire der rivalisierenden<br />
weltlichen und kirchlichen Instanzen, wobei die Fronten<br />
von Wahrheit und Lüge nicht geradlinig verlaufen, denn<br />
Arroganz, Heuchelei und Betrug finden sich stets in<br />
den oberen Regionen jeder Instanz.« (Ivan Klimeš)<br />
▶ Freitag, 9. November 2012, 18.30 Uhr
SPRIZNENI VOLBOU (WAHLVERWANDTSCHAFTEN)<br />
– CSSR 1968 – R+B: Karel Vachek – K: Jozef Ort-Šnep<br />
– 85 min, OmeU – Der Film ist ein legendäres Portrait<br />
der politischen Protagonisten des Prager Frühlings, die<br />
in alltäglichen, oftmals privaten Gesprächen zu sehen<br />
sind. »Vachek berichtet mit virtuoser Direct-Cinema-<br />
Technik von den Vorbereitungen der Präsidentschafts-<br />
wahl in der CSSR im Frühjahr 1968, die Reportage konzentriert<br />
sich auf die zweite Märzhälfte. Dass es ein<br />
Redefilm ist, stört, weil Wichtiges gesagt wird, überhaupt<br />
nicht – im Gegenteil, jedes Mehr an Gestaltung,<br />
etwa durch einen interpretierenden Kommentar, würde<br />
die Glaubwürdigkeit mindern. Die Direct-Cinema-Methode<br />
erweist sich hier noch einmal als demokratisches<br />
Verfahren: Auch der Zuschauer wird als Partner ernst<br />
genommen, er wird nicht gegängelt, er muss sich aus<br />
den Beobachtungen selbst eine Meinung zusammensetzen.«<br />
(Wilhelm Roth)<br />
▶ Samstag, 10. November 2012, 18.30 Uhr (Zu Gast:<br />
Karel Vachek, Michal Bregant)<br />
VTACKOVIA, SIROTY A BLAZNI (VöGEL, WAISEN<br />
UND NARREN) – CSSR 1969 – R: Juraj Jakubisko – B:<br />
Juraj Jakubisko, Karol Sidon – K: Igor Luther – M:<br />
Zdeněk Liška – D: Philippe Avron, Magda Vašáryová,<br />
Jiří Sýkora, Míla Beran, Mikuláš Ladižinský, Augustín<br />
Kubáň, Jana Stehnová – 78 min, OmU – »Diese deli -<br />
rierende Tour de force aus kreativer Kameraarbeit und<br />
Montage durchwandert ein verrücktes Universum surrealistischer<br />
Tableaus und bizarrer Vorgänge, wobei<br />
jede Konfiguration in Entwurf und Farbe einem Gedicht<br />
gleichkommt. Zwei Burschen und ein Mädchen, Kriegswaisen<br />
und der organisierten Gesellschaft entfremdet,<br />
versuchen, in einer Welt des Wahnsinns und des Krieges<br />
ein Leben der Freiheit und Unschuld zu leben. Dieser<br />
unkonventionelle, phantastische Film vermischt<br />
Traum und Wirklichkeit, Zärtlichkeit und Grausamkeit<br />
unter ziemlich spektakulärer Verwendung von verzerrenden<br />
Linsen, bewegter Kamera und veränderlichem<br />
Bildformat.« (Amos Vogel)<br />
▶ Sonntag, 11. November 2012, 18.30 Uhr<br />
JAN 69 (JAN PALACH) – CSSR 1969 – R+B+K: Stanislav<br />
Milota – 20 min, ohne Worte – Ein Filmessay<br />
über die Beerdigung Jan Palachs, der sich zum Protest<br />
gegen die sowjetische Okkupation am 19. Januar<br />
1969 verbrannte. »Eine zutiefst ergreifende Erfahrung<br />
in stiller Trauer und ein Zeugnis volksweiter Opposition.«<br />
(Amos Vogel) – SMUTECNI SLAVNOST (WUT<br />
UND TRAUER) – CSSR 1969 – R: Zdenek Sirový – B:<br />
Eva Kantůrková, Zdenek Sirový, nach dem Roman von<br />
Eva Kantůrková – K: Jiří Macháně – M: Josef Kalach –<br />
D: Jaroslava Tichá, Ľudovít Króner, Josef Somr, Jana<br />
Vychodilová, Ludmila Roubíková – 70 min, OmeU – Der<br />
Tod eines Bauern, der sich 1948 gegen die Kollektivierung<br />
gewehrt und daraufhin seinen Besitz verloren<br />
hatte, wird Anfang der 1960er Jahre zu einem Streitfall<br />
zwischen den Behörden und der Ehefrau, die ihren<br />
Mann feierlich in der Familiengruft bestatten will. Die<br />
Witwe kann sich durchsetzen, und der Trauerzug entwickelt<br />
sich zu einer eindrucksvollen Demonstration<br />
gegen die Machthaber. Sirový gibt seinem in Rückblenden<br />
verschachtelt erzählten Film die Form einer streng<br />
komponierten klassischen Tragödie.<br />
▶ Freitag, 23. November 2012, 18.30 Uhr<br />
BYT (DIE WOHNUNG) – CSSR 1968 – R+B: Jan<br />
Švankmajer – K: Svatopluk Malý – M: Zdeněk Liška –<br />
D: Ivan Kraus, Juraj Herz – 13 min – »In diesem bedeutungsträchtigen,<br />
glänzend angelegten Werk verschwören<br />
sich die Objekte – die Welt des unglücklichen<br />
Wohnungsinhabers – gegen diesen; ein Spiegel<br />
zeigt nur den Hinterkopf, ein Ofen lässt beim Anzünden<br />
Wasser fließen, und ein Suppenlöffel hat Löcher.«<br />
(Amos Vogel) – UCHO (DAS OHR) – CSSR 1969 – R:<br />
Karel Kachyňa – B: Jan Procházka, Karel Kachyňa – K:<br />
Josef Illík – M: Svatopluk Havelka – D: Radoslav Brzobohatý,<br />
Jiřina Bohdalová, Jiří Císler, Miloslav Holub, Milica<br />
Kolofiková – 94 min, OmeU – Nach der Rückkehr<br />
von einem Fest hegen ein hoher Beamter und seine<br />
Frau den Verdacht, dass ihr Haus durchsucht wurde<br />
und sie unter Beobachtung stehen. Die aufkommende<br />
Panik lässt die zwischen dem Ehepaar schwelenden<br />
Konflikte ausbrechen. Das Schlüsselwerk der tschechischen<br />
Regalfilme wirkt wie eine Kombination aus<br />
Mike Nichols’ WHO’S AFRAID OF VIRGINIA WOOLF und<br />
Francis Ford Coppolas THE CONVERSATION.<br />
▶ Samstag, 24. November 2012, 18.30 Uhr<br />
Prager Frühling<br />
37
Prager Frühling<br />
38<br />
SKRIVANCI NA NITI (LERCHEN AM FADEN) – CSSR<br />
1969 – R+B: Jiří Menzel, nach einem Roman von Bohumil<br />
Hrabal – K: Jaromír Šofr – M: Jiří Šust – D: Rudolf<br />
Hrušínský, Vlastimil Brod, Václav Neckář, Jitka Zelenohorská,<br />
Jaroslav Satoranský, Vladimír Šmeral,<br />
Naďa Urbánková – 100 min, OmU – Die Industriestadt<br />
Kladno in den 1950er Jahren. Der Schrottplatz eines<br />
Hüttenkombinats dient als »Umerziehungslager« für<br />
»bourgeoise Elemente« und Feinde des Systems: Intellektuelle<br />
und Juristen, aber auch Handwerker und<br />
kleine Ladenbesitzer. Die bürgerlichen Werte, wie etwa<br />
ein Christuskreuz oder die Schreibmaschine eines<br />
Schriftstellers, werden zu Maschinen für den sozialistischen<br />
Aufbau umgeschmolzen. Am liebsten möchte<br />
man auch die Menschen umformen, doch diese erweisen<br />
sich mit ihren Gefühlen und Sehnsüchten als zu<br />
hart für das Feuer der Partei. Eine absurde Komödie,<br />
die nach Fertigstellung sofort verboten wurde und bei<br />
ihrer Erstaufführung 1990 auf den Berliner Filmfestspielen<br />
den »Goldenen Bären« erhielt.<br />
▶ Dienstag, 4. Dezember 2012, 18.30 Uhr (Zu Gast: Jiří<br />
Menzel)<br />
ZAHRADA (DER GARTEN) – CSSR 1968 – R: Jan<br />
Švankmajer – B: Jan Švankmajer, Ivan Kraus – K: Svatopluk<br />
Malý – M: Zdeněk Liška – D: Jiří Hálek, Luděk<br />
Kopřiva, Míla Myslíková, Václav Borovička, František<br />
Husák – 19 min, OmeU – Ein Gartenzaun aus Menschen,<br />
ein freundlicher Funktionär mit einem mysteriösen<br />
Geheimnis, ein Gespräch mit sinnentleerten Konversationsfloskeln.<br />
– DEN SEDMY – OSMA NOC (DER<br />
SIEBTE TAG, DIE ACHTE NACHT) – CSSR 1969 – R:<br />
Evald Schorm – B: Zdeněk Mahler, Evald Schorm – K:<br />
Václav Hanuš – M: Jan Klusák – D: Jan Kačer, Bohumil<br />
Šmída, Jan Libíček, Květa Fialová, Josef Bek –<br />
108 min, OmeU – Ein verschlafenes Dorf gerät in<br />
Panik: Der Bürgermeister und die Honoratioren des<br />
Ortes verschwinden, Züge und Telefone fallen aus, Gerüchte<br />
von einer Invasion schwirren umher, und der<br />
Dorfnarr geht daran, seine Habe zu verteilen, da er den<br />
Untergang nahen sieht. Das Verhalten der normalerweise<br />
eher ruhigen Dorfbevölkerung überschreitet die<br />
üblichen Hemmschwellen. »Eine groteske Parabel über<br />
die Angst, die Unsicherheit und das Gefühl der Bedrohung<br />
unter den Menschen, voll politischer Anspielungen«<br />
(Lino Miccichè)<br />
▶ Freitag, 7. Dezember 2012, 18.30 Uhr<br />
ZMATEK (DIE KONFUSION) – CSSR 1968 – R+B:<br />
Evald Schorm – K: Stanislav Milota – 36 min, OmU –<br />
Unmittelbar nach dem Beginn der Okkupation 1968 ge-<br />
dreht, vereint der Film kaum bekannte Bilder von Panzern<br />
in den Straßen von Prag und von hilflosen bis<br />
phantasievollen Formen des Protests, die er zu einem<br />
eindrucksvollen Requiem verdichtet. – ZABITA NE-<br />
DELE (EIN TOTGESCHLAGENER SONNTAG) – CSSR<br />
1969 – R: Drahomíra Vihanová – B: Drahomíra Vihanová,<br />
Jiří Křenek – K: Petr Volf, Zdeněk Prchlík – M: Jiří<br />
Šust – D: Ivan Palúch, Míla Myslíková, Ota Žebrák, Petr<br />
Skarke, Irena Boleslavská, Vladislav Dražďák, Jan<br />
Vostrčil – 78 min, OmeU – Eine kleine Stadt an einem<br />
Sommersonntag: Der Oberleutnant Arnošt ist von der<br />
Eintönigkeit seines Lebens erschlagen und gleichzeitig<br />
unfähig, dieses zu ändern. Seine mechanisch angefüllte<br />
Existenz in einer entfremdeten Welt der stillstehenden<br />
Zeit verkörpert die innere Situation der Menschen<br />
Ende der 1960er Jahre.<br />
▶ Samstag, 8. Dezember 2012, 18.30 Uhr<br />
MARKETA LAZAROVA – CSSR 1967 – R: František<br />
Vláčil – B: František Pavlíček, František Vláčil, nach<br />
dem Roman von Vladislav Vančura – K: Bedřich Baťka<br />
– M: Zdeněk Liška – D: Josef Kemr, Magda Vašáryová,<br />
Jaroslav Moučka, František Velecký, Karel Vašíček,<br />
Ivan Palúch – 162 min, OmeU – Die Geschichte von<br />
zwei rivalisierenden Clans im Mittelalter und einer tragischen<br />
Liebe. Die Titelheldin, ein ehrsames Mädchen,<br />
ist für das Leben im Kloster vorbestimmt. Sie wird aber<br />
gezwungen, die Geliebte eines gewalttätigen Jünglings<br />
zu werden. In einer Umfrage unter tschechischen Filmkritikern<br />
wurde MARKETA LAZAROVA 1998 »besten<br />
tschechischen Film aller Zeiten« gewählt. Das düstere,<br />
surreale Meisterwerk, das erst jüngst digital restauriert<br />
wurde, liefert ein eindrückliches Bild des Mittelalters.<br />
Es erinnert in seinen poetischen und streng komponierten<br />
CinemaScope-Bildern an Filme von Akira Kurosawa<br />
und an Andrej Tarkovskijs ANDREJ RUBLJOV.<br />
▶ Dienstag, 11. Dezember 2012, 19.00 Uhr (Zu Gast:<br />
Magda Vašáryová)
Das Erinnern weitertragen<br />
Es gibt diese Mauer des Verstehens, über die kommt<br />
man nicht. Wir sind auf der anderen Seite. Wir können<br />
Nachrichten empfangen von der anderen Seite, wir<br />
können uns die Dinge anhören, und das sollen wir<br />
auch immer versuchen. Aber wir werden diese Mauer<br />
nicht übersteigen können. Knut Elstermann<br />
In der Auseinandersetzung mit dem Naziterror rückte<br />
mit der Zeit das Altern der Betroffenen immer stärker<br />
ins Bewusstsein, und damit der nahende Verlust der<br />
wichtigsten Stimmen – nämlich der Stimmen derer, die<br />
das Geschehene selbst erlebten. Selbst das<br />
Knopp’sche Zeitzeugenfernsehen konnte sich dem<br />
nicht entziehen. Nun findet dieser Wechsel statt, der<br />
Übergang von der 2. auf die 3. Generation, mit dem<br />
das Berichten des Erlebten endgültig abgelöst wird<br />
durch stärker narrativierte Formen der Vermittlung.<br />
Dies birgt das Risiko, dass vorgefertigte Bilder zunehmend<br />
für »die Geschichte« stehen und das Fragen und<br />
Suchen ersetzen. Im familiären Kontext geschieht dies<br />
ständig, indem man das vorgefertigte Familiennarrativ<br />
übernimmt und weiterträgt. Umso überraschender ist,<br />
dass der Dokumentarfilm im vergangenen Jahrzehnt<br />
gerade Wege fand, im familiären Umfeld gegen die tradierten<br />
Bilder vorzugehen.<br />
Es geht ums Erzählen oder vielmehr darum, etwas erzählt<br />
zu bekommen. Zumeist beginnt es als Konfrontation<br />
mit dem Nicht-Wissen, mit der Suche, und damit<br />
als Auseinandersetzung mit dem Schweigen, dem<br />
Nicht-Erzählen, dem Nicht-Erzählten. Überlebende<br />
schwiegen, um ihre Partner, ihre Kinder, ihre Familien<br />
nicht zu belasten und um das einmal Erlittene nicht erneut<br />
durchzumachen. Auch in den Familien der Täter<br />
wurde geschwiegen, mit dem großen Unterschied,<br />
dass dieses Schweigen zur Mythenbildung führte, da<br />
das Familiengedächtnis »unter den Erfordernissen von<br />
Kohärenz, Identität und wechselseitiger Loyalität jedes<br />
Mitglied dazu verpflichtete, die ›gute Geschichte‹ der<br />
Familie aufrechtzuerhalten und fortzuschreiben.« (Harald<br />
Welzer)<br />
Es gibt verschiedene Arten des Schweigens, meint die<br />
Filmemacherin Anja Salomonowitz: eines, das redet,<br />
um von anderem zu schweigen, und eines, das<br />
schweigt, weil es sich zu sehr erinnert. Dies entspricht<br />
den Erfahrungen, die die Sozialwissenschaftlerin Gabriele<br />
Rosenthal in ihren Interviews sowohl mit Überlebenden<br />
der Shoah als auch mit Tätern des NS-Regimes<br />
machte: Überlebende schweigen vollkommen,<br />
da sie es nicht ertragen, die erlebte Grausamkeit sowie<br />
die tagtäglich erlittenen Situationen der Demütigung<br />
und Erniedrigung, des Appellstehens, des Sterbens von<br />
Mithäftlingen, des Hungerns zu narrativieren. Mitläufer<br />
und Täter des Nationalsozialismus hingegen berichten<br />
bereitwillig von den Kriegsjahren, jedoch meist in wenig<br />
bedrohlichen Anekdoten, um die eigentlich grauenvollen<br />
und möglicherweise belastenden Erlebnisse zu verdecken.<br />
Die fünf Filme dieser Reihe nähern sich den speziellen<br />
Problemen des Erinnerns, des Tradierens, des Verdrängens<br />
in der Familie. Sie beschreiten dabei grundverschiedene<br />
Wege und werfen fundamental unterschiedliche<br />
Fragen auf. Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie<br />
nicht in die Falle tappen, lediglich private Familiengeschichten<br />
abzubilden. Zu den verschiedenen Arten des<br />
Schweigens gesellen sich verschiedene Arten des Fragens:<br />
GERDAS SCHWEIGEN ist ein Prozess des Nach-<br />
Fragens, da das ursprüngliche Schweigen bereits in<br />
einem Buch gebrochen war. DAS WIRST DU NIE VER-<br />
STEHEN schafft einen stilisierten Rahmen, um seine<br />
Protagonistinnen aus der Reserve zu locken. WAS<br />
BLEIBT führt zwei kontrastierende Familiengeschichten<br />
zusammen. In 2 ODER 3 DINGE, DIE ICH VON IHM<br />
WEISS geht der Filmemacher auf Konfrontation mit seiner<br />
Familie, während WINTERKINDER – DIE SCHWEI-<br />
GENDE GENERATION an die Beobachtung der Psychologin<br />
Ulla Roberts denken lässt: »Und manche Enkel<br />
WINTERKINDER © Jens Schanze<br />
Das Erinnern weitertragen<br />
39
Das Erinnern weitertragen<br />
40<br />
sagen, die Eltern haben anklagend gefragt, worauf die<br />
Großeltern gar nicht hätten antworten können. Die<br />
Enkel fragen anders.«<br />
An allen fünf Abenden werden Betroffene, Beteiligte,<br />
Filmemacherinnen und Filmemacher anwesend sein<br />
und mit dem Publikum diskutieren. Die Filmreihe findet<br />
in Kooperation mit der KZ-Gedenkstätte Dachau und<br />
dem Max-Mannheimer-Studienzentrum Dachau statt.<br />
Nathalie Geyer, Christoph Michel<br />
WAS BLEIBT – Deutschland 2008 – R+B: Gesa Knolle,<br />
Birthe Templin – K: Yoliswa Gärtig, Rasmus Sievers –<br />
M: Immo Trümpelmann – Mit Erna de Vries, ihrer Tochter<br />
und Enkelin sowie Dietlindes österreichischer Familie<br />
– 58 min – Erna de Vries wurde als Kind mit ihrer<br />
Mutter nach Auschwitz deportiert und später nach Ravensbrück<br />
verbracht; bis heute erfüllt sie ihr Versprechen,<br />
das Erlebte weiterzutragen und weiterzugeben;<br />
ihre Töchter versuchen dies als Familienaufgabe fort -<br />
zusetzen. Dietlinde erfuhr erst in den 1980er Jahren,<br />
dass ihre Mutter KZ-Aufseherin war; bis heute forscht<br />
sie weiter nach, während ihre eigene Tochter eine abwehrende<br />
Haltung einnimmt. Der erste Dokumentarfilm,<br />
der die familiäre Auseinandersetzung mit dem Holocaust<br />
sowohl auf der Täter- als auch auf der Opferseite<br />
beleuchtet.<br />
▶ Sonntag, 23. September 2012, 17.30 Uhr (Zu Gast:<br />
Erna de Vries, Gesa Knolle, Birthe Templin)<br />
2 ODER 3 DINGE, DIE ICH VON IHM WEISS –<br />
Deutschland 2005 – R+B: Malte Ludin – K: Franz Lustig,<br />
Birgit Gutjonsdottir, Martin Gressmann – M: Werner<br />
Pirchner, Hakim Ludin, Jaroslav Nahovica – Mit Malte<br />
Ludin, Erla Ludin, Iva Švarcová – 89 min – Hanns Elard<br />
Ludin war Deutscher Gesandter in der Slowakei und<br />
hatte maßgeblichen Anteil an der Deportation slowakischer<br />
Juden. 1947 wurde er in der CSSR als Kriegsverbrecher<br />
hingerichtet. In der Familie hieß es, er sei gefallen,<br />
und bald schlich sich gar die Vorstellung ein, er<br />
sei im Widerstand gewesen. Der jüngste Sohn macht<br />
sich nach Jahrzehnten daran, das Familiennarrativ zu<br />
hinterfragen. Er lässt in der Befragung seiner Verwandten<br />
nicht locker, geht dabei bisweilen brachial und<br />
schmerzhaft vor.<br />
▶ Sonntag, 28. Oktober 2012, 17.30 Uhr (Zu Gast: Malte<br />
Ludin)<br />
DAS WIRST DU NIE VERSTEHEN – Österreich 2003 –<br />
R+B: Anja Salomonowitz – K: Leena Koppe – M: Sami<br />
Zeciri – Mit Gertrude Rogenhofer, Margit Kohlhauser,<br />
Hanka Jassy, Yael Salomonowitz, Ludwig Jassy –<br />
53 min – »In meinem Film geht es um drei Frauen, die<br />
dem, was in der Geschichtswissenschaft als Täter- und<br />
Opfergeneration bezeichnet wird, angehören. Mit ihren<br />
unterschiedlichen Lebensgeschichten, unterschiedlichen<br />
Erzählungen und Erinnerungen leben sie alle in<br />
einer Familie, in meiner Familie.« (Anja Salomonowitz)<br />
»Hanka Jassy, ihre Großtante, hat Auschwitz überlebt.<br />
Gertrude Rogenhofer, ihr Kindermädchen, war Sozialistin<br />
und unterstützte ihren Onkel im Widerstand. Margit<br />
Kohlhauser, die Großmutter, lebte während des Krieges<br />
in Graz. Sie tat dort, was die meisten taten: Nichts.«<br />
(Nora Sternfeld)<br />
▶ Sonntag, 25. November 2012, 17.30 Uhr (Zu Gast:<br />
Anja Salomonowitz)<br />
GERDAS SCHWEIGEN – Deutschland 2008 – R: Britta<br />
Wauer – B: Britta Wauer, nach dem Buch von Knut Elstermann<br />
– K: Kaspar Köpke, Bob Hanna – M: Karim Sebastian<br />
Elias – Mit Gerda Schrage, Knut Elstermann,<br />
Steven Schrage, Helga Elstermann, Dorle Specht –<br />
95 min – Am Anfang steht ein Tabubruch: Das Kind<br />
Knut fragt seine »Tante Gerda« aus Amerika, gerade zu<br />
Besuch in der DDR, nach dem Verbleib ihres Kindes,<br />
über das niemand zu sprechen wagt. Die Kaffeegäste<br />
schweigen entsetzt. Knut ist verwirrt und beschämt.<br />
30 Jahre später besucht Knut Elstermann Gerda in<br />
New York und stellt ihr diese Frage erneut, und sie<br />
bricht ihr jahrzehntelanges Schweigen. Die Filmemacherin<br />
Britta Wauer ist Gerdas Geschichte nachgegangen<br />
und zeichnet das filmische Porträt einer faszinierenden<br />
Frau, die sich mit trotzigem Lebensmut ein<br />
Leben nach Auschwitz aufgebaut hat.<br />
▶ Sonntag, 20. Januar 2013, 17.30 Uhr (Zu Gast: Knut<br />
Elstermann)<br />
WINTERKINDER – DIE SCHWEIGENDE GENERATION<br />
– Deutschland 2005 – R+B: Jens Schanze – K: Börres<br />
Weiffenbach – Mit Antonie Schanze, Horst Schanze,<br />
Kerstin Schanze, Bärbel Schanze, Annette Schanze –<br />
95 min – Jens Schanze versucht in Gesprächen mit<br />
seiner Familie, die Geschichte seines Großvaters zu erforschen,<br />
der NS-Funktionär in Schlesien war. Nach<br />
jahrzehntelangem Schweigen tauchen in der Familie<br />
plötzlich Informationen über den Großvater auf, die<br />
nicht zu dem liebevollen Bild passen wollen, das die<br />
Mutter in ihren Erzählungen immer vermittelt hat. Anstatt<br />
seiner Mutter Vorwürfe zu machen und sie zu verurteilen,<br />
befasst sich Schanze mit der Schwierigkeit,<br />
den Vater / Großvater als Nazi-Täter zu begreifen.<br />
▶ Sonntag, 10. Februar 2013, 17.30 Uhr (Zu Gast: Jens<br />
Schanze)
PARABETON<br />
WHITE EPILEPSY<br />
7. Underdox Festival<br />
Ben Rivers war der letztjährige Artist in Focus des Festivals<br />
für Dokument und Experiment, Underdox. Das<br />
Festival für Filme im Zwischenreich von Kunst, Dokumentarfilm<br />
und experimentellen Formen zeigt den ersten<br />
Langfilm des Briten, TWO YEARS AT SEA, der letztes<br />
Jahr auf den Filmfestspielen von Venedig mit dem<br />
Preis der Internationalen Filmkritik ausgezeichnet wur -<br />
de und u. a. im New Yorker Museum of Modern Art zu<br />
sehen war. Rivers Film begleitet den Einsiedler Jake bei<br />
seinen alltäglichen Verrichtungen in einer abgeschiedenen,<br />
wilden Natur. Gefilmt hat Rivers in grobkörnigem<br />
Schwarzweiß, auf 16mm, und das Material selbst entwickelt,<br />
was seinem Film eine einzigartige, verrätselte<br />
Atmosphäre verleiht.<br />
Underdox zeigt die Werke von Filmkünstlern, die es<br />
hierzulande noch zu entdecken gilt. Der Franzose Philippe<br />
Grandrieux ist einer von ihnen. Der Dokumentar-<br />
und Kunstfilmer ist Vertreter eines physischen, ganz<br />
und gar sinnlichen Kinos, dem cinéma du corps und<br />
steht damit in einer Reihe mit Catherine Breillat oder<br />
Gaspar Noé. Für WHITE EPILEPSY hat er das Bildformat<br />
gekippt und arbeitet in Bildern, die an die Malerei von<br />
Caravaggio erinnern, zwei Körper heraus, die in einer<br />
archaischen Umarmung ihre ganze wilde Schönheit<br />
entwickeln.<br />
Heinz Emigholz ist Professor für Experimentelle Bild -<br />
gestaltung und Autor von Architekturfilmen, dessen<br />
Filme regelmäßig im Filmmuseum gezeigt wurden. In<br />
PARABETON spannt er den Bogen von den ersten römischen<br />
Betonbauten zu den stilbildenden Konstruktionen<br />
des italienischen Bauingenieurs Pier Luigi Nervi.<br />
Ungewöhnlich für Emigholz: Zum ersten Mal werden<br />
seine Bilder durch die Bewegungen von Tieren und<br />
Menschen animiert, die sich in den teils verlassenen,<br />
teils noch funktionalen Gebäuden aufhalten.<br />
Underdox ist eines von fünf Partnerfestivals der Viennale.<br />
Zum 50. Geburtstag des Wiener Festivals wird es<br />
zwei Programme als Hommage geben. In der Artothek<br />
neben dem Filmmuseum gibt es außerdem Son der -<br />
veranstaltungen rund um das Thema Kunst und Kino.<br />
Das genaue Programm von Underdox mit allen Titeln,<br />
Spieldaten und Spielorten ist ab Mitte September unter<br />
www.underdox-festival.de zu finden.<br />
Dunja Bialas<br />
▶ Donnerstag, 4. Oktober bis Sonntag, 7. Oktober 2012<br />
Underdox<br />
41
Rumänien<br />
42<br />
JENSEITS DER HÜGEL<br />
Ein Gespräch bei Tisch, dem sich die Freundin des Sohnes<br />
nicht entziehen kann, während ihre Freundin Gefahr<br />
läuft, in einem Hotelzimmer bei einem heimlichen<br />
Abtreibungsversuch zu verbluten (Cristian Mungius<br />
4 MONATE, 3 WOCHEN, 2 TAGE), die Gespräche des<br />
Krankenhauspersonals, während ein alter Mann die<br />
Agonie des Todes erreicht (Cristi Puius DER TOD DES<br />
HERRN LAZARESCU): vielleicht stand noch keine Gesellschaft<br />
wie die rumänische in ihrer spezifischen Art,<br />
im Gespräch Realität zu leugnen, so entschieden auf<br />
dem Prüfstand eines Kinos, dessen Kameras Aufzeichnungsmedium<br />
sein wollen, die fixieren, dabei erzittern,<br />
in Plansequenzen aushalten – und unauflösbare Widersprüche<br />
aufzeigen.<br />
Die zweite Dekade der Neuen Rumänischen Welle<br />
bricht an. Puiu fordert mit seinem dritten Film AURORA<br />
(im letztjährigen Programm des Filmmuseums) die<br />
Wirklichkeit selbst heraus, wenn sich für seinen verschlossenen<br />
Helden ein Moment seines komplexen Beziehungsgeflechtes<br />
zu vier Morden verdichtet. Mungius<br />
dritte Regiearbeit JENSEITS DER HÜGEL bekam dieses<br />
Jahr – nach der Goldenen Palme für 4 MONATE, 3 WO-<br />
CHEN, 2 TAGE – in Cannes Drehbuch- und Darstellerpreis.<br />
Wenn es Puius Frage ist, wieviel an reiner Sichtbarkeit<br />
Bilder in ihrer Folge fassen können, so fragt<br />
Mungiu mit ähnlicher Konzentration danach, wieviel Erzählung<br />
in eine Einstellung hineinpasst, welche Physis<br />
des Geistes in ein Bild, das sich dem Illusionskino verweigert.<br />
War 4 MONATE … ein Thriller mit überraschendem<br />
Inventar, so ist JENSEITS DER HÜGEL romanhaft<br />
jenseits von Sprache. Erneut stehen zwei<br />
junge Frauen im Zentrum, die eine liebt die andere, die<br />
andere liebt Gott vor der einen. Ihre Beziehung zu -<br />
Rumänisches Filmfestival<br />
einander ist die asymmetrische Achse des Filmes, an<br />
der entlang sich mit bescheidener Selbstverständlichkeit<br />
eine Tragödie ausbreitet.<br />
Das neue rumänische Kino differenziert in seinem zweiten<br />
Jahrzehnt seine Motive und Ausdrucksformen bewusst<br />
aus. Im diesjährigen Programm sind die neuen<br />
Arbeiten von Adrian Sitaru und Radu Jude zu sehen.<br />
Beide widmen ihre Filme, AUS LIEBE MIT DEN BESTEN<br />
ABSICHTEN und ALLE IN UNSERER FAMILIE, explizit<br />
den tragikomisch quälenden Familienbanden, deren<br />
Hintergrundrauschen die Spannung so vieler rumänischer<br />
Filme ausmachte. Sitaru ziseliert dabei ihre feinsten<br />
neurotischen Impulse aus, projiziert die Einmischungen<br />
einer vorlauten Gesellschaft an die Wand<br />
eines Krankenhauszimmers, in dem die geliebte Mutter<br />
sich von einem Schlaganfall erholen soll. Judes Held<br />
wird gleich ungewohnt handgreiflich, als ihm die perfiden<br />
Ausweichmanöver seiner Ex-Frau die Tochter zu<br />
entziehen drohen. Beide, Sitaru und Jude, verfolgen<br />
dabei auch formal-ästhetische Absichten, Fragen, die<br />
die neue Sprache des rumänischen Kinos aufwirft. Mit<br />
seinen beiden Spielfilmen SPORTANGELN und AUS<br />
LIEBE… lotet Sitaru die Möglichkeiten und Konsequenzen<br />
der subjektiven Einstellung aus. Jude – schön<br />
nachzuvollziehen bei der aufeinanderfolgenden Präsentation<br />
von ALEXANDRA, ALLE IN UNSERER FAMILIE<br />
und EIN FILM FÜR FREUNDE – infiltriert die meisterlich<br />
realistischen Konfliktsituationen des rumänischen<br />
Kinos mit Theatralik, mit dem Trash der B-Movies, mit<br />
einem Extremismus der Darstellung.<br />
Eine andere zentrale Entwicklungslinie der Neuen Welle<br />
greift Gabriel Achim mit ADALBERTS TRAUM auf: die<br />
erinnerte kommunistische Vergangenheit. Achim geht
in seiner schwarzen Komödie, darin ähnlich selbstbewusst<br />
wie Sitaru und Jude, formal einen neuen Weg,<br />
den der Kombination unterschiedlicher Datenträgerformate,<br />
um die historischen Texturen sprechen zu lassen<br />
– und den des ironischen Zitats von Filmen, die die Gesellschaft<br />
kollektiv einten.<br />
Das emanzipatorische Spiel, in das Achim die VHS-<br />
Technik einbindet, die für die jetzige Garde der jungen<br />
rumänischen Filmemacher in den 1980ern der Königsweg<br />
der Filmrezeption war, erfasst die Neue Welle<br />
selbst. Alexandru Maftei dreht mit HALLO! WIE GEHT’S?<br />
einen Genrefilm, eine romantic comedy zwischen Mittvierzigern,<br />
die der Liebe im Internet verfallen. Anca Damian<br />
dreht mit CRULIC einen abendfüllenden, von<br />
einem tragischen Schicksal inspirierten Animationsfilm,<br />
der sich durch die Mischung von Techniken von den<br />
Fesseln der biographischen Erzählung befreit.<br />
Im Jahr 2000, ein Jahr vor Cristi Puius Debüt KOKS<br />
UND KOHLE, war in Rumänien kein einziger Film entstanden.<br />
Brüche sind konstitutiv für die Filmgeschichte<br />
des Landes. Das Programm wirft auch einen Blick zurück<br />
auf diese Geschichte, wie sie sich nicht nur aus<br />
der Gegenwart in die Zukunft schreibt, sondern auch<br />
erneut zu schreiben ist, aus dem Kinosaal als lebendigem<br />
Archiv einer unterdrückten Vergangenheit heraus.<br />
Nur vier Spielfilme konnte Mircea Saucan zwischen<br />
1960 und 1974, von beispielloser Zensur betroffen,<br />
dre hen. MÄANDER und DER 100 LEI-SCHEIN sind<br />
Meis terwerke, genuin europäische Filme, die das Formbewusstsein<br />
seiner sowjetischen Lehrmeister mit den<br />
Aufbrüchen westeuropäischer Kinematographien verbanden.<br />
Die Kulturpolitik des Landes drängte Saucan<br />
nahezu vollständig aus dem Kino, dem damaligen Leitmedium<br />
der Wirklichkeitswahrnehmung, wie aus dessen<br />
Rezeptionsgeschichte hinaus. Er ist neu zu ent -<br />
decken. Irene Rudolf<br />
Ein Programm im Rahmen der »Rumänischen Kulturtage München«<br />
(5. Oktober bis 2. Dezember 2012), in Kooperation mit<br />
der Gesellschaft zur Förderung der Rumänischen Kultur und<br />
Tradition e.V., Mün chen und dem Centrul National al Cinematografiei,<br />
Bukarest.<br />
CHIPURI (GESICHTER) – Rumänien 2002 – R: Anca<br />
Damian – B: Anca Damian, Laurentiu Damian – 6 min,<br />
OmeU – Sie machen ein Foto. Sie versuchen, eine Sekunde<br />
stillzuhalten. Die Zeit vergeht, das Foto hält eine<br />
Sekunde ihres Lebens fest. Auf dem Friedhof sind die<br />
Fotos Symbole des Totengedenkens. – CRULIC – DRU-<br />
MUL SPRE DINCOLO (DER WEG INS JENSEITS) – Rumänien/Polen<br />
2011 – R+B: Anca Damian – K: Ilija Zogowski<br />
– M: Piotr Dziubek – 73 min, OmeU – Claudiu<br />
Crulic aus Dorohoi ist tot, gestorben 33jährig in Krakau<br />
nach 90tägigem Hungerstreik, mit dem der schuldlos<br />
Inhaftierte das Gefängnis, das Gericht, das Konsulat<br />
zur Prüfung seines Falles bewegen wollte. Der Anima -<br />
tionsfilm von Anca Damian wirbelt alle Techniken seiner<br />
Kunst durcheinander: Aquarell und Realfilm, Fotografie<br />
und Zeichnung, Knetmasse und Computergrafik,<br />
um den Gehalt von Erfahrungen und den Geschmack<br />
von Erinnerungen einzufangen.<br />
▶ Donnerstag, 11. Oktober 2012, 19.00 Uhr (Zu Gast:<br />
Anca Damian)<br />
MEANDRE (MÄANDER) – Rumänien 1967 – R: Mircea<br />
Saucan – B: Horia Lovinescu – K: Gheorghe Viorel<br />
Todan – M: Tiberiu Olah – D: Margareta Pogonat,<br />
Mihai Paladescu, Dan Nutu, Anna Széles – 89 min,<br />
OmeU – Ein Film von geometrischer Schönheit.<br />
Schwarz/Weiß von chromatischer Dichte, extreme Perspektiven,<br />
experimenteller Ton, surreale Motive und<br />
eine Montage von Sensationen, in denen die Vergangenheit<br />
gegenwärtig und zugleich die Gegenwart eine<br />
vergangene ist. Gelu bewundert Petre, den Geliebten<br />
seiner Mutter, und lässt sich von diesem ins Erwachsensein<br />
initiieren, weil »die Wahrheit existiert, die Liebe<br />
existiert, weil dies keine Lügen sind«. Eine Liebe scheitert<br />
am Sicherheitsbedürfnis einer schönen Frau, eine<br />
Karriere an Konformismus und ästhetischem Mittelmaß,<br />
der Beat der 1960er bricht mit kühlem Kalkül in<br />
der Mitte des Films die von den Körpern entfremdeten<br />
Stimmen in den katakombengleichen Behausungen<br />
der stalinistischen Ära auf.<br />
▶ Freitag, 12. Oktober 2012, 21.00 Uhr (Zu Gast: Dan<br />
Nutu)<br />
100 DE LEI (DER 100 LEI-SCHEIN) – Rumänien 1974<br />
– R: Mircea Saucan – B: Horia Lovinescu – K: Gheorghe<br />
Viorel Todan – M: Anatol Vieru – D: Dan Nutu,<br />
Ion Dichiseanu, Ileana Popovici, Violeta Andrei –<br />
95 min, OmeU – Saucans vierter und letzter Spielfilm<br />
nach vierjährigem Arbeitsverbot fällt 1973 in die Zeit<br />
der neostalinistischen Restauration. Dem 1971 ausge-<br />
Rumänien<br />
43
Rumänien<br />
44<br />
rufenen ideologischen Kulturkampf setzt Saucan den<br />
rebellischen Hippie Petre entgegen, der ein Mädchen<br />
nicht für sich gewinnen kann und am Zynismus seines<br />
Bruders, eines arrivierten Schauspielers, scheitert.<br />
Absurd verspielte Nachmittage in den Straßen Bukarests,<br />
aufgeworfene Landstriche, in denen mythische<br />
Ursprünge und mystische Erfahrungen aufscheinen,<br />
ein aufsehenerregender Buick, Träume der befreienden<br />
Bruderliebe und eine Sprache, die profane Realität,<br />
Spiel und Literatur und die Narben eines Freigeistes<br />
eint. Der Film erfährt die gewaltsamste Zensur: Das<br />
Negativ wird zerstört, Saucan wird psychiatrisch<br />
zwangsbehandelt, drei heimlich gezogene Positive<br />
überdauern die Diktatur, eines ist erhalten geblieben.<br />
▶ Samstag, 13. Oktober 2012, 21.00 Uhr (Zu Gast: Dan<br />
Nutu)<br />
BUNA! CE FACI? (HALLO! WIE GEHT’S?) – Rumänien<br />
2011 – R: Alexandru Maftei – B: Lia Bugnar – K: Radu<br />
Aldea – M: Dragos Alexandru – D: Dana Voicu, Ionel<br />
Mihailescu, Paul Diaconescu, Ana Popescu, Ioan Andrei<br />
Ionescu – 105 min, OmeU – Als Antwort auf Amerikas<br />
romantic comedy verwandelt Maftei Bukarest in<br />
ein warm glänzendes petit Paris, in dem an Haltestellen<br />
und Marktständen mutig Sehnsuchtsbotschaften aufblinken.<br />
Ein altmodisch bürgerliches und in zwanzig<br />
Ehejahren einander gleichgültig gewordenes Paar wird<br />
wieder zu Gabriel und Gabriela, die miteinander und<br />
ohne voneinander zu wissen heimlich und zum ersten<br />
Mal im Internet chatten. Die unverhoffte Nähe zu einem<br />
Fremden verändert sie beide. Maftei erzählt die turbulent<br />
scheue Geschichte eines zweiten Frühlings der<br />
Gefühle durch die Augen des stark pubertierenden Sohnes<br />
und findet ein Happy-End, das auch den Projektionen<br />
und Enttäuschungen eines virtuellen Aufbruchs<br />
und eines Kinos als Traumfabrik gerecht wird.<br />
▶ Mittwoch, 17. Oktober 2012, 21.00 Uhr<br />
PESCUIT SPORTIV (SPORTANGELN) – Rumänien<br />
2007 – R+B: Adrian Sitaru, nach einer Vorlage von<br />
Radu Jude – K: Adrian Silisteanu – M: Cornel Ilie – D:<br />
Adrian Titieni, Ioana Flora, Maria Dinulescuu – 84 min,<br />
OmeU – Zehn Drehtage im warmen Oktober, ein See<br />
nah der Hauptstadt, eine handgeführte Digitalkamera,<br />
keine Filmförderung: Sitaru dreht mit der Freiheit eines<br />
»Dogma«-Films, entwirft eine mise en scène am vorgefundenen<br />
Ort, entwickelt eine Dramaturgie in Echtzeit –<br />
und erzählt ausschließlich aus der jeweils subjektiven<br />
Perspektive seiner drei Hauptfiguren. Die abgründige<br />
Komödie um Schuld und Feigheit, Lüge und Begehren,<br />
Verführung, Bosheit, Naivität und Eifersucht rührt ans<br />
Phantastische. Ein Liebespaar fährt zu einem Picknick<br />
ins Grüne. Sie überfahren eine junge Prostituierte, die<br />
an ihrer Seite bleibt, mit zum See fährt, die »Büchse<br />
der Pandora« öffnet und keine Ruhe gibt, bis das moderne<br />
»Déjeuner sur l’herbe« zum Vexierbild einer anderen<br />
Erzählung aus einem anderen Blickwinkel wird.<br />
▶ Samstag, 20. Oktober 2012, 21.00 Uhr<br />
DIN DRAGOSTE CU CELE MAI BUNE INTENTII (AUS<br />
LIEBE MIT DEN BESTEN ABSICHTEN) – Rumänien<br />
2011 – R+B: Adrian Sitaru – K: Adrian Silisteanu – D:<br />
Bogdan Dumitrache, Natasa Raab, Marian Ralea, Alina<br />
Grigore, Adrian Titieni – 105 min, OmeU – Ein Anruf,<br />
die Mutter liege im Krankenhaus. Alex, der Endzwan -<br />
ziger, fährt sofort mit leichtem Gepäck und schweren<br />
Gedanken in die Heimatstadt. Eine Lawine an Spekulationen<br />
und Optionen, Rekonstruktionen und Voraus -<br />
sagen erfasst ihn. Was genau ist vorgefallen? Ist der<br />
Arzt kompetent, sagt er überhaupt die Wahrheit? Der<br />
Mutter geht es zusehends besser, dem Sohn zunehmend<br />
schlechter in diesem tragikomischen Familiendrama;<br />
und jeder Beteiligte, Vater und Freundin, Ärzte<br />
und das Lehrerkollegium der Mutter, Fremde allerorten<br />
ohnehin, haben was dazu zu sagen. Autobiografisch<br />
inspiriert, treibt Sitaru sowohl sein Thema aus SPORT -<br />
ANGELN, den Zweifel an den stattfindenden Ereignissen,<br />
als auch sein formales Experiment weiter.<br />
▶ Sonntag, 21. Oktober 2012, 21.00 Uhr
VISUL LUI ADALBERT (ADALBERTS TRAUM) – Rumänien<br />
2011 – R: Gabriel Achim – K: George Chiper-Lillemark<br />
– D: Gabriel Spahiu, Ozana Oancea, Doru Ana,<br />
Anca Androne – 98 min, OmeU – Im Geist der Tschechoslowakischen<br />
Neuen Welle, alte Dias zum Arbeitsschutz<br />
mit 8mm- und VHS-Texturen kombinierend, die<br />
ideologische und materielle Ausstattung der 1980er<br />
Jahre zusammentragend: Achims Debüt nimmt als<br />
schwarze Komödie um den Ingenieur Iulica eine Nacht<br />
und einen Tag im Mai 1986 in Augenschein. Steua Bucuresti<br />
gewinnt den UEFA-Pokal, die Gründung der<br />
kommunistischen Partei jährt sich zum 65. Mal, und Iulica<br />
geht im täglichen Slalom der ausweichenden Rede<br />
und der zuvorkommenden Gefälligkeiten dem Fabrikfest<br />
entgegen, bei dem nicht nur die Uraufführung seines<br />
experimentellen Stummfilms »Adalberts Traum«<br />
über das Unterbewusste des sozialistischen Arbeiters<br />
bevorsteht, sondern auch eine private Messerproduktion<br />
an der kollektiven Werkbank die Wachsamkeit der<br />
Spitzel und Funktionäre umgehen muss.<br />
▶ Mittwoch, 24. Oktober 2012, 21.00 Uhr<br />
DUPA DEALURI (JENSEITS DER HÜGEL) – Rumänien<br />
2012 – R+B: Cristian Mungiu, nach Tatiana Niculescu<br />
Bran – K: Oleg Mutu – D: Cosmina Stratan, Cristina Flutur,<br />
Valeriu Andriuta, Dana Tapalaga, Luminita Gheorghiu<br />
– 150 min, OmeU – Ein säkulares Passionsspiel,<br />
ein puristisches, in langen handgehaltenen Einstellungen<br />
sich abzeichnendes Melodram, ein tödliches Ringen<br />
zweier Frauen in farbreduzierten Tableaus, die die<br />
calvinistische Reinheit altniederländischer Malerei at -<br />
men. Alina kehrt in den armen Landstrich der Moldau<br />
zurück, um Voichita, die Jugendfreundin und spätere<br />
Geliebte im Waisenhaus, nach Deutschland mitzunehmen,<br />
findet sie in einer entbehrungsreich lebenden<br />
Klostergemeinschaft, kann sie nicht vom Ruf Gottes<br />
losreißen und nimmt um ihretwillen mit der pathologi-<br />
schen Verzweiflung Liebender den Kampf mit den Dogmen<br />
der Orthodoxie auf. Mungiu erzählt unparteiisch,<br />
entfaltet das Weltverständnis der Nonnen in der Konzentration<br />
auf die Körperlichkeit einer spirituellen Praxis,<br />
deren buchstäbliches Heilsversprechen den humanen<br />
Horizont überschreitet.<br />
▶ Freitag, 26. Oktober 2012, 21.00 Uhr<br />
ALEXANDRA – Rumänien 2008 – R+B: Radu Jude –<br />
K: Andrei Butica – D: Serban Pavlu, Alexandra Pascu,<br />
Oana Ioachim – 27 min, OmeU – TOATA LUMEA DIN<br />
FAMILIA NOASTRA (ALLE IN UNSERER FAMILIE) –<br />
Rumänien 2012 – R+B: Radu Jude – K: Andrei Butica<br />
– D: Serban Pavlu, Mihaela Sirbu, Gabriel Spahiu –<br />
107 min, OmeU – Judes Figuren sind von unbändigem<br />
Spieltrieb, und ihre Beziehungen zueinander sind ständiges<br />
hausgemachtes Theater. In ALEXANDRA streiten<br />
Vater, Mutter und deren neuer Lebensgefährte um die<br />
Deutungshoheit des Wortes »Papa« – der misstrau -<br />
ische Papa sieht sich aus dem Leben der Tochter<br />
herausgedrängt. In ALLE IN UNSERER FAMILIE setzt<br />
der Vater dann in derselben Sache zu anarchischer Gegengewalt<br />
an. Marius will sein gerichtlich zuerkanntes<br />
Besuchsrecht wahrnehmen, Otilia, die Mutter, will das<br />
vereiteln, der neue Freund und die Großmutter treiben<br />
die rasant Volten schlagende Eskalation voran. Mit<br />
Judes Film fällt ein Tabu für das rumänische Kino:<br />
jenes des Klischees, der Geste aus zweiter Hand, der<br />
grellen Farbe und des geschmacklosen Schlagabtauschs.<br />
Die Hysterie der Verhältnisse ist zugleich zenbuddhistische<br />
Fügung und schiere Lebenskraft.<br />
▶ Samstag, 27. Oktober 2012, 21.00 Uhr<br />
FILM PENTRU PRIETENI (EIN FILM FÜR FREUNDE) –<br />
Rumänien 2011 – R+B: Radu Jude – K: Andrei Butica<br />
– D: Gabriel Spahiu, Serban Pavlu, Lucia Maier –<br />
60 min, OmeU – In einer tour de force ungeschnittener<br />
30 Minuten nimmt der Schauspieler Gabriel Spahiu vor<br />
dem geplanten Selbstmord eine Videobotschaft an<br />
seine Freunde auf. Der Kinozuschauer ist nicht gemeint,<br />
bleibt auf Distanz. »Es ist tragisch, dass es so<br />
komisch ist«, sagt Jude. Der Suizid misslingt, die Kamera<br />
läuft weiter, die Amateuraufnahme wird zum<br />
Fenster in eine Welt, in der Nachbarn, dann Sanitäter<br />
aus dem Off kommen und verzweifelt agieren. Mit<br />
Freunden an zwei Tagen in Spahius Wohnung gedreht,<br />
erreicht der Film eine seltene Einheit von Form und Inhalt.<br />
Jude sucht wieder – wie in ALLE IN UNSERER FA-<br />
MILIE – das Extrem, das bislang Ungesehene, einen<br />
Naturalismus des Ausnahmezustandes.<br />
▶ Sonntag, 28. Oktober 2012, 21.00 Uhr<br />
Rumänien<br />
45
Film und Psychoanalyse<br />
46<br />
Jetzt wird’s ernst! Die letzte Komödienstaffel und unser<br />
hingebungsvolles Publikum haben uns ermutigt, der<br />
leichten Muse noch etwas näher zu treten. Nach den<br />
Titanen des Genres in der ersten Staffel, den Marx<br />
Brothers, Ernst Lubitsch und Billy Wilder, hatte uns<br />
Martin Scorseses KING OF COMEDY bereits einen Vorgeschmack<br />
auf die Metakomödie gegönnt, die davon<br />
lebt, dass im Film das Filmkomische selbst aufs Korn<br />
genommen wird. In unserer neuen Staffel geben sich<br />
weitere Artisten der Selbstreferenz die Ehre: Woody<br />
Allen, der die Psychoanalyse als Leinwand benutzt,<br />
Crichton und Cleese, die aus einer Heist-Vorlage ein<br />
unwiderstehliches Pointenpatchwork häkeln, Bill Murray,<br />
der sozusagen aus dem Film nicht mehr herauskommt,<br />
und zum Abschluss der Meister des Unauffälligen,<br />
Jacques Tati mit seiner Figur Monsieur Hulot. Was<br />
die Psychoanalyse dazu zu sagen hat? Verraten wir<br />
nicht. Andreas Hamburger<br />
ANNIE HALL (DER STADTNEUROTIKER) – USA 1977<br />
– R: Woody Allen – B: Woody Allen, Marshall Brickman<br />
– K: Gordon Willis – D: Woody Allen, Diane Keaton,<br />
Tony Roberts, Carol Kane, Paul Simon – 93 min, OmU<br />
– Der erfolgreiche Komiker Alvy Singer liebt und verliert<br />
die Sängerin Annie Hall: Kein neues Thema in der Film-<br />
Film und Psychoanalyse<br />
geschichte. Aber wie Allen das Paar sich in ständigen,<br />
hypomanischen Selbsterklärungen finden – und natürlich<br />
hauptsächlich verfehlen lässt, wie Alvy ständig von<br />
autobiographischen Assoziationen heimgesucht wird,<br />
die ihm helfen sollen, sich zu verstehen und ihn doch<br />
nur verwirren und uns belustigen, das ist nicht nur einzigartig<br />
komisch, sondern Woody Allen hat mit seinem<br />
Film einem Männertyp der 1970er Jahre ein ironisches<br />
Denkmal gesetzt, den der deutsche Verleihtitel DER<br />
STADTNEUROTIKER ausnahmsweise einmal gut erfasst.<br />
Wie virtuos der Film auch formal ist, mit seinen<br />
locker ineinander geschachtelten Rückblenden, seinen<br />
Doppelbelichtungen, dem direkten Ansprechen des Publikums<br />
und mit seinen Untertitelungen: Das kann man<br />
mehr als drei Jahrzehnte nach der Entstehung fast<br />
noch besser genießen als beim ersten Sehen.<br />
▶ Sonntag, 21. Oktober 2012, 17.30 Uhr (Einführung:<br />
Matthias Baumgart)<br />
A FISH CALLED WANDA (EIN FISCH NAMENS<br />
WANDA) – USA 1988 – R: Charles Crichton – B: John<br />
Cleese – K: Alan Hume – M: John Du Prez – D: John<br />
Cleese, Jamie Lee Curtis, Kevin Kline, Michael Palin,<br />
Maria Aitken – 108 min, OmU – Aus der Feder des<br />
Monty Python-Stars John Cleese stammt diese briti-<br />
ANNIE HALL
sche Kult-Komödie von 1988. Der Plot um ein Gaunerquartett<br />
gibt den Autoren Gelegenheit, schwärzesten<br />
britischen Humor mit einem lustvollen Angriff auf bürgerliche<br />
Moral- und Ehrvorstellungen zu verbinden.<br />
Tabus werden im befreienden Lachen über Behinderung,<br />
Verklemmtheit, Tierliebe und über den Anspruch<br />
auf Treue, Ehrlichkeit und Anstand außer Kraft gesetzt.<br />
Lebensformen von »geordneter Sexualität« und Ver -<br />
suche sexueller Befreiung gehen ineinander über.<br />
▶ Sonntag, 18. November 2012, 17.30 Uhr (Einführung:<br />
Heidi Spanl, Katharina Leube-Sonnleitner)<br />
GROUNDHOG DAY (…UND TÄGLICH GRÜSST DAS<br />
MURMELTIER) – USA 1993 – R: Harold Ramis – B:<br />
Danny Rubin – K: John Bailey – M: George Fenton – D:<br />
Bill Murray, Andie MacDowell, Chris Elliott, Steven Tobolowsky,<br />
Brian Doyle-Murray – 101 min, OmU – Phil<br />
Connors ist ein zynischer TV-Wetteransager, der wie<br />
jedes Jahr im Februar über ein Wetterritual in Illinois<br />
berichten muss, bei dem ein erwachendes Murmeltier<br />
das Frühjahr ankündigt. Zu seinem Schrecken muss er<br />
erkennen, dass er in einer Zeitschleife festhängt, die<br />
denselben Tag immer wieder aufs Neue in seinem Hotelzimmer<br />
beginnen lässt. Ob in der Filmtrilogie BACK<br />
TO THE FUTURE, den TERMINATOR-Filmen oder eben<br />
GROUNDHOG DAY – für den Film war es immer eine<br />
faszinierende Möglichkeit, mit den Zeitebenen spielen<br />
zu können, in Zeitlöcher oder -schleifen zu geraten, in<br />
der Zukunft oder Vergangenheit festgehalten zu sein<br />
und versuchen zu müssen, in die eigene, »richtige« Zeit<br />
zurückkehren zu können.<br />
▶ Sonntag, 13. Januar 2013, 17.30 Uhr (Einführung:<br />
Mathias Lohmer, Eva Friedrich)<br />
LES VACANCES DE M. HULOT (DIE FERIEN DES<br />
MONSIEUR HULOT) – Frankreich 1953 – R: Jacques<br />
Tati – B: Jacques Tati, Henri Marquet – K: Jacques<br />
Mercaton – M: Alain Romans – D: Jacques Tati, Nathalie<br />
Pascaud, Michele Rolla, André Dubois – 99 min,<br />
OmeU – Jacques Tatis Abenteuer in einer kleinen Badestadt<br />
am Atlantik. Mit dem ihm ganz eigenen skurrilen,<br />
dem Stummfilm verwandten Humor schildert Tati<br />
die Fährnisse eines Außenseiters, der von der heterogenen<br />
Gruppe der Urlauber wegen seines ungewollt<br />
»asozialen« Verhaltens abgelehnt wird. Mit seinem<br />
chaotischen Charme gewinnt er allerdings die Sympathie<br />
der allseits begehrten Martine. Die Komik entsteht<br />
durch die körpersprachlichen Eigenheiten des Protagonisten,<br />
den Lärm und die Tumulte, die er in der Gruppe<br />
produziert, und die Kettenreaktionen von Alltagskatastrophen,<br />
die er unabsichtlich auslöst. Gezeigt wird die<br />
ungekürzte Urfassung des Films aus dem Jahr 1953.<br />
▶ Sonntag, 17. Februar 2013, 17.30 Uhr (Einführung:<br />
Corinna Wernz, Andreas Hamburger)<br />
A FISH CALLED WANDA<br />
Film und Psychoanalyse<br />
47
Olympia 1936<br />
48<br />
Leni Riefenstahls monumentaler, zweiteiliger Film<br />
OLYMPIA gilt noch heute als einer der »besten Sportfilme«.<br />
Sein Ruf ist legendär, und zweifelsohne ist<br />
schon seine Entstehungsgeschichte einzigartig: Der<br />
Film wurde mit einem nicht nur für die damaligen Zeit<br />
unglaublichen Budget gedreht, das ein Vielfaches über<br />
den Herstellungskosten eines normalen Spielfilms lag,<br />
und erst zwei Jahre nach dem Ereignis ins Kino gebracht,<br />
weil Riefenstahl allein anderthalb Jahre im<br />
Schneideraum verbrachte. Sie sah in dem Projekt eine<br />
Herausforderung, die ihr weltweite Beachtung und<br />
Ruhm einbringen sollte. So erstellte Riefenstahl selber<br />
leicht umgeschnittene und veränderte Sprachfassungen<br />
von OLYMPIA in Englisch, Französisch, Italienisch<br />
und Japanisch, besuchte die Premieren in verschiedenen<br />
europäischen Ländern und nahm zahlreiche Auszeichnungen<br />
entgegen. Nur in Hollywood, wo man ihre<br />
Nähe zu den Machthabern des NS-Regimes missbilligte,<br />
verweigerte man ihr die Anerkennung – als Riefenstahl<br />
im November 1938 in Los Angeles eintraf,<br />
wurde sie von fast allen Vertretern der Filmwirtschaft<br />
boykottiert. Joseph Goebbels hatte OLYMPIA in höchs-<br />
Olympia 1936<br />
ten Tönen gelobt: »Der hinreißende Rhythmus dieses<br />
gewaltigen Sportepos verrät Geist vom Geiste unserer<br />
Zeit. In einer modernen, aber dabei disziplinierten und<br />
gründlichen Arbeit ist hier ein künstlerischer Film zustande<br />
gekommen, der alle Bewunderung verdient. Er<br />
wird deutsche Geltung in der Welt vertreten und Zeugnis<br />
ab legen von der Größe unseres Volkes und unserer<br />
Zeit.« Enttäuscht teilte Riefenstahl den amerikanischen<br />
Pressevertretern mit: »Obwohl Amerika auf der Olympiade<br />
1936 große Erfolge erzielt hat, wird der Film mit<br />
seinen siegreichen Athleten hier nicht gezeigt, weil die<br />
amerikanische Filmindustrie sowohl in der Produktion<br />
als auch im Verleih von Leuten kontrolliert wird, die das<br />
heutige Deutschland ablehnen. Und dies, obwohl es<br />
sich bei den Olympischen Spielen um ein reines Sportereignis<br />
handelt und obwohl der Film überall sonst auf<br />
der Welt gezeigt worden ist.«<br />
Riefenstahls Film erfuhr von denjenigen, die ihn gesehen<br />
hatten, seinerzeit durchweg Bewunderung für<br />
seine technische Perfektion und stilisierte Ästhetik.<br />
Diese hat sich heute in Werbung, Sportberichterstattung<br />
und Fotografie längst durchgesetzt: »Riefenstahls<br />
Foto: Leni Riefenstahl © International Olympic Committee / Leni Riefenstahl Medienarchiv
Filme – und das ist ihr hervorstechendes Merkmal –<br />
sind in einer besonders nachdrücklichen Weise auf das<br />
Große, Bedeutende, Schöne aus und bar jeglicher wie<br />
beiläufig oder nebenher gezeigten Begebenheiten. Sie<br />
kennen folglich weder Ambivalenz noch gar Widersprüche,<br />
interessieren sich weder für das Alltägliche noch<br />
das Absonderliche. Diese Filme suchen das ›Typische‹<br />
oder genauer: das Typisierte. Riefenstahls Kunstbegriff<br />
ist frei von Ironie und Humor, ihre Werke meiden reflexive<br />
Momente.« (Rainer Rother) Als Perfektionistin arbeitete<br />
Riefenstahl auch über die Premiere hinaus an<br />
ihrem Film. Sie änderte immer wieder Kleinigkeiten und<br />
ließ aus den 400.000 Metern Filmmaterial, die ihre<br />
43 Kameramänner aufgenommen hatten, noch kurze<br />
Sportlehrfilme herstellen. Als OLYMPIA 1958 in der<br />
Bundesrepublik von einem Verleih noch einmal in die<br />
Kinos gebracht wurde, musste sie, um eine Freigabe<br />
der Freiwilligen Selbstkontrolle der deutschen Filmwirtschaft<br />
(FSK) zu erhalten, alle NS-Symbole und den Auftritt<br />
von Adolf Hitler entfernen. 1967 schnitt Riefenstahl<br />
eine neue Fassung der englischen Version des Films,<br />
die anlässlich der Olympischen Sommerspiele 1968 in<br />
Mexiko laufen sollte. In der Bundesrepublik konnte der<br />
Film zu Lebzeiten Leni Riefenstahls nur mit ihrer persönlichen<br />
Genehmigung aufgeführt werden, wobei sie<br />
filmhistorische Einführungen oder Kommentierungen<br />
jedweder Art verbot.<br />
Das International Olympic Committee (IOC) in Lausanne<br />
ist seit Jahren bemüht, die offiziellen Olympia-Filme,<br />
die seit 1924 entstanden, zu restaurieren und zu archivieren.<br />
Die Arbeit an OLYMPIA dauerte vier Jahre.<br />
Da nur noch umgeschnittene Versionen des Films existierten,<br />
wurden Filmmaterialien aus 23 Archiven zusammengetragen,<br />
darunter Teile des originalen Nitro-<br />
Negativmaterials, das Leni Riefenstahl im George Eastman<br />
House in Rochester eingelagert hatte. In mühevoller<br />
Kleinarbeit wurden die Filmkopien Bild für Bild verglichen<br />
und in 4K-Auflösung gescannt. Die Aufführung<br />
im Filmmuseum München ist die erste öffentliche Präsentation<br />
der restaurierten Urfassung und wird von den<br />
Filmrestauratoren Adrian Wood und Robert Jaquier eingeführt.<br />
Begleitend zu ihrem Vortrag über ihre Restaurierungsarbeit<br />
werden zwei weitere Raritäten gezeigt:<br />
Ein von Riefenstahl 1937 produzierter Film über die<br />
Fertigstellung des OLYMPIA-Films, der im Ausland zur<br />
Vorabwerbung eingesetzt wurde, und der offizielle Film<br />
zu den Olympischen Winterspielen 1936 in Garmisch-<br />
Partenkirchen JUGEND DER WELT von Carl Junghans.<br />
Dieser weitgehend in Vergessenheit geratene Film ist<br />
besonders interessant, weil Junghans ähnliche Stilmittel<br />
wie Riefenstahl einsetzte.<br />
Fotos: Lothar Rübelt © International Olympic Committee<br />
Leni Riefenstahl bei den Dreharbeiten zu OLYMPIA<br />
Olympia 1936<br />
49
Olympia 1936<br />
50<br />
Rainer Rother verglich die beiden Filme: »JUGEND DER<br />
WELT stellt keine Chronik dar, sondern geht in bewusster<br />
Abgrenzung von der Wochenschau so weit, die Sieger<br />
der Wettbewerbe namentlich nicht einmal zu nennen.<br />
Nur eingeblendete Fahnen geben dem Zuschauer<br />
einen vagen Hinweis auf die Gewinner. Die souveräne<br />
Distanz zur bloßen Reportage ist bei Junghans so weit<br />
getrieben, dass einzelne Disziplinen nur noch als Stakkato<br />
einer extrem ›schnellen‹ Montage vorgestellt werden.<br />
Die Musik Walter Gronostays unterstützt das,<br />
indem sie die Einstellungen zusätzlich dynamisiert. Das<br />
›Avantgardistische‹ des Werks fand nicht jedermanns<br />
Beifall, erschwerte sicherlich eine breite Rezeption. Riefenstahl<br />
hat die Extreme vermieden. Die Zuschauer, die<br />
sich von JUGEND DER WELT überfordert fühlten, erhielten<br />
in OLYMPIA genügend Orientierungshilfe. Die einzelnen<br />
Wettkämpfe wurden möglichst so geschnitten,<br />
dass klare Spannungsbögen erkennbar sind. Das<br />
führte zu einer paradoxen Häufung von sportlichen Entscheidungen,<br />
die scheinbar erst im letzten Versuch fielen<br />
– was den realen Verläufen der Wettkämpfe (wie<br />
zum Beispiel beim Weitsprung der Männer oder beim<br />
Speerwerfen der Frauen) gar nicht entsprach. Die Zuschauer<br />
sollten vom Film durchgängig ›gefesselt‹ sein.<br />
Auf diese Art bekommt selbst das Endspiel im Hockey<br />
auf der Leinwand eine Dramatik, die es im Stadion nie<br />
entfalten konnte, da Deutschland gegen Indien ohne<br />
jede Chance war und mit 1:8 verlor – ein Ergebnis, das<br />
der Film verschweigt.« Stefan Drößler<br />
JUGEND DER WELT. DER FILM VON DEN IV. OLYM-<br />
PISCHEN WINTERSPIELEN IN GARMISCH-PARTEN-<br />
KIRCHEN 1936 – Deutschland 1936 – R: Carl Junghans<br />
– B: Carl Junghans, Hans Weidemann – K: Sepp<br />
Allgeier, Hans Ertl, Hugo O. Schulte, Kurt Neubert, Walter<br />
Frentz, Heinz von Jaworsky, Erich Stoll, Paul Tesch,<br />
Carl Heinrich Wenng, Heinz Kluth, Bernhard Juppe,<br />
Hans Winterfeld – M: Walter Gronostay – 37 min –<br />
Ursprünglich sollte Leni Riefenstahl auch einen Film<br />
über die Olympischen Winterspiele 1936 drehen, doch<br />
wegen anderweitiger Verpflichtungen verzichtete sie<br />
auf diesen Auftrag. Der Film wurde von Riefenstahls<br />
Kameraleuten gedreht und unter Hans Weidemanns<br />
»künstlerischer Oberleitung« von Carl Junghans montiert.<br />
Er wurde als bester Dokumentarfilm bei der 4. Mostra<br />
internazionale d’arte cinematografica di Venezia<br />
1936 ausgezeichnet und erhielt einen Grand Prix bei<br />
der Internationalen Ausstellung in Paris 1937. – DER<br />
OLYMPIA-FILM ENSTEHT / AUTOUR DES TRAVAUX<br />
EFFECTUES POUR LE FILM DES JEUX OLYMPIQUES<br />
1936 / BEHIND THE SCENES OF THE FILM ABOUT<br />
THE OLYMPIC GAMES 1936 – Deutschland 1937 –<br />
R+B: Rudolf Schaad – M: Walter Gronostay – 35 min,<br />
englisch-französische OF – Da Leni Riefenstahl für den<br />
Schnitt ihrer Olympia-Filme eineinhalb Jahre be nötigte,<br />
wurde von ihren Assistenten einen Vorabfilm zusammengestellt,<br />
der 1937 auf der Internationalen Ausstellung<br />
in Paris und auf der 5. Mostra internazionale<br />
d’arte cinematografica di Venezia gezeigt wurde. Der<br />
Film ist in Deutschland nie aufgeführt worden und liegt<br />
deshalb nur in einer bilingualen fremdsprachigen Fassung<br />
vor.<br />
▶ Dienstag, 30. Oktober 2012, 18.30 Uhr (Englischer<br />
Einführungsvortrag über die Rekonstruktion von OLYM-<br />
PIA: Robert Jaquier & Adrian Wood)<br />
OLYMPIA. DER FILM VON DEN XI. OLYMPISCHEN<br />
SPIELEN BERLIN 1936 – Deutschland 1938 – R+B:<br />
Leni Riefenstahl – K: Hans Ertl, Walter Frentz, Guzzi<br />
Lantschner, Kurt Neubert, Hans Scheib, Andor von<br />
Barsy, Willy Zielke, Wilfried Basse, Josef Dietze, Edmund<br />
Epkins, Fritz von Friedl, Hans Karl Gottschalk,<br />
Richard Groschopp, Willy Hameister, Wolf Hart, Hasso<br />
Hartnagel, Walter Hege, Eberhard von der Heyden, Albert<br />
Höcht, Paul Holzki, Werner Hundhausen, Heinz von<br />
Jaworsky, Hugo von Kaweczynski, Herbert Kebelmann,<br />
Sepp Ketterer, Albert Kling, Ernst Kunstmann, Leo de<br />
Laforgue, Alexander von Lagorio, Eduardo Lambertini,<br />
Otto Lantschner, Waldemar Lembke, Georg Lemki,<br />
C. A. Linke, Erich Nitzschmann, Albert Schattmann, Wilhelm<br />
Schmidt, Hugo O. Schulze, Leo Schwedler, Alfred<br />
Siegert, Wilhelm Georg Siehm, Ernst Sorge, Hans von<br />
Stwolinski, Karl Vass – M: Herbert Windt – 230 min –<br />
Olympia wurde am 20. April 1938, an Adolf Hitlers<br />
49. Geburtstag, in Berlin uraufgeführt. Anwesend war<br />
die gesamte Berliner Prominenz aus Politik, Wirtschaft,<br />
Militär, Industrie und Kultur. Der Film wurde später für<br />
den Kinoeinsatz in zwei Teilen herausgebracht: FEST<br />
DER VÖLKER und FEST DER SCHÖNHEIT. Erstmals ist<br />
der Film wieder in seiner Uraufführungsfassung zu<br />
sehen, die das International Olympic Committee aufwändig<br />
restauriert hat.<br />
▶ Mittwoch, 31. Oktober 2012, 19.00 Uhr (Einführung:<br />
Stefan Drößler)
70 Rosa Filme<br />
1967 drehte er seinen ersten Film, da war Rosa von<br />
Praunheim 25 – geboren als Holger Mischwitzky am<br />
25. November 1942 in Riga, aufgewachsen in Ost-<br />
Berlin und später im Stadtteil Praunheim von Frankfurt<br />
am Main. Drei Jahre später kam NICHT DER HOMO -<br />
SEXUELLE IST PERVERS, SONDERN DIE SITUATION, IN<br />
DER ER LEBT in die Kinos. 1969 war der in der von den<br />
Nazis verschärften Form geltende § 175, der »Unzucht<br />
zwischen Männern« unter Strafe stellte – und erst<br />
1994 ganz abgeschafft wurde – auf Beziehungen von<br />
über 18-jährigen mit noch nicht Volljährigen beschränkt<br />
worden. Am 31. Januar 1972 zeigte das<br />
WDR-Fernsehen diesen bis heute auch in Schwulenkreisen<br />
umstrittenen Film, der Rest der ARD-Sender<br />
schaltete ab. Heute hat jede TV-Serie ihren Quoten-<br />
Schwulen, Spielfilme zeigen expliziten schwulen Sex<br />
zur besten Sendezeit, Tabu-Themen wie Pädophilie erobern<br />
den TATORT.<br />
Ein Leben lang hat Rosa über 70 Filme (nicht nur) mit<br />
und über Schwule gedreht – und über ihre Idole: Spielfilme,<br />
Dokus, krude Mischungen aus beidem: ARMEE<br />
DER LIEBENDEN (1979) dokumentiert die Schwulenbewegung<br />
in den USA, EIN VIRUS KENNT KEINE MORAL<br />
(1985) ist eine bitterkomische, schrille Abrechung aus<br />
den ersten Jahren nach Entdeckung des HIV-Virus,<br />
ANITA – TÄNZE DES LASTERS (1987) porträtiert Anita<br />
Berber, ÜBERLEBEN IN NEW YORK (1989) drei junge<br />
deutsche Frauen in New York, AFFENGEIL (1990) Lotti<br />
Huber. DER EINSTEIN DES SEX (1999) ist ein Spielfilm<br />
über den Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld.<br />
MÄNNER, HELDEN, SCHWULE NAZIS über die Faszination<br />
rechten Gedankenguts auf Homosexuelle kommt<br />
2005 in die Kinos, MEINE MÜTTER erzählt 2007 die<br />
Suche nach der Geschichte von Praunheims leiblicher<br />
Mutter, von der er erst 2000 durch seine 94-jährige<br />
(nun Adoptiv-)Mutter erfahren hatte. Zuletzt waren<br />
ROSAS HÖLLENFAHRT (2009) auf den Spuren der Höllenvorstellungen<br />
verschiedener Religionen, DIE JUNGS<br />
VOM BAHNHOF ZOO (2011) und KÖNIG DES COMICS<br />
(2012) über den schwulen Zeichner Ralf König zu<br />
sehen.<br />
Und jetzt das ultimative, exzessive Projekt zum runden<br />
Geburtstag: 70 neue Filme zu Rosas 70. oder auch<br />
70 ROSA FILME. Diese zwischen 4 und 40 Minuten langen<br />
Werke mit einer Gesamtlänge von über 20 Stunden<br />
sind oft schon vor ein paar Jahren entstanden oder<br />
wurden im Sommer noch gedreht. Sie bilden ein Kaleidoskop<br />
des Lebens in allen seinen Facetten, erzählen<br />
von starken Frauen und starken Schwulen, von jüdischen<br />
Lebenswelten, aber auch von sensiblen Heteros.<br />
Rosa leitet sie, bestückt mit immer anderen, schrillen,<br />
oft paillettenbesetzten Hutkreationen vielfach ein mit:<br />
»Würdest du dich bitte vorstellen!« Ganz alltägliche,<br />
kleine, aber spannende Biographien kommen da zum<br />
Vorschein, oder ein unglaublicher Lebensrückblick wie<br />
im Falle der jüdischen Familie um den Filmmogul Atze<br />
ICH BIN EIN GEDICHT<br />
Rosa von Praunheim<br />
51
Rosa von Praunheim<br />
EVA MATTES<br />
52<br />
KINGS OF PORN<br />
Brauner. Dies ist nicht ohne Grund Rosas Lieblingsfilm,<br />
der seinen Höhepunkt in der Synagoge bei der Bar<br />
Mitzwa der Zwillinge von Tochter Alice Brauner und<br />
dem anschließenden rauschenden Fest hat. Auch das<br />
Doppelporträt von Ulla und Karsten Klingbeil – er einst<br />
erfolgreich im Baugewerbe und Bildhauer, sie heute<br />
umtriebige Charity-Lady – ist unterhaltsam, informativ,<br />
lustig und berührend: »Der, der geliebt wird, ist nie tot«,<br />
lautet der letzte Satz und die sonst so taffe Frau bekommt<br />
Tränen in die Augen.<br />
Manchmal wünscht man sich, dass ein Film wie der<br />
über Eva Mattes länger dauert als 21 konzentrierte Minuten;<br />
manchmal reichen fünf Minuten voll und ganz,<br />
um ein Thema anzureißen. Aber auch wenn Gerd und<br />
Conny (MEINE NACHBARN) eine halbe Stunde vom Zusammenleben<br />
über Jahrzehnte und den am Down-Syndrom<br />
erkrankten Bruder Connys erzählen, kommt nie<br />
Langeweile auf, erlebt man die Dokumentation einer<br />
von Respekt, Liebe, Freiheit und feinem Spott getragenen<br />
Beziehung.<br />
Schrilles und Schräges, Saftiges (KINGS OF PORN) und<br />
Knallbuntes, ungemein Komisches (DER FRÖHLICHE<br />
SERIENMÖRDER), aber auch Anrührendes und Leises<br />
(EIN VATER STIRBT) findet sich unter den 70 Filmen.<br />
Sensible Künstler kommen zu Wort und wilde Vögel, introvertierte<br />
Menschen, Krawalltunten und ein schwuler<br />
Schornsteinfeger, der einen Beruf unter lauter Heteros<br />
und Privatleben, in dem er ein S/M-Festival organisiert,<br />
perfekt verbinden kann. Schauspieler und Sänger aller<br />
Couleur sind dabei, wie ein im Technostil Seemannslieder<br />
singender, bärtiger, tätowierter Prackl oder eine<br />
zarte Rumänin (Sanda Weigl), schwule Verlagsleiter wie<br />
Michael Merschmeier und der mit HIV lebende Dichter<br />
Mario Wirtz, der Schauspieler und Regisseur Peter<br />
Kern (AXEL UND PETER) oder der Theologe David<br />
Berger, der lange im Vatikan den »heiligen Schein«<br />
bewahren musste, bevor er sich als schwuler Katholik<br />
outete.<br />
Allein ein Drittel der Filme ist Schwulen, Lesben, Transgender<br />
gewidmet: Strichern, Pornodarstellern, Dragqueens,<br />
einer lesbische Sexualwissenschaftlerin, die<br />
lustvoll weibliche Genitalien zelebriert (MÖSENMONAT<br />
MÄRZ), Edith alias Ades Zabel, dem berühmtesten homosexuellen<br />
Komiker Berlins und einem SPD-Politiker<br />
wie Georg Härpfer, der sich lebenslang für schwule<br />
Rechte einsetzt. Aber auch Tabu-Themen wie männliche<br />
Prostitution oder Schwule im Alter (GAY NOT GREY)<br />
scheut Rosa von Praunheim nicht. Letzteres ist ein<br />
Halbstunden-Film, in dem der 85-jährige Gottfried und<br />
der 20-jährige Max samt ihrer Gemeinschaft in einem<br />
Haus mit 20 Wohnungen für alte Schwule und Lesben<br />
– eine Demenz-WG eingeschlossen – porträtiert werden.<br />
Und wenn Porno-Stars (PORNO PETO) ganz zärtlich<br />
eine Liebesszene spielen, dann widerspricht auch<br />
das allen Klischees.<br />
Meist hat Rosa die Gesichter der Menschen, mit denen<br />
er spricht, im Blick der Kamera, oder er schneidet alte<br />
Fotos dazwischen, Ausschnitte aus Theateraufführungen,<br />
mischt fließenden Verkehr darunter oder Architektur-Details.<br />
Oft filmt er die Interieurs, in denen die Gespräche<br />
stattfinden, aber auch mit Vorliebe Blumen –<br />
auf dem Balkon, am Grab (der Berliner Ex-Senatorin<br />
Anne Klein in EINE LESBISCHE WITWE) oder im verwunschenen<br />
Dachgarten von Eva Mattes. Das erzählt<br />
manchmal mehr als alle Worte. Schöne, sprechende<br />
Bilder ergeben sich da wie nebenbei und (fast) ohne<br />
Absicht.<br />
Der Großstadtdschungel Berlins, das Multikulturelle,<br />
überhaupt die Atmosphäre der Metropole ist Hintergrund<br />
und Würze vieler, ja fast aller Filme. Dezidiert<br />
»Berliner Luft« atmen so verschiedene Filme wie der<br />
über einen Luxus-Zahnarzt am Ku’damm, MEIN<br />
PREUSSENPARK, der in 30 Minuten den Mikrokosmos<br />
eines Parks auffächert, in dem Ausländer auf Berliner,<br />
Ordnungsmacht auf Laissez-Faire, Normalo auf Pa -
AXEL UND PETER<br />
radiesvogel trifft, oder GLOBALES LERNEN IN NEU-<br />
KÖLLN, der mit Inge Marcus eine 70-jährige, un -<br />
gemein jugendlich forsche, sympathische Frau porträtiert,<br />
deren Biografie sich über den ganzen Globus erstreckt,<br />
was eine immer wieder dazwischen geschnittene<br />
Weltkarte auf dem Tisch mit allerlei Fähnchen<br />
wunderbar illustriert.<br />
Ein Film stammt nicht von Rosa von Praunheim selbst:<br />
Für ICH BIN EIN GEDICHT inszeniert Elfi Mikesch, Kamerafrau<br />
– nicht zuletzt Werner Schroeters – und Regisseurin,<br />
Rosa als Traum in rosa Tüll auf dem Rad.<br />
Später wird er in dieser Verkleidung das erste Opfer<br />
des FRÖHLICHEN SERIENMÖRDERS, einer herrlichen<br />
Farce in den fantastischen Ruinen der Heilstätten von<br />
Beelitz mit zwölf Schauspielschülern, die mal sich, mal<br />
ein krudes Szenario spielen und das alles mit einem<br />
großartigen Augenzwinkern. Quasi der Vorfilm dazu ist<br />
DAVID KOKS, in dem der spätere Serienmörder sich<br />
fünf schöne Frauen erträumt. Auch AXEL UND PETER<br />
mit zwei wahrlich vollschlanken Schauspielern ist ein<br />
solches Vexierspiel, bei dem man erst am Ende begreift,<br />
dass alle Gemeinheiten, aller Zwist nur Spiel<br />
waren. MARTA UND HILDE stellt die Beziehung von<br />
Marta Feuchtwanger und ihrer Sekretärin Hilde in<br />
einem schrägen Film-Dialog in den Mittelpunkt. Und<br />
schließlich überlagern sich in NEW YORK SISTERS die<br />
Interviews mit sechs Schauspielerinnen über Arbeit<br />
und Überleben in dieser Stadt mit der Fiktion, dass eine<br />
Mutter ihre vier Töchter trifft, die allesamt nur Halbschwestern<br />
sind und sich nun das erste Mal sehen.<br />
Von 1970 und NICHT DER HOMOSEXUELLE IST PER-<br />
VERS …bis zu den 70 Filmen zum 70. hat Rosa einen<br />
weiten Weg beschritten und ist doch immer sich selbst<br />
treu geblieben, gemäß der Titel seiner autobiographischen<br />
(Film-)Bücher »Sex und Karriere« (1978), »Rosas<br />
Rache« (2009) und dem Gedichtband »Mein Armloch«<br />
(2002). Was immer war / Ist weg / Was immer kommt<br />
/ Ist unklar / Deshalb gebt Euch keine Mühe / Das<br />
Leben ist so schön / Wie wir selbst.<br />
Klaus Kalchschmid<br />
Möpse und Menschen (Gesamtlänge: 139 min)<br />
ICH LIEBE GROSSE HÜTE – ULLA UND CARSTEN<br />
KLINGBEIL – 33 min – DER FALSCHE GRAF – 14 min<br />
– MöPSE IN NOT (Co-Regie: Oliver Sechting) – 21 min<br />
– BABETH – GELIEBTE GROSSER MÄNNER – 10 min<br />
– EINE JÜDISCHE FAMILIE – MARIA UND ALICE<br />
BRAUNER – 15 min – VALENTINA – EINE LETTISCHE<br />
JÜDIN – 20 min – VON AUSCHWITZ NACH NEW<br />
YORK – ESTHER BAUER – 5 min – AVE MARIA – DIE<br />
GLÄUBIGE RACHELE – 4 min – RUMMELSNUFF –<br />
SEEMANNSLIEDER TECHNO – 10 min – DER SATA-<br />
NIST – 7 min<br />
▶ Freitag, 2. November 2012, 15.00 Uhr<br />
Schauspieler und Dichter (Gesamtlänge: 117 min)<br />
ICH BIN EIN GEDICHT – ELFI MIKESCH INSZENIERT<br />
ROSA UND SEINE GEDICHTE – 19 min – EVA MAT-<br />
TES – 21 min – ICHGOLA ANDROGYN VOM O-TON-<br />
ART THEATER – 24 min – JUGENDTHEATER IN<br />
BRANDENBURG – 19 min – DER KRANKE DICHTER –<br />
MARIO WIRZ – 19 min – DICHTER UND REBELL –<br />
GENNADI TRIFONOV (Co-Regie: Andreas Strohfeld) –<br />
15 min<br />
▶ Freitag, 2. November 2012, 18.30 Uhr<br />
Schwul-lesbische Welten (Gesamtlänge: 160 min)<br />
EINE LESBISCHE WITWE – 11 min – MöSENMONAT<br />
MÄRZ – 18 min – BIN ICH DEIN ONKEL? – 18 min –<br />
MEINE NACHBARN – GERD UND CONNY – 29 min –<br />
DIE SCHWESTERN DER PERPETUELLEN INDULGENZ<br />
– 11 min – BERLIN FROBENSTRASSE – BULGARI-<br />
SCHE TRANSEN IN BERLIN – 4 min – BUKAREST<br />
NORDBAHNHOF – EIN RUMÄNISCHER STRICHER –<br />
MEINE NACHBARN<br />
Rosa von Praunheim<br />
53
Rosa von Praunheim<br />
54<br />
MEIN PREUSSENPARK<br />
ANWALT UND KUNSTLIEBHABER<br />
5 min – PÄDOS UND HILFE FÜR JUNGS – 15 min –<br />
PORNO PETO – 25 min – KINGS OF PORN – 24 min<br />
▶ Freitag, 2. November 2012, 21.00 Uhr<br />
Berliner Luft (Gesamtlänge: 126 min)<br />
DER LUXUS-ZAHNARZT AM KU’DAMM – 11 min –<br />
EIN GRÜNER SACHSE IM WEDDING – 15 min – DER<br />
HÄRTESTE TÜRSTEHER BERLINS – 12 min – BAP-<br />
TISTEN IN BERLIN – 7 min – MEIN PREUSSENPARK<br />
– 30 min – GLOBALES LERNEN IN NEUKöLLN – 25<br />
min – ICH BIN EIN ERFOLGREICHER TÜRKE – 9 min –<br />
OBERBÜRGERMEISTER KLAUS SCHÜTZ – 17 min<br />
▶ Samstag, 3. November 2012, 15.00 Uhr<br />
Gesang, Tanz, Kunst (Gesamtlänge: 105 min)<br />
GIPSY QUEEN VON NEW YORK – SANDA WEIGL –<br />
30 min – EIKE – EIN SCHöNER AKROBAT – 13 min –<br />
EVA UND ADELE – EIN KUNSTPÄRCHEN – 16 min –<br />
ANWALT UND KUNSTLIEBHABER – PETER RAUE –<br />
10 min – KLATSCHREPORTER – ANDREAS KURTZ –<br />
14 min – AUS LIEBE ZUM THEATER – MICHAEL<br />
MERSCHMEIER – 10 min – OUTING GOETHE – 12 min<br />
▶ Samstag, 3. November 2012, 18.30 Uhr<br />
Doku vs. Fiction (Gesamtlänge: 155 min)<br />
DAVID KOKS – EIN PENNER TRÄUMT VON SCHö-<br />
NEN FRAUEN – 9 min – DER FRöHLICHE SERIEN-<br />
MöRDER – 34 min – MARTA UND HILDE – 24 min –<br />
AXEL UND PETER – TITTEN FÜR ARSCH – 40 min –<br />
GERMANS TASTE THE BEST – EINE KANNIBALIN IN<br />
NEW YORK – 18 min – NEW YORK SISTERS –<br />
SECHS WUNDERBARE FRAUEN – 30 min<br />
▶ Samstag, 3. November 2012, 21.00 Uhr<br />
Leben, Lieben, Sterben (Gesamtlänge: 133 min)<br />
AMELIE – DAS MÄDCHEN AUS DEM HINTERHAUS –<br />
15 min – MISSBRAUCHT, POLIZIST UND MöRDER –<br />
8 min – PROFESSORIN IN WEIMAR – CHRISTIANE<br />
VOSS – 12 min – WAS IST DAS BöSE? – RICHTER<br />
BAUER PACKT AUS – 7 min – EIN VATER STIRBT –<br />
FRITZ MIKESCH UND LEANDER – 40 min – EIN HAR-<br />
TES LEBEN (Co-Regie: Oliver Adam Kusio) – 15 min –<br />
SUZY – EINE FRAU AUF HARTZ 4 – 16 min – AUS-<br />
LÄNDER RAUS – EIN FILM ÜBER MIGRATION – 20 min<br />
▶ Sonntag, 4. November 2012, 15.00 Uhr<br />
Film-Künstler (Gesamtlänge: 107 min)<br />
MIT SPECK FÄNGT MAN FILME – WIELAND SPECK –<br />
24 min – DAS ABATON UND SEIN BETREIBER –<br />
WERNER GRASSMANN – 21 min – WERNER<br />
SCHROETER – DAS LETZTE INTERVIEW – 20 min –<br />
DAN TANG – EINE CHINESISCHE FILMEMACHERIN<br />
IN DEUTSCHLAND – 15 min – THIS BRUNNER –<br />
EINE SCHWEIZER FILMLEGENDE – 12 min – KNUT<br />
IST GUT – KNUT ELSTERMANN – 15 min<br />
▶ Sonntag, 4. November 2012, 18.30 Uhr<br />
Schwules Leben (Gesamtlänge: 148 min)<br />
EIN SCHWULER SCHORNSTEINFEGER – ALAIN<br />
RAPPSILBER – 10 min – EIN JOURNALIST AUS NEW<br />
YORK: BRANDON – SCHWUL, JÜDISCH, DEUTSCH –<br />
20 min – ICH BIN EDITH AUS NEUKöLLN – ADES<br />
ZABEL – 18 min – EINE DRAG QUEEN AUS AMSTER-<br />
DAM – LADY GALORE – 14 min – HOUSE OF GA-<br />
LORE IN BERLIN – 20 min – EVA LOVE – BERLINER<br />
TUNTE UND TRANSSEXUELLE IN NEW YORK –<br />
15 min – DER HEILIGE SCHEIN – DER SCHWULE<br />
THEOLOGE DAVID BERGER – 12 min – EIN LEBEN<br />
FÜR SCHWULE RECHTE – GEORG HÄRPFER –<br />
12 min – GAY NOT GREY – ANDERS ALTERN (Co-<br />
Regie: Oliver Sechting) – 27 min<br />
▶ Sonntag, 4. November 2012, 21.00 Uhr<br />
Rosa von Praunheim wird an dem Wochenende bei<br />
eini gen Vorstellungen anwesend sein.
INTO PARADISO<br />
Neapel und der Film: Im Schatten des Vesuvs<br />
»Neapel, das sind tausend Farben, tausend Ängste,<br />
aber auch die Stimmen der Kinder, die allmählich lauter<br />
werden und dir sagen, dass du nicht allein bist. Neapel<br />
ist eine bittere Sonne, ein Geruch von Meer, ein<br />
schmutziger Papierfetzen, um den sich niemand kümmert.<br />
Jeder wartet auf das große Los. Neapel ist eine<br />
große Entdeckungsreise, im Labyrinth seiner Gassen<br />
warten auf dich Träume, aber nie die Wahrheit.« Dieser<br />
Text des neapolitanischen Liedermachers Pino Daniele,<br />
»Napule è«, drückt in wenigen Zeilen die Liebe zu einer<br />
Stadt aus, die man nur poetisch umschreiben kann.<br />
Keine andere Definition kann sie besser erfassen.<br />
Der Film war für Neapel immer zentral, kein anderes<br />
Medium kann diese Stadt besser einfangen, eine Stadt<br />
zwischen den düsteren Lavabrocken, den täglichen<br />
Tragödien einerseits, und dem porösen Licht des Tuffsteins<br />
und der überbordenden Lebensfreude andererseits,<br />
ein ständiges Schwanken zwischen Sicherheit<br />
und Unsicherheit, zwischen Realität und Imagination.<br />
Nirgendwo kann man die Härte des Lebens und die<br />
traumhaften Gebilde der Phantasie besser erfahren. So<br />
scheinen auch die Träume des kleinen Peppino in LA<br />
KRYPTONITE NELLA BORSA (2011) von Ivan Cotroneo<br />
in seiner Situation mehr als notwendig zu sein. Er lebt<br />
in einer Familie, die ihm alles bietet außer liebender Zuwendung.<br />
Nur mit Hilfe seiner Traumwelt kann er sich<br />
entwickeln.<br />
Der Legende nach wurde Neapel von der Sirene Partenope<br />
gegründet und ist zugleich verführerisch und gefährlich.<br />
Eine Stadt, die dich verzaubert, eine Stadt, die<br />
keine Kompromisse kennt. Neapel darf man nicht verstehen<br />
wollen, die Stadt ist wie eine Mutter, die trotz<br />
ihrer tausend Fehler geliebt werden will. Diese Widersprüche<br />
finden ihren vollkommenen Ausdruck sowohl<br />
in den Tragikomödien von Eduardo De Filippo als auch<br />
in den Filmen von Totò und von Massimo Troisi. In unserer<br />
Filmreihe machen Sie mit dieser Mentalität Bekanntschaft<br />
in dem Film COSI PARLO BELLAVISTA<br />
(1984) von Luciano De Crescenzo, der zugleich die<br />
Mimik und Gestik der Neapolitaner vermittelt. Neapel<br />
musste mit vielen Einwanderern fertig werden, und es<br />
musste verschmerzen, nicht mehr Hauptstadt eines Königreiches<br />
zu sein. In all diesen Wechselfällen ist es<br />
sich treu geblieben und hat zugleich seine Ideen in alle<br />
Welt verbreitet. Neapel wird seiner Rolle als Hafenstadt<br />
in mehr als einem Sinne gerecht. Hier kreuzen sich Kulturen,<br />
Rassen, Religionen und Mentalitäten. Neapel<br />
nimmt diese Einflüsse auf, ohne sich selbst zu verlieren.<br />
Neapel und der Film<br />
55
Neapel und der Film<br />
56<br />
Wer nach Neapel kommt, der trifft dort Chinesen, Filipinos,<br />
Inder, Pakistani, Ukrainer, Rumänen, Polen, Senegalesen,<br />
Nordafrikaner. Sie sind Straßenhändler, sie<br />
haben ihre kleinen Geschäfte, sie pflegen Alte und Behinderte,<br />
sie leben mehr oder weniger integriert in neapolitanischen<br />
Familien. Der Film INTO PARADISO<br />
(2010) von Paola Randi gibt uns eine gute Vorstellung<br />
von diesem Völker- und Kulturgemisch und seinen Belastungen<br />
wie Bereicherungen für jeden Beteiligten.<br />
Der Dokumentarfilm NAPOLI PIAZZA MUNICIPIO (2008)<br />
von Bruno Oliviero zeigt einen beeindruckenden Querschnitt<br />
durch das bei Tag und Nacht pulsierende Leben<br />
der Metropole. John Turturro hat in seinem Dokumentarfilm<br />
PASSIONE (2010) den Weg über die Musik gewählt,<br />
um sich der Stadt zu nähern. Er durchstreift mit<br />
uns die Gassen und historischen Plätze und lässt neapolitanische<br />
Klang- wie Bildwelten vor uns entstehen,<br />
die ungewohnte Gefühle in uns auslösen. Mit Neapel<br />
sind viele Filmschauspieler verbunden: Sophia Loren,<br />
Valeria Golino, Silvio Orlando, Toni Servillo, Anna Bonaiuto,<br />
Licia Maglietta – unvergessliche Gesichter.<br />
Unter den Regisseuren finden wir Vittorio de Sica aus<br />
den Zeiten des neorealismo, aus den 1990er Jahren<br />
Martone, Piscicelli, Corsicato, Marra, De Lillo, Capuano,<br />
Incerti und heute Paolo Sorrentino und Matteo<br />
Garrone.<br />
Natürlich kann unsere Filmreihe nur einen kleinen Ausschnitt<br />
aus dem vielseitigen Leben der Stadt Neapel<br />
geben. Mit manchen Vorurteilen soll aufgeräumt werden.<br />
Engagierte Standpunkte der Filmemacher sind in<br />
unserer Reihe ausdrücklich erwünscht. Ein Beispiel<br />
dafür ist der erste Film von Francesco Rosi, LA SFIDA<br />
(1958), der ein Ereignis der cronaca nera der 1950er<br />
Jahre zum Gegenstand hat, des »dunklen Nachrichtenteils«<br />
der Zeitungen über Unfälle und Verbrechen.<br />
Ambra Sorrentino Becker<br />
NAPOLI PIAZZA MUNICIPIO (NEAPEL RATHAUS-<br />
PLATZ) – Italien 2008 – R+B+K: Bruno Oliviero – M:<br />
Riccardo Veno – 55 min, OmeU – Um Neapels Piazza<br />
Municipio liegen viele bedeutsame Orte: das Rathaus,<br />
das im 13. Jahrhundert von den Anjou erbaute Schloss,<br />
die Baustelle der Metro, das Stadttheater Mercadante,<br />
der Blumenmarkt. Die Menschen, die den Platz überqueren,<br />
erzählen ihre eigenen Geschichten von damals<br />
und heute. – PASSIONE – Italien 2010 – R: John Turturro<br />
– B: John Turturro, Federico Vacalebre – K:<br />
Marco Pontecorvo – D: John Turturro, Mina, Max Casella,<br />
Lina Sastri, Massimo Ranieri, Peppe Barra – 96<br />
min, OmU – Das Multitalent John Turturro kehrt mit diesem<br />
Film zu seinen süditalienischen Wurzeln zurück<br />
und präsentiert ein musikalisches Abenteuer: Neapel,<br />
in der französische und arabische Einwanderer sowie<br />
italienische Liedermacher schon immer die Vielfalt der<br />
Musik geprägt haben. Turturros lebendige Dokumentation<br />
berichtet über Lieder und Sänger und den Einfluss<br />
dieser Musik in der ganzen Welt.<br />
▶ Donnerstag 29. November 2012, 19.00 Uhr<br />
INTO PARADISO – Italien 2010 – R: Paola Randi – B:<br />
Paola Randi, Michela Bozzini, Stefano Voltaggio – K:<br />
Mario Amura – M: Fausto Mesolella – D: Gianfelice Imparato,<br />
Saman Anthony, Peppe Servillo, Eloma Ran<br />
Janz, Gianni Ferreri, Shatzi Mosca – 144 min, OmU –<br />
Drei Männer, der schüchterne, gerade arbeitslos gewordene<br />
Wissenschaftler Alfonso, der in korrupte<br />
Machenschaften verwickelte Politiker Vincenzo und der<br />
ehemalige Kricket-Champion Gayaan aus Sri Lanka,<br />
der auf der Suche nach dem Paradies ausgerechnet in<br />
Neapel gelandet ist, treffen sich in einer illegal errichteten<br />
Hütte auf einem Hausdach im Migrantenviertel. Es<br />
entwickelt sich eine Freundschaft, die aus der Not geboren<br />
ist, da Auftragskiller der Camorra ihnen auf den<br />
Fersen sind. INTO PARADISO ist eine witzige, abgedrehte<br />
und einfallsreiche Komödie über Freundschaft<br />
und multikulturelle Solidarität.<br />
▶ Freitag, 30. November 2012, 18.30 Uhr<br />
LA SFIDA (DE HERAUSFORDERUNG) – Italien 1958 –<br />
R: Francesco Rosi – B: Francesco Rosi, Suso Cecchi<br />
D’Amico, Enzo Provenzale – K: Gianni Di Venanzo – M:<br />
Roman Vlad – D: Rosanna Schiaffino, José Suarez,<br />
Nino Vingelli, Rosita Pisano, Angela Luce – 93 min,<br />
OmeU – Vito Polara, ein ehrgeiziger, skrupelloser junger<br />
Mann, will zu schnellem Geld und Erfolg kommen.<br />
Vom Zigarettenschmuggel steigt er auf den Obst- und<br />
Gemüsehandel um, der aber von der Camorra beherrscht<br />
wird. Francesco Rosis erster Spielfilm, der<br />
sich auf einen authentischen Fall beruft, verbindet präzise<br />
Milieubeschreibungen neorealistischen Kinos mit<br />
Elementen des amerikanischen sozialen Dramas und<br />
Gangsterfilms. Er wurde bei den Filmfestspielen in Venedig<br />
1958 mit mehreren Preisen ausgezeichnet,<br />
nachdem er zuvor Proteste ausgelöst hatte und mit<br />
einem Aufführungsverbot belegt worden war.<br />
▶ Samstag, 1. Dezember 2012, 18.30 Uhr<br />
GORBACIOF (GORBATSCHOW) – Italien 2010 – R:<br />
Stefano Incerti – B: Stefano Incerti, Diego De Silva – K:<br />
Pasquale Mari – M: Teho Teardo – D: Toni Servillo,<br />
Geppy Gleijeses, Mi Yang, Gaetano Bruno, Hal Yamanouchi<br />
– 85 min, OmeU – Marino Pacileo, wegen eines
großen Muttermals auf der Stirn Gorbaciòf genannt,<br />
ist Buchhalter im Gefängnis Poggioreale in Neapel, ein<br />
stiller zurückhaltender Mensch, dessen einzige Leidenschaften<br />
das Glücksspiel und seine Liebe zu Lila, einer<br />
jungen Chinesin, sind. Auch deren Vater spielt um Geld.<br />
Als Gorbaciòf beschließt, ihm zu helfen seine Schulden<br />
zurückzuzahlen, gerät sein Leben außer Kontrolle.<br />
Das psychologische, fast dialoglose Porträt von Incerti<br />
er innert an LE CONSEGUENZE DELL’AMORE (2004)<br />
von Paolo Sorrentino. In beiden Filmen begegnen wir<br />
Protagonisten, die kriminell handeln und dennoch eine<br />
ungeahnte Zärtlichkeit und Poesie in ihrem Verhalten<br />
zeigen.<br />
▶ Sonntag, 2. Dezember 2012, 18.30 Uhr<br />
LA KRYPTONITE NELLA BORSA (KRYPTONIT IN DER<br />
TASCHE) – Italien 2011 – R: Ivan Cotroneo – B: Ivan<br />
Cotroneo, Monica Rametta, Ludovico Rampoldi, nach<br />
dem Roman von Ivan Cotroneo – K: Luca Bigazzi – M:<br />
Pasquale Catalano – D: Valeria Golino, Cristiana Capotondi,<br />
Luca Zingaretti, Libero de Rienzo, Luigi Catani –<br />
98 min, OmeU – »Dies ist eine Geschichte über einen<br />
Superhelden, eine Familie und ein Kind mit einer Brille,<br />
aber es ist kein Kinderfilm. Es ist eine Geschichte über<br />
Liebe.« Mit diesen Worten beginnt eine nostalgische<br />
und melancholische Komödie über das Neapel der<br />
1970er Jahre, in deren Mittelpunkt der neunjährige<br />
Peppino steht, dessen einziger Halt sein verrückter<br />
Cousin ist, der sich für Superman hält. Als der Cousin<br />
plötzlich stirbt, erscheint er Peppino immer wieder und<br />
hilft ihm, festen Boden unter den Füßen zu finden. Die<br />
malerischen Gassen Neapels und viele »kleine Leute«<br />
bilden den Rahmen dieses mit leichter Hand erzählten<br />
Films mit surrealistischen Untertönen.<br />
▶ Dienstag, 4. Dezember 2012, 21.00 Uhr<br />
COSI PARLO BELLAVISTA (ALSO SPRACH BELLA-<br />
VISTA) – Italien 1984 – R: Luciano De Crescenzo – B:<br />
Luciano De Crescenzo, Riccardo Pazzaglia, nach dem<br />
Buch von De Crescenzo – K: Dante Spinotti – M: Claudio<br />
Mattone – D: Antonio Allocca, Lucio Allocca, Giovanni<br />
Attanasio, Marisa Confalone, Isa Danieli –<br />
102 min, OmU – Gennaro Bellavista, ein fröhlicher,<br />
lustvoller Mensch und Gymnasiallehrer im Ruhestand,<br />
verkörpert die Weisheit Neapels. Wie einst Sokrates auf<br />
der Agora von Athen, spricht und philosophiert er in<br />
regelmäßigen Treffen mit seinen Freunden, Mitbürgern<br />
und Hausbewohnern. Der neapolitanische Dialekt würzt<br />
die Gespräche, die sich um Politik, Essen, Anarchie<br />
und Muße drehen. Der rote Faden ist Bellavistas Theorie,<br />
dass sich die Menschen in auseinanderstrebende<br />
»Freiheitsmenschen« und einander zugewandte »Liebesmenschen«<br />
unterteilen.<br />
▶ Mittwoch, 5. Dezember 2012, 21.00 Uhr<br />
LA KRYPTONITE NELLA BORSA<br />
Neapel und der Film<br />
57
Zuschauerkino<br />
58<br />
Zweimal im Jahr bietet das Zuschauerkino des <strong>Münchner</strong><br />
Filmzentrums (MFZ) allen, die Filme machen, die<br />
Gelegenheit, ihre Filme auf der Leinwand des Filmmuseums<br />
zu sehen und andere Filmemacher zu treffen.<br />
Filme einreichen können alle, die einen Kurzfilm gedreht<br />
haben, egal ob Profi oder Amateur, unabhängig<br />
vom Inhalt oder Format des Films, ob Spielfilm oder Dokumentation,<br />
Real- oder Animationsfilm. Es können nur<br />
Filme gezeigt werden, die persönlich von Beteiligten<br />
vorgestellt werden. Im Anschluss an die Vorführung<br />
bietet das MFZ eine Begegnungsmöglichkeit, damit<br />
Teilnehmer und Zuschauer noch leichter miteinander<br />
ins Gespräch kommen können (für Erfrischungen ist gesorgt).<br />
Dies sind die Spielregeln: Die Filme müssen bis zum<br />
22. November 2012 im Filmmuseum eingereicht werden.<br />
Möglich sind die Formate 35mm, 16mm, Digi-<br />
Beta, BetaSP, VHS, MiniDV, DVD und Blu-ray (keine<br />
Down load-Links). Zugelassen werden nur Filme bis zu<br />
15 Minuten Länge. MFZ und Filmmuseum behalten<br />
sich die Auswahl der Filme vor. Sollten mehr Filme an-<br />
?<br />
Zuschauerkino<br />
gemeldet werden als Vorführzeit zur Verfügung steht,<br />
werden die Veranstalter eine Auswahl treffen, wobei<br />
die Reihenfolge der Anmeldungen berücksichtigt wird.<br />
Alle Filmemacher, deren Filme im Programm gezeigt<br />
werden, können an der Kasse bis zu fünf Freikarten<br />
für den Zuschauerkino-Filmabend erhalten. Darüber<br />
hinaus bestehen keine weiteren Verpflichtungen des<br />
Filmmuseums. Es wird vorausgesetzt, dass die Filmemacher<br />
über die Rechte an den von ihnen eingereichten<br />
Filmen verfügen und diese am Abend vor der Projektion<br />
kurz vorstellen.<br />
Kontakt: E-Mail (zuschauerkino@yahoo.de), Telefon<br />
(089-233 20538), Fax (089-233 23931) oder Post<br />
(Filmmuseum München, St.-Jakobs-Platz 1, 80331<br />
München).<br />
▶ Donnerstag, 6. Dezember 2012, 19.00 Uhr (Die Filme -<br />
macher sind anwesend)
Zbigniew Cybulski, Sonja Ziemann, Aleksander Ford bei den Dreharbeiten zu DER ACHTE TAG<br />
Hommage à Sonja Ziemann<br />
Ob Heimatfilm, Verwechslungskomödie, Operette, Problemfilm<br />
oder Angestelltenglück – im bundesdeutschen<br />
Film der 1950er Jahre geht es vor allem um Teilhabe,<br />
um ein Sahnestück vom Wohlstand, um die Einlösung<br />
des Versprechens auf ein sorgloses Leben. Der<br />
Problemfilm stellte die Frage, ob man das Sahnestück<br />
verdient hatte, der Unterhaltungsfilm bestand auf dem<br />
Lottogewinn, den das Leben für jeden bereit hielt. Die<br />
Filme der 1950er Jahre atmen schwer unter der Arbeit<br />
der Verdrängung und dem Gerüstbau restaurativer<br />
Ideologie. Aber die Wünsche und Ängste, die Projektionen<br />
des Publikums gab es ja wirklich, und sie wurden<br />
vom deutschen Film ebenso wie von den Illustrierten<br />
aufgenommen. Die Sucht nach Zerstreuung, nach dem<br />
endlichen Glück im Kino, erwies sich kurzfristig als<br />
Segen für die Filmindustrie. So viel Geld mit so wenig<br />
künstlerischem Aufwand hatte man lange nicht gemacht.<br />
Als das Publikum merkte, dass es die Wünsche<br />
der Filmindustrie um vieles mehr erfüllte als umgekehrt<br />
und dass es im Fernsehen vielleicht nicht intelligenter,<br />
aber anders und um vieles bequemer unterhalten<br />
wurde als im Kino, geriet die Filmindustrie in eine<br />
schwere Sinnkrise. Die Produzenten fanden schnell die<br />
Schuldigen für die finanzielle Schieflage – es waren die<br />
Stars und ihre überzogenen Gagen.<br />
Zu diesen Stars zählte Sonja Ziemann. Ziemann, 1926<br />
in Eichwalde bei Berlin geboren, besuchte mit zehn<br />
Jahren die renommierte Ballettschule von Tatjana<br />
Gsvosky und trat schon im Alter von 15 Jahren in der<br />
Berliner Plaza auf. 1941 spielte sie ihre erste Filmrolle<br />
unter der Regie von Walter Felsenstein in dem Tobis-<br />
Film EIN WINDSTOSS. Mit Hildegard Knef besuchte sie<br />
die Schauspielschule der Ufa. Für ihre Rolle als Bärbele<br />
im ersten Farbfilm der Nachkriegszeit, SCHWARZWALD-<br />
MÄDEL (1950, Regie: Hans Deppe), erhielt sie den<br />
Bambi als beliebteste Schauspielerin Deutschlands.<br />
Die Film und Mode Revue kommentierte das Ergebnis<br />
als einen »alarmierenden Vorgang«; statt seriöse<br />
Schauspielerinnen zu wählen, habe man sich einfach<br />
für die Jugend entschieden. SCHWARZWALDMÄDEL,<br />
meist als Start der Heimatfilmwelle definiert, basiert auf<br />
einer Operette des jüdischen Komponisten Leon Jessel,<br />
der 1942 an den Folgen der Misshandlungen der<br />
Gestapo starb. Der Film selbst ist eine hysterische<br />
Sonja Ziemann<br />
59
Sonja Ziemann<br />
60<br />
Mischung aus Revue, Singspiel und Komödie, lässt<br />
Künstlervolk, Neureiche und Traditionalisten lärmend<br />
aufeinanderprallen. Die Heimat ist hier schon eine Antiquität,<br />
hinter Glas in einem Museum untergebracht.<br />
SCHWARZWALDMÄDEL spielte 14 Millionen Mark ein<br />
und machte Rudolf Prack/Sonja Ziemann zum Traumpaar<br />
der frühen 1950er Jahre. Nach dem noch größeren<br />
Erfolg GRÜN IST DIE HEIDE (1951, Regie: Hans<br />
Deppe) war Sonja Ziemann zunächst auf Heimatfilme<br />
abonniert. In dem Remake DIE PRIVATSEKRETÄRIN<br />
(1953), wieder mit Prack als Partner, wechselt sie mit<br />
Tanz und Gesang zum »Kleinen Ladenmädchen«-<br />
Genre, Unterabteilung Sekretärinnen-Milieu. Die unausgesprochene<br />
Handlungsmaxime für das weibliche Publikum<br />
lautete: Junge Mädchen lassen sich nicht auf<br />
erotische Abenteuer ein, sondern folgen ihrem Herzen,<br />
als Belohnung winkt ein Ehemann in Gestalt des Juniorchefs<br />
einer Bank oder des Chefs eines Modehauses.<br />
Sonja Ziemann verkörperte in den 1950er Jahren<br />
den »Traum von Lieschen Müller«, als die Helmut Käutner<br />
sie 1961 in seinem gleichnamigen Film besetzte.<br />
Die Reflektion des Sekretärinnen-Traums endete, so<br />
Karsten Witte 1992, in einem »Absturz ins zynische<br />
Nichts.« 1959 inszeniert Gottfried Reinhardt sie in seinem<br />
Remake von MENSCHEN IM HOTEL in der Joan-<br />
Crawford-Rolle des Flämmchens. Ironischerweise war<br />
das wieder eine Sekretärinnenrolle, aber auch ein Gegengewicht<br />
zu den Schicksals-, Schurken- und Selbstdarstellern<br />
Heinz Rühmann, Gert Fröbe und O. W. Fischer.<br />
NACHT FIEL ÜBER GOTENHAFEN (1960) zählt<br />
zum Genre des Kriegsfilms, ist aber in großen Teilen<br />
eine Studie über Mütter und Frauen im Zweiten Weltkrieg.<br />
Sonja Ziemann als verlassene Offiziersfrau kämpft<br />
entschieden, aber aussichtslos gegen die Eifersucht<br />
ihres Mannes, den Kontrollwahn ihrer Schwiegermutter<br />
und die Zudringlichkeiten eines Heimaturlaubers.<br />
Bereits 1952 drehte Sonja Ziemann mit MADE IN HEA-<br />
VEN (Regie: John Paddy Carstairs) ihren ersten Film im<br />
Ausland; das Engagement einer deutschen Schauspielerin<br />
in einem britischen Film provozierte in England erregte<br />
Diskussionen. Es folgten Filme in Frankreich und<br />
Italien und 1958 DER ACHTE WOCHENTAG mit Zbigniew<br />
Cybulski unter der Regie von Aleksander Ford.<br />
Die Studie eines Liebespaares, das keinen Ort für seine<br />
Liebe findet, wurde in Polen nach einer Vorlage ihres<br />
späteren Ehemanns, des Schriftstellers Marek Hlasko,<br />
gedreht. In Polen wurde der Film zunächst verboten, in<br />
Deutschland wurde er von der Öffentlichkeit nicht akzeptiert.<br />
Ihren einzigen amerikanischen Film drehte<br />
Sonja Ziemann in Wien und Budapest. Richard Widmark<br />
produzierte THE SECRET WAYS (1960), eine fins-<br />
tere Kalter-Krieg-Novelle über die Flucht eines unga -<br />
rischen Wissenschaftlers in den Westen. Neben Widmark<br />
in der Hauptrolle spielte Charles Regnier, Sonja<br />
Ziemanns dritter Ehemann.<br />
Seit 1981 ist Sonja Ziemann Mitglied des Zürcher<br />
Schauspielhauses. Sie lebt in München.<br />
Werner Sudendorf<br />
DIE PRIVATSEKRETÄRIN – BRD 1953 – R: Paul Martin<br />
– B: Just Scheu, Ernst Nebhut – K: Albert Benitz –<br />
M: Paul Abraham, Driedrich Schröder – D: Sonja Ziemann,<br />
Rudolf Prack, Paul Hörbiger, Werner Fütterer,<br />
Gerty Godden – 95 min – Wiederverfilmung eines Erfolgsfilms<br />
aus der frühen Tonfilmzeit, dessen Lied »Ich<br />
bin ja heut so glücklich« zu einem Ohrwurm wurde.<br />
»Sonja Ziemann spielt eine Heimatlose, eine junge Frau,<br />
die von irgendwoher in eine fremde Stadt kommt, sich<br />
umsieht nach einer Stelle als Sekretärin, vor allem aber<br />
nach einem Mann, der reich genug zum Heiraten ist.<br />
Sie findet diesen Mann: Rudolf Prack, der ihren Chef<br />
spielt. Die Rolle der Privatsekretärin brachte alle<br />
Qualitäten Sonja Ziemanns auf den Punkt: Sie war<br />
schnippisch, spitz, zickig und eingebildet, will nach<br />
oben um fast jeden Preis. Rudolf Prack heiratet sie<br />
schließlich, und man weiß nicht genau, ob Furcht oder<br />
Mitleid sein eigentlicher Beweggrund ist.« (Claudius<br />
Seidl)<br />
▶ Donnerstag, 13. Dezember 2012, 19.00 Uhr (Zu Gast:<br />
Sonja Ziemann, Einführung: Werner Sudendorf)
DER ACHTE WOCHENTAG – BRD/Polen 1958 – R:<br />
Aleksander Ford – B: Marek Hlasko, Aleksander Ford,<br />
nach dem Roman von Marek Hlasko – K: Jerzy Lipman,<br />
Igor Oberberg – M: Kasimierz Serocki – D: Sonja Ziemann,<br />
Zbigniew Cybulski, Ilse Steppat, Tadeusz Lomnicki,<br />
Bum Krüger – 84 min – Im Elend einer polnischen<br />
Stadt der 1950er Jahre gedrehter Liebesfilm. »Zwei<br />
junge Liebende suchen nur ein Bett in einer Welt voller<br />
Lärm, Erbitterung, Elend, Unglück, Bosheit und Ungerechtigkeit.<br />
Die Frage, ob sich die Liebe in der grausamen,<br />
brutalen und ungesunden Welt, in der wir leben,<br />
entfalten kann, wird sehr unerbittlich formuliert. Die Inszenierung<br />
Fords ist oft von einer Menschlichkeit und<br />
einer Liebe gefärbt, die uns die Abenteuer von Peter<br />
und Agnes nahebringen. Er zwar liebend, aber schnell<br />
entmutigt, aufrichtig, aber zu Kompromissen neigend.<br />
Sie hartnäckig, stolz, unbestechlich und wunderbar verkörpert<br />
durch Sonja Ziemann.« (Jacques Doniol-Valcroze)<br />
▶ Freitag, 14. Dezember 2012, 18.30 Uhr<br />
MENSCHEN IM HOTEL – BRD 1959 – R: Gottfried<br />
Reinhardt – B: Hans Jacoby, Ladislas Fodor, nach dem<br />
Roman von Vicky Baum – K: Göran Strindberg – M:<br />
Hans-Martin Majewski – D: O.W. Fischer, Michèle Morgan,<br />
Heinz Rühmann, Sonja Ziemann, Gert Fröbe, Wolfgang<br />
Wahl, Dorothea Wieck – 105 min – »Das Ringelspiel<br />
des Schicksals funktioniert und fasziniert. Das<br />
große Plus dieser Verfilmung sind Gert Fröbe, der Generaldirektor,<br />
der mit gefälschter Bilanz seiner Firma<br />
auf die Sprünge helfen will, Heinz Rühmann als biederer,<br />
ehrlicher Buchhalter, der seinen Chef auf diesen<br />
›Fehler‹ aufmerksam machen will, und Sonja Ziemann<br />
als Hotelsekretärin, die endlich bereit ist, dem Wink<br />
des Generaldirektors mit einem 5.000-Mark-Scheck zu<br />
folgen. Gottfried Reinhardts Regie entwirft die effektvollen<br />
Situationen mit sicherem Strich, Göran Strindbergs<br />
Kamera registriert kühl und scharf: Ein Unterhaltungsfilm.<br />
Aber einer mit Stil.« (Film-Beobachter)<br />
▶ Samstag, 15. Dezember 2012, 18.30 Uhr<br />
THE SECRET WAYS (GEHEIME WEGE) – USA 1961 –<br />
R: Phil Karlson – B: Jean Hazlewood, nach dem Roman<br />
von Alistair MacLean – K: Max Greene – M: John Wil -<br />
liams – D: Richard Widmark, Sonja Ziemann, Charles<br />
Regnier, Walter Rilla, Senta Berger, Howard Vernon –<br />
112 min, OF – Ein spannender Kalter-Krieg-Thriller aus<br />
der Nachkriegszeit, produziert von Hauptdarsteller<br />
Richard Widmark: Nach der Niederschlagung des<br />
Volksaufstandes in Ungarn soll ein amerikanischer<br />
Agent einen ungarischen Wissenschaftler über die<br />
Grenze nach Wien schleusen – zusammen mit seiner<br />
politisch engagierten Tochter Julia. »Die Phantasie des<br />
Autors stieß sich an nichts, am wenigsten an der Wirklichkeit.<br />
Das nächtliche Wien macht er zu einer gefährlichen,<br />
Budapest zu einer gespenstisch-leeren Stadt.<br />
Auch die Regie sucht die Sensation – und darin ist der<br />
Film bemerkenswert effektvoll, nicht zuletzt mittels der<br />
Fotografie.« (Film-Dienst)<br />
▶ Sonntag, 16. Dezember 2012, 18.30 Uhr<br />
DER TRAUM VON LIESCHEN MÜLLER – BRD 1961 –<br />
R: Helmut Käutner – B: Helmut Käutner, Willibald Eser<br />
– K: Günther Senftleben – M: Bernhard Eichhorn – D:<br />
Sonja Ziemann, Martin Held, Cornelia Froboess, Helmut<br />
Griem, Peter Weck, Georg Thomalla, Wolfgang<br />
Neuss – 92 min – »Eine filmische Aufhellung von Lieschen<br />
Müllers Wunschtraumdenken mit spöttischen Bemerkungen<br />
über bundesrepublikanische Zustände in<br />
einem Farbfilm-Musical.« (Film-Beobachter) Käutners<br />
ambitionierte Satire auf Kinoträume und deutsche Wirtschaftswunderklischees<br />
war seinerzeit trotz prominenter<br />
Besetzung mit Sonja Ziemann in der Titelrolle ein<br />
Flop und wurde daraufhin vom Verleih überarbeitet: »Es<br />
wurde nicht nur herumgeschnitten, er wurde auch um<br />
dreihundert Meter gekürzt und sinnentstellend umsynchronisiert.<br />
Es war der Versuch, noch einen schnellen<br />
Gebrauchsfilm aus diesem surrealistischen Märchen zu<br />
retten.« (Helmut Käutner)<br />
▶ Freitag, 21. Dezember 2012, 18.30 Uhr<br />
Sonja Ziemann<br />
61
Jean-Marie Straub<br />
62<br />
Danièle Huillet & Jean-Marie Straub, Rom 2003 – © Alberto Cristofari / Contrasto<br />
Jean-Marie Straub zum 80. Geburtstag<br />
Auf einem Plakat, in den Programmen die Namen<br />
Dreyer und Straub lesen – und nichts wie hin!<br />
Marguerite Duras<br />
Jean-Marie Straub hat deutsche, französische und italienische<br />
Filme gemacht. Das gibt dieser <strong>Münchner</strong> Retrospektive<br />
eine europäische Bedeutung. Sie schenkt<br />
uns in der Öde des monetären Europa die Möglichkeit,<br />
im »Ach der Alkmene« (Heiner Müller) den Nachhall der<br />
unglaublichen mythischen Geschehnisse zu hören, die<br />
bis heute unsere, die europäische, Vergangenheit beleben<br />
und ohne deren Erinnerung unser Leben und unser<br />
Fühlen versiegen würden. Cesare Pavese hat am<br />
15. Oktober 1945 in seinem Tagebuch die Frage gestellt:<br />
»Was sagen, wenn die natürlichen Dinge – Quellen,<br />
Wälder, Weinberge, Land – eines Tages von der<br />
Stadt aufgesogen und vergangen sein werden und man<br />
ihnen in alten Sätzen aus der Vergangenheit begegnen<br />
wird? Sie werden auf uns wirken wie die Theoi, die<br />
Nymphen, das natürliche Heilige, das in manchen griechischen<br />
Versen zum Vorschein kommt. Dann wird der<br />
einfache Satz Es war eine Quelle uns rühren«. Das<br />
große Werk der Straubschen Filme gibt eine Antwort<br />
auf diese Frage, seine ganze ästhetisch-politische<br />
Energie richtet sich auf dieses Sagen.<br />
Jean-Marie Straub ist ein Sonntagskind, geboren am<br />
8. Januar 1933 in Metz, das die Deutschen der Eisengruben<br />
wegen 1871 und 1940 annektierten. Mit dem<br />
Projekt einer Filmbiographie »Chronik der Anna Magdalena<br />
Bach« im Kopf geht Straub 1954 nach Paris. Er<br />
begegnet Danièle Huillet, geboren am 1. Mai 1936, am<br />
Feiertag des Wahlsiegs der französischen Volksfront:<br />
An Feiertagen gehen / die braunen Frauen daselbst /<br />
auf seidnen Boden. Vielleicht dachte Danièle an diesen<br />
Vers Hölderlins, als sie schrieb: »Das Interessanteste<br />
an mir ist mein Geburtsdatum«. Bis zu ihrem Tod am<br />
9. Oktober 2006 war Danièle an allen Filmprojekten<br />
Straubs maßgeblich beteiligt.<br />
Statt zum Militärdienst nach Algerien geht Straub 1958<br />
nach Deutschland auf der Suche nach Materialien, Orgeln<br />
und Handschriften für den Bachfilm. In Metz wird<br />
er in Abwesenheit zu einem Jahr Gefängnis verurteilt<br />
(und 1971 amnestiert). 1962 dreht er MACHORKA-<br />
MUFF nach Heinrich Böll. Der 18-Minuten-Film hat bis<br />
heute nichts von seiner ästhetischen und politischen<br />
Sprengkraft verloren. Machorka-Muff, in der eben gegründeten<br />
Bundeswehr zum Leiter der »Akademie für<br />
militärische Erinnerungen« ernannt, fragt sich, was<br />
sein alter General zur Wiederbewaffnung gesagt hätte.
»Diese Christen« hätte er gesagt, »wer hätte das von<br />
ihnen erwarten können!« – »Und das in einer Demokratie.«<br />
»Eine Demokratie, in der wir die Mehrheit des Parlaments<br />
auf unserer Seite haben«. »Und die öffentliche<br />
Meinung?« »Sie wird es schlucken. Sie schluckt alles.«<br />
Jedes Wort wiegt schwer wie deutsche Vergangenheit.<br />
Die »Aura selbstvergessener Ergriffenheit« (Helmut Färber),<br />
mit der Erich Kuby als Machorka die Sätze spricht,<br />
beweist, dass der Sprung »vom Nazideutschen zum<br />
Bundesbürger« (Böll) gelungen ist. Die Geschichte der<br />
Bundes republik ist in diesen Film eingeschrieben und<br />
arbeitet in ihm weiter. Die Bundeswehr ist groß geworden<br />
und verrichtet ihre Arbeit in der ganzen Welt. An<br />
diese Tat sache stoßen die Köpfe der Zuschauer heute,<br />
wenn der Film in ihnen weiterdenkt.<br />
Der zweite deutsche Film NICHT VERSÖHNT ODER ES<br />
HILFT NUR GEWALT WO GEWALT HERRSCHT (1965)<br />
trägt einen Titel, der zum Programm einer ganzen Generation<br />
wurde. Heinrich Bölls Roman »Billard um halbzehn«,<br />
der ihm zu Grunde liegt, war 1959 erschienen,<br />
gleichzeitig mit Günter Grass’ »Blechtrommel« und Uwe<br />
Johnsons »Mutmaßungen über Jakob«. Eine Wende<br />
der Nachkriegsliteratur, die sich auf eine neue Weise<br />
mit der deutschen Geschichte beschäftigt. Wenige<br />
Jahre später folgt der Junge Deutsche Film, wobei der<br />
Beitrag der Straubs (»eine neue Elementargewalt«,<br />
Peter Nau) eine entscheidende Rolle spielt. Das ist<br />
längst Filmgeschichte wie auch die ästhetische Debatte,<br />
die die Straubs ausgelöst haben.<br />
Das Vorgehen der Filmemacher Straub/Huillet ist<br />
ebenso einfach wie ungewohnt. Sie behandeln den<br />
Text, der sie interessiert, wie ein Dokument. Mit größter<br />
Sorgfalt legen sie eine der in ihm enthaltenen, möglichen<br />
Strukturen frei und machen sie durch die große<br />
Kunst des Weglassens sichtbar. Die »Inkarnation des<br />
Wortes« durch die Sprechenden macht Bild und Ton<br />
zur Einheit. Die optische Seite des Films (von vielen Kritikern<br />
gepriesen) und die Sprechweise (die gewöhnlich<br />
auf Irritation und Ablehnung stößt) sind komplementär,<br />
bedingen einander, erzeugen die eigentliche Spannung.<br />
Dem Zuschauer wird jede Chance einer Identifikation<br />
mit dem Sprechenden genommen. Er kann sich<br />
nicht einrichten »in einer in sich geschlossenen Geschichte<br />
bruchlos erfundener Figuren« (Frieda Grafe).<br />
Er muss auf seine angelernte Vorstellung von »natürlichen«<br />
Betonungen verzichten und auf die Sprache achten,<br />
die sich in der einmaligen physischen Präsenz des<br />
Sprechenden entfaltet. Man mag sich dem verweigern,<br />
aber es wäre intellektuell unwürdig, diesen Filmen Dilettantismus<br />
und Kunstlosigkeit vorzuwerfen (gewöhnlich<br />
das Erste, was dem verletzten Kritiker einfällt).<br />
Vom extremen Anspruch der Straubs an die Wahrheit<br />
von Bild und Ton berichtet Erich Kuby nach den Dreh -<br />
arbeiten von MACHORKA-MUFF. Bei einer Innenaufnahme<br />
in München fällt Straub auf, dass das Straßenbahngeräusch<br />
nicht stimmt, das auch in einer anderen<br />
Szene in Bonn zu hören ist. »Und plötzlich sagt der<br />
Straub: Wir müssen nochmal nach Bonn fahren. Das ist<br />
nicht die Wahrheit«. <strong>Münchner</strong> oder Bonner Straßenbahn,<br />
für jeden anderen Filmemacher wäre das kein<br />
Problem gewesen. Aber das Team fährt zurück nach<br />
Bonn und Kuby kommentiert: »Jeder ist so verrückt wie<br />
er will. Der Straub ist schon ein erstaunlicher Mann«.<br />
Straub selbst zitiert gerne Godard, dem die ersten Tonfilme<br />
so gut gefielen, »weil es das erste Mal war, dass<br />
man Leute sprechen hörte«. In diesem »ersten Mal« lag<br />
eine große Wahrheit. Sie liegt auch darin, wie zum ersten<br />
Mal in der BRD in NICHT VERSÖHNT von der deutschen<br />
Vergangenheit gesprochen wird. Wer sich auf<br />
die Straubsche Ästhetik einlässt, wer Pausen und Längen<br />
aushält, wer Atem genug hat, um dem durch Komprimierungen<br />
erzeugten, ungeheueren Tempo zu folgen,<br />
wer Naturschauspiele wie das Erscheinen eines<br />
Berges oder den Einbruch eines Schmetterlings in eine<br />
Einstellung mit Ehrfurcht aufnimmt, wird in diesen Filmen<br />
die Welt neu zu sehen und zu hören bekommen.<br />
Das ist das Straubsche Versprechen, dessen Erfüllung<br />
von der Mitarbeit des Zuschauers abhängt. Sie er -<br />
fordert von ihm altertümliche, oder wie Straub sagen<br />
würde, »kommunistische« Tugenden.<br />
Straubs Urprojekt und dritter Film, die CHRONIK DER<br />
ANNA MAGDALENA BACH (1967) wird nicht durch das<br />
Thema zu einem deutschen Film, sondern durch die<br />
Straubsche Wahrheit der Menschen, Häuser, Innenräume,<br />
Gegenstände, Worte und Töne. »Es ist ein Film,<br />
den kein Deutscher hätte machen können, … so wie<br />
kein Italiener die ›Kartause von Parma‹ hätte schreiben<br />
können« (Straub). Als Motto vorangestellt ist ihm ein<br />
CHRONIK DER ANNA MAGDALENA BACH<br />
Jean-Marie Straub<br />
63
Jean-Marie Straub<br />
64<br />
Wort von Charles Péguy: Die Revolution machen / bedeutet<br />
auch / sehr alte Dinge an ihren Platz stellen / die<br />
vergessen sind. Solche ins Negativ geritzte Graffiti sind<br />
wichtig zum Verständnis der Straubschen Filme. Die<br />
Verrückung sehr alter Dinge wie Ernst – Ehre – Treue –<br />
Ordnung wurde zum Code der deutschen Verbrechen.<br />
Beim Bachfilm mag sich der Zuschauer an das Motto<br />
erinnern, das Walter Benjamin 1936 seiner Folge von<br />
Briefen »Deutsche Menschen« vorangestellt hat: Von<br />
Ehre ohne Ruhm / Von Größe ohne Glanz / Von Würde<br />
ohne Sold. Davon berichtet die Geschichte der CHRO-<br />
NIK. Jahrzehnte später sagt Straub: »Als wir drehten,<br />
lag Hanoi unter den Bomben, wir dachten an den Vietcong<br />
und die Bauern im bayerischen Urwald«.<br />
»Ausgangspunkt für unsere CHRONIK war die Idee,<br />
einen Film zu versuchen, in dem man Musik nicht als<br />
Begleitung, nicht als Kommentar, sondern als ästhetische<br />
Materie benutzt«. Am Anfang seines Werks stehen<br />
musikalische Projekte, für deren Realisierung<br />
Straub 14 Jahre (CHRONIK) und 15 Jahre (MOSES UND<br />
ARON) gekämpft hat. Arnold Schönbergs Oper »Moses<br />
und Aron« ist eine sehr deutsche, eine sehr jüdische<br />
Geschichte, die Straub in eine Landschaft Italiens legt,<br />
die diese Erzählung fassen kann. Michael Gielen, der<br />
die musikalische Leitung übernommen hat, schreibt:<br />
»Schon das Wahnwitzige an dem Unternehmen hat<br />
mich gereizt«. Heute wären diese Aufführung und diese<br />
Aufnahme materiell gar nicht mehr möglich. Man fände<br />
noch den Ort (das antike Theater von Alba Fucense),<br />
aber nicht mehr den akustischen Raum, in dem sich<br />
die Naturlaute einer alten Welt (Sommerstille, Grillen -<br />
gezirpe, Schafsgeblöke, Wasserfließen, rollende Steine)<br />
in die Stimmen der Solisten und des Chors einmischen<br />
könnten. Schon damals hatte es viel Mühe gekostet,<br />
Maschinen und Flugzeuggeräusche fernzuhalten, die<br />
das menschliche Ohr überhört und wegschiebt, die das<br />
Mikrophon aber unerbittlich registriert. Umgekehrt hat<br />
Straub in OTHON (1969) den rauschenden römischen<br />
Verkehr wie einen Lavastrom in den Text von Corneille<br />
einfließen lassen. Gesprochen auf dem Palatin, dem<br />
Regierungsviertel des antiken Rom, war er dadurch<br />
zum Entsetzen der Kritik nicht mehr »hörbar«. »Man<br />
muss Corneille jetzt lesen oder gar nicht«, schrieb Marguerite<br />
Duras zu diesem Einbruch des Autolärms in die<br />
schöne Literatur. Was bedeutet es für unsere Kultur,<br />
dass heute Tausende, Millionen Menschen solche<br />
extreme Experimente ohne weiteres im Kino oder im<br />
Fernsehen sehen können – und dass diese Chance aus<br />
Müdigkeit der Einen und Feigheit der Andern nicht genutzt<br />
wird? Sicherlich können wir ohne OTHON und<br />
ohne MOSES UND ARON leben. Aber was wäre, wenn<br />
wir mit diesen Werken und mit Hölderlin und mit Cézanne<br />
und mit Kafka leben würden?<br />
Straub beharrt auf seinem »Nicht versöhnt« (nicht nur<br />
in LOTHRINGEN!, 1994, und UN HERITIER, 2011) und<br />
hat nie aufgehört, diese Negation produktiv umzukehren<br />
in die Frage: Unter welchen Bedingungen ist Versöhnung<br />
mit der Geschichte und mit der Natur möglich?<br />
Es ist die große Frage, auf die Hölderlin mit der<br />
kommunistischen Utopie des Empedokles (»Wenn dann<br />
der Erde Grün von neuem euch erglänzt«) eine Antwort<br />
sucht und die Cézanne ekstatisch ausrufen lässt: »In<br />
einem Grün wird mein ganzes Hirn fließen mit den Säften<br />
des Baumes«. Straub hat die Linie freigelegt, die<br />
von Empedokles über Lukrez zu den Mystikern und bis<br />
zu Hölderlin und Cézanne führt. Der junge Marx hat sie<br />
so beschrieben: »Die Natur ist der unorganische Leib<br />
des Menschen, nämlich die Natur, soweit sie nicht<br />
selbst menschlicher Körper ist. Die Natur ist sein Leib,<br />
mit dem er in beständigem Prozess bleiben muss, um<br />
nicht zu sterben«. Seit sich die moderne Industrie mit<br />
ihrer Gewalt in diesen Prozess eingemischt hat, wird<br />
die Natur auf immer bedrohlichere Weise in die Taten<br />
der Menschen verstrickt. Daher der Gedanke von der<br />
Notwendigkeit einer Versöhnung und die Einsicht, dass<br />
ohne sie auch keine Versöhnung unter den Menschen<br />
möglich ist. In DALLA NUBE ALLA RESISTENZA (1978)<br />
zeigt Straub das bäuerliche Italien mit seinen Mythen<br />
an der Schwelle zur Industriekultur. Der Klassenkampf<br />
der Bauern bekommt durch die Darstellung der Kämpfe<br />
zwischen Göttern und Menschen eine mythische<br />
Schicht. Schon in KLASSENVERHÄLTNISSE (1984)<br />
sehen wir, wie tief sich die Hierarchien und Abhängigkeiten<br />
in die Lebensweisen der Menschen eingraben.<br />
Klassenkämpfe werden zu mechanischen Machtspielen<br />
(OTHON; GESCHICHTSUNTERRICHT, 1972), wenn<br />
sie nicht bis zu diesen Abgründen vordringen. Einer der<br />
letzten, rätselhaften Filme SCHAKALE UND ARABER<br />
(2011) demonstriert in 12 Minuten die Aporien dieser<br />
Tiefen. In Kafkascher Komik, die vielen Straubfilmen<br />
eigen ist. Peter Kammerer<br />
SCHAKALE UND ARABER – Schweiz 2011 – R+B:<br />
Jean-Marie Straub, nach Franz Kafka – K: Christophe<br />
Clavert – D: Barbara Ulrich, Giorgio Passerone, Jubarite<br />
Semaran – 12 min – MACHORKA-MUFF – BRD<br />
1962 – R+B: Danièle Huillet & Jean-Marie Straub,<br />
nach »Hauptstädtisches Journal« von Heinrich Böll – K:<br />
Wendelin Sachtler – D: Erich Kuby, Renate Lang – 18<br />
min – NICHT VERSöHNT ODER ES HILFT NUR GE-<br />
WALT, WO GEWALT HERRSCHT – BRD 1965 – R+B:<br />
Danièle Huillet & Jean-Marie Straub, nach »Billard um
SCHAKALE UND ARABER<br />
halbzehn« von Heinrich Böll – K: Wendelin Sachtler – D:<br />
Henning Harmssen, Heinrich Hargesheimer, Martha<br />
Ständner, Danièle Huillet, Ulrich von Thüna – 52 min –<br />
Es war einmal, Mitte der Sechziger, in stupid old Germany,<br />
und endet bis heute nicht. Die gleiche Unversöhnlichkeit,<br />
es hilft immer noch nur Gewalt, wo Gewalt<br />
herrscht. Hart prallen Bölls Texte auf die Wirklichkeit<br />
der Körper, Blicke, Dialekte. Die Radikalität des<br />
amerikanischen Gangsterfilms, Legs Diamond und Arturo<br />
Ui sind Paten der frühen Filme, Budd Boetticher<br />
und Bertolt Brecht. Ihnen entspricht Kafkas gewitzter<br />
Blick auf die Klassenverhältnisse: »Also endlich die<br />
Schere und damit Schluss!«<br />
▶ Dienstag, 18. Dezember 2012, 21.00 Uhr<br />
CHRONIK DER ANNA MAGDALENA BACH – BRD<br />
1967 – R+B: Danièle Huillet & Jean-Marie Straub,<br />
nach dem Nekrolog von Philipp Emmanuel Bach und<br />
Briefen von Johann Sebastian Bach – K: Ugo Piccone –<br />
D: Gustav Leonhardt, Christiane Lang-Drewanz –<br />
94 min – DER BRÄUTIGAM, DIE KOMöDIANTIN UND<br />
DER ZUHÄLTER – BRD 1968 – R+B: Danièle Huillet &<br />
Jean-Marie Straub, nach »Krankheit der Jugend« von<br />
Ferdinand Bruckner und Gedichten von Juan de la Cruz<br />
– K: Niklaus Schilling – D: Lilith Ungerer, Rainer Werner<br />
Fassbinder, James Powell – 23 min – Die CHRONIK,<br />
das jugendliche Meisterstück. Es hätte der erste<br />
Straubfilm werden sollen, aber die Finanzierung war<br />
kompliziert – einen Millionenfilm dagegen, mit Karajan,<br />
hätte man ihm sofort produziert. Bach bei der Arbeit,<br />
Musik als Tun. »Gebrauchsmusik ist die höchste Form<br />
der Musik«, schrieb Helmut Färber, »Musik die nicht<br />
nirgends ist, sondern benötigt und benutzt wird.« Benutzt<br />
wie das Theater im BRÄUTIGAM, Fassbinders antiteater.<br />
Finsterstes München, aber am Ende Wind,<br />
Bäume, Regen. Und das höchste Licht: Mein Herz aus<br />
Lehm, / wie jemals könnte es / brennen so sehr, dass<br />
stiegen seine Funken / wie es möchte / bis zu den ho -<br />
hen Gipfeln / jenes ewigen Vaters der Lichter.<br />
▶ Mittwoch, 19. Dezember 2012, 21.00 Uhr<br />
LA MADRE (DIE MUTTER) – Schweiz 2012 – R+B:<br />
Jean-Marie Straub, nach Cesare Pavese – K: Christophe<br />
Clavert – D: Giovanna Daddi, Dario Marconcini –<br />
20 min, OmU – SCHAKALE UND ARABER – Schweiz<br />
2011 – R+B: Jean-Marie Straub, nach Franz Kafka –<br />
K: Christophe Clavert – D: Barbara Ulrich, Giorgio Passerone,<br />
Jubarite Semaran – 12 min – O SOMMA LUCE<br />
(O HöCHSTES LICHT) – Italien 2010 – R+B: Jean-<br />
Marie Straub, nach der »Divina Commedia« von Dante<br />
Alighieri – K: Renato Berta – Mit Giorgio Passerone –<br />
18 min, OmU – SICILIA ! – Italien 1998 – R+B: Danièle<br />
Huillet & Jean-Marie Straub, nach »Conversazione in<br />
Sicilia« von Elio Vittorini – K: William Lubtchansky – D:<br />
Angela Nugara, Gianni Buscarino, Vittorio Vigneri –<br />
66 min, OmU – Eine Reise ins Licht, die Straubs und<br />
das Mediterrane: Pavese und Vittorini, Kafkas Beduinen<br />
und Dantes Emphase. Geschichte einer Sehnsucht,<br />
eine Bewegung, die sich abbildet in der Folge der<br />
Filme. Die letzten drei sind ohne Danièle entstanden.<br />
Das Ausrufezeichen im Titel nach »Sicilia« ist wichtig,<br />
es signalisiert Ankunft und Aufbruch, steht für Action.<br />
Die Einfahrt eines Zuges in den Bahnhof von Syrakus.<br />
▶ Sonntag, 6. Januar 2013, 18.30 Uhr<br />
DANIELE HUILLET & JEAN-MARIE STRAUB, CINEAS-<br />
TES – OU GIT VOTRE SOURIRE ENFOUI? (WO LIEGT<br />
EUER LÄCHELN BEGRABEN?) – Frankreich 2001 –<br />
R+B+K: Pedro Costa – 104 min, OmeU – 6 BAGATE-<br />
LAS (6 BAGATELLEN) – Frankreich 2001 – R+B+K:<br />
Pedro Costa – 18 min, OmeU – Die Straubs bei der<br />
Arbeit, beim Schnitt der dritten Fassung von SICILIA !<br />
Straub wird dabei programmatisch, brechtisch, das ist<br />
manchmal sehr komisch: »Weil – wenn es eine lange<br />
Geduld gibt, ist sie gleichzeitig geladen mit Gegensätzen.<br />
Andernfalls hat sie sich nicht die Zeit genommen,<br />
sich zu laden. Die lange Geduld ist notwendigerweise<br />
geladen mit Zärtlichkeit und Gewalt. Die ungeduldige<br />
Geduld ist nur geladen mit Ungeduld. Der schöne<br />
Herbst ist zurückgekehrt.«<br />
▶ Sonntag, 6. Januar 2013, 21.00 Uhr<br />
OTHON. LES YEUX NE VEULENT PAS EN TOUT<br />
TEMPS SE FERMER OU PEUT-ETRE QU’UN JOUR<br />
ROME SE PERMETTRA DE CHOISIR A SON TOUR<br />
(DIE AUGEN WOLLEN SICH NICHT ALLZEIT SCHLIES-<br />
SEN ODER VIELLEICHT EINES TAGES WIRD ROM<br />
SICH ERLAUBEN SEINERSEITS ZU WÄHLEN) – Italien<br />
Jean-Marie Straub<br />
65
Jean-Marie Straub<br />
66<br />
1969 – R+B: Danièle Huillet & Jean-Marie Straub,<br />
nach »Othon« von Pierre Corneille – K: Renato Berta –<br />
D: Adriano Aprà, Olimpia Carlisi, Anthony Pensabene,<br />
Jubarite Semaran – 88 min, OmU – TOUTE REVOLU-<br />
TION EST UN COUP DE DES (JEDE REVOLUTION IST<br />
EIN WÜRFELWURF) – Frankreich 1977 – R+B: Danièle<br />
Huillet & Jean-Marie Straub, nach »Un coup de<br />
dés« von Stéphane Mallarmé – K: William Lubtchansky<br />
– Mit Helmut Färber, Michel Delahaye, Danièle Huillet,<br />
Manfred Blank – 10 min, OmU – Städtetheater, Stadt<br />
als Schau-Platz. Inszenierte Geschichte, mit Freunden,<br />
an historischen Orten des Widerstands. Corneilles Polittrauerspiel,<br />
die Geschäfte des Herrn Othon, gefilmt auf<br />
dem Palatin in Rom, vom Straßenlärm umbrandet. Und<br />
Mallarmés Poem, das sich nicht auf Papier beschränken<br />
will. »Selbst die rein sinnliche Wirklichkeit des Raumes,<br />
den die Darsteller am Ende jedes Aktes leer lassen:<br />
wie süß wär’ sie ohne das Trauerspiel des Zynismus,<br />
der Unterdrückung, des Imperialismus, der Ausbeutung<br />
– unsere Erde, befreien wir sie!«<br />
▶ Dienstag, 8. Januar 2013, 21.00 Uhr<br />
CORNEILLE – BRECHT – Frankreich 2009 – R+B:<br />
Jean-Marie Straub, nach »Horace« und »Othon« von<br />
Pierre Corneille und »Das Verhör des Lukullus« von<br />
Bertolt Brecht – K: Jean-Claude Rousseau, Christophe<br />
Clavert – Mit Cornelia Geiser – 26 min, OmU – GE-<br />
SCHICHTSUNTERRICHT – BRD 1972 – R+B: Danièle<br />
Huillet & Jean-Marie Straub, nach »Die Geschäfte des<br />
Herrn Julius Caesar« von Bertolt Brecht – K: Renato<br />
Berta – D: Gottfried Bold, Benedikt Zulauf – 88 min –<br />
Kunstpragmatismus, die Straubs und ihre Gebrauchsfilme:<br />
Bach für Bauern in Bayern, Corneille für die Arbeiter<br />
von Renault. Und Brecht, der mit unermüdlicher<br />
Gelassenheit vorführt, wie man mit den Instrumenten<br />
der marxistischen Analyse hantiert. GESCHICHTSUN-<br />
TERRICHT ist eine Recherche zum römischen Kapitalismus,<br />
einst und heute. Einer der heitersten Straubfilme,<br />
mit KLASSENVERHÄLTNISSE und SICILIA ! bildet er<br />
eine Art Trilogie der Travestie. Das Verhör des Lukullus<br />
führt dann in die Unterwelt. »Wir suchen ständig das<br />
›Harmonische‹, das ›An-und-für-sich-Schöne‹ zu gestalten«,<br />
schrieb Brecht, »anstatt realistisch den Kampf<br />
für die Harmonie und die Schönheit.«<br />
▶ Mittwoch, 9. Januar 2013, 21.00 Uhr<br />
EINLEITUNG ZU ARNOLD SCHOENBERGS BEGLEIT-<br />
MUSIK ZU EINER LICHTSPIELSCENE – BRD 1973 –<br />
R+B: Danièle Huillet & Jean-Marie Straub, nach Briefen<br />
von Arnold Schönberg – K: Renato Berta – Mit<br />
Jean-Marie Straub, Danièle Huillet, Günter Peter Stra-<br />
schek, Peter Nestler – 16 min – MOSES UND ARON –<br />
Österreich 1974 – R+B: Danièle Huillet & Jean-Marie<br />
Straub, nach der Oper von Arnold Schönberg – K:<br />
Renato Berta – D: Günter Reich, Louis Devos – 107<br />
min – Schönbergs Musik, das machen die drei Filme<br />
sichtbar, die die Straubs mit ihr machten, hat nach<br />
dem Kino verlangt. Ein neues Verhältnis von Wort, Bild,<br />
Gedanke. »Du, dem das Wort mit dem Bild davonläuft,<br />
du lebst selbst in den Bildern, die du vorgibst, fürs Volk<br />
zu erzeugen«, so Moses zum Ideologen Aron, »dem<br />
Ursprung, dem Gedanken entfremdet, genügt dir dann<br />
weder das Wort noch das Bild.« Das antike Theater in<br />
Alba Fucense ist als Schauplatz so irreal, so unmöglich<br />
und utopisch wie der von Mallarmés neuer, das Buch<br />
übersteigenden Poesie: »Die Praxis von Sprache ist<br />
nicht reduzierbar auf Sinnproduktion. Gedichte von Mallarmé<br />
sind szenisch konzipiert. Nicht möglich auf dem<br />
Theater, sagt er, aber das Theater verlangend. Diese<br />
Unmöglichkeit realisiert der Film.« (Frieda Grafe)<br />
▶ Dienstag, 15. Januar 2013, 21.00 Uhr<br />
FORTINI / CANI (DIE HUNDE VOM SINAI) – Italien<br />
1976 – R+B: Danièle Huillet & Jean-Marie Straub,<br />
nach Franco Fortini – K: Renato Berta – Mit Franco Fortini<br />
– 83 min, OmU – ITINERAIRE DE JEAN BRICARD<br />
(WEG VON JEAN BRICARD) – Frankreich 2008 – R+B:<br />
Danièle Huillet & Jean-Marie Straub, nach Jean-Yves-<br />
Petiteau – K: William Lubtchansky – 40 min, OmU –<br />
Zwei Kriegs- und Nachkriegserfahrungen, der Italiener<br />
Franco Fortini, der Franzose Jean Bricard: vom Faschismus<br />
sprechen, also vom Kapitalismus, von Imperialismus,<br />
Neokolonialismus, Zionismus, Klassenkampf.<br />
Keine Grenzen sind absolut im Denken und im Handeln,<br />
kein Leben ist eine Insel. Alles ganz kafkaesk. »Den<br />
Hund vom Sinai machen, Redensart der Nomaden, die<br />
einst durch die Hoch ebene von El Tih zogen, im Norden<br />
des Berges Sinai. Ihre Bedeutung schwankt zwischen:
dem Sieger zu Hilfe eilen, auf der Seite der Herren stehen,<br />
edle Gefühle zur Schau stellen. Auf dem Sinai gibt<br />
es keine Hunde.«<br />
▶ Mittwoch, 16. Januar 2013, 21.00 Uhr<br />
DALLA NUBE ALLA RESISTENZA (VON DER WOLKE<br />
ZUM WIDERSTAND) – Italien 1978 – R+B: Danièle<br />
Huillet & Jean-Marie Straub, nach »Dialoghi con Leucò«<br />
und »La luna e i falò« von Cesare Pavese – K: Saverio<br />
Diamanti – D: Olimpia Carlisi, Guido Lombardi, Andrea<br />
Bacci, Mauro Monni, Paolo Cinnani – 105 min, OmU –<br />
Der neue Weggefährte Cesare Pavese, er wird die<br />
Straubs nicht mehr verlassen auf ihrem Itinéraire. Dialoge<br />
mit mythologischen Figuren, die ums Unergründ -<br />
liche, Unaussprechliche kreisen, das Verhältnis der<br />
Götter und der Menschen. Die Farben haben Pedro<br />
Costa delirieren lassen, diese Gelbs, diese Grüns. Im<br />
Anschluss an die Dialoge ein Heimkehrer ins Italien<br />
nach Krieg und Widerstand. Ein Verschollener. Wie Gesellschaft<br />
Gewalt eindämmen will und selber dabei Gewalt<br />
entwickelt. »Die Menschen sprechen in einen leeren<br />
Raum, und während die Rede aufsteigt, versenkt<br />
sich der Raum in die Erde.« (Gilles Deleuze)<br />
▶ Dienstag, 22. Januar 2013, 21.00 Uhr<br />
ZU FRÜH / ZU SPÄT – Frankreich 1982 – R+B: Danièle<br />
Huillet & Jean-Marie Straub, nach einem Brief von<br />
Friedrich Engels und »Luttes de classes en Égypte« von<br />
Mahmoud Hussein – K: William Lubtchansky, Robert<br />
Alazraki – 105 min – Bäuerliche Welt in Frankreich und<br />
in Ägypten. Ökologisches kommt bei Straub immer mit<br />
Utopischem. Muss Revolution nicht immer vom Land<br />
ausgehen? Sollten Erfahrungen nicht immer aus<br />
Schwenks entstehen? »Die Erfahrung nicht ertragen –<br />
das geht. Das hat man gesehen. Sogar die Idee der<br />
Erfahrung nicht mehr ertragen – das geht ebenfalls.<br />
Das sieht man alle Tage. Man kann finden, den Wind<br />
zu filmen, sei eine lächerliche Sache. Eben nur Wind.<br />
Man kann auch am Kino vorbeigehen, wenn es aus<br />
sich herausgeht und etwas riskiert.« (Serge Daney)<br />
▶ Mittwoch, 23. Januar 2013, 21.00 Uhr<br />
DER TOD DES EMPEDOKLES ODER WENN DANN<br />
DER ERDE GRÜN VON NEUEM EUCH ERGLÄNZT –<br />
BRD 1986 – R+B: Danièle Huillet & Jean-Marie Straub,<br />
nach Friedrich Hölderlin – K: Renato Berta – D:<br />
Andreas von Rauch, Vladimir Baratta, Ute Cremer, Howard<br />
Vernon, Peter Kammerer – 132 min – Hölderlin,<br />
der Kommunist unter den deutschen Klassikern. Empedokles<br />
ist mit seiner eigenen Emphase voll beschäftigt<br />
und versucht, vom Ätna aus die Welt aufzurütteln. »Er<br />
möchte Flamme sein, wie Jeanne d’Arc, wie Cézannes<br />
Mont Sainte-Victoire. Und wie John Fords scheinhei -<br />
liger Ransom Stoddard (James Stewart in THE MAN<br />
WHO SHOT LIBERTY VALANCE) redet er zu viel. Er<br />
posiert wie eine Sonnenexplosion, aber mit geschlossenen<br />
Augen.« (Tag Gallagher)<br />
▶ Dienstag, 29. Januar 2013, 21.00 Uhr<br />
SCHWARZE SÜNDE – BRD 1988 – R+B: Danièle Huillet<br />
& Jean-Marie Straub, nach »Empedokles auf dem<br />
Ätna« (3. Fassung von »Der Tod des Empedokles«) von<br />
Friedrich Hölderlin – K: William Lubtchansky – D:<br />
Andreas von Rauch, Vladimir Baratta, Howard Vernon,<br />
Danièle Huillet – 42 min – Empedokles zum zweiten.<br />
Nach der Explosion nun die Implosion. Empedokles hat<br />
keine Botschaft mehr, er ist allein wie es Gertrud war<br />
am Ende von Dreyers letztem Film. Danièle Huillet<br />
spielt noch einmal selber mit in diesem Film, die<br />
Sphinx. – PROPOSTA IN QUATTRO PARTI (VOR-<br />
SCHLAG IN VIER TEILEN) – Italien 1985 – 40 min, OF<br />
– Blut und Boden. Eine Videomontage von Jean-Marie<br />
Straub: A CORNER IN WHEAT (1909) von David W. Griffith<br />
sowie Ausschnitte aus MOSES UND ARON, FOR-<br />
TINI / CANI und DALLA NUBE ALLA RESISTENZA.<br />
▶ Mittwoch, 30. Januar 2013, 21.00 Uhr<br />
KLASSENVERHÄLTNISSE – BRD 1984 – R+B: Danièle<br />
Huillet & Jean-Marie Straub, nach »Der Verschollene«<br />
von Franz Kafka – K: William Lubtchansky – D:<br />
Christian Heinisch, Mario Adorf, Laura Betti, Alfred<br />
Edel, Harun Farocki, Manfred Blank – 127 min – Starkino<br />
von den Straubs, in glänzendem Schwarz/Weiß,<br />
mit Adorf, Betti, Edel. Kafkas Neue Welt, gefilmt im<br />
Geiste von Fritz Lang, dem alten Meister und Lehrer.<br />
Ein jugendlicher Held, Kafkas Verschollener, aus seinem<br />
Land und seiner Familie gejagt wie die Kölner<br />
Jungs in NICHT VERSÖHNT. In den Korridoren und Küchen,<br />
Aufzügen und Balkonen fangen Kafkas Sätze an<br />
herumzuspuken. Deleuze über die Nähe von Straub<br />
und Kafka: »Man kann den Sprechakt nicht von dem<br />
lösen, was ihm widersteht, ohne ihn dabei selbst, ge -<br />
gen das ihn Bedrohende, widerständig zu machen. Er<br />
selbst ist die Gewalt, die nur hilft, ›wo Gewalt herrscht‹.«<br />
▶ Dienstag, 5. Februar 2013, 21.00 Uhr<br />
PAUL CEZANNE IM GESPRÄCH MIT JOACHIM GAS-<br />
QUET – BRD 1989 – R+B: Danièle Huillet & Jean-<br />
Marie Straub, nach »Cézanne – Ce qu’il m’a dit« von<br />
Joachim Gasquet – K: Henri Alekan – 63 min – UNE<br />
VISITE AU LOUVRE (EIN BESUCH IM LOUVRE) –<br />
Frankreich 2004 – R+B: Danièle Huillet & Jean-Marie<br />
Jean-Marie Straub<br />
67
Jean-Marie Straub<br />
68<br />
Straub, nach »Cézanne – Ce qu’il m’a dit« von Joachim<br />
Gasquet – K: William Lubtchansky, Renato Berta –<br />
47 min, OmU – Nach dem Empedokles, der Arbeit mit<br />
Hölderlin, nun das Mystère Cézanne. Gespräche so tief,<br />
wie man sie heute nicht mehr kennt. Daniele Huillet:<br />
»Wer redet noch mit offenem Herzen? Es ist, wie wenn<br />
du plötzlich auf einem Berg reine Luft atmest.« Zwei<br />
Bodenständige, Bergbesessene, Sonnentrunkene, wie<br />
sie träumen, Natur und Geschichte zu versöhnen. »Die<br />
Inkarnation der Sonne durch die Welt, wer wird das je<br />
malen, wer es erzählen? Das wäre die physische Geschichte,<br />
die Psychologie der Erde.« Mittendrin eine<br />
Szene aus der MADAME BOVARY, dem Film von Jean<br />
Renoir, dem Sohn von Auguste.<br />
▶ Mittwoch, 6. Februar 2013, 21.00 Uhr<br />
DIE ANTIGONE DES SOPHOKLES NACH DER HöL-<br />
DERLINSCHEN ÜBERTRAGUNG FÜR DIE BÜHNE BE-<br />
ARBEITET VON BRECHT 1948 (SUHRKAMP VERLAG)<br />
– Deutschland 1991 – R+B: Danièle Huillet & Jean-<br />
Marie Straub – K: William Lubtchansky – D: Astrid<br />
Ofner, Ursula Ofner, Libgart Schwarz, Werner Rehm –<br />
99 min – Theater ferien in Berlin. An der Schaubühne<br />
hatten die Straubs die »Antigone« inszeniert, nun sind<br />
sie mit dem Stück und den Akteuren im antiken griechischen<br />
Theater in Segesta. »Das Straubsche Kino<br />
und das alte griechische Drama«, schreibt Peter<br />
Handke, »sind für mich geradezu seinesgleichen, formgleich:<br />
beide stehen, oder stocken, am Anfang und verharren<br />
da, beharren auf diesem.« Die Arbeit der<br />
Straubs ist archäologisch, die Schichten der Geschichte<br />
aufblätternd: ein Stück von Sophokles, übersetzt<br />
von Hölderlin, bearbeitet von Brecht fürs Theater.<br />
Im Kino gewinnt es neue Körperlichkeit, Wesen, die mythisch<br />
sind und doch ganz gegenwärtig. »Ungeheuer ist<br />
viel. Doch nichts ungeheurer, als der Mensch.«<br />
▶ Dienstag, 12. Februar 2013, 21.00 Uhr<br />
VON HEUTE AUF MORGEN – Deutschland 1997 –<br />
R+B: Danièle Huillet & Jean-Marie Straub, nach der<br />
Oper von Arnold Schönberg und Max Blonda – K: William<br />
Lubtchansky – D: Christine Whittlesey, Richard<br />
Salter – 62 min – EN RACHACHANT – Frankreich<br />
1982 – R+B: Danièle Huillet & Jean-Marie Straub,<br />
nach »Oh ! Ernesto« von Marguerite Duras – K: Henri<br />
Alekan – D: Olivier Straub, Nadette Thinus, Bernard<br />
Thinus, Raymond Gérard – 7 min, OmU – LOTHRIN-<br />
GEN ! – Frankreich 1994 – R+B: Danièle Huillet &<br />
Jean-Marie Straub, nach »Colette Baudoche« von Maurice<br />
Barrès – K: Christophe Pollock – D: Emmanuelle<br />
Straub – 21 min, OmU – UN HERITIER (EIN ERBE) –<br />
Frankreich 2011 – R+B: Jean-Marie Straub, nach »Au<br />
service de l’Allemagne« von Maurice Barrès – K: Renato<br />
Berta, Christophe Clavert – D: Joseph Rottner, Jubarite<br />
Semaran, Barbara Ulrich – 21 min, OmU – Filme<br />
über Erbschaft und Erziehung, Mode und Ideologien.<br />
»Was sind das, moderne Menschen?« Zwei Filme spielen<br />
im Elsass, im deutsch-französischen Grenzland,<br />
nach dem reaktionären Maurice Barrès. Wissen und<br />
Gewissheiten, die sich entfestigen, nationale Gefühle,<br />
die in den wilden Nationalismen ihre Wahrheit reklamieren,<br />
»die heute sichtbaren und hörbaren Geschichtsspuren«,<br />
schrieb Frieda Grafe, »und die vom<br />
Kino aufgerufenen – nicht direkt darzustellenden – archaischen<br />
Schwingungen«. Der alte Straub, geboren in<br />
Metz, tritt als Zeitzeuge selbst in Erscheinung.<br />
▶ Mittwoch, 13. Februar 2013, 21.00 Uhr<br />
OPERAI, CONTADINI (ARBEITER, BAUERN) – Italien<br />
2001 – R+B: Danièle Huillet & Jean-Marie Straub,<br />
nach »Le donne di Messina« von Elio Vittorini – K: Renato<br />
Berta – D: Angela Nugara, Angela Durantini, Vittorio<br />
Vigneri, Aldo Fruttuosi, Rosalba Curatola – 123 min,<br />
OmU – Die Straubs gehen in die Wälder, ihr spätes<br />
Werk wurzelt in der Gegend um die toskanische Stadt<br />
Buti – unser Monument Valley, sagt Straub. OPERAI,<br />
CONTADINI ist ihr WAGONMASTER, ein western noir.<br />
Politisches wächst zusammen mit Mythischem, Märchenhaftem.<br />
Die neue Historie. Überlebensszenen<br />
unter unsäglichen Bedingungen, in einem Winter nach<br />
Ende des Zweiten Weltkriegs. »Es geht um den Wahnsinn,<br />
eine Gemeinschaft zu bilden«, sagt Straub, »den<br />
Wahnsinn des Schnees und des Eises.«<br />
▶ Dienstag, 19. Februar 2013, 21.00 Uhr<br />
IL RITORNO DEL FIGLIO PRODIGO / UMILIATI (DIE<br />
RÜCKKEHR DES VERLORENEN SOHNES / GEDEMÜ-<br />
TIGT) – Italien 2003 – R+B: Danièle Huillet & Jean-<br />
Marie Straub, nach »Le donne di Messina« von Elio Vittorini<br />
– K: Renato Berta – D: Vittorio Vigneri, Rosalba<br />
Curatola, Aldo Fruttuosi, Romano Guelfi, Paolo Spaziani<br />
– 64 min, OmU – Die Fortsetzung zu den OPERAI, CON-<br />
TADINI. Die Gesellschaft formiert sich neu, Gericht wird<br />
gehalten. Ein Reichtum von Sonne, Licht, Wasser,<br />
Blattwerk, in den kleinsten Filmen noch, der den angeblichen<br />
Asketismus und Minimalismus der Straubs<br />
ad absurdum führt. »Das hat mich so ge ärgert, dass<br />
ich nachgesehen habe. Askese, etymologisch, bei den<br />
Griechen, heißt: einen Beruf und ein Handwerk gut ausüben,<br />
die Dinge gut polieren, als Schreiber zum Beispiel<br />
oder als Töpfer. Also bedeutet es genau das Gegenteil<br />
von dem, was die Leute heute denken, wenn sie
meinen, ein Asket ist einer, der hat kein Blut. Das war<br />
die Frömmigkeit vom 17. Jahrhundert, die das umgekippt<br />
hat. Die schlimme Frömmigkeit. Bis zur Peitsche<br />
auf sich selbst.« – EUROPA 2005 – 27 OCTOBRE –<br />
Frankreich 2006 – R+B: Danièle Huillet & Jean-Marie<br />
Straub – K: Jean-Claude Rousseau, Christophe Clavert<br />
– 11 min, kein Dialog – JOACHIM GATTI – Frankreich<br />
2009 – R+B: Jean-Marie Straub, nach Jean-Jacques<br />
Rousseau – K: Renato Berta – 2 min, OmU<br />
▶ Mittwoch, 20. Februar 2013, 21.00 Uhr<br />
QUEI LORO INCONTRI (JENE IHRE BEGEGNUNGEN) –<br />
Italien 2006 – R+B: Danièle Huillet & Jean-Marie<br />
Straub, nach »Dialoghi con Leucò« von Cesare Pavese<br />
– K: Renato Berta, Jean-Paul Toraille – D: Angela Nugara,<br />
Vittorio Vigneri, Grazia Orsi, Romano Guelfi, Giovanna<br />
Daddi, Dario Marconcini – 68 min, OmU – IL<br />
GINOCCHIO DI ARTEMIDE (DAS KNIE DER ARTE-<br />
MIDE) – Italien 2007 – R+B: Jean-Marie Straub, nach<br />
»La Belva« von Cesare Pavese – K: Renato Berta, Jean-<br />
Paul Toraille – D: Dario Marconcini, Andrea Bacci – 26<br />
min, OmU – LE STREGHE – FEMMES ENTRE ELLES<br />
(DIE HEXEN – FRAUEN UNTER SICH) – Italien 2009 –<br />
R+B: Jean-Marie Straub, nach Cesare Pavese – K: Re-<br />
nato Berta, Jean-Paul Toraille – D: Giovanna Daddi,<br />
Giovanna Giuliani – 26 min, OmU – L’INCONSOLA-<br />
BILE (DER UNTRöSTLICHE) – Italien 2011 – R+B:<br />
Jean-Marie Straub, nach Cesare Pavese – K: Renato<br />
Berta, Christophe Clavert – D: Giovanna Daddi, Andrea<br />
Bacci – 15 min, OmU – LA MADRE (DIE MUTTER) –<br />
Schweiz 2012 – R+B: Jean-Marie Straub, nach Cesare<br />
Pavese – K: Christophe Clavert – D: Giovanna Daddi,<br />
Dario Marconcini – 20 min, OmU – Mit Pavese haben<br />
die Straubs ihren Frieden gefunden, einen immer noch<br />
aufrührerischen Frieden. Neun filmische Dialoge mit<br />
Leuko, zum Schluss der allerneueste: LA MADRE. Meleagros<br />
hat getötet und wird nun selbst getötet, von der<br />
eigenen Mutter. »Wer schafft es denn je, sich von den<br />
Müttern zu lösen?« fragt ihn, der zum Schatten wurde,<br />
der vieldeutige Hermes. »Die Mischungen, die Monstren<br />
erzeugen, sind im Kino nicht nur erlaubt, sie sind,<br />
wenn man es recht bedenkt, sein Gesetz. Solche Zwitter<br />
zu produzieren hat vor ihm kaum eine Kunst geschafft.<br />
Vor allem seitdem die Leinwand redet, wimmelt<br />
es von Chimären und Kentauren und Werwölfen.<br />
Sogar Götter wandeln zuweilen wieder unter den Menschen.«<br />
(Frieda Grafe)<br />
▶ Donnerstag, 21. Februar 2013, 19.00 Uhr<br />
LA MADRE<br />
Jean-Marie Straub<br />
69
Filmemigration<br />
70<br />
LIEBELEI<br />
Filmemigration aus Nazi-Deutschland<br />
Eines der vordringlichsten Ziele des Nationalsozialismus<br />
nach der Machtübernahme am 30. Januar 1933<br />
war es, die Massenmedien unter seine Kontrolle zu<br />
bringen. Dazu gehörte vor allem auch der Film. Ein wesentlicher<br />
Schritt dazu erfolgte bereits am 10. März, als<br />
es gelang, in der Geschäftsleitung der Filmbörse, der<br />
zentralen Vermittlungsstelle für alle Filmschaffenden,<br />
einen Parteigänger zu installieren. Parallel dazu kam es<br />
zur Bildung Nationalsozialistischer Betriebsorganisationen<br />
(NSBO) in sämtlichen Berufssparten der Filmindustrie,<br />
die nicht nur die Basis, sondern auch die Filmbörse<br />
zu kontrollieren begannen. Am 17. März, nur<br />
sechs Tage nach der formellen Gründung des Propagandaministeriums,<br />
wurde dann eine eigene Filmabteilung<br />
innerhalb des Ministeriums installiert.<br />
Goebbels’ erster Auftritt vor der Filmwirtschaft am<br />
28. März fiel verhalten aus. Er gab sich konziliant,<br />
sprach von der »Freiheit der Kunst« und verzichtete auf<br />
antisemitische Hetze. Konkret zur Sache äußerte sich<br />
Goebbels im Anschluss an seine Rede bei einem Treffen<br />
mit Ludwig Klitzsch, dem Generaldirektor der Ufa.<br />
Die Ufa war der mächtigste europäische Filmkonzern<br />
und politisch ein nationales, dem rechten Spektrum zuzurechnendes<br />
Unternehmen. Klaus Kreimeier nennt sie<br />
»präfaschistisch«. Hier war zu erwarten, dass die Politik<br />
des »neuen Deutschland« auf fruchtbaren Boden fallen<br />
würde. Und in der Tat reagierte die Ufa schnell. Bereits<br />
am folgenden Tag kam der Aufsichtsrat der Ufa überein,<br />
die bestehenden Verträge mit jüdischen Mitarbeitern<br />
und Angestellten aus »Rücksicht« auf die »natio -<br />
nalen Umwälzungen« nach Möglichkeit aufzulösen:<br />
»Jedes Vorstandsmitglied soll die Entscheidung da -<br />
rüber treffen, welche Mitarbeiter und Angestellten in<br />
seinem Ressort sofort zu entlassen und welche im<br />
Wege eines langsamen Abbaues aus den Diensten der<br />
Ufa auszuscheiden sind. Fälle, die Härten aufweisen,<br />
sollen schonend behandelt werden. Gehaltszahlungen<br />
sind mit Herrn Klitzsch zu besprechen.« Regisseur Erik<br />
Charell und der Erfolgsproduzent Erich Pommer wurden<br />
in der Niederschrift der Vorstandssitzung als erste<br />
genannt. Sie standen in den Vorbereitungen eines<br />
Großfilms über den Odysseus-Stoff, der gewisse Verwertungsrisiken<br />
beinhaltete. In diesem Fall kam die jüdische<br />
Abstammung Charells offenbar gerade recht,
um das Projekt zu Fall zu bringen. Einig war man sich<br />
in der Vorstandssitzung darüber, dass beider Verträge<br />
so rasch wie möglich aufgelöst werden sollten. Ein weiterer<br />
Prominenter war Regisseur Ludwig Berger. Seinen<br />
in Planung befindlichen Film wollte die Ufa allerdings<br />
noch verwirklicht sehen. Anfang Juni durfte Berger<br />
mit WALZERKRIEG beginnen, allerdings ohne den<br />
Produzenten Pommer. Seine Position wurde der Herstellungsgruppe<br />
Günther Stapenhorst übertragen.<br />
Rasch aufgelöst werden sollten beispielsweise auch die<br />
Verträge der Ufa-Autoren Robert Liebmann, Hans Müller<br />
und Friedrich Zeckendorf sowie einiger jüdischer<br />
Verwaltungsangestellter.<br />
Der Ufa-Konzern beschäftigte eine große Zahl der<br />
bedeutendsten Filmschaffenden und Filmkünstler so -<br />
wie erfolgversprechender Nachwuchskräfte aus dem<br />
deutschsprachigen Raum; andere waren durch Sub -<br />
unternehmer indirekt in ihrem Einflussbereich. Viele<br />
dieser Filmschaffenden waren jüdischer Abstammung,<br />
und es konnten nicht alle von einem Tag auf den anderen<br />
gekündigt, geschweige denn ersetzt werden. Der<br />
Ausschluss von Juden aus der deutschen Produktion<br />
war somit ein Prozess, dessen Geschwindigkeit von<br />
verschiedenen Faktoren bestimmt war: von der Möglichkeit<br />
des Zugriffs, vom bereits eingesetzten Kapital,<br />
vom Grad der Zustimmung der Partei zu jüdischen Filmschaffenden<br />
oder filmwirtschaftlichen Interesse an<br />
bestimmten Persönlichkeiten und/oder jüdischen Produktionsfirmen.<br />
Der Opportunismus in der Ufa zeigte<br />
sich besonders anschaulich bei der ungarischen<br />
Schauspielerin und Tänzerin Rosy Barsony, deren<br />
weiteres Engagement mit »Rücksicht auf die Knappheit<br />
an jugendlichen Darstellern« durchgesetzt werden<br />
sollte. Auch den Komponisten und Leiter des Ufa-<br />
Orchesters, Werner Richard Heymann, wollte die Geschäftsleitung<br />
unbedingt halten: »Mit Rücksicht auf<br />
den anständigen Charakter von Werner R. Heymann<br />
und auf die Tatsache, dass er als Frontsoldat den Krieg<br />
mitgemacht hat, beschließt der Vorstand, sich bei der<br />
Regierung für seinen Weiterverbleib einzusetzen.« Als<br />
eine günstige Voraussetzung erachteten die Verantwortlichen,<br />
dass Heymann getauft war und der evangelischen<br />
Glaubensgemeinschaft angehörte. Heymann<br />
war einer der bedeutendsten Komponisten im deutschen<br />
Film, der u. a. die Musik zu den Ufa-Welterfolgen<br />
DIE DREI VON DER TANKSTELLE (1930, Regie: Wilhelm<br />
Thiele) und DER KONGRESS TANZT (1931, Regie: Erik<br />
Charell) komponiert hatte. Sein Assistent Gérard Jacobson<br />
wurde jedoch sofort entlassen, wenngleich betont<br />
wurde, dass die Ufa gegen eine private Weiterbeschäftigung<br />
Jacobsons durch Heymann keine Einwendun-<br />
gen erheben werde. Heymann war – wie auch Rosy<br />
Barsony – nicht zu halten, er emigrierte über Frankreich<br />
in die USA.<br />
Der Ungar Viktor Gertler, Produktionsassistent und Cutter,<br />
schildert in seiner Autobiografie den Hergang seiner<br />
Entlassung aus der Ufa: »Im März 1933 wurde ich<br />
in den Konferenzsaal der Direktion zitiert. Als ich den<br />
Saal betreten wollte, trat gerade Pommer aus der Tür.<br />
Nervös und kreidebleich hetzte er an mir vorbei. Ich<br />
ging hinein. An einem langen Tisch sitzend sah ich<br />
meine bis dahin immer lächelnden Vorgesetzten: Corell,<br />
Meydam, Grieving, Gau, von Theobald und noch zwei<br />
weitere leitende Herren. Keiner von ihnen lächelte<br />
mehr. Im Raum herrschte eisige Kälte. Man bat mich<br />
Platz zu nehmen und – fragte mich nach meiner Religionszugehörigkeit.<br />
Später fand ich auf dem Schreibtisch<br />
in meinem Büro einen Brief vor. Ich las ihn. Die Ufa<br />
hatte mich für unbestimmte Zeit beurlaubt. […] Am<br />
nächsten Morgen erreichte mich ein Einschreiben der<br />
Ufa. Man teilte mir mit, ich sei mit sofortiger Wirkung<br />
entlassen. Als ich in der Personalabteilung noch mein<br />
Gehalt abheben wollte, erfuhr ich, daß für mich keinerlei<br />
Anweisung vorlag.«<br />
Einen ersten Höhepunkt erreichte die antisemitische<br />
Hetze am 1. April 1933 beim genannten »Boykott-Tag«.<br />
Von Goebbels veranlasst, zogen SA-Horden durch die<br />
Straßen und skandierten »Deutsche wehrt euch, kauft<br />
nicht bei Juden« und »Deutschland erwache, Juda verrecke«.<br />
Die Aktion richtete sich gegen jüdische Geschäfte<br />
und Anwaltskanzleien ebenso wie gegen Professoren,<br />
Lehrer, Studenten, Schüler, Künstler und<br />
nicht zuletzt auch gegen Filmschaffende. Ulrich Liebe<br />
gibt sehr einfühlsam eine der Aktionen in den Babelsberger<br />
Studios wieder. Der Produktionsleiter des Ufa-<br />
Films KIND, ICH FREU’ MICH AUF DEIN KOMMEN betrat<br />
am Boykott-Tag das Atelier und verkündete lapidar:<br />
»Wer hier nicht reinarischen Blutes ist, verlässt sofort<br />
das Studio.« Der Regisseur Kurt Gerron erstarrt, »er<br />
schaut sich noch einmal hilflos um, dann wendet er<br />
sich ab und geht langsam mit schweren Schritten zum<br />
Ausgang; sein Körper bebt, er weint.« Nach den Ausschreitungen<br />
des Boykott-Tages kam es zur ersten großen<br />
Emigrationswelle – zahlreiche jüdische Künstler<br />
verließen Deutschland.<br />
Mit der Novellierung der Filmkontingentverordnung<br />
vom 28. Juli 1933 wurde die Entfernung der Juden aus<br />
der deutschen Filmbranche auf eine »gesetzliche<br />
Basis« gestellt. Um – wie es hieß – die »deutsche Filmherstellung<br />
aus den Händen der Juden« zu befreien,<br />
konnten Filme nur mehr dann als deutsche anerkannt<br />
werden, wenn »alle Mitwirkenden Deutsche« waren.<br />
Filmemigration<br />
71
Filmemigration<br />
72<br />
Dabei wurde der Begriff des »Deutschen« nicht mehr<br />
ausschließlich über die Staatsangehörigkeit, sondern<br />
auch durch die »Stammeszugehörigkeit« definiert. Personen<br />
jüdischer Abstammung, nach nationalsozialistischer<br />
Terminologie »Nichtarier«, wurden damit – unabhängig<br />
von der deutschen Staatsbürgerschaft – wie<br />
Ausländer eingestuft. Sie benötigten jetzt eine Arbeitserlaubnis.<br />
Diese konnten sie nur über einen speziellen<br />
Antrag beim Reichsministerium für Volksaufklärung<br />
und Propaganda erhalten, wobei aber von vornherein<br />
festgeschrieben war, dass ein Antrag nur aus »kulturellen<br />
oder künstlerischen Erwägungen« gewährt wurde.<br />
Etwa gleichzeitig wurde die Filmkammer ins Leben gerufen,<br />
die im November 1933 als eine von sechs Einzelkammern<br />
der Reichskulturkammer eingegliedert<br />
wurde. Die Reichsfilmkammer fungierte als ein Schnittpunkt<br />
aller mit Filmagenden betrauten Organisationen,<br />
an deren Spitze das von Goebbels geleitete Reichsministerium<br />
für Volksaufklärung und Propaganda stand.<br />
Die Kammer erfasste alle an einem Film Beteiligten:<br />
von der Produktionsgesellschaft und dem Filmstab zur<br />
Zensur bis zur Distribution und Aufführung. Ab der<br />
zweiten Jahreshälfte 1933 lief ohne diese Zentralstelle<br />
überhaupt nichts mehr.<br />
Nur wenigen jüdischen Personen gelang über Ausnahmegenehmigungen<br />
die Weiterbeschäftigung im Reich.<br />
So konnte etwa der Produzent Gregor Rabinowitsch<br />
über seine Cine-Allianz Tonfilm GmbH noch bis Anfang<br />
1935 produzieren und der beliebte Komiker Otto Wallburg<br />
bis 1934 in Filmen mitwirken. Seine letzten beiden<br />
Filme, INGE UND DIE MILLIONEN (1933, Regie:<br />
Erich Engel) sowie KONJUNKTURRITTER (1934, Regie:<br />
Fritz Kampers), präsentierten Wallburg jedoch als zwielichtigen<br />
Devisenschieber und kriminellen Spekulanten.<br />
Wie hieß es doch in einem gut gemeinten Rat deutscherseits<br />
an die österreichischen Produzenten? »Ju -<br />
den können in einer Filmrolle dann beschäftigt werden,<br />
wenn dieselbe der Mentalität der Rasse entspricht«. Im<br />
Vergleich zu 1933 nahmen deutschsprachige Filme mit<br />
jüdischer Beteiligung 1934 rapide ab. Über einen längeren<br />
Zeitraum – zum Teil bis Ende 1937 – arbeiteten<br />
Marta Eggerth, Jan Kiepura und Reinhold Schünzel. Ab<br />
1938 waren im Filmbereich keine Juden mehr beschäftigt.<br />
Armin Loacker<br />
Die Filmreihe zeigt die letzten oder vorletzten Filme von Regisseuren,<br />
die aus Deutschland emigrieren mussten. Sie verdeutlicht<br />
den künstlerischen Verlust des deutschen Films, der<br />
durch Hitlers Machtergreifung vor 80 Jahren, am 30. Januar<br />
1933, einsetzte. Die Schicksale der Emigranten schildert Günter<br />
Peter Straschek in seiner selten gezeigten Dokumentation<br />
FILMEMIGRATION AUS NAZI-DEUTSCHLAND.<br />
MÄDCHEN IN UNIFORM – Deutschland 1931 – R:<br />
Leontine Sagan – B: Christa Winsloe, nach ihrem Stück<br />
»Gestern und Heute« – K: Reimar Kuntze, Franz Weihmayr<br />
– M: Hansom Milde-Meißner – D: Hertha Thiele,<br />
Dorothea Wieck, Gertrud de Lalsky, Emilie Unda, Marte<br />
Hein, Hedwig Schlichter – 87 min – In einem strengen<br />
Erziehungsheim für preußische Offizierstöchter<br />
schwärmt eine Schülerin für eine verständnisvolle,<br />
junge Erzieherin. Der erste deutsche Tonfilm, bei dem<br />
eine Frau Regie führte. Regisseurin Leontine Sagan<br />
emigrierte bereits 1932 nach England, wo sie noch<br />
einen zweiten Spielfilm drehte, bevor sie 1939 nach<br />
Südafrika ging, wo sie als Kind aufgewachsen war.<br />
Dort widmete sie sich dem Theater. Hertha Thiele war<br />
in Deutschland als Schauspielerin so populär, dass sie<br />
trotz ihrer oppositionellen Haltung zu den Nationalsozialisten<br />
erst 1936 aus der Reichstheaterkammer und<br />
Reichsfilmkammer ausgeschlossen wurde. Im Januar<br />
1937 emigrierte sie in die Schweiz und siedelte 1966<br />
in die DDR über, wo sie wieder als Schauspielerin in Filmen<br />
auftrat.<br />
▶ Dienstag, 8. Januar 2013, 18.30 Uhr<br />
MADAME HAT AUSGANG – Deutschland 1931 – R:<br />
Wilhelm Thiele – B: Franz Schulz, Wilhelm Thiele – K:<br />
Nicolas Farkas, Ferenc Farkas – M: Ralph Erwin – D:<br />
Liane Haid, Hans Brausewetter, Ernst Dumcke, Hilde<br />
Hildebrand, Paul Biensfeldt – 82 min – Elegante musikalische<br />
Komödie um eine betrogene Ehefrau, die nun<br />
auch einen Seitensprung wagt. Der als Meister der<br />
frühen Tonfilmoperette ausgesprochen erfolgreiche<br />
Wilhelm Thiele wurde als jüdischer Filmschaffender<br />
aus der Reichsfilmkammer ausgeschlossen, floh über<br />
Österreich und Großbritannien in die USA und landete<br />
1934 in Hollywood, wo er als William Thiele zahlreiche<br />
B-Pictures drehte. Ende der 1950er Jahre kehrte er in<br />
die Bundesrepublik zurück. Der ebenfalls profilierte
Drehbuchautor Franz Schulz verließ 1933 Deutschland<br />
und emigrierte über Prag und London in die USA. Dort<br />
arbeitete er unter dem Namen Franz Spencer. Ende der<br />
1950er Jahre kehrte er nach Europa zurück.<br />
▶ Mittwoch, 9. Januar 2013, 18.30 Uhr<br />
KUHLE WAMPE ODER WEM GEHöRT DIE WELT? –<br />
Deutschland 1932 – R: Slatan Dudow – B: Bertolt<br />
Brecht, Ernst Ottwald – K: Günther Krampf – M: Hanns<br />
Eisler – D: Hertha Thiele, Ernst Busch, Martha Wolter,<br />
Adolf Fischer, Lilli Schoenborn, Erwin Geschonneck –<br />
71 min – Die Geschichte einer Berliner Arbeiterfamilie,<br />
die in Elend und Armut lebt, aber in der Arbeiterbewegung<br />
eine Möglichkeit sieht, die Welt zu verändern.<br />
KUHLE WAMPE ist der einzige kommunistische Spielfilm<br />
der Weimarer Republik und wurde erst nach starken<br />
Kürzungen von der Zensur freigegeben. Nach der<br />
Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde er sofort<br />
wieder verboten. Slatan Dudow emigrierte 1933<br />
über Frankreich in die Schweiz. Hanns Eisler löste im<br />
Februar 1933 seine Berliner Wohnung auf, Bertolt<br />
Brecht verließ Deutschland einen Tag nach dem<br />
Reichstagsbrand, Ernst Busch konnte sich am 9. März<br />
der Verhaftung durch die Gestapo entziehen. Eisler,<br />
Brecht und Busch arbeiteten in verschiedenen Ländern<br />
in Europa, Brecht und Eisler auch in den USA. Busch<br />
verbrachte die letzten Kriegsjahre im Zuchthaus Brandenburg,<br />
nachdem er 1942 in Frankreich verhaftet und<br />
der Gestapo ausgeliefert worden war. Alle vier Künstler<br />
konnten ihre Karrieren in der DDR erfolgreich fort -<br />
setzen.<br />
▶ Freitag, 11. Januar 2013, 18.30 Uhr<br />
DER TRÄUMENDE MUND – Deutschland 1932 – R+B:<br />
Paul Czinner, nach dem Stück »Mélo« von Henry Bernstein<br />
– K: Jules Krueger – D: Elisabeth Bergner, Anton<br />
Edthofer, Rudolf Forster, Margarete Hruby, Jaro Fürth –<br />
93 min – Die Frau eines Orchestermusikers wird die<br />
Geliebte des Jugendfreundes ihres Mannes und gerät<br />
in einen Gewissenskonflikt. »Es ist der Kammerspiel-<br />
Film von heute, den die eigene Art der Bergner schuf.<br />
Flukturierendes Zwischenspiel der Seelen, das die Kamera<br />
reflektiert, das Worte zum Tönen bringt. Wieder<br />
bezwingen die große Verinnerlichung, der Zauber einer<br />
sensiblen Darstellungskunst.« (Lotte H. Eisner) Paul<br />
Czinner emigrierte 1933 zusammen mit Elisabeth Bergner<br />
nach England, wo beide heirateten und ihre Karrieren<br />
fortsetzen konnten. 1940 reisten sie in die USA,<br />
KUHLE WAMPE ODER WEM GEHÖRT DIE WELT?<br />
Filmemigration<br />
73
Filmemigration<br />
74<br />
konnten aber in Hollywood ihre erfolgreiche Zusammenarbeit<br />
nicht fortsetzen und kehrten 1951 wieder<br />
nach England zurück.<br />
▶ Samstag, 12. Januar 2013, 18.30 Uhr<br />
DER BRAVE SÜNDER – Deutschland 1931 – R: Fritz<br />
Kortner – B: Alfred Polgar, Fritz Kortner, nach dem<br />
Stück »Die Defraudanten« von Alfred Polgar – K: Günther<br />
Krampf – M: Nicholas Brodszky – D: Max Pallenberg,<br />
Heinz Rühmann, Dolly Haas, Josefine Dora, Fritz<br />
Grünbaum – 92 min – Unterhaltsame Burleske über<br />
die Abenteuer und Verwirrungen eines pedantischen<br />
Oberkassierers, der unfreiwillig zum Betrüger wird.<br />
Fritz Kortner emigrierte 1933 über London und New<br />
York nach Hollywood. »Was ich beruflich in Hollywood<br />
zu leisten Gelegenheit hatte, war so wenig bemerkenswert,<br />
dass ich darüber zu erzählen gerne versäume.«<br />
(Kortner) 1947 kehrte er zurück und setzte in der Bundesrepublik<br />
seine Karriere als Schauspieler und Regisseur<br />
fort. Dolly Haas verließ Deutschland 1936, emigrier -<br />
te zusammen mit ihrem jüdischen Mann Hans Brahm<br />
über England in die USA, wo sie mit einer Ausnahme<br />
keine Filme mehr drehte, sondern am Broadway re -<br />
üssierte. Max Pallenberg floh 1933 nach Wien und<br />
kam 1934 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Fritz<br />
Grünbaum versuchte 1938, aus Österreich zu fliehen,<br />
wurde verhaftet und 1941 im KZ Dachau ermordet.<br />
▶ Dienstag, 15. Januar 2013, 18.30 Uhr<br />
ICH UND DIE KAISERIN – Deutschland 1933 – R:<br />
Friedrich Hollaender – B: Walter Reisch, Robert Liebmann<br />
– K: Friedl Behn-Grund – M: Friedrich Hollaender,<br />
Franz Wachsmann – D: Lilian Harvey, Conrad<br />
Veidt, Mady Christians, Heinz Rühmann, Friedel Schuster,<br />
Hubert von Meyerinck – 89 min – Eine musikalische<br />
Komödie: Die Lieblingsfriseuse der Kaiserin verliert<br />
deren Strumpfband bei einer Parforcejagd im Wald<br />
und löst Hofklatsch, Eifersüchteleien und politische Intrigen<br />
aus. ICH UND DIE KAISERIN war für viele Mit -<br />
arbeiter der letzte Film in Deutschland, sie mussten alle<br />
1933 emigrieren. Nach seiner einzigen Regiearbeit<br />
knüpfte Friedrich Hollaender als Komponist in Hollywood<br />
an seine Erfolge bei der Ufa an, ebenso wie sein<br />
Co-Komponist Franz Wachsmann, der sich in Amerika<br />
Franz Waxman nannte, sein Drehbuchautor Walter<br />
Reisch und die Schauspielerin Mady Christians. Robert<br />
Liebmann blieb in Frankreich, wo sich seine Spuren<br />
verlieren. Conrad Veidt arbeitete zunächst in Großbritannien<br />
und ab 1940 in Hollywood, wo er 1943 starb.<br />
▶ Mittwoch, 16. Januar 2013, 18.30 Uhr<br />
LIEBELEI – Deutschland 1933 – R: Max Ophüls – B:<br />
Hans Wilhelm, Curt Alexander, Max Ophüls, nach dem<br />
Stück von Arthur Schnitzler – K: Franz Planer – M:<br />
Theo Mackeben – D: Magda Schneider, Luise Ullrich,<br />
Paul Hörbiger, Wolfgang Liebeneiner, Gustaf Gründgens,<br />
Olga Tschechowa – 88 min – Die ungewöhnlich<br />
dichte Verfilmung von Arthur Schnitzlers Drama über<br />
Liebschaften im Wien der k.u.k.-Monarchie gilt als<br />
einer der schönsten deutschen Filme. Max Ophüls<br />
schrieb: »Über LIEBELEI lag ein Glücksstern. Glückssterne<br />
scheinen besonders hell am Poetenhimmel, und<br />
ich glaube, Arthur Schnitzler ist ein großer Poet.« Die<br />
meisten Mitwirkenden des Films mussten unmittelbar<br />
nach der Premiere emigrieren. Max Ophüls drehte<br />
Filme in Frankreich, Italien, Holland, England und ab<br />
1940 in den USA. 1949 kehrte er nach Europa zurück<br />
und arbeitete in Frankreich und der Bundesrepublik.<br />
Auch Hans Wilhelm und Curt Alexander arbeiteten im<br />
europäischen Exil bis 1940 an weiteren Filmen von<br />
Max Ophüls mit, Hans Wilhelm gelangte erst 1945<br />
nach Hollywood, hatte dort aber nur wenig Erfolg.<br />
▶ Freitag, 18. Januar 2013, 18.30 Uhr<br />
BRENNENDES GEHEIMNIS – Deutschland 1933 – R:<br />
Robert Siodmak – B: Friedrich Kohner, nach dem<br />
Roman von Stefan Zweig – K: Robert Baberske, Richard<br />
Angst – M: Allan Gray – D: Willi Forst, Hans Joachim<br />
Schaufuß, Hilde Wagener, Alfred Abel, Lucie Höflich<br />
– 87 min – Ein 13jähriger Junge entdeckt, dass<br />
seine Mutter in eine Liebschaft mit einem Rennfahrer<br />
vertrickt ist. »Es geht hier nicht um eine große Handlung:<br />
Geschehnisse n der Welt seelischen Erlebens gewinnen<br />
Form; wie sie im Optischen eingefangen werden,<br />
wie sie ein sparsamer, durchfeilter Dialog aufdeckt<br />
– darin liegt der Verdienst dieses Filmwerks.«<br />
(Lotte H. Eisner) BRENNENDES GEHEIMNIS lief nach<br />
seiner Uraufführung am 20. März 1933 nur wenige
Tage in den deutschen Kinos ohne Nennung der Na -<br />
men der jüdischen Mitarbeiter. Robert Siodmak be kam<br />
keine Arbeitserlaubnis mehr und emigrierte über Frankreich<br />
und England 1939 nach Hollywood, wo er seine<br />
Karriere als Regisseur fortsetzte. 1951 kehrte er nach<br />
Europa zurück und drehte in der Bundesrepublik einige<br />
preisgekrönte Filmklassiker. Friedrich Kohner gelangte<br />
über die Schweiz und England bereits 1936 nach Hollywood,<br />
wo er sich als Filmautor, Dramatiker und Buchautor<br />
einen Namen machte und Frederick Kohner<br />
nannte.<br />
▶ Samstag, 19. Januar 2013, 18.30 Uhr<br />
DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE – Deutschland<br />
1933 – R: Fritz Lang – B: Thea von Harbou, Fritz Lang<br />
– K: Fritz Arno Wagner, Karl Vass – M: Hans Erdmann –<br />
D: Rudolf Klein-Rogge, Oskar Beregi, Theodor Loos,<br />
Otto Wernicke, Klaus Pohl, Gustav Diessl – 122 min –<br />
Fritz Langs Kriminalfilm um den in einer Nervenklinik<br />
einsitzenden Dr. Mabuse, der mit Mord- und Terrorplänen<br />
eine »Herrschaft des Verbrechens« errichten will,<br />
konnte durchaus als kritische Anspielung auf die Nationalsozialisten<br />
und das System von Terror und Unterdrückung<br />
in einer zu erwartenden Diktatur gelesen werden.<br />
Dementsprechend wurde DAS TESTAMENT DES<br />
DR. MABUSE im März 1933 von der Filmprüfstelle ver-<br />
boten und zur Aufführung in Deutschland gar nicht erst<br />
zugelassen. Daraufhin verließ Star-Regisseur Fritz Lang<br />
nach einer Unterredung mit Joseph Goebbels im April<br />
1933 Deutschland. Über Frankreich gelangte er 1935<br />
nach Hollywood, wo er seine Regiekarriere fortsetzte.<br />
▶ Freitag, 1. Februar 2013, 18.30 Uhr<br />
EIN LIED GEHT UM DIE WELT – Deutschland 1933 –<br />
R: Richard Oswald – B: Heinz Goldberg – K: Reimar<br />
Kuntze – M: Hans May – D: Joseph Schmidt, Viktor de<br />
Kowa, Charlotte Ander, Fritz Kampers, Carl de Vogt –<br />
96 min, OmeU – Die in Venedig angesiedelte Geschichte<br />
um einen unscheinbaren italienischen Tenor,<br />
der auf das Mädchen verzichtet, das seine Liebe nicht<br />
erwidert, um eine große Sängerkarriere zu machen, ist<br />
ein Starvehikel für den populären jüdischen Tenor Joseph<br />
Schmidt. Während EIN LIED GEHT UM DIE WELT<br />
der große Kinoerfolg des Sommers 1933 war, musste<br />
Richard Oswald, einer der erfolgreichsten Regisseure<br />
und Produzenten der 1920er Jahre, emigrieren. Er<br />
drehte zunächst in den Niederlanden, Großbritannien,<br />
Österreich und Frankreich, bevor er ab 1938 in Hollywood<br />
seine Regiekarriere fortzusetzen versuchte. Auch<br />
Joseph Schmidt floh aus Deutschland und tourte im<br />
europäischen Ausland sowie in Palästina und in New<br />
York. 1940 wurde er in Frankreich interniert, konnte im<br />
September 1942 in die Schweiz flüchten, wo er zwei<br />
Monate später in einem Internierungslager starb.<br />
▶ Samstag, 2. Februar 2013, 18.30 Uhr<br />
DER TUNNEL – Deutschland 1933 – R: Kurt Bernhardt<br />
– B: Kurt Bernhardt, Reinhart Steinbicker, nach dem<br />
Roman von Bernhard Kellermann – K: Carl Hoffmann –<br />
M: Walter Gronostay – D: Paul Hartmann, Olly von Flint,<br />
Gustaf Gründgens, Attila Hörbiger, Otto Wernicke, Max<br />
Schreck – 81 min – Utopische Vision: Ein transatlan -<br />
tischer Tunnel soll Europa mit Amerika verbinden. Doch<br />
das gigantische Unternehmen wird durch unerwartete<br />
Schwierigkeiten und Intrigen gefährdet. Kurt Bernhardt<br />
war schon aus Deutschland emigriert, als er noch einmal<br />
zurückkehrte, um für eine französische Firma in<br />
München die deutsche Version von LE TUNNEL zu drehen.<br />
Während der Dreharbeiten wurde er wegen regimekritischer<br />
Äußerungen denunziert und konnte sich<br />
der Verhaftung durch die Gestapo durch Flucht entziehen.<br />
Er gelangte über Frankreich und England 1940<br />
nach Hollywood, wo er als Curtis Bernhardt für verschiedene<br />
Major Studios Spielfilme drehte.<br />
▶ Freitag, 8. Februar 2013, 18.30 Uhr<br />
Filmemigration<br />
75
Filmemigration<br />
76<br />
FÄHRMANN MARIA – Deutschland 1936 – R: Frank<br />
Wysbar – B: Hans-Jürgen Nierentz, Frank Wysbar – K:<br />
Franz Weihmayr – M: Herbert Windt – D: Sybille<br />
Schmitz, Ariberg Mog, Peter Voss, Carl de Vogt, Karl<br />
Platen – 83 min – »Dank großer atmosphärischer Stimmigkeit,<br />
dramaturgischer Präzision und einer starken<br />
lyrischen Note gehört dieser Legendenfilm zu den besten<br />
deutschen Arbeiten im Genre des phantastischen<br />
Films. Hohen Anteil daran hat auch die unbedingte<br />
Glaubwürdigkeit, welche die faszinierende Sybille<br />
Schmitz den metaphysischen Zügen der Titelfigur zu<br />
verleihen vermag.« (Thomas Kramer) Frank Wysbar,<br />
der eine jüdische Ehefrau hatte, wurde 1938 mit einem<br />
Arbeitsverbot belegt und emigrierte über Rotterdam in<br />
die USA, wo er als Frank Wisbar B-Pictures und Fernsehfilme<br />
drehte. 1956 setzte er seine Karriere als Regisseur<br />
in der Bundesrepublik fort.<br />
▶ Samstag, 9. Februar 2013, 18.30 Uhr<br />
LAND DER LIEBE – Deutschland 1937 – R: Reinhold<br />
Schünzel – B: Reinhold Schünzel, Eva Leidmann, Curt<br />
Goetz, nach dem Stück »Die Hofloge« von Karl Farkas –<br />
K: Werner Bohne – M: Alois Melichar – D: Albert Matterstock,<br />
Gusti Huber, Valerie von Martens, Wilhelm<br />
Bendow, Oskar Sima, Erik Ode – 91 min – Eine musikalische<br />
Komödie um einen heiratswilligen König und<br />
eine Prinzessin, die sich in einen vermeintlichen Attentäter<br />
verliebt. Curt Goetz schrieb die Dialoge. Die »Anarcho-Farce«<br />
(Hans-Christoph Blumenberg) war für Joseph<br />
Goebbels »eine typische Judenmache. Ganz unausstehlich.«<br />
Reinhold Schünzel, der als populärer Komödien-Regisseur<br />
mit Sondergenehmigung im »Dritten<br />
Reich« weiterarbeiten durfte, konnte im Mai 1937 über<br />
Wien, Budapest und Karlsbad nach Hollywood flüchten.<br />
Dort war er nicht mehr erfolgreich, zumal ihm der Ruf<br />
als Kollaborateur des NS-Regimes vorauseilte und er<br />
von früher geflohenen Emigranten boykottiert wurde.<br />
▶ Freitag, 15. Februar 2013, 18.30 Uhr<br />
LA HABANERA – Deutschland 1937 – R: Detlef Sierck<br />
– B: Gerhard Menzel – K: Franz Weihmayr – M: Lothar<br />
Brühne – D: Zarah Leander, Ferdinand Marian, Karl<br />
Martell, Julia Serda, Paul Bildt – 98 min – Eines der<br />
großen Melodramen mit Zarah Leander. Als junge<br />
Schwedin, die sich in der Karibik in den falschen Mann<br />
verliebt und nur eine kurze Zeit des Glücks erlebt, etablierte<br />
sie ihren Status als exotischer Ufa-Star und Sängerin:<br />
»Der Wind hat mir ein Lied erzählt.« Detlef Sierck,<br />
der mit einer jüdischen Frau verheiratet war, verließ<br />
Deutschland unmittelbar nach der Fertigstellung des<br />
Films, für dessen Dreharbeiten auf Teneriffa er einen<br />
Reisepass erhalten hatte. Nach Filmarbeiten in der<br />
Schweiz und den Niederlanden ging er 1940 nach<br />
Holly wood und machte als Douglas Sirk mit seinen<br />
Melodramen Karriere.<br />
▶ Samstag, 16. Februar 2013, 18.30 Uhr<br />
FILMEMIGRATION AUS NAZI-DEUTSCHLAND – BRD<br />
1975 – R+B: Günter Peter Straschek – K: Charly<br />
Böhm, Carlos Bustamante, Werner Dittmer – Mit Fritz<br />
Lang, John Brahm, Lotte H. Eisner, Anatole Litvak, Rudi<br />
Fehr, Camilla Spira, Lucie Mannheim, Harold Nebenzal,<br />
Jan Lustig, Heinrich Fraenkel, George Froeschel, Bronislau<br />
Kaper, Harry Sokal, Gerd Oswald, Paul Falkenberg,<br />
Fritz Kortner, Bertolt Brecht, Gottfried Reinhardt,<br />
Dolly Haas, Frederick Kohner, Hans Feld – 290 min –<br />
Es kommt eine Vielzahl bekannter und weniger bekannter<br />
Persönlichkeiten zu Wort, die durch die Bedrohung<br />
des Naziregimes ins Exil getrieben wurden. Man erfährt,<br />
was es tatsächlich bedeutet hat, die Heimat zu<br />
verlassen, von vorne zu beginnen, und in manchen Fällen<br />
nach dem Krieg wieder zurückzukehren. Dies<br />
wurde nie genauer, unmittelbarer und im politischen<br />
Zusammenhang gesehen und erzählt als in den Episoden<br />
dieser Dokumentation, an deren Erstellung Günter<br />
Peter Straschek viele Jahre gearbeitet hat. Filmexil -<br />
forschung als konkrete Zeugenschaft, als Gedenken,<br />
als ebenso spannende wie aufklärerische Geschichtsanalyse.<br />
Fünf Teile: »Wer klug war, ging schnell raus«,<br />
»Wir waren aufgescheucht und vogelfrei«, »Aus Europa<br />
draußen und in einer gewissen Sicherheit«, »Unter Palmen<br />
und blauem Himmel« und »Man wusste ja nie,<br />
wem man die Hand geben konnte«.<br />
▶ Sonntag, 3. Februar 2013, 17.00 Uhr
Das Kino des Denis Villeneuve<br />
Denis Villeneuves Welt besteht aus Paradoxien und<br />
ständigen Überraschungen: ein Fisch, der spricht, ein<br />
32. August, ein harmlos wirkender Frauenhasser, der<br />
gnadenlos Studentinnen niedermäht, ein namenloses<br />
Land, in dem die ungeheuerlichsten Dinge passieren.<br />
Die Heldinnen seiner Filme, kluge, intuitiv agierende<br />
Frauen, bleiben sich auf wundersame Weise selbst treu<br />
und wachsen an ihrem Dilemma. Dazu kommt eine unkonventionelle<br />
Erzählweise, durchkomponierte Bilder<br />
seines Kameramanns André Turpin, der immer wieder<br />
mit seinem Gespür für Farbe und Gestaltung verblüfft.<br />
Die Filme erhalten so eine existenzialistische Tiefe, wie<br />
sie nur selten im Kino zu sehen ist. Der frankokanadische<br />
Autorenfilmer Denis Villeneuve (geb. 1967) war<br />
lange Zeit eher in Cineastenkreisen ein Begriff. Erst<br />
2009 brachte sein berührendes Drama INCENDIES –<br />
DIE FRAU, DIE SINGT den internationalen Durchbruch.<br />
Mit nur vier Spielfilmen ist Villeneuve ein langsamer Filmemacher,<br />
der sich viel Zeit für seine Projekte nimmt.<br />
Die aber haben es in sich.<br />
Würde man seinen vier Filmen die vier Elementen zuordnen,<br />
so wäre EIN 32. AUGUST AUF ERDEN (1998),<br />
Villeneuves erster langer Spielfilm, eindeutig »Luft«: die<br />
ätherische Protagonistin Simone (Pascale Bussière),<br />
die keinen Boden unter den Füßen zu haben scheint,<br />
bevor sie in einen schweren Autounfall verwickelt wird<br />
und dem Tode nahekommt, die flirrende Hitze in der<br />
Salzwüste von Utah, in der sie mit ihrem besten Freund<br />
Philippe ein Kind zeugen will, die unausgesprochenen<br />
Gefühle von Philippe, der seine Liebe für Simone erst<br />
auf der Rückseite des US-Einreiseformulars gestehen<br />
kann. Die langen Einstellungen muss man aushalten<br />
können. Es dauert, bis ein Auto von einem Bildrand<br />
zum anderen die Salzwüste durchquert hat. Schon dieser<br />
verstörende Debütfilm stellt unmissverständlich<br />
klar, dass Villeneuves Filme für das Kino gemacht sind.<br />
Villeneuve ist, wie Ingmar Bergman, ein großer Frauenregisseur,<br />
der ihren ausdrucksstarken Gesichtern und<br />
ihren Gefühlswelten Raum lässt und sie außerdem häufig<br />
in direkte Beziehung zur Landschaft setzt. Es sind<br />
Heldinnen, deren Niedergang wie in der klassischen<br />
Tragödie beginnt, nachdem sie einen Fehler begangen<br />
haben. Doch ihr Leiden, ihre Suche nach dem Sinn des<br />
Lebens, stärken die Frauen, anstatt sie am Ende zu zerstören.<br />
MAELSTRÖM (2000) ist in jeder Hinsicht ein Wasserfilm,<br />
der von Fischen bevölkert wird – und der sogar<br />
von einem Fisch erzählt wird. Die schöne, verletzliche<br />
Bibiana (Marie-Josée Croze) wirkt selbst wie ein Fisch,<br />
der durch das Schicksal an Land gespült wird: Der<br />
prestigeträchtige Job wird ihr gekündigt, zudem kommt<br />
durch einen von ihr verursachten Unfall ein norwegischer<br />
Fischer zu Tode. Bibiana begeht Fahrerflucht.<br />
Oberflächlich befreiend wirken die Dusche, der Regen,<br />
die Wassertropfen auf ihrer Haut. Auch den Freitod<br />
wählt Bibiana im Wasser. Aber sie entkommt, gekrümmt,<br />
zuckend und sucht über Umwege den Kontakt<br />
zum Sohn des Fischers, einem Froschmann, der als<br />
Rettungstaucher arbeitet. Dabei kontrastiert Villeneuve<br />
die Mythen Norwegens, die Musik, das raue Wasser<br />
des Atlantiks mit der mondänen Welt der Straßen und<br />
Boutiquen Montreals, schafft irritierende Bilder, spielt<br />
leichte französische Chansons zu einer Trauerszene,<br />
offenbart einen skurrilen Humor, so wie die sprechenden<br />
Fische, die vom Leben erzählen wollen, aber stets<br />
vorher getötet werden.<br />
Denis Villeneuve<br />
Denis Villeneuve<br />
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Denis Villeneuve<br />
78<br />
POLYTECHNIQUE<br />
Feuer: POLYTECHNIQUE (2009) basiert auf Aussagen<br />
von Überlebenden eines Anschlags in der polytechnischen<br />
Hochschule 1989 in Montreal, als ein frauenhassender<br />
Student, der für seine Überzeugung förmlich<br />
brennt, seine Kommilitoninnen erschießt. »Die Feministinnen<br />
haben mein Leben ruiniert«, sagt der Täter. Valérie<br />
(Karine Vanasse) steht als einzige Überlebende im<br />
Mittelpunkt des Geschehens. Villeneuve drehte diesen<br />
Film in Schwarzweiß und CinemaScope, erzählt nichtlinear,<br />
was zunächst irritiert und distanziert. Täter und<br />
Opfer sprechen einen Off-Kommentar, die Dialoge sind<br />
reduziert, die Musik ist suggestiv, die Kamera manchmal<br />
verkantet, sie gleitet registrierend durch die Gänge<br />
der Schule. Das Blut, das den toten Körpern entströmt,<br />
ist nicht rot, sondern schwarz wie Öl. Die Schüsse sind<br />
im Originalton zu hören, während die restliche Um -<br />
gebung im Ton ausgeblendet wird. Villeneuve schließt<br />
stilistisch jede Sentimentalität aus und erreicht dadurch<br />
nur noch mehr Tiefe und Betroffenheit. »Er ist tot. Ich<br />
lebe. Er ist frei. Ich bin es nicht.«, konstatiert die<br />
schwangere Valérie am Ende des Films.<br />
In INCENDIES – DIE FRAU, DIE SINGT (2010) begibt<br />
sich ein Geschwisterpaar auf die Suche nach seinen<br />
Wurzeln. Das Familiengeheimnis liegt in einem namenlosen<br />
Land im Nahen Osten verborgen, doch nur die<br />
Frau (die Schwester, die Tochter) will die Wahrheit herausfinden.<br />
Je mehr Hass ihr auf der Reise entgegenschlägt,<br />
desto geerdeter scheint sie zu werden – worin<br />
sie ihrer kämpferischen Mutter ähnelt. In der verworrenen,<br />
politisch und religiös vergifteten Situation fällt es<br />
der Tochter schwer, einen moralischen Standpunkt zu<br />
beziehen. Es scheint, als ob sie ihre Kraft aus dem<br />
Bösen um sie herum zieht und sich und die Welt nicht<br />
verloren geben will. INCENDIES ist ein erdenschwerer<br />
Film, der zwischen zwei Welten und zwei Generationen<br />
spielt und der erste Film, für dessen Erzählung Villeneuve<br />
mehr als 90 Minuten benötigt.<br />
Denis Villeneuve gelingt das seltene Kunststück, einer<br />
chaotischen und komplexen Welt komische oder absurde<br />
Momente abzugewinnen und seine Filme distanziert,<br />
aber immer mit Mitgefühl und ohne Sentimenta -<br />
lität zu inszenieren. Starke Geschichten, visuell experimentierfreudig<br />
erzählt, getragen von Schauspielerinnen,<br />
die wahre Entdeckungen sind: Denis Villeneuve<br />
zählt zu den inspirierendsten Autorenfilmern der Gegenwart.<br />
Claudia Engelhardt<br />
REW-FFWD – Kanada 1994 – R+B: Denis Villeneuve –<br />
K: Pierre Landry, Martin Leclerc – 31 min, OmeU – Ein<br />
junger Fotograf erlebt in Kingston, Jamaica, einen Kulturschock.<br />
– LE TECHNETIUM – Kanada 1996 – R+B:<br />
Denis Villeneuve – K: André Turpin – M: Sylvain Bellemare<br />
– D: Carl Alacchi, David La Haye, Audrey Benoit,<br />
Simone Chevalot, Stephan Cloutier – 17 min, OmeU –<br />
Ein Filmregisseur auf Koffeintrip wird in der Hightech-<br />
Fernsehsendung »Le Technétium« interviewt. –<br />
120 SECONDS TO GET ELECTED – Kanada 2006 –<br />
R+B+K: Denis Villeneuve – D: Alexis Martin – 2 min,<br />
OF – Ein Politiker versucht, seine Wähler von sich zu<br />
überzeugen – NEXT FLOOR – Kanada 2008 – R: Denis<br />
Villeneuve – B: Jacques Davidts – K: Nicolas Bolduc –<br />
M: Warren Slim Williams – D: Simone Chevalot, Luc-<br />
Martial Dagenais, Kenneth Fernandez, Mathieu Handfield,<br />
Ariel Ifergan – 11 min, OF – Während eines opulenten<br />
und luxuriösen Banketts kommt es unter zwölf<br />
Gästen zu einem makaber ritualisierten Gemetzel. –<br />
UN 32 AOUT SUR TERRE (EIN 32. AUGUST AUF<br />
ERDEN) – Kanada 1998 – R+B: Denis Villeneuve – K:<br />
André Turpin – M: Pierre Desrochers – D: Pascale
Bussières, Alexis Martin, Richard S. Hamilton, Serge<br />
Thériault, Emmanuel Bilodeau – 88 min, OmU – »Denis<br />
Villeneuves Spielfilmdebüt ist zugleich existentialistische<br />
Komödie und surreales Road Movie. Als Paar, das<br />
sich die wechselseitige Zuneigung nicht eingestehen<br />
will, drohen Simone und Philippe in einer Welt mit kosmischen<br />
Flughafenhotels, plötzlichen Leichenfunden –<br />
und einem scheinbar nicht enden wollenden August –<br />
verloren zu gehen.« (David Kleingers)<br />
▶ Donnerstag, 10. Januar 2013, 19.00 Uhr<br />
MAELSTRöM – Kanada 2000 – R+B: Denis Villeneuve<br />
– K: André Turpin – M: Pierre Desrochers – D: Marie-<br />
Josée Croze, Jean-Nicolas Verreault, Stephanie Morgenstern,<br />
Pierre Lebeau, Bobby Beshro – 88 min, OmU<br />
– Das Leben der an Luxus gewöhnten Bibiane kann<br />
über eine große emotionale Leere nicht hinwegtäuschen.<br />
Als sie ungewollt schwanger wird und auch ihre<br />
berufliche Existenz gefährdet ist, verliert sie jeden Halt,<br />
verschuldet einen tödlichen Verkehrsunfall und wird<br />
von der Erinnerung daran immer wieder eingeholt. Bibianes<br />
Geschichte wird nicht linear erzählt, sondern<br />
von einem Fisch, der sein Ende auf dem Hackklotz erwartet.<br />
Als ihn dies ereilt, nimmt ein anderer Fisch die<br />
Erzählung auf, beginnt aber an anderer Stelle und aus<br />
einer anderen Perspektive.<br />
▶ Freitag, 11. Januar 2013, 21.00 Uhr<br />
POLYTECHNIQUE – Kanada 2009 – R: Denis Villeneuve<br />
– B: Jacques Davidts, Eric Leca, Denis Ville-<br />
neuve – K: Pierre Gill – M: Benoît Charest – D: Maxim<br />
Gaudette, Sébastien Huberdeau, Karine Vanasse, Martin<br />
Vatier, Evelyne Brochu – 77 min, engl. OF – Am<br />
6. Dezember 1989 tötete ein Amokläufer insgesamt<br />
14 Frauen an der Ecole Polytechnique in Montreal.<br />
Denis Villeneuve reflektiert die Tragödie aus den unterschiedlichen<br />
Blickwinkeln der Studenten Jean-François<br />
und Valérie. Die wahre Begebenheit wird durch das<br />
Schwarzweiß, die wechselnden Perspektiven und den<br />
Off-Kommentar verfremdet und wirkt so beklemmender<br />
und realistischer als jeder linear erzählte Augenzeugenbericht.<br />
▶ Samstag, 12. Januar 2013, 21.00 Uhr<br />
INCENDIES (DIE FRAU, DIE SINGT) – Kanada 2010 –<br />
R+B: Denis Villeneuve, nach dem Bühnenstrück von<br />
Wajdi Mouabad – K: André Turpin – M: Grégoire Hetzel<br />
– D: Lubna Azabal, Mélissa Désormeaux-Poulin, Maxim<br />
Gaudette, Rémy Girard, Abdelghafour Elaaziz –<br />
131 min, OmU – Die Geschichte zweier Frauen, deren<br />
Wege sich über den Tod hinaus verschränken. »Man<br />
muss schon sehr an die Menschen glauben, um zu begreifen,<br />
wie die nicht endende Kette von Gewalttätigkeit<br />
plötzlich dann doch reißt. Nicht durch Verstehen,<br />
nicht durch Bekenntnis, sondern durch Verzeihen. Ob<br />
wir das glauben? Vielleicht nicht. Aber Villeneuve<br />
glaubt es, und das reicht, um uns zu bewegen – und<br />
wenigstens die Möglichkeit in Betracht zu ziehen.«<br />
(Verena Lueken)<br />
▶ Sonntag, 13. Januar 2013, 21.00 Uhr<br />
INCENDIES<br />
Denis Villeneuve<br />
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Henri-Georges Clouzot<br />
80<br />
Henri-Georges Clouzot und Romy Schneider bei den Dreharbeiten zu L’ENFER<br />
Kino der Angst: Henri-Georges Clouzot<br />
Menschen in der Zerreißprobe – physisch, moralisch,<br />
charakterlich. Sie müssen höllisch schwitzen, angstvoll<br />
zittern, innerlich und äußerlich zerbrechen, das heißt<br />
sich offenbaren: in ihren hochfahrenden Ambitionen<br />
und dem Scheitern, in ihren niederen Beweggründen,<br />
den Obsessionen, auch in ihrer unantastbaren Schönheit.<br />
Sie müssen labyrinthische Räume durchirren, zumeist<br />
Anstaltsräume (Kliniken, Internate, Theater), oder<br />
Wüsten durchqueren – lebensbedrohliche Sphären. Sie<br />
führen, innerlich und äußerlich, explosives Material mit<br />
sich, transportieren zum Beispiel Nitroglyzerin auf zwei<br />
Lastwagen. Die nette Bombe in der Aktentasche genügt<br />
Clouzot nicht, er braucht die Steigerung ins Exzessive<br />
und Exzentrische. Wenn die Sonne scheint, dann<br />
brennt sie herab und brütet Angstschweiß aus; wenn<br />
es regnet – und es regnet oft in Clouzot-Filmen – dann<br />
gleich in Strömen, sodass schon mal die Kleidung an<br />
der Haut klebt. Kaum ein anderer hat das Kino der<br />
Angst derart scharf und exzessiv ausgeprägt wie Henri-<br />
Georges Clouzot (1907–1977).<br />
Existentialismus in Form des Thrillers. Dem Zeitgeist<br />
immer eine Nasenlänge voraus. Hitchcock wies seine<br />
Drehbuchautoren an, Clouzots Filme in ihrem Spannungsraffinement<br />
genau zu studieren, vor allem die<br />
beiden, die zu phänomenalen Publikumserfolgen wur-<br />
den: LE SALAIRE DE LA PEUR (1953) und LES DIABO-<br />
LIQUES (1955). Schon die erste Einstellung seines ersten<br />
Spielfilms, L’ASSASSIN HABITE AU 21 (1942),<br />
nimmt den Zuschauer direkt hinein in den Thrill: Aus<br />
der Perspektive des Mörders erlebt man die nächtliche,<br />
bedrohliche Schatten werfende Verfolgungsjagd des<br />
Opfers. Clouzots Bilder, geformt mit detailversessener<br />
Präzision, prägen sich der Netzhaut wie dem Unterbewusstsein<br />
tief ein: der gespenstische Leichnam in der<br />
Badewanne (Paul Meurisse in LES DIABOLIQUES), der<br />
wie ein Zombie aus dem Schlamm auftauchende Lkw-<br />
Fahrer (Charles Vanel in LE SALAIRE DE LA PEUR). Kino<br />
der radikalen Desillusionierung. Gut und Böse werden<br />
niemals hübsch sortiert. Dem Zynismus der Macht ha -<br />
ber entspricht die Skrupellosigkeit der Habenichtse.<br />
So entsteht ein eigenwilliges, spektakulär imaginiertes<br />
Universum. André Bazin, Frankreichs Starkritiker der<br />
1950er Jahre, über Clouzot: »Von all den französischen<br />
Filmemachern, die seit 1940 hervorgetreten sind, ist<br />
Clouzot zweifellos derjenige, dem das Kinematographische<br />
– man verzeihe mir den Ausdruck – am tiefsten in<br />
den Eingeweiden sitzt. Andere können, was die filmische<br />
Schöpfung angeht, mehr Intelligenz besitzen, wie<br />
René Clément, oder über ein eindringlicheres und anspruchsvolleres<br />
Stilempfinden verfügen, wie Robert
Bresson – Clouzot aber schreibt sich in die Linie der<br />
großen Filmemacher ein, die aus ihrem Temperament<br />
schöpfen. Er gehört also zu jenen Regisseuren, die<br />
einen direkten, beinahe physischen Sinn für die Wirksamkeit<br />
des kinematographischen Bildes haben – und<br />
dazu den gleichsam aus dem Bauch hervorgehenden<br />
Willen, auf der Leinwand ein autonomes, originelles<br />
Universum zu erschaffen.« Andere Kritiker begegneten<br />
Clouzots Mischung aus exzessivem Genrekino und rabiater<br />
Existenzphilosophie mit tiefem Misstrauen, nannten<br />
ihn einen »Manipulateur und misogynen Nihilisten«<br />
(Gunter Groll). Ist sein Universum wirklich abgrundtief<br />
nihilistisch? Ist sein Blick auf die condition humaine geradezu<br />
verächtlich?<br />
Gewiss tummeln sich in seiner Welt zahllose korrupte<br />
und opportunistische Charaktere, Menschen, die rücksichtslos<br />
auf ihren Vorteil bedacht sind und dafür alles<br />
verraten: Freunde, Geliebte, Ideale. Aber dieser Pessimismus<br />
ist nur die halbe Wahrheit. Das Quartett der<br />
Lkw-Fahrer in LE SALAIRE DE LA PEUR enthält zwei<br />
durchweg sympathische Figuren: den Italiener, dessen<br />
naive Einfalt niemals ins Lächer liche gezogen wird, und<br />
den Deutschen, der gekonnt die Zündschnur mit dem<br />
Fingernagel aufdröselt und genau darauf achtet, dass<br />
er nur sich selbst in Gefahr bringt. Die Tugenden des<br />
naiven Kumpels und des verlässlichen Profis sind in<br />
Clouzots Männer-Universum höchste, unantastbare<br />
Werte. Selbst die beiden Fran zosen, verkörpert von<br />
Charles Vanel und Yves Montand: der Möchtegern-<br />
Dandy und der feige Maulheld, werden durch die Hölle<br />
der Demaskierung gejagt, um am Ende doch unsere<br />
Sympathie zu gewinnen.<br />
Clouzots Filme haben oft Eingangssequenzen, in denen<br />
charakterliche Zwielichtigkeit mit einer atemberaubenden<br />
Direktheit ausgestellt wird. Fast schockierend wirkt<br />
das für uns Heutige, die wir an Gutmensch- oder Betroffenheitsdramaturgien<br />
gewöhnt sind. Bisweilen erinnert<br />
es an den Röntgenblick, mit dem Stendhal seine<br />
Emporkömmlinge, Ehebrecher und Machtsadisten<br />
schilderte. Nach dem Intro dann der Parcours der Zerreißproben,<br />
der Demaskierungen, und schließlich diese<br />
merkwürdige Dialektik, die – nicht immer, aber oft –<br />
den seelisch Entblößten Anteilnahme und Sympathie<br />
zuwachsen lässt. Es gibt auch immer wieder die eine –<br />
wie eingeschmuggelt erscheinende – Frauenfigur, die<br />
einfach nur schön und geheimnisvoll ist. Sie bleibt von<br />
Demaskierungsstrategien verschont. Träumerische<br />
Frauen (die Kellnerin in LE SALAIRE DE LA PEUR, die<br />
blonde Fotografin in QUAI DES ORFEVRES, 1947, die<br />
verrückte Patientin in LES ESPIONS, 1957), die gern in<br />
Zigarettenrauch eingehüllt werden.<br />
Die relative Schmalheit von Clouzots Œuvre, 16 Langfilme<br />
in 38 Arbeitsjahren, ist vor allem seiner fragilen<br />
Gesundheit geschuldet, die ihn mehrmals zu Kuraufenthalten<br />
und dem Abbruch von Filmprojekten zwang.<br />
Clouzot begann als Drehbuchschreiber und Assistent,<br />
pendelte in den 1930er Jahren zwischen Paris und Berlin,<br />
wo er die Herstellung französischer Spielfilmfassungen<br />
betreute. Wie Hitchcock faszinierte ihn das deutsche<br />
expressionistische Kino, er assistierte bei Dupont<br />
und Litvak, kaprizierte sich bei seinen ersten eigenen<br />
Regiearbeiten auf raffiniert gedrechselte whodunits.<br />
Sein zweiter Spielfilm, LE CORBEAU, gilt bis heute als<br />
»umstritten«, weil er 1942 für die von den deutschen<br />
Besatzern installierte Filmfirma Continental produziert<br />
wurde. Diesem Film gelang das Kunststück, zwischen<br />
alle politischen Fronten zu geraten, er wurde nach<br />
1945 als »unfranzösisch« klassifiziert, verboten, und<br />
bescherte Clouzot sogar ein lebenslanges Arbeitsverbot,<br />
das erst dann auf zwei Jahre reduziert wurde, als<br />
sich französische Intellektuelle und Filmemacher für<br />
ihn einsetzten: Jean-Paul Sartre, Simone de Beauvoir,<br />
René Clair, Marcel Carné, Jacques Becker.<br />
Jahrzehnte später verfasste François Truffaut eine erstaunliche<br />
Eloge auf das umstrittene Werk: »1943 gab<br />
es dann LE CORBEAU von Clouzot, der mich noch mehr<br />
begeisterte als Carnés LE VISITEURS DU SOIR. Ich<br />
muss ihn von seinem Start im Mai 1943 bis zur Befreiung,<br />
als er verboten wurde, etwa sechs oder sieben<br />
Mal gesehen haben. Als er dann wieder freigegeben<br />
wurde, habe ich ihn jedes Jahr mehrmals wiedergesehen,<br />
bis ich den Dialog auswendig konnte – es war ein<br />
sehr erwachsener Dialog, verglichen mit dem anderer<br />
Filme, voller bedeutungsschwerer Sätze, deren Sinn<br />
sich mir erst nach und nach erschloss. Die Handlung<br />
des Films drehte sich ausschließlich um eine Epidemie<br />
von anonymen Briefen, in denen Abtreibungen, Ehebrüche<br />
und alle möglichen anderen Verfehlungen denunziert<br />
wurden – so lieferte der Film eine ziemlich genaue<br />
Illustration dessen, was ich in diesen Kriegs- und Nachkriegsjahren<br />
um mich herum sah, als Kollaboration, Denunziation<br />
und Zynismus, ›Organisieren‹ und Schwarzmarkt<br />
den Ton angaben«.<br />
Einige Filme Clouzots erwiesen sich zu ihrer Zeit als<br />
Flops, zeigen auch Schwächen in der Konstruktion,<br />
offenbaren aber einen thematischen und artikulatorischen<br />
Reichtum, den die standardisierte Clouzot-Sicht<br />
der Filmgeschichtslexika meist unterschlägt. Da ist<br />
seine einzige Komödie, MIQUETTE ET SA MERE (1950):<br />
ungemein temporeich und mit den scharfzüngigsten<br />
Dialogen; oder LES ESPIONS, wo ein kleines Sanatorium<br />
zum Schauplatz eines kafkaesken Spionagekarus-<br />
Henri-Georges Clouzot<br />
81
Henri-Georges Clouzot<br />
82<br />
LE MYSTERE PICASSO<br />
sells wird; LA VERITE (1960) versucht den Zeitgeist der<br />
frühen 1960er Jahre zu erhaschen und schickt Brigitte<br />
Bardot ins Milieu der Pariser Bohème; bei LA PRISON-<br />
NIERE (1968) wendet Clouzot seine Obsessionen (Fetischismus,<br />
Sadomasochismus) bisweilen ins Banale,<br />
doch auch hier gelingen ihm faszinierende Passagen,<br />
wenn er die Wahrnehmungsweise der Op-Art filmisch<br />
zu erforschen versucht.<br />
Clouzot der Pionier: nicht nur bei seinen Suspense-Exzessen,<br />
sogar im Genre der Künstler-Dokumentation.<br />
In LE MYSTERE PICASSO (1956) holt er den exemplarischen<br />
Künstler des 20. Jahrhunderts ins Studio, setzt<br />
ihn vor eine durchscheinende Leinwand und protokolliert<br />
– auch das ein Suspense-Szenario – den schöpferischen<br />
Prozess.<br />
Es gibt Filmemacher, die jede Geste, jedes Bilddetail<br />
perfektionistisch formen wollen und den Zufall als Katastrophe<br />
betrachten: Fritz Lang, Michelangelo Antonioni,<br />
Clouzot. Den Gegensatz dazu markieren Regisseure<br />
wie Roberto Rossellini oder Jean Renoir, die improvisatorisch<br />
arbeiten und den Zufall als Geschenk in die<br />
Szene integrieren. Ein Gegensatz, der sich motivisch<br />
fortsetzt. Für Renoir ist die Umarmung das zentrale<br />
Motiv, für Clouzot das Ausgeschlossensein. Kein Zufall,<br />
dass bei ihm die Eifersucht zum größten Gefühlsdrama<br />
wird. Eifersucht: die Tragödie des ausgeschlossenen<br />
Dritten, der darunter leidet, dass sich die Wirklichkeit<br />
(die Frau) seinem Zugriff immerfort entziehen mag.<br />
Schon bei QUAI DES ORFEVRES drehte sich alles um<br />
Eifersucht, bei L’ENFER (1964) wollte Clouzot das<br />
Thema mit Romy Schneider ganz groß auffächern. Er<br />
erkrankte, das Projekt entglitt seiner Kontrolle und<br />
musste abgebrochen werden. So erzählt auch sein<br />
Œuvre von dem, was seine Filme meisterlich in Szene<br />
setzen: das Drama der scheiternden Ambition, und die<br />
Hoffnung, dass selbst das Scheitern noch als ein Gelingen<br />
gelesen werden kann. Rainer Gansera<br />
L’ASSASSIN HABITE AU 21 (DER MöRDER WOHNT<br />
IN NR. 21) – Frankreich 1942 – R: Henri-Georges<br />
Clouzot – B: Henri-Georges Clouzot, Stanislas-André<br />
Steeman, nach dem Roman von Stanislas-André Steeman<br />
– K: Armand Thirard – M: Maurice Yvain – D:<br />
Pierre Fresnay, Suzy Delair, Jean Tissier, Pierre Larquey,<br />
Noël Roquevert, Louis Florencie – 84 min, OmeU<br />
– Der Mörder hinterlässt seine Visitenkarte an den Tatorten.<br />
Sein Markenzeichen. Die Spur führt in eine Pension,<br />
in der eine Galerie bizarrer, exzentrischer Figuren<br />
logiert. Dort sortiert Pierre Fresnay als gewitzter Kommissar<br />
die Verdächtigen. Clouzots Regiedebüt, das die<br />
klassische Whodunit-Erzählform souverän variiert und<br />
ihr seinen unverwechselbaren persönlichen Stempel<br />
aufprägt: scharfer Blick für das realistische Detail, satirische<br />
Figurenzeichnung, raffinierte Konstruktion von<br />
Krimispannung.<br />
▶ Freitag, 18. Januar 2013, 21.00 Uhr ▶▶ Dienstag,<br />
22. Januar 2013, 18.30 Uhr<br />
LE CORBEAU (DER RABE) – Frankreich 1943 – R:<br />
Henri-Georges Clouzot – B: Louis Chavance, Henri-Georges<br />
Clouzot – K: Nicolas Hayer – M: Tony Aubin – D:<br />
Pierre Fresnay, Ginette Leclerc, Héléna Manson, Pierre<br />
Larquey, Noël Roquevert, Micheline Francey – 92 min,<br />
OmeU – Clouzots legendär »umstrittener« Film, der<br />
nach dem Krieg als »antifranzösische Propaganda« eingestuft<br />
wurde und beinahe seine Karriere ruiniert hätte.<br />
Heute hat sich weitgehend die Sicht durchgesetzt, dass<br />
der Film die Atmosphäre der Kollaboration und Denunziation<br />
im Frankreich der Vichy-Ära »ziemlich genau illustriert«<br />
(Truffaut). In einem Provinzstädtchen tauchen<br />
anonyme Briefe auf, die vorgeben, dunkle Geheimnisse<br />
der Einwohner (Ehebruch, Abtreibung, Korruption) zu<br />
enthüllen und eine giftige Atmosphäre vom Misstrauen<br />
und Hass erzeugen. Pierre Fresnay spielt einen ehebrecherischen<br />
Arzt, der sich auf die detektivische Suche<br />
nach dem hinterhältigen Briefeschreiben begibt.<br />
▶ Samstag, 19. Januar 2013, 21.00 Uhr ▶▶ Mittwoch,<br />
23. Januar 2013, 18.30 Uhr<br />
QUAI DES ORFEVRES (UNTER FALSCHEM VER-<br />
DACHT) – Frankreich 1947 – R: Henri-Georges Clouzot<br />
– B: Henri-Georges Clouzot, Jean Ferry, nach dem<br />
Roman »Légitime Défense« von Stanislas-André Steeman<br />
– K: Armand Thirard – M: Francis López – D:<br />
Louis Jouvet, Simone Renant, Bernard Blier, Suzy Delair,<br />
Pierre Larquey, Claudine Dupuis – 106 min, OmU<br />
– »Du bist nur neidisch auf die Reichen, weil du nicht<br />
weißt, wie man Geld macht!« Die karrieresüchtige<br />
Chansonsängerin Jenny L’Amour (Suzy Delair, Clouzots
erste Ehefrau) beschimpft ihren biederen Ehemann,<br />
einen erfolglosen Pianisten. Sie will sich einem reichen,<br />
alten Impresario an den Hals werfen und treibt den Gatten<br />
in ein Delirium der Eifersucht. Als der Impresario ermordet<br />
aufgefunden wird, springt die Szenerie von der<br />
Music-Hall-Welt in die nüchternen Räume einer Polizeiwache,<br />
wo der altgediente Kommissar die Ermittlungen<br />
aufnimmt.<br />
▶ Sonntag, 20. Januar 2013, 21.00 Uhr ▶▶ Dienstag,<br />
29. Januar 2013, 18.30 Uhr<br />
LE RETOUR DE JEAN (RÜCKKEHR INS LEBEN) –<br />
Frankreich 1949 – R: Henri-Georges Clouzot – B:<br />
Henri-Georges Clouzot, Jean Ferry – K: Louis Page –<br />
M: Paul Misraki – D: Louis Jouvet, Monette Dinay,<br />
Jeanne Pérez, Noël Roquevert, Maurice Schutz –<br />
28 min, OmeU – Der Überlebende eines Konzentra -<br />
tionslagers findet einen verwundeten Nazi-Verbrecher<br />
in seinem Hotel und will alles über dessen Beweggründe<br />
herausfinden. – MANON – Frankreich 1949 –<br />
R: Henri-Georges Clouzot – B: Henri-Georges Clouzot,<br />
Jean Ferry, nach dem Roman »L’Histoire du Chevalier<br />
des Grieux et de Manon Lescaut« von Abbé Prévost –<br />
K: Armand Thirard – M: Paul Misraki – D: Cécile Aubry,<br />
Serge Reggiani, Michel Auclair, Raymond Souplex, Héléna<br />
Manson – 100 min, OmeU – Juni 1944 in der Normandie:<br />
Der Résistance-Kämpfer Robert verfällt der<br />
Lebedame Manon, der enge Beziehungen zu den Nazis<br />
nachgesagt werden. Als sich die Lynchstimmung<br />
gegen Manon verdichtet, fliehen die Liebenden. Clouzot<br />
zeichnet ein düsteres, gewalttätiges Bild vom Frankreich<br />
der Nachkriegszeit mit seiner Schattenwirtschaft<br />
und der Verdrängung jeder Schuld.<br />
▶ Freitag, 1. Februar 2013, 21.00 Uhr<br />
MIQUETTE ET SA MERE (MIQUETTE UND IHRE MUT-<br />
TER) – Frankreich 1950 – R: Henri-Georges Clouzot –<br />
B: Henri-Georges Clouzot, Jean Ferry, nach dem Theaterstück<br />
von Gaston Armand de Caillavet und Robert de<br />
Flers – K: Armand Thirard – M: Albert Lasry – D: Louis<br />
Jouvet, Danièle Delorme, Mireille Perrey, Bourvil, Saturnin<br />
Fabre, Pauline Carton – 95 min, OmeU – Clouzots<br />
einzige Komödie, auch sein einziger Film, der nicht in<br />
der Gegenwart spielt. Angesiedelt in der belle époque<br />
entrollt sich eine vorsätzlich überdrehte, theatralisch<br />
aufgequirlte romantische Komödie, in der eine junge<br />
Provinzlerin unbedingt zur Bühnendiva werden will. Gelegenheit<br />
für Bourvil und Jouvet, mächtig auf die komödiantische<br />
Pauke zu hauen. »Ein Unterhaltungsstück,<br />
das vom Rest von Clouzots Werk aber weniger weit entfernt<br />
ist, als man ihm gern nachsagt. Es sind die sati -<br />
rischen Elemente und manche Charaktere, die mit<br />
andern Clouzot-Figuren durchaus verwandt sind.« (Jac -<br />
ques Chevalier)<br />
▶ Freitag, 8. Februar 2013, 21.00 Uhr<br />
LE SALAIRE DE LA PEUR (LOHN DER ANGST) –<br />
Frankreich 1953 – R+B: Henri-Georges Clouzot, nach<br />
dem Roman von Georges Arnaud – K: Armand Thirard<br />
– M: Georges Auric – D: Yves Montand, Charles Vanel,<br />
Folco Lulli, Peter van Eyck, Véra Clouzot, Jo Dest –<br />
148 min, OmeU – »Es gibt andere Möglichkeiten zu beweisen,<br />
dass man ein ganzer Mann ist«, so heißt es im<br />
Film spöttisch und selbstironisch. Doch für die vier in<br />
einem gottverlassenen Kaff »irgendwo in Südamerika«<br />
gestrandeten Männer gibt es nur diese Möglichkeit:<br />
zwei Lkw, beladen mit hochexplosivem Nitroglyzerin,<br />
durch unwegsames Gelände – teils Dschungel, teils<br />
wüstenhafte Steppe – unter haarsträubenden Bedingungen<br />
im Auftrag eines Ölkonzerns zu chauffieren. Ein<br />
höllischer Sisyphus-Trip, der den beiden Franzosen –<br />
zwei eitle, feige Angeber – die Möglichkeit bietet, doch<br />
noch einen Kern von Anstand und Selbstachtung zu<br />
offenbaren. Clouzots größer Publikumserfolg.<br />
▶ Mittwoch, 30. Januar 2013, 18.30 Uhr ▶▶ Samstag,<br />
2. Februar 2013, 21.00 Uhr<br />
LES DIABOLIQUES (DIE TEUFLISCHEN) – Frankreich<br />
1955 – R: Henri-Georges Clouzot – B: Henri-Georges<br />
Clouzot, Jérôme Géronimi, René Masson, Frédéric<br />
Grendel, nach dem Roman »Celle qui n’était plus« von<br />
Pierre Boileau, Thomas Narcejac – K: Armand Thirard –<br />
M: Georges Van Parys – D: Simone Signoret, Véra<br />
Clouzot, Paul Meurisse, Charles Vanel, Michel Serrault,<br />
Noël Roquevert – 114 min, OmeU – Clouzots zweiter<br />
phänomenaler Kassenerfolg. Der Suspense-Klassiker,<br />
den Kritiker zum Anlass nahmen, Clouzot wegen seiner<br />
vermeintlich grausamen Manipulation sowohl der Figu-<br />
Henri-Georges Clouzot<br />
83
Henri-Georges Clouzot<br />
84<br />
LES DIABOLIQUES<br />
ren wie des Zuschauers anzuklagen. Der Vorwurf übersieht,<br />
dass bei Clouzot die Thriller-Regeln neu definiert<br />
werden. Was an der Oberfläche so aussieht, als würde<br />
der Zuschauer in einen gemeinen Hinterhalt gelockt, ist<br />
im Kern die große Qualität der Erzählung, die einer<br />
bezwingenden Alptraum-Logik folgt. Paul Meurisse als<br />
sadistischer Internatsleiter, der nicht nur seine herzkranke<br />
Ehefrau demütigt, sondern auch seine Geliebte.<br />
▶ Dienstag, 5. Februar 2013, 18.30 Uhr ▶▶ Samstag,<br />
9. Februar 2013, 21.00 Uhr<br />
LE MYSTERE PICASSO (PICASSO) – Frankreich 1956<br />
– R+B: Henri-Georges Clouzot – K: Claude Renoir – M:<br />
Georges Auric – Mit Pablo Picasso, Henri-Georges<br />
Clouzot, Claude Renoir – 78 min, OmU – Der Künstler<br />
bei der Arbeit. Clouzot überredet seinen Freund Pablo<br />
Picasso zu einem einzigartigen Experiment. Er lädt ihn<br />
ein, auf eine transparente Leinwand zu malen, sodass<br />
die Kamera die Bildgenese unmittelbar registrieren<br />
kann. So entsteht eine »filmische Symbiose mit dem<br />
Ereignis der Malerei« (André Bazin). Picassos Zauberhand<br />
entwirft, verwirft, konturiert neu, malt aus, übermalt,<br />
und seine Imagination durchquert in immer<br />
neuen Annäherungen die typischen Picasso-Motive:<br />
Minotaurus, Maler und Modell, der Clown auf der<br />
Bühne, Badende. »Schöpferische Tätigkeit bedeutet<br />
die totale Hingabe seiner selbst.« (Clouzot)<br />
▶ Mittwoch, 6. Februar 2013, 18.30 Uhr ▶▶ Sonntag,<br />
10. Februar 2013, 21.00 Uhr<br />
LES ESPIONS (SPIONE AM WERK) – 1957 – R: Henri-<br />
Georges Clouzot – B: Henri-Georges Clouzot, Jérôme<br />
Géronimi, nach dem Roman von »Le vertige de minuit«<br />
von Egon Hostovsky – K: Christian Matras – M: Georges<br />
Auric – D: Curd Jürgens, Peter Ustinov, O.E. Hasse,<br />
Véra Clouzot, Martita Hunt, Sam Jaffe – 125 min, OmU<br />
– Kafkaesker Spionage-Thriller als bitterer, schwarz -<br />
humoriger Kommentar zum Stand der Dinge in Zeiten<br />
des Kalten Krieges. Paranoia-Studie und absurdes<br />
Theater. Schauplatz ist ein heruntergekommenes Sanatorium,<br />
dessen tölpelhafter Chefarzt ein kurioses Karussell<br />
von Intrigen und Verschwörungen in Gang setzt, als<br />
er sich bereit erklärt, einem flüchtigen Atomwissenschaftler<br />
Unterschlupf zu gewähren. Die Besetzung mit<br />
internationalen Stars brachte nicht den gewünschten<br />
Appeal. Clouzots größter Flop an der Kinokasse.<br />
▶ Dienstag, 12. Februar 2013, 18.30 Uhr ▶▶Freitag,<br />
15. Februar 2013, 21.00 Uhr
LA VERITE (DIE WAHRHEIT) – Frankreich 1960 – R:<br />
Henri-Georges Clouzot – B: Henri-Georges Clouzot,<br />
Véra Clouzot, Jérôme Géronimi, Simone Drieu, Christiane<br />
Rochefort, Michèle Perrein – K: Armand Thirard –<br />
D: Brigitte Bardot, Sami Frey, Charles Vanel, Paul Meurisse,<br />
Claude Berri – 127 min, OmeU – »Die Sezierung<br />
von Lebensweise und Amoralität der desillusionierten<br />
Jugend in den späten fünfziger Jahren, mit Bardot in<br />
ihrer besten Rolle als Mädchen, dessen überstürzte<br />
Flucht aus einem bürgerlichen Elternhaus in eine Reihe<br />
von frustrierenden Affären mit Pariser Intellektuellen<br />
und schließlich zu einer Mordanklage führt. Clouzot ist<br />
in seinen Beobachtungen der französischen Sitten so<br />
kalt und heftig wie immer.« (Geoff Andrew)<br />
▶ Mittwoch, 13. Februar 2013, 18.30 Uhr ▶▶ Samstag,<br />
16. Februar 2013, 21.00 Uhr<br />
LA TERREUR DES BATIGNOLLES (ANGST IN BATI-<br />
GNOLLES) – Frankreich 1931 – R: Henri-Georges<br />
Clouzot – B: Jacques de Baroncelli – D: Louis-Jacques<br />
Boucot, Germaine Aussey, Jean Wall – 15 min, OmeU<br />
– Eine expressionistische Komödie, die in der Pariser<br />
Bohème angesiedelt ist. – L’ENFER D’HENRI-GEOR-<br />
GES CLOUZOT (DIE HöLLE VON HENRI-GEORGES<br />
CLOUZOT) – Frankreich 2009 – R: Serge Bromberg,<br />
Ruxandra Medrea – B: Serge Bromberg – K: Irina Lubtchansky,<br />
Jérôme Krumenacker – M: Bruno Alexieu –<br />
102 min, OmeU – 1964 wagte sich Clouzot an ein großes,<br />
ambitioniertes, mit visionären Bilder sequenzen<br />
ausgestattetes Eifersuchtsdrama. Schon die Vorbereitungen<br />
waren von Misshelligkeiten überschattet, uferten<br />
endlos aus. Als Clouzot eine Herzattacke erlitt, wurden<br />
die Dreharbeiten abgebrochen. Der Filmhistoriker<br />
Serge Bromberg rekonstruierte aus Clouzots Rohmaterial<br />
die tragische Geschichte des gescheiterten Projekts.<br />
▶ Donnerstag, 31. Januar 2013, 19.00 Uhr (Zu Gast:<br />
Ser ge Bromberg) ▶▶ Mittwoch, 19. Februar 2013,<br />
18.30 Uhr<br />
LA PRISONNIERE (SEINE GEFANGENE) – Frankreich<br />
1968 – R+B: Henri-Georges Clouzot – K: Andréas Winding<br />
– D: Laurent Terzieff, Elisabeth Wiener, Bernard<br />
Fresson, Dany Carrel, Michel Etcheverry, Claude Piéplu,<br />
Noëlle Adam – 106 min, OmU – Das sado-masochistische<br />
Verhängnis der Liebe, Clouzots große Obsession,<br />
in einer neuen, verstörenden Variante, die sich im Pariser<br />
Kunstambiente der späten 1960er Jahre abspielt,<br />
in einer Atmosphäre vermeintlicher Permissivität. Ein<br />
Dandy-Galerist frönt bizarren fetischistischen Leidenschaften<br />
und versucht, eine junge Frau in seine Welt zu<br />
locken. Könnte die Konstellation von Beherrschung und<br />
Unterwerfung nicht auch ein Spiel sein, ein lustvolles<br />
gar? Clouzot wirft die Frage auf und belässt sie in einer<br />
merkwürdigen Unentschiedenheit, schwankend zwischen<br />
voyeuristischer Aufheizung, Op-Art-Exkursionen<br />
und Eifersuchtsdrama.<br />
▶ Sonntag, 17. Februar 2013, 21.00 Uhr ▶▶ Mittwoch,<br />
20. Februar 2013, 18.30 Uhr<br />
LA PRISONNIERE<br />
Henri-Georges Clouzot<br />
85
FilmWeltWirtschaft<br />
86<br />
WORK HARD PLAY HARD<br />
DIE AUSBILDUNG<br />
Freiheit statt Vollbeschäftigung? Wenn der Arbeitsgesellschaft<br />
die Arbeit ausgeht, ist die Not groß und sind<br />
die Maßnahmen oft erstaunlich. Kann sich der Mensch<br />
mit seinen Fähigkeiten in die Gesellschaft einbringen,<br />
auch wenn er keiner bezahlten Arbeit nachgeht? Die<br />
Realität der Arbeit und die Vorstellungen davon klaffen<br />
inzwischen immer weiter auseinander. Der Dokumentarfilm<br />
FREIGESTELLT (2012) von Claus Strigel geht der<br />
Frage nach, was frei sein von Erwerbsarbeit persönlich<br />
und gesellschaftlich bedeutet. Die nicht nachlassende<br />
Diskussion über ein bedingungsloses Grundeinkommen<br />
steht auch hier im Mittelpunkt des Films, reale<br />
Personen wie Goetz Werner werden befragt, animierte<br />
Gäste wie Karl Marx, Hannah Arendt und Aristoteles mischen<br />
sich in die heutige Diskussion ein.<br />
Die Arbeit bestimmt das Bewusstsein, und für den Arbeitsplatz<br />
gilt dies in besonderem Maße. In WORK<br />
HARD PLAY HARD (2011) von Carmen Losmann wird<br />
ausgefeilte moderne Architektur wie das Unilever-Gebäude<br />
in der Hamburger HafenCity vorgestellt, das<br />
FilmWeltWirtschaft<br />
Räume bietet, in denen Arbeit und Auszeit fließend ineinander<br />
übergehen. Die Mitarbeiter müssen mit dem<br />
Konzept des »mobilen Büros«, das keine persönlichen<br />
Prägungen mehr zulässt, zurechtkommen. In anderen<br />
Episoden werden Bewerbungsgespräche als stereotype<br />
Veranstaltungen gezeigt, in denen die Bewerber die<br />
Floskeln der Branche so sehr verinnerlicht haben, das<br />
sich ihre Persönlichkeit förmlich aufzulösen scheint.<br />
Die Kamera bei diesem klaren, kommentarlos beobachtenden<br />
Dokumentarfilm führte Dirk Lütter. Mit seinem<br />
Spielfilm DIE AUSBILDUNG (2011) nimmt Lütter das<br />
Ambiente der kalkulierenden Geschäftswelt wieder auf<br />
und porträtiert einen 20jährigen Auszubildenden, der<br />
an der Diskrepanz zwischen Anpassungsdruck und<br />
Freiheitswillen innerlich kaputt geht.<br />
Wie das Arbeitsleben die Menschen verändert, die<br />
Jahre und Jahrzehnte in und mit demselben Job zubringen,<br />
zeigt Alexander Riedel in seiner Doku-Fiction<br />
MORGEN DAS LEBEN (2010), der in München angesiedelt<br />
ist. Der Film porträtiert drei Menschen bei ihrem<br />
Versuch, aus der ewigen Warteschleife ihres bisherigen<br />
Lebens zu entfliehen, einen Schritt in Richtung<br />
Glück und Erfüllung weiterzugehen. Das Thema Arbeit<br />
ist auch bei dieser Frage entscheidend: ob Kündigung,<br />
Umschulung oder Totalverweigerung – Tatsache ist,<br />
man nimmt sich immer selber mit.<br />
Die achte Ausgabe von FilmWeltWirtschaft stellt sich<br />
dem Themenkomplex Arbeit. Wie gewohnt wird das<br />
Programm mit Kurzfilmen, Diskussionen und Gästen ergänzt.<br />
Claudia Engelhardt<br />
▶ Donnerstag, 24. Januar 2013, 19.00 Uhr bis Sonntag,<br />
27. Januar 2013, 21.00 Uhr
<strong>münchen</strong><br />
Do, 30.8. 19.00 Stummfilmtage KAFKA GEHT INS KINO (2002) / NICK WINTER ET LE VOL<br />
DE LA JOCONDE – NICK WINTER UND DER RAUB DER<br />
MO NA LISA (1911) / DEN HIVDE SLAVEHANDELS SIDSTE<br />
OFFER – DIE WEISSE SKLAVIN (1911) Am Flügel: Joachim<br />
Bärenz, Filmerzähler: Norbert Alich, Einführung: Stefan Drößler 3<br />
Fr, 31.8. 18.30 Stummfilmtage HYAKUNENGO NO ARUHI – EIN TAG IN 100 JAHREN (1933)<br />
/ TOKYO NO EIYU – DER HELD VON TOKYO (1935)<br />
Am Flügel und an der Violine: Günter A. Buchwald 3<br />
21.00 Stummfilmtage THE WEDDING MARCH – HOCHZEITSMARSCH (1928)<br />
Am Flügel: Joachim Bärenz 4<br />
Sa, 1.9. 18.30 Stummfilmtage 3 BAD MEN – DREI EHRLICHE BANDITEN (1926)<br />
Am Flügel und an der Violine: Günter A. Buchwald 4<br />
21.00 Stummfilmtage LE VOYAGE DANS LA LUNE – DIE PHANTASTISCHE REISE<br />
NACH DEM MONDE (1902) / ROTAIE – SCHIENEN (1929)<br />
Am Flügel: Joachim Bärenz 4<br />
So, 2.9. 18.30 Stummfilmtage L’INHUMAINE – DIE UNMENSCHLICHE (1923)<br />
Am Flügel: Joachim Bärenz 4<br />
21.00 Stummfilmtage EAST SIDE, WEST SIDE – TITANIC (1927)<br />
Am Flügel und an der Violine: Günter A. Buchwald 5<br />
Mo, 3.9. Keine Vorstellung<br />
Di, 4.9. 18.30 Stummfilmtage DAS WEISSE STADION (1928)<br />
Am Flügel und an der Violine: Günter A. Buchwald 5<br />
21.00 Jean Rollin LES PAYS LOINS – DAS WEITE LAND (1965) / LE VIOL DU<br />
VAMPIRE – DIE VERGEWALTIGUNG DES VAMPIRS (1968)<br />
Einführung: Hans Schmid 8<br />
Mi, 5.9. 18.30 Stummfilmtage OKTJABR – ZEHN TAGE, DIE DIE WELT ERSCHÜTTERTEN<br />
(1927) 5<br />
21.00 Nuri Bilge Ceylan KOZA (1995) / KASABA – DIE KLEINSTADT (1997) 13<br />
Do, 6.9. 19.00 Open Scene SA-MANN BRAND (1933)<br />
Einführung: Thomas Weidner<br />
Fr, 7.9. 18.30 Ulrike Ottinger BILDNIS EINER TRINKERIN (1979) 16<br />
21.00 Martin Scorsese WHO’S THAT KNOCKING AT MY DOOR – WER KLOPFT<br />
DENN DA AN MEINE TÜR? (1968) 21<br />
Sa, 8.9. 18.30 Ulrike Ottinger FREAK ORLANDO (1981) 16<br />
21.00 Martin Scorsese BOXCAR BERTHA – DIE FAUST DER REBELLEN (1972) 21<br />
So, 9.9. 18.00 Ulrike Ottinger DORIAN GRAY IM SPIEGEL DER BOULEVARDPRESSE<br />
(1984) 17<br />
21.00 Martin Scorsese MEAN STREETS – HEXENKESSEL (1973) 21<br />
Mo, 10.9. 19.00 MFZ Mitgliederversammlung im Ignaz-Günther-Haus<br />
Filmmuseum im <strong>Münchner</strong> <strong>Stadtmuseum</strong> · St.-Jakobs-Platz 1 · 80331 München · Tel. 089/233 96450<br />
Kalenderübersicht<br />
87
Kalenderübersicht<br />
88<br />
Di, 11.9. 18.30 Martin Scorsese WHO’S THAT KNOCKING AT MY DOOR – WER KLOPFT<br />
DENN DA AN MEINE TÜR? (1968) Seite 21<br />
21.00 Jean Rollin LES AMOURS JAUNES – DIE GELBEN LEIDENSCHAFEN (1958)<br />
/ LA VAMPIRE NUE – DIE NACKTE VAMPIRIN (1970) 9<br />
Mi, 12.9. 18.30 Martin Scorsese MEAN STREETS – HEXENKESSEL (1973) 21<br />
21.00 Nuri Bilge Ceylan MAYIS SIKINTISI – BEDRÄNGNIS IM MAI (1999) 13<br />
Do, 13.9. 19.00 Open Scene TO CATCH A THIEF – ÜBER DEN DÄCHERN VON NIZZA<br />
(1955) Zuvor: Buchpräsentation von Thilo Wydra<br />
Fr, 14.9. 18.30 Ulrike Ottinger PRATER (2007) 17<br />
21.00 Martin Scorsese WHAT’S A NICE GIRL LIKE YOU DOING IN A PLACE LIKE<br />
THIS? (1963) / IT’S NOT JUST YOU, MURRAY! (1964) /<br />
THE BIG SHAVE (1967) / ITALIANAMERICAN (1974) /<br />
AMERICAN BOY (1978) 22<br />
Sa, 15.9. 18.30 Ulrike Ottinger DIE KOREANISCHE HOCHZEITSTRUHE (2009) 17<br />
21.00 Martin Scorsese ALICE DOESN’T LIVE HERE ANYMORE – ALICE LEBT HIER<br />
NICHT MEHR (1974) 22<br />
So, 16.9. 18.30 Ulrike Ottinger UNTER SCHNEE (2011) 17<br />
21.00 Martin Scorsese TAXI DRIVER (1976) 22<br />
Mo, 17.9. Keine Vorstellung<br />
Di, 18.9. 18.30 Martin Scorsese ALICE DOESN’T LIVE HERE ANYMORE – ALICE LEBT HIER<br />
NICHT MEHR (1974) 22<br />
21.00 Jean Rollin JEAN ROLLIN, LE REVEUR EGARE – DER STREUNENDE<br />
TRÄUMER (2011) Zu Gast: Yvan Pierre-Kaiser 9<br />
Mi, 19.9. 18.30 Martin Scorsese TAXI DRIVER (1976) 22<br />
21.00 Nuri Bilge Ceylan UZAK – WEIT (2002) 13<br />
Do, 20.9. 19.00 Prager Frühling KRIK – DER ERSTE SCHREI (1963) / EIN ANLASS ZUM<br />
SPRECHEN (1966) 32<br />
Fr, 21.9. 18.30 Prager Frühling POSTAVA K PODPIRANI – JOSEF KILIAN (1963) / SBERNE<br />
SUROVOSTI – GESAMMELTE ROHHEITEN (1965) / NEZVA-<br />
NY HOST – DER UNGEBETENE GAST (1969) 32<br />
21.00 Martin Scorsese NEW YORK, NEW YORK (1976) 22<br />
Sa, 22.9. 18.30 Prager Frühling PERLICKY NA DNE – PERLEN AUF DEM MEERESGRUND<br />
(1965) 32<br />
21.00 Martin Scorsese THE LAST WALTZ – THE BAND (1978) 22<br />
So, 23.9. 17.30 Das Erinnern<br />
weitertragen<br />
<strong>münchen</strong><br />
WAS BLEIBT (2008)<br />
Zu Gast: Erna de Vries, Gesa Knolle, Birthe Templin 40<br />
21.00 Martin Scorsese RAGING BULL – WIE EIN WILDER STIER (1980) 23<br />
Filmmuseum im <strong>Münchner</strong> <strong>Stadtmuseum</strong> · St.-Jakobs-Platz 1 · 80331 München · Tel. 089/233 96450
<strong>münchen</strong><br />
Mo, 24.9. Keine Vorstellung<br />
Di, 25.9. 19.00 Martin Scorsese NEW YORK, NEW YORK (1976) Seite 22<br />
Mi, 26.9. 18.30 Martin Scorsese RAGING BULL – WIE EIN WILDER STIER (1980) 23<br />
21.00 Nuri Bilge Ceylan IKLIMLER – JAHRESZEITEN (2006) 14<br />
Do, 27.9. 19.00 Open Scene<br />
Fr, 28.9. 18.30 Prager Frühling AZ PRIJDE KOCOUR – WENN DER KATER KOMMT (1963) 32<br />
21.00 Martin Scorsese THE KING OF COMEDY (1983) 23<br />
Sa, 29.9. 18.30 Prager Frühling O NECEM JINEM – VON ETWAS ANDEREM (1963) 33<br />
21.00 Martin Scorsese AFTER HOURS – DIE ZEIT NACH MITTERNACHT (1985) /<br />
MIRROR, MIRROR (1985) 23<br />
So, 30.9. 18.30 Prager Frühling NEJVETSI PRANI – MEIN INNIGSTER WUNSCH (1964) /<br />
KAZDY DEN ODVAHU – MUT FÜR DEN ALLTAG (1964) 33<br />
21.00 Martin Scorsese ROUND MIDNIGHT – UM MITTERNACHT (1986) 24<br />
Mo, 1.10. Keine Vorstellung<br />
Di, 2.10. 18.30 Prager Frühling A PATY JEZDEC JE STRACH – DER FÜNFTE REITER IST DIE<br />
ANGST (1964) 33<br />
21.00 Jean Rollin LE FRISSON DES VAMPIRES – DAS ERSCHAUDERN DER<br />
VAMPIRE (1971) 9<br />
Mi, 3.10. 18.30 Prager Frühling OBCHOD NA KORZE – DAS GESCHÄFT IN DER HAUPT-<br />
STRASSE (1965) 33<br />
21.00 Nuri Bilge Ceylan ÜC MAYMUN – DREI AFFEN (2008) 14<br />
Do, 4.10. bis So, 7.10. Underdox. Festival für Dokument und Experiment 41<br />
Mo, 8.10. 19.00 MFZ Mitgliederversammlung im Ignaz-Günther-Haus<br />
Di, 9.10. 18.30 Prager Frühling NIKDO SE NEBUDE SMAT – NIEMAND WIRD LACHEN (1966) 34<br />
21.00 Jean Rollin LA ROSE DE FER – DIE EISERNE ROSE (1973) 10<br />
Mi, 10.10. 19.00 Nuri Bilge Ceylan ONCE UPON A TIME IN ANATOLIA (2011) 14<br />
Do, 11.10. 19.00 Rumänien CHIPURI – GESICHTER (2002) / CRULIC - DRUMUL SPRE<br />
DINCOLO – DER WEG INS JENSEITS (2011)<br />
Zu Gast: Anca Damian 43<br />
Fr, 12.10. 18.30 Prager Frühling INTIMNI OSVETLENI – INTIME BELEUCHTUNG (1965) 34<br />
21.00 Rumänien MEANDRE – MÄANDER (1967)<br />
Zu Gast: Dan Nutu 43<br />
Sa, 13.10. 18.30 Prager Frühling OSTRE SLEDOVANE VLAKY – LIEBE NACH FAHRPLAN<br />
(1966) 34<br />
21.00 Rumänien 100 DE LEI – DER 100 LEI-SCHEIN (1974)<br />
Zu Gast: Dan Nutu 43<br />
Filmmuseum im <strong>Münchner</strong> <strong>Stadtmuseum</strong> · St.-Jakobs-Platz 1 · 80331 München · Tel. 089/233 96450<br />
Kalenderübersicht<br />
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Kalenderübersicht<br />
90<br />
<strong>münchen</strong><br />
So, 14.10. 18.30 Prager Frühling RUKA – DIE HAND (1965) / O SLAVNOSTI A HOSTECH –<br />
VOM FEST UND DEN GÄSTEN (1966) Seite 34<br />
21.00 Martin Scorsese BAD (1987) / THE COLOR OF MONEY – DIE FARBE DES<br />
GELDES (1986) 24<br />
Mo, 15.10. Keine Vorstellung<br />
Di, 16.10. 18.30 Martin Scorsese THE KING OF COMEDY (1983) 23<br />
21.00 Jean Rollin LES DEMONIAQUES – DIE DÄMONISCHEN (1974) 10<br />
Mi, 17.10. 18.30 Martin Scorsese AFTER HOURS – DIE ZEIT NACH MITTERNACHT (1985) /<br />
MIRROR, MIRROR (1985) 23<br />
21.00 Rumänien BUNA! CE FACI? – HALLO! WIE GEHT’S? (2011) 44<br />
Do, 18.10. 19.00 Open Scene<br />
Fr, 19.10. 18.30 Prager Frühling SEDMIKRASKY – TAUSENDSCHÖNCHEN (1967) 35<br />
21.00 Martin Scorsese THE LAST TEMPTATION OF CHRIST – DIE LETZTE VER-<br />
SUCHUNG CHRISTI (1988) 24<br />
Sa, 20.10. 18.30 Prager Frühling KONEC SRPNA V HOTELU OZON – ENDE AUGUST IM HOTEL<br />
OZON (1967) Zu Gast: Jan Schmidt 35<br />
21.00 Rumänien PESCUIT SPORTIV – SPORTANGELN (2007) 44<br />
So, 21.10. 17.30 Film und<br />
Psychoanalyse<br />
ANNIE HALL – DER STADTNEUROTIKER (1977)<br />
Einführung: Matthias Baumgart 46<br />
21.00 Rumänien DIN DRAGOSTE CU CELE MAI BUNE INTENTII – AUS LIEBE<br />
MIT DEN BESTEN ABSICHTEN (2011) 44<br />
Mo, 22.10. Keine Vorstellung<br />
Di, 23.10. 18.30 Prager Frühling HORI, MA PANENKO – DER FEUERWEHRBALL (1967) 35<br />
21.00 Jean Rollin LEVRES DE SANG – BLUTIGE LIPPEN (1975) 10<br />
Mi, 24.10. 18.30 Prager Frühling HOTEL PRO CIZINCE – HOTEL FÜR FREMDE (1968) 36<br />
21.00 Rumänien VISUL LUI ADALBERT – ADALBERTS TRAUM (2011) 45<br />
Do, 25.10. 19.00 Open Scene<br />
Fr, 26.10. 18.30 Prager Frühling ZERT – DER SCHERZ (1968) 36<br />
21.00 Rumänien DUPA DEALURI – JENSEITS DER HÜGEL (2012) 45<br />
Sa, 27.10. 18.30 Prager Frühling SPALOVAC MRTVOL – DER LEICHENVERBRENNER (1968)<br />
Zu Gast: Juraj Herz 36<br />
21.00 Rumänien ALEXANDRA (2008) / TOATA LUMEA DIN FAMILIA NOA-<br />
STRA – ALLE IN UNSERER FAMILIE (2012) 45<br />
So, 28.10. 17.30 Das Erinnern<br />
weitertragen<br />
2 ODER 3 DINGE, DIE ICH VON IHM WEISS (2005)<br />
Zu Gast: Malte Ludin 40<br />
21.00 Rumänien FILM PENTRU PRIETENI – EIN FILM FÜR FREUNDE (2011) 45<br />
Filmmuseum im <strong>Münchner</strong> <strong>Stadtmuseum</strong> · St.-Jakobs-Platz 1 · 80331 München · Tel. 089/233 96450
<strong>münchen</strong><br />
Mo, 29.10. Keine Vorstellung<br />
Di, 30.10. 18.30 Olympia 1936 JUGEND DER WELT (1936) / DER OLYMPIA-FILM ENTSTEHT<br />
(1937) Einführungsvortrag: Robert Jaquier & Adrian Wood 50<br />
21.00 Jean Rollin FASCINATION – FASZINATION (1979) 10<br />
Mi, 31.10. 19.00 Olympia 1936 OLYMPIA. DER FILM VON DEN XI. OLYMPISCHEN SPIELEN<br />
BERLIN 1936 (1938) Einführung: Stefan Drößler 50<br />
Do, 1.11. 19.00 Open Scene<br />
Fr, 2.11. 15.00 Rosa von Praunheim Möpse und Menschen Zu Gast: Rosa von Praunheim 53<br />
18.30 Rosa von Praunheim Schauspieler und Dichter 53<br />
21.00 Rosa von Praunheim Schwul-lesbische Welten 53<br />
Sa, 3.11. 15.00 Rosa von Praunheim Berliner Luft 54<br />
18.30 Rosa von Praunheim Gesang, Tanz, Kunst 54<br />
21.00 Rosa von Praunheim Docu vs. Fiction 54<br />
So, 4.11. 15.00 Rosa von Praunheim Leben, Lieben, Sterben 54<br />
18.30 Rosa von Praunheim Film-Künstler 54<br />
21.00 Rosa von Praunheim Schwules Leben 54<br />
Mo, 5.11. Keine Vorstellung<br />
Di, 6.11. 19.00 Martin Scorsese A PERSONAL JOURNEY WITH MARTIN SCORSESE<br />
THROUGH AMERICAN MOVIES (1995) 26<br />
Mi, 7.11. 19.00 Martin Scorsese GOODFELLAS (1990)<br />
Zu Gast: Michael Ballhaus 24<br />
Do, 8.11. 19.00 Open Scene<br />
Fr, 9.11. 18.30 Prager Frühling FARARUV KONEC – DAS ENDE EINES PRIESTERS (1968) 36<br />
21.00 Martin Scorsese NEW YORK STORIES (1989) 24<br />
Sa, 10.11. 18.30 Prager Frühling SPRIZNENI VOLBOU – WAHLVERWANDTSCHAFTEN (1968)<br />
Zu Gast: Karel Vachek & Michal Bregant 37<br />
21.00 Martin Scorsese GOODFELLAS (1990) 24<br />
So, 11.11. 18.30 Prager Frühling VTACKOVIA, SIROTY A BLAZNI – VÖGEL, WAISEN UND<br />
NARREN (1969) 37<br />
21.00 Martin Scorsese DREAMS – AKIRA KUROSAWAS TRÄUME (1990) 25<br />
Mo, 12.11. bis Sa, 17.11. Internationales Festival der Filmhochschulen<br />
So, 18.11. 17.30 Film und<br />
Psychoanalyse<br />
A FISH CALLED WANDA – EIN FISCH NAMENS WANDA<br />
(1988) Einführung: Heidi Spanl, Katharina Leube-Sonnleitner 47<br />
21.00 Martin Scorsese THE KEY TO RESERVA – DER SCHLÜSSEL ZU RESERVA<br />
(2007) / CAPE FEAR – KAP DER ANGST (1991) 25<br />
Filmmuseum im <strong>Münchner</strong> <strong>Stadtmuseum</strong> · St.-Jakobs-Platz 1 · 80331 München · Tel. 089/233 96450<br />
Kalenderübersicht<br />
91
Kalenderübersicht<br />
92<br />
Mo, 19.11. Keine Vorstellung<br />
Di, 20.11. 19.00 Martin Scorsese IL MIO VIAGGIO IN ITALIA – MEINE ITALIENISCHE REISE<br />
(2001) Seite 27<br />
Mi, 21.11. 18.30 Martin Scorsese LOLA MONTEZ (1955)<br />
Zu Gast: Michael Ballhaus 25<br />
21.00 Martin Scorsese THE AGE OF INNOCENCE – ZEIT DER UNSCHULD (1993)<br />
Zu Gast: Michael Ballhaus 26<br />
Do, 22.11. 19.00 Open Scene<br />
Fr, 23.11. 18.30 Prager Frühling JAN 69 – JAN PALACH (1969) / SMUTECNI SLAVNOST –<br />
WUT UND TRAUER (1969) 37<br />
21.00 Martin Scorsese THE AGE OF INNOCENCE – ZEIT DER UNSCHULD (1993) 26<br />
Sa, 24.11. 18.30 Prager Frühling BYT – DIE WOHNUNG (1968) / UCHO – DAS OHR (1969) 37<br />
21.00 Martin Scorsese CASINO (1995) 26<br />
So, 25.11. 17.30 Das Erinnern<br />
weitertragen<br />
<strong>münchen</strong><br />
DAS WIRST DU NIE VERSTEHEN (2003)<br />
Zu Gast: Anja Salomonowitz 40<br />
21.00 Martin Scorsese KUNDUN (1997) 26<br />
Mo, 26.11. Keine Vorstellung<br />
Di, 27.11. 19.00 Martin Scorsese CASINO (1995) 26<br />
Mi, 28.11. 19.00 Martin Scorsese GANGS OF NEW YORK (2002) 27<br />
Do, 29.11. 19.00 Neapel NAPOLI PIAZZA MUNICIPIO (2008) / PASSIONE (2010)<br />
Einführung: Ambra Sorrentino Becker 56<br />
Fr, 30.11. 18.30 Neapel INTO PARADISO (2010) 56<br />
21.00 Martin Scorsese BRINGING OUT THE DEAD (1999) 27<br />
Sa, 1.12. 18.30 Neapel LA SFIDA – DIE HERAUSFORDERUNG (1958) 56<br />
21.00 Martin Scorsese GANGS OF NEW YORK (2002) 27<br />
So, 2.12. 18.30 Neapel GORBACIOF – GORBATSCHOW (2010) 56<br />
21.00 Martin Scorsese THE NEIGHBORHOOD (2001) / FEEL LIKE GOING HOME<br />
(2003) 27<br />
Mo, 3.12. Keine Vorstellung<br />
Di, 4.12. 18.30 Prager Frühling SKRIVANCI NA NITI – LERCHEN AM FADEN (1969)<br />
Zu Gast: Jiří Menzel 38<br />
21.00 Neapel LA KRYPTONITE NELLA BORSA – KRYPTONIT IN DER<br />
TASCHE (2011) 57<br />
Mi, 5.12. 18.30 Martin Scorsese BRINGING OUT THE DEAD (1999) 27<br />
21.00 Neapel COSI PARLO BELLAVISTA – ALSO SPRACH BELLAVISTA<br />
(1984) 57<br />
Filmmuseum im <strong>Münchner</strong> <strong>Stadtmuseum</strong> · St.-Jakobs-Platz 1 · 80331 München · Tel. 089/233 96450
<strong>münchen</strong><br />
Do, 6.12. 19.00 Open Scene Zuschauerkino Seite 58<br />
Fr, 7.12. 18.30 Prager Frühling ZAHRADA – DER GARTEN (1968) / DEN SEDMY – OSMA<br />
NOC – DER SIEBTE TAG, DIE ACHTE NACHT (1969) 38<br />
21.00 Martin Scorsese THE AVIATOR (2004) 28<br />
Sa, 8.12. 18.30 Prager Frühling ZMATEK – DIE KONFUSION (1968) / ZABITA NEDELE –<br />
EIN TOTGESCHLAGENER SONNTAG (1969) 38<br />
21.00 Martin Scorsese THE DEPARTED – UNTER FEINDEN (2006) 28<br />
So, 9.12. 19.00 Martin Scorsese NO DIRECTION HOME: BOB DYLAN (2005) 28<br />
Mo, 10.12. 19.00 MFZ Mitgliederversammlung im Ignaz-Günther-Haus<br />
Di, 11.12. 19.00 Prager Frühling MARKETA LAZAROVA (1967)<br />
Zu Gast: Magda Vašáryová 38<br />
Mi, 12.12. 19.00 Martin Scorsese THE DEPARTED – UNTER FEINDEN (2006) 28<br />
Do, 13.12. 19.00 Sonja Ziemann DIE PRIVATSEKRETÄRIN (1953)<br />
Zu Gast: Sonja Ziemann. Einführung: Werner Sudendorf 60<br />
Fr, 14.12. 18.30 Sonja Ziemann DER ACHTE WOCHENTAG (1958) 61<br />
21.00 Martin Scorsese SHINE A LIGHT (2008) 28<br />
Sa, 15.12. 18.30 Sonja Ziemann MENSCHEN IM HOTEL (1959) 61<br />
21.00 Martin Scorsese SHUTTER ISLAND (2010) 29<br />
So, 16.12. 18.30 Sonja Ziemann THE SECRET WAYS – GEHEIME WEGE (1961) 61<br />
21.00 Martin Scorsese PUBLIC SPEAKING (2010) 29<br />
Mo, 17.12. Keine Vorstellung<br />
Di, 18.12. 18.30 Martin Scorsese SHUTTER ISLAND (2010) 29<br />
21.00 Jean-Marie Straub SCHAKALE UND ARABER (2011) / MACHORKA-MUFF<br />
(1963) / NICHT VERSÖHNT (1965) 64<br />
Mi, 19.12. 18.30 Martin Scorsese HUGO 3D – HUGO CABRET (2011) 29<br />
21.00 Jean-Marie Straub CHRONIK DER ANNA MAGDALENA BACH (1968) / DER<br />
BRÄUTIGAM, DIE KOMÖDIANTIN UND DER ZUHÄLTER<br />
(1968) 65<br />
Do, 20.12. 19.00 Martin Scorsese A LETTER TO ELIA – EIN BRIEF AN ELIA (2010) / AMERI-<br />
CA, AMERICA – DIE UNBEZWINGBAREN (1963) 29<br />
Fr, 21.12. 18.30 Sonja Ziemann DER TRAUM VON LIESCHEN MÜLLER (1961) 61<br />
21.00 Martin Scorsese HUGO 3D – HUGO CABRET (2011) 29<br />
Sa, 22.12. 19.00 Martin Scorsese GEORGE HARRISON: LIVING IN THE MATERIAL WORLD<br />
(2011) 29<br />
So, 23.12.2012 bis Sa, 5.1.2013 Weihnachtspause<br />
Filmmuseum im <strong>Münchner</strong> <strong>Stadtmuseum</strong> · St.-Jakobs-Platz 1 · 80331 München · Tel. 089/233 96450<br />
Kalenderübersicht<br />
93
Kalenderübersicht<br />
94<br />
<strong>münchen</strong><br />
So, 6.1. 18.30 Jean-Marie Straub LA MADRE – DIE MUTTER (2012) / SCHAKALE UND ARA-<br />
BER (2011) / O SOMMA LUCE – O HÖCHSTES LICHT (2010)<br />
/ SICILIA ! (1999) Seite 65<br />
21.00 Jean-Marie Straub DANIELE HUILLET & JEAN-MARIE STRAUB, CINEASTES<br />
– OU GIT VOTRE SOURIRE ENFOUI? – WO LIEGT EUER<br />
LÄCHELN BEGRABEN? (2001) / 6 BAGATELAS (2001) 65<br />
Mo, 7.1. Keine Vorstellung<br />
Di, 8.1. 18.30 Filmemigration MÄDCHEN IN UNIFORM (1931) 72<br />
21.00 Jean-Marie Straub OTHON (1969) / TOUTE REVOLUTION EST UN COUP DE DES<br />
– JEDE REVOLUTION IST EIN WÜRFELWURF (1977) 65<br />
Mi, 9.1. 18.30 Filmemigration MADAME HAT AUSGANG (1931) 72<br />
21.00 Jean-Marie Straub CORNEILLE – BRECHT (2009) / GESCHICHTSUNTERRICHT<br />
(1972) 66<br />
Do, 10.1. 19.00 Denis Villeneuve REW-FFWD (1994) / LE TECHNETIUM (1996) /<br />
120 SECONDS TO GET ELECTED (2006) / NEXT FLOOR<br />
(2008) / UN 32 AOUT SUR TERRE – EIN 32. AUGUST AUF<br />
ERDEN (1998) 78<br />
Fr, 11.1. 18.30 Filmemigration KUHLE WAMPE ODER WEM GEHÖRT DIE WELT? (1932) 73<br />
21.00 Denis Villeneuve MAELSTRÖM (2000) 79<br />
Sa, 12.1. 18.30 Filmemigration DER TRÄUMENDE MUND (1932) 73<br />
21.00 Denis Villeneuve POLYTECHNIQUE (2009) 79<br />
So, 13.1. 17.30 Film und<br />
Psychoanalyse<br />
GROUNDHOG DAY – … UND TÄGLICH GRÜSST DAS MUR-<br />
MELTIER (1993)<br />
Einführung: Mathias Lohmer, Eva Friedrich 47<br />
21.00 Denis Villeneuve INCENDIES – DIE FRAU, DIE SINGT (2010) 79<br />
Mo, 14.1. 19.00 MFZ Mitgliederversammlung im Ignaz-Günther-Haus<br />
Di, 15.1. 18.30 Filmemigration DER BRAVE SÜNDER (1931) 74<br />
21.00 Jean-Marie Straub EINLEITUNG ZU ARNOLD SCHOENBERGS BEGLEITMUSIK<br />
ZU EINER LICHTSPIELSCENE (1973) / MOSES UND ARON<br />
(1975) 66<br />
Mi, 16.1. 18.30 Filmemigration ICH UND DIE KAISERIN (1933) 74<br />
21.00 Jean-Marie Straub FORTINI/CANI – DIE HUNDE VOM SINAI (1976) / ITINÉRAI RE<br />
DE JEAN BRICARD – WEG VON JEAN BRICARD (2008) 66<br />
Do, 17.1. 19.00 Open Scene<br />
Fr, 18.1. 18.30 Filmemigration LIEBELEI (1933) 74<br />
21.00 Henri-Georges Clouzot L’ASSASSIN HABITE AU 21 – DER MÖRDER WOHNT IN<br />
NR. 21 (1942) 82<br />
Filmmuseum im <strong>Münchner</strong> <strong>Stadtmuseum</strong> · St.-Jakobs-Platz 1 · 80331 München · Tel. 089/233 96450
<strong>münchen</strong><br />
Sa, 19.1. 18.30 Filmemigration BRENNENDES GEHEIMNIS (1933) Seite 74<br />
21.00 Henri-Georges Clouzot LE CORBEAU – DER RABE (1943) 82<br />
So, 20.1. 17.30 Das Erinnern<br />
weitertragen<br />
GERDAS SCHWEIGEN (2008)<br />
Zu Gast: Knut Elstermann 40<br />
21.00 Henri-Georges Clouzot QUAI DES ORFEVRES – UNTER FALSCHEM VERDACHT<br />
(1947) 82<br />
Mo, 21.1. Keine Vorstellung<br />
Di, 22.1. 18.30 Henri-Georges Clouzot L’ASSASSIN HABITE AU 21 – DER MÖRDER WOHNT IN<br />
NR. 21 (1942) 82<br />
21.00 Jean-Marie Straub DALLA NUBE ALLA RESISTENZA – VON DER WOLKE ZUM<br />
WIDERSTAND (1979) 67<br />
Mi, 23.1. 18.30 Henri-Georges Clouzot LE CORBEAU – DER RABE (1943) 82<br />
21.00 Jean-Marie Straub ZU FRÜH, ZU SPÄT (1982) 67<br />
Do, 24.1. bis So, 27.1. FilmWeltWirtschaft 86<br />
Mo, 28.1. Keine Vorstellung<br />
Di, 29.1. 18.30 Henri-Georges Clouzot QUAI DES ORFEVRES – UNTER FALSCHEM VERDACHT<br />
(1947) 82<br />
21.00 Jean-Marie Straub DER TOD DES EMPEDOKLES (1987) 67<br />
Mi, 30.1. 18.30 Henri-Georges Clouzot LE SALAIRE DE LA PEUR – LOHN DER ANGST (1953) 83<br />
21.00 Jean-Marie Straub SCHWARZE SÜNDE (1989) / PROPOSTA IN QUATTRO<br />
PARTI – VORSCHLAG IN VIER TEILEN (1985) 67<br />
Do, 31.1. 19.00 Henri-Georges Clouzot LA TERREUR DES BATIGNOLLES – DER TERROR VON BA-<br />
TIGNOLLES (1931) / L’ENFER D’HENRI-GEORGES CLOUZOT<br />
(2009) Zu Gast: Serge Bromberg 85<br />
Fr, 1.2. 18.30 Filmemigration DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE (1933) 75<br />
21.00 Henri-Georges Clouzot LE RETOUR DE JEAN – RÜCKKEHR INS LEBEN (1949) /<br />
MANON (1949) 83<br />
Sa, 2.2. 18.30 Filmemigration EIN LIED GEHT UM DIE WELT (1933) 75<br />
21.00 Henri-Georges Clouzot LE SALAIRE DE LA PEUR – LOHN DER ANGST (1953) 83<br />
So, 3.2. 17.00 Filmemigration FILMEMIGRATION AUS NAZI-DEUTSCHLAND (1975) 76<br />
Mo, 4.2. Keine Vorstellung<br />
Di, 5.2. 18.30 Henri-Georges Clouzot LES DIABOLIQUES – DIE TEUFLISCHEN (1955) 83<br />
21.00 Jean-Marie Straub KLASSENVERHÄLTNISSE (1984) 67<br />
Mi, 6.2. 18.30 Henri-Georges Clouzot LE MYSTERE PICASSO – PICASSO (1956) 84<br />
21.00 Jean-Marie Straub PAUL CEZANNE IM GESPRÄCH MIT JOACHIM GASQUET<br />
(1989) / UNE VISITE AU LOUVRE (2004) 67<br />
Filmmuseum im <strong>Münchner</strong> <strong>Stadtmuseum</strong> · St.-Jakobs-Platz 1 · 80331 München · Tel. 089/233 96450<br />
Kalenderübersicht<br />
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Kalenderübersicht<br />
96<br />
Do, 7.2. 19.00 Open Scene<br />
Fr, 8.2. 18.30 Filmemigration DER TUNNEL (1933) Seite 75<br />
21.00 Henri-Georges Clouzot MIQUETTE ET SA MERE – MIQUETTE UND IHRE MUTTER<br />
(1950) 83<br />
Sa, 9.2. 18.30 Filmemigration FÄHRMANN MARIA (1936) 76<br />
21.00 Henri-Georges Clouzot LES DIABOLIQUES – DIE TEUFLISCHEN (1955) 83<br />
So, 10.2. 17.30 Das Erinnern<br />
weitertragen<br />
WINTERKINDER (2005)<br />
Zu Gast: Jens Schanze 40<br />
21.00 Henri-Georges Clouzot LE MYSTERE PICASSO – PICASSO (1956) 84<br />
Mo, 11.2. 19.00 MFZ Mitgliederversammlung im Ignaz-Günther-Haus<br />
Di, 12.2. 18.30 Henri-Georges Clouzot LES ESPIONS – SPIONE AM WERK (1957) 84<br />
21.00 Jean-Marie Straub ANTIGONE (1991) 68<br />
Mi, 13.2. 18.30 Henri-Georges Clouzot LA VERITE – DIE WAHRHEIT (1960) 85<br />
21.00 Jean-Marie Straub VON HEUTE AUF MORGEN (1997) / EN RACHACHANT (1982)<br />
/ LOTHRINGEN ! (1994) / UN HERITIER (2011) 68<br />
Do, 14.2. 19.00 Open Scene<br />
Fr, 15.2. 18.30 Filmemigration LAND DER LIEBE (1937) 76<br />
21.00 Henri-Georges Clouzot LES ESPIONS – SPIONE AM WERK (1957) 84<br />
Sa, 16.2. 18.30 Filmemigration LA HABANERA (1937) 76<br />
21.00 Henri-Georges Clouzot LA VERITE – DIE WAHRHEIT (1960) 85<br />
So, 17.2. 17.30 Film und<br />
Psychoanalyse<br />
<strong>münchen</strong><br />
LES VACANCES DE M. HULOT – DIE FERIEN DES<br />
MONSIEUR HULOT (1953)<br />
Einführung: Corinna Wernz, Andreas Hamburger 47<br />
21.00 Henri-Georges Clouzot LA PRISONNIERE – SEINE GEFANGENE (1968) 85<br />
Mo, 18.2. Keine Vorstellung<br />
Di, 19.2. 18.30 Henri-Georges Clouzot LA TERREUR DES BATIGNOLLES – DER TERROR VON BA-<br />
TIGNOLLES (1931) / L’ENFER D’HENRI-GEORGES CLOUZOT<br />
– DIE HÖLLE VON HENRI-GEORGES CLOUZOT (2009) 85<br />
21.00 Jean-Marie Straub OPERAI, CONTADINI – ARBEITER, BAUERN (2001) 68<br />
Mi, 20.2. 18.30 Henri-Georges Clouzot LA PRISONNIERE – SEINE GEFANGENE (1968) 85<br />
21.00 Jean-Marie Straub IL RITORNO DEL FIGLIO PRODIGO – UMILIATI (2003) /<br />
EUROPA 2005, 27 OCTOBRE (2006) / JOACHIM GATTI<br />
(2009) 68<br />
Do, 21.2. 19.00 Jean-Marie Straub QUEI LORO INCONTRI (2006) / IL GINOCCHIO DI ARTEMIDE<br />
(2008) / LE STREGHE. FEMMES ENTRE ELLES (2009) /<br />
L’INCONSOLABILE (2011) / LA MADRE (2012) 69<br />
Filmmuseum im <strong>Münchner</strong> <strong>Stadtmuseum</strong> · St.-Jakobs-Platz 1 · 80331 München · Tel. 089/233 96450
Für Unterstützung und Kooperation bei der Realisierung unseres Programms danken wir:<br />
Stummfilm · Bonner Kinemathek (Franziska Kremser, Bern -<br />
hard Gugsch, Sigrid Limprecht) · Centre National de la Cinéma -<br />
to graphie, Bois d’Arcy (Eric Le Roy) · Cinémathèque Française,<br />
Paris (Emilie Cauquy) · Fondazione Cineteca Italiana, Milano<br />
(Luisa Comencini) · Det Danske Filminstitutet, Kopenhagen<br />
(Thomas Christensen) · International Olympic Committee,<br />
Lausanne (Robert Jaquier) · Library of Congress, Washington<br />
(Rob Stone) · Museum of Modern Art, New York (Anne Morra,<br />
Mary Keene) · National Film Center / National Museum of<br />
Modern Art, Tokyo (Akira Tochigi) · ZDF/ARTE, Maiz (Nina Goslar)<br />
· Hanns Zischler, Berlin<br />
Nuri Bilge Ceylan · Sanartfilm, Nürnberg (Sinem Ilterli) ·<br />
Zeyno Film, Istanbul (Sezgi Üstün)<br />
Martin Scorsese · Bonner Kinemathek (Bernhard Gugsch,<br />
Sigrid Limprecht) · Cinémathèque de la ville de Luxembourg<br />
(Claude Bertemes, Marc Scheffen) · Filmarchiv Austria, Wien<br />
(Nikolaus Wostry) · Filmwelt Verleihagentur, München (Christian<br />
Friedel) · Harvard Film Archive, Manchester (Haden Guest) ·<br />
Österreichisches Filmmuseum, Wien (Regina Schlagnitweit,<br />
Alexander Horwath) · Sikelia Productions, New York (Kent Jones,<br />
Ashley Peter) · Svenska Filminstitutet, Stockholm (Jon Weng -<br />
ström) · UCLA Film and Television Archive, Los Angeles (Todd<br />
Wiener) · Warner Bros, Hamburg (Richard Flynn) · WDR / 3sat<br />
(Reinhard Wulf) · ZDF/ARTE, Mainz (Nina Goslar) · Mark<br />
McElhatten, New York · Michael Ballhaus, Berlin<br />
Prager Frühling · Národní filmový archiv, Prag (Michal<br />
Bregant, Karel Zima) · Slovenský filmový ústav, Bratislava (Viera<br />
Ďuriková) · Tschechisches Zentrum, München (Zuzana Jürgens,<br />
Anett Browarzik) · Haro Senft, München<br />
Das Erinnern weitertragen · KZ-Gedenkstätte Dachau<br />
(Waltraud Burger) · Max-Mannheimer-Studienzentrum Dachau<br />
(Felizitas Raith)<br />
Rumänien · Centrul National al Cinematografiei, Bukarest<br />
(Alina Salcudeanu) · Generalkonsulat von Rumänien, München<br />
(Michael Fernbach) · Gesellschaft zur Förderung der<br />
Rumänischen Kultur und Tradition, München (Brigitte Drodtloff)<br />
· Kulturreferat der LH München (Christoph Schwarz, Christina<br />
Eder) · Rumänisches Kulturinstitut »Titu Maiorescu«, Berlin<br />
(Cristina Hoffman, Andreea Dinca) · TAROM, München · Anca<br />
Damian, Bukarest · Radu Jude, Bukarest · Irene Rudolf, Berlin<br />
Film und Psychoanalyse · Akademie für Psychoanalyse<br />
und Psychotherapie, München (Matthias Baumgart, Eva<br />
Friedrich, Andreas Hamburger, Katharina Leube-Sonnleitner,<br />
Mathias Lohmer, Irmgard Nagel, Vivian Pramataroff-Hamburger,<br />
Heidi Spanl, Corinna Wernz)<br />
Olympia 1936 · International Olympic Committee, Lausanne<br />
(Robert Jaquier) · Adrian Wood, London<br />
Rosa von Praunheim · Klaus Kalchschmid, München · Rosa<br />
von Praunheim, Berlin<br />
Neapel und der Film · Circolo Cento Fiori, München (Ilaria<br />
Furno Weise, Pierangela Hoffmann de Maron, Ambra Sorrentino<br />
Becker) · Filmstadt München (Ursula Wessler)<br />
Sonja Ziemann · CCC-Film, Berlin (Marleen Dyett) · Deutsche<br />
Kinemathek, Berlin (Anke Hahn, Werner Sudendorf) · Friedrich-<br />
Wilhelm-Murnau-Stiftung, Wiesbaden (Gudrun Weiss)<br />
Jean-Marie Straub · Cineteca di Bologna (Anna Fiaccarini,<br />
Rinaldo Censi) · RAI Tre, Rom (Enrico Ghezzi, Roberto Turigliatto)<br />
· Johannes Beringer, Berlin · Pedro Costa, Lissabon · Helmut<br />
Färber, München · Fritz Göttler, München · Peter Kammerer,<br />
Urbino · Peter Nau, Berlin · Jean-Marie Straub, Paris · Barbara<br />
Ulrich, Paris<br />
Filmemigration · Deutsche Kinemathek, Berlin (Anke Hahn,<br />
Dirk Förstner) · Deutsches Filminstitut, Frankfurt (Brigitte<br />
Capitain) · Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung, Wiesbaden<br />
(Gudrun Weiss)<br />
Denis Villeneuve · Bundesverband kommunale Filmarbeit,<br />
Frankfurt (Sabine Schöbel) · La Cinémathèque québécoise,<br />
Montréal (Marie-Pierre Lessard) · Metropolis Hamburg (Rita<br />
Baukrowitz)<br />
Henri-Georges Clouzot · Bureau du Cinéma, Berlin (Anne<br />
Vassevière) · Cinémathèque Française, Paris (Monique Faul -<br />
haber) · Cultures France, Paris · Insititut Français de Munich<br />
(Pascal Filiu-Derleth) · Les Films du Jeudi, Paris (Laurence<br />
Braunberger) · Lobster Films, Paris (Serge Bromberg) · Museum<br />
of Modern Art, New York (Josh Siegel)<br />
FilmWeltWirtschaft · Filmhaus Nürnberg (Christiane<br />
Schleindl) · Initiative Grundeinkommen München · <strong>Münchner</strong><br />
Initiative CSR (Jobst Münderlein)<br />
Fotos · Cinémathèque Suisse, Lausanne (Thomas Bissegger) · Deutsche Kinemathek, Berlin (Wolfgang Theis, Werner Sudendorf) ·<br />
Filmmuseum München (Oleksandr Osherov, Gerhard Ullmann) · Fondazione Cineteca Italiana, Milano (Luisa Comencini) · Narodní<br />
Filmovy Archiv, Prag (Karel Zima) · International Olympic Committee, Lausanne (Robert Jaquier) · Maschafilm (Jens Schanze) · Rosa<br />
von Praunheim Filmproduktion, Berlin
Das Kino der Stadt<br />
Filmmuseum im <strong>Münchner</strong> <strong>Stadtmuseum</strong> · St.-Jakobs-Platz 1 · 80331 München<br />
Tel 089/233 96450 · Fax 089/233 23931 · http://www.filmmuseum-muenchen.de