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münchen - Münchner Stadtmuseum

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2012-13 | Heft 23<br />

<strong>münchen</strong><br />

Stummfilmtage<br />

Jean Rollin<br />

Nuri Bilge Ceylan<br />

Ulrike Ottinger<br />

Martin Scorsese<br />

Prager Frühling<br />

Das Erinnern weitertragen<br />

Rumänien<br />

Olympia 1936<br />

Rosa von Praunheim<br />

Neapel und der Film<br />

Sonja Ziemann<br />

Jean-Marie Straub<br />

Filmemigration<br />

Denis Villeneuve<br />

Henri-Georges Clouzot<br />

FilmWeltWirtschaft


Eintrittspreise<br />

4 € (3 € für MFZ-Mitglieder). Ab 120 Minuten Film länge<br />

oder mit Gästen: 1 € Aufschlag. Ab 180 Mi nu ten, mit<br />

Live-Musik oder bei 3D: 2 € Aufschlag. Die Kasse öffnet<br />

jeweils 60 Minuten vor und schließt 30 Minuten<br />

nach Beginn der Vorstellung. Bei allen öffentlichen Ver -<br />

anstal tungen bleibt ein Karten kon tin gent für den freien<br />

Ver kauf an der Abendkasse reserviert.<br />

Kartenreservierung<br />

Kartenreservierungen sind ab vier Wochen im voraus<br />

möglich und können unter der Telefonnummer 089/<br />

233 96450 auf Band gesprochen werden. Vor be stellte<br />

Karten müssen bis 20 Minuten vor Vor stellungs beginn<br />

an der Kasse abgeholt worden sein, ansonsten verfällt<br />

die Reservierung.<br />

Kartenvorverkauf<br />

Kartenvorverkauf ist ab vier Wochen im voraus möglich.<br />

Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass unmittelbar<br />

vor Vorstellungsbeginn bei starkem Besucherandrang<br />

kein Kartenvorverkauf möglich ist. Vorverkaufte Karten<br />

be hal ten ihre Gültigkeit nur bis Vorstellungsbeginn. An<br />

der Abend kasse können vorverkaufte Karten bis 20 Mi -<br />

nuten vor Vorstellungsbeginn gegen Kosten erstattung<br />

wieder zurückgegeben werden.<br />

Mitgliedschaft<br />

Wer sich für die Arbeit des Filmmuseums interessiert,<br />

kann Mitglied im Verein der Freunde des Filmmuseums<br />

München, dem <strong>Münchner</strong> Filmzentrum e.V. (MFZ) werden.<br />

Der Jahresbeitrag beträgt 20 € und berechtigt<br />

zum ermäßigten Eintritt ins Filmmuseum sowie zur<br />

Teil nahme an den Mitgliederversammlungen des MFZ,<br />

in denen die Programmplanungen des Filmmuseums<br />

diskutiert und Projekte entwickelt werden. Mitglieds an -<br />

träge sind an der Kinokasse erhältlich. Die Termine der<br />

nächsten Mitgliederversammlungen des MFZ stehen in<br />

der Kalenderübersicht. Weitere In for mationen unter<br />

0176/50472957 oder www.filmzentrum-muenchen.de<br />

oder kontakt@muenchner-filmzentrum.de.<br />

Programmabonnement<br />

Das Kinoprogramm und aktuelle Newsletter können Sie<br />

im Internet unter www.filmmuseum-muenchen.de<br />

kostenlos abonnieren. Das Programmheft wird an Mit -<br />

glieder des MFZ auf Wunsch kostenlos versandt. An -<br />

sonsten bitten wir um die Zusendung eines mit 1,45 €<br />

frankierten und adressierten DIN A5-Briefumschlages<br />

an die Adresse des Filmmuseums.<br />

Rollstuhlfahrer / Hörgeschädigte<br />

Der Kinosaal im Untergeschoss ist über einen Aufzug<br />

für Rollstuhlfahrer zugänglich. Die Behindertentoilette<br />

be findet sich im Untergeschoss neben dem Kino ein -<br />

gang. Das Kino ist mit einer Induktionsschleife für Hör -<br />

geräte besitzer ausgestattet.<br />

Saalmikrofon<br />

Das Kino ist mit einem Saalmikrofon zur Kontrolle des<br />

Kinotons durch die Filmvorführer ausgestattet.<br />

Verkehrsverbindung<br />

Sie erreichen das Filmmuseum in 3 Gehminuten vom<br />

U/S-Bahnhof Marienplatz oder in 5 Gehminuten vom<br />

U-Bahnhof und der Tramhaltestelle Sendlinger Tor.<br />

»Open Scene« am Donnerstag<br />

Die Termine am Donnerstag sind teilweise für aktuelle Sonderveranstaltungen reserviert. Das Programm wird<br />

spätestens acht Tage vorher festgelegt und in den Schaukästen an der Kinokasse, im E-Mail-Newsletter, auf der<br />

Website www.filmmuseum-muenchen.de, auf Facebook, auf Twitter und durch Ankündigungen in der Tagespresse<br />

bekannt gegeben.<br />

Ausstellungen im Kinofoyer<br />

In den Schaukästen im Kinofoyer sind kleinere Fotoausstellungen zu sehen, die die Filmreihen und Kino ver anstal -<br />

tungen des Filmmuseums begleiten.<br />

Impressum<br />

Landeshauptstadt München. Filmmuseum im <strong>Münchner</strong> <strong>Stadtmuseum</strong><br />

St.-Jakobs-Platz 1, 80331 München, 089/233 20538, filmmuseum@muenchen.de<br />

Redaktion: Stefan Drößler, Claudia Engelhardt, Stephanie Hausmann, Christoph Michel, Klaus Volkmer<br />

Gestaltung: Heiner Gassen, München · Druck: Mediengruppe Universal, Allach


Digitalisierung, Gäste, Open Scene, Katrin Seybold<br />

In rasanten Schritten geht die Digitalisierung voran. Die Umstellungen in der<br />

Filmbranche sind massiv, Insolvenzen und Zusammenbrüche tech nischer<br />

Firmen verändern die Landschaft, Filmlager werden aufgelöst, die Kinos geraten<br />

als Programmanbieter immer mehr in die Defensive, und alle rätseln,<br />

wie das Handling und die Lagerung der digitalen Daten langfristig am<br />

sichersten vonstatten gehen sollte. Das digitale Fernsehen mit seinem 16:9-<br />

Bildformat reduziert noch einmal die Ausstrahlung alter Filme, und die Anzahl<br />

der Blu-ray-Veröffentlichungen alter Klassiker jenseits des Main streams<br />

ist erschreckend gering.<br />

Die Digitalisierung bietet aber auch Chancen. Plötzlich werden Filme in optimaler<br />

Qualität verfügbar, die im Kino nur in verstümmelten Fassungen oder<br />

in minderer Bildqualität zu sehen waren. Eine Retrospektive wie die mit Filmen<br />

von Jean Rollin wäre vor Jahren undenkbar gewesen, als es noch keine<br />

Abtastungen vom ungeschnittenen Originalnegativ gab. Auch die Bandbreite<br />

des Werks von Martin Scorsese, das neben seinen Kinofilmen auch Fernsehdokumentationen,<br />

Werbefilme und Musikvideos umfasst, hätte im Filmmuseum<br />

nicht gezeigt werden können. Insgesamt bewirkt der Medien -<br />

wandel durchaus Positives: Die Akzeptanz abgenutzter Filmkopien mit verrauschtem<br />

Ton, Sprüngen in Dialogen und Lücken in Handlungsabläufen,<br />

starken Farbstichen, schlechter Bildqualität und beschnittenem Bildformat<br />

hat abgenommen, niemand nimmt solche Beeinträchtigungen als unvermeidliches<br />

Übel hin, wenn er im Kino einen alten Film sieht. Das Film -<br />

museum hat in vielen Fällen eine analoge und eine digitale Kopie desselben<br />

Films verglichen um zu testen, welche auf der Kinoleinwand einen authen -<br />

tischeren Eindruck vom Film gibt. Die Ergebnisse sind eindeutig: Wenn wir<br />

nicht eine nagelneue 35mm-Kopie bekommen, ist in fast allen Fällen die<br />

digitale Kopie die bessere Alternative.<br />

Das neue Programm bietet wieder die gewohnte Mischung aus Bekanntem<br />

und Unbekanntem, Neuem und Altem, Genrekino und Autorenfilm, anspruchvollem<br />

Mainstream und innovativer Avantgarde. Wir freuen uns,<br />

Gespräche mit vielen Gästen aus den verschiedensten Bereichen anbieten<br />

zu können: Filmemacher und Schauspieler, Dokumentaristen und Kameraleute,<br />

Filmkritiker und Filmhistoriker, Zeitzeugen und Psychoanalytiker. Dazu<br />

kommen noch die kurzfristig programmierten Veranstaltungen in der »Open<br />

Scene«, über die Sie sich durch unseren E-Mail-Newsletter, über Facebook<br />

und Twitter, auf der Website des Filmmuseums und durch den Aushang in<br />

den Schaukästen an der Kinokasse informieren können. Am 6. September<br />

wird beispielsweise Thomas Weidner im Begleitprogramm zur Ausstellung<br />

»Typographie des Terrors« den Film SA-MANN BRAND (1933) vorstellen, am<br />

13. September präsentiert Thilo Wydra seine Biografie über Grace Kelly, die<br />

zu ihrem 30. Todestag erscheint.<br />

Am 27. Juni 2012 ist Katrin Seybold verstorben. Sie war eine begeisterte<br />

Besucherin des Filmmuseums, hat dort auch viele ihrer eigenen Filme vor -<br />

gestellt und für unser Programmheft noch wenige Monate vor ihrem Tod<br />

einen schönen Text über Tony Gatlif geschrieben. Wir vermissen sie sehr<br />

und werden sie 2013 mit einer umfangreichen Retrospektive würdigen.<br />

Ihr Filmmuseum<br />

3 Stummfilmtage . . . .<br />

6 Jean Rollin . . . .<br />

11 Nuri Bilge Ceylan . . . .<br />

15 Ulrike Ottinger . . . .<br />

18 Martin Scorsese . . . .<br />

30 Prager Frühling . . . .<br />

39 Das Erinnern weitertragen . . . .<br />

41 Underdox . . . .<br />

42 Rumänien . . . .<br />

46 Film und Psychoanalyse . . . .<br />

48 Olympia 1936 . . . .<br />

51 Rosa von Praunheim . . . .<br />

55 Neapel und der Film . . . .<br />

58 Zuschauerkino . . . .<br />

59 Sonja Ziemann . . . .<br />

62 Jean-Marie Straub . . . .<br />

70 Filmemigration . . . .<br />

77 Denis Villeneuve . . . .<br />

80 Henri-Georges Clouzot . . . .<br />

86 FilmWeltWirtschaft . . . .<br />

87 Kalenderübersicht . . . .<br />

R = Regie · B = Drehbuch · K = Kamera<br />

· M = Musik · S = Schnitt ·<br />

D = Darsteller · P = Produktion ·<br />

OF = Originalfassung · OmU = Originalfassung<br />

mit deutschen Unter -<br />

titeln · OmeU = Originalfassung mit<br />

englischen Untertiteln · OmfU = Originalfassung<br />

mit französischen Untertiteln<br />

· OmÜ = Origi nalfassung mit<br />

deutscher Über setzung · dtF = deutsche<br />

Synchronfassung<br />

© = Copyright


Rückblick<br />

26. Februar 2012: München ehrt die Unterzeichner des Oberhausener Manifests. Zum Festakt im Filmmuseum kamen zusammen:<br />

Christian Doermer, Dieter Lemmel, Bernhard Dörries, Edgar Reitz, Rob Houwer, Hansjürgen Pohland, Wolfgang Urchs, Ronald Martini,<br />

Alexander Kluge und der damalige Leiter der Internationalen Westdeutschen Kurzfilmtage Oberhausen Hilmar Hoffmann.<br />

25. April 2012: Anlässlich einer Retrospektive ihrer Filme im Rahmen<br />

des Projekts »Stimmen der Roma« waren Delphine Mantoulet<br />

und Tony Gatlif im Filmmuseum zu Gast.<br />

22. März 2012: Dieter Wieland und Claudia Engelhardt vor den<br />

Schaukästen des Filmmuseums beim Empfang zu Ehren von<br />

Dieter Wieland anlässlich seines 75. Geburtstags.<br />

17. März 2012: Podiumsdiskussion im Filmmuseum beim dreitägigen Symposium über den Umgang mit »Vorbehaltsfilmen« aus der<br />

NS-Zeit mit Karl Griep (Bundesarchiv), Christiane von Wahlert (Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft), Markus Zimmer (Concorde-<br />

Film), Ernst Szebedits (Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung), Hans Schmid (Filmhistoriker) und Stefan Drößler (Filmmuseum München).


Internationale Stummfilmtage<br />

Das Filmmuseum München beginnt sein neues Programm<br />

traditionsgemäß mit einer Auswahl von seltenen<br />

und neu rekonstruierten Stummfilmen aus dem<br />

Programm des »Bonner Sommerkinos«, des größten<br />

deutschen Stummfilmfestivals. Zur Aufführung gelangen<br />

die besten Kopien der jeweiligen Filme, oft wertvolle<br />

Unikate, für die namhafte Stummfilmmusiker<br />

neue Musikbegleitungen ausarbeiten und live aufführen.<br />

Die einzelnen Filme werden in einem separaten<br />

Programmheft vorgestellt, das an der Kinokasse ausliegt<br />

und im Internet unter www.foerderverein-filmkul<br />

tur.de zum Download bereitsteht.<br />

Die Auswahl für das Programm des <strong>Münchner</strong> Film -<br />

museums konzentriert sich auf Raritäten, die hier noch<br />

nicht zu sehen waren. Es sind sehr unterschiedliche<br />

Filme aus verschiedenen Ländern und Kontinenten, die<br />

die Vielfalt und hohe Qualität des Stummfilmschaffens<br />

dokumentieren. Die meisten Filmkopien sind das Ergebnis<br />

aufwändiger Restaurierungsarbeiten der internationalen<br />

Filmarchive, die in der FIAF (Fédération Inter -<br />

nationale des Archives du Films) zusammengeschlossen<br />

sind und zu deren Mitgliedern auch das Film -<br />

museum München zählt. Gleich zu Beginn können Sie<br />

ein besonderes Experiment erleben: Der Schauspieler,<br />

Kabarettist und Sänger Norbert Alich wird einen Film in<br />

der Tradition eines klassischen Filmerzählers live kommentieren<br />

– eine weitgehend vergessene Praxis aus<br />

der Frühgeschichte des Kinos, die sich heute nur in<br />

Japan noch einer ungebrochenen Popularität erfreut.<br />

Stefan Drößler<br />

KAFKA VA AU CINEMA (KAFKA GEHT INS KINO) –<br />

Frankreich 2002 – R+B: Hanns Zischler – K: Ute<br />

Adamczewski, Miriam Fassbender, Hanns Zischler –<br />

52 min, dtF – Hanns Zischler untersucht in seinem<br />

Film essay Kafkas Kinobesuche und ihren Niederschlag<br />

in Kafkas Werk. – NICK WINTER ET LE VOL DE LA<br />

JOCONDE (NICK WINTER UND DER RAUB DER<br />

MONA LISA) – Frankreich 1911 – R+B: Paul Garbagni,<br />

Gé rard Bourgeois – D: Georges Vinter – 6 min, OF –<br />

Der weltweit Aufsehen erregende Diebstahl des Gemäldes<br />

»Mona Lisa« aus dem Louvre wurde zeitnah vom<br />

Kino aufgegriffen. Franz Kafka und Max Brod sahen<br />

den Film: »Die Geschichte spielt im Louvresaal, alles<br />

trefflich imitiert, die Gemälde und in der Mitte die drei<br />

Nägel, an denen die Mona Lisa hing. Entsetzen; Herbeirufen<br />

eines komischen Detektivs; ein Schuhknopf Croumolles<br />

als falsche Fährte; der Detektiv als Schuhputzer;<br />

Jagd durch die Pariser Kaffeehäuser.« (Max Brod) –<br />

DEN HIVDE SLAVEHANDELS SIDSTE OFFER (DIE<br />

WEISSE SKLAVIN) – Dänemark 1911 – R: August<br />

Blom – B: Peter Christensen – K: Axel Graatjær – D:<br />

Clara Pontoppidan, Lauritz Olsen, Thora Meincke, Otto<br />

Lagoni – 47 min, OmÜ – Eine kolportagehafte Geschichte<br />

um internationalen Mädchenhandel. Franz<br />

Kafka sah den Film 1911 und war so beeindruckt, dass<br />

er sich für eine Episode in dem mit Max Brod konzipierten<br />

Roman »Samuel und Richard« inspirieren ließ.<br />

▶ Donnerstag, 30. August 2012, 19.00 Uhr (Am Flügel:<br />

Joachim Bärenz, Filmerzähler: Norbert Alich, Einfüh -<br />

rung: Stefan Drößler)<br />

HYAKUNENGO NO ARUHI (EIN TAG IN 100 JAHREN)<br />

– Japan 1933 – R+B+K: Shigeji Ogino – 11 min,<br />

OmeU – Amateurfilmer Shigeji Ogino reflektiert über<br />

seine Rolle als Filmemacher und sieht verblüffenderweise<br />

den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs ziemlich<br />

genau voraus. Ogino bedient sich verschiedener Tricktechniken,<br />

die er geschickt mit Realaufnahmen kombiniert.<br />

– TOKYO NO EIYU (DER HELD VON TOKYO) –<br />

Japan 1935 – R: Hiroshi Shimizu – K: Hiroshi Nomura<br />

– D: Mitsugu Fuji, Mitsuko Yoshikawa, Yuichi Iwata, Michiko<br />

Kuwano, Kôji Mitsui – 64 min, OmeU – Einer der<br />

letzten japanischen Stummfilme erzählt die Geschichte<br />

eines jungen Mannes, der mit seinen krummen Geschäften<br />

ins Halbweltmilieu abdriftet und seine Familie<br />

enttäuscht. Die konzentrierte Ökonomie im Einsatz filmischer<br />

Mittel bestätigt Hiroshi Shimizu als einen der<br />

großen Autoren des japanischen Kinos, der erst in den<br />

letzten Jahren wiederentdeckt wurde. Sein düsterer<br />

Gangsterfilm ist gegen den Strich erzählt und erreicht<br />

dennoch eine ungewöhnliche Intensität.<br />

▶ Freitag, 31. August 2012, 18.30 Uhr (Am Flügel und<br />

an der Violine: Günter A. Buchwald)<br />

Stummfilmtage<br />

3


Stummfilmtage<br />

4<br />

THE WEDDING MARCH (HOCHZEITSMARSCH) – USA<br />

1928 – R: Erich von Stroheim – B: Erich von Stroheim,<br />

Harry Carr – K: Ben F. Reynolds, Hal Mohr – D: Erich<br />

von Stroheim, Fay Wray, Matthew Betz, Zasu Pitts,<br />

George Fawcett – 109 min, OF – Erich von Stroheim<br />

selbst spielt in seinem Film die Hauptrolle als Spross<br />

einer heruntergekommenen Habsburger Adelsfamilie,<br />

der sich im Wien von 1914 in ein Mädchen aus ein -<br />

fachen Verhältnissen verliebt. Damit gerät er in Konflikt<br />

mit seinem Vater, der für seinen Sohn eine Geldheirat<br />

organisiert. »Bordellszenen mit sinnlos betrunkenen<br />

Fürsten und Hoflieferanten, Ehekuppelei der oberen<br />

Tausend, Sittenlosigkeit, Zynismus, Brutalität und Dekadenz<br />

sind von Stroheim, diesem Kenner jener Kaste,<br />

so bildhaft geworden, dass man mitunter denkt: Grosz<br />

oder Dix hätten photographiert! Stroheim scheint mitunter<br />

von einem naturalistischen Bildwollen erfüllt zusein,<br />

das an Besessenheit grenzt …« (Erich Kästner)<br />

Die Schlusssequenz vor dem Stephansdom wurde im<br />

Zweifarb technicolor-Verfahren gefilmt.<br />

▶ Freitag, 31. August 2012, 21.00 Uhr (Am Flügel:<br />

Joachim Bärenz)<br />

3 BAD MEN (DREI EHRLICHE BANDITEN) – USA<br />

1926 – R: John Ford – B: John Stone, nach dem<br />

Roman »Over the Border« von Herman Whittaker – K:<br />

George Schneiderman – D: Tom Santschi, J. Farrell<br />

MacDonald, Frank Campeau, George O’Brien, Olive<br />

Borden, Lou Tellegen – 91 min, OF – Der letzte<br />

Stummfilmwestern von John Ford zeigt schon all die<br />

Qualitäten auf, die seine späteren Meisterwerke auszeichnen.<br />

Vor dem Hintergrund des landrush von Dakota,<br />

als 1876 Indianergebiet zur Goldsuche und Besiedelung<br />

freigegeben wurde, wird die Geschichte von<br />

drei Banditen erzählt, die eine junge Frau retten und<br />

mit einem verbrecherischen Sheriff abrechnen. Fords<br />

Sympathien liegen ganz eindeutig bei den Außensei-<br />

tern: Einem Bankräuber, einem Falschspieler und<br />

einem Pferdedieb. »Ford löst die Story in einer perfekten<br />

Balance von persönlichen und epischen Elementen<br />

auf. Die drei guten-bösen Männer können, so scheint<br />

es – so scheint es aber auch nur –, nichts ernst nehmen,<br />

schon gar nicht sich selbst.« (Janey Ann Place)<br />

▶ Samstag, 1. September 2012, 18.30 Uhr (Am Flügel<br />

und an der Violine: Günter A. Buchwald)<br />

LE VOYAGE DANS LA LUNE (DIE PHANTASTISCHE<br />

REISE NACH DEM MONDE) – Frankreich 1902 – R+B:<br />

Georges Méliès – K: Michaut, Lucien Tainguy – D:<br />

Georges Méliès, Henri Delannoy, Bleuette Bernon,<br />

Jeanne d’Alcy, Victor André – 15 min, OF – Vor 110<br />

Jahren hatte dieser frühe Science-Fiction-Film Premiere,<br />

in dem Zauberkünstler Georges Méliès in naiver<br />

Tricktechnik im Stile Jules Vernes eine Expedition zum<br />

Mond beschreibt. – ROTAIE (SCHIENEN) – Italien<br />

1929 – R: Mario Camerini – B: Corrado D’Errico, Mario<br />

Camerini – K: Ubaldo Arata – D: Käthe von Nagy, Maurizio<br />

D’Ancora, Daniele Crespi, Giacomo Moschini,<br />

Mario Camerini, Carola Lotti – 72 min, OmU – Ein junges<br />

Liebespaar will aus dem Leben scheiden, als es bei<br />

einem ziellosen Spaziergang eine gefüllte Brieftasche<br />

findet, mit dem Zug an die Riviera fährt und beim Rou-<br />

lette sein Glück versucht. Die realistische Milieu -<br />

beschreibung nimmt Elemente des Neorealismus vorweg,<br />

der das italienische Kino der Nachkriegszeit berühmt<br />

machte. Die verloren geglaubte originale Stummfilmfassung<br />

dieses italienischen Klassikers wurde erst<br />

jüngst von der Cineteca Italiana in Mailand restauriert.<br />

▶ Samstag, 1. September 2012, 21.00 Uhr (Am Flügel:<br />

Joachim Bärenz)<br />

L’INHUMAINE (DIE UNMENSCHLICHE) – Frankreich<br />

1924 – R: Marcel L’Herbier – B: Pierre MacOrlan – K:<br />

Georges Specht – D: Georgette Leblanc, Jaque Cate-


lain, Philippe Hériat, Marcello Pradot, Fred Kellerman,<br />

Léonid Walter de Malte – 134 min, OmU – Das legendäre<br />

Meisterwerk von Marcel L’Herbier um eine berühmte<br />

Sängerin, die in einem ultramodernen Haus<br />

wohnt, und einen Erfinder, der in seinem futuristischen<br />

Labor Tote wieder zum Leben erwecken kann, verbindet<br />

Elemente des Science-Fiction-Films mit Stilmitteln<br />

der französischen Avantgarde der 1920er Jahre. Zu<br />

den Set-Designern des Films gehören Fernand Léger<br />

und Robert Mallet-Stevens. »Alle bisherigen Sensationen<br />

werden in den Schatten gestellt durch die Szenen,<br />

die sich anlässlich der Todeserweckung abspielen. Der<br />

Architekt – es ist Frankreichs modernster Baukünstler<br />

Mallet Stevens – hat hier mit dem Filmkünstler atemberaubende<br />

Bilder gestellt, ein hohes Lied auf die Monumentalität<br />

der modernen und utopischen Technik.«<br />

(Adolf Loos) Der Film wurde mit seinen Farbviragen<br />

vom Centre National du Cinéma in Paris restauriert.<br />

▶ Sonntag, 2. September 2012, 18.30 Uhr (Am Flügel:<br />

Joachim Bärenz)<br />

EAST SIDE, WEST SIDE (TITANIC) – USA 1927 –<br />

R+B: Allan Dwan, nach dem Roman von Felix Riesenberg<br />

– K: Teddy Pahle, George Webber – D: George<br />

O’Brien, Virginia Valli, J. Farrell MacDonald, Dore<br />

Davidson, Sonia Nodell – 90 min, OF – Der deutsche<br />

Verleihtitel lenkt die Aufmerksamkeit auf den ausführlich<br />

geschilderten Untergang eines Ozeanliners, dem<br />

sich im Film eine Nebenfigur ausgesetzt sieht. Doch im<br />

Mittelpunkt von Allan Dwans wunderbarer Hommage<br />

an die Stadt New York geht es um den Aufstieg eines<br />

jungen Mannes, der beim Wolkenkratzerboom der<br />

1920er Jahre als Architekt und Ingenieur mitmischen<br />

will. Dabei steigt er von der ärmlichen East Side Manhattans<br />

in die bessere Gesellschaft der West Side auf.<br />

»EAST SIDE, WEST SIDE (1927) beweist, dass man<br />

selbst in einer doch eher schablonenartig konstruierten<br />

Liebes- und Abenteuergeschichte unzählige Momente<br />

wahrer Filmkunst entdecken kann.« (Thomas Vorwerk)<br />

Der Film wurde vom Museum of Modern Art mit Unterstützung<br />

der National Endowment for the Arts und The<br />

Film Foundation restauriert.<br />

▶ Sonntag, 2. September 2012, 21.00 Uhr (Am Flügel<br />

und an der Violine: Günter A. Buchwald)<br />

DAS WEISSE STADION – Schweiz 1928 – R+B: Arnold<br />

Fanck, Othmar Gurtner – K: Sepp Allgeier, Richard<br />

Angst, Albert Benitz, Hans Schneeberger – 100 min –<br />

Der offizielle abendfüllende Film über die 2. Olympischen<br />

Winterspiele 1928 in St. Moritz. Mit Hilfe der<br />

Kameraleute Sepp Allgeier, Hans Schneeberger, Albert<br />

Benitz und Richard Angst, die sich schon bei Fancks<br />

Bergfilmen bewährt hatten, entstand ein einzigartiger,<br />

wegweisender Sportfilm. Seine Bildästhetik und Montagesequenzen,<br />

an denen auch Avantgardefilmer Walther<br />

Ruttmann mitarbeitete, wurden 1936 von Leni Riefenstahl,<br />

die in einigen Spielfilmen Fancks mitgewirkt<br />

hatte, wieder aufgegriffen und weitergeführt. Selbst die<br />

Fancks Filmen sonst sehr ablehnend gegenüberstehende<br />

Zeitschrift »Film und Volk« notierte anerkennend:<br />

»Ein Sport- und Naturfilm, aus dem der Regisseur<br />

seine unausstehliche Leni Riefenstahl samt allem<br />

›Humor‹ weggelassen hat, und der deshalb ausgezeichnet<br />

geworden ist.« DAS WEISSE STADION wurde<br />

vom International Olympic Committee aufwändig rekonstruiert<br />

und digital restauriert.<br />

▶ Dienstag, 4. September 2012, 18.30 Uhr (Am Flügel<br />

und an der Violine: Günter A. Buchwald)<br />

OKTJABR (ZEHN TAGE, DIE DIE WELT ERSCHÜTTER-<br />

TEN) – Sowjetunion 1927 – R: Sergej M. Eisenstein –<br />

B: Sergej M. Eisenstein, Grigorij Aleksandrov – K: Eduard<br />

Tissé, Vladimir Nilsen, Vladimir Popov – M: Edmund<br />

Meisel – D: Nikolaj Popov, Vasilij Nikandrov,<br />

Boris Livanov, Eduard Tissé – 116 min, OmU – Sergej<br />

Eisenstein arbeitete an seinem Jubiläumsfilm zum Jahrestag<br />

der Oktoberrevolution so intensiv, dass er erst<br />

mit fünf Monaten Verspätung aufgeführt werden konn -<br />

te. Der Film hat in unterschiedlichen Schnittfas sun gen<br />

überlebt, aus denen die Urfassung vom Filmmuseum<br />

München rekonstruiert wurde – inklusive einer später<br />

von Stalin entfernten Szene mit Trotzki. Edmund Meisel<br />

schrieb für den Film eine furiose Orchestermusik, die<br />

synchron eingespielt wird. »Eine Musik, die versucht,<br />

den Puls des Films rein und unmittelbar umzusetzen.<br />

Die Musik malt nicht aus, sie schafft keine zweite oder<br />

dritte Sinnebene, sondern läuft wie ein Transformator<br />

von Energien mit dem Bild.« (Bernd Thewes)<br />

▶ Mittwoch, 5. September 2012, 18.30 Uhr<br />

Stummfilmtage<br />

5


Jean Rollin<br />

6<br />

Jean Rollin bei den Dreharbeiten zu LE VIOL DU VAMPIRE<br />

Die phantastischen Welten des Jean Rollin<br />

Jean Rollin polarisiert. Für die einen ist er der Schöpfer<br />

dilettantischer Machwerke mit amateurhaft agierenden<br />

Darstellerinnen, die als lesbisch-exhibitionistische Vampirinnen<br />

ihre Brüste entblößen, um die Löcher in den<br />

unlogischen Handlungsabläufen zu kaschieren. Für die<br />

anderen ist er der abseits des kommerziellen Erzähl -<br />

kinos wandelnde und deshalb häufig missverstandene<br />

Regisseur einiger Juwelen des phantastischen Films,<br />

die sich durch eine surrealistische, stets originelle und<br />

in ihrer Art unvergleichliche Bildsprache auszeichnen<br />

und traumhaft-poetische Welten der Imagination auf<br />

die Kinoleinwand zaubern. Nachdem die Rollin-Verächter<br />

lange in der Überzahl waren und die oft vernichtende<br />

Kritik bestimmten, holen die Rollin-Connaisseure<br />

inzwischen auf. Die Feuilletons großer Tageszeitungen,<br />

die Rollin früher als pathetischen Nichtskönner und<br />

»Sultan der Verderbtheit« schmähten, berichten heute<br />

wohlwollend darüber, wenn seine Filme in digital überarbeiteten<br />

Fassungen auf DVD erscheinen. Der vom<br />

British Film Institute herausgegebene »Companion to<br />

Horror« erteilt ihm den Ritterschlag der Cineasten,<br />

indem er ihn als den einzigen auteur des Horrorgenres<br />

würdigt, den Frankreich hervorgebracht hat.<br />

Rollins Karriere ist auch für Filmliebhaber interessant,<br />

die sich eher nicht für Horror und Sex-Vampire begeis-<br />

tern. Sie ist ein Prüfstein dafür, wie viel Toleranz eine<br />

Filmkultur dem scheinbar Abseitigen und dezidiert Persönlichen<br />

gegenüber aufbringt und ob Kritiker über das<br />

geeignete Instrumentarium verfügen, um ihre Vermittlungsfunktion<br />

zu erfüllen, statt das der Norm Trotzende<br />

a priori abzulehnen. Wie viel persönliche Vision verträgt<br />

der Mainstream, ohne sein Publikum zu vergrätzen?<br />

Wie viel braucht er, um nicht steril zu werden? Wie bestimmt<br />

man, ob jemand gegen die etablierten Regeln<br />

des Filmemachens verstößt, weil er sie studiert und für<br />

untauglich befunden hat oder ob er sie nicht einhalten<br />

kann, weil er sie nicht kennt? Wo verläuft die Grenze<br />

zwischen dem Kunstwillen der Avantgarde und der<br />

ganz persönlichen Kunst des Dilettanten? Und spielt<br />

das überhaupt eine Rolle, solange das Ergebnis originell<br />

ist? Das sind Fragen, mit denen man sich beim<br />

manchmal enigmatischen, gelegentlich enervierenden<br />

und immer wieder erstaunlichen und faszinierenden<br />

Werk von Jean Rollin konfrontiert sieht. Wer sich ihnen<br />

stellt, erfährt viel über den Film an sich.<br />

Jean Michel Rollin le Gentil (1938–2010), wie er mit<br />

vollem Namen hieß, stammte aus einer der Kunst zugewandten<br />

Familie und wuchs nach der Trennung der<br />

Eltern im noblen Pariser Vorort Neuilly-sur-Seine unter<br />

Frauen auf. Seine Mutter war mit Georges Bataille be-


freundet, der dem kleinen Jean zum Einschlafen Geschichten<br />

von einem als Priester getarnten Wolf erzählte.<br />

Rollin würde später Filme mit viel Eros und religiöser<br />

Ikonographie drehen, die man auch als Märchen<br />

für Erwachsene bezeichnen könnte. Wer diese in einen<br />

kulturgeschichtlichen Zusammenhang einordnen will,<br />

hat in Batailles Schriften einen guten Ausgangspunkt.<br />

Rollin verfügte nur über rudimentäre praktische Kenntnisse,<br />

als er mit 20 Jahren seinen ersten Kurzfilm inszenierte.<br />

Nachdem er mit einem selbst finanzierten,<br />

unvollendet gebliebenen Langfilm (mit Dialogen von<br />

Marguerite Duras) seine Ersparnisse verloren hatte,<br />

entdeckte er eine Nische, die ihm einen Grad an künstlerischer<br />

Freiheit gewährte, von der renommiertere Kollegen<br />

nur träumen konnten, solange er sich an zwei<br />

simple Regeln hielt: Er musste ein fast nicht existentes<br />

Budget einhalten, und seine Darstellerinnen mussten in<br />

gewissen Abständen die Hüllen fallen lassen, damit der<br />

Produzent Abnehmer fand.<br />

Rollins erster Vampirfilm, auf dem Höhepunkt der Studentenunruhen<br />

im Mai 1968 in Paris uraufgeführt, war<br />

ein Skandalerfolg. Bei LE VIOL DU VAMPIRE deuten<br />

sich schon einige der Elemente an, die dann zu seinen<br />

Markenzeichen werden sollten: Die ungewöhnlich starken<br />

Frauenfiguren. Die meditative Mischung des Melodramatischen<br />

mit dem Bizarren. Das Anzitieren von<br />

Autoren wie Gaston Leroux und Gustave Gailhard sowie<br />

der surrealistischen, von Illustratoren wie Gino Starace<br />

gestalteten Umschläge ihrer Sensations- und Kriminal-<br />

romane. Das Nebeneinander von Vergangenheit und<br />

Gegenwart. Das Trügerische der Erinnerung. Die Liebe<br />

zu alten, dem Untergang geweihten Bauten, vom<br />

Schloss über die Villa auf dem Lande bis zu von der Abrissbirne<br />

bedrohten Mietquartieren im Pariser Arbeiterund<br />

Einwandererviertel Belleville. Die hypnotisch langsame<br />

Erzählweise. Und ein unheimlicher Strand, der in<br />

Rollins Filmen immer wieder auftauchen und zu seiner<br />

Seelenlandschaft werden sollte wie das Monument Valley<br />

für John Ford. Kritiker sahen darin ein Sammel -<br />

surium von Idiosynkrasien und den fehlgeleiteten Ausdruckswillen<br />

eines Dilettanten. Das greift zu kurz.<br />

Rollin schrieb das »Szenario« für den 1967 erschienenen<br />

Kult-Comic »Saga de Xam«, in dem eine Agentin<br />

von einem fernen Planeten zur Erde und dort durch Zeit<br />

und Dimensionen reist. Das gibt die Richtung für seine<br />

filmischen »Traumflüge« vor (wie er sie nennt), auf<br />

denen er falsch und richtig Erinnertes, Träume und<br />

Realität, Vergangenes und soeben Erlebtes mischt,<br />

ohne die Übergänge immer kenntlich zu machen. Im<br />

Idealfall gelingen ihm atmosphärische, von einer morbiden<br />

Melancholie durchdrungene Bilder, die aus sich<br />

selbst heraus so stark sind, dass sie sich mit anderen<br />

solchen Bildern zu einer zusätzlichen, parallel zur Handlung<br />

verlaufenden oder diese kreuzenden Bedeutungsebene<br />

verbinden. Statt mit den Mitteln des realistischen<br />

Kinos phantastische Inhalte zu erzählen, versucht<br />

Rollin in seinen Filmen, eine dem Phantastischen<br />

adäquate Form zu finden, »eine Öffnung hin zu einer<br />

LE FRISSON DES VAMPIRES<br />

Jean Rollin<br />

7


Jean Rollin<br />

8<br />

Poesie des Anderswo«, wie er es im Spätwerk LA NUIT<br />

DES HORLOGES formuliert, mit dem er ein Resümee<br />

seines Schaffens zieht.<br />

Rollin war ein echter auteur: also einer, der einem Film,<br />

obwohl Produkt der Anstrengung von vielen Leuten,<br />

seinen ganz persönlichen Stempel aufdrückt. Das bestreiten<br />

nicht einmal seine Gegner. Im Nachhinein fragt<br />

man sich, warum es ihm nicht glückte, als Teil der nouvelle<br />

vague zu Ruhm und Ehre zu gelangen. Mit Truffaut,<br />

Chabrol und Godard, die alle ein paar Jahre älter<br />

als er waren, verband ihn die Lust an der Dekonstruktion<br />

überkommener Genremuster. Doch das Trennende<br />

überwog (am ehesten lässt er sich noch mit Jacques<br />

Rivette vergleichen). Rollin bewunderte den poetischen<br />

Realismus der Filme von Marcel Carné und Jacques<br />

Prévert, gegen den sich die Kritiker der Cahiers du cinéma<br />

um Truffaut polemisch abgrenzten, mischte ihn<br />

mit Horror-, Comic- und Pop-Art-Elementen, gab Surrealismus,<br />

Fetischkostüme, nackte Busen, alte Gemäuer,<br />

Geheimgesellschaften sowie Verweise auf Malerei<br />

und Literatur mit dazu, inszenierte lyrische Dialogpassagen<br />

im deklamatorischen Stil von Prévert und ironisierte<br />

diesen durch von den Darstellern improvisierte<br />

Unsinnssätze, ersetzte die psychologisch-realistische<br />

Erzählweise durch assoziative Bilderfolgen, favorisierte<br />

die episodisch offene Handlung der ciné-romans von<br />

Louis Feuillade (LES VAMPIRES) und der US-Serials der<br />

1930er und 1940er Jahre. Für Zuschauer, die gern die<br />

eigene Phantasie walten lassen und die sich nicht am<br />

Gängelband durch eine vorgegebene Geschichte führen<br />

lassen wollen, hat diese wilde, auf Kinokonventionen<br />

keine Rücksicht nehmende Melange etwas ungemein<br />

Befreiendes. Aber sie war auch so originell, dass<br />

sie zu keiner Gruppierung passte.<br />

Rollins Filme fragen, ob die Lebenden von den Toten<br />

oder die Toten von den Lebenden träumen, ob die<br />

Toten tot sind oder die Lebenden noch nicht lebendig.<br />

Es wird nicht überraschen, dass er, selbst mehrfacher<br />

Außenseiter, den Außenseitern seine Sympathien<br />

schenkte. Aus dem gängigen Horrorpersonal suchte er<br />

sich die Vampire aus, weil sie den Menschen am<br />

nächsten sind. Oft sind Rollins Monster sogar humaner<br />

als die Menschen. Seine Vampirfrauen sind oft blind<br />

oder stumm, werden das Opfer von männlichen Übergriffen,<br />

von Umweltsünden oder von die Normabweichung<br />

nicht tolerierenden Familien, müssen sich einen<br />

Platz am Rande einer Gesellschaft erstreiten, die sie<br />

nicht haben will. Er mag Frauen, die in einer männlichen<br />

Welt wie Schwestern sind und ein auch sexuelles<br />

Verhältnis zueinander haben. Das Ungekünstelte und<br />

Laienhafte der Darstellerinnen verleiht seinen Sexszenen<br />

eine mit Unschuld gepaarte Erotik, die sie von<br />

denen anderer Regisseure unterscheidet. Dabei sind<br />

seine Frauen beileibe nicht nur Opfer und Lustobjekte.<br />

Das Rachemotiv nimmt in seinem Werk eine zentrale<br />

Stelle ein. Vermutlich war es all das, was Rollin so interessant<br />

für Ovidie machte, Frankreichs prominenteste<br />

Vertreterin des »sex-positiven Feminismus«.<br />

»Wir müssen uns der Idee hinter der offiziellen Filmgeschichte<br />

widersetzen, dieser würdevollen Prozession<br />

von ›wichtigen Werken‹, die einige der aufregendsten<br />

Filme und Filmemacher im Schatten versteckt hält«,<br />

schreibt Martin Scorsese in einem seiner Texte zu den<br />

abseits der großen Studios und der institutionalisierten<br />

Finanzstrukturen operierenden Helden der No-Budget-<br />

Produktion. »Je anrüchiger das Genre und je niedriger<br />

das Budget, desto weniger hat man zu verlieren und<br />

desto mehr Freiheit hat man, zu experimentieren und<br />

neue Bereiche auszuloten.« Kaum einer machte davon<br />

mehr Gebrauch als Jean Rollin. Holen wir ihn also aus<br />

dem Schatten. Hans Schmid<br />

LES PAYS LOINS (DAS WEITE LAND) – Frankreich<br />

1965 – R+B: Jean Rollin – K: Gérard de Battista – D:<br />

Pascal Fardoulis, Nadine Ninio, Bernard Papineau, Ben<br />

Zimet – 17 min, OmeU – Ein Mann und eine Frau geraten<br />

in eine Parallelwelt mit babylonischem Sprachgewirr;<br />

auf der Suche nach einem Ausweg begegnen sie<br />

Schwarzafrikanern, Arabern und dem Sänger Ben


Zimet, dem Bewahrer der Kultur des osteuropäischen<br />

Judentums. – LE VIOL DU VAMPIRE (DIE VERGEWAL-<br />

TIGUNG DES VAMPIRS) – Frankreich 1968 – R+B:<br />

Jean Rollin – K: Guy Leblond – M: Yvon Géraud, François<br />

Tusques – D: Solange Pradel, Bernard Letrou, Jacqueline<br />

Sieger, Ariane Sapriel, Eric Yan, Ursule Pauly –<br />

90 min, OmeU – Die Geburt des nackten Kino-Vampirs.<br />

Ein Psychiater will vier in einem einsamen Landhaus lebende<br />

Frauen vom Vampirismus heilen, den er für eine<br />

Psychose hält, bis er erkennt, dass es nicht ganz so<br />

einfach ist. Ein Film, der aus der Zeit gefallen scheint<br />

und doch die Umwälzungen des Jahres 1968 reflektiert;<br />

entstanden im Umfeld des Lacan-Schülers und<br />

Psychiatrie-Rebellen Félix Guattari, dessen Klinik La<br />

Borde damals als die mögliche Keimzelle einer neuen<br />

Gesellschaft galt. Mit einer Verwaltungsangestellten<br />

der Klinik als Königin der Vampire und mit der Musik<br />

von François Tusques, dem Pionier des Free Jazz.<br />

▶ Dienstag, 4. September 2012, 21.00 Uhr (Einführung:<br />

Hans Schmid)<br />

LES AMOURS JAUNES (DIE GELBEN LEIDENSCHAF-<br />

TEN) – Frankreich 1958 – R+B: Jean Rollin – D: Jean<br />

Denisse, Dominique Vidal, Guy Huiban – 10 min, OmeU<br />

– Evokation der maritimen Verse des von den Surrealisten<br />

und Huysmans’ Romanfigur Jean des Esseintes<br />

(»Gegen den Strich«) hoch geschätzten Tristan Corbière;<br />

mit Zeichnungen von Fabien Loris. – LA VAM-<br />

PIRE NUE (DIE NACKTE VAMPIRIN) – Frankreich<br />

1970 – R+B: Jean Rollin – K: Jean-Jacques Renon –<br />

M: Yvon Serault – D: Caroline Cartier, Olivier Rollin,<br />

Marie-Pierre und Catherine Castel, Michel Delahaye,<br />

Ursule Pauly – 88 min, OmeU – Pierre begegnet einer<br />

Vampirfrau, die von Männern mit Tiermasken verfolgt<br />

wird, gerät an den Pariser Ableger von Robert Louis<br />

Stevensons Selbstmörderclub und findet heraus, dass<br />

sein Vater mysteriöse Blutexperimente betreibt, was<br />

ihn in ein Schloss auf dem Lande und an den Strand<br />

von Pourville führt. Am Ende steht nur fest, dass auch<br />

Geschäftsleute sterblich sind. Ein Film im Stil der alten<br />

Serials – über parallele Welten, beeinflusst von den Gemälden<br />

von Max Ernst und André Delvaux sowie von<br />

den Filmen von Georges Franju. Mit dem bei den Cahiers<br />

du cinéma als Kritiker gerade gefeuerten Michel<br />

Delahaye als Großmeister der Außerirdischen.<br />

▶ Dienstag, 11. September 2012, 21.00 Uhr<br />

JEAN ROLLIN, LE REVEUR EGARE (JEAN ROLLIN,<br />

DER STREUNENDE TRÄUMER) – Frankreich 2011 –<br />

R+B: Damien Dupont, Yvan Pierre-Kaiser – K: Thomas<br />

Van Hoecke, Yvan Pierre-Kaiser – M: Philippe D’Aram –<br />

mit Jean Rollin, Jean-Pierre Bouyxou, Pete Tombs, Natalie<br />

Perrey, Brigitte Lahaie, Ovidie, Jean-Loup Philippe<br />

– 78 min, OmeU – Deutsche Erstaufführung eines<br />

Dokumentarfilms über Jean Rollin, der die Premiere<br />

nicht mehr miterlebte. »Was an dem Film beeindruckt,<br />

ist Rollin selbst, seine Menschlichkeit und sein Humor,<br />

sein präziser Blick und seine ehrlichen Worte über<br />

seine Filme, ihre Stärken und ihre Schwächen. Rollin<br />

ist ein Anarchist. Man erfährt, dass er seine Darsteller<br />

nicht führt, weil er es nicht mag, von jemand anderem<br />

Anweisungen zu erhalten. Sein Kino strahlt eine Art von<br />

Freiheit aus, erinnert zuweilen an Jahrmarkt, und besitzt<br />

etwas Magisches.« (Nicolas Bardot)<br />

▶ Dienstag, 18. September 2012, 21.00 Uhr (Zu Gast:<br />

Yvan Pierre-Kaiser)<br />

LE FRISSON DES VAMPIRES (DAS ERSCHAUDERN<br />

DER VAMPIRE) – Frankreich 1971 – R+B: Jean Rollin<br />

– K: Jean-Jacques Renon – M: Acanthus – D: Sandra<br />

Julien, Jean-Marie Durand, Michel Delahaye, Jacques<br />

Robiolles, Dominique, Marie-Pierre Castel, Kuelan<br />

Herce, Nicole Nancel – 95 min, OmeU – Ein frisch verheiratetes<br />

Paar will auf der Hochzeitsreise die in einem<br />

Schloss wohnenden Cousins der Braut besuchen und<br />

erfährt, dass diese gestorben seien. Als um Mitternacht<br />

Jean Rollin<br />

9


Jean Rollin<br />

10<br />

die mit einem Ketten-Kostüm bekleidete, hinter Vorhängen<br />

und aus Standuhren auftauchende Vampirin Dominique<br />

erscheint und die Braut verführt, wird klar, dass<br />

hier nicht alles mit rechten Dingen zugeht. Eine Vampirfilm-Parodie<br />

mit experimenteller Farbgestaltung, Hippie-Vampiren,<br />

einer Verneigung vor René Magritte und<br />

einem Showdown am Strand von Pourville.<br />

▶ Dienstag, 2. Oktober 2012, 21.00 Uhr<br />

LA ROSE DE FER (DIE EISERNE ROSE) – Frankreich<br />

1973 – R+B: Jean Rollin – K: Jean-Jacques Renon –<br />

M: Pierre Raph – D: Françoise Pascal, Hugues Quester,<br />

Natalie Perrey, Mireille Dargent – 85 min, OmeU – Rollins<br />

Version von Luis Buñuels EL ANGEL EXTAMINA-<br />

DOR (DER WÜRGEENGEL) ist sein poetischster Film –<br />

und war sein größter kommerzieller Misserfolg. Eine<br />

junge Frau und ein junger Mann streifen durch den<br />

Friedhof von Amiens und können den Ausgang nicht<br />

mehr finden. Ein Friedhof, sagt Rollin in einem Interview,<br />

sei für ihn wie eine gigantische Steinskulptur. Der<br />

ideale Ort für eine Meditation über die Jugend und das<br />

Alter, das Leben und den Tod sowie darüber, was wir<br />

dem Sterben ent gegenzusetzen suchen.<br />

▶ Dienstag, 9. Oktober 2012, 21.00 Uhr<br />

LES DEMONIAQUES (DIE DÄMONISCHEN) – Frankreich<br />

1974 – R+B: Jean Rollin – K: Jean-Jacques<br />

Renon – M: Pierre Raph – D: Joëlle Cœur, John Rico,<br />

Lieva Lone, Patricia Hermenier, Louise Dhour, Willy<br />

Braque, Paul Bisciglia – 95 min, OmeU – »Ein expressionistischer<br />

Film« (Vorspann), im Geiste des Marquis<br />

de Sade. Zwei schiffbrüchige Schwestern werden von<br />

Strand piraten überfallen, schließen in der Ruine eines<br />

Klosters einen Pakt mit dem Teufel und kehren als<br />

Geister wieder, um sich zu rächen. Mit Joëlle Cœur als<br />

sadistischer femme fatale sowie einer Hommage an<br />

Fritz Lang, dessen MOONFLEET einer von Rollins Lieblingsfilmen<br />

war. Poesie zwischen Halluzination und<br />

Banalität.<br />

▶ Dienstag, 16. Oktober 2012, 21.00 Uhr<br />

LEVRES DE SANG (BLUTIGE LIPPEN) – Frankreich<br />

1975 – R: Jean Rollin – B: Jean Rollin – K: Jean-François<br />

Robin – M: Didier William Lepauw – D: Jean-Loup<br />

Philippe, Annie Belle, Natalie Perrey, Marie-Pierre und<br />

Catherine Castel, Martine Grimaud, Serge Rollin –<br />

88 min, OmeU – Die surreale Geschichte einer amour<br />

fou. Frédéric hat Visionen von einer sinnlichen jungen<br />

Frau, der er als Kind in einer Burg begegnete. Als er ein<br />

Foto der Burg sieht und bald danach auch die junge<br />

Frau, die seit seiner Kindheit nicht gealtert scheint,<br />

begibt er sich auf eine Suche, in deren Verlauf er eine<br />

Gruppe von Vampirinnen freisetzt, auf ein finsteres<br />

Familiengeheimnis stößt und zum Château-Gaillard gelangt,<br />

wo einst, im ciné-feuilleton von Louis Feuillade,<br />

Judex sein Hauptquartier hatte. Ein Film über die Magie<br />

des Kinos, über die Entdeckung der Sexualität, über<br />

verlorene Erinnerungen und darüber, wie es ist, wenn<br />

man sie wiederfindet.<br />

▶ Dienstag, 23. Oktober 2012, 21.00 Uhr<br />

FASCINATION (FASZINATION) – Frankreich 1979 – R:<br />

Jean Rollin – B: Jean Rollin – K: Georgie Fromentin –<br />

M: Philippe d’Aram – D: Franca Maï, Brigitte Lahaie,<br />

Jean-Marie Lemaire, Myriam Watteau, Fanny Magier –<br />

80 min, OmeU – Rollin lässt seine Figuren gern in steinernen<br />

Zeugen der Vergangenheit wie Burgen und<br />

Friedhöfen agieren. Hier siedelt er die gesamte Geschichte<br />

in einer untergegangenen Epoche an. 1905.<br />

Ein Bandit auf der Flucht findet Unterschlupf in einem<br />

Wasserschloss, wo sieben Frauen einen Blutkult zelebrieren.<br />

Frankreichs Erotik-Ikone Brigitte Lahaie als<br />

Sensenfrau. Inspiriert von Joseph-Ferdinand Gueldrys<br />

Gemälde »Die Bluttrinker« und YELLOW SKY, einem<br />

Western von William Wellman. Kurzum: Auch ohne Vermischung<br />

von Zeitebenen und Dimensionen ein echter<br />

Rollin.<br />

▶ Dienstag, 30. Oktober 2012, 21.00 Uhr


Dreharbeiten BIR ZAMANLAR ANADOLU’DA: Nuri Bilge Ceylan, Gökhan Tiryaki<br />

Retrospektive Nuri Bilge Ceylan<br />

Nuri Bilge Ceylan (geboren 1967) ist ein Filmemacher,<br />

der als Fotograf begann. Diese Tatsache wurde oft<br />

schon zu einem wesentlichen Schlüssel für sein Werk<br />

gemacht, aus guten Gründen. Denn in diesen sechs<br />

Langfilmen und einem Kurzfilm, die bisher vorliegen, ist<br />

ein Blick auf die Welt zu erkennen, der in zweierlei Hinsicht<br />

fotografisch strukturiert ist: die Bilder sind so verfasst,<br />

dass sie sich eher einer allmählichen Entzifferung<br />

preisgeben als einer sofortigen Erfassung (der<br />

Faktor Zeit wird gegenüber der Bewegung privilegiert);<br />

und der Ton tritt zu diesen Bildern in einer Weise hinzu,<br />

die ihrer ursprünglichen Stummheit noch zu entsprechen<br />

scheint. Nicht von ungefähr war sein erster (Kurz-<br />

)Film KOZA noch ohne Dialog – eine Meditation über<br />

das Verstreichen der Zeit, die von alten Fotografien<br />

ihren Ausgang nahm. Schon hier bleiben wesentliche<br />

Momente einer möglichen Geschichte unausdrücklich;<br />

man kann sich davon eine Vorstellung machen, aber<br />

die Hinweise sind spärlich. Überreich ist hingegen die<br />

Zeichenwelt in KOZA. Die Welt spricht, aber sie spricht<br />

in Rätseln. Sie ist durchlässig für die Träume, die in Bildern<br />

sprechen, die ein Rätsel darstellen, das Rätsel der<br />

jeweils eigenen Identität.<br />

Von KOZA bis zu BIR ZAMANLAR ANADOLU’DA (ONCE<br />

UPON A TIME IN ANATOLIA) hat Nuri Bilge Ceylan eine<br />

enorme Entwicklung durchgemacht, ohne sein Vorgehen<br />

im Kern allzu stark verändert zu haben. Er hat nur<br />

die erzählerischen Möglichkeiten entscheidend erwei-<br />

tert: Das, was sich aus den vielen, für nicht-türkische<br />

Zuschauer häufig gar nicht erkennbaren, Details ergibt,<br />

sind Situationen, in denen das Universale des menschlichen<br />

Geschichtenerbes mit den konkreten Umständen<br />

der Türkei in der gegenwärtigen Epoche der Transformation<br />

vermittelt wird. Dass er schon im Titel seines<br />

jüngsten Films ausdrücklich Anatolien ins Spiel bringt,<br />

also das Hinterland der türkischen Metropolen Istanbul<br />

und Ankara, ist dabei ein Programm, das sich durch<br />

das Werk zieht. In einem Land ohne ein nennenswertes<br />

bürgerliches Milieu sind auch die meisten Intellektuellen<br />

und Künstler noch stark mit ihrer ländlichen Herkunft<br />

verbunden, durch Familienmitglieder (wie in<br />

UZAK) oder durch Projekte wie das des Filmemachers<br />

Muzaffer, der in MAYIS SIKINTISI (BEDRÄNGNIS IM<br />

MAI) in sein Dorf zurückkehrt, um dort einen Film zu<br />

machen. Dem Verhältnis von Film und Fotografie setzt<br />

Nuri Bilge Ceylan dabei noch ein anderes Bilderverhältnis<br />

entgegen: Die Provinz ist in der Türkei auch der Ort<br />

populärer Fernsehserien, in denen das Landleben idealisiert<br />

wird und die Traditionen, die in der Stadt brüchig<br />

werden, kulturindustriell noch einmal durchgearbeitet<br />

werden – als Beschwernisse in einer melodramatischen<br />

Erzählung, aber auch als Identitätsanker in<br />

schwierigen Genealogien.<br />

In IKLIMLER (JAHRESZEITEN) finden wir die weibliche<br />

Hauptfigur am Ende in einer winterlichen Landschaft<br />

weit im Osten bei den Dreharbeiten zu einer solchen<br />

Nuri Bilge Ceylan<br />

11


Nuri Bilge Ceylan<br />

12<br />

UZAK<br />

populären Serie, während die männliche Hauptfigur<br />

zwischen Stadt und Land, zwischen promisker Sexualität<br />

und Paarbeziehung verloren gegangen ist. Dieser<br />

einsame Mann, den Nuri Bilge Ceylan selbst spielt (und<br />

für den er keine Sympathien zu schinden versucht) ist<br />

Fotograf, wie auch schon die Hauptfigur in UZAK<br />

(WEIT). Zieht man dann noch in Betracht, dass Ceylans<br />

Ehefrau Ebru in IKLIMLER die zweite Hauptrolle spielt,<br />

dann entsteht aus all diesen Figuren so etwas wie ein<br />

autobiographischer Knoten in Ceylans Werk, der allerdings<br />

nicht auf die Geheimnisse der eigenen Biographie<br />

zielt, sondern auf das repräsentative Element, das<br />

darin begriffen liegt: Die Bewegung, die jemand durchmacht<br />

in seiner Distanzierung von Ursprungsmotiven,<br />

ist die einer Kunst, die auf Welterschließung hinausläuft,<br />

bei gleichzeitiger Entfremdung durch Kontemplation.<br />

Ceylans Werk ist geprägt von beobachtenden Figuren,<br />

Männern vor allem, die in ihrer Reflexivität gefangen<br />

zu sein scheinen. Dem stehen gelegentliche<br />

Ausbrüche von Sinnlichkeit entgegen wie die wilden<br />

Liebesszenen in IKLIMLER, denen aber alles Erlösende<br />

fehlt.<br />

In ÜC MAYMUN (DREI AFFEN) wird Ceylans Ästhetik der<br />

Beobachtung besonders konkret mit gesellschaftlichen<br />

Umständen in Zusammenhang gebracht. Dialoge spielen<br />

kaum eine Rolle, gesprochen wird nur das, was im<br />

Alltag unumgänglich ist. Stattdessen blicken wir immer<br />

wieder lang in die verschlossenen Gesichter der Protagonisten,<br />

dazu hören wir, wie Türen knarren oder sich<br />

über dem Meer ein Gewitter zusammenzieht. Der Politiker<br />

Servet, der einen Unfall zu vertuschen sucht, ist die<br />

Figur, die all das auf sich zieht und damit zur mächtigen<br />

Bezugsperson, aber auch irgendwie zum Sündenbock<br />

wird. Die drei Affen, von denen im Titel die Rede<br />

ist, sind drei Menschen, die nicht so sehr vor der Wirklichkeit<br />

die Augen und Ohren und den Mund verschließen,<br />

sondern die sich aus der Wirklichkeit ausschließen,<br />

weil sie lieber in der stummen Welt ihres Rückzugs<br />

leben, in der Welt einer Resignation, von der offen<br />

bleibt, ob der stilbewusste Regisseur sie ihnen aufzwingt<br />

oder ob er sie so zeigt, weil er die Augen vor der<br />

türkischen Realität nicht verschließen will.<br />

Diese in ÜC MAYMUN spürbare, latente Gefahr einer<br />

Gefangensetzung der Figuren in einem formalen Konzept<br />

lässt Ceylan in BIR ZAMANLAR ANADOLU’DA souverän<br />

hinter sich. In diesem seinem bisherigen Hauptwerk<br />

finden die Themen und Strategien zu einer großen<br />

Erzählung zusammen, die sich aber als solche geradezu<br />

versteckt in den Einzelheiten, von denen das<br />

Bild und die Dialoge erzählen. Ein Mord ist geschehen,<br />

zwei Verdächtige wurden festgenommen, nun geht es<br />

darum, bei einem Lokalaugenschein die Leiche zu finden.<br />

In dieser langen Nacht, in der eine Gruppe von<br />

Polizisten und Justizbeamten mit den beiden Tätern<br />

durch die Landschaft irrt, wird ein ganzes Panorama<br />

der türkischen Gesellschaft erkennbar, allerdings weitgehend<br />

indirekt: Es setzt sich zusammen aus den kleinen<br />

Unterschieden zwischen den Figuren. Unterschiede,<br />

auf die diese manchmal geradezu erpicht sind,<br />

aber auch solche, über die sie sich nicht hinwegsetzen<br />

können. In einem gewagten Manöver radikaler Andeutung<br />

verleiht Ceylan der Geschichte am Ende noch eine


tragische Note: Die persönlichen Zwecke liegen eben<br />

manchmal mit allgemeineren im Streit. Diese aporetische<br />

Urerfahrung der Moderne, die ihre Wurzeln allerdings<br />

schon in der griechischen Tragik hat, wird in BIR<br />

ZAMANLAR ANADOLU’DA gewissermaßen »inkulturiert«.<br />

Im Weltkino sind es gerade Nationen, die sich in großen<br />

Veränderungsprozessen befinden, die in Autoren<br />

der Beobachtung ihre Chronisten gefunden haben: Jia<br />

Zhangke in China, Cristi Puiu in Rumänien, Nuri Bilge<br />

Ceylan in der Türkei – das sind die prononciertesten<br />

Registrierer. Man könnte sie als Geschichtsschreiber<br />

der Gegenwart begreifen. Sie beobachten das Geschehen,<br />

dessen Zeugen sie sind, mit einem Blick, der die<br />

Gegenwart durchsichtig macht für das, was an ihr essentiell<br />

ist. Dass dieses Essentielle häufig gerade in Details<br />

liegt, die man bei einem weniger fotografisch<br />

strukturierten Blick leicht übersehen könnte, ist eine<br />

Pointe, die Ceylans Werk einen Schein von Unendlichkeit<br />

verleiht. Bert Rebhandl<br />

KOZA – Türkei 1995 – R+B+K: Nuri Bilge Ceylan – D:<br />

Fatma Ceylan, Mehmet Emin Ceylan, Turgut Toprak –<br />

20 min, ohne Dialog – Zwei alte Leute leben in der<br />

Natur. Auf den Fotografien, die zu Beginn zu sehen<br />

sind, sind sie jung und einträchtig, ein Paar, das sich<br />

gemeinsam der Kamera darbietet. In den Szenen, die<br />

darauf folgen, sind sie mit sich allein, aber doch immer<br />

noch aufeinander bezogen. Und diese Bezogenheit ist<br />

das Geheimnis des Films, der immer wieder minutenlang<br />

durch die Wälder streift, zu Musik von Bach oder<br />

des russischen Komponisten Artemjev. – KASABA (DIE<br />

KLEINSTADT) – Türkei 1997 – R+B+K: Nuri Bilge Ceylan,<br />

nach einer Geschichte von Emin Ceylan – D: Mehmet<br />

Emin Toprak, Havva Saglam, Cihat Butun, Mehmet<br />

Emin Ceylan, Fatma Ceylan – 86 min, OmU – Die vier<br />

Jahreszeiten in einem türkischen Dorf, das nur geografisch<br />

fern vom Zentrum liegt: Die Schule, mit der die<br />

Bewegung des Films im Winter beginnt, dient der Integration<br />

in ein Gemeinwesen, das die beiden Kinder vorerst<br />

nur abstrakt begreifen können. KASABA ist eine<br />

politische Pastorale, ein Initiationsritus, der sich am natürlichen<br />

Kreislauf orientiert, diesem aber ein gesellschaftliches<br />

Ziel gibt.<br />

▶ Mittwoch, 5. September 2012, 21.00 Uhr<br />

MAYIS SIKINTISI (BEDRÄNGNIS IM MAI) – Türkei<br />

1999 – R+B+K: Nuri Bilge Ceylan – D: Mehmet Emin<br />

Ceylan, Muzaffer Özdemir, Fatma Ceylan, Mehmet<br />

Emin Toprak – 131 min, OmeU – Eine weitere Geschichte<br />

vom Land: Der Filmemacher Muzaffer, ein<br />

deutliches Alter ego von Ceylan, begibt sich in das Dorf<br />

seiner Herkunft, um dort mit den Menschen vor Ort<br />

einen Film zu machen. Zur Hauptfigur wird sein Vater,<br />

der mit den Behörden einen Kampf gegen die Abholzung<br />

eines Pappelhains führt. Gedreht in derselben Gegend<br />

wie KASABA, ist MAYIS SIKINTISI reich an autobiographischen<br />

Bezügen, die aber auf eine universale<br />

Ebene gehoben werden. Durch die Widmung an Tschechov<br />

(an dessen »Kirschgarten« man hier denken<br />

könnte) und durch die unübersehbaren Anleihen vor<br />

allem beim iranischen Kino stellt Ceylan hier sein Werk<br />

erstmals in einen konkreten ästhetischen Zusammenhang.<br />

Er ist ein Regisseur des Ostens, der aber nicht<br />

orientalisiert.<br />

▶ Mittwoch, 12. September 2012, 21.00 Uhr<br />

UZAK (WEIT) – Türkei 2002 – R+B+K: Nuri Bilge Ceylan<br />

– D: Muzaffer Özdemir, Mehmet Emin Toprak,<br />

Zuhal Gencer Erkaya, Nazan Kirilmis – 110 min, OmU –<br />

Auf eine pessimistische Weise ist UZAK der komischste<br />

Film von Ceylan: Zwei Männer, die sich den beschränkten<br />

Raum einer Wohnung in Istanbul teilen müssen.<br />

Der Fotograf Mahmut ist schon lange in der Stadt, er<br />

hat es geschafft und sich ein Leben geschaffen, während<br />

der jüngere Yusuf sich unter Berufung auf die familiäre<br />

Verbindung bei ihm einquartiert hat und nun seinerseits<br />

in Istanbul nach einem Leben sucht. Ein Film<br />

über misstrauisches Beobachten, über Beschattung<br />

und Erkundung, und über die sexuellen Bedürfnisse<br />

Nuri Bilge Ceylan<br />

13


Nuri Bilge Ceylan<br />

14<br />

BIR ZAMANLAR ANADOLU’DA<br />

einsamer Männer, die sich wortlos und unausdrücklich<br />

um das den ganzen Film hindurch zentral positionierte<br />

Fernsehgerät streiten. Der für Ceylan konstitutive Gegensatz<br />

zwischen Stadt und Land ist in UZAK in die<br />

Stadt eingewandert.<br />

▶ Mittwoch, 19. September 2012, 21.00 Uhr<br />

IKLIMLER (JAHRESZEITEN) – Türkei 2006 – R+B:<br />

Nuri Bilge Ceylan – K: Gökhan Tiryaki – D: Nuri Bilge<br />

Ceylan, Ebru Ceylan, Nazan Kesal, Mehmet Eryilmaz –<br />

101 min, OmU – Eine Liebe in Ruinen. Nuri Bilge Ceylan<br />

spielt selbst den verspäteten Akademiker Isa, der<br />

zu Beginn mit seiner Partnerin Bahar an einer Ausgrabungsstätte<br />

nach fotografischen Motiven sucht. Nach<br />

Motiven auch für eine Fortsetzung dieser Beziehung,<br />

aus der er sich längst in eine brütende Selbstbezüglichkeit<br />

davongemacht hat. Ceylan erzählt einmal mehr von<br />

den Jahreszeiten und führt eine vergehende Liebe allmählich<br />

in eine nicht mehr offene Zukunft: Der Sommer<br />

weicht dem Herbst, im Winter ist Bahar auch geografisch<br />

schon weit weg von Isa, und der Gegensatz<br />

zwischen Stadt und Land (wo eine populäre Fernseh -<br />

serie gedreht wird) wird zur Figur für eine urban konnotierte<br />

Entfremdung, die auch in den stereotypen Szenen<br />

der Seifenoper keine Erlösung findet.<br />

▶ Mittwoch, 26. September 2012, 21.00 Uhr<br />

ÜC MAYMUN (DREI AFFEN) – Türkei 2008 – R: Nuri<br />

Bilge Ceylan – B: Ebru Ceylan, Ercan Kesal, Nuri Bilge<br />

Ceylan – K: Gökhan Tiryaki – D: Yavuz Bingöl, Hatice<br />

Aslan, Ahmet Rifat Şungar, Ercan Kesal – 109 min,<br />

OmU – Der Chauffeur Eyüp geht für seinen Chef, einen<br />

lokalen Politiker, nach einem Unfall ins Gefängnis, die<br />

Familie bekommt während dieser Zeit eine regel -<br />

mäßige Summe Geld, am Ende soll es einen größeren<br />

Betrag geben, zur endgültigen Begleichung der verschobenen<br />

Schuld. Während Eyüp im Gefängnis sitzt,<br />

lebt sein Sohn Ismail ziellos in den Tag hinein. Er<br />

schläft viel, wenn seine Mutter Hacer ihn darauf anspricht,<br />

weicht er aus und läuft davon. Hacer wiederum<br />

findet ihre eigene Beziehung zu dem Machtmenschen,<br />

der hier eine ganze Familie im übertragenen Sinn in<br />

seine Gewalt bringt. Ceylans am meisten stilisierter<br />

Film, gedreht in Istanbul mit ständigem Blick auf das<br />

Meer, fällt ein wenig aus dem Gesamtwerk heraus, und<br />

zielt am stärksten auf eine konkrete Kritik der sozialen<br />

Verhältnisse.<br />

▶ Mittwoch, 3. Oktober 2012, 21.00 Uhr<br />

BIR ZAMANLAR ANADOLU’DA (ONCE UPON A TIME<br />

IN ANATOLIA) – Türkei 2011 – R: Nuri Bilge Ceylan –<br />

B: Ebru Ceylan, Nuri Bilge Ceylan, Ercan Kesal – K:<br />

Gökhan Tiryaki – D: Muhammet Uzuner, Yilmaz Erdogan,<br />

Taner Birsel, Ahmet Mümtaz Taylan – 157 min,<br />

OmU – In einem Dorf in Anatolien ist ein Mord geschehen.<br />

Zwei Verdächtige sind festgenommen worden,<br />

nun sollen sie gemeinsam mit Vertretern der einschlägigen<br />

Behörden (Polizisten, Staatsanwaltschaft, ein<br />

Arzt, Fahrer) bei einem Lokalaugenschein die Leiche<br />

bergen. Doch die Suche zieht sich hin, von den Mördern<br />

ist nur einer wirklich ansprechbar, ob er sich nicht<br />

erinnern kann oder nur Zeit gewinnen will, ist nicht<br />

gleich klar. Ceylan gewinnt dadurch die Zeit für eine<br />

detail- und beziehungsreiche Erzählung, die am Ende<br />

mit der Andeutung eines ungeheuren Geheimnisses<br />

alles noch einmal in ein anderes Licht stellt. ONCE<br />

UPON A TIME IN ANATOLIA ist ein Höhepunkt des impliziten<br />

Erzählens, das zu den wichtigsten Charakteristiken<br />

des avancierten Weltkinos geworden ist.<br />

▶ Mittwoch, 10. Oktober 2012, 19.00 Uhr


Hommage à Ulrike Ottinger<br />

Landschaften und Gesichter, Farben, Formen und<br />

Räume, vor allem die Schönheit fremder Kulturen und<br />

Mythologien prägen das einzigartige Werk von Ulrike<br />

Ottinger. Die Malerin und Fotografin, Kamerafrau, Autorin,<br />

Regisseurin und Produzentin von rund zwanzig großen<br />

Spiel- und Dokumentarfilmen erkundet seit vierzig<br />

Jahren einen eigenwilligen Bilderkosmos, der an die<br />

Moderne des frühen zwanzigsten Jahrhunderts anknüpft<br />

und beständig neu die Fragen nach Norm und<br />

Abweichung, Vorgefundenem und Inszeniertem, Objektwelt<br />

und Imagination stellt. Ulrike Ottingers Filme,<br />

ihre Fotografien, Installationen und Bücher feiern die<br />

Lust an Expeditionen ins Unbekannte, erforschen die<br />

Terrains möglicher Metamorphosen und dokumentieren<br />

mit unpathetischer Grandezza, wo auch in der Gegenwart<br />

die sieben Weltwunder zu finden sind.<br />

»Als Avantgardistin habe ich mich selbst nie gefühlt,<br />

aber die Reaktion eines Teils der Kritik hat mich dazu<br />

gemacht. Für mich war selbstverständlich, dass ich so<br />

gearbeitet habe«, beschreibt die siebzigjährige Künstlerin<br />

in einem Interview ihre Position innerhalb des deutschen<br />

Autorenfilms. Seit ihrem ersten experimentellen<br />

Spielfilm LAOKOON UND SÖHNE – DIE VERWAND-<br />

LUNGSGESCHICHTE DER ESMERALDA DEL RIO (1972)<br />

arbeitet Ulrike Ottinger an einem Gesamtkunstwerk, in<br />

dem sich ihre eigenen fotografischen, grafischen und<br />

collagierten Bilder mit ethnografischen, kunsthistorischen<br />

und literarischen Inspirationen kreuzen und<br />

durchdringen. Mit der Gender-Maskerade DIE BE -<br />

TÖRUNG DER BLAUEN MATROSEN (1975), dem Piratinnen-Märchen<br />

MADAME X – DIE ABSOLUTE HERR-<br />

SCHERIN (1977) und BILDNIS EINER TRINKERIN (1979)<br />

entwickelte Ulrike Ottinger, damals gemeinsam mit der<br />

Zeichnerin, Szenenbildnerin, Muse und Protagonistin<br />

Tabea Blumenschein, ihre eigene künstlerische Handschrift.<br />

Die Trilogie der Berlin-Filme BILDNIS EINER<br />

TRINKERIN, FREAK ORLANDO (1981) und DORIAN<br />

GRAY IM SPIEGEL DER BOULEVARDPRESSE (1984) ist<br />

als surrealistischer Kommentar auf die grotesken Freiräume,<br />

die das von der Mauer umgebene Westberlin<br />

darstellte, zu einem Klassiker des deutschen Autorenfilms<br />

geworden.<br />

Seit 1973 lebt die Künstlerin in Berlin. 1942 in Konstanz<br />

als Tochter eines Malers und einer Übersetzerin<br />

geboren, studierte Ulrike Ottinger zunächst in München<br />

Kunst und setzte danach bis 1969 ihre Arbeit als Malerin<br />

und Grafikerin in Paris fort, wo sie neben ethnologischen<br />

und kulturwissenschaftlichen Vorlesungen an<br />

der Sorbonne die Filmprogramme der Cinémathèque<br />

Française zur Schule ihrer ästhetischen Vorlieben<br />

machte. Die Gründung eines Avantgarde-Programm -<br />

kinos und einer Galerie Anfang der 1970er Jahre in<br />

ihrer frisch zur Universitätsstadt avancierten Heimatstadt<br />

Konstanz schärfte ihr Gespür für die Korrespondenzen<br />

zwischen Grafik, Fotografie und Film.<br />

Ulrike Ottingers bildmächtige Sehnsucht nach Expeditionen<br />

in die asiatischen Kulturen, die einen weiteren<br />

großen Zyklus ihrer Arbeit prägt, rekurriert auf Kindheitserzählungen<br />

und die Bücher-, Bilder- und Skulpturensammlungen<br />

ihrer ethnologisch interessierten Vorfahren.<br />

Lange vor dem heute zum Allgemeingut gewordenen<br />

Interesse an China zog sie zu ihren großen Reisen<br />

nach China, in die mongolische Taiga, später nach<br />

Japan und Korea aus. Filme über die west/östlichen<br />

Traditionsrouten auf dem Balkan und am Schwarzen<br />

Meer kamen hinzu. Ihre z. T. mehrstündigen Film -<br />

essays CHINA. DIE KÜNSTE, DER ALLTAG (1985) und<br />

TAIGA (1992), auch der Spielfilm JOHANNA D’ARC OF<br />

MONGOLIA (1989) und die dokumentarische Spurensuche<br />

nach dem Überleben jüdischer Holocaust-Flüchtlinge<br />

in EXIL SHANGHAI (1997) sind die markantesten<br />

Beispiele ihrer bis in die Gegenwart nicht versiegenden<br />

Faszination für die lebendige Tradition östlicher Lebenskunst.<br />

Ulrike Ottinger<br />

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Ulrike Ottinger<br />

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PRATER<br />

Anders als die meisten Filmemacherinnen, die in den<br />

1970er Jahren begannen, ihre Anerkennung im männlich<br />

dominierten Neuen deutschen Film zu reklamieren,<br />

setzte sich Ulrike Ottinger konsequent vom autobiografisch<br />

gefärbten Kino des feministischen Diskurses ab.<br />

Konsequent löste sie das Narrativ des Identifikations -<br />

kinos auf und gewann mit ihrer Bildsprache früh große<br />

Aufmerksamkeit im internationalen Festival- und Kunstkontext.<br />

Ulrike Ottinger, die mit zahlreichen internationalen<br />

Preisen ausgezeichnet wurde, steht für ein kinematographisches<br />

Universum, in dem hermetisch schö -<br />

ne Frauen in Matrosinnen, Piratinnen, Amazoninnen<br />

und weibliche Dandies verwandelt sind und Oscar<br />

Wildes Dorian Gray und Virginia Woolfs Orlando als<br />

cineastische Schaubilder der Gender-Transgression<br />

wie derkehren. Mit Darstellerinnen wie der Underground-<br />

Ikone Magdalena Montezuma, dem Nouvelle-Vague-<br />

Star Delphine Seyrig und dem Zeitgeist-Model Ve -<br />

ruschka von Lehndorff schuf sie Chiffren einer eigentümlich<br />

diesseitigen Absolutheit. Eine statuarische<br />

Aura umgibt ihre Frauenbilder, in großen Tableaus und<br />

Landschaftspanoramen entgrenzen sich die Bildräume<br />

ihrer Filme. Gleich ob in BILDNIS EINER TRINKERIN eine<br />

elegante Nacht-Diva auf eine enthemmte Alkoholikerin<br />

trifft oder in ihrem jüngsten Film-Essay UNTER SCHNEE<br />

(2011) die freundlichen Geister des japanischen Kabuki-Theaters<br />

durch eine wundersam verschneite japa-<br />

nische Bergregion driften, Ulrike Ottingers Filme spielen<br />

mit dem Staunen und der Lust am stilvollen Zusammenprall<br />

des Inkompatiblen. Claudia Lenssen<br />

BILDNIS EINER TRINKERIN – BRD 1979 – R+B+K: Ulrike<br />

Ottinger – M: Peer Raben – D: Tabea Blumenschein,<br />

Christine Lutze, Magdalena Montezuma, Nina<br />

Hagen, Kurt Raab, Monika von Cube – 107 min – Ein<br />

altes Hotel am Berliner Kurfürstendamm wird zum morbide<br />

dekorativen Rückzugsort für zwei rebellische Trinkerinnen.<br />

Die schöne stumme Wiedergängerin weib -<br />

licher Ikonen à la Medea, Beatrice, Aspasia, ein Überweib<br />

großer Hollywood-Gestik und ihre vom Alkohol<br />

gezeichnete obdachlose Gefährtin entgleiten dem kontrollierten<br />

Rausch.<br />

▶ Freitag, 7. September 2012, 18.30 Uhr<br />

FREAK ORLANDO – BRD 1981 – R+B+K: Ulrike Ottinger<br />

– M: Wilhelm Dieter Siebert – D: Magdalena Montezuma,<br />

Delphine Seyrig, Albert Heins, Galli Müller,<br />

Eddie Constantine, Claudio Pantoja – 126 min – Ein<br />

»Kleines Welttheater«, ein szenisches Schauderkabinett<br />

der monströsen Geschichte der Zivilisation, in der<br />

»Freaks« dem Wahnsinn und der Grausamkeit aus -<br />

gesetzt waren. Fünf Episoden surrealer Visualisierung<br />

der Dialektik von Norm und Abweichung.<br />

▶ Samstag, 8. September 2012, 18.30 Uhr


DORIAN GRAY IM SPIEGEL DER BOULEVARD-<br />

PRESSE – BRD 1984 – R+B+K: Ulrike Ottinger – M:<br />

Peer Raben – D: Veruschka von Lehndorff, Delphine<br />

Seyrig, Tabea Blumenschein, Irm Hermann, Magdalena<br />

Montezuma, Toyo Tanaka – 152 min – Veruschka von<br />

Lehndorff als weiblicher Dr. Mabuse, die Virginia<br />

Woolfs Gender-Mutanten Dorian Gray neu erfindet,<br />

sich am Ende jedoch »mit der Phantasmagorie der vollkommenen<br />

Herrschaft über ihr Medienprodukt« betrügt.<br />

»Eine Gefangene des eigenen Wahns, ein Opfer<br />

technisch angezettelter Gefühle.« (Karsten Witte)<br />

▶ Sonntag, 9. September 2012, 18.00 Uhr<br />

PRATER – Österreich 2007 – R+B+K: Ulrike Ottinger –<br />

Mit Veruschka von Lehndorff, Peter Fitz, Elfriede Jelinek,<br />

Robert Kaldy-Karo – 107 min – Eine liebevolle<br />

Spurensuche nach den Schau-Kabinetten, Geisterbahnen<br />

und Grusel-Figurinen auf dem Prater-Gelände in<br />

Wien. »Das Faszinierende an diesem Ort ist, wie Geschichte,<br />

eigentlich die Kulturgeschichte der Vergnügungen,<br />

quer zu Ständen, sozialen Schichten, Zeitgeist,<br />

Moden, technischen Entwicklungen und Erfindungen,<br />

in frappierender Weise sichtbar wird.« (Ulrike Ottinger)<br />

▶ Freitag, 14. September 2012, 18.30 Uhr<br />

DIE KOREANISCHE HOCHZEITSTRUHE – Deutschland<br />

2009 – R+B: Ulrike Ottinger – K: Ulrike Ottinger, Lee<br />

Sunyoung – M: Kim Youngdong, Kim Soyoung – Mit<br />

Kim Keum-Hwa, Boseong, Kim Minja, Ahn Baekseung,<br />

Yun Minkyung – 82 min – Nach koreanischer Tradition<br />

erhält ein Brautpaar eine »nach alten Regeln sorgfältig<br />

gepackte, verpackte und verschnürte Holztruhe« (Ottinger).<br />

Der in Seoul entstandene Film-Essay folgt im Gestus<br />

einer Märchenerzählung den alten und neuen Ritualen<br />

koreanischer Hochzeitsfeierlichkeiten.<br />

▶ Samstag, 15. September 2012, 18.30 Uhr<br />

UNTER SCHNEE – Deutschland 2011 – R+B+K: Ulrike<br />

Ottinger – M: Yumiko Tanaka – Mit Takamasa Fujima,<br />

Kiyotsugu Fujima, Yumiko Tanaka, Yoko Tawada, Hiroomi<br />

Fukuzawa, Akemi Takanami – 108 min – In der<br />

japanischen Bergregion Echigo liegt oft bis in den Mai<br />

hinein hoher Schnee. Der Film schildert die Poesie der<br />

Feste, religiösen Rituale und erlesenen Speisenzubereitungen<br />

der Alltagskultur, die für die Menschen der Region<br />

charakteristisch ist. Zwei Kabuki-Darsteller folgen<br />

den Spuren des japanischen Autors Bokushi Suzuki in<br />

Episoden seines Märchens »Schneeland Symphonie«.<br />

▶ Sonntag, 16. September 2012, 18.30 Uhr<br />

Die Filmvorführungen stehen in Zusammenhang mit einer<br />

Ausstellung in der Sammlung Goetz zu Ulrike Ottingers 70. Geburtstag,<br />

in deren Mittelpunkt bis zum 6. Oktober 2012 ihre<br />

Installation FLOATING FOOD zu sehen ist.<br />

UNTER SCHNEE<br />

Ulrike Ottinger<br />

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Martin Scorsese<br />

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Martin Scorsese zum 70. Geburtstag<br />

Das Kino als Schmelztiegel<br />

Kein anderer Regisseur scheint derart von der Frei -<br />

gebigkeit des Kinos überzeugt wie Martin Scorsese.<br />

Die Filmgeschichte birgt für ihn Reichtümer, an denen<br />

er sich ausgiebig bedienen kann. Seine prunkende<br />

Ciné philie ist Ernte und Saat zugleich. Er versteht es<br />

wie kein zweiter Überlebender der ruhmreichen Epoche<br />

des New Hollywood, das neu zu erfinden, was er an seinen<br />

Vorbildern bewunderte und das Gelungene noch zu<br />

überbieten. Andere Filmemacher würden gewiss haushälterischer<br />

mit ihren Erzählideen umgehen und sie auf<br />

zwei, drei Filme verteilen. Er hingegen kann verschwen -<br />

derisch sein, denn die Quellen seiner Inspiration werden<br />

nicht so schnell versiegen. Wie viel Disziplin es ihn<br />

kostet, im Schneideraum Entscheidungen zu treffen,<br />

wird nur seine treue Cutterin Thelma Schoonmaker ermessen<br />

können.<br />

Womöglich kann er sich deshalb so gut in die Erlebniswelt<br />

von Gangstern einfühlen, die sich ihrerseits der<br />

Verfügbarkeit der Welt gewiss sind. Er nähert sich<br />

ihnen mit dem Blick eines skeptischen Eingeweihten. In<br />

langen, subjektiven Plansequenzen demonstriert er in<br />

MEAN STREETS und GOODFELLAS, wie sich seine jungen<br />

Protagonisten als Fürsten durch ihr Milieu bewe-<br />

gen, sich im Zentrum eines dichten Netzes aus Er -<br />

gebenheit und Loyalität wähnen. Wie im Rausch flanieren<br />

sie durch eine Welt, die ihnen als ein einziges, verlockend<br />

drapiertes Auslagenfenster erscheint.<br />

Ein gelehriger Meister<br />

Längst ist jeder neue Film von Martin Scorsese ein<br />

Ereignis; nicht nur in den Augen von eingeschworenen<br />

Bewunderern, sondern mittlerweile auch in den Bilanzen<br />

der Studios, für die er arbeitet. Er gilt vielen als der<br />

bedeutendste amerikanische Filmemacher seiner Generation.<br />

Sein Name steht für das große Publikum nicht<br />

mehr im Schatten seiner Hauptdarsteller, denen er in<br />

serieller Monogamie treu geblieben ist – anfangs<br />

Harvey Keitel, dann Robert De Niro und nun Leonardo<br />

DiCaprio –, er ist vielmehr zu einem Markenzeichen<br />

von großer eigener Strahlkraft geworden. Die unerschöpfliche<br />

Virtuosität seines Regiestils fasziniert<br />

selbst die strengsten Kritiker. Er hat jeden Aspekt seines<br />

Mediums reflektiert und beherrscht ihn. Es gibt<br />

keine Szene in seinem Werk, die er nicht durch ungekannte<br />

Kameraperspektiven und Rhythmen dynamisiert<br />

hätte. In seinen Filmen formiert sich der Blick auf das<br />

Vertraute neu.<br />

Martin Scorsese und Michael Ballhaus bei den Dreharbeiten zu THE DEPARTED


Sein Kino schillert zwischen Tradition und Innovation.<br />

Es folgt einer persönlichen Vorstellung von Fortschritt<br />

und Bewahren. Er hat von den Besten gelernt und weiß,<br />

was er ihnen schuldig ist. In zwei großen Dokumentarfilmen<br />

erweist er seinen Vorbildern im amerikanischen<br />

und italienischen Kino seine Reverenz. Elia Kazan hat<br />

er eine Hommage gewidmet. Mit seiner Film Foundation<br />

bemüht er sich um die Restaurierung von Klassikern<br />

des Weltkinos.<br />

Die Filmgeschichte hat unverkennbare, verblüffende<br />

Spuren in seinem Werk hinterlassen. Es wird von dem<br />

ästhetischen Schock heimgesucht, den ihm die vagabundierende<br />

visuelle Phantasie eines Michael Powell in<br />

jungen Jahren bescherte. Bei GOODFELLAS hat er sich<br />

am Übermut der nouvelle vague inspiriert, an Truffauts<br />

JULES ET JIM und den launigen Regelbrüchen Godards.<br />

Referenzpunkte der Kampfszenen in GANGS OF<br />

NEW YORK sind das sowjetische Montagekino von Dovschenko,<br />

Eisenstein und Pudovkin sowie Orson Welles’<br />

Shakespeare-Adaption CHIMES AT MIDNIGHT. Das<br />

Drehbuchmotiv des Helden, der sich in eine Gangsterbande<br />

einschleicht (und daraufhin in einen Gewissensund<br />

Loyalitätskonflikt gerät), ist an Sam Fullers UNDER-<br />

WORLD, USA angelehnt. Die chinesische Pagode, in<br />

der einige Schlüsselszenen von GANGS OF NEW YORK<br />

spielen, ist dem Dekor nachempfunden, das Boris<br />

Leven (sein Szenenbildner bei NEW YORK, NEW YORK)<br />

für Sternbergs THE SHANGHAI GESTURE entwarf. In<br />

THE DEPARTED zitiert er versteckt Carol Reeds THE<br />

THIRD MAN, John Fords THE INFORMER und Howard<br />

Hawks’ SCARFACE.<br />

Derlei cinephile Verweise sind kein bloßer Selbstzweck,<br />

sondern entspringen einer biographischen Bringschuld.<br />

Das Kino war für ihn von Kindesbeinen an ein Instrument<br />

der Weltteilhabe und später eines, um sich über<br />

die eigenen Wurzeln Rechenschaft abzulegen. Es wird<br />

kein Zufall gewesen sein, dass Scorsese parallel zu<br />

den Vorbereitungen für GANGS OF NEW YORK an seinem<br />

Dokumentarfilm über das italienische Nachkriegskino<br />

arbeitete, IL MIO VIAGGIO IN ITALIA. Er ist gewissermaßen<br />

die epische Fortsetzung von ITALIANAMERI-<br />

CAN, der Dokumentation, die er 1974 über seine Eltern<br />

gedreht hat. In den Erinnerungen an seine Kindheit verdichtet<br />

sich das Bild von Little Italy als einer nahezu autarken,<br />

in sich geschlossenen Gemeinschaft. Das Kino<br />

war dort ein Medium der Heimatverbundenheit. Seine<br />

Großeltern, die 1910 aus Sizilien kamen, hatten keinerlei<br />

Bezug zur ihrer neuen Heimat. Ihre Kinder gingen<br />

morgens zur Arbeit »in eine andere Welt« (Scorsese);<br />

ihre Straße, die Elizabeth Street, »war Sizilien, jedes<br />

Haus ein anderes Dorf«. Ihr Enkel wuchs noch in einer<br />

selbstverständlich hermetischen Umgebung auf (er betrat<br />

angeblich zum ersten Mal die West Side, als er anfing,<br />

an der New York University in Greenwich Village zu<br />

studieren). Nicht von ungefähr ist eine der dichtesten<br />

Passagen der Dokumentation Fellinis I VITELLONI gewidmet,<br />

der als direkte Inspiration für MEAN STREETS<br />

kenntlich wird. Das Viertel, das gerade einmal zehn<br />

Blocks umfasst, ist ein Bollwerk gegen die bedrängende<br />

Unübersichtlichkeit der Großstadt, aber es<br />

schürt zugleich Träume von Flucht und Aufstieg.<br />

So wie in seinen frühen Filmen hatte man das Milieu<br />

der italienischen Einwanderer im US-Kino noch nicht<br />

gesehen. In MEAN STREETS besitzen die hergebrachten<br />

Rituale von Gewalt und Familiensinn noch umfassende,<br />

unwidersprochene Macht. Scorseses Blick auf<br />

seinen Helden ist voller Empathie, aber ohne Komplizenschaft.<br />

Der Mafioso Charlie ist zerrissen zwischen<br />

maskuliner Loyalität, einer beklemmend paranoiden<br />

Sexualmoral, zwischen dem Katholizismus und der<br />

Klassenzugehörigkeit. Erlösung glaubt er nur durch<br />

Schmerz und Gewalt zu erlangen. »Man büßt für seine<br />

Sünden nicht in der Kirche,« sagt er, »sondern auf der<br />

Straße.« Angesichts der Brutalität und Ausweglosigkeit<br />

und der heillosen Fiebrigkeit seiner Protagonisten, die<br />

in Scorseses filmischen Rekonstruktionen seiner Heimat<br />

herrscht, überrascht der Eindruck von Geborgenheit,<br />

den die Dokumentation erweckt. Scorsese erweist<br />

sich in IL MIO VIAGGIO IN ITALIA als wehmütiger Archäologe<br />

einer Welt, die längst verschwunden ist (nicht<br />

zuletzt dank der Emsigkeit ihrer asiatischen Nachbarn:<br />

Chinatown hat Little Italy heute fast gänzlich verschlungen).<br />

Es ist mithin auch das Dokument eines uramerikanischen<br />

Impulses, der Stammeszugehörigkeit. Eigentlich<br />

darf es nicht verwundern, dass einige der Lieblingsfilme<br />

dieses urbansten aller US-Regisseure Western<br />

sind.<br />

TAXI DRIVER: Robert De Niro und Martin Scorsese<br />

Martin Scorsese<br />

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Martin Scorsese<br />

20<br />

Emphatische Eroberung<br />

Als Kind war er jedes Mal verblüfft, wenn er im Abspann<br />

eines Films über seine Heimatstadt las: »Made<br />

in Hollywood, USA«. Zwar hat auch er in NEW YORK,<br />

NEW YORK einmal eine in den Westküstenstudios entstandene,<br />

stilisierte Technicolor-Vision der Metropole<br />

entworfen. Aber vor allem hat er dem Kino ihre Realschauplätze<br />

als Terrain erobert. Sein Bild von New York<br />

ist in der atmosphärischen Erfahrung der Zerrissenheit,<br />

Fragmentierung, des Heterogenen grundiert. Scorseses<br />

filmisches New York besteht dementsprechend aus<br />

streng voneinander geschiedenen Sphären. So ist die<br />

Mobilität der Protagonisten von TAXI DRIVER und BRIN-<br />

GING OUT THE DEAD nur eine berufsbedingte, keine<br />

soziale. Getrieben von den Dämonen der Einsamkeit<br />

und dem Wunsch nach Erlösung bleiben sie allenthalben<br />

isoliert. In TAXI DRIVER erscheint die Stadt als ein<br />

Pandämonium aus Dunkelheit, Schmutz und Gewalt<br />

(es war ein Glücksfall für das Filmteam, dass während<br />

der Dreharbeiten gerade die Müllabfuhr streikte). Diese<br />

Verworfenheit ist schillernd, wie der Taxifahrer Travis<br />

Bickle gleichermaßen mit Abscheu und Faszination diagnostiziert.<br />

Sie ist sein unwirtliches Lebenselement,<br />

er scheut auch jene verrufenen Ecken nicht, um die<br />

seine Kollegen einen großen Bogen machen, fährt<br />

seine Gäste nach Harlem, zum Times Square oder ins<br />

East Village.<br />

Visuell vollzieht Scorsese die Isolation seines Protagonisten,<br />

indem er ihn aus seiner Umgebung loslöst,<br />

Rauchschwaden schieben sich dazwischen, der Regen<br />

lässt die Fassaden verschwimmen, durch Unschärfe<br />

und Zeitlupe setzt er das Taxi und seinen Fahrer vom<br />

Hintergrund ab. Es ist kein realistischer, sondern ein<br />

paranoider Blick, den Scorsese und sein Drehbuchautor<br />

Paul Schrader auf die Stadt richten: Als wollten sie<br />

die schummrigen Bilderwelten des film noir in die Gegenwart<br />

hinüber retten. Auch BRINGING OUT THE<br />

DEAD ist von der subjektiven Perspektive des Helden<br />

geprägt, auch hier erscheint die Stadtlandschaft wie<br />

eine Halluzination. Die Feindseligkeit der Außenwelt<br />

macht Scorsese jedoch in einer divergierenden visuellen<br />

Strategie kenntlich: als Eindringen in das Gesichtsfeld<br />

des manisch-depressiven Rettungssanitäters.<br />

Jede Beobachtung, jeder Lichteinfall wirkt wie eine Aggression.<br />

Die Freizügigkeit, die Zirkulation innerhalb<br />

der Großstadt sind bei Scorsese stets gefahrvoll und<br />

schuldbesetzt, wie auch der Abstecher des Programmierers<br />

aus Uptown nach SoHo in AFTER HOURS illustriert.<br />

Er kommt gewissermaßen als Tourist aus einem<br />

anderen Manhattan. Selbst auf dem Erzählterrain einer<br />

schwarzen Komödie herrscht Paranoia. Dunkle, verlas-<br />

sene Straßen werden zur Bühne verstörender, schicksalhafter<br />

Begegnungen, die Etappen der nächtlichen<br />

Odyssee (eine Bar, ein Loft, ein Nachtclub) scheinen<br />

alle auf rätselhafte Weise miteinander verbunden.<br />

Spätestens mit THE AGE OF INNOCENCE verändert und<br />

erweitert sich sein Blick auf die Stadt. Die magistrale<br />

Edith-Wharton-Verfilmung ist ebenfalls die Chronik<br />

einer exklusiven, in sich geschlossenen Gesellschaft.<br />

Sie trägt sich im Wesentlichen in Interieurs zu, die Scorsese<br />

mit »anthropologischer Neugierde« erkundet und<br />

einem Zartgefühl und Raffinement, das an Ophüls und<br />

Visconti erinnert. Whartons New Yorker Aristokratie ist<br />

im engmaschigen Netz der Verwandtschaftsbeziehungen<br />

und gesellschaftlichen Konventionen gefangen.<br />

Die Vertreter dieser Schicht beziehen ihre Selbstgewissheit<br />

aus ihrer angestammten Umgebung und mondänen<br />

Ritualen, die freilich noch aus der alten Welt<br />

stammen. In GANGS OF NEW YORK wird er noch tiefer<br />

nach den europäischen Wurzeln des Schmelztiegels<br />

Amerika schürfen. Seither hat er zwar nicht endgültig<br />

mit New York abgeschlossen, aber sein Kino strebt anderen<br />

Horizonten entgegen.<br />

Verwurzelte Weltoffenheit<br />

Scorseses Filmografie, das wird mit den Jahren immer<br />

deutlicher, gewinnt Struktur und Schlüssigkeit aus dem<br />

Zusammenspiel von Komplementärfilmen: Man denke<br />

an TAXI DRIVER und BRINGING OUT THE DEAD, GOOD-<br />

FELLAS und CASINO, THE LAST TEMPTATION OF<br />

CHRIST und KUNDUN, RAGING BULL und spätere Biopics<br />

wie THE AVIATOR. In dem Maße, in dem er neue<br />

Schauplätze (Las Vegas in CASINO und THE AVIATOR,<br />

Tibet in KUNDUN, Boston in THE DEPARTED und SHUT-<br />

TER ISLAND, schließlich Paris in HUGO CABRET) in den<br />

Blick nimmt, ist auch Scorseses Kino unvorhersehbarer<br />

geworden. Mit letzterem etwa hat er seinen ersten Kinderfilm<br />

gedreht, ein Plädoyer für Schaulust und Neugierde,<br />

bei dem er zugleich dem 3D-Kino den Ritterschlag<br />

verliehen hat, das er staunenswert phantasievoll<br />

einsetzt.<br />

Aber unberechenbar war er vielleicht schon immer. Mit<br />

ALICE DOESN’T LIVE HERE ANYMORE scherte er immerhin<br />

bereits 1974 erstmals aus dem maskulinen Universum<br />

seiner frühen Filme aus. Die Unvorhersehbarkeit<br />

ist freilich auch der Kern seines Schaffensprozesses.<br />

Es ist bekannt, dass ein Großteil seiner Regiearbeit<br />

im Schneideraum stattfindet. Es ist beinahe so, als<br />

würde dort, im Ringen um Narration und Abschweifung,<br />

der Film zum zweiten Mal entstehen. Die filmische Realität<br />

von Raum und Zeit wird aus dem Drehmaterial neu<br />

hergestellt. Durch den Soundtrack (auch das ein


Schmelztiegel heterogener Quellen – Popsongs stehen<br />

hier gleichberechtigt neben klassischen Werken wie<br />

»Le Sacre du Printemps« oder Bachs »Matthäuspassion«)<br />

fügt er seinen Filmen eine weitere entscheidende<br />

Dimension hinzu. Selbst seine engsten Mitarbeiter<br />

sind in der Regel verblüfft, das Endergebnis zu<br />

sehen: Sein Kameramann Michael Ballhaus erzählte<br />

einmal, bei der Premiere von GOODFELLAS habe er<br />

vollkommen vergessen, dass er den Film gedreht hatte.<br />

Gerhard Midding<br />

WHO’S THAT KNOCKING AT MY DOOR (WER<br />

KLOPFT DENN DA AN MEINE TÜR?) – USA 1968 –<br />

R+B: Martin Scorsese – K: Richard H. Coll, Michael<br />

Wadleigh – D: Harvey Keitel, Zina Bethune, Lennard<br />

Kuras, Michael Scarla, Harry Northup – 90 min, OmU –<br />

Ein junger New Yorker aus einer italienischen Familie<br />

möchte seine Freundin gerne heiraten, doch er kann<br />

nicht mit der Tatsache umgehen, dass sie einmal Opfer<br />

sexueller Gewalt war. WHO’S THAT KNOCKING AT MY<br />

DOOR wurde über Jahre hinweg gedreht und lief in unterschiedlichen<br />

Versionen unter diversen Titeln. Den<br />

Anfang nahm das Projekt als Studentenkurzfilm, auf<br />

Drängen eines Verleihers drehte Scorsese später (dezente)<br />

Sexszenen, um die Vermarktung zu erleichtern.<br />

▶ Freitag, 7. September 2012, 21.00 Uhr ▶▶ Dienstag,<br />

11. September 2012, 18.30 Uhr<br />

BOXCAR BERTHA (DIE FAUST DER REBELLEN) –<br />

USA 1972 – R: Martin Scorsese – B: Joyce Hooper Corrington,<br />

John William Corrington, nach dem Roman<br />

»Sisters of the Road« von Ben L. Reitman – K: John M.<br />

Stephens – M: Herb Cohen – D: Barbara Hershey,<br />

David Carradine, Barry Primus, Bernie Casey, John Carradine,<br />

Harry Northup – 88 min, OmU – Die Bauerntochter<br />

Bertha verliert in der Weltwirtschaftskrise der<br />

1930er Jahre ihr Zuhause und beginnt ein Leben am<br />

Schienenstrang. Sie schließt sich dem Gewerkschaftskampf<br />

der Gleisarbeiter an, der bald zum blutigen Widerstand<br />

wird. »Ein Partisanenfilm, aggressiv und zynisch.<br />

Nicht umsonst entwirft Scorsese für die Bewegungen<br />

seiner Helden keine wirkliche Zielrichtung. Die<br />

Balladenform kommt dieser Intention entgegen.«<br />

(Hans-Günther Pflaum)<br />

▶ Samstag, 8. September 2012, 21.00 Uhr<br />

MEAN STREETS (HEXENKESSEL) – USA 1973 – R:<br />

Martin Scorsese – B: Martin Scorsese, Mardik Martin –<br />

K: Kent Wakeford – D: Robert De Niro, Harvey Keitel,<br />

David Proval, Amy Robinson, Richard Romanus –<br />

112 min, OmU – Freundschaft, Loyalität, Verrat, Gewalt<br />

und Schuld unter Kleinganoven in den 1960er Jahren<br />

im Little Italy New Yorks – ein period picture. Virtuos<br />

verwendet Scorsese bereits hier kühne Kamera -<br />

bewegungen, überwältigende Musik und intensive<br />

Harvey Keitel und Zina Bethune in WHO’S THAT KNOCKING AT MY DOOR<br />

Martin Scorsese<br />

21


Martin Scorsese<br />

22<br />

Farbeffekte. Scorsese sagte, er habe das Rot so eingesetzt<br />

wie sein Idol Michael Powell in THE RED SHOES;<br />

da traf es ihn umso schwerer, dass Powell den Film<br />

nicht mochte. Mit MEAN STREETS wurden Scorsese,<br />

De Niro und Keitel schlagartig weltbekannt.<br />

▶ Sonntag, 9. September 2012, 21.00 Uhr ▶▶ Mittwoch,<br />

12. September 2012, 18.30 Uhr<br />

WHAT’S A NICE GIRL LIKE YOU DOING IN A PLACE<br />

LIKE THIS? – USA 1963 – R+B: Martin Scorsese – K:<br />

James Newman – M: Richard H. Coll – D: Zeph Michaelis,<br />

Mimi Stark, Sarah Braveman, Fred Sica, Martin<br />

Scorsese – 9 min, OF – Ein blockierter Schriftsteller<br />

entwickelt eine Obsession für ein Gemälde. – IT’S NOT<br />

JUST YOU, MURRAY! – USA 1964 – R: Martin Scorsese<br />

– B: Martin Scorsese, Mardik Martin – K+M: Richard<br />

H. Coll – D: Ira Rubin, Sam DeFazio, Andrea Martin,<br />

Catherine Scorsese – 15 min, OF – Ein Gangster<br />

blickt zurück auf seine Karriere und seinen vermeintlich<br />

besten Freund. – THE BIG SHAVE – USA 1967 – R+B:<br />

Martin Scorsese – K: Ares Demertzis – M: Peter Bernuth<br />

– 5 min, OF – »Eigentlich wuchs der Film aus meinen<br />

Gefühlen über Vietnam. Gemeint war er als wütender<br />

Aufschrei gegen den Krieg.« (Martin Scorsese) –<br />

ITALIANAMERICAN – USA 1974 – R: Martin Scorsese<br />

– B: Mardik Martin, Larry Cohen – Mit Catherine Scorsese,<br />

Charles Scorsese, Martin Scorsese – 49 min, OF<br />

– Scorseses Eltern sprechen von ihren Erfahrungen und<br />

Ansichten – und nebenbei erfahren wir ein hervor -<br />

ragendes Kochrezept. – AMERICAN BOY: A PROFILE<br />

OF STEVEN PRINCE – USA 1978 – R: Martin Scorsese<br />

– B: Mardik Martin, Julia Cameron – K: Michael Chapman<br />

– Mit Steven Prince, Martin Scorsese, Mardik Martin,<br />

Julia Cameron – 54 min, OF – Stephen Prince, der<br />

in TAXI DRIVER den Waffenhändler spielte, erzählt haarsträubende<br />

Begebenheiten aus seinem Leben.<br />

▶ Freitag, 14. September 2012, 21.00 Uhr<br />

ALICE DOESN’T LIVE HERE ANYMORE (ALICE LEBT<br />

HIER NICHT MEHR) – USA 1974 – R: Martin Scorsese<br />

– B: Robert Getchell – K: Kent L. Wakeford – M: Richard<br />

LaSalle – D: Ellen Burstyn, Kris Kristofferson,<br />

Diane Ladd, Jodie Foster, Harvey Keitel – 112 min, OF<br />

– Als Alice Hyatts Mann durch einen Unfall ums Leben<br />

kommt, hofft sie ihre frühere Gesangskarriere wieder<br />

aufnehmen zu können. Der Weg mit ihrem Sohn in ein<br />

neues Leben ist schwer und desillusionierend. Treibende<br />

Kraft hinter diesem Film war Hauptdarstellerin<br />

Ellen Burstyn, die stark in der Frauenbewegung engagiert<br />

war: »Ich rief Francis Coppola an und fragte ihn<br />

nach jungen, aufregenden Filmemachern. Er sagte, ich<br />

solle mir MEAN STREETS ansehen, der damals noch<br />

nicht herausgekommen war. Genau sowas suchten wir,<br />

denn unser Drehbuch war sehr gut geschrieben, aber<br />

ein bisschen zu glatt. Ich wollte was Rauheres.«<br />

▶ Samstag, 15. September 2012, 21.00 Uhr ▶▶ Dienstag,<br />

18. September 2012, 18.30 Uhr<br />

TAXI DRIVER – USA 1976 – R: Martin Scorsese – B:<br />

Paul Schrader – K: Michael Chapman – M: Bernard<br />

Herrmann – D: Robert De Niro, Cybill Shepherd, Albert<br />

Brooks, Harvey Keitel, Jodie Foster, Peter Boyle, Martin<br />

Scorsese – 110 min, OmU – Travis Bickle, 26 Jahre alt,<br />

Vietnamveteran, fährt nachts in New York Taxi. Vom<br />

Elend und der Gewalt rund um ihn zugleich angewidert<br />

und angezogen, entwickelt er Erlöserphantasien. Paul<br />

Schrader fuhr selber Taxi, als er das Drehbuch verfasste,<br />

er wohnte in seinem Auto. Für ihn war die Verarbeitung<br />

seiner Situation die Rettung. Die brillante<br />

Filmmusik mit ihrer schizoiden Gespaltenheit zwischen<br />

zwei Musikstilen war der letzte Score, den der einzig -<br />

artige Bernard Herrmann einspielte: Er starb in der<br />

Nacht nach der letzten Session.<br />

▶ Sonntag, 16. September 2012, 21.00 Uhr ▶▶ Mittwoch,<br />

19. September 2012, 18.30 Uhr<br />

NEW YORK, NEW YORK – USA 1976 – R: Martin Scorsese<br />

– B: Earl Mac Rauch, Mardik Martin – K: Laszlo<br />

Kovacs – M: Ralph Burns – D: Liza Minnelli, Robert De<br />

Niro, Lionel Stander, Barry Primus, Mary Kay Place,<br />

Georgie Auld – 163 min, OF – 1945 tun sich der Saxophonist<br />

Jimmy und die Sängerin Francine zusammen<br />

und bauen eine gemeinsame Big-Band-Karriere auf.<br />

Als Francines Weg nach Hollywood führt, hat der drogensüchtige<br />

Jimmy Angst, abgehängt zu werden. Scorsese<br />

schuf in enger Zusammenarbeit mit den<br />

Architekten, Ausstattern und Kostümbildnern ein modernes<br />

Hollywood-Musical über die Big-Band-Ära der<br />

1950er Jahre. Sein Kameramann Laszlo Kovacs vollbrachte<br />

das Kunststück, den klassischen Technicolor-<br />

Look wiederauferstehen zu lassen.<br />

▶ Freitag, 21. September 2012, 21.00 Uhr ▶▶ Dienstag,<br />

25. September 2012, 19.00 Uhr<br />

THE LAST WALTZ (THE BAND) – USA 1978 – R+B:<br />

Martin Scorsese – K: Michael Chapman, Laszlo Kovacs,<br />

Vilmos Zsigmond, David Myers, Bobby Byrne, Michael<br />

Watkins, Hiro Narita – Mit Robbie Robertson, Rick<br />

Danko, Levon Helm, Garth Hudson, Richard Manuel,<br />

Bob Dylan, Joni Mitchell, Neil Diamond, Emmylou Harris,<br />

Neil Young, Van Morrison, Eric Clapton, Ringo Starr,<br />

Martin Scorsese – 117 min, OF – Das monumentale


Jerry Lewis und Robert De Niro in THE KING OF COMEDY<br />

Abschiedskonzert der kanadischen Formation The<br />

Band brachte eine unglaubliche Zahl von Musikstars<br />

als »Gastmusiker« auf die Bühne. Scorsese verdichtete<br />

die fünf Stunden des Konzerts auf knapp zwei Stunden<br />

und schuf einen Meilenstein des Konzertfilms. Gespräche<br />

mit den Musikern vermitteln die Geschichte von<br />

The Band.<br />

▶ Samstag, 22. September 2012, 21.00 Uhr<br />

RAGING BULL (WIE EIN WILDER STIER) – USA 1980<br />

– R: Martin Scorsese – B: Paul Schrader, Mardik Martin,<br />

nach der Autobiographie von Jake LaMotta – K:<br />

Michael Chapman – D: Robert De Niro, Cathy Moriarty,<br />

Joe Pesci, Frank Vincent, Nicholas Colasanto –<br />

129 min, OmU – Die Geschichte Jake LaMottas, des<br />

ehemaligen Boxweltmeisters im Mittelgewicht, ist<br />

weder eine faktentreue Biographie noch nur ein Film<br />

übers Boxen. RAGING BULL erzählt vielmehr von Ängsten<br />

– Angst vor Sex, Angst um die eigene bröckelige<br />

Identität –, die in Gewalt nach außen und innen münden,<br />

ohne je bewältigt zu werden, und von (auch religiös<br />

motivierten) Schuldgefühlen. Alle Schläge im Ring<br />

helfen da nicht, und erst als Jake eingesperrt wird, stellt<br />

er sich seinem wahren Feind – sich selber. Der radikal<br />

stilisierte Film wurde in brilliantem Schwarzweiß gedreht.<br />

▶ Sonntag, 23. September 2012, 21.00 Uhr ▶▶ Mittwoch,<br />

26. September 2012, 18.30 Uhr<br />

THE KING OF COMEDY – USA 1983 – R: Martin Scorsese<br />

– B: Paul D. Zimmerman – K: Fred Schuler – M:<br />

Robbie Robertson – D: Robert De Niro, Jerry Lewis,<br />

Sandra Bernhard, Diahnne Abbott, Ed Herlihy, Lou<br />

Brown – 109 min, OF – Rupert Pupkin ist von der<br />

Vorstellung einer eigenen Talkshow besessen. Er beschließt<br />

sein Idol, den Fernsehstar Jerry Langford, zu<br />

entführen und einen Fernsehauftritt zu erpressen. Ein<br />

Film voller umwerfender, schmerzhafter Komik, und<br />

doch keine Komödie, sondern eher eine Farce mit Trauerrand,<br />

die ein präzises Bild der Medienwelt zeichnet.<br />

▶ Freitag, 28. September 2012, 21.00 Uhr ▶▶ Dienstag,<br />

16. Oktober 2012, 18.30 Uhr<br />

AFTER HOURS (DIE ZEIT NACH MITTERNACHT) –<br />

USA 1985 – R: Martin Scorsese – B: Joseph Minion –<br />

K: Michael Ballhaus – M: Howard Shore – D: Griffin<br />

Dunne, Rosanna Arquette, Verna Bloom, Thomas<br />

Chong, Teri Garr – 97 min, OF – Beim Versuch, sich<br />

nachts auf eigene Faust in Manhattan durchzuschlagen,<br />

gerät Paul Hackett in haarsträubende Verstrickungen<br />

und irrwitzige Katastrophen. Michael Ballhaus’ entfesselte<br />

Kamera liefert die perfekten Bilder für Scorseses<br />

Groteske voll schwarzem, grimmigem Humor und<br />

absurder Komik. – MIRROR, MIRROR – USA 1985 –<br />

R: Martin Scorsese – B: Joseph Minion – K: Robert M.<br />

Stevens – M: Michael Kamen – D: Sam Waterston,<br />

Martin Scorsese<br />

23


Martin Scorsese<br />

24<br />

THE LAST TEMPTATION OF CHRIST<br />

Helen Shaver, Dick Cavett, Tim Robbins, Dana Gladstone<br />

– 24 min, OF – Episode aus Steven Spielbergs<br />

Fernsehserie AMAZING STORIES: Nachdem sich ein erfolgreicher<br />

Autor von Gruselromanen in einer Talkshow<br />

über seine eigene Zunft lustig gemacht hat, sieht er im<br />

Spiegel eine geheimnisvolle Gestalt, die ihn bedroht.<br />

▶ Samstag, 29. September 2012, 21.00 Uhr ▶▶ Mittwoch,<br />

17. Oktober 2012, 18.30 Uhr<br />

ROUND MIDNIGHT (UM MITTERNACHT) – USA 1986<br />

– R: Bertrand Tavernier – B: David Rayfiel, Bertrand<br />

Tavernier – K: Bruno de Keyzer – M: Herbie Hancock –<br />

D: Dexter Gordon, François Cluzet, Gabrielle Haker,<br />

Sandra Reaves-Phillips, Herbie Hancock, Martin Scorsese,<br />

Philippe Noiret – 133 min, OF – Die Jazzszene in<br />

New York und Paris in den 1950er Jahren. Im Blue<br />

Note tritt der alkoholkranke Tenorsaxophonist Dale Turner<br />

auf, der Züge von Lester Young und Bud Powell in<br />

sich vereint. Ein Fan versucht ihm dabei zu helfen, sich<br />

vom Trinken zu befreien. Als Scorsese mit seinem Produzenten<br />

Irwin Winkler für Vorbereitungen zu THE LAST<br />

TEMPTATION OF CHRIST in Paris war, trafen sich die<br />

beiden mit Tavernier zum Essen. »Das Ergebnis des<br />

Mittagessens war, dass Bertrand mich bat, in seinem<br />

Film mitzuspielen. Er sagte, wenn ich spreche, hört<br />

man sofort New York heraus. Das würde ihm eine Men -<br />

ge establishing shots ersparen.« (Mar tin Scorsese)<br />

▶ Sonntag, 30. September 2012, 21.00 Uhr<br />

BAD – USA 1987 – R: Martin Scorsese – B: Richard<br />

Price – K: Michael Chapman – D: Michael Jackson,<br />

Adam Nathan, Wesley Snipes, Paul Chalderon, Roberta<br />

Flack – 16 min, OF – Wer nur das Musikvideo zu Michael<br />

Jacksons BAD kennt, hat noch gar nichts gesehen:<br />

Der komplette Kurzfilm erzählt eine Geschichte<br />

von großen Hoffnungen und verlorenen Wurzeln, von<br />

Selbstachtung und street credibility. – THE COLOR OF<br />

MONEY (DIE FARBE DES GELDES) – USA 1986 – R:<br />

Martin Scorsese – B: Richard Price, nach dem Roman<br />

von Walter Tevis – K: Michael Ballhaus – M: Robbie Robertson<br />

– D: Paul Newman, Tom Cruise, Mary Elizabeth<br />

Mastrantonio, Helen Shaver, John Turturro –<br />

119 min, OF – Ein alternder Poolbillardspieler nimmt<br />

ein junges Talent unter seine Fittiche und vermittelt ihm<br />

die Psychologie des Spiels und die Kunst des Abzockens.<br />

Paul Newman brilliert in seiner Rolle und erhielt<br />

seinen einzigen Oscar als bester Darsteller, Michael<br />

Ballhaus lässt seine Kamera kreisen.<br />

▶ Sonntag, 14. Oktober 2012, 21.00 Uhr<br />

THE LAST TEMPTATION OF CHRIST (DIE LETZTE<br />

VERSUCHUNG CHRISTI) – USA 1988 – R: Martin Scorsese<br />

– B: Paul Schrader, nach dem Roman von Nikos<br />

Kazantzakis – K: Michael Ballhaus – M: Peter Gabriel –<br />

D: Willem Dafoe, Harvey Keitel, Paul Greco, Verna<br />

Bloom, Barbara Hershey, John Lurie – 163 min, OF –<br />

Der Schreiner Jesus ringt mit mystischen Visionen, mit<br />

Versuchungen und mit seinen Schuldgefühlen, da er<br />

für die Römer Kreuze zimmert. Als er selbst ans Kreuz<br />

geschlagen wird, träumt er davon, seinem Schicksal zu<br />

entgehen und ein ganz gewöhnliches Leben zu führen.<br />

Der Film löste heftige Proteste aus. Religiöse Funda-


mentalisten erhoben Vorwürfe von Blasphemie und Sakrileg,<br />

natürlich ohne den Film gesehen zu haben.<br />

▶ Freitag, 19. Oktober 2012, 21.00 Uhr<br />

NEW YORK STORIES (NEW YORKER GESCHICHTEN)<br />

– USA 1989 – R: Martin Scorsese, Francis Ford Coppola,<br />

Woody Allen – B: Richard Price, Francis Ford Coppola,<br />

Sofia Coppola, Woody Allen – K: Nestor Almendros,<br />

Vittorio Storaro, Sven Nykvist – D: Nick Nolte,<br />

Rosanna Arquette, Patrick O’Neal, Heather McComb,<br />

Giancarlo Giannini, Woody Allen, Mia Farrow – 124<br />

min, OF – Drei Vignetten: Scorseses LIFE LESSONS<br />

zeigt einen erfolgreichen Maler, der sich im Kunstbetrieb<br />

aufreibt und eine private Krise heraufbeschwört.<br />

In Coppolas LIFE WITHOUT ZOE bringt die 12jährige<br />

Tochter ihre zerstrittenen Eltern wieder zusammen. In<br />

Woody Allens OEDIPUS WRECKS fühlt sich der Klient<br />

eines Therapeuten von seiner Mutter tyrannisiert, die<br />

riesengroß im Himmel über New York erscheint.<br />

▶ Samstag, 9. November 2012, 21.00 Uhr<br />

GOODFELLAS – USA 1990 – R: Martin Scorsese – B:<br />

Nicholas Pileggi, Martin Scorsese, nach dem Roman<br />

»Wiseguy« von Nicholas Pileggi – K: Michael Ballhaus –<br />

D: Robert De Niro, Ray Liotta, Joe Pesci, Lorraine<br />

Bracco, Paul Sorvino, Frank Sivero, Catherine Scorsese<br />

– 146 min, OF – Die Lebenserinnerungen von Henry<br />

Hill, der von klein auf den Traum hatte, Karriere in der<br />

Mafia zu machen. Scorsese gelang eine weder romantisierende<br />

noch moralisierende Darstellung der Gangster.<br />

Er wusste sofort, wie der Film aussehen sollte:<br />

»GOODFELLAS sollte wie ein Revolverschuss beginnen<br />

und dann immer schneller werden, wie ein zweieinhalbstündiger<br />

Trailer. Nur so kann man den rauschhaften<br />

Lebensstil spüren und verstehen, warum er auf<br />

viele Leute so anziehend wirkt.«<br />

▶ Mittwoch, 7. November 2012, 19.00 Uhr (Zu Gast:<br />

Michael Ballhaus) ▶▶ Samstag, 10. November 2012,<br />

21.00 Uhr<br />

DREAMS (AKIRA KUROSAWAS TRÄUME) – Japan<br />

1990 – R+B: Akira Kurosawa – K: Takao Saitô, Shôji<br />

Ueda – M: Shinichirô Ikebe – D: Akira Terao, Misuko<br />

Baishô, Chishû Ryû, Martin Scorsese, Mieko Harada –<br />

119 min, OmeU – In acht »Träumen« lässt Kurosawa<br />

sein Alter Ego Stationen von der Kindheit bis ins hohe<br />

Alter besuchen. Angeblich dienten Kurosawa seine eigenen<br />

Träume als Vorbilder für die Episoden. Doch<br />

nicht nur deshalb ist dies wohl sein persönlichster Film.<br />

Hier wird die Besinnung auf seine in der Malerei liegenden<br />

Wurzeln offensichtlich: In der Episode »Die Krähen«<br />

streift sein Alter Ego durch eine Ausstellung mit Gemälden<br />

von Vincent van Gogh, steigt buchstäblich in eines<br />

der Bilder hinein und begegnet dem Künstler, der von<br />

Martin Scorsese gespielt wird.<br />

▶ Sonntag, 11. November 2012, 21.00 Uhr<br />

THE KEY TO RESERVA (DER SCHLÜSSEL ZU RE-<br />

SERVA) – USA 2007 – R: Martin Scorsese – B: Ted<br />

Griffin – K: Harris Savides – M: Bernard Herrmann – D:<br />

Simon Baker, Kelli O’Hara, Michael Stuhlbarg, Christopher<br />

Denham, Martin Scorsese – 10 min, OF – Scorsese<br />

verfilmt ein Drehbuchfragment »aus Alfred Hitchcocks<br />

Nachlass«. Ein ganz und gar im Stil des Meisters<br />

gehaltener Kurzfilm, der seine zweifelhafte Herkunft zugleich<br />

ironisch reflektiert. – CAPE FEAR (KAP DER<br />

ANGST) – USA 1991 – R: Martin Scorsese – B: Wesley<br />

Strick, nach dem Roman »The Executioners« von John<br />

D. MacDonald – K: Freddie Francis – M: Bernard Herrmann<br />

– D: Robert De Niro, Nick Nolte, Jessica Lange,<br />

Juliette Lewis, Robert Mitchum, Gregory Peck –<br />

128 min, OmU – Max Cady, aus dem Gefängnis entlassen,<br />

hat nur ein Ziel: Rache an seinem Anwalt Sam<br />

Bowden, dem er die Schuld an seiner Haftstrafe wegen<br />

Vergewaltigung gibt. Scorseses Remake eines Thrillers<br />

von 1962 adaptiert dieselbe Filmmusik und lässt die<br />

Hauptdarsteller des Originals in Nebenrollen auftreten.<br />

▶ Sonntag, 18. November 2012, 21.00 Uhr<br />

LOLA MONTEZ – BRD 1955 – R: Max Ophüls – B: Max<br />

Ophüls, Jacques Natanson, Annette Wademant, Franz<br />

Geiger – K: Christian Matras – M: Georges Auric – D:<br />

Martine Carol, Peter Ustinov, Adolf Wohlbrück, Oskar<br />

Werner, Henri Guisol, Lise Delamare – 116 min – Die<br />

Geschichte der legendären Tänzerin Lola Montez, die<br />

zur Mätresse Ludwigs I. aufsteigt, als große, farbenprächtige<br />

Zirkusschau. Michael Ballhaus durfte als<br />

Achtzehnjähriger in München bei den Dreharbeiten zu-<br />

Martin Scorsese<br />

25


Martin Scorsese<br />

26<br />

schauen: »Was ich schon alles geklaut habe von diesem<br />

Film – bis ins Detail! Es gibt Einstellungen in THE<br />

AGE OF INNOCENCE, die sich unmittelbar an LOLA<br />

MONTEZ orientieren. Wie Ophüls mit dem Format umgegangen<br />

ist, mal wirklich Breitwand und dann wieder<br />

fast quadratisch, das hat bis heute niemand mehr so<br />

raffiniert geschafft. Wir haben es in THE AGE OF INNO-<br />

CENCE wenigstens ansatzweise hingekriegt.«<br />

▶ Mittwoch, 21. November 2012, 18.30 Uhr (Zu Gast:<br />

Michael Ballhaus)<br />

THE AGE OF INNOCENCE (ZEIT DER UNSCHULD) –<br />

USA 1993 – R: Martin Scorsese – B: Jay Cocks, Martin<br />

Scorsese, nach dem Roman von Edith Wharton – K: Michael<br />

Ballhaus – M: Elmer Bernstein – D: Daniel Day-<br />

Lewis, Michelle Pfeiffer, Winona Ryder, Miriam Margolyes,<br />

Geraldine Chaplin, Richard E. Grant – 138 min,<br />

OF – Ein wohlhabender junger Anwalt im New York der<br />

1870er Jahre riskiert seine Karriere, als er eine Gräfin<br />

kennenlernt. Unter allen Filmen Scorseses zeigt dieser<br />

am deutlichsten Einflüsse von Visconti, Ophüls und<br />

Rossellini. Der visuelle Stil des Films in Ausstattung,<br />

Kostümen, Darstellung, Bildgestaltung ist lyrisch,<br />

schwebend, romantisch, hinreißend. Michael Ballhaus’<br />

Kamera ist unaufhörlich in Bewegung, die komplexe<br />

Choreographie der Darsteller wirkt völlig ungezwungen.<br />

▶ Mittwoch, 21. November 2012, 21.00 Uhr (Zu Gast: Mi -<br />

chael Ballhaus) ▶ Freitag, 23. November 2012, 21.00 Uhr<br />

CASINO – USA 1995 – R: Martin Scorsese – B: Nicholas<br />

Pileggi, Martin Scorsese – K: Robert Richardson –<br />

D: Robert De Niro, Sharon Stone, Joe Pesci, James<br />

Woods, Frank Vincent, Kevin Pollak – 178 min, OmU –<br />

Sam leitet in den 1970ern ein Casino in Las Vegas für<br />

die Mafia, sein alter Freund Nicky ist der Mann fürs<br />

Grobe. Ausgerechnet die drogensüchtige Prostituierte<br />

Ginger bringt das kleine Reich der beiden ins Wanken.<br />

»Scorsese kann die Vergangenheit vergrößern und verklären,<br />

ohne seinen erbarmungslos genauen Realismus<br />

aufzugeben, ohne die (meist brutale) Wahrheit der<br />

Glücksspielstadt verschweigen zu müssen. ›Las Vegas,<br />

das war für Spieler das, was Lourdes für Gebrechliche<br />

und Verkrüppelte war‹, sagt De Niro einmal. Genauso<br />

hat der Katholik Scorsese die Stadt mit inbrünstiger<br />

Wahrheit dargestellt.« (Hellmuth Karasek)<br />

▶ Samstag, 24. November 2012, 21.00 Uhr ▶▶ Dienstag,<br />

27. November 2012, 19.00 Uhr<br />

A PERSONAL JOURNEY WITH MARTIN SCORSESE<br />

THROUGH AMERICAN MOVIES (EINE REISE DURCH<br />

DEN AMERIKANISCHEN FILM) – USA 1995 – R+B:<br />

Martin Scorsese, Michael Henry Wilson – K: Jean-Yves<br />

Escoffier – M: Elmer Bernstein – Mit Martin Scorsese,<br />

Kathryn Bigelow, Clint Eastwood, Francis Ford Coppola,<br />

Brian de Palma, Samuel Fuller, Gregory Peck, George<br />

Lucas, Arthur Penn, Billy Wilder – 225 min, OF – Scorseses<br />

Reise beginnt bei Meistern des Stummfilms wie<br />

D. W. Griffith und endet 1969, als er seine eigene Filmkarriere<br />

begann: »Ich fände es anmaßend, meine eigenen<br />

Filme oder die meiner Zeitgenossen zu kommentieren.«<br />

Das Ergebnis ist hypnotisch, mitreißend, aufregend,<br />

erhellend. Es gibt kaum eine andere Dokumentation,<br />

die so brennende Begeisterung transportiert und<br />

so unbändige Lust aufs Kino weckt.<br />

▶ Dienstag, 6. November 2012, 19.00 Uhr<br />

KUNDUN – USA 1997 – R: Martin Scorsese – B: Melissa<br />

Mathison – K: Roger Deakins – M: Philip Glass –<br />

D: Tenzin Thuthob Tsarong, Gyurme Thetong, Tencho<br />

Gyalpo, Tsewang Migyur Khangsar, Sonam Phuntsoik –<br />

THE AGE OF INNOCENCE


134 min, OmU – Ein Spielfilm über die Jugend von Tenzin<br />

Gyatso, dem 14. Dalai Lama, linear erzählt von<br />

1937 in Tibet bis 1959 im indischen Exil. »KUNDUN ist<br />

kein Film der großen Emotionen und kein Film, der Charaktere<br />

oder Story in den Vordergrund stellt. Kein Film,<br />

der viel erklärt oder Zusammenhänge und Motivationen<br />

ausbreitet. KUNDUN ist ein ungemein sinnlicher Film,<br />

der es versteht, durch Farbe, Rhythmus, Klang in seinen<br />

visionären Bann zu ziehen, den man nach einiger<br />

Zeit fast wie in Trance erlebt. Ein grandioser Rausch<br />

der Bilder und der Musik.« (Thomas Willmann)<br />

▶ Sonntag, 25. November 2012, 21.00 Uhr<br />

BRINGING OUT THE DEAD – USA 1999 – R: Martin<br />

Scorsese – B: Paul Schrader, nach dem Roman von<br />

Joe Connelly – K: Robert Richardson – M: Elmer Bernstein<br />

– D: Nicolas Cage, Patricia Arquette, John Goodman,<br />

Ving Rhames, Tom Sizemore, Mary Beth Hurt –<br />

121 min, OF – Der Rettungssanitäter Frank Pierce ist<br />

überarbeitet und erschöpft, dem Zusammenbruch<br />

nahe; die Geister derer, die er nicht zu retten vermochte,<br />

verfolgen ihn. Ein period picture vor der kosmetischen<br />

Verschönerung New Yorks, der Müll ist<br />

Requisite. Übergroße Close-Ups, schwindelerregende<br />

Kameraperspektiven, Schnittgewitter, Reißschwenks,<br />

Zeitlupe, Zeitraffer, Varispeed, digitale Effekte – was in<br />

den Händen anderer nur Mätzchen für Überwältigungskino<br />

sind, ist bei Scorsese funktional und mit Bedacht<br />

als Stilmittel gesetzt.<br />

▶ Freitag, 30. November 2012, 21.00 Uhr ▶▶ Mittwoch,<br />

5. Dezember 2012, 18.30 Uhr<br />

IL MIO VIAGGIO IN ITALIA (MEINE ITALIENISCHE<br />

REISE) – USA 2001 – R: Martin Scorsese – B: Suso<br />

Cecchi d’Amico, Raffaele Donato, Kent Jones, Martin<br />

Scorsese – K: Phil Abraham – D: Martin Scorsese –<br />

246 min, OmeU – Scorsese entdeckte das italienische<br />

Kino, als er zu Hause im Fernsehen Klassiker wie<br />

PAISA und ROMA CITTA APERTA von Roberto Rossellini<br />

sah. Seine Begeisterung für den Neorealismus geht<br />

einher mit der Suche nach seinen Wurzeln, nach seiner<br />

eigenen Familiengeschichte und der italienischen Kultur.<br />

Scorseses Blick auf die italienische Filmgeschichte<br />

ist einer seiner schönsten und persönlichsten Filme. Er<br />

betrachtet die etablierten Klassiker aus ungewohnter<br />

Perspektive und lenkt unsere Aufmerksamkeit auch auf<br />

vergessene und marginalisierte Filme.<br />

▶ Dienstag, 20. November 2012, 19.00 Uhr<br />

GANGS OF NEW YORK – USA 2002 – R: Martin Scorsese<br />

– B: Jay Cocks, Steven Zaillian, Kenneth Lonergan,<br />

nach einem Buch von Herbert Ashbury – K: Michael<br />

Ballhaus – M: Howard Shore – D: Leonardo Di-<br />

Caprio, Daniel Day-Lewis, Cameron Diaz, Jim Broadbent,<br />

John C. Reilly, Liam Neeson – 168 min, OmU –<br />

Eine lange schwelende Rachegeschichte vollendet sich<br />

vor dem Hintergrund der New Yorker draft riots im Juli<br />

1863, als sich Slumbewohner gegen die Zwangsein -<br />

berufung im Bürgerkrieg erhoben und die Kriegsmarine<br />

mit Kanonen in die Menge feuern ließ. Scorsese ließ für<br />

sein breit angelegtes Epos um die Entstehung der modernen<br />

amerikanischen Demokratie im römischen<br />

Cine città-Filmstudio ganze Straßenzüge und das Hafengelände<br />

am East River von Dante Ferretti nachbauen.<br />

▶ Mittwoch, 28. November 2012, 19.00 Uhr ▶▶ Samstag,<br />

1. Dezember 2012, 21.00 Uhr<br />

THE NEIGHBORHOOD – USA 2001 – R: Martin Scorses<br />

– B: Kent Jones, Martin Scorsese – K: Antonio Ferrara<br />

– Mit Martin Scorsese, Francesca Scorsese, Marie<br />

GANGS OF NEW YORK<br />

Martin Scorsese<br />

27


Martin Scorsese<br />

28<br />

Albanese – 7 min, OF – In seinem Beitrag für das als<br />

Reaktion auf die Anschläge vom 11. September 2001<br />

organisierte »Concert for New York« besucht Scorsese<br />

mit seiner Tochter die Elizabeth Street, in der er aufwuchs<br />

– FEEL LIKE GOING HOME – USA 2003 – R:<br />

Martin Scorsese – B: Peter Guralnick – K: Arthur Jafa –<br />

Mit Corey Harris, Sam Carr, Willie King, Taj Mahal,<br />

John Lee Hooker, Salif Keita – 83 min, OmU – Auf der<br />

Suche nach den Wurzeln des Blues fährt der Musiker<br />

Corey Harris ins Mississippi-Delta und von dort aus weiter<br />

bis nach Mali.<br />

▶ Sonntag, 2. Dezember 2012, 21.00 Uhr<br />

THE AVIATOR – USA 2004 – R: Martin Scorsese – B:<br />

John Logan – K: Robert Richardson – M: Howard Shore<br />

– D: Leonardo DiCaprio, Cate Blanchett, Kate Beckinsale,<br />

John C. Reilly, Alec Baldwin, Alan Alda, Ian Holm,<br />

Jude Law – 169 min, OmU – Das komplizierte Leben<br />

des Multimilliardärs, Luftfahrtpioniers und Filmproduzenten<br />

Howard Hughes. Ein besonderes Stilmittel von<br />

THE AVIATOR ist die Farbgebung: Die Jahre bis 1935<br />

sind in einer reduzierten Palette von Rot- und Blau -<br />

tönen gehalten, die an das damalige Multicolor-Verfahren<br />

angelehnt ist (Hughes war der Eigentümer von Multicolor).<br />

Die späteren Geschehnisse sind farblich den<br />

satten Technicolor-Tönen nachempfunden. In einigen<br />

Szenen fanden historische Schwarz-weiß-Materialien<br />

Verwendung, die entsprechend koloriert wurden.<br />

▶ Freitag, 7. Dezember 2012, 21.00 Uhr<br />

NO DIRECTION HOME: BOB DYLAN – USA 2005 –<br />

R+B: Martin Scorsese – K: Mustapha Barat, Maryse Alberti,<br />

Oliver Bokelberg, Anghel Decca, Ken Druckerman,<br />

Ellen Kuras, James Miller, James Reed, Lisa Ritzler,<br />

Michael Spiller – Mit Bob Dylan, Pete Seeger, Joan<br />

Baez, Mavis Staples, Don Alan Pennebaker – 207 min,<br />

OmU – Eher das Portrait einer Ära als eine schlichte<br />

Musikerbiographie. Der Fokus liegt auf den Jahren<br />

1961–66, in denen Bob Dylan vom Folksänger zum<br />

Protestsänger wurde, dann als Stimme einer ganzen<br />

Generation galt, sich schließlich zum Popstar im Folk -<br />

rock wandelte, ehe er nach seinem Motorradunfall<br />

1966 seinen Abschied vom Tourneebetrieb verkündete,<br />

an dem er acht Jahre festhielt.<br />

▶ Sonntag, 9. Dezember 2012, 19.00 Uhr<br />

THE DEPARTED (UNTER FEINDEN) – USA 2006 – R:<br />

Martin Scorsese – B: William Monahan, nach dem Film<br />

INFERNAL AFFAIRS von Alan Mak und Felix Chong – K:<br />

Michael Ballhaus – M: Howard Shore – D: Leonardo Di-<br />

Caprio, Matt Damon, Jack Nicholson, Mark Wahlberg,<br />

Martin Sheen, Vera Farmiga, Alec Baldwin – 151 min,<br />

OmU – Billy und Colin sind Nachwuchsbeamte der<br />

Staatspolizei in Massachusetts: Der eine soll als Undercover-Agent<br />

den Kopf des Bostoner Syndikats, Frank<br />

Costello, zu Fall bringen, der andere wurde von Costello<br />

in die Polizei eingeschleust. Beide geben ihr In -<br />

siderwissen an ihre wahren Auftraggeber weiter, beide<br />

sind durch ihre Doppelleben innerlich zerrissen. Das<br />

Remake eines Hong Kong-Thrillers ist angespannter<br />

und überdrehter, als es für US-Krimis üblich ist.<br />

▶ Samstag, 8. Dezember 2012, 21.00 Uhr ▶ Mittwoch,<br />

12. Dezember 2012, 19.00 Uhr<br />

SHINE A LIGHT – USA 2008 – R+B: Martin Scorsese –<br />

K: Robert Richardson – Mit Mick Jagger, Keith Richards,<br />

Charlie Watts, Ron Wood, Christina Aguilera,<br />

Bill Clinton, Hillary Clinton, Martin Scorsese – 122 min,<br />

OmU – Mitschnitt zweier Konzerte der Rolling Stones<br />

im New Yorker Beacon Theatre im Jahr 2006. Eines<br />

THE AVIATOR


davon war eine Geburtstagsgala für Bill Clinton. »Das<br />

Intro des Films zeigt die Vorbereitungen für das zu filmende<br />

Konzertereignis in der Form eines making of, in<br />

dem es um die Bühne und um die Kameras, auch um<br />

die set list geht und die Abstimmung der Inszenierung<br />

auf die zu erwartenden Songs – eine spielerische Koketterie,<br />

die sich mehr und mehr zu Selbstironie auswächst.<br />

Und dann geht’s los, mit ›Jumping Jack Flash‹,<br />

viel Energie und einer Menge Rock’n’Roll.« (Harald<br />

Mühlbeyer)<br />

▶ Freitag, 14. Dezember 2012, 21.00 Uhr<br />

SHUTTER ISLAND – USA 2010 – R: Martin Scorsese –<br />

B: Laeta Kalogridis, nach dem Roman von Dennis Lehane<br />

– K: Robert Richardson – M: Robbie Robertson –<br />

D: Leonardo DiCaprio, Mark Ruffalo, Ben Kingsley, Max<br />

von Sydow, Michelle Williams, Emily Mortimer –<br />

138 min, OmU – Ein suggestiver Horror-Thriller, eine<br />

virtuos inszenierte Welt der falschen Fährten und psychologischen<br />

Traumgespinste, die die Zuschauer in ein<br />

doppelbödiges Spiel zwischen Wahn und Wirklichkeit<br />

verwickeln. Eine Hommage an das klassische Paranoia-<br />

Kino der McCarthy-Ära. »Für unsere Kriege, unsere<br />

Terrorangst, unseren Sicherheits- und Gesundheitswahn<br />

findet Scorsese einen Spiegel in den 1950er Jahren.<br />

Schwarze Aufklärung über die Nähe von Wahnsinn<br />

und Gesellschaft.« (Rüdiger Suchsland)<br />

▶ Samstag, 15. Dezember 2012, 21.00 Uhr ▶▶ Dienstag,<br />

18. Dezember 2012, 18.30 Uhr<br />

PUBLIC SPEAKING – USA 2010 – R+B: Martin Scorsese<br />

– K: Ellen Kuras – M: Joe Rudge – Mit Fran Lebowitz,<br />

Ivo Juhani, Graydon Carter, Martin Scorsese –<br />

84 min, OF – Unterhaltsame und aufschlussreiche Dokumentation<br />

über Fran Lebowitz, die in den frühen<br />

1970er Jahren die New Yorker Literatenszene betrat<br />

und von Andy Warhol für eine Kolumne in seinem Magazin<br />

»Interview« verpflichtet wurde. Es ist ein Monolog,<br />

in dem Lebowitz rhetorisch brillant und mit bissiger<br />

Komik über Gott und die Welt, das Rauchen, Touristen<br />

in New York, die Wahrheit über Andy Warhols ›Superstars‹<br />

und die desaströse Entscheidung räsoniert, New<br />

York City in eine Touristenattraktion zu verwandeln.<br />

▶ Sonntag, 16. Dezember 2012, 21.00 Uhr<br />

A LETTER TO ELIA (EIN BRIEF AN ELIA) – USA 2010<br />

– R+B: Martin Scorsese, Kent Jones – K: Mark Raker –<br />

60 min, OF – Eine sehr persönliche Verbeugung Martin<br />

Scorseses vor seinem Regiekollegen Elia Kazan, der<br />

ihm ein wichtiges Vorbild war. Anhand zahlreicher Film -<br />

ausschnitte offenbart Scorsese, was Kazans Filme für<br />

das US-Kino allgemein und speziell für ihn bedeuten. –<br />

AMERICA, AMERICA (DIE UNBEZWINGBAREN) – USA<br />

1963 – R+B: Elia Kazan, nach seinem Roman – K:<br />

Haskell Wexler – M: Manos Hadjidakis – D: Stathis Giallelis,<br />

Frank Wolff, Harry Davis, Elena Karam, Estelle<br />

Hemsley, John Marley – 174 min, OF – Kurz vor 1900.<br />

Stavros Topouzoglou, Angehöriger der unterdrückten<br />

griechischen Minderheit in Anatolien, soll mit dem gesamten<br />

Geld der Familie nach Konstantinopel gehen<br />

und dort in den Teppichhandel eines Verwandten einsteigen.<br />

Doch er träumt davon, nach Amerika auszuwandern.<br />

Kazans Epos, das auf dem Leben seines Onkels<br />

basiert, ist eine der bewegendsten Darstellungen<br />

der immigrant experience.<br />

▶ Donnerstag, 20. Dezember 2012, 19.00 Uhr<br />

GEORGE HARRISON: LIVING IN THE MATERIAL<br />

WORLD – USA 2011 – R+B: Martin Scorsese – K: Robert<br />

Richardson – Mit Paul McCartney, Ringo Starr,<br />

Terry Gilliam, Jane Birkin, Eric Clapton, Ravi Shankar,<br />

Yoko Ono, Jackie Stewart, Olivia Harrison – 208 min,<br />

OmU – Dokumentarfilm über den englischen Musiker<br />

George Harrison. »Formal bleibt Scorsese im konventionellen<br />

Rahmen, mischt Archivmaterial mit Interviews<br />

und geht chronologisch vor. Zeitzeugen und Weggefährten<br />

kommen ausführlich zu Wort. Als Mensch, der<br />

sich gründlich auf die fernöstliche Meditation einließ,<br />

lebte Harrison ganz in der ›materiellen Welt‹. Mit dem<br />

Erfolg war er schnell zu Geld gekommen und zugleich<br />

einer inneren Leere gewahr geworden, die er mit Drogen<br />

und Hippie-Träumen zu überspielen versuchte.«<br />

(Roland Mörchen)<br />

▶ Samstag, 22. Dezember 2012, 19.00 Uhr<br />

HUGO 3D (HUGO CABRET) – USA 2011 – R: Martin<br />

Scorsese – B: John Logan, nach dem Roman von Brian<br />

Selznick – K: Robert Richardson – M: Howard Shore –<br />

D: Asa Butterfield, Ben Kingsley, Chloe Grace Moretz,<br />

Sacha Baron Cohen, Christopher Lee – 126 min, OmU<br />

– Scorseses Hommage an die Magie des Kinos und den<br />

Filmpionier Georges Méliès spielt im Paris der 1930er<br />

Jahre. »Der Bahnhof und die Züge, die raffinierten Uhrwerke<br />

und der kleine Automatenmensch, die Film -<br />

kamera und die Projektionstechnik sind hier alles andere<br />

als ›seelenlose‹ Maschinen; sie sind vielmehr<br />

handlungstragende Charaktere, Verlängerungen und<br />

Spiegelungen der menschlichen Figuren, Transportmittel<br />

für Assoziationen und metaphorische Bedeutungsebenen.«<br />

(Felicitas Kleiner)<br />

▶ Mittwoch, 19. Dezember 2012, 18.30 Uhr ▶▶ Freitag,<br />

21. Dezember 2012, 21.00 Uhr<br />

Martin Scorsese<br />

29


Prager Frühling<br />

30<br />

Die Tschechoslowakische Neue Welle<br />

der 1960er Jahre<br />

Die 1960er Jahre sind geprägt von Erneuerungsbewegungen<br />

des Kinos: Die nouvelle vague in Frankreich<br />

und das free cinema in England hatten Ende der<br />

1950er Jahre den Reigen eröffnet, das cinema novo<br />

in Brasilien, der Neue Deutsche Film in der Bundes -<br />

republik und letztendlich das New Hollywood sollten<br />

folgen. Auch in den osteuropäischen Ländern gab es<br />

im Zuge der Tauwetterperiode der Chruschtschow-Ära<br />

Aufbruchsbewegungen, die neue Formen des Autorenfilms<br />

gegen staatliche Gängelei und strenge inhaltliche<br />

Kontrollen durchzusetzen versuchten. In keinem Land<br />

aber debütierten innerhalb weniger Jahre so viele<br />

junge Filmemacher wie in der CSSR: Ab 1963 trat eine<br />

ganze Generation in Erscheinung, deren Filme in den<br />

kommenden Jahren auf allen internationalen Filmfestivals<br />

die höchsten Preise erhielten und sogar zwei Mal<br />

mit dem Oscar für den besten ausländischen Film ausgezeichnet<br />

wurden. Anders als in anderen Ländern war<br />

dies nicht nur ein Strohfeuer, das nach zwei oder drei<br />

Jahren wieder verlöscht war, sondern eine Bewegung,<br />

Prager Frühling<br />

die erst durch den Einmarsch der Truppen des Warschauer<br />

Pakts im August 1968 und die anschließenden<br />

Verbote zahlreicher Filme gestoppt wurde.<br />

Der Begriff »Prager Frühling« steht gemeinhin für das<br />

von der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei<br />

unter Alexander Dubček getragene Reformprojekt und<br />

den Versuch, einen »Sozialismus mit menschlichem<br />

Antlitz« aufzubauen. Diese Bewegung hatte aber ihren<br />

Vorlauf, der sich seit Anfang der 1960er Jahre in der<br />

CSSR bemerkbar machte und sich auf alle Künste erstreckte,<br />

insbesondere in der Literatur und beim Theater.<br />

Autoren wie Bohumil Hrabal und Milan Kundera lieferten<br />

Vorlagen für mehrere der Filme und arbeiteten<br />

selber an Drehbüchern mit. Die direkt nach dem Krieg<br />

eröffnete Filmfakultät an der Akademie der Musischen<br />

Künste (FAMU) in Prag wusste ihre Freiheiten auszunutzen<br />

und ihren Studenten einen unverstellten Blick<br />

auf gesellschaftliche Realitäten zu ermöglichen – fast<br />

alle wichtigen Filmregisseure der CSSR, die in den<br />

1960ern debütierten, durchliefen diese Schule. Die im<br />

Mai 1963 in Libice veranstaltete Kafka-Konferenz stieß<br />

nicht nur eine öffentliche Beschäftigung mit dem bis<br />

Evald Schorm, Pavel Bošek und Karel Mareš in VOM FEST UND DEN GÄSTEN


dahin in Osteuropa verfemten Werk Franz Kafkas<br />

an, sondern beflügelte den Kampf gegen Machtmissbrauch<br />

und Bürokratismus und für eine Welt der sozialen<br />

Demokratie, Initiative und Verantwortung. Jan Žalman<br />

beschrieb die Situation der 1950er Jahre folgendermaßen:<br />

»Zehn Jahre, einerseits erfüllt von einem<br />

messianischen Glauben an den Sozialismus und von<br />

Aufbaufieber, andererseits vom Kalten Krieg, von Isolation,<br />

von der Drohung einer atomaren Katastrophe und<br />

den Praktiken des Dogmatismus, brachten eine ›Erschütterung<br />

über den Verlust der Werte‹.«<br />

Die ersten Filme der Tschechoslowakischen Neuen<br />

Welle begnügten sich mit der möglichst realistischen<br />

Darstellung des Alltagslebens. »Auf der Leinwand war<br />

immer öfter die scheinbar nicht-stilisierte Welt der jungen<br />

Leute in deren authentischer Umgebung zu sehen,<br />

eine intim beleuchtete Welt von gewöhnlichen, nichtheldenhaften<br />

menschlichen Typen, die oft von Nicht-<br />

Schauspielern verkörpert wurden.« (Ivan Klimeš) Miloš<br />

Forman formulierte die Absichten seiner Filme sehr<br />

klar: Ȇblicherweise gilt als politischer Film nur der<br />

Film, in dem politische Inhalte dargestellt werden. Ich<br />

bin jedoch der Auffassung, dass auch Filme vollkommen<br />

unpolitischen Inhalts wie DIE LIEBE EINER BLON-<br />

DINE politisch sind. Denn der Tenor dieses Films ist die<br />

Überprüfung des eigenen Daseins, die Frage nach dem,<br />

was mit uns und um uns herum geschieht. Da liegt die<br />

Frage nach der Zukunft nicht mehr fern. Sicher wäre es<br />

möglich, engagierter und deutlicher zu argumentieren,<br />

auch andere Themen zu wählen, aber ich glaube, dass<br />

gerade jetzt, in dieser Situation, die nächste Frage die<br />

nach unseren eigenen Angelegenheiten sein soll, die<br />

Frage nach unseren individuellen Belangen. Dass es<br />

überhaupt möglich ist, einen Film darüber zu drehen,<br />

ist ein konkret politisches Zeichen. Vor einigen Jahren<br />

wäre das nach Kenntnis unserer Geschichte kaum<br />

denkbar gewesen.« Anders als die nouvelle vague in<br />

Frankreich oder das free cinema in England entwickelte<br />

der tschechoslowakische Film kein Starsystem, sondern<br />

definierte sich allein über seine Autoren und deren<br />

Sichtweisen.<br />

Der Episodenfilm PERLEN AUF DEM MEERESGRUND –<br />

zu dem auch noch der Kurzfilm GESAMMELTE ROHHEI-<br />

TEN zu zählen ist, der separat herausgebracht wurde –<br />

war das Manifest der jungen Filmemacher: Ausgehend<br />

von Kurzgeschichten Bohumil Hrabals zeigten sie ihre<br />

unterschiedlichen Handschriften. »Ein Politikum von<br />

gro ßer Tragweite verbarg sich auch im Prinzip der Originalität.<br />

Anders zu sehen als die anderen, enthielt ein<br />

Element des Trotzes und stellte eine unberechenbare,<br />

also unkontrollierbare Einzigartigkeit dar, die von der<br />

Macht Toleranz gegenüber alternativen Meinungen verlangte.<br />

Der Regisseur sollte nicht mehr nur der künstlerische<br />

Organisator einer Filminszenierung – um nicht<br />

fremder Gedanken zu sagen – sein, die Aussage über<br />

seine eigene Sichtweise der Welt wurde zum obersten<br />

Prinzip.« (Ivan Klimeš) Der Wille zum Experiment, zu<br />

neuen Stilen und zu neuen Visionen zeigt sich insbesondere<br />

in Filmen von Věra Chytilová, Jan Schmidt<br />

oder Juraj Jakubisko. TAUSENDSCHÖNCHEN ist eine<br />

feministische surreale Komödie, die bis heute in der<br />

Filmgeschichte einzigartig ist. ENDE AUGUST IM HOTEL<br />

OZON entwickelt eine Endzeitvision, die später oft kopiert<br />

und im amerikanischen Mainstream-Kino weiterentwickelt<br />

wurde. VÖGEL, WAISEN UND NARREN ist<br />

ein phantastisches Märchen »über die jungen Leute<br />

von heute, die nicht erwachsen werden wollen und<br />

durch ihre Verrücktheit, ihren Wahnsinn die eigene<br />

Unsicherheit überdecken«.<br />

Abrupt beendete der Einmarsch der Truppen des Warschauer<br />

Pakts in die CSSR am 21. August 1968 das<br />

Experiment des Prager Reformkommunismus und<br />

damit auch die Blütezeit der tschechoslowakischen Kinematographie.<br />

Ulrich Gregor beschreibt die Konsequenzen:<br />

»Zwar konnte das Kino der jungen Regisseure<br />

auch unter der Okkupation etwa noch ein Jahr<br />

ein verstecktes Dasein führen, manche Filme wurden<br />

noch gedreht und sogar exportiert, bis Ende 1969 die<br />

Entwicklung zu einem endgültigen Stillstand kam. In<br />

allen Bereichen wurden die bisher verantwortlichen Leiter<br />

des Filmwesens von ihren Posten entfernt und<br />

durch willfähige Diener des neuen Regimes ersetzt.<br />

Fast alle Regisseure des neuen tschechoslowakischen<br />

Films erhielten Arbeitsverbot, ihre früheren Filme wurden<br />

in die Archive verbannt und nicht mehr gezeigt<br />

(was dazu führte, dass das tschechoslowakische Kino<br />

der 1960er Jahre jahrzehntelang weder im In- noch<br />

Ausland präsent war und quasi zu existieren aufgehört<br />

hatte). Eine Reihe von Regisseuren emigrierte (aber nur<br />

Miloš Forman gelang es, sich in den USA zu etablieren<br />

und eine neue Karriere zu beginnen). Die blieben, konnten<br />

zunächst jahrelang keine Filme mehr drehen oder<br />

wurden wieder auf systemkonforme Unterhaltung festgelegt.<br />

Kirchhofsruhe beherrschte den tschechoslowakischen<br />

Film, der in Provinzialität und politischem Dogmatismus<br />

versank.«<br />

Die Filmreihe zeigt eine durchaus subjektiv gefärbte<br />

Auswahl von Filmen, die die Vielfalt des Kinos der<br />

1960er Jahre vermittelt. Einige der Filme sind hierzulande<br />

noch völlig unbekannt, manche wurden erst<br />

zwanzig Jahre nach ihrer Entstehung überhaupt für<br />

Aufführungen freigegeben. Verblüffend ist die stilisti-<br />

Prager Frühling<br />

31


Prager Frühling<br />

32<br />

sche Vielfalt und die Frische der Filme, die sie dank<br />

ihrer künstlerischen Innovationskraft und ihres politischen<br />

Wagemuts auch heute noch ausstrahlen. Das<br />

Filmmuseum München dankt dem Tschechischen Zentrum<br />

München und dem Národní filmový archiv für die<br />

Unterstützung bei der Konzeption der Retrospektive, für<br />

die Bereitstellung der Filme und für die Untertitelung<br />

von außerhalb von Tschechien unbekannten Werken.<br />

Einige der Filme laufen in neuen digital restaurierten<br />

Fassungen, so DER FEUERWEHRBALL und das legendäre,<br />

bildgewaltige Historiengemälde MARKETA LAZA-<br />

ROVA. Als Gäste und Zeitzeugen erwarten wir die Regisseure<br />

Jan Schmidt, Karel Vachek, Juraj Herz und Jiří<br />

Menzel sowie die Schauspielerin Magda Vašáryová und<br />

den Leiter des Národní filmový archiv Michal Bregant in<br />

München. Vachek hat mit WAHLVERWANDTSCHAFTEN<br />

das wichtigste filmische Dokument über die Vorgänge<br />

im Frühling 1968 geschaffen, das einen Markstein in<br />

der Geschichte des Dokumentarfilms darstellt.<br />

Stefan Drößler<br />

KRIK (DER ERSTE SCHREI) – CSSR 1963 – R: Jaromil<br />

Jireš – B: Ludvík Aškenazy, Jaromil Jireš – K: Jaroslav<br />

Kučera – M: Jan Klusák – D: Eva Límanová, Josef<br />

Abrhám, Eva Kopecká, Jiří Kvapil, Jiří Jánoška –<br />

77 min, OmeU – »Der Film erzählt einen Tag des Jahres<br />

1963 und verwebt drei Handlungslinien miteinander:<br />

Eine junge Frau steht vor der Geburt ihres ersten<br />

Kindes; ihr Mann, ein Fernsehmechaniker, geht in verschiedenen<br />

Wohnungen seiner Arbeit nach; die dritte<br />

Linie bilden Fragmente aus Wochenschauen – das Bild<br />

einer chaotischen, unsicheren, halbirren Welt, in die<br />

das Kind geboren werden soll.« (Jan Žalman) EIN<br />

ANLASS ZUM SPRECHEN – BRD 1966 – R+B: Haro<br />

Senft – K: Jaromír Šofr – M: Erich Ferstl – mit Hynek<br />

Bočan, Věra Chytilová, Jan Čuřík, Miloš Forman, Jaromil<br />

Jireš, Pavel Juráček, Elmar Klos, Jan Kučera, Jiří<br />

Menzel, Jan Němec, Ivan Passer, Evald Schorm, Otakar<br />

Vávra, Václav Havel – 103 min – Dokumentarfilm<br />

über die Filmfakultät der Akademie der musischen<br />

Künste (FAMU) in Prag, die nahezu alle Filme macher<br />

der Tschechoslowakischen Neuen Welle ausbildete.<br />

▶ Donnerstag, 20. September 2012, 19.00 Uhr<br />

POSTAVA K PODPIRANI (JOSEF KILIAN) – CSSR<br />

1963 – R: Pavel Juráček, Jan Schmidt – B: Pavel Juráček,<br />

Jan Schmidt – K: Jan Čuřík – M: Wiliam Bukový<br />

– D: Pavel Bartl, Pavel Šilhánek, Stanislav Michler –<br />

38 min, OmeU – Eine kafkaeske Darstellung absurder<br />

Situationen: Ein junger Mann verstrickt sich in den Maschen<br />

einer übermächtigen bürokratischen Welt. –<br />

SBERNE SUROVOSTI (GESAMMELTE ROHHEITEN) –<br />

CSSR 1965 – R+B: Juraj Herz, nach der Erzählung<br />

»Baron Prášil« von Bohumil Hrabal – K: Rudolf Milíč –<br />

M: Zdeněk Liška – D: Václav Halama, František Ketzek,<br />

Bobina Maršátová, Libuše Palečková, Jan Vlček –<br />

31 min – Groteske über die Relativität der Werte, die<br />

auf einem Wertstoffhof spielt. – NEZVANY HOST (DER<br />

UNGEBETENE GAST) – CSSR 1969 – R+B: Vlastimil<br />

Venclík – K: Tomáš Procházka – D: Iva Šašková, Jiří<br />

Hálek, Pavel Landovský, Václav Kotva – 23 min, OmeU<br />

– Ein junges Ehepaar wird durch ein Klopfen an der Tür<br />

aufgeschreckt. Ein Mann mit einem großen Koffer tritt<br />

ein und benimmt sich sofort wie zu Hause.<br />

▶ Freitag, 21. September 2012, 18.30 Uhr<br />

PERLICKY NA DNE (PERLEN AUF DEM MEERES-<br />

GRUND) – CCSR 1965 – R+B: Jiří Menzel, Jan Němec,<br />

Evald Schorm, Věra Chytilová, Jaromil Jireš, nach Kurzgeschichten<br />

von Bohumil Hrabal – K: Jaroslav Kučera –<br />

M: Jan Klusák, Jiří Šust – D: Emil Iserle, Miloš Čtrnáctý,<br />

Josefa Pechlátová, Vladimír Boudník, Dana Valtová –<br />

105 min, OmU – Ein Anthologiefilm der Tschechoslowakischen<br />

Neuen Welle, der sich von tragikomischen<br />

Erzählungen Bohumil Hrabals über die Poesie des Alltags<br />

inspirieren ließ. Fünf Episoden. DER TOD DES<br />

HERRN BALTHASAR: Eine Familie geht zu einem Autorennen.<br />

DIE SCHWINDLER: Zwei alte Männer erzählen<br />

im Krankenhaus von ihrem Leben. HAUS DER FREUDE:<br />

Zwei Versicherungsvertreter begegnen einem Maler<br />

und dessen Mutter. AUTOMAT WELT: Eine Hochzeitsfeier<br />

in einer vorstädtischen Imbissbude. ROMANZE:<br />

Liebesgeschichte zwischen einem Installateur und<br />

einer jungen Zigeunerin.<br />

▶ Samstag, 22. September 2012, 18.30 Uhr<br />

AZ PRIJDE KOCOUR (WENN DER KATER KOMMT) –<br />

CSSR 1963 – R: Vojtěch Jasný – B: Jan Werich, Jiří


Brdečka, Vojtěch Jasný – K: Jaroslav Kučera – M: Svatopluk<br />

Havelka – D: Jan Werich, Emília Vašáryová, Vlastimil<br />

Brodský, Jiří Sovák, Vladimír Menšík, Jiřina Bohdalová<br />

– 101 min, OmeU – »Der Kater einer Wanderschauspieltruppe<br />

enthüllt durch seinen magischen<br />

Blick den wahren Charakter der Menschen. Mit Hilfe<br />

einer Zauberbrille durchdringt er das moralische Chaos,<br />

in dem sich die Leute selbst nicht mehr zurechtfinden.<br />

Im Stil eines phantastischen Märchenballetts inszeniert,<br />

ignoriert der Film durch seine ironischen Implikationen,<br />

deren gesellschaftskritische Intentionen durchaus deutlich<br />

ablesbar sind, die Genregrenzen des Märchenfilms<br />

und wendet sich nicht nur an ein jugendliches Publikum.<br />

Bemerkenswert ist auch die kunstvolle Nutzung<br />

der Farbfotografie, die nach dramaturgischen Gesichtspunkten<br />

eingesetzt wird.« (Helmut Pflügl)<br />

▶ Freitag, 28. September 2012, 18.30 Uhr<br />

O NECEM JINEM (VON ETWAS ANDEREM) – CSSR<br />

1963 – R+B: Věra Chytilová – K: Jan Čuřík – M: Jiří<br />

Šlitr – D: Eva Bosáková, Věra Uzelacová, Josef Langmiler,<br />

Jiří Kodet, Milivoj Uzelac, Miroslava Matlochová –<br />

90 min, OmU – »Die Regisseurin konfrontiert ohne vordergründige<br />

Parteinahme den Alltag zweier Frauen –<br />

einer bekannten Sportlerin, deren Leben mit rastlosem<br />

Training ausgefüllt ist, und den einer Hausfrau und<br />

Mutter, die unter der Leere ihres Daseins leidet; während<br />

das Training der Sportlerin dokumentarisch gezeigt<br />

wird, ist die zweite Handlungslinie fiktiv. Die beiden<br />

Geschichten berühren sich nie, aber spiegeln sich<br />

aneinander, jedes Leben stellt das andere in Frage; aufgrund<br />

seiner originellen Konzeption löst der Film Gedanken<br />

und Fragen aus, auf die Věra Chytilová jedoch<br />

keine Antwort liefert.« (Ulrich Gregor)<br />

▶ Samstag, 29. September 2012, 18.30 Uhr<br />

NEJVETSI PRANI (MEIN INNIGSTER WUNSCH) –<br />

CSSR 1964 – R: Jan Špáta, Stanislava Hutková – B:<br />

Jan Špáta – K: Vladimír Skalský, Karel Kracík – M:<br />

Štěpán Koníček – 31 min, OmU – »Offensichtlich spontane<br />

Interviews mit über hundert jungen Tschechen<br />

aus allen Bereichen des Lebens. Die faszinierenden<br />

Antworten zeigen das Nichtvorhandensein der offiziellen<br />

›sozialistischen‹ Ideologie.« (Amos Vogel) – KAZDY<br />

DEN ODVAHU (MUT FÜR DEN ALLTAG) – CSSR 1964<br />

– R: Evald Schorm – B: Antonín Máša – K: Jan Čuřík –<br />

M: Jan Klusák – D: Jan Kačer, Jana Brejchová, Josef<br />

Abrhám, Jiřina Jirásková, Vlastimil Brodský – 87 min,<br />

OmeU – »Stilistisch von Antonioni beeinflusst, erzählt<br />

Schorm die tragische Geschichte eines jungen kommunistischen<br />

Aktivisten, der beim Versuch, den revolutio-<br />

nären Idealen treu zu bleiben, immer stärker in Konflikt<br />

mir seiner Umwelt gerät. Kühne ideologische Verweise,<br />

unmissverständliche Sinnbilder und treffende Kommentare<br />

zur nachrevolutionären Wirklichkeit stempeln diesen<br />

bitteren und ironischen Film zu einem politischen<br />

Werk von großer Bedeutung.« (Amos Vogel)<br />

▶ Sonntag, 30. September 2012, 18.30 Uhr<br />

A PATY JEZDEC JE STRACH (DER FÜNFTE REITER<br />

IST DIE ANGST) – CSSR 1964 – R: Zbyněk Brynych –<br />

B: Hana Bělohradská, Zbyněk Brynych, nach einer Novelle<br />

von Hana Bělohradská – K: Jan Kališ – M: Jiří<br />

Sternwald – D: Miroslav Macháček, Olga Scheinpflugová,<br />

Jiří Adamíra, Zdenka Procházková, Josef Vinklář,<br />

Ilja Prachař, Jana Prachařová – 97 min, OmeU – »Dieses<br />

expressionistische Drama um Verrat, Feigheit und<br />

Heldentum in einem totalitären Staat erforscht die<br />

Grenzen verschiedener menschlicher Verhaltensweisen<br />

unter extremen Bedingungen in glänzend angelegten<br />

Bildfolgen von hypnotischer Kraft. Die Geschichte eines<br />

jüdischen Arztes, der sich unerwartet einem schrecklichen<br />

Dilemma gegenübersieht, wirft elementare Fragen<br />

auf. Die Unterdrücker, angeblich Nazis, tragen<br />

keine Uniformen; die Ereignisse, scheinbar im letzten<br />

Weltkrieg angesiedelt, ereignen sich in einer zeitlosen<br />

und deshalb universellen Realität, was die bedrückende<br />

aktuelle Bedeutung des Films noch verstärkt.<br />

Ort der Handlung könnte Prag sein, Thema ist die<br />

Angst.« (Amos Vogel)<br />

▶ Dienstag, 2. Oktober 2012, 18.30 Uhr<br />

OBCHOD NA KORZE (DAS GESCHÄFT IN DER<br />

HAUPTSTRASSE) – CSSR 1965 – R: Ján Kadár, Elmar<br />

Klos – B: Ladislav Grosman, Ján Kadár, Elmar Klos,<br />

nach dem Roman von Ladislav Grosman – K: Vladimír<br />

Novotný – M: Zdeněk Liška – D: Ida Kaminská, Josef<br />

Króner, František Zvarík, Hana Slivková, Martin Hollý –<br />

122 min, OmU – 1942 soll in einer slowakischen<br />

Prager Frühling<br />

33


Prager Frühling<br />

34<br />

Kleinstadt im Zuge der nationalsozialistischen Säuberungswelle<br />

ein Tischler das Kurzwarengeschäft einer<br />

alten jüdischen Witwe übernehmen. »An der literarischen<br />

Vorlage fesselte uns vor allem die seltsame Mischung<br />

von Komödie und Tragödie. Es interessierte<br />

uns, diese diametral verschiedenen Ebenen zu einem<br />

harmonischen Ganzen zu verbinden. Beide sind für das<br />

Grundthema wesentlich: An der Gewalt sind nicht nur<br />

die Menschen mit dem Revolver im Gürtel schuld, sondern<br />

auch die ordentlichen, braven Menschen, die sich<br />

vor den Gewalttätern fürchten und deshalb zu ihren Mittätern<br />

werden.« (Ján Kadár / Elmar Klos)<br />

▶ Mittwoch, 3. Oktober 2012, 18.30 Uhr<br />

NIKDO SE NEBUDE SMAT (NIEMAND WIRD LACHEN)<br />

– CSSR 1965 – R: Hynek Bočan – B: Hynek Bočan,<br />

Pavel Juráček, nach der Erzählung »Směšné lásky« von<br />

Milan Kundera – K: Jan Němeček – M: Wiliam Bukový<br />

– D: Jan Kačer, Štěpánka Řeháková, Josef Chvalina,<br />

Hana Kreihanslová, Jaromír Spal – 95 min, OmeU – Ein<br />

junger Universitätsdozent wird von einem Wichtigtuer<br />

belästigt, der ihm schließlich zum Verhängnis wird.<br />

»Bočan hat aus der witzig-kritischen Erzählung von<br />

Milan Kundera einen skurrilen Film gemacht. Eine verrückte<br />

Wegumleitung um eine unbedeutende, aber<br />

dafür dauerhafte Straßenbaustelle steht kennzeichnend<br />

für die ganze Geschichte, die wirklich nur auf lächerlich<br />

umwegige Weise zu einem ›Fall‹ werden kann.<br />

Nicht als würde der Held zu einem unschuldigen Opfer.<br />

Auch sein Verhalten ist zweischneidig, wie der ganze<br />

Film in einer schönen Schwebe bleibt.« (Heinz Ungureit)<br />

»Bočans Debütfilm verrät große filmische Erzählkunst<br />

und weist stilistische Anklänge an Jacques Tati und Vittorio<br />

de Sica auf.« (Ivan Klimeš)<br />

▶ Dienstag, 9. Oktober 2012, 18.30 Uhr<br />

INTIMNI OSVETLENI (INTIME BELEUCHTUNG) –<br />

CSSR 1965 – R: Ivan Passer – B: Jaroslav Papoušek,<br />

Václav Šašek, Ivan Passer – K: Miroslav Ondříček,<br />

Josef Střecha – M: Josef Hart, Oldřich Korte – D: Karel<br />

Blažek, Zdeněk Bezušek, Miroslav Cvrk, Věra Křesadlová,<br />

Jaroslava Štědrá – 71 min, OmeU – »Zu einem<br />

Musikschuldirektor in einer Kleinstadt kommt an einem<br />

Wochenende ein alter Schulfreund mit seiner Geliebten.<br />

Der Film ist die Chronik weniger Tage, die die Freunde<br />

zusammen verbringen, die Beschreibung banaler Ereignisse.<br />

Aus der Beobachtung vieler Einzelheiten ergibt<br />

sich ein Röntgenbild kleinbürgerlicher Verhaltensweisen.<br />

Hinter der pittoresken Oberfläche zeigen sich<br />

Leere, Abstumpfung, Selbstzufriedenheit, Beschränktheit.<br />

Deshalb ist INTIME BELEUCHTUNG trotz zunächst<br />

gegenteiligen Anscheins kein ›liebenswerter‹, sondern<br />

eher ein grausamer Film.« (Ulrich Gregor)<br />

▶ Freitag, 12. Oktober 2012, 18.30 Uhr<br />

OSTRE SLEDOVANE VLAKY (LIEBE NACH FAHR-<br />

PLAN) – CSSR 1966 – R: Jiří Menzel – B: Jiří Menzel,<br />

Bohumil Hrabal, nach einem Roman von Bohumil Hrabal<br />

– K: Jaromír Šofr – M: Jiří Šust – D: Václav Neckář,<br />

Jitka Bendová, Josef Somr, Vladimír Valenta, Jiří Menzel<br />

– 78 min, OmU – Unpathetische Komödie um einen<br />

verträumten Bahnbeamtenanwärter, der sich auf<br />

einem tschechischen Provinzbahnhof gegen Ende des<br />

Zweiten Weltkrieges langweilt. Eine Partisanin führt ihn<br />

in die Geheimnisse der Liebe ein, und er wird eher zufällig<br />

zum Helden des Widerstands. »Ein Werk intelligenter<br />

und ironischer Regie – allerdings auch nicht frei<br />

von ausgewalzten Effekten und Derbheiten. Dem Film<br />

war ein außergewöhnlicher Erfolg beschieden, in den<br />

USA erhielt er einen Oscar.« (Ulrich Gregor)<br />

▶ Samstag, 13. Oktober 2012, 18.30 Uhr<br />

RUKA (DIE HAND) – CSSR 1966 – R+B: Jiří Trnka – K:<br />

Jiří Šafář – M: Václav Trojan – 18 min, ohne Dialog –<br />

Die traurige Geschichte über einen hilflosen Harlekin<br />

und eine allmächtige Hand als Parabel für die Ohnmacht<br />

der tschechischen Künstler jener Zeit. – O<br />

SLAVNOSTI A HOSTECH (VOM FEST UND DEN GÄS-<br />

TEN) – CSSR 1966 – R: Jan Němec – B: Ester Krumbachová,<br />

Jan Němec – K: Jaromír Šofr – M: Karel<br />

Mareš – D: Ivan Vyskočil, Jan Klusák, Jiří Němec, Pavel<br />

Bošek, Karel Mareš, Evald Schorm – 71 min, OmU –<br />

Ein nicht näher benannter Gastgeber lädt zu einem Fest<br />

im barocken Stil ein. Seine Gäste verhalten sich wie<br />

Figuren aus einem ideologischen Pamphlet – bis einer<br />

der Gäste »flüchtet« und damit die gesellschaftliche<br />

Gesetzmäßigkeit stört. »Im Verlauf des Films ver -<br />

wandelt sich Renoir in Buñuel, und wir werden eines<br />

vernichtenden, pessimistischen Kommentars über


menschliche unter dem Totalitarismus teilhaftig, einer<br />

kalten Dusche, zeitlos und unangenehm vertraut.«<br />

(Amos Vogel)<br />

▶ Sonntag, 14. Oktober 2012, 18.30 Uhr<br />

SEDMIKRASKY (TAUSENDSCHöNCHEN) – CSSR<br />

1967 – R: Věra Chytilová – B: Věra Chytilová, Ester<br />

Krumbachová, Pavel Juráček – K: Jaroslav Kučera – M:<br />

Jiří Šlitr, Jiří Šust – D: Jitka Cerhová, Ivana Karbanová,<br />

Julius Albert, Jan Klusák, Marie Češková, Jiřina<br />

Myšková – 73 min, OmU – »Eine närrische, dadaistische<br />

Komödie, eine Orgie spektakulärer visueller Köstlichkeiten,<br />

sinnlichen Dekors und wunderbarer Farbexperimente,<br />

eine groteske Farce, die trotzdem voll heiterer<br />

Weisheit ist. Zwei leichtsinnige junge Mädchen, gelangweilt<br />

und respektlos, weder der Vergangenheit<br />

noch der Zukunft bewusst, stolpern durch eine bizarre<br />

Reihe von Zufallsbekanntschaften, wilden Abenteuern,<br />

Fressorgien und Kuchenschlachten. Unter der Übertreibung,<br />

dem Sarkasmus und dem Übermut lauert ein<br />

ernsthafter Kommentar über einen betrügerischen Lebenswandel,<br />

der wie ein Spiel vonstatten geht und bei<br />

dem die Spieler zu Opfern werden.« (Amos Vogel)<br />

▶ Freitag, 19. Oktober 2012, 18.30 Uhr<br />

KONEC SRPNA V HOTELU OZON (ENDE AUGUST IM<br />

HOTEL OZON) – CSSR 1966 – R: Jan Schmidt – B:<br />

Pavel Juráček, Jan Schmidt – K: Jiří Macák – M: Jan<br />

Klusák – D: Beta Poničanová, Magda Seidlerová, Hana<br />

Vítková, Jana Nováková, Ondrej Jariabek, Vanda Kalinová<br />

– 80 min, OmeU – Die Welt nach einer nuklearen<br />

Katastrophe. Eine Gruppe von neun Frauen zieht durch<br />

die zerstörte Landschaft. Ihre alte Anführerin hat als<br />

einzige die Zeit vor der Katastrophe erlebt, die acht jungen<br />

Frauen in ihrer Begleitung haben ein zivilisiertes<br />

Leben nie kennen gelernt, sie sind ohne Moral und<br />

Gewissen aufgewachsen. Auf ihrer Suche nach einem<br />

Mann, mit dem sie Kinder zeugen und der Menschheit<br />

das Überleben sichern könnten, kommen die Frauen in<br />

eine ausgestorbene Stadt. Ein ungewöhnlicher Science-<br />

Fiction-Film, angesiedelt zwischen düsteren nuclear<br />

doomsday movies wie ON THE BEACH oder LORD OF<br />

THE FLIES und eskapistischen post-apocalyptic thrillers<br />

à la MAD MAX.<br />

▶ Samstag, 20. Oktober 2012, 18.30 Uhr (Zu Gast: Jan<br />

Schmidt)<br />

HORI, MA PANENKO (DER FEUERWEHRBALL) –<br />

CSSR 1967 – R: Miloš Forman – B: Miloš Forman, Ja-<br />

TAUSENDSCHÖNCHEN<br />

Prager Frühling<br />

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Prager Frühling<br />

36<br />

roslav Papoušek, Ivan Passer – K: Miroslav Ondříček –<br />

M: Karel Mareš – D: Jan Vostrčil, Josef Šebánek, Ladislav<br />

Adam, Vratislav Čermák, František Debelka –<br />

71 min, OmeU – Zu Ehren des 86-jährigen Ehrenkommandanten<br />

der freiwilligen Feuerwehr wird im kleinen<br />

Grenzort Vrchlabí ein Ball ausgerichtet – doch das Fest<br />

wird ein Fiasko. »Formans subversives Künstlertum ist<br />

so hintergründig, dass einige Kritiker in seinen Filmen<br />

noch immer nichts als frohgemute volkstümliche Komödien<br />

erblicken. Doch hinter seinem handfesten und<br />

scharfen Humor lauert eine sardonische Kritik am Kleinbürgertum.<br />

Nirgendwo kam das deutlicher zum Vorschein<br />

als in diesem Film, einer vergnüglichen und zunehmend<br />

düster werdenden Geschichte.« (Amos Vogel)<br />

▶ Dienstag, 23. Oktober 2012, 18.30 Uhr<br />

HOTEL PRO CIZINCE (HOTEL FÜR FREMDE) – CSSR<br />

1968 – R+B: Antonín Máša – K: Ivan Šlapeta – M: Svatopluk<br />

Havelka – D: Petr Čepek, Taťána Fischerová,<br />

Vladimír Šmeral, Evald Schorm, Jiří Menzel – 103 min,<br />

OmeU – Ein Dichter wird in dem Hotel ermordet, in das<br />

er sich zurückgezogen hat. Anhand seiner rätselhaft<br />

fragmentarischen Tagebuchskizzen wird in Rückblenden<br />

sein Leben in der Scheinwelt des Hotels beleuchtet<br />

und versucht, den Hergang des Verbrechens zu rekonstruieren.<br />

Die poetische Tragikomödie ist inspiriert vom<br />

Gestus der Stummfilmgroteske und vom Stil des absurden<br />

Theaters. »Offensichtlich ist die nostalgisch geschilderte,<br />

verschnörkelte Welt des Hotels als Allegorie<br />

der gegenwärtigen Gesellschaft gemeint, deshalb<br />

wurde der Film auch erst 1968 verspätet zur Aufführung<br />

freigegeben.« (Ulrich Gregor)<br />

▶ Mittwoch, 24. Oktober 2012, 18.30 Uhr<br />

ZERT (DER SCHERZ) – CSSR 1968 – R: Jaromil Jireš<br />

– B: Milan Kundera, nach seinem Roman – K: Jan Čuřík<br />

– M: Zdeněk Pololáník – D: Josef Somr, Jana Dítětová,<br />

Luděk Munzar, Evald Schorm, Věra Křesadlová –<br />

77 min, OmeU – »Ein erstaunlich ehrlicher und unbequemer<br />

Film, nicht nur wegen seiner wütenden Attacke<br />

auf den Stalinismus, sondern auch wegen der kompromisslosen<br />

Art, in der er den politischen Opportunismus<br />

der neuen Mittelklasse darstellt. Indem er eines jungen<br />

Mannes Entwicklung von jugendlichem Leichtsinn über<br />

eine politische Gefängnisstrafe zur schließlichen Bewusstwerdung<br />

nachvollzieht, gerät er zur beklemmenden<br />

Untersuchung einer korrupten Gesellschaft.«<br />

(Amos Vogel)<br />

▶ Freitag, 26. Oktober 2012, 18.30 Uhr<br />

SPALOVAC MRTVOL (DER LEICHENVERBRENNER) –<br />

CSSR 1968 – R: Juraj Herz – B: Ladislav Fuks, Juraj<br />

Herz, nach dem Roman von Ladislav Fuks – K: Sta -<br />

nislav Milota – M: Zdeněk Liška – D: Rudolf Hrušínský,<br />

Vlasta Chramostová, Jana Stehnová, Miloš Vognič, Jiří<br />

Menzel – 96 min, OmeU – »Ein provozierender Versuch,<br />

zu den Quellen sadosexuellen Nazi-Ungeistes<br />

vorzudringen, wird in diesem stark expressionistischen<br />

Film über einen verklemmten Kleinbürger und Familienvater<br />

unternommen, dessen Arbeit an Leichen im ört -<br />

lichen Krematorium – ›um sie frei zu machen fürs<br />

Leben nach dem Tod‹ – während der Nazibesetzung<br />

unerwartete Bedeutung gewinnt. Seine demütige Frau<br />

lässt sich bereitwillig von ihm erhängen, sein Sohn wird<br />

ermordet, und die Beförderung zum Leiter eines Vernichtungslagers<br />

erscheint schließlich als logische Auflösung<br />

einer bizarren, kraftvollen Geschichte.« (Amos<br />

Vogel)<br />

▶ Samstag, 27. Oktober 2012, 18.30 Uhr (Zu Gast: Juraj<br />

Herz)<br />

FARARUV KONEC (DAS ENDE EINES PRIESTERS) –<br />

CSSR 1968 – R: Evald Schorm – B: Josef Škvorecký –<br />

K: Jaromír Šofr – M: Jan Klusák – D: Vlastimil Brodský,<br />

Jana Brejchová, Jan Libíček, Zdena Škvorecká, Jaroslav<br />

Satoranský, Vladimír Valenta – 99 min, OmeU – Die<br />

Bewohner eines kleinen Dorfes halten irrtümlicherweise<br />

einen gewöhnlichen Küster für einen Priester.<br />

Dieser klärt den Irrtum nicht auf, und mit Hingabe und<br />

Einfühlungsvermögen erfüllt er die ihm übertragene<br />

Aufgabe zur allgemeinen Zufriedenheit. »Dieser Film ist<br />

als turbulente Farce mit köstlichen Typen aus dem<br />

Dorfmilieu angelegt, doch es mischen sich permanent<br />

Untertöne von Bitterkeit in die Satire der rivalisierenden<br />

weltlichen und kirchlichen Instanzen, wobei die Fronten<br />

von Wahrheit und Lüge nicht geradlinig verlaufen, denn<br />

Arroganz, Heuchelei und Betrug finden sich stets in<br />

den oberen Regionen jeder Instanz.« (Ivan Klimeš)<br />

▶ Freitag, 9. November 2012, 18.30 Uhr


SPRIZNENI VOLBOU (WAHLVERWANDTSCHAFTEN)<br />

– CSSR 1968 – R+B: Karel Vachek – K: Jozef Ort-Šnep<br />

– 85 min, OmeU – Der Film ist ein legendäres Portrait<br />

der politischen Protagonisten des Prager Frühlings, die<br />

in alltäglichen, oftmals privaten Gesprächen zu sehen<br />

sind. »Vachek berichtet mit virtuoser Direct-Cinema-<br />

Technik von den Vorbereitungen der Präsidentschafts-<br />

wahl in der CSSR im Frühjahr 1968, die Reportage konzentriert<br />

sich auf die zweite Märzhälfte. Dass es ein<br />

Redefilm ist, stört, weil Wichtiges gesagt wird, überhaupt<br />

nicht – im Gegenteil, jedes Mehr an Gestaltung,<br />

etwa durch einen interpretierenden Kommentar, würde<br />

die Glaubwürdigkeit mindern. Die Direct-Cinema-Methode<br />

erweist sich hier noch einmal als demokratisches<br />

Verfahren: Auch der Zuschauer wird als Partner ernst<br />

genommen, er wird nicht gegängelt, er muss sich aus<br />

den Beobachtungen selbst eine Meinung zusammensetzen.«<br />

(Wilhelm Roth)<br />

▶ Samstag, 10. November 2012, 18.30 Uhr (Zu Gast:<br />

Karel Vachek, Michal Bregant)<br />

VTACKOVIA, SIROTY A BLAZNI (VöGEL, WAISEN<br />

UND NARREN) – CSSR 1969 – R: Juraj Jakubisko – B:<br />

Juraj Jakubisko, Karol Sidon – K: Igor Luther – M:<br />

Zdeněk Liška – D: Philippe Avron, Magda Vašáryová,<br />

Jiří Sýkora, Míla Beran, Mikuláš Ladižinský, Augustín<br />

Kubáň, Jana Stehnová – 78 min, OmU – »Diese deli -<br />

rierende Tour de force aus kreativer Kameraarbeit und<br />

Montage durchwandert ein verrücktes Universum surrealistischer<br />

Tableaus und bizarrer Vorgänge, wobei<br />

jede Konfiguration in Entwurf und Farbe einem Gedicht<br />

gleichkommt. Zwei Burschen und ein Mädchen, Kriegswaisen<br />

und der organisierten Gesellschaft entfremdet,<br />

versuchen, in einer Welt des Wahnsinns und des Krieges<br />

ein Leben der Freiheit und Unschuld zu leben. Dieser<br />

unkonventionelle, phantastische Film vermischt<br />

Traum und Wirklichkeit, Zärtlichkeit und Grausamkeit<br />

unter ziemlich spektakulärer Verwendung von verzerrenden<br />

Linsen, bewegter Kamera und veränderlichem<br />

Bildformat.« (Amos Vogel)<br />

▶ Sonntag, 11. November 2012, 18.30 Uhr<br />

JAN 69 (JAN PALACH) – CSSR 1969 – R+B+K: Stanislav<br />

Milota – 20 min, ohne Worte – Ein Filmessay<br />

über die Beerdigung Jan Palachs, der sich zum Protest<br />

gegen die sowjetische Okkupation am 19. Januar<br />

1969 verbrannte. »Eine zutiefst ergreifende Erfahrung<br />

in stiller Trauer und ein Zeugnis volksweiter Opposition.«<br />

(Amos Vogel) – SMUTECNI SLAVNOST (WUT<br />

UND TRAUER) – CSSR 1969 – R: Zdenek Sirový – B:<br />

Eva Kantůrková, Zdenek Sirový, nach dem Roman von<br />

Eva Kantůrková – K: Jiří Macháně – M: Josef Kalach –<br />

D: Jaroslava Tichá, Ľudovít Króner, Josef Somr, Jana<br />

Vychodilová, Ludmila Roubíková – 70 min, OmeU – Der<br />

Tod eines Bauern, der sich 1948 gegen die Kollektivierung<br />

gewehrt und daraufhin seinen Besitz verloren<br />

hatte, wird Anfang der 1960er Jahre zu einem Streitfall<br />

zwischen den Behörden und der Ehefrau, die ihren<br />

Mann feierlich in der Familiengruft bestatten will. Die<br />

Witwe kann sich durchsetzen, und der Trauerzug entwickelt<br />

sich zu einer eindrucksvollen Demonstration<br />

gegen die Machthaber. Sirový gibt seinem in Rückblenden<br />

verschachtelt erzählten Film die Form einer streng<br />

komponierten klassischen Tragödie.<br />

▶ Freitag, 23. November 2012, 18.30 Uhr<br />

BYT (DIE WOHNUNG) – CSSR 1968 – R+B: Jan<br />

Švankmajer – K: Svatopluk Malý – M: Zdeněk Liška –<br />

D: Ivan Kraus, Juraj Herz – 13 min – »In diesem bedeutungsträchtigen,<br />

glänzend angelegten Werk verschwören<br />

sich die Objekte – die Welt des unglücklichen<br />

Wohnungsinhabers – gegen diesen; ein Spiegel<br />

zeigt nur den Hinterkopf, ein Ofen lässt beim Anzünden<br />

Wasser fließen, und ein Suppenlöffel hat Löcher.«<br />

(Amos Vogel) – UCHO (DAS OHR) – CSSR 1969 – R:<br />

Karel Kachyňa – B: Jan Procházka, Karel Kachyňa – K:<br />

Josef Illík – M: Svatopluk Havelka – D: Radoslav Brzobohatý,<br />

Jiřina Bohdalová, Jiří Císler, Miloslav Holub, Milica<br />

Kolofiková – 94 min, OmeU – Nach der Rückkehr<br />

von einem Fest hegen ein hoher Beamter und seine<br />

Frau den Verdacht, dass ihr Haus durchsucht wurde<br />

und sie unter Beobachtung stehen. Die aufkommende<br />

Panik lässt die zwischen dem Ehepaar schwelenden<br />

Konflikte ausbrechen. Das Schlüsselwerk der tschechischen<br />

Regalfilme wirkt wie eine Kombination aus<br />

Mike Nichols’ WHO’S AFRAID OF VIRGINIA WOOLF und<br />

Francis Ford Coppolas THE CONVERSATION.<br />

▶ Samstag, 24. November 2012, 18.30 Uhr<br />

Prager Frühling<br />

37


Prager Frühling<br />

38<br />

SKRIVANCI NA NITI (LERCHEN AM FADEN) – CSSR<br />

1969 – R+B: Jiří Menzel, nach einem Roman von Bohumil<br />

Hrabal – K: Jaromír Šofr – M: Jiří Šust – D: Rudolf<br />

Hrušínský, Vlastimil Brod, Václav Neckář, Jitka Zelenohorská,<br />

Jaroslav Satoranský, Vladimír Šmeral,<br />

Naďa Urbánková – 100 min, OmU – Die Industriestadt<br />

Kladno in den 1950er Jahren. Der Schrottplatz eines<br />

Hüttenkombinats dient als »Umerziehungslager« für<br />

»bourgeoise Elemente« und Feinde des Systems: Intellektuelle<br />

und Juristen, aber auch Handwerker und<br />

kleine Ladenbesitzer. Die bürgerlichen Werte, wie etwa<br />

ein Christuskreuz oder die Schreibmaschine eines<br />

Schriftstellers, werden zu Maschinen für den sozialistischen<br />

Aufbau umgeschmolzen. Am liebsten möchte<br />

man auch die Menschen umformen, doch diese erweisen<br />

sich mit ihren Gefühlen und Sehnsüchten als zu<br />

hart für das Feuer der Partei. Eine absurde Komödie,<br />

die nach Fertigstellung sofort verboten wurde und bei<br />

ihrer Erstaufführung 1990 auf den Berliner Filmfestspielen<br />

den »Goldenen Bären« erhielt.<br />

▶ Dienstag, 4. Dezember 2012, 18.30 Uhr (Zu Gast: Jiří<br />

Menzel)<br />

ZAHRADA (DER GARTEN) – CSSR 1968 – R: Jan<br />

Švankmajer – B: Jan Švankmajer, Ivan Kraus – K: Svatopluk<br />

Malý – M: Zdeněk Liška – D: Jiří Hálek, Luděk<br />

Kopřiva, Míla Myslíková, Václav Borovička, František<br />

Husák – 19 min, OmeU – Ein Gartenzaun aus Menschen,<br />

ein freundlicher Funktionär mit einem mysteriösen<br />

Geheimnis, ein Gespräch mit sinnentleerten Konversationsfloskeln.<br />

– DEN SEDMY – OSMA NOC (DER<br />

SIEBTE TAG, DIE ACHTE NACHT) – CSSR 1969 – R:<br />

Evald Schorm – B: Zdeněk Mahler, Evald Schorm – K:<br />

Václav Hanuš – M: Jan Klusák – D: Jan Kačer, Bohumil<br />

Šmída, Jan Libíček, Květa Fialová, Josef Bek –<br />

108 min, OmeU – Ein verschlafenes Dorf gerät in<br />

Panik: Der Bürgermeister und die Honoratioren des<br />

Ortes verschwinden, Züge und Telefone fallen aus, Gerüchte<br />

von einer Invasion schwirren umher, und der<br />

Dorfnarr geht daran, seine Habe zu verteilen, da er den<br />

Untergang nahen sieht. Das Verhalten der normalerweise<br />

eher ruhigen Dorfbevölkerung überschreitet die<br />

üblichen Hemmschwellen. »Eine groteske Parabel über<br />

die Angst, die Unsicherheit und das Gefühl der Bedrohung<br />

unter den Menschen, voll politischer Anspielungen«<br />

(Lino Miccichè)<br />

▶ Freitag, 7. Dezember 2012, 18.30 Uhr<br />

ZMATEK (DIE KONFUSION) – CSSR 1968 – R+B:<br />

Evald Schorm – K: Stanislav Milota – 36 min, OmU –<br />

Unmittelbar nach dem Beginn der Okkupation 1968 ge-<br />

dreht, vereint der Film kaum bekannte Bilder von Panzern<br />

in den Straßen von Prag und von hilflosen bis<br />

phantasievollen Formen des Protests, die er zu einem<br />

eindrucksvollen Requiem verdichtet. – ZABITA NE-<br />

DELE (EIN TOTGESCHLAGENER SONNTAG) – CSSR<br />

1969 – R: Drahomíra Vihanová – B: Drahomíra Vihanová,<br />

Jiří Křenek – K: Petr Volf, Zdeněk Prchlík – M: Jiří<br />

Šust – D: Ivan Palúch, Míla Myslíková, Ota Žebrák, Petr<br />

Skarke, Irena Boleslavská, Vladislav Dražďák, Jan<br />

Vostrčil – 78 min, OmeU – Eine kleine Stadt an einem<br />

Sommersonntag: Der Oberleutnant Arnošt ist von der<br />

Eintönigkeit seines Lebens erschlagen und gleichzeitig<br />

unfähig, dieses zu ändern. Seine mechanisch angefüllte<br />

Existenz in einer entfremdeten Welt der stillstehenden<br />

Zeit verkörpert die innere Situation der Menschen<br />

Ende der 1960er Jahre.<br />

▶ Samstag, 8. Dezember 2012, 18.30 Uhr<br />

MARKETA LAZAROVA – CSSR 1967 – R: František<br />

Vláčil – B: František Pavlíček, František Vláčil, nach<br />

dem Roman von Vladislav Vančura – K: Bedřich Baťka<br />

– M: Zdeněk Liška – D: Josef Kemr, Magda Vašáryová,<br />

Jaroslav Moučka, František Velecký, Karel Vašíček,<br />

Ivan Palúch – 162 min, OmeU – Die Geschichte von<br />

zwei rivalisierenden Clans im Mittelalter und einer tragischen<br />

Liebe. Die Titelheldin, ein ehrsames Mädchen,<br />

ist für das Leben im Kloster vorbestimmt. Sie wird aber<br />

gezwungen, die Geliebte eines gewalttätigen Jünglings<br />

zu werden. In einer Umfrage unter tschechischen Filmkritikern<br />

wurde MARKETA LAZAROVA 1998 »besten<br />

tschechischen Film aller Zeiten« gewählt. Das düstere,<br />

surreale Meisterwerk, das erst jüngst digital restauriert<br />

wurde, liefert ein eindrückliches Bild des Mittelalters.<br />

Es erinnert in seinen poetischen und streng komponierten<br />

CinemaScope-Bildern an Filme von Akira Kurosawa<br />

und an Andrej Tarkovskijs ANDREJ RUBLJOV.<br />

▶ Dienstag, 11. Dezember 2012, 19.00 Uhr (Zu Gast:<br />

Magda Vašáryová)


Das Erinnern weitertragen<br />

Es gibt diese Mauer des Verstehens, über die kommt<br />

man nicht. Wir sind auf der anderen Seite. Wir können<br />

Nachrichten empfangen von der anderen Seite, wir<br />

können uns die Dinge anhören, und das sollen wir<br />

auch immer versuchen. Aber wir werden diese Mauer<br />

nicht übersteigen können. Knut Elstermann<br />

In der Auseinandersetzung mit dem Naziterror rückte<br />

mit der Zeit das Altern der Betroffenen immer stärker<br />

ins Bewusstsein, und damit der nahende Verlust der<br />

wichtigsten Stimmen – nämlich der Stimmen derer, die<br />

das Geschehene selbst erlebten. Selbst das<br />

Knopp’sche Zeitzeugenfernsehen konnte sich dem<br />

nicht entziehen. Nun findet dieser Wechsel statt, der<br />

Übergang von der 2. auf die 3. Generation, mit dem<br />

das Berichten des Erlebten endgültig abgelöst wird<br />

durch stärker narrativierte Formen der Vermittlung.<br />

Dies birgt das Risiko, dass vorgefertigte Bilder zunehmend<br />

für »die Geschichte« stehen und das Fragen und<br />

Suchen ersetzen. Im familiären Kontext geschieht dies<br />

ständig, indem man das vorgefertigte Familiennarrativ<br />

übernimmt und weiterträgt. Umso überraschender ist,<br />

dass der Dokumentarfilm im vergangenen Jahrzehnt<br />

gerade Wege fand, im familiären Umfeld gegen die tradierten<br />

Bilder vorzugehen.<br />

Es geht ums Erzählen oder vielmehr darum, etwas erzählt<br />

zu bekommen. Zumeist beginnt es als Konfrontation<br />

mit dem Nicht-Wissen, mit der Suche, und damit<br />

als Auseinandersetzung mit dem Schweigen, dem<br />

Nicht-Erzählen, dem Nicht-Erzählten. Überlebende<br />

schwiegen, um ihre Partner, ihre Kinder, ihre Familien<br />

nicht zu belasten und um das einmal Erlittene nicht erneut<br />

durchzumachen. Auch in den Familien der Täter<br />

wurde geschwiegen, mit dem großen Unterschied,<br />

dass dieses Schweigen zur Mythenbildung führte, da<br />

das Familiengedächtnis »unter den Erfordernissen von<br />

Kohärenz, Identität und wechselseitiger Loyalität jedes<br />

Mitglied dazu verpflichtete, die ›gute Geschichte‹ der<br />

Familie aufrechtzuerhalten und fortzuschreiben.« (Harald<br />

Welzer)<br />

Es gibt verschiedene Arten des Schweigens, meint die<br />

Filmemacherin Anja Salomonowitz: eines, das redet,<br />

um von anderem zu schweigen, und eines, das<br />

schweigt, weil es sich zu sehr erinnert. Dies entspricht<br />

den Erfahrungen, die die Sozialwissenschaftlerin Gabriele<br />

Rosenthal in ihren Interviews sowohl mit Überlebenden<br />

der Shoah als auch mit Tätern des NS-Regimes<br />

machte: Überlebende schweigen vollkommen,<br />

da sie es nicht ertragen, die erlebte Grausamkeit sowie<br />

die tagtäglich erlittenen Situationen der Demütigung<br />

und Erniedrigung, des Appellstehens, des Sterbens von<br />

Mithäftlingen, des Hungerns zu narrativieren. Mitläufer<br />

und Täter des Nationalsozialismus hingegen berichten<br />

bereitwillig von den Kriegsjahren, jedoch meist in wenig<br />

bedrohlichen Anekdoten, um die eigentlich grauenvollen<br />

und möglicherweise belastenden Erlebnisse zu verdecken.<br />

Die fünf Filme dieser Reihe nähern sich den speziellen<br />

Problemen des Erinnerns, des Tradierens, des Verdrängens<br />

in der Familie. Sie beschreiten dabei grundverschiedene<br />

Wege und werfen fundamental unterschiedliche<br />

Fragen auf. Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie<br />

nicht in die Falle tappen, lediglich private Familiengeschichten<br />

abzubilden. Zu den verschiedenen Arten des<br />

Schweigens gesellen sich verschiedene Arten des Fragens:<br />

GERDAS SCHWEIGEN ist ein Prozess des Nach-<br />

Fragens, da das ursprüngliche Schweigen bereits in<br />

einem Buch gebrochen war. DAS WIRST DU NIE VER-<br />

STEHEN schafft einen stilisierten Rahmen, um seine<br />

Protagonistinnen aus der Reserve zu locken. WAS<br />

BLEIBT führt zwei kontrastierende Familiengeschichten<br />

zusammen. In 2 ODER 3 DINGE, DIE ICH VON IHM<br />

WEISS geht der Filmemacher auf Konfrontation mit seiner<br />

Familie, während WINTERKINDER – DIE SCHWEI-<br />

GENDE GENERATION an die Beobachtung der Psychologin<br />

Ulla Roberts denken lässt: »Und manche Enkel<br />

WINTERKINDER © Jens Schanze<br />

Das Erinnern weitertragen<br />

39


Das Erinnern weitertragen<br />

40<br />

sagen, die Eltern haben anklagend gefragt, worauf die<br />

Großeltern gar nicht hätten antworten können. Die<br />

Enkel fragen anders.«<br />

An allen fünf Abenden werden Betroffene, Beteiligte,<br />

Filmemacherinnen und Filmemacher anwesend sein<br />

und mit dem Publikum diskutieren. Die Filmreihe findet<br />

in Kooperation mit der KZ-Gedenkstätte Dachau und<br />

dem Max-Mannheimer-Studienzentrum Dachau statt.<br />

Nathalie Geyer, Christoph Michel<br />

WAS BLEIBT – Deutschland 2008 – R+B: Gesa Knolle,<br />

Birthe Templin – K: Yoliswa Gärtig, Rasmus Sievers –<br />

M: Immo Trümpelmann – Mit Erna de Vries, ihrer Tochter<br />

und Enkelin sowie Dietlindes österreichischer Familie<br />

– 58 min – Erna de Vries wurde als Kind mit ihrer<br />

Mutter nach Auschwitz deportiert und später nach Ravensbrück<br />

verbracht; bis heute erfüllt sie ihr Versprechen,<br />

das Erlebte weiterzutragen und weiterzugeben;<br />

ihre Töchter versuchen dies als Familienaufgabe fort -<br />

zusetzen. Dietlinde erfuhr erst in den 1980er Jahren,<br />

dass ihre Mutter KZ-Aufseherin war; bis heute forscht<br />

sie weiter nach, während ihre eigene Tochter eine abwehrende<br />

Haltung einnimmt. Der erste Dokumentarfilm,<br />

der die familiäre Auseinandersetzung mit dem Holocaust<br />

sowohl auf der Täter- als auch auf der Opferseite<br />

beleuchtet.<br />

▶ Sonntag, 23. September 2012, 17.30 Uhr (Zu Gast:<br />

Erna de Vries, Gesa Knolle, Birthe Templin)<br />

2 ODER 3 DINGE, DIE ICH VON IHM WEISS –<br />

Deutschland 2005 – R+B: Malte Ludin – K: Franz Lustig,<br />

Birgit Gutjonsdottir, Martin Gressmann – M: Werner<br />

Pirchner, Hakim Ludin, Jaroslav Nahovica – Mit Malte<br />

Ludin, Erla Ludin, Iva Švarcová – 89 min – Hanns Elard<br />

Ludin war Deutscher Gesandter in der Slowakei und<br />

hatte maßgeblichen Anteil an der Deportation slowakischer<br />

Juden. 1947 wurde er in der CSSR als Kriegsverbrecher<br />

hingerichtet. In der Familie hieß es, er sei gefallen,<br />

und bald schlich sich gar die Vorstellung ein, er<br />

sei im Widerstand gewesen. Der jüngste Sohn macht<br />

sich nach Jahrzehnten daran, das Familiennarrativ zu<br />

hinterfragen. Er lässt in der Befragung seiner Verwandten<br />

nicht locker, geht dabei bisweilen brachial und<br />

schmerzhaft vor.<br />

▶ Sonntag, 28. Oktober 2012, 17.30 Uhr (Zu Gast: Malte<br />

Ludin)<br />

DAS WIRST DU NIE VERSTEHEN – Österreich 2003 –<br />

R+B: Anja Salomonowitz – K: Leena Koppe – M: Sami<br />

Zeciri – Mit Gertrude Rogenhofer, Margit Kohlhauser,<br />

Hanka Jassy, Yael Salomonowitz, Ludwig Jassy –<br />

53 min – »In meinem Film geht es um drei Frauen, die<br />

dem, was in der Geschichtswissenschaft als Täter- und<br />

Opfergeneration bezeichnet wird, angehören. Mit ihren<br />

unterschiedlichen Lebensgeschichten, unterschiedlichen<br />

Erzählungen und Erinnerungen leben sie alle in<br />

einer Familie, in meiner Familie.« (Anja Salomonowitz)<br />

»Hanka Jassy, ihre Großtante, hat Auschwitz überlebt.<br />

Gertrude Rogenhofer, ihr Kindermädchen, war Sozialistin<br />

und unterstützte ihren Onkel im Widerstand. Margit<br />

Kohlhauser, die Großmutter, lebte während des Krieges<br />

in Graz. Sie tat dort, was die meisten taten: Nichts.«<br />

(Nora Sternfeld)<br />

▶ Sonntag, 25. November 2012, 17.30 Uhr (Zu Gast:<br />

Anja Salomonowitz)<br />

GERDAS SCHWEIGEN – Deutschland 2008 – R: Britta<br />

Wauer – B: Britta Wauer, nach dem Buch von Knut Elstermann<br />

– K: Kaspar Köpke, Bob Hanna – M: Karim Sebastian<br />

Elias – Mit Gerda Schrage, Knut Elstermann,<br />

Steven Schrage, Helga Elstermann, Dorle Specht –<br />

95 min – Am Anfang steht ein Tabubruch: Das Kind<br />

Knut fragt seine »Tante Gerda« aus Amerika, gerade zu<br />

Besuch in der DDR, nach dem Verbleib ihres Kindes,<br />

über das niemand zu sprechen wagt. Die Kaffeegäste<br />

schweigen entsetzt. Knut ist verwirrt und beschämt.<br />

30 Jahre später besucht Knut Elstermann Gerda in<br />

New York und stellt ihr diese Frage erneut, und sie<br />

bricht ihr jahrzehntelanges Schweigen. Die Filmemacherin<br />

Britta Wauer ist Gerdas Geschichte nachgegangen<br />

und zeichnet das filmische Porträt einer faszinierenden<br />

Frau, die sich mit trotzigem Lebensmut ein<br />

Leben nach Auschwitz aufgebaut hat.<br />

▶ Sonntag, 20. Januar 2013, 17.30 Uhr (Zu Gast: Knut<br />

Elstermann)<br />

WINTERKINDER – DIE SCHWEIGENDE GENERATION<br />

– Deutschland 2005 – R+B: Jens Schanze – K: Börres<br />

Weiffenbach – Mit Antonie Schanze, Horst Schanze,<br />

Kerstin Schanze, Bärbel Schanze, Annette Schanze –<br />

95 min – Jens Schanze versucht in Gesprächen mit<br />

seiner Familie, die Geschichte seines Großvaters zu erforschen,<br />

der NS-Funktionär in Schlesien war. Nach<br />

jahrzehntelangem Schweigen tauchen in der Familie<br />

plötzlich Informationen über den Großvater auf, die<br />

nicht zu dem liebevollen Bild passen wollen, das die<br />

Mutter in ihren Erzählungen immer vermittelt hat. Anstatt<br />

seiner Mutter Vorwürfe zu machen und sie zu verurteilen,<br />

befasst sich Schanze mit der Schwierigkeit,<br />

den Vater / Großvater als Nazi-Täter zu begreifen.<br />

▶ Sonntag, 10. Februar 2013, 17.30 Uhr (Zu Gast: Jens<br />

Schanze)


PARABETON<br />

WHITE EPILEPSY<br />

7. Underdox Festival<br />

Ben Rivers war der letztjährige Artist in Focus des Festivals<br />

für Dokument und Experiment, Underdox. Das<br />

Festival für Filme im Zwischenreich von Kunst, Dokumentarfilm<br />

und experimentellen Formen zeigt den ersten<br />

Langfilm des Briten, TWO YEARS AT SEA, der letztes<br />

Jahr auf den Filmfestspielen von Venedig mit dem<br />

Preis der Internationalen Filmkritik ausgezeichnet wur -<br />

de und u. a. im New Yorker Museum of Modern Art zu<br />

sehen war. Rivers Film begleitet den Einsiedler Jake bei<br />

seinen alltäglichen Verrichtungen in einer abgeschiedenen,<br />

wilden Natur. Gefilmt hat Rivers in grobkörnigem<br />

Schwarzweiß, auf 16mm, und das Material selbst entwickelt,<br />

was seinem Film eine einzigartige, verrätselte<br />

Atmosphäre verleiht.<br />

Underdox zeigt die Werke von Filmkünstlern, die es<br />

hierzulande noch zu entdecken gilt. Der Franzose Philippe<br />

Grandrieux ist einer von ihnen. Der Dokumentar-<br />

und Kunstfilmer ist Vertreter eines physischen, ganz<br />

und gar sinnlichen Kinos, dem cinéma du corps und<br />

steht damit in einer Reihe mit Catherine Breillat oder<br />

Gaspar Noé. Für WHITE EPILEPSY hat er das Bildformat<br />

gekippt und arbeitet in Bildern, die an die Malerei von<br />

Caravaggio erinnern, zwei Körper heraus, die in einer<br />

archaischen Umarmung ihre ganze wilde Schönheit<br />

entwickeln.<br />

Heinz Emigholz ist Professor für Experimentelle Bild -<br />

gestaltung und Autor von Architekturfilmen, dessen<br />

Filme regelmäßig im Filmmuseum gezeigt wurden. In<br />

PARABETON spannt er den Bogen von den ersten römischen<br />

Betonbauten zu den stilbildenden Konstruktionen<br />

des italienischen Bauingenieurs Pier Luigi Nervi.<br />

Ungewöhnlich für Emigholz: Zum ersten Mal werden<br />

seine Bilder durch die Bewegungen von Tieren und<br />

Menschen animiert, die sich in den teils verlassenen,<br />

teils noch funktionalen Gebäuden aufhalten.<br />

Underdox ist eines von fünf Partnerfestivals der Viennale.<br />

Zum 50. Geburtstag des Wiener Festivals wird es<br />

zwei Programme als Hommage geben. In der Artothek<br />

neben dem Filmmuseum gibt es außerdem Son der -<br />

veranstaltungen rund um das Thema Kunst und Kino.<br />

Das genaue Programm von Underdox mit allen Titeln,<br />

Spieldaten und Spielorten ist ab Mitte September unter<br />

www.underdox-festival.de zu finden.<br />

Dunja Bialas<br />

▶ Donnerstag, 4. Oktober bis Sonntag, 7. Oktober 2012<br />

Underdox<br />

41


Rumänien<br />

42<br />

JENSEITS DER HÜGEL<br />

Ein Gespräch bei Tisch, dem sich die Freundin des Sohnes<br />

nicht entziehen kann, während ihre Freundin Gefahr<br />

läuft, in einem Hotelzimmer bei einem heimlichen<br />

Abtreibungsversuch zu verbluten (Cristian Mungius<br />

4 MONATE, 3 WOCHEN, 2 TAGE), die Gespräche des<br />

Krankenhauspersonals, während ein alter Mann die<br />

Agonie des Todes erreicht (Cristi Puius DER TOD DES<br />

HERRN LAZARESCU): vielleicht stand noch keine Gesellschaft<br />

wie die rumänische in ihrer spezifischen Art,<br />

im Gespräch Realität zu leugnen, so entschieden auf<br />

dem Prüfstand eines Kinos, dessen Kameras Aufzeichnungsmedium<br />

sein wollen, die fixieren, dabei erzittern,<br />

in Plansequenzen aushalten – und unauflösbare Widersprüche<br />

aufzeigen.<br />

Die zweite Dekade der Neuen Rumänischen Welle<br />

bricht an. Puiu fordert mit seinem dritten Film AURORA<br />

(im letztjährigen Programm des Filmmuseums) die<br />

Wirklichkeit selbst heraus, wenn sich für seinen verschlossenen<br />

Helden ein Moment seines komplexen Beziehungsgeflechtes<br />

zu vier Morden verdichtet. Mungius<br />

dritte Regiearbeit JENSEITS DER HÜGEL bekam dieses<br />

Jahr – nach der Goldenen Palme für 4 MONATE, 3 WO-<br />

CHEN, 2 TAGE – in Cannes Drehbuch- und Darstellerpreis.<br />

Wenn es Puius Frage ist, wieviel an reiner Sichtbarkeit<br />

Bilder in ihrer Folge fassen können, so fragt<br />

Mungiu mit ähnlicher Konzentration danach, wieviel Erzählung<br />

in eine Einstellung hineinpasst, welche Physis<br />

des Geistes in ein Bild, das sich dem Illusionskino verweigert.<br />

War 4 MONATE … ein Thriller mit überraschendem<br />

Inventar, so ist JENSEITS DER HÜGEL romanhaft<br />

jenseits von Sprache. Erneut stehen zwei<br />

junge Frauen im Zentrum, die eine liebt die andere, die<br />

andere liebt Gott vor der einen. Ihre Beziehung zu -<br />

Rumänisches Filmfestival<br />

einander ist die asymmetrische Achse des Filmes, an<br />

der entlang sich mit bescheidener Selbstverständlichkeit<br />

eine Tragödie ausbreitet.<br />

Das neue rumänische Kino differenziert in seinem zweiten<br />

Jahrzehnt seine Motive und Ausdrucksformen bewusst<br />

aus. Im diesjährigen Programm sind die neuen<br />

Arbeiten von Adrian Sitaru und Radu Jude zu sehen.<br />

Beide widmen ihre Filme, AUS LIEBE MIT DEN BESTEN<br />

ABSICHTEN und ALLE IN UNSERER FAMILIE, explizit<br />

den tragikomisch quälenden Familienbanden, deren<br />

Hintergrundrauschen die Spannung so vieler rumänischer<br />

Filme ausmachte. Sitaru ziseliert dabei ihre feinsten<br />

neurotischen Impulse aus, projiziert die Einmischungen<br />

einer vorlauten Gesellschaft an die Wand<br />

eines Krankenhauszimmers, in dem die geliebte Mutter<br />

sich von einem Schlaganfall erholen soll. Judes Held<br />

wird gleich ungewohnt handgreiflich, als ihm die perfiden<br />

Ausweichmanöver seiner Ex-Frau die Tochter zu<br />

entziehen drohen. Beide, Sitaru und Jude, verfolgen<br />

dabei auch formal-ästhetische Absichten, Fragen, die<br />

die neue Sprache des rumänischen Kinos aufwirft. Mit<br />

seinen beiden Spielfilmen SPORTANGELN und AUS<br />

LIEBE… lotet Sitaru die Möglichkeiten und Konsequenzen<br />

der subjektiven Einstellung aus. Jude – schön<br />

nachzuvollziehen bei der aufeinanderfolgenden Präsentation<br />

von ALEXANDRA, ALLE IN UNSERER FAMILIE<br />

und EIN FILM FÜR FREUNDE – infiltriert die meisterlich<br />

realistischen Konfliktsituationen des rumänischen<br />

Kinos mit Theatralik, mit dem Trash der B-Movies, mit<br />

einem Extremismus der Darstellung.<br />

Eine andere zentrale Entwicklungslinie der Neuen Welle<br />

greift Gabriel Achim mit ADALBERTS TRAUM auf: die<br />

erinnerte kommunistische Vergangenheit. Achim geht


in seiner schwarzen Komödie, darin ähnlich selbstbewusst<br />

wie Sitaru und Jude, formal einen neuen Weg,<br />

den der Kombination unterschiedlicher Datenträgerformate,<br />

um die historischen Texturen sprechen zu lassen<br />

– und den des ironischen Zitats von Filmen, die die Gesellschaft<br />

kollektiv einten.<br />

Das emanzipatorische Spiel, in das Achim die VHS-<br />

Technik einbindet, die für die jetzige Garde der jungen<br />

rumänischen Filmemacher in den 1980ern der Königsweg<br />

der Filmrezeption war, erfasst die Neue Welle<br />

selbst. Alexandru Maftei dreht mit HALLO! WIE GEHT’S?<br />

einen Genrefilm, eine romantic comedy zwischen Mittvierzigern,<br />

die der Liebe im Internet verfallen. Anca Damian<br />

dreht mit CRULIC einen abendfüllenden, von<br />

einem tragischen Schicksal inspirierten Animationsfilm,<br />

der sich durch die Mischung von Techniken von den<br />

Fesseln der biographischen Erzählung befreit.<br />

Im Jahr 2000, ein Jahr vor Cristi Puius Debüt KOKS<br />

UND KOHLE, war in Rumänien kein einziger Film entstanden.<br />

Brüche sind konstitutiv für die Filmgeschichte<br />

des Landes. Das Programm wirft auch einen Blick zurück<br />

auf diese Geschichte, wie sie sich nicht nur aus<br />

der Gegenwart in die Zukunft schreibt, sondern auch<br />

erneut zu schreiben ist, aus dem Kinosaal als lebendigem<br />

Archiv einer unterdrückten Vergangenheit heraus.<br />

Nur vier Spielfilme konnte Mircea Saucan zwischen<br />

1960 und 1974, von beispielloser Zensur betroffen,<br />

dre hen. MÄANDER und DER 100 LEI-SCHEIN sind<br />

Meis terwerke, genuin europäische Filme, die das Formbewusstsein<br />

seiner sowjetischen Lehrmeister mit den<br />

Aufbrüchen westeuropäischer Kinematographien verbanden.<br />

Die Kulturpolitik des Landes drängte Saucan<br />

nahezu vollständig aus dem Kino, dem damaligen Leitmedium<br />

der Wirklichkeitswahrnehmung, wie aus dessen<br />

Rezeptionsgeschichte hinaus. Er ist neu zu ent -<br />

decken. Irene Rudolf<br />

Ein Programm im Rahmen der »Rumänischen Kulturtage München«<br />

(5. Oktober bis 2. Dezember 2012), in Kooperation mit<br />

der Gesellschaft zur Förderung der Rumänischen Kultur und<br />

Tradition e.V., Mün chen und dem Centrul National al Cinematografiei,<br />

Bukarest.<br />

CHIPURI (GESICHTER) – Rumänien 2002 – R: Anca<br />

Damian – B: Anca Damian, Laurentiu Damian – 6 min,<br />

OmeU – Sie machen ein Foto. Sie versuchen, eine Sekunde<br />

stillzuhalten. Die Zeit vergeht, das Foto hält eine<br />

Sekunde ihres Lebens fest. Auf dem Friedhof sind die<br />

Fotos Symbole des Totengedenkens. – CRULIC – DRU-<br />

MUL SPRE DINCOLO (DER WEG INS JENSEITS) – Rumänien/Polen<br />

2011 – R+B: Anca Damian – K: Ilija Zogowski<br />

– M: Piotr Dziubek – 73 min, OmeU – Claudiu<br />

Crulic aus Dorohoi ist tot, gestorben 33jährig in Krakau<br />

nach 90tägigem Hungerstreik, mit dem der schuldlos<br />

Inhaftierte das Gefängnis, das Gericht, das Konsulat<br />

zur Prüfung seines Falles bewegen wollte. Der Anima -<br />

tionsfilm von Anca Damian wirbelt alle Techniken seiner<br />

Kunst durcheinander: Aquarell und Realfilm, Fotografie<br />

und Zeichnung, Knetmasse und Computergrafik,<br />

um den Gehalt von Erfahrungen und den Geschmack<br />

von Erinnerungen einzufangen.<br />

▶ Donnerstag, 11. Oktober 2012, 19.00 Uhr (Zu Gast:<br />

Anca Damian)<br />

MEANDRE (MÄANDER) – Rumänien 1967 – R: Mircea<br />

Saucan – B: Horia Lovinescu – K: Gheorghe Viorel<br />

Todan – M: Tiberiu Olah – D: Margareta Pogonat,<br />

Mihai Paladescu, Dan Nutu, Anna Széles – 89 min,<br />

OmeU – Ein Film von geometrischer Schönheit.<br />

Schwarz/Weiß von chromatischer Dichte, extreme Perspektiven,<br />

experimenteller Ton, surreale Motive und<br />

eine Montage von Sensationen, in denen die Vergangenheit<br />

gegenwärtig und zugleich die Gegenwart eine<br />

vergangene ist. Gelu bewundert Petre, den Geliebten<br />

seiner Mutter, und lässt sich von diesem ins Erwachsensein<br />

initiieren, weil »die Wahrheit existiert, die Liebe<br />

existiert, weil dies keine Lügen sind«. Eine Liebe scheitert<br />

am Sicherheitsbedürfnis einer schönen Frau, eine<br />

Karriere an Konformismus und ästhetischem Mittelmaß,<br />

der Beat der 1960er bricht mit kühlem Kalkül in<br />

der Mitte des Films die von den Körpern entfremdeten<br />

Stimmen in den katakombengleichen Behausungen<br />

der stalinistischen Ära auf.<br />

▶ Freitag, 12. Oktober 2012, 21.00 Uhr (Zu Gast: Dan<br />

Nutu)<br />

100 DE LEI (DER 100 LEI-SCHEIN) – Rumänien 1974<br />

– R: Mircea Saucan – B: Horia Lovinescu – K: Gheorghe<br />

Viorel Todan – M: Anatol Vieru – D: Dan Nutu,<br />

Ion Dichiseanu, Ileana Popovici, Violeta Andrei –<br />

95 min, OmeU – Saucans vierter und letzter Spielfilm<br />

nach vierjährigem Arbeitsverbot fällt 1973 in die Zeit<br />

der neostalinistischen Restauration. Dem 1971 ausge-<br />

Rumänien<br />

43


Rumänien<br />

44<br />

rufenen ideologischen Kulturkampf setzt Saucan den<br />

rebellischen Hippie Petre entgegen, der ein Mädchen<br />

nicht für sich gewinnen kann und am Zynismus seines<br />

Bruders, eines arrivierten Schauspielers, scheitert.<br />

Absurd verspielte Nachmittage in den Straßen Bukarests,<br />

aufgeworfene Landstriche, in denen mythische<br />

Ursprünge und mystische Erfahrungen aufscheinen,<br />

ein aufsehenerregender Buick, Träume der befreienden<br />

Bruderliebe und eine Sprache, die profane Realität,<br />

Spiel und Literatur und die Narben eines Freigeistes<br />

eint. Der Film erfährt die gewaltsamste Zensur: Das<br />

Negativ wird zerstört, Saucan wird psychiatrisch<br />

zwangsbehandelt, drei heimlich gezogene Positive<br />

überdauern die Diktatur, eines ist erhalten geblieben.<br />

▶ Samstag, 13. Oktober 2012, 21.00 Uhr (Zu Gast: Dan<br />

Nutu)<br />

BUNA! CE FACI? (HALLO! WIE GEHT’S?) – Rumänien<br />

2011 – R: Alexandru Maftei – B: Lia Bugnar – K: Radu<br />

Aldea – M: Dragos Alexandru – D: Dana Voicu, Ionel<br />

Mihailescu, Paul Diaconescu, Ana Popescu, Ioan Andrei<br />

Ionescu – 105 min, OmeU – Als Antwort auf Amerikas<br />

romantic comedy verwandelt Maftei Bukarest in<br />

ein warm glänzendes petit Paris, in dem an Haltestellen<br />

und Marktständen mutig Sehnsuchtsbotschaften aufblinken.<br />

Ein altmodisch bürgerliches und in zwanzig<br />

Ehejahren einander gleichgültig gewordenes Paar wird<br />

wieder zu Gabriel und Gabriela, die miteinander und<br />

ohne voneinander zu wissen heimlich und zum ersten<br />

Mal im Internet chatten. Die unverhoffte Nähe zu einem<br />

Fremden verändert sie beide. Maftei erzählt die turbulent<br />

scheue Geschichte eines zweiten Frühlings der<br />

Gefühle durch die Augen des stark pubertierenden Sohnes<br />

und findet ein Happy-End, das auch den Projektionen<br />

und Enttäuschungen eines virtuellen Aufbruchs<br />

und eines Kinos als Traumfabrik gerecht wird.<br />

▶ Mittwoch, 17. Oktober 2012, 21.00 Uhr<br />

PESCUIT SPORTIV (SPORTANGELN) – Rumänien<br />

2007 – R+B: Adrian Sitaru, nach einer Vorlage von<br />

Radu Jude – K: Adrian Silisteanu – M: Cornel Ilie – D:<br />

Adrian Titieni, Ioana Flora, Maria Dinulescuu – 84 min,<br />

OmeU – Zehn Drehtage im warmen Oktober, ein See<br />

nah der Hauptstadt, eine handgeführte Digitalkamera,<br />

keine Filmförderung: Sitaru dreht mit der Freiheit eines<br />

»Dogma«-Films, entwirft eine mise en scène am vorgefundenen<br />

Ort, entwickelt eine Dramaturgie in Echtzeit –<br />

und erzählt ausschließlich aus der jeweils subjektiven<br />

Perspektive seiner drei Hauptfiguren. Die abgründige<br />

Komödie um Schuld und Feigheit, Lüge und Begehren,<br />

Verführung, Bosheit, Naivität und Eifersucht rührt ans<br />

Phantastische. Ein Liebespaar fährt zu einem Picknick<br />

ins Grüne. Sie überfahren eine junge Prostituierte, die<br />

an ihrer Seite bleibt, mit zum See fährt, die »Büchse<br />

der Pandora« öffnet und keine Ruhe gibt, bis das moderne<br />

»Déjeuner sur l’herbe« zum Vexierbild einer anderen<br />

Erzählung aus einem anderen Blickwinkel wird.<br />

▶ Samstag, 20. Oktober 2012, 21.00 Uhr<br />

DIN DRAGOSTE CU CELE MAI BUNE INTENTII (AUS<br />

LIEBE MIT DEN BESTEN ABSICHTEN) – Rumänien<br />

2011 – R+B: Adrian Sitaru – K: Adrian Silisteanu – D:<br />

Bogdan Dumitrache, Natasa Raab, Marian Ralea, Alina<br />

Grigore, Adrian Titieni – 105 min, OmeU – Ein Anruf,<br />

die Mutter liege im Krankenhaus. Alex, der Endzwan -<br />

ziger, fährt sofort mit leichtem Gepäck und schweren<br />

Gedanken in die Heimatstadt. Eine Lawine an Spekulationen<br />

und Optionen, Rekonstruktionen und Voraus -<br />

sagen erfasst ihn. Was genau ist vorgefallen? Ist der<br />

Arzt kompetent, sagt er überhaupt die Wahrheit? Der<br />

Mutter geht es zusehends besser, dem Sohn zunehmend<br />

schlechter in diesem tragikomischen Familiendrama;<br />

und jeder Beteiligte, Vater und Freundin, Ärzte<br />

und das Lehrerkollegium der Mutter, Fremde allerorten<br />

ohnehin, haben was dazu zu sagen. Autobiografisch<br />

inspiriert, treibt Sitaru sowohl sein Thema aus SPORT -<br />

ANGELN, den Zweifel an den stattfindenden Ereignissen,<br />

als auch sein formales Experiment weiter.<br />

▶ Sonntag, 21. Oktober 2012, 21.00 Uhr


VISUL LUI ADALBERT (ADALBERTS TRAUM) – Rumänien<br />

2011 – R: Gabriel Achim – K: George Chiper-Lillemark<br />

– D: Gabriel Spahiu, Ozana Oancea, Doru Ana,<br />

Anca Androne – 98 min, OmeU – Im Geist der Tschechoslowakischen<br />

Neuen Welle, alte Dias zum Arbeitsschutz<br />

mit 8mm- und VHS-Texturen kombinierend, die<br />

ideologische und materielle Ausstattung der 1980er<br />

Jahre zusammentragend: Achims Debüt nimmt als<br />

schwarze Komödie um den Ingenieur Iulica eine Nacht<br />

und einen Tag im Mai 1986 in Augenschein. Steua Bucuresti<br />

gewinnt den UEFA-Pokal, die Gründung der<br />

kommunistischen Partei jährt sich zum 65. Mal, und Iulica<br />

geht im täglichen Slalom der ausweichenden Rede<br />

und der zuvorkommenden Gefälligkeiten dem Fabrikfest<br />

entgegen, bei dem nicht nur die Uraufführung seines<br />

experimentellen Stummfilms »Adalberts Traum«<br />

über das Unterbewusste des sozialistischen Arbeiters<br />

bevorsteht, sondern auch eine private Messerproduktion<br />

an der kollektiven Werkbank die Wachsamkeit der<br />

Spitzel und Funktionäre umgehen muss.<br />

▶ Mittwoch, 24. Oktober 2012, 21.00 Uhr<br />

DUPA DEALURI (JENSEITS DER HÜGEL) – Rumänien<br />

2012 – R+B: Cristian Mungiu, nach Tatiana Niculescu<br />

Bran – K: Oleg Mutu – D: Cosmina Stratan, Cristina Flutur,<br />

Valeriu Andriuta, Dana Tapalaga, Luminita Gheorghiu<br />

– 150 min, OmeU – Ein säkulares Passionsspiel,<br />

ein puristisches, in langen handgehaltenen Einstellungen<br />

sich abzeichnendes Melodram, ein tödliches Ringen<br />

zweier Frauen in farbreduzierten Tableaus, die die<br />

calvinistische Reinheit altniederländischer Malerei at -<br />

men. Alina kehrt in den armen Landstrich der Moldau<br />

zurück, um Voichita, die Jugendfreundin und spätere<br />

Geliebte im Waisenhaus, nach Deutschland mitzunehmen,<br />

findet sie in einer entbehrungsreich lebenden<br />

Klostergemeinschaft, kann sie nicht vom Ruf Gottes<br />

losreißen und nimmt um ihretwillen mit der pathologi-<br />

schen Verzweiflung Liebender den Kampf mit den Dogmen<br />

der Orthodoxie auf. Mungiu erzählt unparteiisch,<br />

entfaltet das Weltverständnis der Nonnen in der Konzentration<br />

auf die Körperlichkeit einer spirituellen Praxis,<br />

deren buchstäbliches Heilsversprechen den humanen<br />

Horizont überschreitet.<br />

▶ Freitag, 26. Oktober 2012, 21.00 Uhr<br />

ALEXANDRA – Rumänien 2008 – R+B: Radu Jude –<br />

K: Andrei Butica – D: Serban Pavlu, Alexandra Pascu,<br />

Oana Ioachim – 27 min, OmeU – TOATA LUMEA DIN<br />

FAMILIA NOASTRA (ALLE IN UNSERER FAMILIE) –<br />

Rumänien 2012 – R+B: Radu Jude – K: Andrei Butica<br />

– D: Serban Pavlu, Mihaela Sirbu, Gabriel Spahiu –<br />

107 min, OmeU – Judes Figuren sind von unbändigem<br />

Spieltrieb, und ihre Beziehungen zueinander sind ständiges<br />

hausgemachtes Theater. In ALEXANDRA streiten<br />

Vater, Mutter und deren neuer Lebensgefährte um die<br />

Deutungshoheit des Wortes »Papa« – der misstrau -<br />

ische Papa sieht sich aus dem Leben der Tochter<br />

herausgedrängt. In ALLE IN UNSERER FAMILIE setzt<br />

der Vater dann in derselben Sache zu anarchischer Gegengewalt<br />

an. Marius will sein gerichtlich zuerkanntes<br />

Besuchsrecht wahrnehmen, Otilia, die Mutter, will das<br />

vereiteln, der neue Freund und die Großmutter treiben<br />

die rasant Volten schlagende Eskalation voran. Mit<br />

Judes Film fällt ein Tabu für das rumänische Kino:<br />

jenes des Klischees, der Geste aus zweiter Hand, der<br />

grellen Farbe und des geschmacklosen Schlagabtauschs.<br />

Die Hysterie der Verhältnisse ist zugleich zenbuddhistische<br />

Fügung und schiere Lebenskraft.<br />

▶ Samstag, 27. Oktober 2012, 21.00 Uhr<br />

FILM PENTRU PRIETENI (EIN FILM FÜR FREUNDE) –<br />

Rumänien 2011 – R+B: Radu Jude – K: Andrei Butica<br />

– D: Gabriel Spahiu, Serban Pavlu, Lucia Maier –<br />

60 min, OmeU – In einer tour de force ungeschnittener<br />

30 Minuten nimmt der Schauspieler Gabriel Spahiu vor<br />

dem geplanten Selbstmord eine Videobotschaft an<br />

seine Freunde auf. Der Kinozuschauer ist nicht gemeint,<br />

bleibt auf Distanz. »Es ist tragisch, dass es so<br />

komisch ist«, sagt Jude. Der Suizid misslingt, die Kamera<br />

läuft weiter, die Amateuraufnahme wird zum<br />

Fenster in eine Welt, in der Nachbarn, dann Sanitäter<br />

aus dem Off kommen und verzweifelt agieren. Mit<br />

Freunden an zwei Tagen in Spahius Wohnung gedreht,<br />

erreicht der Film eine seltene Einheit von Form und Inhalt.<br />

Jude sucht wieder – wie in ALLE IN UNSERER FA-<br />

MILIE – das Extrem, das bislang Ungesehene, einen<br />

Naturalismus des Ausnahmezustandes.<br />

▶ Sonntag, 28. Oktober 2012, 21.00 Uhr<br />

Rumänien<br />

45


Film und Psychoanalyse<br />

46<br />

Jetzt wird’s ernst! Die letzte Komödienstaffel und unser<br />

hingebungsvolles Publikum haben uns ermutigt, der<br />

leichten Muse noch etwas näher zu treten. Nach den<br />

Titanen des Genres in der ersten Staffel, den Marx<br />

Brothers, Ernst Lubitsch und Billy Wilder, hatte uns<br />

Martin Scorseses KING OF COMEDY bereits einen Vorgeschmack<br />

auf die Metakomödie gegönnt, die davon<br />

lebt, dass im Film das Filmkomische selbst aufs Korn<br />

genommen wird. In unserer neuen Staffel geben sich<br />

weitere Artisten der Selbstreferenz die Ehre: Woody<br />

Allen, der die Psychoanalyse als Leinwand benutzt,<br />

Crichton und Cleese, die aus einer Heist-Vorlage ein<br />

unwiderstehliches Pointenpatchwork häkeln, Bill Murray,<br />

der sozusagen aus dem Film nicht mehr herauskommt,<br />

und zum Abschluss der Meister des Unauffälligen,<br />

Jacques Tati mit seiner Figur Monsieur Hulot. Was<br />

die Psychoanalyse dazu zu sagen hat? Verraten wir<br />

nicht. Andreas Hamburger<br />

ANNIE HALL (DER STADTNEUROTIKER) – USA 1977<br />

– R: Woody Allen – B: Woody Allen, Marshall Brickman<br />

– K: Gordon Willis – D: Woody Allen, Diane Keaton,<br />

Tony Roberts, Carol Kane, Paul Simon – 93 min, OmU<br />

– Der erfolgreiche Komiker Alvy Singer liebt und verliert<br />

die Sängerin Annie Hall: Kein neues Thema in der Film-<br />

Film und Psychoanalyse<br />

geschichte. Aber wie Allen das Paar sich in ständigen,<br />

hypomanischen Selbsterklärungen finden – und natürlich<br />

hauptsächlich verfehlen lässt, wie Alvy ständig von<br />

autobiographischen Assoziationen heimgesucht wird,<br />

die ihm helfen sollen, sich zu verstehen und ihn doch<br />

nur verwirren und uns belustigen, das ist nicht nur einzigartig<br />

komisch, sondern Woody Allen hat mit seinem<br />

Film einem Männertyp der 1970er Jahre ein ironisches<br />

Denkmal gesetzt, den der deutsche Verleihtitel DER<br />

STADTNEUROTIKER ausnahmsweise einmal gut erfasst.<br />

Wie virtuos der Film auch formal ist, mit seinen<br />

locker ineinander geschachtelten Rückblenden, seinen<br />

Doppelbelichtungen, dem direkten Ansprechen des Publikums<br />

und mit seinen Untertitelungen: Das kann man<br />

mehr als drei Jahrzehnte nach der Entstehung fast<br />

noch besser genießen als beim ersten Sehen.<br />

▶ Sonntag, 21. Oktober 2012, 17.30 Uhr (Einführung:<br />

Matthias Baumgart)<br />

A FISH CALLED WANDA (EIN FISCH NAMENS<br />

WANDA) – USA 1988 – R: Charles Crichton – B: John<br />

Cleese – K: Alan Hume – M: John Du Prez – D: John<br />

Cleese, Jamie Lee Curtis, Kevin Kline, Michael Palin,<br />

Maria Aitken – 108 min, OmU – Aus der Feder des<br />

Monty Python-Stars John Cleese stammt diese briti-<br />

ANNIE HALL


sche Kult-Komödie von 1988. Der Plot um ein Gaunerquartett<br />

gibt den Autoren Gelegenheit, schwärzesten<br />

britischen Humor mit einem lustvollen Angriff auf bürgerliche<br />

Moral- und Ehrvorstellungen zu verbinden.<br />

Tabus werden im befreienden Lachen über Behinderung,<br />

Verklemmtheit, Tierliebe und über den Anspruch<br />

auf Treue, Ehrlichkeit und Anstand außer Kraft gesetzt.<br />

Lebensformen von »geordneter Sexualität« und Ver -<br />

suche sexueller Befreiung gehen ineinander über.<br />

▶ Sonntag, 18. November 2012, 17.30 Uhr (Einführung:<br />

Heidi Spanl, Katharina Leube-Sonnleitner)<br />

GROUNDHOG DAY (…UND TÄGLICH GRÜSST DAS<br />

MURMELTIER) – USA 1993 – R: Harold Ramis – B:<br />

Danny Rubin – K: John Bailey – M: George Fenton – D:<br />

Bill Murray, Andie MacDowell, Chris Elliott, Steven Tobolowsky,<br />

Brian Doyle-Murray – 101 min, OmU – Phil<br />

Connors ist ein zynischer TV-Wetteransager, der wie<br />

jedes Jahr im Februar über ein Wetterritual in Illinois<br />

berichten muss, bei dem ein erwachendes Murmeltier<br />

das Frühjahr ankündigt. Zu seinem Schrecken muss er<br />

erkennen, dass er in einer Zeitschleife festhängt, die<br />

denselben Tag immer wieder aufs Neue in seinem Hotelzimmer<br />

beginnen lässt. Ob in der Filmtrilogie BACK<br />

TO THE FUTURE, den TERMINATOR-Filmen oder eben<br />

GROUNDHOG DAY – für den Film war es immer eine<br />

faszinierende Möglichkeit, mit den Zeitebenen spielen<br />

zu können, in Zeitlöcher oder -schleifen zu geraten, in<br />

der Zukunft oder Vergangenheit festgehalten zu sein<br />

und versuchen zu müssen, in die eigene, »richtige« Zeit<br />

zurückkehren zu können.<br />

▶ Sonntag, 13. Januar 2013, 17.30 Uhr (Einführung:<br />

Mathias Lohmer, Eva Friedrich)<br />

LES VACANCES DE M. HULOT (DIE FERIEN DES<br />

MONSIEUR HULOT) – Frankreich 1953 – R: Jacques<br />

Tati – B: Jacques Tati, Henri Marquet – K: Jacques<br />

Mercaton – M: Alain Romans – D: Jacques Tati, Nathalie<br />

Pascaud, Michele Rolla, André Dubois – 99 min,<br />

OmeU – Jacques Tatis Abenteuer in einer kleinen Badestadt<br />

am Atlantik. Mit dem ihm ganz eigenen skurrilen,<br />

dem Stummfilm verwandten Humor schildert Tati<br />

die Fährnisse eines Außenseiters, der von der heterogenen<br />

Gruppe der Urlauber wegen seines ungewollt<br />

»asozialen« Verhaltens abgelehnt wird. Mit seinem<br />

chaotischen Charme gewinnt er allerdings die Sympathie<br />

der allseits begehrten Martine. Die Komik entsteht<br />

durch die körpersprachlichen Eigenheiten des Protagonisten,<br />

den Lärm und die Tumulte, die er in der Gruppe<br />

produziert, und die Kettenreaktionen von Alltagskatastrophen,<br />

die er unabsichtlich auslöst. Gezeigt wird die<br />

ungekürzte Urfassung des Films aus dem Jahr 1953.<br />

▶ Sonntag, 17. Februar 2013, 17.30 Uhr (Einführung:<br />

Corinna Wernz, Andreas Hamburger)<br />

A FISH CALLED WANDA<br />

Film und Psychoanalyse<br />

47


Olympia 1936<br />

48<br />

Leni Riefenstahls monumentaler, zweiteiliger Film<br />

OLYMPIA gilt noch heute als einer der »besten Sportfilme«.<br />

Sein Ruf ist legendär, und zweifelsohne ist<br />

schon seine Entstehungsgeschichte einzigartig: Der<br />

Film wurde mit einem nicht nur für die damaligen Zeit<br />

unglaublichen Budget gedreht, das ein Vielfaches über<br />

den Herstellungskosten eines normalen Spielfilms lag,<br />

und erst zwei Jahre nach dem Ereignis ins Kino gebracht,<br />

weil Riefenstahl allein anderthalb Jahre im<br />

Schneideraum verbrachte. Sie sah in dem Projekt eine<br />

Herausforderung, die ihr weltweite Beachtung und<br />

Ruhm einbringen sollte. So erstellte Riefenstahl selber<br />

leicht umgeschnittene und veränderte Sprachfassungen<br />

von OLYMPIA in Englisch, Französisch, Italienisch<br />

und Japanisch, besuchte die Premieren in verschiedenen<br />

europäischen Ländern und nahm zahlreiche Auszeichnungen<br />

entgegen. Nur in Hollywood, wo man ihre<br />

Nähe zu den Machthabern des NS-Regimes missbilligte,<br />

verweigerte man ihr die Anerkennung – als Riefenstahl<br />

im November 1938 in Los Angeles eintraf,<br />

wurde sie von fast allen Vertretern der Filmwirtschaft<br />

boykottiert. Joseph Goebbels hatte OLYMPIA in höchs-<br />

Olympia 1936<br />

ten Tönen gelobt: »Der hinreißende Rhythmus dieses<br />

gewaltigen Sportepos verrät Geist vom Geiste unserer<br />

Zeit. In einer modernen, aber dabei disziplinierten und<br />

gründlichen Arbeit ist hier ein künstlerischer Film zustande<br />

gekommen, der alle Bewunderung verdient. Er<br />

wird deutsche Geltung in der Welt vertreten und Zeugnis<br />

ab legen von der Größe unseres Volkes und unserer<br />

Zeit.« Enttäuscht teilte Riefenstahl den amerikanischen<br />

Pressevertretern mit: »Obwohl Amerika auf der Olympiade<br />

1936 große Erfolge erzielt hat, wird der Film mit<br />

seinen siegreichen Athleten hier nicht gezeigt, weil die<br />

amerikanische Filmindustrie sowohl in der Produktion<br />

als auch im Verleih von Leuten kontrolliert wird, die das<br />

heutige Deutschland ablehnen. Und dies, obwohl es<br />

sich bei den Olympischen Spielen um ein reines Sportereignis<br />

handelt und obwohl der Film überall sonst auf<br />

der Welt gezeigt worden ist.«<br />

Riefenstahls Film erfuhr von denjenigen, die ihn gesehen<br />

hatten, seinerzeit durchweg Bewunderung für<br />

seine technische Perfektion und stilisierte Ästhetik.<br />

Diese hat sich heute in Werbung, Sportberichterstattung<br />

und Fotografie längst durchgesetzt: »Riefenstahls<br />

Foto: Leni Riefenstahl © International Olympic Committee / Leni Riefenstahl Medienarchiv


Filme – und das ist ihr hervorstechendes Merkmal –<br />

sind in einer besonders nachdrücklichen Weise auf das<br />

Große, Bedeutende, Schöne aus und bar jeglicher wie<br />

beiläufig oder nebenher gezeigten Begebenheiten. Sie<br />

kennen folglich weder Ambivalenz noch gar Widersprüche,<br />

interessieren sich weder für das Alltägliche noch<br />

das Absonderliche. Diese Filme suchen das ›Typische‹<br />

oder genauer: das Typisierte. Riefenstahls Kunstbegriff<br />

ist frei von Ironie und Humor, ihre Werke meiden reflexive<br />

Momente.« (Rainer Rother) Als Perfektionistin arbeitete<br />

Riefenstahl auch über die Premiere hinaus an<br />

ihrem Film. Sie änderte immer wieder Kleinigkeiten und<br />

ließ aus den 400.000 Metern Filmmaterial, die ihre<br />

43 Kameramänner aufgenommen hatten, noch kurze<br />

Sportlehrfilme herstellen. Als OLYMPIA 1958 in der<br />

Bundesrepublik von einem Verleih noch einmal in die<br />

Kinos gebracht wurde, musste sie, um eine Freigabe<br />

der Freiwilligen Selbstkontrolle der deutschen Filmwirtschaft<br />

(FSK) zu erhalten, alle NS-Symbole und den Auftritt<br />

von Adolf Hitler entfernen. 1967 schnitt Riefenstahl<br />

eine neue Fassung der englischen Version des Films,<br />

die anlässlich der Olympischen Sommerspiele 1968 in<br />

Mexiko laufen sollte. In der Bundesrepublik konnte der<br />

Film zu Lebzeiten Leni Riefenstahls nur mit ihrer persönlichen<br />

Genehmigung aufgeführt werden, wobei sie<br />

filmhistorische Einführungen oder Kommentierungen<br />

jedweder Art verbot.<br />

Das International Olympic Committee (IOC) in Lausanne<br />

ist seit Jahren bemüht, die offiziellen Olympia-Filme,<br />

die seit 1924 entstanden, zu restaurieren und zu archivieren.<br />

Die Arbeit an OLYMPIA dauerte vier Jahre.<br />

Da nur noch umgeschnittene Versionen des Films existierten,<br />

wurden Filmmaterialien aus 23 Archiven zusammengetragen,<br />

darunter Teile des originalen Nitro-<br />

Negativmaterials, das Leni Riefenstahl im George Eastman<br />

House in Rochester eingelagert hatte. In mühevoller<br />

Kleinarbeit wurden die Filmkopien Bild für Bild verglichen<br />

und in 4K-Auflösung gescannt. Die Aufführung<br />

im Filmmuseum München ist die erste öffentliche Präsentation<br />

der restaurierten Urfassung und wird von den<br />

Filmrestauratoren Adrian Wood und Robert Jaquier eingeführt.<br />

Begleitend zu ihrem Vortrag über ihre Restaurierungsarbeit<br />

werden zwei weitere Raritäten gezeigt:<br />

Ein von Riefenstahl 1937 produzierter Film über die<br />

Fertigstellung des OLYMPIA-Films, der im Ausland zur<br />

Vorabwerbung eingesetzt wurde, und der offizielle Film<br />

zu den Olympischen Winterspielen 1936 in Garmisch-<br />

Partenkirchen JUGEND DER WELT von Carl Junghans.<br />

Dieser weitgehend in Vergessenheit geratene Film ist<br />

besonders interessant, weil Junghans ähnliche Stilmittel<br />

wie Riefenstahl einsetzte.<br />

Fotos: Lothar Rübelt © International Olympic Committee<br />

Leni Riefenstahl bei den Dreharbeiten zu OLYMPIA<br />

Olympia 1936<br />

49


Olympia 1936<br />

50<br />

Rainer Rother verglich die beiden Filme: »JUGEND DER<br />

WELT stellt keine Chronik dar, sondern geht in bewusster<br />

Abgrenzung von der Wochenschau so weit, die Sieger<br />

der Wettbewerbe namentlich nicht einmal zu nennen.<br />

Nur eingeblendete Fahnen geben dem Zuschauer<br />

einen vagen Hinweis auf die Gewinner. Die souveräne<br />

Distanz zur bloßen Reportage ist bei Junghans so weit<br />

getrieben, dass einzelne Disziplinen nur noch als Stakkato<br />

einer extrem ›schnellen‹ Montage vorgestellt werden.<br />

Die Musik Walter Gronostays unterstützt das,<br />

indem sie die Einstellungen zusätzlich dynamisiert. Das<br />

›Avantgardistische‹ des Werks fand nicht jedermanns<br />

Beifall, erschwerte sicherlich eine breite Rezeption. Riefenstahl<br />

hat die Extreme vermieden. Die Zuschauer, die<br />

sich von JUGEND DER WELT überfordert fühlten, erhielten<br />

in OLYMPIA genügend Orientierungshilfe. Die einzelnen<br />

Wettkämpfe wurden möglichst so geschnitten,<br />

dass klare Spannungsbögen erkennbar sind. Das<br />

führte zu einer paradoxen Häufung von sportlichen Entscheidungen,<br />

die scheinbar erst im letzten Versuch fielen<br />

– was den realen Verläufen der Wettkämpfe (wie<br />

zum Beispiel beim Weitsprung der Männer oder beim<br />

Speerwerfen der Frauen) gar nicht entsprach. Die Zuschauer<br />

sollten vom Film durchgängig ›gefesselt‹ sein.<br />

Auf diese Art bekommt selbst das Endspiel im Hockey<br />

auf der Leinwand eine Dramatik, die es im Stadion nie<br />

entfalten konnte, da Deutschland gegen Indien ohne<br />

jede Chance war und mit 1:8 verlor – ein Ergebnis, das<br />

der Film verschweigt.« Stefan Drößler<br />

JUGEND DER WELT. DER FILM VON DEN IV. OLYM-<br />

PISCHEN WINTERSPIELEN IN GARMISCH-PARTEN-<br />

KIRCHEN 1936 – Deutschland 1936 – R: Carl Junghans<br />

– B: Carl Junghans, Hans Weidemann – K: Sepp<br />

Allgeier, Hans Ertl, Hugo O. Schulte, Kurt Neubert, Walter<br />

Frentz, Heinz von Jaworsky, Erich Stoll, Paul Tesch,<br />

Carl Heinrich Wenng, Heinz Kluth, Bernhard Juppe,<br />

Hans Winterfeld – M: Walter Gronostay – 37 min –<br />

Ursprünglich sollte Leni Riefenstahl auch einen Film<br />

über die Olympischen Winterspiele 1936 drehen, doch<br />

wegen anderweitiger Verpflichtungen verzichtete sie<br />

auf diesen Auftrag. Der Film wurde von Riefenstahls<br />

Kameraleuten gedreht und unter Hans Weidemanns<br />

»künstlerischer Oberleitung« von Carl Junghans montiert.<br />

Er wurde als bester Dokumentarfilm bei der 4. Mostra<br />

internazionale d’arte cinematografica di Venezia<br />

1936 ausgezeichnet und erhielt einen Grand Prix bei<br />

der Internationalen Ausstellung in Paris 1937. – DER<br />

OLYMPIA-FILM ENSTEHT / AUTOUR DES TRAVAUX<br />

EFFECTUES POUR LE FILM DES JEUX OLYMPIQUES<br />

1936 / BEHIND THE SCENES OF THE FILM ABOUT<br />

THE OLYMPIC GAMES 1936 – Deutschland 1937 –<br />

R+B: Rudolf Schaad – M: Walter Gronostay – 35 min,<br />

englisch-französische OF – Da Leni Riefenstahl für den<br />

Schnitt ihrer Olympia-Filme eineinhalb Jahre be nötigte,<br />

wurde von ihren Assistenten einen Vorabfilm zusammengestellt,<br />

der 1937 auf der Internationalen Ausstellung<br />

in Paris und auf der 5. Mostra internazionale<br />

d’arte cinematografica di Venezia gezeigt wurde. Der<br />

Film ist in Deutschland nie aufgeführt worden und liegt<br />

deshalb nur in einer bilingualen fremdsprachigen Fassung<br />

vor.<br />

▶ Dienstag, 30. Oktober 2012, 18.30 Uhr (Englischer<br />

Einführungsvortrag über die Rekonstruktion von OLYM-<br />

PIA: Robert Jaquier & Adrian Wood)<br />

OLYMPIA. DER FILM VON DEN XI. OLYMPISCHEN<br />

SPIELEN BERLIN 1936 – Deutschland 1938 – R+B:<br />

Leni Riefenstahl – K: Hans Ertl, Walter Frentz, Guzzi<br />

Lantschner, Kurt Neubert, Hans Scheib, Andor von<br />

Barsy, Willy Zielke, Wilfried Basse, Josef Dietze, Edmund<br />

Epkins, Fritz von Friedl, Hans Karl Gottschalk,<br />

Richard Groschopp, Willy Hameister, Wolf Hart, Hasso<br />

Hartnagel, Walter Hege, Eberhard von der Heyden, Albert<br />

Höcht, Paul Holzki, Werner Hundhausen, Heinz von<br />

Jaworsky, Hugo von Kaweczynski, Herbert Kebelmann,<br />

Sepp Ketterer, Albert Kling, Ernst Kunstmann, Leo de<br />

Laforgue, Alexander von Lagorio, Eduardo Lambertini,<br />

Otto Lantschner, Waldemar Lembke, Georg Lemki,<br />

C. A. Linke, Erich Nitzschmann, Albert Schattmann, Wilhelm<br />

Schmidt, Hugo O. Schulze, Leo Schwedler, Alfred<br />

Siegert, Wilhelm Georg Siehm, Ernst Sorge, Hans von<br />

Stwolinski, Karl Vass – M: Herbert Windt – 230 min –<br />

Olympia wurde am 20. April 1938, an Adolf Hitlers<br />

49. Geburtstag, in Berlin uraufgeführt. Anwesend war<br />

die gesamte Berliner Prominenz aus Politik, Wirtschaft,<br />

Militär, Industrie und Kultur. Der Film wurde später für<br />

den Kinoeinsatz in zwei Teilen herausgebracht: FEST<br />

DER VÖLKER und FEST DER SCHÖNHEIT. Erstmals ist<br />

der Film wieder in seiner Uraufführungsfassung zu<br />

sehen, die das International Olympic Committee aufwändig<br />

restauriert hat.<br />

▶ Mittwoch, 31. Oktober 2012, 19.00 Uhr (Einführung:<br />

Stefan Drößler)


70 Rosa Filme<br />

1967 drehte er seinen ersten Film, da war Rosa von<br />

Praunheim 25 – geboren als Holger Mischwitzky am<br />

25. November 1942 in Riga, aufgewachsen in Ost-<br />

Berlin und später im Stadtteil Praunheim von Frankfurt<br />

am Main. Drei Jahre später kam NICHT DER HOMO -<br />

SEXUELLE IST PERVERS, SONDERN DIE SITUATION, IN<br />

DER ER LEBT in die Kinos. 1969 war der in der von den<br />

Nazis verschärften Form geltende § 175, der »Unzucht<br />

zwischen Männern« unter Strafe stellte – und erst<br />

1994 ganz abgeschafft wurde – auf Beziehungen von<br />

über 18-jährigen mit noch nicht Volljährigen beschränkt<br />

worden. Am 31. Januar 1972 zeigte das<br />

WDR-Fernsehen diesen bis heute auch in Schwulenkreisen<br />

umstrittenen Film, der Rest der ARD-Sender<br />

schaltete ab. Heute hat jede TV-Serie ihren Quoten-<br />

Schwulen, Spielfilme zeigen expliziten schwulen Sex<br />

zur besten Sendezeit, Tabu-Themen wie Pädophilie erobern<br />

den TATORT.<br />

Ein Leben lang hat Rosa über 70 Filme (nicht nur) mit<br />

und über Schwule gedreht – und über ihre Idole: Spielfilme,<br />

Dokus, krude Mischungen aus beidem: ARMEE<br />

DER LIEBENDEN (1979) dokumentiert die Schwulenbewegung<br />

in den USA, EIN VIRUS KENNT KEINE MORAL<br />

(1985) ist eine bitterkomische, schrille Abrechung aus<br />

den ersten Jahren nach Entdeckung des HIV-Virus,<br />

ANITA – TÄNZE DES LASTERS (1987) porträtiert Anita<br />

Berber, ÜBERLEBEN IN NEW YORK (1989) drei junge<br />

deutsche Frauen in New York, AFFENGEIL (1990) Lotti<br />

Huber. DER EINSTEIN DES SEX (1999) ist ein Spielfilm<br />

über den Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld.<br />

MÄNNER, HELDEN, SCHWULE NAZIS über die Faszination<br />

rechten Gedankenguts auf Homosexuelle kommt<br />

2005 in die Kinos, MEINE MÜTTER erzählt 2007 die<br />

Suche nach der Geschichte von Praunheims leiblicher<br />

Mutter, von der er erst 2000 durch seine 94-jährige<br />

(nun Adoptiv-)Mutter erfahren hatte. Zuletzt waren<br />

ROSAS HÖLLENFAHRT (2009) auf den Spuren der Höllenvorstellungen<br />

verschiedener Religionen, DIE JUNGS<br />

VOM BAHNHOF ZOO (2011) und KÖNIG DES COMICS<br />

(2012) über den schwulen Zeichner Ralf König zu<br />

sehen.<br />

Und jetzt das ultimative, exzessive Projekt zum runden<br />

Geburtstag: 70 neue Filme zu Rosas 70. oder auch<br />

70 ROSA FILME. Diese zwischen 4 und 40 Minuten langen<br />

Werke mit einer Gesamtlänge von über 20 Stunden<br />

sind oft schon vor ein paar Jahren entstanden oder<br />

wurden im Sommer noch gedreht. Sie bilden ein Kaleidoskop<br />

des Lebens in allen seinen Facetten, erzählen<br />

von starken Frauen und starken Schwulen, von jüdischen<br />

Lebenswelten, aber auch von sensiblen Heteros.<br />

Rosa leitet sie, bestückt mit immer anderen, schrillen,<br />

oft paillettenbesetzten Hutkreationen vielfach ein mit:<br />

»Würdest du dich bitte vorstellen!« Ganz alltägliche,<br />

kleine, aber spannende Biographien kommen da zum<br />

Vorschein, oder ein unglaublicher Lebensrückblick wie<br />

im Falle der jüdischen Familie um den Filmmogul Atze<br />

ICH BIN EIN GEDICHT<br />

Rosa von Praunheim<br />

51


Rosa von Praunheim<br />

EVA MATTES<br />

52<br />

KINGS OF PORN<br />

Brauner. Dies ist nicht ohne Grund Rosas Lieblingsfilm,<br />

der seinen Höhepunkt in der Synagoge bei der Bar<br />

Mitzwa der Zwillinge von Tochter Alice Brauner und<br />

dem anschließenden rauschenden Fest hat. Auch das<br />

Doppelporträt von Ulla und Karsten Klingbeil – er einst<br />

erfolgreich im Baugewerbe und Bildhauer, sie heute<br />

umtriebige Charity-Lady – ist unterhaltsam, informativ,<br />

lustig und berührend: »Der, der geliebt wird, ist nie tot«,<br />

lautet der letzte Satz und die sonst so taffe Frau bekommt<br />

Tränen in die Augen.<br />

Manchmal wünscht man sich, dass ein Film wie der<br />

über Eva Mattes länger dauert als 21 konzentrierte Minuten;<br />

manchmal reichen fünf Minuten voll und ganz,<br />

um ein Thema anzureißen. Aber auch wenn Gerd und<br />

Conny (MEINE NACHBARN) eine halbe Stunde vom Zusammenleben<br />

über Jahrzehnte und den am Down-Syndrom<br />

erkrankten Bruder Connys erzählen, kommt nie<br />

Langeweile auf, erlebt man die Dokumentation einer<br />

von Respekt, Liebe, Freiheit und feinem Spott getragenen<br />

Beziehung.<br />

Schrilles und Schräges, Saftiges (KINGS OF PORN) und<br />

Knallbuntes, ungemein Komisches (DER FRÖHLICHE<br />

SERIENMÖRDER), aber auch Anrührendes und Leises<br />

(EIN VATER STIRBT) findet sich unter den 70 Filmen.<br />

Sensible Künstler kommen zu Wort und wilde Vögel, introvertierte<br />

Menschen, Krawalltunten und ein schwuler<br />

Schornsteinfeger, der einen Beruf unter lauter Heteros<br />

und Privatleben, in dem er ein S/M-Festival organisiert,<br />

perfekt verbinden kann. Schauspieler und Sänger aller<br />

Couleur sind dabei, wie ein im Technostil Seemannslieder<br />

singender, bärtiger, tätowierter Prackl oder eine<br />

zarte Rumänin (Sanda Weigl), schwule Verlagsleiter wie<br />

Michael Merschmeier und der mit HIV lebende Dichter<br />

Mario Wirtz, der Schauspieler und Regisseur Peter<br />

Kern (AXEL UND PETER) oder der Theologe David<br />

Berger, der lange im Vatikan den »heiligen Schein«<br />

bewahren musste, bevor er sich als schwuler Katholik<br />

outete.<br />

Allein ein Drittel der Filme ist Schwulen, Lesben, Transgender<br />

gewidmet: Strichern, Pornodarstellern, Dragqueens,<br />

einer lesbische Sexualwissenschaftlerin, die<br />

lustvoll weibliche Genitalien zelebriert (MÖSENMONAT<br />

MÄRZ), Edith alias Ades Zabel, dem berühmtesten homosexuellen<br />

Komiker Berlins und einem SPD-Politiker<br />

wie Georg Härpfer, der sich lebenslang für schwule<br />

Rechte einsetzt. Aber auch Tabu-Themen wie männliche<br />

Prostitution oder Schwule im Alter (GAY NOT GREY)<br />

scheut Rosa von Praunheim nicht. Letzteres ist ein<br />

Halbstunden-Film, in dem der 85-jährige Gottfried und<br />

der 20-jährige Max samt ihrer Gemeinschaft in einem<br />

Haus mit 20 Wohnungen für alte Schwule und Lesben<br />

– eine Demenz-WG eingeschlossen – porträtiert werden.<br />

Und wenn Porno-Stars (PORNO PETO) ganz zärtlich<br />

eine Liebesszene spielen, dann widerspricht auch<br />

das allen Klischees.<br />

Meist hat Rosa die Gesichter der Menschen, mit denen<br />

er spricht, im Blick der Kamera, oder er schneidet alte<br />

Fotos dazwischen, Ausschnitte aus Theateraufführungen,<br />

mischt fließenden Verkehr darunter oder Architektur-Details.<br />

Oft filmt er die Interieurs, in denen die Gespräche<br />

stattfinden, aber auch mit Vorliebe Blumen –<br />

auf dem Balkon, am Grab (der Berliner Ex-Senatorin<br />

Anne Klein in EINE LESBISCHE WITWE) oder im verwunschenen<br />

Dachgarten von Eva Mattes. Das erzählt<br />

manchmal mehr als alle Worte. Schöne, sprechende<br />

Bilder ergeben sich da wie nebenbei und (fast) ohne<br />

Absicht.<br />

Der Großstadtdschungel Berlins, das Multikulturelle,<br />

überhaupt die Atmosphäre der Metropole ist Hintergrund<br />

und Würze vieler, ja fast aller Filme. Dezidiert<br />

»Berliner Luft« atmen so verschiedene Filme wie der<br />

über einen Luxus-Zahnarzt am Ku’damm, MEIN<br />

PREUSSENPARK, der in 30 Minuten den Mikrokosmos<br />

eines Parks auffächert, in dem Ausländer auf Berliner,<br />

Ordnungsmacht auf Laissez-Faire, Normalo auf Pa -


AXEL UND PETER<br />

radiesvogel trifft, oder GLOBALES LERNEN IN NEU-<br />

KÖLLN, der mit Inge Marcus eine 70-jährige, un -<br />

gemein jugendlich forsche, sympathische Frau porträtiert,<br />

deren Biografie sich über den ganzen Globus erstreckt,<br />

was eine immer wieder dazwischen geschnittene<br />

Weltkarte auf dem Tisch mit allerlei Fähnchen<br />

wunderbar illustriert.<br />

Ein Film stammt nicht von Rosa von Praunheim selbst:<br />

Für ICH BIN EIN GEDICHT inszeniert Elfi Mikesch, Kamerafrau<br />

– nicht zuletzt Werner Schroeters – und Regisseurin,<br />

Rosa als Traum in rosa Tüll auf dem Rad.<br />

Später wird er in dieser Verkleidung das erste Opfer<br />

des FRÖHLICHEN SERIENMÖRDERS, einer herrlichen<br />

Farce in den fantastischen Ruinen der Heilstätten von<br />

Beelitz mit zwölf Schauspielschülern, die mal sich, mal<br />

ein krudes Szenario spielen und das alles mit einem<br />

großartigen Augenzwinkern. Quasi der Vorfilm dazu ist<br />

DAVID KOKS, in dem der spätere Serienmörder sich<br />

fünf schöne Frauen erträumt. Auch AXEL UND PETER<br />

mit zwei wahrlich vollschlanken Schauspielern ist ein<br />

solches Vexierspiel, bei dem man erst am Ende begreift,<br />

dass alle Gemeinheiten, aller Zwist nur Spiel<br />

waren. MARTA UND HILDE stellt die Beziehung von<br />

Marta Feuchtwanger und ihrer Sekretärin Hilde in<br />

einem schrägen Film-Dialog in den Mittelpunkt. Und<br />

schließlich überlagern sich in NEW YORK SISTERS die<br />

Interviews mit sechs Schauspielerinnen über Arbeit<br />

und Überleben in dieser Stadt mit der Fiktion, dass eine<br />

Mutter ihre vier Töchter trifft, die allesamt nur Halbschwestern<br />

sind und sich nun das erste Mal sehen.<br />

Von 1970 und NICHT DER HOMOSEXUELLE IST PER-<br />

VERS …bis zu den 70 Filmen zum 70. hat Rosa einen<br />

weiten Weg beschritten und ist doch immer sich selbst<br />

treu geblieben, gemäß der Titel seiner autobiographischen<br />

(Film-)Bücher »Sex und Karriere« (1978), »Rosas<br />

Rache« (2009) und dem Gedichtband »Mein Armloch«<br />

(2002). Was immer war / Ist weg / Was immer kommt<br />

/ Ist unklar / Deshalb gebt Euch keine Mühe / Das<br />

Leben ist so schön / Wie wir selbst.<br />

Klaus Kalchschmid<br />

Möpse und Menschen (Gesamtlänge: 139 min)<br />

ICH LIEBE GROSSE HÜTE – ULLA UND CARSTEN<br />

KLINGBEIL – 33 min – DER FALSCHE GRAF – 14 min<br />

– MöPSE IN NOT (Co-Regie: Oliver Sechting) – 21 min<br />

– BABETH – GELIEBTE GROSSER MÄNNER – 10 min<br />

– EINE JÜDISCHE FAMILIE – MARIA UND ALICE<br />

BRAUNER – 15 min – VALENTINA – EINE LETTISCHE<br />

JÜDIN – 20 min – VON AUSCHWITZ NACH NEW<br />

YORK – ESTHER BAUER – 5 min – AVE MARIA – DIE<br />

GLÄUBIGE RACHELE – 4 min – RUMMELSNUFF –<br />

SEEMANNSLIEDER TECHNO – 10 min – DER SATA-<br />

NIST – 7 min<br />

▶ Freitag, 2. November 2012, 15.00 Uhr<br />

Schauspieler und Dichter (Gesamtlänge: 117 min)<br />

ICH BIN EIN GEDICHT – ELFI MIKESCH INSZENIERT<br />

ROSA UND SEINE GEDICHTE – 19 min – EVA MAT-<br />

TES – 21 min – ICHGOLA ANDROGYN VOM O-TON-<br />

ART THEATER – 24 min – JUGENDTHEATER IN<br />

BRANDENBURG – 19 min – DER KRANKE DICHTER –<br />

MARIO WIRZ – 19 min – DICHTER UND REBELL –<br />

GENNADI TRIFONOV (Co-Regie: Andreas Strohfeld) –<br />

15 min<br />

▶ Freitag, 2. November 2012, 18.30 Uhr<br />

Schwul-lesbische Welten (Gesamtlänge: 160 min)<br />

EINE LESBISCHE WITWE – 11 min – MöSENMONAT<br />

MÄRZ – 18 min – BIN ICH DEIN ONKEL? – 18 min –<br />

MEINE NACHBARN – GERD UND CONNY – 29 min –<br />

DIE SCHWESTERN DER PERPETUELLEN INDULGENZ<br />

– 11 min – BERLIN FROBENSTRASSE – BULGARI-<br />

SCHE TRANSEN IN BERLIN – 4 min – BUKAREST<br />

NORDBAHNHOF – EIN RUMÄNISCHER STRICHER –<br />

MEINE NACHBARN<br />

Rosa von Praunheim<br />

53


Rosa von Praunheim<br />

54<br />

MEIN PREUSSENPARK<br />

ANWALT UND KUNSTLIEBHABER<br />

5 min – PÄDOS UND HILFE FÜR JUNGS – 15 min –<br />

PORNO PETO – 25 min – KINGS OF PORN – 24 min<br />

▶ Freitag, 2. November 2012, 21.00 Uhr<br />

Berliner Luft (Gesamtlänge: 126 min)<br />

DER LUXUS-ZAHNARZT AM KU’DAMM – 11 min –<br />

EIN GRÜNER SACHSE IM WEDDING – 15 min – DER<br />

HÄRTESTE TÜRSTEHER BERLINS – 12 min – BAP-<br />

TISTEN IN BERLIN – 7 min – MEIN PREUSSENPARK<br />

– 30 min – GLOBALES LERNEN IN NEUKöLLN – 25<br />

min – ICH BIN EIN ERFOLGREICHER TÜRKE – 9 min –<br />

OBERBÜRGERMEISTER KLAUS SCHÜTZ – 17 min<br />

▶ Samstag, 3. November 2012, 15.00 Uhr<br />

Gesang, Tanz, Kunst (Gesamtlänge: 105 min)<br />

GIPSY QUEEN VON NEW YORK – SANDA WEIGL –<br />

30 min – EIKE – EIN SCHöNER AKROBAT – 13 min –<br />

EVA UND ADELE – EIN KUNSTPÄRCHEN – 16 min –<br />

ANWALT UND KUNSTLIEBHABER – PETER RAUE –<br />

10 min – KLATSCHREPORTER – ANDREAS KURTZ –<br />

14 min – AUS LIEBE ZUM THEATER – MICHAEL<br />

MERSCHMEIER – 10 min – OUTING GOETHE – 12 min<br />

▶ Samstag, 3. November 2012, 18.30 Uhr<br />

Doku vs. Fiction (Gesamtlänge: 155 min)<br />

DAVID KOKS – EIN PENNER TRÄUMT VON SCHö-<br />

NEN FRAUEN – 9 min – DER FRöHLICHE SERIEN-<br />

MöRDER – 34 min – MARTA UND HILDE – 24 min –<br />

AXEL UND PETER – TITTEN FÜR ARSCH – 40 min –<br />

GERMANS TASTE THE BEST – EINE KANNIBALIN IN<br />

NEW YORK – 18 min – NEW YORK SISTERS –<br />

SECHS WUNDERBARE FRAUEN – 30 min<br />

▶ Samstag, 3. November 2012, 21.00 Uhr<br />

Leben, Lieben, Sterben (Gesamtlänge: 133 min)<br />

AMELIE – DAS MÄDCHEN AUS DEM HINTERHAUS –<br />

15 min – MISSBRAUCHT, POLIZIST UND MöRDER –<br />

8 min – PROFESSORIN IN WEIMAR – CHRISTIANE<br />

VOSS – 12 min – WAS IST DAS BöSE? – RICHTER<br />

BAUER PACKT AUS – 7 min – EIN VATER STIRBT –<br />

FRITZ MIKESCH UND LEANDER – 40 min – EIN HAR-<br />

TES LEBEN (Co-Regie: Oliver Adam Kusio) – 15 min –<br />

SUZY – EINE FRAU AUF HARTZ 4 – 16 min – AUS-<br />

LÄNDER RAUS – EIN FILM ÜBER MIGRATION – 20 min<br />

▶ Sonntag, 4. November 2012, 15.00 Uhr<br />

Film-Künstler (Gesamtlänge: 107 min)<br />

MIT SPECK FÄNGT MAN FILME – WIELAND SPECK –<br />

24 min – DAS ABATON UND SEIN BETREIBER –<br />

WERNER GRASSMANN – 21 min – WERNER<br />

SCHROETER – DAS LETZTE INTERVIEW – 20 min –<br />

DAN TANG – EINE CHINESISCHE FILMEMACHERIN<br />

IN DEUTSCHLAND – 15 min – THIS BRUNNER –<br />

EINE SCHWEIZER FILMLEGENDE – 12 min – KNUT<br />

IST GUT – KNUT ELSTERMANN – 15 min<br />

▶ Sonntag, 4. November 2012, 18.30 Uhr<br />

Schwules Leben (Gesamtlänge: 148 min)<br />

EIN SCHWULER SCHORNSTEINFEGER – ALAIN<br />

RAPPSILBER – 10 min – EIN JOURNALIST AUS NEW<br />

YORK: BRANDON – SCHWUL, JÜDISCH, DEUTSCH –<br />

20 min – ICH BIN EDITH AUS NEUKöLLN – ADES<br />

ZABEL – 18 min – EINE DRAG QUEEN AUS AMSTER-<br />

DAM – LADY GALORE – 14 min – HOUSE OF GA-<br />

LORE IN BERLIN – 20 min – EVA LOVE – BERLINER<br />

TUNTE UND TRANSSEXUELLE IN NEW YORK –<br />

15 min – DER HEILIGE SCHEIN – DER SCHWULE<br />

THEOLOGE DAVID BERGER – 12 min – EIN LEBEN<br />

FÜR SCHWULE RECHTE – GEORG HÄRPFER –<br />

12 min – GAY NOT GREY – ANDERS ALTERN (Co-<br />

Regie: Oliver Sechting) – 27 min<br />

▶ Sonntag, 4. November 2012, 21.00 Uhr<br />

Rosa von Praunheim wird an dem Wochenende bei<br />

eini gen Vorstellungen anwesend sein.


INTO PARADISO<br />

Neapel und der Film: Im Schatten des Vesuvs<br />

»Neapel, das sind tausend Farben, tausend Ängste,<br />

aber auch die Stimmen der Kinder, die allmählich lauter<br />

werden und dir sagen, dass du nicht allein bist. Neapel<br />

ist eine bittere Sonne, ein Geruch von Meer, ein<br />

schmutziger Papierfetzen, um den sich niemand kümmert.<br />

Jeder wartet auf das große Los. Neapel ist eine<br />

große Entdeckungsreise, im Labyrinth seiner Gassen<br />

warten auf dich Träume, aber nie die Wahrheit.« Dieser<br />

Text des neapolitanischen Liedermachers Pino Daniele,<br />

»Napule è«, drückt in wenigen Zeilen die Liebe zu einer<br />

Stadt aus, die man nur poetisch umschreiben kann.<br />

Keine andere Definition kann sie besser erfassen.<br />

Der Film war für Neapel immer zentral, kein anderes<br />

Medium kann diese Stadt besser einfangen, eine Stadt<br />

zwischen den düsteren Lavabrocken, den täglichen<br />

Tragödien einerseits, und dem porösen Licht des Tuffsteins<br />

und der überbordenden Lebensfreude andererseits,<br />

ein ständiges Schwanken zwischen Sicherheit<br />

und Unsicherheit, zwischen Realität und Imagination.<br />

Nirgendwo kann man die Härte des Lebens und die<br />

traumhaften Gebilde der Phantasie besser erfahren. So<br />

scheinen auch die Träume des kleinen Peppino in LA<br />

KRYPTONITE NELLA BORSA (2011) von Ivan Cotroneo<br />

in seiner Situation mehr als notwendig zu sein. Er lebt<br />

in einer Familie, die ihm alles bietet außer liebender Zuwendung.<br />

Nur mit Hilfe seiner Traumwelt kann er sich<br />

entwickeln.<br />

Der Legende nach wurde Neapel von der Sirene Partenope<br />

gegründet und ist zugleich verführerisch und gefährlich.<br />

Eine Stadt, die dich verzaubert, eine Stadt, die<br />

keine Kompromisse kennt. Neapel darf man nicht verstehen<br />

wollen, die Stadt ist wie eine Mutter, die trotz<br />

ihrer tausend Fehler geliebt werden will. Diese Widersprüche<br />

finden ihren vollkommenen Ausdruck sowohl<br />

in den Tragikomödien von Eduardo De Filippo als auch<br />

in den Filmen von Totò und von Massimo Troisi. In unserer<br />

Filmreihe machen Sie mit dieser Mentalität Bekanntschaft<br />

in dem Film COSI PARLO BELLAVISTA<br />

(1984) von Luciano De Crescenzo, der zugleich die<br />

Mimik und Gestik der Neapolitaner vermittelt. Neapel<br />

musste mit vielen Einwanderern fertig werden, und es<br />

musste verschmerzen, nicht mehr Hauptstadt eines Königreiches<br />

zu sein. In all diesen Wechselfällen ist es<br />

sich treu geblieben und hat zugleich seine Ideen in alle<br />

Welt verbreitet. Neapel wird seiner Rolle als Hafenstadt<br />

in mehr als einem Sinne gerecht. Hier kreuzen sich Kulturen,<br />

Rassen, Religionen und Mentalitäten. Neapel<br />

nimmt diese Einflüsse auf, ohne sich selbst zu verlieren.<br />

Neapel und der Film<br />

55


Neapel und der Film<br />

56<br />

Wer nach Neapel kommt, der trifft dort Chinesen, Filipinos,<br />

Inder, Pakistani, Ukrainer, Rumänen, Polen, Senegalesen,<br />

Nordafrikaner. Sie sind Straßenhändler, sie<br />

haben ihre kleinen Geschäfte, sie pflegen Alte und Behinderte,<br />

sie leben mehr oder weniger integriert in neapolitanischen<br />

Familien. Der Film INTO PARADISO<br />

(2010) von Paola Randi gibt uns eine gute Vorstellung<br />

von diesem Völker- und Kulturgemisch und seinen Belastungen<br />

wie Bereicherungen für jeden Beteiligten.<br />

Der Dokumentarfilm NAPOLI PIAZZA MUNICIPIO (2008)<br />

von Bruno Oliviero zeigt einen beeindruckenden Querschnitt<br />

durch das bei Tag und Nacht pulsierende Leben<br />

der Metropole. John Turturro hat in seinem Dokumentarfilm<br />

PASSIONE (2010) den Weg über die Musik gewählt,<br />

um sich der Stadt zu nähern. Er durchstreift mit<br />

uns die Gassen und historischen Plätze und lässt neapolitanische<br />

Klang- wie Bildwelten vor uns entstehen,<br />

die ungewohnte Gefühle in uns auslösen. Mit Neapel<br />

sind viele Filmschauspieler verbunden: Sophia Loren,<br />

Valeria Golino, Silvio Orlando, Toni Servillo, Anna Bonaiuto,<br />

Licia Maglietta – unvergessliche Gesichter.<br />

Unter den Regisseuren finden wir Vittorio de Sica aus<br />

den Zeiten des neorealismo, aus den 1990er Jahren<br />

Martone, Piscicelli, Corsicato, Marra, De Lillo, Capuano,<br />

Incerti und heute Paolo Sorrentino und Matteo<br />

Garrone.<br />

Natürlich kann unsere Filmreihe nur einen kleinen Ausschnitt<br />

aus dem vielseitigen Leben der Stadt Neapel<br />

geben. Mit manchen Vorurteilen soll aufgeräumt werden.<br />

Engagierte Standpunkte der Filmemacher sind in<br />

unserer Reihe ausdrücklich erwünscht. Ein Beispiel<br />

dafür ist der erste Film von Francesco Rosi, LA SFIDA<br />

(1958), der ein Ereignis der cronaca nera der 1950er<br />

Jahre zum Gegenstand hat, des »dunklen Nachrichtenteils«<br />

der Zeitungen über Unfälle und Verbrechen.<br />

Ambra Sorrentino Becker<br />

NAPOLI PIAZZA MUNICIPIO (NEAPEL RATHAUS-<br />

PLATZ) – Italien 2008 – R+B+K: Bruno Oliviero – M:<br />

Riccardo Veno – 55 min, OmeU – Um Neapels Piazza<br />

Municipio liegen viele bedeutsame Orte: das Rathaus,<br />

das im 13. Jahrhundert von den Anjou erbaute Schloss,<br />

die Baustelle der Metro, das Stadttheater Mercadante,<br />

der Blumenmarkt. Die Menschen, die den Platz überqueren,<br />

erzählen ihre eigenen Geschichten von damals<br />

und heute. – PASSIONE – Italien 2010 – R: John Turturro<br />

– B: John Turturro, Federico Vacalebre – K:<br />

Marco Pontecorvo – D: John Turturro, Mina, Max Casella,<br />

Lina Sastri, Massimo Ranieri, Peppe Barra – 96<br />

min, OmU – Das Multitalent John Turturro kehrt mit diesem<br />

Film zu seinen süditalienischen Wurzeln zurück<br />

und präsentiert ein musikalisches Abenteuer: Neapel,<br />

in der französische und arabische Einwanderer sowie<br />

italienische Liedermacher schon immer die Vielfalt der<br />

Musik geprägt haben. Turturros lebendige Dokumentation<br />

berichtet über Lieder und Sänger und den Einfluss<br />

dieser Musik in der ganzen Welt.<br />

▶ Donnerstag 29. November 2012, 19.00 Uhr<br />

INTO PARADISO – Italien 2010 – R: Paola Randi – B:<br />

Paola Randi, Michela Bozzini, Stefano Voltaggio – K:<br />

Mario Amura – M: Fausto Mesolella – D: Gianfelice Imparato,<br />

Saman Anthony, Peppe Servillo, Eloma Ran<br />

Janz, Gianni Ferreri, Shatzi Mosca – 144 min, OmU –<br />

Drei Männer, der schüchterne, gerade arbeitslos gewordene<br />

Wissenschaftler Alfonso, der in korrupte<br />

Machenschaften verwickelte Politiker Vincenzo und der<br />

ehemalige Kricket-Champion Gayaan aus Sri Lanka,<br />

der auf der Suche nach dem Paradies ausgerechnet in<br />

Neapel gelandet ist, treffen sich in einer illegal errichteten<br />

Hütte auf einem Hausdach im Migrantenviertel. Es<br />

entwickelt sich eine Freundschaft, die aus der Not geboren<br />

ist, da Auftragskiller der Camorra ihnen auf den<br />

Fersen sind. INTO PARADISO ist eine witzige, abgedrehte<br />

und einfallsreiche Komödie über Freundschaft<br />

und multikulturelle Solidarität.<br />

▶ Freitag, 30. November 2012, 18.30 Uhr<br />

LA SFIDA (DE HERAUSFORDERUNG) – Italien 1958 –<br />

R: Francesco Rosi – B: Francesco Rosi, Suso Cecchi<br />

D’Amico, Enzo Provenzale – K: Gianni Di Venanzo – M:<br />

Roman Vlad – D: Rosanna Schiaffino, José Suarez,<br />

Nino Vingelli, Rosita Pisano, Angela Luce – 93 min,<br />

OmeU – Vito Polara, ein ehrgeiziger, skrupelloser junger<br />

Mann, will zu schnellem Geld und Erfolg kommen.<br />

Vom Zigarettenschmuggel steigt er auf den Obst- und<br />

Gemüsehandel um, der aber von der Camorra beherrscht<br />

wird. Francesco Rosis erster Spielfilm, der<br />

sich auf einen authentischen Fall beruft, verbindet präzise<br />

Milieubeschreibungen neorealistischen Kinos mit<br />

Elementen des amerikanischen sozialen Dramas und<br />

Gangsterfilms. Er wurde bei den Filmfestspielen in Venedig<br />

1958 mit mehreren Preisen ausgezeichnet,<br />

nachdem er zuvor Proteste ausgelöst hatte und mit<br />

einem Aufführungsverbot belegt worden war.<br />

▶ Samstag, 1. Dezember 2012, 18.30 Uhr<br />

GORBACIOF (GORBATSCHOW) – Italien 2010 – R:<br />

Stefano Incerti – B: Stefano Incerti, Diego De Silva – K:<br />

Pasquale Mari – M: Teho Teardo – D: Toni Servillo,<br />

Geppy Gleijeses, Mi Yang, Gaetano Bruno, Hal Yamanouchi<br />

– 85 min, OmeU – Marino Pacileo, wegen eines


großen Muttermals auf der Stirn Gorbaciòf genannt,<br />

ist Buchhalter im Gefängnis Poggioreale in Neapel, ein<br />

stiller zurückhaltender Mensch, dessen einzige Leidenschaften<br />

das Glücksspiel und seine Liebe zu Lila, einer<br />

jungen Chinesin, sind. Auch deren Vater spielt um Geld.<br />

Als Gorbaciòf beschließt, ihm zu helfen seine Schulden<br />

zurückzuzahlen, gerät sein Leben außer Kontrolle.<br />

Das psychologische, fast dialoglose Porträt von Incerti<br />

er innert an LE CONSEGUENZE DELL’AMORE (2004)<br />

von Paolo Sorrentino. In beiden Filmen begegnen wir<br />

Protagonisten, die kriminell handeln und dennoch eine<br />

ungeahnte Zärtlichkeit und Poesie in ihrem Verhalten<br />

zeigen.<br />

▶ Sonntag, 2. Dezember 2012, 18.30 Uhr<br />

LA KRYPTONITE NELLA BORSA (KRYPTONIT IN DER<br />

TASCHE) – Italien 2011 – R: Ivan Cotroneo – B: Ivan<br />

Cotroneo, Monica Rametta, Ludovico Rampoldi, nach<br />

dem Roman von Ivan Cotroneo – K: Luca Bigazzi – M:<br />

Pasquale Catalano – D: Valeria Golino, Cristiana Capotondi,<br />

Luca Zingaretti, Libero de Rienzo, Luigi Catani –<br />

98 min, OmeU – »Dies ist eine Geschichte über einen<br />

Superhelden, eine Familie und ein Kind mit einer Brille,<br />

aber es ist kein Kinderfilm. Es ist eine Geschichte über<br />

Liebe.« Mit diesen Worten beginnt eine nostalgische<br />

und melancholische Komödie über das Neapel der<br />

1970er Jahre, in deren Mittelpunkt der neunjährige<br />

Peppino steht, dessen einziger Halt sein verrückter<br />

Cousin ist, der sich für Superman hält. Als der Cousin<br />

plötzlich stirbt, erscheint er Peppino immer wieder und<br />

hilft ihm, festen Boden unter den Füßen zu finden. Die<br />

malerischen Gassen Neapels und viele »kleine Leute«<br />

bilden den Rahmen dieses mit leichter Hand erzählten<br />

Films mit surrealistischen Untertönen.<br />

▶ Dienstag, 4. Dezember 2012, 21.00 Uhr<br />

COSI PARLO BELLAVISTA (ALSO SPRACH BELLA-<br />

VISTA) – Italien 1984 – R: Luciano De Crescenzo – B:<br />

Luciano De Crescenzo, Riccardo Pazzaglia, nach dem<br />

Buch von De Crescenzo – K: Dante Spinotti – M: Claudio<br />

Mattone – D: Antonio Allocca, Lucio Allocca, Giovanni<br />

Attanasio, Marisa Confalone, Isa Danieli –<br />

102 min, OmU – Gennaro Bellavista, ein fröhlicher,<br />

lustvoller Mensch und Gymnasiallehrer im Ruhestand,<br />

verkörpert die Weisheit Neapels. Wie einst Sokrates auf<br />

der Agora von Athen, spricht und philosophiert er in<br />

regelmäßigen Treffen mit seinen Freunden, Mitbürgern<br />

und Hausbewohnern. Der neapolitanische Dialekt würzt<br />

die Gespräche, die sich um Politik, Essen, Anarchie<br />

und Muße drehen. Der rote Faden ist Bellavistas Theorie,<br />

dass sich die Menschen in auseinanderstrebende<br />

»Freiheitsmenschen« und einander zugewandte »Liebesmenschen«<br />

unterteilen.<br />

▶ Mittwoch, 5. Dezember 2012, 21.00 Uhr<br />

LA KRYPTONITE NELLA BORSA<br />

Neapel und der Film<br />

57


Zuschauerkino<br />

58<br />

Zweimal im Jahr bietet das Zuschauerkino des <strong>Münchner</strong><br />

Filmzentrums (MFZ) allen, die Filme machen, die<br />

Gelegenheit, ihre Filme auf der Leinwand des Filmmuseums<br />

zu sehen und andere Filmemacher zu treffen.<br />

Filme einreichen können alle, die einen Kurzfilm gedreht<br />

haben, egal ob Profi oder Amateur, unabhängig<br />

vom Inhalt oder Format des Films, ob Spielfilm oder Dokumentation,<br />

Real- oder Animationsfilm. Es können nur<br />

Filme gezeigt werden, die persönlich von Beteiligten<br />

vorgestellt werden. Im Anschluss an die Vorführung<br />

bietet das MFZ eine Begegnungsmöglichkeit, damit<br />

Teilnehmer und Zuschauer noch leichter miteinander<br />

ins Gespräch kommen können (für Erfrischungen ist gesorgt).<br />

Dies sind die Spielregeln: Die Filme müssen bis zum<br />

22. November 2012 im Filmmuseum eingereicht werden.<br />

Möglich sind die Formate 35mm, 16mm, Digi-<br />

Beta, BetaSP, VHS, MiniDV, DVD und Blu-ray (keine<br />

Down load-Links). Zugelassen werden nur Filme bis zu<br />

15 Minuten Länge. MFZ und Filmmuseum behalten<br />

sich die Auswahl der Filme vor. Sollten mehr Filme an-<br />

?<br />

Zuschauerkino<br />

gemeldet werden als Vorführzeit zur Verfügung steht,<br />

werden die Veranstalter eine Auswahl treffen, wobei<br />

die Reihenfolge der Anmeldungen berücksichtigt wird.<br />

Alle Filmemacher, deren Filme im Programm gezeigt<br />

werden, können an der Kasse bis zu fünf Freikarten<br />

für den Zuschauerkino-Filmabend erhalten. Darüber<br />

hinaus bestehen keine weiteren Verpflichtungen des<br />

Filmmuseums. Es wird vorausgesetzt, dass die Filmemacher<br />

über die Rechte an den von ihnen eingereichten<br />

Filmen verfügen und diese am Abend vor der Projektion<br />

kurz vorstellen.<br />

Kontakt: E-Mail (zuschauerkino@yahoo.de), Telefon<br />

(089-233 20538), Fax (089-233 23931) oder Post<br />

(Filmmuseum München, St.-Jakobs-Platz 1, 80331<br />

München).<br />

▶ Donnerstag, 6. Dezember 2012, 19.00 Uhr (Die Filme -<br />

macher sind anwesend)


Zbigniew Cybulski, Sonja Ziemann, Aleksander Ford bei den Dreharbeiten zu DER ACHTE TAG<br />

Hommage à Sonja Ziemann<br />

Ob Heimatfilm, Verwechslungskomödie, Operette, Problemfilm<br />

oder Angestelltenglück – im bundesdeutschen<br />

Film der 1950er Jahre geht es vor allem um Teilhabe,<br />

um ein Sahnestück vom Wohlstand, um die Einlösung<br />

des Versprechens auf ein sorgloses Leben. Der<br />

Problemfilm stellte die Frage, ob man das Sahnestück<br />

verdient hatte, der Unterhaltungsfilm bestand auf dem<br />

Lottogewinn, den das Leben für jeden bereit hielt. Die<br />

Filme der 1950er Jahre atmen schwer unter der Arbeit<br />

der Verdrängung und dem Gerüstbau restaurativer<br />

Ideologie. Aber die Wünsche und Ängste, die Projektionen<br />

des Publikums gab es ja wirklich, und sie wurden<br />

vom deutschen Film ebenso wie von den Illustrierten<br />

aufgenommen. Die Sucht nach Zerstreuung, nach dem<br />

endlichen Glück im Kino, erwies sich kurzfristig als<br />

Segen für die Filmindustrie. So viel Geld mit so wenig<br />

künstlerischem Aufwand hatte man lange nicht gemacht.<br />

Als das Publikum merkte, dass es die Wünsche<br />

der Filmindustrie um vieles mehr erfüllte als umgekehrt<br />

und dass es im Fernsehen vielleicht nicht intelligenter,<br />

aber anders und um vieles bequemer unterhalten<br />

wurde als im Kino, geriet die Filmindustrie in eine<br />

schwere Sinnkrise. Die Produzenten fanden schnell die<br />

Schuldigen für die finanzielle Schieflage – es waren die<br />

Stars und ihre überzogenen Gagen.<br />

Zu diesen Stars zählte Sonja Ziemann. Ziemann, 1926<br />

in Eichwalde bei Berlin geboren, besuchte mit zehn<br />

Jahren die renommierte Ballettschule von Tatjana<br />

Gsvosky und trat schon im Alter von 15 Jahren in der<br />

Berliner Plaza auf. 1941 spielte sie ihre erste Filmrolle<br />

unter der Regie von Walter Felsenstein in dem Tobis-<br />

Film EIN WINDSTOSS. Mit Hildegard Knef besuchte sie<br />

die Schauspielschule der Ufa. Für ihre Rolle als Bärbele<br />

im ersten Farbfilm der Nachkriegszeit, SCHWARZWALD-<br />

MÄDEL (1950, Regie: Hans Deppe), erhielt sie den<br />

Bambi als beliebteste Schauspielerin Deutschlands.<br />

Die Film und Mode Revue kommentierte das Ergebnis<br />

als einen »alarmierenden Vorgang«; statt seriöse<br />

Schauspielerinnen zu wählen, habe man sich einfach<br />

für die Jugend entschieden. SCHWARZWALDMÄDEL,<br />

meist als Start der Heimatfilmwelle definiert, basiert auf<br />

einer Operette des jüdischen Komponisten Leon Jessel,<br />

der 1942 an den Folgen der Misshandlungen der<br />

Gestapo starb. Der Film selbst ist eine hysterische<br />

Sonja Ziemann<br />

59


Sonja Ziemann<br />

60<br />

Mischung aus Revue, Singspiel und Komödie, lässt<br />

Künstlervolk, Neureiche und Traditionalisten lärmend<br />

aufeinanderprallen. Die Heimat ist hier schon eine Antiquität,<br />

hinter Glas in einem Museum untergebracht.<br />

SCHWARZWALDMÄDEL spielte 14 Millionen Mark ein<br />

und machte Rudolf Prack/Sonja Ziemann zum Traumpaar<br />

der frühen 1950er Jahre. Nach dem noch größeren<br />

Erfolg GRÜN IST DIE HEIDE (1951, Regie: Hans<br />

Deppe) war Sonja Ziemann zunächst auf Heimatfilme<br />

abonniert. In dem Remake DIE PRIVATSEKRETÄRIN<br />

(1953), wieder mit Prack als Partner, wechselt sie mit<br />

Tanz und Gesang zum »Kleinen Ladenmädchen«-<br />

Genre, Unterabteilung Sekretärinnen-Milieu. Die unausgesprochene<br />

Handlungsmaxime für das weibliche Publikum<br />

lautete: Junge Mädchen lassen sich nicht auf<br />

erotische Abenteuer ein, sondern folgen ihrem Herzen,<br />

als Belohnung winkt ein Ehemann in Gestalt des Juniorchefs<br />

einer Bank oder des Chefs eines Modehauses.<br />

Sonja Ziemann verkörperte in den 1950er Jahren<br />

den »Traum von Lieschen Müller«, als die Helmut Käutner<br />

sie 1961 in seinem gleichnamigen Film besetzte.<br />

Die Reflektion des Sekretärinnen-Traums endete, so<br />

Karsten Witte 1992, in einem »Absturz ins zynische<br />

Nichts.« 1959 inszeniert Gottfried Reinhardt sie in seinem<br />

Remake von MENSCHEN IM HOTEL in der Joan-<br />

Crawford-Rolle des Flämmchens. Ironischerweise war<br />

das wieder eine Sekretärinnenrolle, aber auch ein Gegengewicht<br />

zu den Schicksals-, Schurken- und Selbstdarstellern<br />

Heinz Rühmann, Gert Fröbe und O. W. Fischer.<br />

NACHT FIEL ÜBER GOTENHAFEN (1960) zählt<br />

zum Genre des Kriegsfilms, ist aber in großen Teilen<br />

eine Studie über Mütter und Frauen im Zweiten Weltkrieg.<br />

Sonja Ziemann als verlassene Offiziersfrau kämpft<br />

entschieden, aber aussichtslos gegen die Eifersucht<br />

ihres Mannes, den Kontrollwahn ihrer Schwiegermutter<br />

und die Zudringlichkeiten eines Heimaturlaubers.<br />

Bereits 1952 drehte Sonja Ziemann mit MADE IN HEA-<br />

VEN (Regie: John Paddy Carstairs) ihren ersten Film im<br />

Ausland; das Engagement einer deutschen Schauspielerin<br />

in einem britischen Film provozierte in England erregte<br />

Diskussionen. Es folgten Filme in Frankreich und<br />

Italien und 1958 DER ACHTE WOCHENTAG mit Zbigniew<br />

Cybulski unter der Regie von Aleksander Ford.<br />

Die Studie eines Liebespaares, das keinen Ort für seine<br />

Liebe findet, wurde in Polen nach einer Vorlage ihres<br />

späteren Ehemanns, des Schriftstellers Marek Hlasko,<br />

gedreht. In Polen wurde der Film zunächst verboten, in<br />

Deutschland wurde er von der Öffentlichkeit nicht akzeptiert.<br />

Ihren einzigen amerikanischen Film drehte<br />

Sonja Ziemann in Wien und Budapest. Richard Widmark<br />

produzierte THE SECRET WAYS (1960), eine fins-<br />

tere Kalter-Krieg-Novelle über die Flucht eines unga -<br />

rischen Wissenschaftlers in den Westen. Neben Widmark<br />

in der Hauptrolle spielte Charles Regnier, Sonja<br />

Ziemanns dritter Ehemann.<br />

Seit 1981 ist Sonja Ziemann Mitglied des Zürcher<br />

Schauspielhauses. Sie lebt in München.<br />

Werner Sudendorf<br />

DIE PRIVATSEKRETÄRIN – BRD 1953 – R: Paul Martin<br />

– B: Just Scheu, Ernst Nebhut – K: Albert Benitz –<br />

M: Paul Abraham, Driedrich Schröder – D: Sonja Ziemann,<br />

Rudolf Prack, Paul Hörbiger, Werner Fütterer,<br />

Gerty Godden – 95 min – Wiederverfilmung eines Erfolgsfilms<br />

aus der frühen Tonfilmzeit, dessen Lied »Ich<br />

bin ja heut so glücklich« zu einem Ohrwurm wurde.<br />

»Sonja Ziemann spielt eine Heimatlose, eine junge Frau,<br />

die von irgendwoher in eine fremde Stadt kommt, sich<br />

umsieht nach einer Stelle als Sekretärin, vor allem aber<br />

nach einem Mann, der reich genug zum Heiraten ist.<br />

Sie findet diesen Mann: Rudolf Prack, der ihren Chef<br />

spielt. Die Rolle der Privatsekretärin brachte alle<br />

Qualitäten Sonja Ziemanns auf den Punkt: Sie war<br />

schnippisch, spitz, zickig und eingebildet, will nach<br />

oben um fast jeden Preis. Rudolf Prack heiratet sie<br />

schließlich, und man weiß nicht genau, ob Furcht oder<br />

Mitleid sein eigentlicher Beweggrund ist.« (Claudius<br />

Seidl)<br />

▶ Donnerstag, 13. Dezember 2012, 19.00 Uhr (Zu Gast:<br />

Sonja Ziemann, Einführung: Werner Sudendorf)


DER ACHTE WOCHENTAG – BRD/Polen 1958 – R:<br />

Aleksander Ford – B: Marek Hlasko, Aleksander Ford,<br />

nach dem Roman von Marek Hlasko – K: Jerzy Lipman,<br />

Igor Oberberg – M: Kasimierz Serocki – D: Sonja Ziemann,<br />

Zbigniew Cybulski, Ilse Steppat, Tadeusz Lomnicki,<br />

Bum Krüger – 84 min – Im Elend einer polnischen<br />

Stadt der 1950er Jahre gedrehter Liebesfilm. »Zwei<br />

junge Liebende suchen nur ein Bett in einer Welt voller<br />

Lärm, Erbitterung, Elend, Unglück, Bosheit und Ungerechtigkeit.<br />

Die Frage, ob sich die Liebe in der grausamen,<br />

brutalen und ungesunden Welt, in der wir leben,<br />

entfalten kann, wird sehr unerbittlich formuliert. Die Inszenierung<br />

Fords ist oft von einer Menschlichkeit und<br />

einer Liebe gefärbt, die uns die Abenteuer von Peter<br />

und Agnes nahebringen. Er zwar liebend, aber schnell<br />

entmutigt, aufrichtig, aber zu Kompromissen neigend.<br />

Sie hartnäckig, stolz, unbestechlich und wunderbar verkörpert<br />

durch Sonja Ziemann.« (Jacques Doniol-Valcroze)<br />

▶ Freitag, 14. Dezember 2012, 18.30 Uhr<br />

MENSCHEN IM HOTEL – BRD 1959 – R: Gottfried<br />

Reinhardt – B: Hans Jacoby, Ladislas Fodor, nach dem<br />

Roman von Vicky Baum – K: Göran Strindberg – M:<br />

Hans-Martin Majewski – D: O.W. Fischer, Michèle Morgan,<br />

Heinz Rühmann, Sonja Ziemann, Gert Fröbe, Wolfgang<br />

Wahl, Dorothea Wieck – 105 min – »Das Ringelspiel<br />

des Schicksals funktioniert und fasziniert. Das<br />

große Plus dieser Verfilmung sind Gert Fröbe, der Generaldirektor,<br />

der mit gefälschter Bilanz seiner Firma<br />

auf die Sprünge helfen will, Heinz Rühmann als biederer,<br />

ehrlicher Buchhalter, der seinen Chef auf diesen<br />

›Fehler‹ aufmerksam machen will, und Sonja Ziemann<br />

als Hotelsekretärin, die endlich bereit ist, dem Wink<br />

des Generaldirektors mit einem 5.000-Mark-Scheck zu<br />

folgen. Gottfried Reinhardts Regie entwirft die effektvollen<br />

Situationen mit sicherem Strich, Göran Strindbergs<br />

Kamera registriert kühl und scharf: Ein Unterhaltungsfilm.<br />

Aber einer mit Stil.« (Film-Beobachter)<br />

▶ Samstag, 15. Dezember 2012, 18.30 Uhr<br />

THE SECRET WAYS (GEHEIME WEGE) – USA 1961 –<br />

R: Phil Karlson – B: Jean Hazlewood, nach dem Roman<br />

von Alistair MacLean – K: Max Greene – M: John Wil -<br />

liams – D: Richard Widmark, Sonja Ziemann, Charles<br />

Regnier, Walter Rilla, Senta Berger, Howard Vernon –<br />

112 min, OF – Ein spannender Kalter-Krieg-Thriller aus<br />

der Nachkriegszeit, produziert von Hauptdarsteller<br />

Richard Widmark: Nach der Niederschlagung des<br />

Volksaufstandes in Ungarn soll ein amerikanischer<br />

Agent einen ungarischen Wissenschaftler über die<br />

Grenze nach Wien schleusen – zusammen mit seiner<br />

politisch engagierten Tochter Julia. »Die Phantasie des<br />

Autors stieß sich an nichts, am wenigsten an der Wirklichkeit.<br />

Das nächtliche Wien macht er zu einer gefährlichen,<br />

Budapest zu einer gespenstisch-leeren Stadt.<br />

Auch die Regie sucht die Sensation – und darin ist der<br />

Film bemerkenswert effektvoll, nicht zuletzt mittels der<br />

Fotografie.« (Film-Dienst)<br />

▶ Sonntag, 16. Dezember 2012, 18.30 Uhr<br />

DER TRAUM VON LIESCHEN MÜLLER – BRD 1961 –<br />

R: Helmut Käutner – B: Helmut Käutner, Willibald Eser<br />

– K: Günther Senftleben – M: Bernhard Eichhorn – D:<br />

Sonja Ziemann, Martin Held, Cornelia Froboess, Helmut<br />

Griem, Peter Weck, Georg Thomalla, Wolfgang<br />

Neuss – 92 min – »Eine filmische Aufhellung von Lieschen<br />

Müllers Wunschtraumdenken mit spöttischen Bemerkungen<br />

über bundesrepublikanische Zustände in<br />

einem Farbfilm-Musical.« (Film-Beobachter) Käutners<br />

ambitionierte Satire auf Kinoträume und deutsche Wirtschaftswunderklischees<br />

war seinerzeit trotz prominenter<br />

Besetzung mit Sonja Ziemann in der Titelrolle ein<br />

Flop und wurde daraufhin vom Verleih überarbeitet: »Es<br />

wurde nicht nur herumgeschnitten, er wurde auch um<br />

dreihundert Meter gekürzt und sinnentstellend umsynchronisiert.<br />

Es war der Versuch, noch einen schnellen<br />

Gebrauchsfilm aus diesem surrealistischen Märchen zu<br />

retten.« (Helmut Käutner)<br />

▶ Freitag, 21. Dezember 2012, 18.30 Uhr<br />

Sonja Ziemann<br />

61


Jean-Marie Straub<br />

62<br />

Danièle Huillet & Jean-Marie Straub, Rom 2003 – © Alberto Cristofari / Contrasto<br />

Jean-Marie Straub zum 80. Geburtstag<br />

Auf einem Plakat, in den Programmen die Namen<br />

Dreyer und Straub lesen – und nichts wie hin!<br />

Marguerite Duras<br />

Jean-Marie Straub hat deutsche, französische und italienische<br />

Filme gemacht. Das gibt dieser <strong>Münchner</strong> Retrospektive<br />

eine europäische Bedeutung. Sie schenkt<br />

uns in der Öde des monetären Europa die Möglichkeit,<br />

im »Ach der Alkmene« (Heiner Müller) den Nachhall der<br />

unglaublichen mythischen Geschehnisse zu hören, die<br />

bis heute unsere, die europäische, Vergangenheit beleben<br />

und ohne deren Erinnerung unser Leben und unser<br />

Fühlen versiegen würden. Cesare Pavese hat am<br />

15. Oktober 1945 in seinem Tagebuch die Frage gestellt:<br />

»Was sagen, wenn die natürlichen Dinge – Quellen,<br />

Wälder, Weinberge, Land – eines Tages von der<br />

Stadt aufgesogen und vergangen sein werden und man<br />

ihnen in alten Sätzen aus der Vergangenheit begegnen<br />

wird? Sie werden auf uns wirken wie die Theoi, die<br />

Nymphen, das natürliche Heilige, das in manchen griechischen<br />

Versen zum Vorschein kommt. Dann wird der<br />

einfache Satz Es war eine Quelle uns rühren«. Das<br />

große Werk der Straubschen Filme gibt eine Antwort<br />

auf diese Frage, seine ganze ästhetisch-politische<br />

Energie richtet sich auf dieses Sagen.<br />

Jean-Marie Straub ist ein Sonntagskind, geboren am<br />

8. Januar 1933 in Metz, das die Deutschen der Eisengruben<br />

wegen 1871 und 1940 annektierten. Mit dem<br />

Projekt einer Filmbiographie »Chronik der Anna Magdalena<br />

Bach« im Kopf geht Straub 1954 nach Paris. Er<br />

begegnet Danièle Huillet, geboren am 1. Mai 1936, am<br />

Feiertag des Wahlsiegs der französischen Volksfront:<br />

An Feiertagen gehen / die braunen Frauen daselbst /<br />

auf seidnen Boden. Vielleicht dachte Danièle an diesen<br />

Vers Hölderlins, als sie schrieb: »Das Interessanteste<br />

an mir ist mein Geburtsdatum«. Bis zu ihrem Tod am<br />

9. Oktober 2006 war Danièle an allen Filmprojekten<br />

Straubs maßgeblich beteiligt.<br />

Statt zum Militärdienst nach Algerien geht Straub 1958<br />

nach Deutschland auf der Suche nach Materialien, Orgeln<br />

und Handschriften für den Bachfilm. In Metz wird<br />

er in Abwesenheit zu einem Jahr Gefängnis verurteilt<br />

(und 1971 amnestiert). 1962 dreht er MACHORKA-<br />

MUFF nach Heinrich Böll. Der 18-Minuten-Film hat bis<br />

heute nichts von seiner ästhetischen und politischen<br />

Sprengkraft verloren. Machorka-Muff, in der eben gegründeten<br />

Bundeswehr zum Leiter der »Akademie für<br />

militärische Erinnerungen« ernannt, fragt sich, was<br />

sein alter General zur Wiederbewaffnung gesagt hätte.


»Diese Christen« hätte er gesagt, »wer hätte das von<br />

ihnen erwarten können!« – »Und das in einer Demokratie.«<br />

»Eine Demokratie, in der wir die Mehrheit des Parlaments<br />

auf unserer Seite haben«. »Und die öffentliche<br />

Meinung?« »Sie wird es schlucken. Sie schluckt alles.«<br />

Jedes Wort wiegt schwer wie deutsche Vergangenheit.<br />

Die »Aura selbstvergessener Ergriffenheit« (Helmut Färber),<br />

mit der Erich Kuby als Machorka die Sätze spricht,<br />

beweist, dass der Sprung »vom Nazideutschen zum<br />

Bundesbürger« (Böll) gelungen ist. Die Geschichte der<br />

Bundes republik ist in diesen Film eingeschrieben und<br />

arbeitet in ihm weiter. Die Bundeswehr ist groß geworden<br />

und verrichtet ihre Arbeit in der ganzen Welt. An<br />

diese Tat sache stoßen die Köpfe der Zuschauer heute,<br />

wenn der Film in ihnen weiterdenkt.<br />

Der zweite deutsche Film NICHT VERSÖHNT ODER ES<br />

HILFT NUR GEWALT WO GEWALT HERRSCHT (1965)<br />

trägt einen Titel, der zum Programm einer ganzen Generation<br />

wurde. Heinrich Bölls Roman »Billard um halbzehn«,<br />

der ihm zu Grunde liegt, war 1959 erschienen,<br />

gleichzeitig mit Günter Grass’ »Blechtrommel« und Uwe<br />

Johnsons »Mutmaßungen über Jakob«. Eine Wende<br />

der Nachkriegsliteratur, die sich auf eine neue Weise<br />

mit der deutschen Geschichte beschäftigt. Wenige<br />

Jahre später folgt der Junge Deutsche Film, wobei der<br />

Beitrag der Straubs (»eine neue Elementargewalt«,<br />

Peter Nau) eine entscheidende Rolle spielt. Das ist<br />

längst Filmgeschichte wie auch die ästhetische Debatte,<br />

die die Straubs ausgelöst haben.<br />

Das Vorgehen der Filmemacher Straub/Huillet ist<br />

ebenso einfach wie ungewohnt. Sie behandeln den<br />

Text, der sie interessiert, wie ein Dokument. Mit größter<br />

Sorgfalt legen sie eine der in ihm enthaltenen, möglichen<br />

Strukturen frei und machen sie durch die große<br />

Kunst des Weglassens sichtbar. Die »Inkarnation des<br />

Wortes« durch die Sprechenden macht Bild und Ton<br />

zur Einheit. Die optische Seite des Films (von vielen Kritikern<br />

gepriesen) und die Sprechweise (die gewöhnlich<br />

auf Irritation und Ablehnung stößt) sind komplementär,<br />

bedingen einander, erzeugen die eigentliche Spannung.<br />

Dem Zuschauer wird jede Chance einer Identifikation<br />

mit dem Sprechenden genommen. Er kann sich<br />

nicht einrichten »in einer in sich geschlossenen Geschichte<br />

bruchlos erfundener Figuren« (Frieda Grafe).<br />

Er muss auf seine angelernte Vorstellung von »natürlichen«<br />

Betonungen verzichten und auf die Sprache achten,<br />

die sich in der einmaligen physischen Präsenz des<br />

Sprechenden entfaltet. Man mag sich dem verweigern,<br />

aber es wäre intellektuell unwürdig, diesen Filmen Dilettantismus<br />

und Kunstlosigkeit vorzuwerfen (gewöhnlich<br />

das Erste, was dem verletzten Kritiker einfällt).<br />

Vom extremen Anspruch der Straubs an die Wahrheit<br />

von Bild und Ton berichtet Erich Kuby nach den Dreh -<br />

arbeiten von MACHORKA-MUFF. Bei einer Innenaufnahme<br />

in München fällt Straub auf, dass das Straßenbahngeräusch<br />

nicht stimmt, das auch in einer anderen<br />

Szene in Bonn zu hören ist. »Und plötzlich sagt der<br />

Straub: Wir müssen nochmal nach Bonn fahren. Das ist<br />

nicht die Wahrheit«. <strong>Münchner</strong> oder Bonner Straßenbahn,<br />

für jeden anderen Filmemacher wäre das kein<br />

Problem gewesen. Aber das Team fährt zurück nach<br />

Bonn und Kuby kommentiert: »Jeder ist so verrückt wie<br />

er will. Der Straub ist schon ein erstaunlicher Mann«.<br />

Straub selbst zitiert gerne Godard, dem die ersten Tonfilme<br />

so gut gefielen, »weil es das erste Mal war, dass<br />

man Leute sprechen hörte«. In diesem »ersten Mal« lag<br />

eine große Wahrheit. Sie liegt auch darin, wie zum ersten<br />

Mal in der BRD in NICHT VERSÖHNT von der deutschen<br />

Vergangenheit gesprochen wird. Wer sich auf<br />

die Straubsche Ästhetik einlässt, wer Pausen und Längen<br />

aushält, wer Atem genug hat, um dem durch Komprimierungen<br />

erzeugten, ungeheueren Tempo zu folgen,<br />

wer Naturschauspiele wie das Erscheinen eines<br />

Berges oder den Einbruch eines Schmetterlings in eine<br />

Einstellung mit Ehrfurcht aufnimmt, wird in diesen Filmen<br />

die Welt neu zu sehen und zu hören bekommen.<br />

Das ist das Straubsche Versprechen, dessen Erfüllung<br />

von der Mitarbeit des Zuschauers abhängt. Sie er -<br />

fordert von ihm altertümliche, oder wie Straub sagen<br />

würde, »kommunistische« Tugenden.<br />

Straubs Urprojekt und dritter Film, die CHRONIK DER<br />

ANNA MAGDALENA BACH (1967) wird nicht durch das<br />

Thema zu einem deutschen Film, sondern durch die<br />

Straubsche Wahrheit der Menschen, Häuser, Innenräume,<br />

Gegenstände, Worte und Töne. »Es ist ein Film,<br />

den kein Deutscher hätte machen können, … so wie<br />

kein Italiener die ›Kartause von Parma‹ hätte schreiben<br />

können« (Straub). Als Motto vorangestellt ist ihm ein<br />

CHRONIK DER ANNA MAGDALENA BACH<br />

Jean-Marie Straub<br />

63


Jean-Marie Straub<br />

64<br />

Wort von Charles Péguy: Die Revolution machen / bedeutet<br />

auch / sehr alte Dinge an ihren Platz stellen / die<br />

vergessen sind. Solche ins Negativ geritzte Graffiti sind<br />

wichtig zum Verständnis der Straubschen Filme. Die<br />

Verrückung sehr alter Dinge wie Ernst – Ehre – Treue –<br />

Ordnung wurde zum Code der deutschen Verbrechen.<br />

Beim Bachfilm mag sich der Zuschauer an das Motto<br />

erinnern, das Walter Benjamin 1936 seiner Folge von<br />

Briefen »Deutsche Menschen« vorangestellt hat: Von<br />

Ehre ohne Ruhm / Von Größe ohne Glanz / Von Würde<br />

ohne Sold. Davon berichtet die Geschichte der CHRO-<br />

NIK. Jahrzehnte später sagt Straub: »Als wir drehten,<br />

lag Hanoi unter den Bomben, wir dachten an den Vietcong<br />

und die Bauern im bayerischen Urwald«.<br />

»Ausgangspunkt für unsere CHRONIK war die Idee,<br />

einen Film zu versuchen, in dem man Musik nicht als<br />

Begleitung, nicht als Kommentar, sondern als ästhetische<br />

Materie benutzt«. Am Anfang seines Werks stehen<br />

musikalische Projekte, für deren Realisierung<br />

Straub 14 Jahre (CHRONIK) und 15 Jahre (MOSES UND<br />

ARON) gekämpft hat. Arnold Schönbergs Oper »Moses<br />

und Aron« ist eine sehr deutsche, eine sehr jüdische<br />

Geschichte, die Straub in eine Landschaft Italiens legt,<br />

die diese Erzählung fassen kann. Michael Gielen, der<br />

die musikalische Leitung übernommen hat, schreibt:<br />

»Schon das Wahnwitzige an dem Unternehmen hat<br />

mich gereizt«. Heute wären diese Aufführung und diese<br />

Aufnahme materiell gar nicht mehr möglich. Man fände<br />

noch den Ort (das antike Theater von Alba Fucense),<br />

aber nicht mehr den akustischen Raum, in dem sich<br />

die Naturlaute einer alten Welt (Sommerstille, Grillen -<br />

gezirpe, Schafsgeblöke, Wasserfließen, rollende Steine)<br />

in die Stimmen der Solisten und des Chors einmischen<br />

könnten. Schon damals hatte es viel Mühe gekostet,<br />

Maschinen und Flugzeuggeräusche fernzuhalten, die<br />

das menschliche Ohr überhört und wegschiebt, die das<br />

Mikrophon aber unerbittlich registriert. Umgekehrt hat<br />

Straub in OTHON (1969) den rauschenden römischen<br />

Verkehr wie einen Lavastrom in den Text von Corneille<br />

einfließen lassen. Gesprochen auf dem Palatin, dem<br />

Regierungsviertel des antiken Rom, war er dadurch<br />

zum Entsetzen der Kritik nicht mehr »hörbar«. »Man<br />

muss Corneille jetzt lesen oder gar nicht«, schrieb Marguerite<br />

Duras zu diesem Einbruch des Autolärms in die<br />

schöne Literatur. Was bedeutet es für unsere Kultur,<br />

dass heute Tausende, Millionen Menschen solche<br />

extreme Experimente ohne weiteres im Kino oder im<br />

Fernsehen sehen können – und dass diese Chance aus<br />

Müdigkeit der Einen und Feigheit der Andern nicht genutzt<br />

wird? Sicherlich können wir ohne OTHON und<br />

ohne MOSES UND ARON leben. Aber was wäre, wenn<br />

wir mit diesen Werken und mit Hölderlin und mit Cézanne<br />

und mit Kafka leben würden?<br />

Straub beharrt auf seinem »Nicht versöhnt« (nicht nur<br />

in LOTHRINGEN!, 1994, und UN HERITIER, 2011) und<br />

hat nie aufgehört, diese Negation produktiv umzukehren<br />

in die Frage: Unter welchen Bedingungen ist Versöhnung<br />

mit der Geschichte und mit der Natur möglich?<br />

Es ist die große Frage, auf die Hölderlin mit der<br />

kommunistischen Utopie des Empedokles (»Wenn dann<br />

der Erde Grün von neuem euch erglänzt«) eine Antwort<br />

sucht und die Cézanne ekstatisch ausrufen lässt: »In<br />

einem Grün wird mein ganzes Hirn fließen mit den Säften<br />

des Baumes«. Straub hat die Linie freigelegt, die<br />

von Empedokles über Lukrez zu den Mystikern und bis<br />

zu Hölderlin und Cézanne führt. Der junge Marx hat sie<br />

so beschrieben: »Die Natur ist der unorganische Leib<br />

des Menschen, nämlich die Natur, soweit sie nicht<br />

selbst menschlicher Körper ist. Die Natur ist sein Leib,<br />

mit dem er in beständigem Prozess bleiben muss, um<br />

nicht zu sterben«. Seit sich die moderne Industrie mit<br />

ihrer Gewalt in diesen Prozess eingemischt hat, wird<br />

die Natur auf immer bedrohlichere Weise in die Taten<br />

der Menschen verstrickt. Daher der Gedanke von der<br />

Notwendigkeit einer Versöhnung und die Einsicht, dass<br />

ohne sie auch keine Versöhnung unter den Menschen<br />

möglich ist. In DALLA NUBE ALLA RESISTENZA (1978)<br />

zeigt Straub das bäuerliche Italien mit seinen Mythen<br />

an der Schwelle zur Industriekultur. Der Klassenkampf<br />

der Bauern bekommt durch die Darstellung der Kämpfe<br />

zwischen Göttern und Menschen eine mythische<br />

Schicht. Schon in KLASSENVERHÄLTNISSE (1984)<br />

sehen wir, wie tief sich die Hierarchien und Abhängigkeiten<br />

in die Lebensweisen der Menschen eingraben.<br />

Klassenkämpfe werden zu mechanischen Machtspielen<br />

(OTHON; GESCHICHTSUNTERRICHT, 1972), wenn<br />

sie nicht bis zu diesen Abgründen vordringen. Einer der<br />

letzten, rätselhaften Filme SCHAKALE UND ARABER<br />

(2011) demonstriert in 12 Minuten die Aporien dieser<br />

Tiefen. In Kafkascher Komik, die vielen Straubfilmen<br />

eigen ist. Peter Kammerer<br />

SCHAKALE UND ARABER – Schweiz 2011 – R+B:<br />

Jean-Marie Straub, nach Franz Kafka – K: Christophe<br />

Clavert – D: Barbara Ulrich, Giorgio Passerone, Jubarite<br />

Semaran – 12 min – MACHORKA-MUFF – BRD<br />

1962 – R+B: Danièle Huillet & Jean-Marie Straub,<br />

nach »Hauptstädtisches Journal« von Heinrich Böll – K:<br />

Wendelin Sachtler – D: Erich Kuby, Renate Lang – 18<br />

min – NICHT VERSöHNT ODER ES HILFT NUR GE-<br />

WALT, WO GEWALT HERRSCHT – BRD 1965 – R+B:<br />

Danièle Huillet & Jean-Marie Straub, nach »Billard um


SCHAKALE UND ARABER<br />

halbzehn« von Heinrich Böll – K: Wendelin Sachtler – D:<br />

Henning Harmssen, Heinrich Hargesheimer, Martha<br />

Ständner, Danièle Huillet, Ulrich von Thüna – 52 min –<br />

Es war einmal, Mitte der Sechziger, in stupid old Germany,<br />

und endet bis heute nicht. Die gleiche Unversöhnlichkeit,<br />

es hilft immer noch nur Gewalt, wo Gewalt<br />

herrscht. Hart prallen Bölls Texte auf die Wirklichkeit<br />

der Körper, Blicke, Dialekte. Die Radikalität des<br />

amerikanischen Gangsterfilms, Legs Diamond und Arturo<br />

Ui sind Paten der frühen Filme, Budd Boetticher<br />

und Bertolt Brecht. Ihnen entspricht Kafkas gewitzter<br />

Blick auf die Klassenverhältnisse: »Also endlich die<br />

Schere und damit Schluss!«<br />

▶ Dienstag, 18. Dezember 2012, 21.00 Uhr<br />

CHRONIK DER ANNA MAGDALENA BACH – BRD<br />

1967 – R+B: Danièle Huillet & Jean-Marie Straub,<br />

nach dem Nekrolog von Philipp Emmanuel Bach und<br />

Briefen von Johann Sebastian Bach – K: Ugo Piccone –<br />

D: Gustav Leonhardt, Christiane Lang-Drewanz –<br />

94 min – DER BRÄUTIGAM, DIE KOMöDIANTIN UND<br />

DER ZUHÄLTER – BRD 1968 – R+B: Danièle Huillet &<br />

Jean-Marie Straub, nach »Krankheit der Jugend« von<br />

Ferdinand Bruckner und Gedichten von Juan de la Cruz<br />

– K: Niklaus Schilling – D: Lilith Ungerer, Rainer Werner<br />

Fassbinder, James Powell – 23 min – Die CHRONIK,<br />

das jugendliche Meisterstück. Es hätte der erste<br />

Straubfilm werden sollen, aber die Finanzierung war<br />

kompliziert – einen Millionenfilm dagegen, mit Karajan,<br />

hätte man ihm sofort produziert. Bach bei der Arbeit,<br />

Musik als Tun. »Gebrauchsmusik ist die höchste Form<br />

der Musik«, schrieb Helmut Färber, »Musik die nicht<br />

nirgends ist, sondern benötigt und benutzt wird.« Benutzt<br />

wie das Theater im BRÄUTIGAM, Fassbinders antiteater.<br />

Finsterstes München, aber am Ende Wind,<br />

Bäume, Regen. Und das höchste Licht: Mein Herz aus<br />

Lehm, / wie jemals könnte es / brennen so sehr, dass<br />

stiegen seine Funken / wie es möchte / bis zu den ho -<br />

hen Gipfeln / jenes ewigen Vaters der Lichter.<br />

▶ Mittwoch, 19. Dezember 2012, 21.00 Uhr<br />

LA MADRE (DIE MUTTER) – Schweiz 2012 – R+B:<br />

Jean-Marie Straub, nach Cesare Pavese – K: Christophe<br />

Clavert – D: Giovanna Daddi, Dario Marconcini –<br />

20 min, OmU – SCHAKALE UND ARABER – Schweiz<br />

2011 – R+B: Jean-Marie Straub, nach Franz Kafka –<br />

K: Christophe Clavert – D: Barbara Ulrich, Giorgio Passerone,<br />

Jubarite Semaran – 12 min – O SOMMA LUCE<br />

(O HöCHSTES LICHT) – Italien 2010 – R+B: Jean-<br />

Marie Straub, nach der »Divina Commedia« von Dante<br />

Alighieri – K: Renato Berta – Mit Giorgio Passerone –<br />

18 min, OmU – SICILIA ! – Italien 1998 – R+B: Danièle<br />

Huillet & Jean-Marie Straub, nach »Conversazione in<br />

Sicilia« von Elio Vittorini – K: William Lubtchansky – D:<br />

Angela Nugara, Gianni Buscarino, Vittorio Vigneri –<br />

66 min, OmU – Eine Reise ins Licht, die Straubs und<br />

das Mediterrane: Pavese und Vittorini, Kafkas Beduinen<br />

und Dantes Emphase. Geschichte einer Sehnsucht,<br />

eine Bewegung, die sich abbildet in der Folge der<br />

Filme. Die letzten drei sind ohne Danièle entstanden.<br />

Das Ausrufezeichen im Titel nach »Sicilia« ist wichtig,<br />

es signalisiert Ankunft und Aufbruch, steht für Action.<br />

Die Einfahrt eines Zuges in den Bahnhof von Syrakus.<br />

▶ Sonntag, 6. Januar 2013, 18.30 Uhr<br />

DANIELE HUILLET & JEAN-MARIE STRAUB, CINEAS-<br />

TES – OU GIT VOTRE SOURIRE ENFOUI? (WO LIEGT<br />

EUER LÄCHELN BEGRABEN?) – Frankreich 2001 –<br />

R+B+K: Pedro Costa – 104 min, OmeU – 6 BAGATE-<br />

LAS (6 BAGATELLEN) – Frankreich 2001 – R+B+K:<br />

Pedro Costa – 18 min, OmeU – Die Straubs bei der<br />

Arbeit, beim Schnitt der dritten Fassung von SICILIA !<br />

Straub wird dabei programmatisch, brechtisch, das ist<br />

manchmal sehr komisch: »Weil – wenn es eine lange<br />

Geduld gibt, ist sie gleichzeitig geladen mit Gegensätzen.<br />

Andernfalls hat sie sich nicht die Zeit genommen,<br />

sich zu laden. Die lange Geduld ist notwendigerweise<br />

geladen mit Zärtlichkeit und Gewalt. Die ungeduldige<br />

Geduld ist nur geladen mit Ungeduld. Der schöne<br />

Herbst ist zurückgekehrt.«<br />

▶ Sonntag, 6. Januar 2013, 21.00 Uhr<br />

OTHON. LES YEUX NE VEULENT PAS EN TOUT<br />

TEMPS SE FERMER OU PEUT-ETRE QU’UN JOUR<br />

ROME SE PERMETTRA DE CHOISIR A SON TOUR<br />

(DIE AUGEN WOLLEN SICH NICHT ALLZEIT SCHLIES-<br />

SEN ODER VIELLEICHT EINES TAGES WIRD ROM<br />

SICH ERLAUBEN SEINERSEITS ZU WÄHLEN) – Italien<br />

Jean-Marie Straub<br />

65


Jean-Marie Straub<br />

66<br />

1969 – R+B: Danièle Huillet & Jean-Marie Straub,<br />

nach »Othon« von Pierre Corneille – K: Renato Berta –<br />

D: Adriano Aprà, Olimpia Carlisi, Anthony Pensabene,<br />

Jubarite Semaran – 88 min, OmU – TOUTE REVOLU-<br />

TION EST UN COUP DE DES (JEDE REVOLUTION IST<br />

EIN WÜRFELWURF) – Frankreich 1977 – R+B: Danièle<br />

Huillet & Jean-Marie Straub, nach »Un coup de<br />

dés« von Stéphane Mallarmé – K: William Lubtchansky<br />

– Mit Helmut Färber, Michel Delahaye, Danièle Huillet,<br />

Manfred Blank – 10 min, OmU – Städtetheater, Stadt<br />

als Schau-Platz. Inszenierte Geschichte, mit Freunden,<br />

an historischen Orten des Widerstands. Corneilles Polittrauerspiel,<br />

die Geschäfte des Herrn Othon, gefilmt auf<br />

dem Palatin in Rom, vom Straßenlärm umbrandet. Und<br />

Mallarmés Poem, das sich nicht auf Papier beschränken<br />

will. »Selbst die rein sinnliche Wirklichkeit des Raumes,<br />

den die Darsteller am Ende jedes Aktes leer lassen:<br />

wie süß wär’ sie ohne das Trauerspiel des Zynismus,<br />

der Unterdrückung, des Imperialismus, der Ausbeutung<br />

– unsere Erde, befreien wir sie!«<br />

▶ Dienstag, 8. Januar 2013, 21.00 Uhr<br />

CORNEILLE – BRECHT – Frankreich 2009 – R+B:<br />

Jean-Marie Straub, nach »Horace« und »Othon« von<br />

Pierre Corneille und »Das Verhör des Lukullus« von<br />

Bertolt Brecht – K: Jean-Claude Rousseau, Christophe<br />

Clavert – Mit Cornelia Geiser – 26 min, OmU – GE-<br />

SCHICHTSUNTERRICHT – BRD 1972 – R+B: Danièle<br />

Huillet & Jean-Marie Straub, nach »Die Geschäfte des<br />

Herrn Julius Caesar« von Bertolt Brecht – K: Renato<br />

Berta – D: Gottfried Bold, Benedikt Zulauf – 88 min –<br />

Kunstpragmatismus, die Straubs und ihre Gebrauchsfilme:<br />

Bach für Bauern in Bayern, Corneille für die Arbeiter<br />

von Renault. Und Brecht, der mit unermüdlicher<br />

Gelassenheit vorführt, wie man mit den Instrumenten<br />

der marxistischen Analyse hantiert. GESCHICHTSUN-<br />

TERRICHT ist eine Recherche zum römischen Kapitalismus,<br />

einst und heute. Einer der heitersten Straubfilme,<br />

mit KLASSENVERHÄLTNISSE und SICILIA ! bildet er<br />

eine Art Trilogie der Travestie. Das Verhör des Lukullus<br />

führt dann in die Unterwelt. »Wir suchen ständig das<br />

›Harmonische‹, das ›An-und-für-sich-Schöne‹ zu gestalten«,<br />

schrieb Brecht, »anstatt realistisch den Kampf<br />

für die Harmonie und die Schönheit.«<br />

▶ Mittwoch, 9. Januar 2013, 21.00 Uhr<br />

EINLEITUNG ZU ARNOLD SCHOENBERGS BEGLEIT-<br />

MUSIK ZU EINER LICHTSPIELSCENE – BRD 1973 –<br />

R+B: Danièle Huillet & Jean-Marie Straub, nach Briefen<br />

von Arnold Schönberg – K: Renato Berta – Mit<br />

Jean-Marie Straub, Danièle Huillet, Günter Peter Stra-<br />

schek, Peter Nestler – 16 min – MOSES UND ARON –<br />

Österreich 1974 – R+B: Danièle Huillet & Jean-Marie<br />

Straub, nach der Oper von Arnold Schönberg – K:<br />

Renato Berta – D: Günter Reich, Louis Devos – 107<br />

min – Schönbergs Musik, das machen die drei Filme<br />

sichtbar, die die Straubs mit ihr machten, hat nach<br />

dem Kino verlangt. Ein neues Verhältnis von Wort, Bild,<br />

Gedanke. »Du, dem das Wort mit dem Bild davonläuft,<br />

du lebst selbst in den Bildern, die du vorgibst, fürs Volk<br />

zu erzeugen«, so Moses zum Ideologen Aron, »dem<br />

Ursprung, dem Gedanken entfremdet, genügt dir dann<br />

weder das Wort noch das Bild.« Das antike Theater in<br />

Alba Fucense ist als Schauplatz so irreal, so unmöglich<br />

und utopisch wie der von Mallarmés neuer, das Buch<br />

übersteigenden Poesie: »Die Praxis von Sprache ist<br />

nicht reduzierbar auf Sinnproduktion. Gedichte von Mallarmé<br />

sind szenisch konzipiert. Nicht möglich auf dem<br />

Theater, sagt er, aber das Theater verlangend. Diese<br />

Unmöglichkeit realisiert der Film.« (Frieda Grafe)<br />

▶ Dienstag, 15. Januar 2013, 21.00 Uhr<br />

FORTINI / CANI (DIE HUNDE VOM SINAI) – Italien<br />

1976 – R+B: Danièle Huillet & Jean-Marie Straub,<br />

nach Franco Fortini – K: Renato Berta – Mit Franco Fortini<br />

– 83 min, OmU – ITINERAIRE DE JEAN BRICARD<br />

(WEG VON JEAN BRICARD) – Frankreich 2008 – R+B:<br />

Danièle Huillet & Jean-Marie Straub, nach Jean-Yves-<br />

Petiteau – K: William Lubtchansky – 40 min, OmU –<br />

Zwei Kriegs- und Nachkriegserfahrungen, der Italiener<br />

Franco Fortini, der Franzose Jean Bricard: vom Faschismus<br />

sprechen, also vom Kapitalismus, von Imperialismus,<br />

Neokolonialismus, Zionismus, Klassenkampf.<br />

Keine Grenzen sind absolut im Denken und im Handeln,<br />

kein Leben ist eine Insel. Alles ganz kafkaesk. »Den<br />

Hund vom Sinai machen, Redensart der Nomaden, die<br />

einst durch die Hoch ebene von El Tih zogen, im Norden<br />

des Berges Sinai. Ihre Bedeutung schwankt zwischen:


dem Sieger zu Hilfe eilen, auf der Seite der Herren stehen,<br />

edle Gefühle zur Schau stellen. Auf dem Sinai gibt<br />

es keine Hunde.«<br />

▶ Mittwoch, 16. Januar 2013, 21.00 Uhr<br />

DALLA NUBE ALLA RESISTENZA (VON DER WOLKE<br />

ZUM WIDERSTAND) – Italien 1978 – R+B: Danièle<br />

Huillet & Jean-Marie Straub, nach »Dialoghi con Leucò«<br />

und »La luna e i falò« von Cesare Pavese – K: Saverio<br />

Diamanti – D: Olimpia Carlisi, Guido Lombardi, Andrea<br />

Bacci, Mauro Monni, Paolo Cinnani – 105 min, OmU –<br />

Der neue Weggefährte Cesare Pavese, er wird die<br />

Straubs nicht mehr verlassen auf ihrem Itinéraire. Dialoge<br />

mit mythologischen Figuren, die ums Unergründ -<br />

liche, Unaussprechliche kreisen, das Verhältnis der<br />

Götter und der Menschen. Die Farben haben Pedro<br />

Costa delirieren lassen, diese Gelbs, diese Grüns. Im<br />

Anschluss an die Dialoge ein Heimkehrer ins Italien<br />

nach Krieg und Widerstand. Ein Verschollener. Wie Gesellschaft<br />

Gewalt eindämmen will und selber dabei Gewalt<br />

entwickelt. »Die Menschen sprechen in einen leeren<br />

Raum, und während die Rede aufsteigt, versenkt<br />

sich der Raum in die Erde.« (Gilles Deleuze)<br />

▶ Dienstag, 22. Januar 2013, 21.00 Uhr<br />

ZU FRÜH / ZU SPÄT – Frankreich 1982 – R+B: Danièle<br />

Huillet & Jean-Marie Straub, nach einem Brief von<br />

Friedrich Engels und »Luttes de classes en Égypte« von<br />

Mahmoud Hussein – K: William Lubtchansky, Robert<br />

Alazraki – 105 min – Bäuerliche Welt in Frankreich und<br />

in Ägypten. Ökologisches kommt bei Straub immer mit<br />

Utopischem. Muss Revolution nicht immer vom Land<br />

ausgehen? Sollten Erfahrungen nicht immer aus<br />

Schwenks entstehen? »Die Erfahrung nicht ertragen –<br />

das geht. Das hat man gesehen. Sogar die Idee der<br />

Erfahrung nicht mehr ertragen – das geht ebenfalls.<br />

Das sieht man alle Tage. Man kann finden, den Wind<br />

zu filmen, sei eine lächerliche Sache. Eben nur Wind.<br />

Man kann auch am Kino vorbeigehen, wenn es aus<br />

sich herausgeht und etwas riskiert.« (Serge Daney)<br />

▶ Mittwoch, 23. Januar 2013, 21.00 Uhr<br />

DER TOD DES EMPEDOKLES ODER WENN DANN<br />

DER ERDE GRÜN VON NEUEM EUCH ERGLÄNZT –<br />

BRD 1986 – R+B: Danièle Huillet & Jean-Marie Straub,<br />

nach Friedrich Hölderlin – K: Renato Berta – D:<br />

Andreas von Rauch, Vladimir Baratta, Ute Cremer, Howard<br />

Vernon, Peter Kammerer – 132 min – Hölderlin,<br />

der Kommunist unter den deutschen Klassikern. Empedokles<br />

ist mit seiner eigenen Emphase voll beschäftigt<br />

und versucht, vom Ätna aus die Welt aufzurütteln. »Er<br />

möchte Flamme sein, wie Jeanne d’Arc, wie Cézannes<br />

Mont Sainte-Victoire. Und wie John Fords scheinhei -<br />

liger Ransom Stoddard (James Stewart in THE MAN<br />

WHO SHOT LIBERTY VALANCE) redet er zu viel. Er<br />

posiert wie eine Sonnenexplosion, aber mit geschlossenen<br />

Augen.« (Tag Gallagher)<br />

▶ Dienstag, 29. Januar 2013, 21.00 Uhr<br />

SCHWARZE SÜNDE – BRD 1988 – R+B: Danièle Huillet<br />

& Jean-Marie Straub, nach »Empedokles auf dem<br />

Ätna« (3. Fassung von »Der Tod des Empedokles«) von<br />

Friedrich Hölderlin – K: William Lubtchansky – D:<br />

Andreas von Rauch, Vladimir Baratta, Howard Vernon,<br />

Danièle Huillet – 42 min – Empedokles zum zweiten.<br />

Nach der Explosion nun die Implosion. Empedokles hat<br />

keine Botschaft mehr, er ist allein wie es Gertrud war<br />

am Ende von Dreyers letztem Film. Danièle Huillet<br />

spielt noch einmal selber mit in diesem Film, die<br />

Sphinx. – PROPOSTA IN QUATTRO PARTI (VOR-<br />

SCHLAG IN VIER TEILEN) – Italien 1985 – 40 min, OF<br />

– Blut und Boden. Eine Videomontage von Jean-Marie<br />

Straub: A CORNER IN WHEAT (1909) von David W. Griffith<br />

sowie Ausschnitte aus MOSES UND ARON, FOR-<br />

TINI / CANI und DALLA NUBE ALLA RESISTENZA.<br />

▶ Mittwoch, 30. Januar 2013, 21.00 Uhr<br />

KLASSENVERHÄLTNISSE – BRD 1984 – R+B: Danièle<br />

Huillet & Jean-Marie Straub, nach »Der Verschollene«<br />

von Franz Kafka – K: William Lubtchansky – D:<br />

Christian Heinisch, Mario Adorf, Laura Betti, Alfred<br />

Edel, Harun Farocki, Manfred Blank – 127 min – Starkino<br />

von den Straubs, in glänzendem Schwarz/Weiß,<br />

mit Adorf, Betti, Edel. Kafkas Neue Welt, gefilmt im<br />

Geiste von Fritz Lang, dem alten Meister und Lehrer.<br />

Ein jugendlicher Held, Kafkas Verschollener, aus seinem<br />

Land und seiner Familie gejagt wie die Kölner<br />

Jungs in NICHT VERSÖHNT. In den Korridoren und Küchen,<br />

Aufzügen und Balkonen fangen Kafkas Sätze an<br />

herumzuspuken. Deleuze über die Nähe von Straub<br />

und Kafka: »Man kann den Sprechakt nicht von dem<br />

lösen, was ihm widersteht, ohne ihn dabei selbst, ge -<br />

gen das ihn Bedrohende, widerständig zu machen. Er<br />

selbst ist die Gewalt, die nur hilft, ›wo Gewalt herrscht‹.«<br />

▶ Dienstag, 5. Februar 2013, 21.00 Uhr<br />

PAUL CEZANNE IM GESPRÄCH MIT JOACHIM GAS-<br />

QUET – BRD 1989 – R+B: Danièle Huillet & Jean-<br />

Marie Straub, nach »Cézanne – Ce qu’il m’a dit« von<br />

Joachim Gasquet – K: Henri Alekan – 63 min – UNE<br />

VISITE AU LOUVRE (EIN BESUCH IM LOUVRE) –<br />

Frankreich 2004 – R+B: Danièle Huillet & Jean-Marie<br />

Jean-Marie Straub<br />

67


Jean-Marie Straub<br />

68<br />

Straub, nach »Cézanne – Ce qu’il m’a dit« von Joachim<br />

Gasquet – K: William Lubtchansky, Renato Berta –<br />

47 min, OmU – Nach dem Empedokles, der Arbeit mit<br />

Hölderlin, nun das Mystère Cézanne. Gespräche so tief,<br />

wie man sie heute nicht mehr kennt. Daniele Huillet:<br />

»Wer redet noch mit offenem Herzen? Es ist, wie wenn<br />

du plötzlich auf einem Berg reine Luft atmest.« Zwei<br />

Bodenständige, Bergbesessene, Sonnentrunkene, wie<br />

sie träumen, Natur und Geschichte zu versöhnen. »Die<br />

Inkarnation der Sonne durch die Welt, wer wird das je<br />

malen, wer es erzählen? Das wäre die physische Geschichte,<br />

die Psychologie der Erde.« Mittendrin eine<br />

Szene aus der MADAME BOVARY, dem Film von Jean<br />

Renoir, dem Sohn von Auguste.<br />

▶ Mittwoch, 6. Februar 2013, 21.00 Uhr<br />

DIE ANTIGONE DES SOPHOKLES NACH DER HöL-<br />

DERLINSCHEN ÜBERTRAGUNG FÜR DIE BÜHNE BE-<br />

ARBEITET VON BRECHT 1948 (SUHRKAMP VERLAG)<br />

– Deutschland 1991 – R+B: Danièle Huillet & Jean-<br />

Marie Straub – K: William Lubtchansky – D: Astrid<br />

Ofner, Ursula Ofner, Libgart Schwarz, Werner Rehm –<br />

99 min – Theater ferien in Berlin. An der Schaubühne<br />

hatten die Straubs die »Antigone« inszeniert, nun sind<br />

sie mit dem Stück und den Akteuren im antiken griechischen<br />

Theater in Segesta. »Das Straubsche Kino<br />

und das alte griechische Drama«, schreibt Peter<br />

Handke, »sind für mich geradezu seinesgleichen, formgleich:<br />

beide stehen, oder stocken, am Anfang und verharren<br />

da, beharren auf diesem.« Die Arbeit der<br />

Straubs ist archäologisch, die Schichten der Geschichte<br />

aufblätternd: ein Stück von Sophokles, übersetzt<br />

von Hölderlin, bearbeitet von Brecht fürs Theater.<br />

Im Kino gewinnt es neue Körperlichkeit, Wesen, die mythisch<br />

sind und doch ganz gegenwärtig. »Ungeheuer ist<br />

viel. Doch nichts ungeheurer, als der Mensch.«<br />

▶ Dienstag, 12. Februar 2013, 21.00 Uhr<br />

VON HEUTE AUF MORGEN – Deutschland 1997 –<br />

R+B: Danièle Huillet & Jean-Marie Straub, nach der<br />

Oper von Arnold Schönberg und Max Blonda – K: William<br />

Lubtchansky – D: Christine Whittlesey, Richard<br />

Salter – 62 min – EN RACHACHANT – Frankreich<br />

1982 – R+B: Danièle Huillet & Jean-Marie Straub,<br />

nach »Oh ! Ernesto« von Marguerite Duras – K: Henri<br />

Alekan – D: Olivier Straub, Nadette Thinus, Bernard<br />

Thinus, Raymond Gérard – 7 min, OmU – LOTHRIN-<br />

GEN ! – Frankreich 1994 – R+B: Danièle Huillet &<br />

Jean-Marie Straub, nach »Colette Baudoche« von Maurice<br />

Barrès – K: Christophe Pollock – D: Emmanuelle<br />

Straub – 21 min, OmU – UN HERITIER (EIN ERBE) –<br />

Frankreich 2011 – R+B: Jean-Marie Straub, nach »Au<br />

service de l’Allemagne« von Maurice Barrès – K: Renato<br />

Berta, Christophe Clavert – D: Joseph Rottner, Jubarite<br />

Semaran, Barbara Ulrich – 21 min, OmU – Filme<br />

über Erbschaft und Erziehung, Mode und Ideologien.<br />

»Was sind das, moderne Menschen?« Zwei Filme spielen<br />

im Elsass, im deutsch-französischen Grenzland,<br />

nach dem reaktionären Maurice Barrès. Wissen und<br />

Gewissheiten, die sich entfestigen, nationale Gefühle,<br />

die in den wilden Nationalismen ihre Wahrheit reklamieren,<br />

»die heute sichtbaren und hörbaren Geschichtsspuren«,<br />

schrieb Frieda Grafe, »und die vom<br />

Kino aufgerufenen – nicht direkt darzustellenden – archaischen<br />

Schwingungen«. Der alte Straub, geboren in<br />

Metz, tritt als Zeitzeuge selbst in Erscheinung.<br />

▶ Mittwoch, 13. Februar 2013, 21.00 Uhr<br />

OPERAI, CONTADINI (ARBEITER, BAUERN) – Italien<br />

2001 – R+B: Danièle Huillet & Jean-Marie Straub,<br />

nach »Le donne di Messina« von Elio Vittorini – K: Renato<br />

Berta – D: Angela Nugara, Angela Durantini, Vittorio<br />

Vigneri, Aldo Fruttuosi, Rosalba Curatola – 123 min,<br />

OmU – Die Straubs gehen in die Wälder, ihr spätes<br />

Werk wurzelt in der Gegend um die toskanische Stadt<br />

Buti – unser Monument Valley, sagt Straub. OPERAI,<br />

CONTADINI ist ihr WAGONMASTER, ein western noir.<br />

Politisches wächst zusammen mit Mythischem, Märchenhaftem.<br />

Die neue Historie. Überlebensszenen<br />

unter unsäglichen Bedingungen, in einem Winter nach<br />

Ende des Zweiten Weltkriegs. »Es geht um den Wahnsinn,<br />

eine Gemeinschaft zu bilden«, sagt Straub, »den<br />

Wahnsinn des Schnees und des Eises.«<br />

▶ Dienstag, 19. Februar 2013, 21.00 Uhr<br />

IL RITORNO DEL FIGLIO PRODIGO / UMILIATI (DIE<br />

RÜCKKEHR DES VERLORENEN SOHNES / GEDEMÜ-<br />

TIGT) – Italien 2003 – R+B: Danièle Huillet & Jean-<br />

Marie Straub, nach »Le donne di Messina« von Elio Vittorini<br />

– K: Renato Berta – D: Vittorio Vigneri, Rosalba<br />

Curatola, Aldo Fruttuosi, Romano Guelfi, Paolo Spaziani<br />

– 64 min, OmU – Die Fortsetzung zu den OPERAI, CON-<br />

TADINI. Die Gesellschaft formiert sich neu, Gericht wird<br />

gehalten. Ein Reichtum von Sonne, Licht, Wasser,<br />

Blattwerk, in den kleinsten Filmen noch, der den angeblichen<br />

Asketismus und Minimalismus der Straubs<br />

ad absurdum führt. »Das hat mich so ge ärgert, dass<br />

ich nachgesehen habe. Askese, etymologisch, bei den<br />

Griechen, heißt: einen Beruf und ein Handwerk gut ausüben,<br />

die Dinge gut polieren, als Schreiber zum Beispiel<br />

oder als Töpfer. Also bedeutet es genau das Gegenteil<br />

von dem, was die Leute heute denken, wenn sie


meinen, ein Asket ist einer, der hat kein Blut. Das war<br />

die Frömmigkeit vom 17. Jahrhundert, die das umgekippt<br />

hat. Die schlimme Frömmigkeit. Bis zur Peitsche<br />

auf sich selbst.« – EUROPA 2005 – 27 OCTOBRE –<br />

Frankreich 2006 – R+B: Danièle Huillet & Jean-Marie<br />

Straub – K: Jean-Claude Rousseau, Christophe Clavert<br />

– 11 min, kein Dialog – JOACHIM GATTI – Frankreich<br />

2009 – R+B: Jean-Marie Straub, nach Jean-Jacques<br />

Rousseau – K: Renato Berta – 2 min, OmU<br />

▶ Mittwoch, 20. Februar 2013, 21.00 Uhr<br />

QUEI LORO INCONTRI (JENE IHRE BEGEGNUNGEN) –<br />

Italien 2006 – R+B: Danièle Huillet & Jean-Marie<br />

Straub, nach »Dialoghi con Leucò« von Cesare Pavese<br />

– K: Renato Berta, Jean-Paul Toraille – D: Angela Nugara,<br />

Vittorio Vigneri, Grazia Orsi, Romano Guelfi, Giovanna<br />

Daddi, Dario Marconcini – 68 min, OmU – IL<br />

GINOCCHIO DI ARTEMIDE (DAS KNIE DER ARTE-<br />

MIDE) – Italien 2007 – R+B: Jean-Marie Straub, nach<br />

»La Belva« von Cesare Pavese – K: Renato Berta, Jean-<br />

Paul Toraille – D: Dario Marconcini, Andrea Bacci – 26<br />

min, OmU – LE STREGHE – FEMMES ENTRE ELLES<br />

(DIE HEXEN – FRAUEN UNTER SICH) – Italien 2009 –<br />

R+B: Jean-Marie Straub, nach Cesare Pavese – K: Re-<br />

nato Berta, Jean-Paul Toraille – D: Giovanna Daddi,<br />

Giovanna Giuliani – 26 min, OmU – L’INCONSOLA-<br />

BILE (DER UNTRöSTLICHE) – Italien 2011 – R+B:<br />

Jean-Marie Straub, nach Cesare Pavese – K: Renato<br />

Berta, Christophe Clavert – D: Giovanna Daddi, Andrea<br />

Bacci – 15 min, OmU – LA MADRE (DIE MUTTER) –<br />

Schweiz 2012 – R+B: Jean-Marie Straub, nach Cesare<br />

Pavese – K: Christophe Clavert – D: Giovanna Daddi,<br />

Dario Marconcini – 20 min, OmU – Mit Pavese haben<br />

die Straubs ihren Frieden gefunden, einen immer noch<br />

aufrührerischen Frieden. Neun filmische Dialoge mit<br />

Leuko, zum Schluss der allerneueste: LA MADRE. Meleagros<br />

hat getötet und wird nun selbst getötet, von der<br />

eigenen Mutter. »Wer schafft es denn je, sich von den<br />

Müttern zu lösen?« fragt ihn, der zum Schatten wurde,<br />

der vieldeutige Hermes. »Die Mischungen, die Monstren<br />

erzeugen, sind im Kino nicht nur erlaubt, sie sind,<br />

wenn man es recht bedenkt, sein Gesetz. Solche Zwitter<br />

zu produzieren hat vor ihm kaum eine Kunst geschafft.<br />

Vor allem seitdem die Leinwand redet, wimmelt<br />

es von Chimären und Kentauren und Werwölfen.<br />

Sogar Götter wandeln zuweilen wieder unter den Menschen.«<br />

(Frieda Grafe)<br />

▶ Donnerstag, 21. Februar 2013, 19.00 Uhr<br />

LA MADRE<br />

Jean-Marie Straub<br />

69


Filmemigration<br />

70<br />

LIEBELEI<br />

Filmemigration aus Nazi-Deutschland<br />

Eines der vordringlichsten Ziele des Nationalsozialismus<br />

nach der Machtübernahme am 30. Januar 1933<br />

war es, die Massenmedien unter seine Kontrolle zu<br />

bringen. Dazu gehörte vor allem auch der Film. Ein wesentlicher<br />

Schritt dazu erfolgte bereits am 10. März, als<br />

es gelang, in der Geschäftsleitung der Filmbörse, der<br />

zentralen Vermittlungsstelle für alle Filmschaffenden,<br />

einen Parteigänger zu installieren. Parallel dazu kam es<br />

zur Bildung Nationalsozialistischer Betriebsorganisationen<br />

(NSBO) in sämtlichen Berufssparten der Filmindustrie,<br />

die nicht nur die Basis, sondern auch die Filmbörse<br />

zu kontrollieren begannen. Am 17. März, nur<br />

sechs Tage nach der formellen Gründung des Propagandaministeriums,<br />

wurde dann eine eigene Filmabteilung<br />

innerhalb des Ministeriums installiert.<br />

Goebbels’ erster Auftritt vor der Filmwirtschaft am<br />

28. März fiel verhalten aus. Er gab sich konziliant,<br />

sprach von der »Freiheit der Kunst« und verzichtete auf<br />

antisemitische Hetze. Konkret zur Sache äußerte sich<br />

Goebbels im Anschluss an seine Rede bei einem Treffen<br />

mit Ludwig Klitzsch, dem Generaldirektor der Ufa.<br />

Die Ufa war der mächtigste europäische Filmkonzern<br />

und politisch ein nationales, dem rechten Spektrum zuzurechnendes<br />

Unternehmen. Klaus Kreimeier nennt sie<br />

»präfaschistisch«. Hier war zu erwarten, dass die Politik<br />

des »neuen Deutschland« auf fruchtbaren Boden fallen<br />

würde. Und in der Tat reagierte die Ufa schnell. Bereits<br />

am folgenden Tag kam der Aufsichtsrat der Ufa überein,<br />

die bestehenden Verträge mit jüdischen Mitarbeitern<br />

und Angestellten aus »Rücksicht« auf die »natio -<br />

nalen Umwälzungen« nach Möglichkeit aufzulösen:<br />

»Jedes Vorstandsmitglied soll die Entscheidung da -<br />

rüber treffen, welche Mitarbeiter und Angestellten in<br />

seinem Ressort sofort zu entlassen und welche im<br />

Wege eines langsamen Abbaues aus den Diensten der<br />

Ufa auszuscheiden sind. Fälle, die Härten aufweisen,<br />

sollen schonend behandelt werden. Gehaltszahlungen<br />

sind mit Herrn Klitzsch zu besprechen.« Regisseur Erik<br />

Charell und der Erfolgsproduzent Erich Pommer wurden<br />

in der Niederschrift der Vorstandssitzung als erste<br />

genannt. Sie standen in den Vorbereitungen eines<br />

Großfilms über den Odysseus-Stoff, der gewisse Verwertungsrisiken<br />

beinhaltete. In diesem Fall kam die jüdische<br />

Abstammung Charells offenbar gerade recht,


um das Projekt zu Fall zu bringen. Einig war man sich<br />

in der Vorstandssitzung darüber, dass beider Verträge<br />

so rasch wie möglich aufgelöst werden sollten. Ein weiterer<br />

Prominenter war Regisseur Ludwig Berger. Seinen<br />

in Planung befindlichen Film wollte die Ufa allerdings<br />

noch verwirklicht sehen. Anfang Juni durfte Berger<br />

mit WALZERKRIEG beginnen, allerdings ohne den<br />

Produzenten Pommer. Seine Position wurde der Herstellungsgruppe<br />

Günther Stapenhorst übertragen.<br />

Rasch aufgelöst werden sollten beispielsweise auch die<br />

Verträge der Ufa-Autoren Robert Liebmann, Hans Müller<br />

und Friedrich Zeckendorf sowie einiger jüdischer<br />

Verwaltungsangestellter.<br />

Der Ufa-Konzern beschäftigte eine große Zahl der<br />

bedeutendsten Filmschaffenden und Filmkünstler so -<br />

wie erfolgversprechender Nachwuchskräfte aus dem<br />

deutschsprachigen Raum; andere waren durch Sub -<br />

unternehmer indirekt in ihrem Einflussbereich. Viele<br />

dieser Filmschaffenden waren jüdischer Abstammung,<br />

und es konnten nicht alle von einem Tag auf den anderen<br />

gekündigt, geschweige denn ersetzt werden. Der<br />

Ausschluss von Juden aus der deutschen Produktion<br />

war somit ein Prozess, dessen Geschwindigkeit von<br />

verschiedenen Faktoren bestimmt war: von der Möglichkeit<br />

des Zugriffs, vom bereits eingesetzten Kapital,<br />

vom Grad der Zustimmung der Partei zu jüdischen Filmschaffenden<br />

oder filmwirtschaftlichen Interesse an<br />

bestimmten Persönlichkeiten und/oder jüdischen Produktionsfirmen.<br />

Der Opportunismus in der Ufa zeigte<br />

sich besonders anschaulich bei der ungarischen<br />

Schauspielerin und Tänzerin Rosy Barsony, deren<br />

weiteres Engagement mit »Rücksicht auf die Knappheit<br />

an jugendlichen Darstellern« durchgesetzt werden<br />

sollte. Auch den Komponisten und Leiter des Ufa-<br />

Orchesters, Werner Richard Heymann, wollte die Geschäftsleitung<br />

unbedingt halten: »Mit Rücksicht auf<br />

den anständigen Charakter von Werner R. Heymann<br />

und auf die Tatsache, dass er als Frontsoldat den Krieg<br />

mitgemacht hat, beschließt der Vorstand, sich bei der<br />

Regierung für seinen Weiterverbleib einzusetzen.« Als<br />

eine günstige Voraussetzung erachteten die Verantwortlichen,<br />

dass Heymann getauft war und der evangelischen<br />

Glaubensgemeinschaft angehörte. Heymann<br />

war einer der bedeutendsten Komponisten im deutschen<br />

Film, der u. a. die Musik zu den Ufa-Welterfolgen<br />

DIE DREI VON DER TANKSTELLE (1930, Regie: Wilhelm<br />

Thiele) und DER KONGRESS TANZT (1931, Regie: Erik<br />

Charell) komponiert hatte. Sein Assistent Gérard Jacobson<br />

wurde jedoch sofort entlassen, wenngleich betont<br />

wurde, dass die Ufa gegen eine private Weiterbeschäftigung<br />

Jacobsons durch Heymann keine Einwendun-<br />

gen erheben werde. Heymann war – wie auch Rosy<br />

Barsony – nicht zu halten, er emigrierte über Frankreich<br />

in die USA.<br />

Der Ungar Viktor Gertler, Produktionsassistent und Cutter,<br />

schildert in seiner Autobiografie den Hergang seiner<br />

Entlassung aus der Ufa: »Im März 1933 wurde ich<br />

in den Konferenzsaal der Direktion zitiert. Als ich den<br />

Saal betreten wollte, trat gerade Pommer aus der Tür.<br />

Nervös und kreidebleich hetzte er an mir vorbei. Ich<br />

ging hinein. An einem langen Tisch sitzend sah ich<br />

meine bis dahin immer lächelnden Vorgesetzten: Corell,<br />

Meydam, Grieving, Gau, von Theobald und noch zwei<br />

weitere leitende Herren. Keiner von ihnen lächelte<br />

mehr. Im Raum herrschte eisige Kälte. Man bat mich<br />

Platz zu nehmen und – fragte mich nach meiner Religionszugehörigkeit.<br />

Später fand ich auf dem Schreibtisch<br />

in meinem Büro einen Brief vor. Ich las ihn. Die Ufa<br />

hatte mich für unbestimmte Zeit beurlaubt. […] Am<br />

nächsten Morgen erreichte mich ein Einschreiben der<br />

Ufa. Man teilte mir mit, ich sei mit sofortiger Wirkung<br />

entlassen. Als ich in der Personalabteilung noch mein<br />

Gehalt abheben wollte, erfuhr ich, daß für mich keinerlei<br />

Anweisung vorlag.«<br />

Einen ersten Höhepunkt erreichte die antisemitische<br />

Hetze am 1. April 1933 beim genannten »Boykott-Tag«.<br />

Von Goebbels veranlasst, zogen SA-Horden durch die<br />

Straßen und skandierten »Deutsche wehrt euch, kauft<br />

nicht bei Juden« und »Deutschland erwache, Juda verrecke«.<br />

Die Aktion richtete sich gegen jüdische Geschäfte<br />

und Anwaltskanzleien ebenso wie gegen Professoren,<br />

Lehrer, Studenten, Schüler, Künstler und<br />

nicht zuletzt auch gegen Filmschaffende. Ulrich Liebe<br />

gibt sehr einfühlsam eine der Aktionen in den Babelsberger<br />

Studios wieder. Der Produktionsleiter des Ufa-<br />

Films KIND, ICH FREU’ MICH AUF DEIN KOMMEN betrat<br />

am Boykott-Tag das Atelier und verkündete lapidar:<br />

»Wer hier nicht reinarischen Blutes ist, verlässt sofort<br />

das Studio.« Der Regisseur Kurt Gerron erstarrt, »er<br />

schaut sich noch einmal hilflos um, dann wendet er<br />

sich ab und geht langsam mit schweren Schritten zum<br />

Ausgang; sein Körper bebt, er weint.« Nach den Ausschreitungen<br />

des Boykott-Tages kam es zur ersten großen<br />

Emigrationswelle – zahlreiche jüdische Künstler<br />

verließen Deutschland.<br />

Mit der Novellierung der Filmkontingentverordnung<br />

vom 28. Juli 1933 wurde die Entfernung der Juden aus<br />

der deutschen Filmbranche auf eine »gesetzliche<br />

Basis« gestellt. Um – wie es hieß – die »deutsche Filmherstellung<br />

aus den Händen der Juden« zu befreien,<br />

konnten Filme nur mehr dann als deutsche anerkannt<br />

werden, wenn »alle Mitwirkenden Deutsche« waren.<br />

Filmemigration<br />

71


Filmemigration<br />

72<br />

Dabei wurde der Begriff des »Deutschen« nicht mehr<br />

ausschließlich über die Staatsangehörigkeit, sondern<br />

auch durch die »Stammeszugehörigkeit« definiert. Personen<br />

jüdischer Abstammung, nach nationalsozialistischer<br />

Terminologie »Nichtarier«, wurden damit – unabhängig<br />

von der deutschen Staatsbürgerschaft – wie<br />

Ausländer eingestuft. Sie benötigten jetzt eine Arbeitserlaubnis.<br />

Diese konnten sie nur über einen speziellen<br />

Antrag beim Reichsministerium für Volksaufklärung<br />

und Propaganda erhalten, wobei aber von vornherein<br />

festgeschrieben war, dass ein Antrag nur aus »kulturellen<br />

oder künstlerischen Erwägungen« gewährt wurde.<br />

Etwa gleichzeitig wurde die Filmkammer ins Leben gerufen,<br />

die im November 1933 als eine von sechs Einzelkammern<br />

der Reichskulturkammer eingegliedert<br />

wurde. Die Reichsfilmkammer fungierte als ein Schnittpunkt<br />

aller mit Filmagenden betrauten Organisationen,<br />

an deren Spitze das von Goebbels geleitete Reichsministerium<br />

für Volksaufklärung und Propaganda stand.<br />

Die Kammer erfasste alle an einem Film Beteiligten:<br />

von der Produktionsgesellschaft und dem Filmstab zur<br />

Zensur bis zur Distribution und Aufführung. Ab der<br />

zweiten Jahreshälfte 1933 lief ohne diese Zentralstelle<br />

überhaupt nichts mehr.<br />

Nur wenigen jüdischen Personen gelang über Ausnahmegenehmigungen<br />

die Weiterbeschäftigung im Reich.<br />

So konnte etwa der Produzent Gregor Rabinowitsch<br />

über seine Cine-Allianz Tonfilm GmbH noch bis Anfang<br />

1935 produzieren und der beliebte Komiker Otto Wallburg<br />

bis 1934 in Filmen mitwirken. Seine letzten beiden<br />

Filme, INGE UND DIE MILLIONEN (1933, Regie:<br />

Erich Engel) sowie KONJUNKTURRITTER (1934, Regie:<br />

Fritz Kampers), präsentierten Wallburg jedoch als zwielichtigen<br />

Devisenschieber und kriminellen Spekulanten.<br />

Wie hieß es doch in einem gut gemeinten Rat deutscherseits<br />

an die österreichischen Produzenten? »Ju -<br />

den können in einer Filmrolle dann beschäftigt werden,<br />

wenn dieselbe der Mentalität der Rasse entspricht«. Im<br />

Vergleich zu 1933 nahmen deutschsprachige Filme mit<br />

jüdischer Beteiligung 1934 rapide ab. Über einen längeren<br />

Zeitraum – zum Teil bis Ende 1937 – arbeiteten<br />

Marta Eggerth, Jan Kiepura und Reinhold Schünzel. Ab<br />

1938 waren im Filmbereich keine Juden mehr beschäftigt.<br />

Armin Loacker<br />

Die Filmreihe zeigt die letzten oder vorletzten Filme von Regisseuren,<br />

die aus Deutschland emigrieren mussten. Sie verdeutlicht<br />

den künstlerischen Verlust des deutschen Films, der<br />

durch Hitlers Machtergreifung vor 80 Jahren, am 30. Januar<br />

1933, einsetzte. Die Schicksale der Emigranten schildert Günter<br />

Peter Straschek in seiner selten gezeigten Dokumentation<br />

FILMEMIGRATION AUS NAZI-DEUTSCHLAND.<br />

MÄDCHEN IN UNIFORM – Deutschland 1931 – R:<br />

Leontine Sagan – B: Christa Winsloe, nach ihrem Stück<br />

»Gestern und Heute« – K: Reimar Kuntze, Franz Weihmayr<br />

– M: Hansom Milde-Meißner – D: Hertha Thiele,<br />

Dorothea Wieck, Gertrud de Lalsky, Emilie Unda, Marte<br />

Hein, Hedwig Schlichter – 87 min – In einem strengen<br />

Erziehungsheim für preußische Offizierstöchter<br />

schwärmt eine Schülerin für eine verständnisvolle,<br />

junge Erzieherin. Der erste deutsche Tonfilm, bei dem<br />

eine Frau Regie führte. Regisseurin Leontine Sagan<br />

emigrierte bereits 1932 nach England, wo sie noch<br />

einen zweiten Spielfilm drehte, bevor sie 1939 nach<br />

Südafrika ging, wo sie als Kind aufgewachsen war.<br />

Dort widmete sie sich dem Theater. Hertha Thiele war<br />

in Deutschland als Schauspielerin so populär, dass sie<br />

trotz ihrer oppositionellen Haltung zu den Nationalsozialisten<br />

erst 1936 aus der Reichstheaterkammer und<br />

Reichsfilmkammer ausgeschlossen wurde. Im Januar<br />

1937 emigrierte sie in die Schweiz und siedelte 1966<br />

in die DDR über, wo sie wieder als Schauspielerin in Filmen<br />

auftrat.<br />

▶ Dienstag, 8. Januar 2013, 18.30 Uhr<br />

MADAME HAT AUSGANG – Deutschland 1931 – R:<br />

Wilhelm Thiele – B: Franz Schulz, Wilhelm Thiele – K:<br />

Nicolas Farkas, Ferenc Farkas – M: Ralph Erwin – D:<br />

Liane Haid, Hans Brausewetter, Ernst Dumcke, Hilde<br />

Hildebrand, Paul Biensfeldt – 82 min – Elegante musikalische<br />

Komödie um eine betrogene Ehefrau, die nun<br />

auch einen Seitensprung wagt. Der als Meister der<br />

frühen Tonfilmoperette ausgesprochen erfolgreiche<br />

Wilhelm Thiele wurde als jüdischer Filmschaffender<br />

aus der Reichsfilmkammer ausgeschlossen, floh über<br />

Österreich und Großbritannien in die USA und landete<br />

1934 in Hollywood, wo er als William Thiele zahlreiche<br />

B-Pictures drehte. Ende der 1950er Jahre kehrte er in<br />

die Bundesrepublik zurück. Der ebenfalls profilierte


Drehbuchautor Franz Schulz verließ 1933 Deutschland<br />

und emigrierte über Prag und London in die USA. Dort<br />

arbeitete er unter dem Namen Franz Spencer. Ende der<br />

1950er Jahre kehrte er nach Europa zurück.<br />

▶ Mittwoch, 9. Januar 2013, 18.30 Uhr<br />

KUHLE WAMPE ODER WEM GEHöRT DIE WELT? –<br />

Deutschland 1932 – R: Slatan Dudow – B: Bertolt<br />

Brecht, Ernst Ottwald – K: Günther Krampf – M: Hanns<br />

Eisler – D: Hertha Thiele, Ernst Busch, Martha Wolter,<br />

Adolf Fischer, Lilli Schoenborn, Erwin Geschonneck –<br />

71 min – Die Geschichte einer Berliner Arbeiterfamilie,<br />

die in Elend und Armut lebt, aber in der Arbeiterbewegung<br />

eine Möglichkeit sieht, die Welt zu verändern.<br />

KUHLE WAMPE ist der einzige kommunistische Spielfilm<br />

der Weimarer Republik und wurde erst nach starken<br />

Kürzungen von der Zensur freigegeben. Nach der<br />

Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde er sofort<br />

wieder verboten. Slatan Dudow emigrierte 1933<br />

über Frankreich in die Schweiz. Hanns Eisler löste im<br />

Februar 1933 seine Berliner Wohnung auf, Bertolt<br />

Brecht verließ Deutschland einen Tag nach dem<br />

Reichstagsbrand, Ernst Busch konnte sich am 9. März<br />

der Verhaftung durch die Gestapo entziehen. Eisler,<br />

Brecht und Busch arbeiteten in verschiedenen Ländern<br />

in Europa, Brecht und Eisler auch in den USA. Busch<br />

verbrachte die letzten Kriegsjahre im Zuchthaus Brandenburg,<br />

nachdem er 1942 in Frankreich verhaftet und<br />

der Gestapo ausgeliefert worden war. Alle vier Künstler<br />

konnten ihre Karrieren in der DDR erfolgreich fort -<br />

setzen.<br />

▶ Freitag, 11. Januar 2013, 18.30 Uhr<br />

DER TRÄUMENDE MUND – Deutschland 1932 – R+B:<br />

Paul Czinner, nach dem Stück »Mélo« von Henry Bernstein<br />

– K: Jules Krueger – D: Elisabeth Bergner, Anton<br />

Edthofer, Rudolf Forster, Margarete Hruby, Jaro Fürth –<br />

93 min – Die Frau eines Orchestermusikers wird die<br />

Geliebte des Jugendfreundes ihres Mannes und gerät<br />

in einen Gewissenskonflikt. »Es ist der Kammerspiel-<br />

Film von heute, den die eigene Art der Bergner schuf.<br />

Flukturierendes Zwischenspiel der Seelen, das die Kamera<br />

reflektiert, das Worte zum Tönen bringt. Wieder<br />

bezwingen die große Verinnerlichung, der Zauber einer<br />

sensiblen Darstellungskunst.« (Lotte H. Eisner) Paul<br />

Czinner emigrierte 1933 zusammen mit Elisabeth Bergner<br />

nach England, wo beide heirateten und ihre Karrieren<br />

fortsetzen konnten. 1940 reisten sie in die USA,<br />

KUHLE WAMPE ODER WEM GEHÖRT DIE WELT?<br />

Filmemigration<br />

73


Filmemigration<br />

74<br />

konnten aber in Hollywood ihre erfolgreiche Zusammenarbeit<br />

nicht fortsetzen und kehrten 1951 wieder<br />

nach England zurück.<br />

▶ Samstag, 12. Januar 2013, 18.30 Uhr<br />

DER BRAVE SÜNDER – Deutschland 1931 – R: Fritz<br />

Kortner – B: Alfred Polgar, Fritz Kortner, nach dem<br />

Stück »Die Defraudanten« von Alfred Polgar – K: Günther<br />

Krampf – M: Nicholas Brodszky – D: Max Pallenberg,<br />

Heinz Rühmann, Dolly Haas, Josefine Dora, Fritz<br />

Grünbaum – 92 min – Unterhaltsame Burleske über<br />

die Abenteuer und Verwirrungen eines pedantischen<br />

Oberkassierers, der unfreiwillig zum Betrüger wird.<br />

Fritz Kortner emigrierte 1933 über London und New<br />

York nach Hollywood. »Was ich beruflich in Hollywood<br />

zu leisten Gelegenheit hatte, war so wenig bemerkenswert,<br />

dass ich darüber zu erzählen gerne versäume.«<br />

(Kortner) 1947 kehrte er zurück und setzte in der Bundesrepublik<br />

seine Karriere als Schauspieler und Regisseur<br />

fort. Dolly Haas verließ Deutschland 1936, emigrier -<br />

te zusammen mit ihrem jüdischen Mann Hans Brahm<br />

über England in die USA, wo sie mit einer Ausnahme<br />

keine Filme mehr drehte, sondern am Broadway re -<br />

üssierte. Max Pallenberg floh 1933 nach Wien und<br />

kam 1934 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Fritz<br />

Grünbaum versuchte 1938, aus Österreich zu fliehen,<br />

wurde verhaftet und 1941 im KZ Dachau ermordet.<br />

▶ Dienstag, 15. Januar 2013, 18.30 Uhr<br />

ICH UND DIE KAISERIN – Deutschland 1933 – R:<br />

Friedrich Hollaender – B: Walter Reisch, Robert Liebmann<br />

– K: Friedl Behn-Grund – M: Friedrich Hollaender,<br />

Franz Wachsmann – D: Lilian Harvey, Conrad<br />

Veidt, Mady Christians, Heinz Rühmann, Friedel Schuster,<br />

Hubert von Meyerinck – 89 min – Eine musikalische<br />

Komödie: Die Lieblingsfriseuse der Kaiserin verliert<br />

deren Strumpfband bei einer Parforcejagd im Wald<br />

und löst Hofklatsch, Eifersüchteleien und politische Intrigen<br />

aus. ICH UND DIE KAISERIN war für viele Mit -<br />

arbeiter der letzte Film in Deutschland, sie mussten alle<br />

1933 emigrieren. Nach seiner einzigen Regiearbeit<br />

knüpfte Friedrich Hollaender als Komponist in Hollywood<br />

an seine Erfolge bei der Ufa an, ebenso wie sein<br />

Co-Komponist Franz Wachsmann, der sich in Amerika<br />

Franz Waxman nannte, sein Drehbuchautor Walter<br />

Reisch und die Schauspielerin Mady Christians. Robert<br />

Liebmann blieb in Frankreich, wo sich seine Spuren<br />

verlieren. Conrad Veidt arbeitete zunächst in Großbritannien<br />

und ab 1940 in Hollywood, wo er 1943 starb.<br />

▶ Mittwoch, 16. Januar 2013, 18.30 Uhr<br />

LIEBELEI – Deutschland 1933 – R: Max Ophüls – B:<br />

Hans Wilhelm, Curt Alexander, Max Ophüls, nach dem<br />

Stück von Arthur Schnitzler – K: Franz Planer – M:<br />

Theo Mackeben – D: Magda Schneider, Luise Ullrich,<br />

Paul Hörbiger, Wolfgang Liebeneiner, Gustaf Gründgens,<br />

Olga Tschechowa – 88 min – Die ungewöhnlich<br />

dichte Verfilmung von Arthur Schnitzlers Drama über<br />

Liebschaften im Wien der k.u.k.-Monarchie gilt als<br />

einer der schönsten deutschen Filme. Max Ophüls<br />

schrieb: »Über LIEBELEI lag ein Glücksstern. Glückssterne<br />

scheinen besonders hell am Poetenhimmel, und<br />

ich glaube, Arthur Schnitzler ist ein großer Poet.« Die<br />

meisten Mitwirkenden des Films mussten unmittelbar<br />

nach der Premiere emigrieren. Max Ophüls drehte<br />

Filme in Frankreich, Italien, Holland, England und ab<br />

1940 in den USA. 1949 kehrte er nach Europa zurück<br />

und arbeitete in Frankreich und der Bundesrepublik.<br />

Auch Hans Wilhelm und Curt Alexander arbeiteten im<br />

europäischen Exil bis 1940 an weiteren Filmen von<br />

Max Ophüls mit, Hans Wilhelm gelangte erst 1945<br />

nach Hollywood, hatte dort aber nur wenig Erfolg.<br />

▶ Freitag, 18. Januar 2013, 18.30 Uhr<br />

BRENNENDES GEHEIMNIS – Deutschland 1933 – R:<br />

Robert Siodmak – B: Friedrich Kohner, nach dem<br />

Roman von Stefan Zweig – K: Robert Baberske, Richard<br />

Angst – M: Allan Gray – D: Willi Forst, Hans Joachim<br />

Schaufuß, Hilde Wagener, Alfred Abel, Lucie Höflich<br />

– 87 min – Ein 13jähriger Junge entdeckt, dass<br />

seine Mutter in eine Liebschaft mit einem Rennfahrer<br />

vertrickt ist. »Es geht hier nicht um eine große Handlung:<br />

Geschehnisse n der Welt seelischen Erlebens gewinnen<br />

Form; wie sie im Optischen eingefangen werden,<br />

wie sie ein sparsamer, durchfeilter Dialog aufdeckt<br />

– darin liegt der Verdienst dieses Filmwerks.«<br />

(Lotte H. Eisner) BRENNENDES GEHEIMNIS lief nach<br />

seiner Uraufführung am 20. März 1933 nur wenige


Tage in den deutschen Kinos ohne Nennung der Na -<br />

men der jüdischen Mitarbeiter. Robert Siodmak be kam<br />

keine Arbeitserlaubnis mehr und emigrierte über Frankreich<br />

und England 1939 nach Hollywood, wo er seine<br />

Karriere als Regisseur fortsetzte. 1951 kehrte er nach<br />

Europa zurück und drehte in der Bundesrepublik einige<br />

preisgekrönte Filmklassiker. Friedrich Kohner gelangte<br />

über die Schweiz und England bereits 1936 nach Hollywood,<br />

wo er sich als Filmautor, Dramatiker und Buchautor<br />

einen Namen machte und Frederick Kohner<br />

nannte.<br />

▶ Samstag, 19. Januar 2013, 18.30 Uhr<br />

DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE – Deutschland<br />

1933 – R: Fritz Lang – B: Thea von Harbou, Fritz Lang<br />

– K: Fritz Arno Wagner, Karl Vass – M: Hans Erdmann –<br />

D: Rudolf Klein-Rogge, Oskar Beregi, Theodor Loos,<br />

Otto Wernicke, Klaus Pohl, Gustav Diessl – 122 min –<br />

Fritz Langs Kriminalfilm um den in einer Nervenklinik<br />

einsitzenden Dr. Mabuse, der mit Mord- und Terrorplänen<br />

eine »Herrschaft des Verbrechens« errichten will,<br />

konnte durchaus als kritische Anspielung auf die Nationalsozialisten<br />

und das System von Terror und Unterdrückung<br />

in einer zu erwartenden Diktatur gelesen werden.<br />

Dementsprechend wurde DAS TESTAMENT DES<br />

DR. MABUSE im März 1933 von der Filmprüfstelle ver-<br />

boten und zur Aufführung in Deutschland gar nicht erst<br />

zugelassen. Daraufhin verließ Star-Regisseur Fritz Lang<br />

nach einer Unterredung mit Joseph Goebbels im April<br />

1933 Deutschland. Über Frankreich gelangte er 1935<br />

nach Hollywood, wo er seine Regiekarriere fortsetzte.<br />

▶ Freitag, 1. Februar 2013, 18.30 Uhr<br />

EIN LIED GEHT UM DIE WELT – Deutschland 1933 –<br />

R: Richard Oswald – B: Heinz Goldberg – K: Reimar<br />

Kuntze – M: Hans May – D: Joseph Schmidt, Viktor de<br />

Kowa, Charlotte Ander, Fritz Kampers, Carl de Vogt –<br />

96 min, OmeU – Die in Venedig angesiedelte Geschichte<br />

um einen unscheinbaren italienischen Tenor,<br />

der auf das Mädchen verzichtet, das seine Liebe nicht<br />

erwidert, um eine große Sängerkarriere zu machen, ist<br />

ein Starvehikel für den populären jüdischen Tenor Joseph<br />

Schmidt. Während EIN LIED GEHT UM DIE WELT<br />

der große Kinoerfolg des Sommers 1933 war, musste<br />

Richard Oswald, einer der erfolgreichsten Regisseure<br />

und Produzenten der 1920er Jahre, emigrieren. Er<br />

drehte zunächst in den Niederlanden, Großbritannien,<br />

Österreich und Frankreich, bevor er ab 1938 in Hollywood<br />

seine Regiekarriere fortzusetzen versuchte. Auch<br />

Joseph Schmidt floh aus Deutschland und tourte im<br />

europäischen Ausland sowie in Palästina und in New<br />

York. 1940 wurde er in Frankreich interniert, konnte im<br />

September 1942 in die Schweiz flüchten, wo er zwei<br />

Monate später in einem Internierungslager starb.<br />

▶ Samstag, 2. Februar 2013, 18.30 Uhr<br />

DER TUNNEL – Deutschland 1933 – R: Kurt Bernhardt<br />

– B: Kurt Bernhardt, Reinhart Steinbicker, nach dem<br />

Roman von Bernhard Kellermann – K: Carl Hoffmann –<br />

M: Walter Gronostay – D: Paul Hartmann, Olly von Flint,<br />

Gustaf Gründgens, Attila Hörbiger, Otto Wernicke, Max<br />

Schreck – 81 min – Utopische Vision: Ein transatlan -<br />

tischer Tunnel soll Europa mit Amerika verbinden. Doch<br />

das gigantische Unternehmen wird durch unerwartete<br />

Schwierigkeiten und Intrigen gefährdet. Kurt Bernhardt<br />

war schon aus Deutschland emigriert, als er noch einmal<br />

zurückkehrte, um für eine französische Firma in<br />

München die deutsche Version von LE TUNNEL zu drehen.<br />

Während der Dreharbeiten wurde er wegen regimekritischer<br />

Äußerungen denunziert und konnte sich<br />

der Verhaftung durch die Gestapo durch Flucht entziehen.<br />

Er gelangte über Frankreich und England 1940<br />

nach Hollywood, wo er als Curtis Bernhardt für verschiedene<br />

Major Studios Spielfilme drehte.<br />

▶ Freitag, 8. Februar 2013, 18.30 Uhr<br />

Filmemigration<br />

75


Filmemigration<br />

76<br />

FÄHRMANN MARIA – Deutschland 1936 – R: Frank<br />

Wysbar – B: Hans-Jürgen Nierentz, Frank Wysbar – K:<br />

Franz Weihmayr – M: Herbert Windt – D: Sybille<br />

Schmitz, Ariberg Mog, Peter Voss, Carl de Vogt, Karl<br />

Platen – 83 min – »Dank großer atmosphärischer Stimmigkeit,<br />

dramaturgischer Präzision und einer starken<br />

lyrischen Note gehört dieser Legendenfilm zu den besten<br />

deutschen Arbeiten im Genre des phantastischen<br />

Films. Hohen Anteil daran hat auch die unbedingte<br />

Glaubwürdigkeit, welche die faszinierende Sybille<br />

Schmitz den metaphysischen Zügen der Titelfigur zu<br />

verleihen vermag.« (Thomas Kramer) Frank Wysbar,<br />

der eine jüdische Ehefrau hatte, wurde 1938 mit einem<br />

Arbeitsverbot belegt und emigrierte über Rotterdam in<br />

die USA, wo er als Frank Wisbar B-Pictures und Fernsehfilme<br />

drehte. 1956 setzte er seine Karriere als Regisseur<br />

in der Bundesrepublik fort.<br />

▶ Samstag, 9. Februar 2013, 18.30 Uhr<br />

LAND DER LIEBE – Deutschland 1937 – R: Reinhold<br />

Schünzel – B: Reinhold Schünzel, Eva Leidmann, Curt<br />

Goetz, nach dem Stück »Die Hofloge« von Karl Farkas –<br />

K: Werner Bohne – M: Alois Melichar – D: Albert Matterstock,<br />

Gusti Huber, Valerie von Martens, Wilhelm<br />

Bendow, Oskar Sima, Erik Ode – 91 min – Eine musikalische<br />

Komödie um einen heiratswilligen König und<br />

eine Prinzessin, die sich in einen vermeintlichen Attentäter<br />

verliebt. Curt Goetz schrieb die Dialoge. Die »Anarcho-Farce«<br />

(Hans-Christoph Blumenberg) war für Joseph<br />

Goebbels »eine typische Judenmache. Ganz unausstehlich.«<br />

Reinhold Schünzel, der als populärer Komödien-Regisseur<br />

mit Sondergenehmigung im »Dritten<br />

Reich« weiterarbeiten durfte, konnte im Mai 1937 über<br />

Wien, Budapest und Karlsbad nach Hollywood flüchten.<br />

Dort war er nicht mehr erfolgreich, zumal ihm der Ruf<br />

als Kollaborateur des NS-Regimes vorauseilte und er<br />

von früher geflohenen Emigranten boykottiert wurde.<br />

▶ Freitag, 15. Februar 2013, 18.30 Uhr<br />

LA HABANERA – Deutschland 1937 – R: Detlef Sierck<br />

– B: Gerhard Menzel – K: Franz Weihmayr – M: Lothar<br />

Brühne – D: Zarah Leander, Ferdinand Marian, Karl<br />

Martell, Julia Serda, Paul Bildt – 98 min – Eines der<br />

großen Melodramen mit Zarah Leander. Als junge<br />

Schwedin, die sich in der Karibik in den falschen Mann<br />

verliebt und nur eine kurze Zeit des Glücks erlebt, etablierte<br />

sie ihren Status als exotischer Ufa-Star und Sängerin:<br />

»Der Wind hat mir ein Lied erzählt.« Detlef Sierck,<br />

der mit einer jüdischen Frau verheiratet war, verließ<br />

Deutschland unmittelbar nach der Fertigstellung des<br />

Films, für dessen Dreharbeiten auf Teneriffa er einen<br />

Reisepass erhalten hatte. Nach Filmarbeiten in der<br />

Schweiz und den Niederlanden ging er 1940 nach<br />

Holly wood und machte als Douglas Sirk mit seinen<br />

Melodramen Karriere.<br />

▶ Samstag, 16. Februar 2013, 18.30 Uhr<br />

FILMEMIGRATION AUS NAZI-DEUTSCHLAND – BRD<br />

1975 – R+B: Günter Peter Straschek – K: Charly<br />

Böhm, Carlos Bustamante, Werner Dittmer – Mit Fritz<br />

Lang, John Brahm, Lotte H. Eisner, Anatole Litvak, Rudi<br />

Fehr, Camilla Spira, Lucie Mannheim, Harold Nebenzal,<br />

Jan Lustig, Heinrich Fraenkel, George Froeschel, Bronislau<br />

Kaper, Harry Sokal, Gerd Oswald, Paul Falkenberg,<br />

Fritz Kortner, Bertolt Brecht, Gottfried Reinhardt,<br />

Dolly Haas, Frederick Kohner, Hans Feld – 290 min –<br />

Es kommt eine Vielzahl bekannter und weniger bekannter<br />

Persönlichkeiten zu Wort, die durch die Bedrohung<br />

des Naziregimes ins Exil getrieben wurden. Man erfährt,<br />

was es tatsächlich bedeutet hat, die Heimat zu<br />

verlassen, von vorne zu beginnen, und in manchen Fällen<br />

nach dem Krieg wieder zurückzukehren. Dies<br />

wurde nie genauer, unmittelbarer und im politischen<br />

Zusammenhang gesehen und erzählt als in den Episoden<br />

dieser Dokumentation, an deren Erstellung Günter<br />

Peter Straschek viele Jahre gearbeitet hat. Filmexil -<br />

forschung als konkrete Zeugenschaft, als Gedenken,<br />

als ebenso spannende wie aufklärerische Geschichtsanalyse.<br />

Fünf Teile: »Wer klug war, ging schnell raus«,<br />

»Wir waren aufgescheucht und vogelfrei«, »Aus Europa<br />

draußen und in einer gewissen Sicherheit«, »Unter Palmen<br />

und blauem Himmel« und »Man wusste ja nie,<br />

wem man die Hand geben konnte«.<br />

▶ Sonntag, 3. Februar 2013, 17.00 Uhr


Das Kino des Denis Villeneuve<br />

Denis Villeneuves Welt besteht aus Paradoxien und<br />

ständigen Überraschungen: ein Fisch, der spricht, ein<br />

32. August, ein harmlos wirkender Frauenhasser, der<br />

gnadenlos Studentinnen niedermäht, ein namenloses<br />

Land, in dem die ungeheuerlichsten Dinge passieren.<br />

Die Heldinnen seiner Filme, kluge, intuitiv agierende<br />

Frauen, bleiben sich auf wundersame Weise selbst treu<br />

und wachsen an ihrem Dilemma. Dazu kommt eine unkonventionelle<br />

Erzählweise, durchkomponierte Bilder<br />

seines Kameramanns André Turpin, der immer wieder<br />

mit seinem Gespür für Farbe und Gestaltung verblüfft.<br />

Die Filme erhalten so eine existenzialistische Tiefe, wie<br />

sie nur selten im Kino zu sehen ist. Der frankokanadische<br />

Autorenfilmer Denis Villeneuve (geb. 1967) war<br />

lange Zeit eher in Cineastenkreisen ein Begriff. Erst<br />

2009 brachte sein berührendes Drama INCENDIES –<br />

DIE FRAU, DIE SINGT den internationalen Durchbruch.<br />

Mit nur vier Spielfilmen ist Villeneuve ein langsamer Filmemacher,<br />

der sich viel Zeit für seine Projekte nimmt.<br />

Die aber haben es in sich.<br />

Würde man seinen vier Filmen die vier Elementen zuordnen,<br />

so wäre EIN 32. AUGUST AUF ERDEN (1998),<br />

Villeneuves erster langer Spielfilm, eindeutig »Luft«: die<br />

ätherische Protagonistin Simone (Pascale Bussière),<br />

die keinen Boden unter den Füßen zu haben scheint,<br />

bevor sie in einen schweren Autounfall verwickelt wird<br />

und dem Tode nahekommt, die flirrende Hitze in der<br />

Salzwüste von Utah, in der sie mit ihrem besten Freund<br />

Philippe ein Kind zeugen will, die unausgesprochenen<br />

Gefühle von Philippe, der seine Liebe für Simone erst<br />

auf der Rückseite des US-Einreiseformulars gestehen<br />

kann. Die langen Einstellungen muss man aushalten<br />

können. Es dauert, bis ein Auto von einem Bildrand<br />

zum anderen die Salzwüste durchquert hat. Schon dieser<br />

verstörende Debütfilm stellt unmissverständlich<br />

klar, dass Villeneuves Filme für das Kino gemacht sind.<br />

Villeneuve ist, wie Ingmar Bergman, ein großer Frauenregisseur,<br />

der ihren ausdrucksstarken Gesichtern und<br />

ihren Gefühlswelten Raum lässt und sie außerdem häufig<br />

in direkte Beziehung zur Landschaft setzt. Es sind<br />

Heldinnen, deren Niedergang wie in der klassischen<br />

Tragödie beginnt, nachdem sie einen Fehler begangen<br />

haben. Doch ihr Leiden, ihre Suche nach dem Sinn des<br />

Lebens, stärken die Frauen, anstatt sie am Ende zu zerstören.<br />

MAELSTRÖM (2000) ist in jeder Hinsicht ein Wasserfilm,<br />

der von Fischen bevölkert wird – und der sogar<br />

von einem Fisch erzählt wird. Die schöne, verletzliche<br />

Bibiana (Marie-Josée Croze) wirkt selbst wie ein Fisch,<br />

der durch das Schicksal an Land gespült wird: Der<br />

prestigeträchtige Job wird ihr gekündigt, zudem kommt<br />

durch einen von ihr verursachten Unfall ein norwegischer<br />

Fischer zu Tode. Bibiana begeht Fahrerflucht.<br />

Oberflächlich befreiend wirken die Dusche, der Regen,<br />

die Wassertropfen auf ihrer Haut. Auch den Freitod<br />

wählt Bibiana im Wasser. Aber sie entkommt, gekrümmt,<br />

zuckend und sucht über Umwege den Kontakt<br />

zum Sohn des Fischers, einem Froschmann, der als<br />

Rettungstaucher arbeitet. Dabei kontrastiert Villeneuve<br />

die Mythen Norwegens, die Musik, das raue Wasser<br />

des Atlantiks mit der mondänen Welt der Straßen und<br />

Boutiquen Montreals, schafft irritierende Bilder, spielt<br />

leichte französische Chansons zu einer Trauerszene,<br />

offenbart einen skurrilen Humor, so wie die sprechenden<br />

Fische, die vom Leben erzählen wollen, aber stets<br />

vorher getötet werden.<br />

Denis Villeneuve<br />

Denis Villeneuve<br />

77


Denis Villeneuve<br />

78<br />

POLYTECHNIQUE<br />

Feuer: POLYTECHNIQUE (2009) basiert auf Aussagen<br />

von Überlebenden eines Anschlags in der polytechnischen<br />

Hochschule 1989 in Montreal, als ein frauenhassender<br />

Student, der für seine Überzeugung förmlich<br />

brennt, seine Kommilitoninnen erschießt. »Die Feministinnen<br />

haben mein Leben ruiniert«, sagt der Täter. Valérie<br />

(Karine Vanasse) steht als einzige Überlebende im<br />

Mittelpunkt des Geschehens. Villeneuve drehte diesen<br />

Film in Schwarzweiß und CinemaScope, erzählt nichtlinear,<br />

was zunächst irritiert und distanziert. Täter und<br />

Opfer sprechen einen Off-Kommentar, die Dialoge sind<br />

reduziert, die Musik ist suggestiv, die Kamera manchmal<br />

verkantet, sie gleitet registrierend durch die Gänge<br />

der Schule. Das Blut, das den toten Körpern entströmt,<br />

ist nicht rot, sondern schwarz wie Öl. Die Schüsse sind<br />

im Originalton zu hören, während die restliche Um -<br />

gebung im Ton ausgeblendet wird. Villeneuve schließt<br />

stilistisch jede Sentimentalität aus und erreicht dadurch<br />

nur noch mehr Tiefe und Betroffenheit. »Er ist tot. Ich<br />

lebe. Er ist frei. Ich bin es nicht.«, konstatiert die<br />

schwangere Valérie am Ende des Films.<br />

In INCENDIES – DIE FRAU, DIE SINGT (2010) begibt<br />

sich ein Geschwisterpaar auf die Suche nach seinen<br />

Wurzeln. Das Familiengeheimnis liegt in einem namenlosen<br />

Land im Nahen Osten verborgen, doch nur die<br />

Frau (die Schwester, die Tochter) will die Wahrheit herausfinden.<br />

Je mehr Hass ihr auf der Reise entgegenschlägt,<br />

desto geerdeter scheint sie zu werden – worin<br />

sie ihrer kämpferischen Mutter ähnelt. In der verworrenen,<br />

politisch und religiös vergifteten Situation fällt es<br />

der Tochter schwer, einen moralischen Standpunkt zu<br />

beziehen. Es scheint, als ob sie ihre Kraft aus dem<br />

Bösen um sie herum zieht und sich und die Welt nicht<br />

verloren geben will. INCENDIES ist ein erdenschwerer<br />

Film, der zwischen zwei Welten und zwei Generationen<br />

spielt und der erste Film, für dessen Erzählung Villeneuve<br />

mehr als 90 Minuten benötigt.<br />

Denis Villeneuve gelingt das seltene Kunststück, einer<br />

chaotischen und komplexen Welt komische oder absurde<br />

Momente abzugewinnen und seine Filme distanziert,<br />

aber immer mit Mitgefühl und ohne Sentimenta -<br />

lität zu inszenieren. Starke Geschichten, visuell experimentierfreudig<br />

erzählt, getragen von Schauspielerinnen,<br />

die wahre Entdeckungen sind: Denis Villeneuve<br />

zählt zu den inspirierendsten Autorenfilmern der Gegenwart.<br />

Claudia Engelhardt<br />

REW-FFWD – Kanada 1994 – R+B: Denis Villeneuve –<br />

K: Pierre Landry, Martin Leclerc – 31 min, OmeU – Ein<br />

junger Fotograf erlebt in Kingston, Jamaica, einen Kulturschock.<br />

– LE TECHNETIUM – Kanada 1996 – R+B:<br />

Denis Villeneuve – K: André Turpin – M: Sylvain Bellemare<br />

– D: Carl Alacchi, David La Haye, Audrey Benoit,<br />

Simone Chevalot, Stephan Cloutier – 17 min, OmeU –<br />

Ein Filmregisseur auf Koffeintrip wird in der Hightech-<br />

Fernsehsendung »Le Technétium« interviewt. –<br />

120 SECONDS TO GET ELECTED – Kanada 2006 –<br />

R+B+K: Denis Villeneuve – D: Alexis Martin – 2 min,<br />

OF – Ein Politiker versucht, seine Wähler von sich zu<br />

überzeugen – NEXT FLOOR – Kanada 2008 – R: Denis<br />

Villeneuve – B: Jacques Davidts – K: Nicolas Bolduc –<br />

M: Warren Slim Williams – D: Simone Chevalot, Luc-<br />

Martial Dagenais, Kenneth Fernandez, Mathieu Handfield,<br />

Ariel Ifergan – 11 min, OF – Während eines opulenten<br />

und luxuriösen Banketts kommt es unter zwölf<br />

Gästen zu einem makaber ritualisierten Gemetzel. –<br />

UN 32 AOUT SUR TERRE (EIN 32. AUGUST AUF<br />

ERDEN) – Kanada 1998 – R+B: Denis Villeneuve – K:<br />

André Turpin – M: Pierre Desrochers – D: Pascale


Bussières, Alexis Martin, Richard S. Hamilton, Serge<br />

Thériault, Emmanuel Bilodeau – 88 min, OmU – »Denis<br />

Villeneuves Spielfilmdebüt ist zugleich existentialistische<br />

Komödie und surreales Road Movie. Als Paar, das<br />

sich die wechselseitige Zuneigung nicht eingestehen<br />

will, drohen Simone und Philippe in einer Welt mit kosmischen<br />

Flughafenhotels, plötzlichen Leichenfunden –<br />

und einem scheinbar nicht enden wollenden August –<br />

verloren zu gehen.« (David Kleingers)<br />

▶ Donnerstag, 10. Januar 2013, 19.00 Uhr<br />

MAELSTRöM – Kanada 2000 – R+B: Denis Villeneuve<br />

– K: André Turpin – M: Pierre Desrochers – D: Marie-<br />

Josée Croze, Jean-Nicolas Verreault, Stephanie Morgenstern,<br />

Pierre Lebeau, Bobby Beshro – 88 min, OmU<br />

– Das Leben der an Luxus gewöhnten Bibiane kann<br />

über eine große emotionale Leere nicht hinwegtäuschen.<br />

Als sie ungewollt schwanger wird und auch ihre<br />

berufliche Existenz gefährdet ist, verliert sie jeden Halt,<br />

verschuldet einen tödlichen Verkehrsunfall und wird<br />

von der Erinnerung daran immer wieder eingeholt. Bibianes<br />

Geschichte wird nicht linear erzählt, sondern<br />

von einem Fisch, der sein Ende auf dem Hackklotz erwartet.<br />

Als ihn dies ereilt, nimmt ein anderer Fisch die<br />

Erzählung auf, beginnt aber an anderer Stelle und aus<br />

einer anderen Perspektive.<br />

▶ Freitag, 11. Januar 2013, 21.00 Uhr<br />

POLYTECHNIQUE – Kanada 2009 – R: Denis Villeneuve<br />

– B: Jacques Davidts, Eric Leca, Denis Ville-<br />

neuve – K: Pierre Gill – M: Benoît Charest – D: Maxim<br />

Gaudette, Sébastien Huberdeau, Karine Vanasse, Martin<br />

Vatier, Evelyne Brochu – 77 min, engl. OF – Am<br />

6. Dezember 1989 tötete ein Amokläufer insgesamt<br />

14 Frauen an der Ecole Polytechnique in Montreal.<br />

Denis Villeneuve reflektiert die Tragödie aus den unterschiedlichen<br />

Blickwinkeln der Studenten Jean-François<br />

und Valérie. Die wahre Begebenheit wird durch das<br />

Schwarzweiß, die wechselnden Perspektiven und den<br />

Off-Kommentar verfremdet und wirkt so beklemmender<br />

und realistischer als jeder linear erzählte Augenzeugenbericht.<br />

▶ Samstag, 12. Januar 2013, 21.00 Uhr<br />

INCENDIES (DIE FRAU, DIE SINGT) – Kanada 2010 –<br />

R+B: Denis Villeneuve, nach dem Bühnenstrück von<br />

Wajdi Mouabad – K: André Turpin – M: Grégoire Hetzel<br />

– D: Lubna Azabal, Mélissa Désormeaux-Poulin, Maxim<br />

Gaudette, Rémy Girard, Abdelghafour Elaaziz –<br />

131 min, OmU – Die Geschichte zweier Frauen, deren<br />

Wege sich über den Tod hinaus verschränken. »Man<br />

muss schon sehr an die Menschen glauben, um zu begreifen,<br />

wie die nicht endende Kette von Gewalttätigkeit<br />

plötzlich dann doch reißt. Nicht durch Verstehen,<br />

nicht durch Bekenntnis, sondern durch Verzeihen. Ob<br />

wir das glauben? Vielleicht nicht. Aber Villeneuve<br />

glaubt es, und das reicht, um uns zu bewegen – und<br />

wenigstens die Möglichkeit in Betracht zu ziehen.«<br />

(Verena Lueken)<br />

▶ Sonntag, 13. Januar 2013, 21.00 Uhr<br />

INCENDIES<br />

Denis Villeneuve<br />

79


Henri-Georges Clouzot<br />

80<br />

Henri-Georges Clouzot und Romy Schneider bei den Dreharbeiten zu L’ENFER<br />

Kino der Angst: Henri-Georges Clouzot<br />

Menschen in der Zerreißprobe – physisch, moralisch,<br />

charakterlich. Sie müssen höllisch schwitzen, angstvoll<br />

zittern, innerlich und äußerlich zerbrechen, das heißt<br />

sich offenbaren: in ihren hochfahrenden Ambitionen<br />

und dem Scheitern, in ihren niederen Beweggründen,<br />

den Obsessionen, auch in ihrer unantastbaren Schönheit.<br />

Sie müssen labyrinthische Räume durchirren, zumeist<br />

Anstaltsräume (Kliniken, Internate, Theater), oder<br />

Wüsten durchqueren – lebensbedrohliche Sphären. Sie<br />

führen, innerlich und äußerlich, explosives Material mit<br />

sich, transportieren zum Beispiel Nitroglyzerin auf zwei<br />

Lastwagen. Die nette Bombe in der Aktentasche genügt<br />

Clouzot nicht, er braucht die Steigerung ins Exzessive<br />

und Exzentrische. Wenn die Sonne scheint, dann<br />

brennt sie herab und brütet Angstschweiß aus; wenn<br />

es regnet – und es regnet oft in Clouzot-Filmen – dann<br />

gleich in Strömen, sodass schon mal die Kleidung an<br />

der Haut klebt. Kaum ein anderer hat das Kino der<br />

Angst derart scharf und exzessiv ausgeprägt wie Henri-<br />

Georges Clouzot (1907–1977).<br />

Existentialismus in Form des Thrillers. Dem Zeitgeist<br />

immer eine Nasenlänge voraus. Hitchcock wies seine<br />

Drehbuchautoren an, Clouzots Filme in ihrem Spannungsraffinement<br />

genau zu studieren, vor allem die<br />

beiden, die zu phänomenalen Publikumserfolgen wur-<br />

den: LE SALAIRE DE LA PEUR (1953) und LES DIABO-<br />

LIQUES (1955). Schon die erste Einstellung seines ersten<br />

Spielfilms, L’ASSASSIN HABITE AU 21 (1942),<br />

nimmt den Zuschauer direkt hinein in den Thrill: Aus<br />

der Perspektive des Mörders erlebt man die nächtliche,<br />

bedrohliche Schatten werfende Verfolgungsjagd des<br />

Opfers. Clouzots Bilder, geformt mit detailversessener<br />

Präzision, prägen sich der Netzhaut wie dem Unterbewusstsein<br />

tief ein: der gespenstische Leichnam in der<br />

Badewanne (Paul Meurisse in LES DIABOLIQUES), der<br />

wie ein Zombie aus dem Schlamm auftauchende Lkw-<br />

Fahrer (Charles Vanel in LE SALAIRE DE LA PEUR). Kino<br />

der radikalen Desillusionierung. Gut und Böse werden<br />

niemals hübsch sortiert. Dem Zynismus der Macht ha -<br />

ber entspricht die Skrupellosigkeit der Habenichtse.<br />

So entsteht ein eigenwilliges, spektakulär imaginiertes<br />

Universum. André Bazin, Frankreichs Starkritiker der<br />

1950er Jahre, über Clouzot: »Von all den französischen<br />

Filmemachern, die seit 1940 hervorgetreten sind, ist<br />

Clouzot zweifellos derjenige, dem das Kinematographische<br />

– man verzeihe mir den Ausdruck – am tiefsten in<br />

den Eingeweiden sitzt. Andere können, was die filmische<br />

Schöpfung angeht, mehr Intelligenz besitzen, wie<br />

René Clément, oder über ein eindringlicheres und anspruchsvolleres<br />

Stilempfinden verfügen, wie Robert


Bresson – Clouzot aber schreibt sich in die Linie der<br />

großen Filmemacher ein, die aus ihrem Temperament<br />

schöpfen. Er gehört also zu jenen Regisseuren, die<br />

einen direkten, beinahe physischen Sinn für die Wirksamkeit<br />

des kinematographischen Bildes haben – und<br />

dazu den gleichsam aus dem Bauch hervorgehenden<br />

Willen, auf der Leinwand ein autonomes, originelles<br />

Universum zu erschaffen.« Andere Kritiker begegneten<br />

Clouzots Mischung aus exzessivem Genrekino und rabiater<br />

Existenzphilosophie mit tiefem Misstrauen, nannten<br />

ihn einen »Manipulateur und misogynen Nihilisten«<br />

(Gunter Groll). Ist sein Universum wirklich abgrundtief<br />

nihilistisch? Ist sein Blick auf die condition humaine geradezu<br />

verächtlich?<br />

Gewiss tummeln sich in seiner Welt zahllose korrupte<br />

und opportunistische Charaktere, Menschen, die rücksichtslos<br />

auf ihren Vorteil bedacht sind und dafür alles<br />

verraten: Freunde, Geliebte, Ideale. Aber dieser Pessimismus<br />

ist nur die halbe Wahrheit. Das Quartett der<br />

Lkw-Fahrer in LE SALAIRE DE LA PEUR enthält zwei<br />

durchweg sympathische Figuren: den Italiener, dessen<br />

naive Einfalt niemals ins Lächer liche gezogen wird, und<br />

den Deutschen, der gekonnt die Zündschnur mit dem<br />

Fingernagel aufdröselt und genau darauf achtet, dass<br />

er nur sich selbst in Gefahr bringt. Die Tugenden des<br />

naiven Kumpels und des verlässlichen Profis sind in<br />

Clouzots Männer-Universum höchste, unantastbare<br />

Werte. Selbst die beiden Fran zosen, verkörpert von<br />

Charles Vanel und Yves Montand: der Möchtegern-<br />

Dandy und der feige Maulheld, werden durch die Hölle<br />

der Demaskierung gejagt, um am Ende doch unsere<br />

Sympathie zu gewinnen.<br />

Clouzots Filme haben oft Eingangssequenzen, in denen<br />

charakterliche Zwielichtigkeit mit einer atemberaubenden<br />

Direktheit ausgestellt wird. Fast schockierend wirkt<br />

das für uns Heutige, die wir an Gutmensch- oder Betroffenheitsdramaturgien<br />

gewöhnt sind. Bisweilen erinnert<br />

es an den Röntgenblick, mit dem Stendhal seine<br />

Emporkömmlinge, Ehebrecher und Machtsadisten<br />

schilderte. Nach dem Intro dann der Parcours der Zerreißproben,<br />

der Demaskierungen, und schließlich diese<br />

merkwürdige Dialektik, die – nicht immer, aber oft –<br />

den seelisch Entblößten Anteilnahme und Sympathie<br />

zuwachsen lässt. Es gibt auch immer wieder die eine –<br />

wie eingeschmuggelt erscheinende – Frauenfigur, die<br />

einfach nur schön und geheimnisvoll ist. Sie bleibt von<br />

Demaskierungsstrategien verschont. Träumerische<br />

Frauen (die Kellnerin in LE SALAIRE DE LA PEUR, die<br />

blonde Fotografin in QUAI DES ORFEVRES, 1947, die<br />

verrückte Patientin in LES ESPIONS, 1957), die gern in<br />

Zigarettenrauch eingehüllt werden.<br />

Die relative Schmalheit von Clouzots Œuvre, 16 Langfilme<br />

in 38 Arbeitsjahren, ist vor allem seiner fragilen<br />

Gesundheit geschuldet, die ihn mehrmals zu Kuraufenthalten<br />

und dem Abbruch von Filmprojekten zwang.<br />

Clouzot begann als Drehbuchschreiber und Assistent,<br />

pendelte in den 1930er Jahren zwischen Paris und Berlin,<br />

wo er die Herstellung französischer Spielfilmfassungen<br />

betreute. Wie Hitchcock faszinierte ihn das deutsche<br />

expressionistische Kino, er assistierte bei Dupont<br />

und Litvak, kaprizierte sich bei seinen ersten eigenen<br />

Regiearbeiten auf raffiniert gedrechselte whodunits.<br />

Sein zweiter Spielfilm, LE CORBEAU, gilt bis heute als<br />

»umstritten«, weil er 1942 für die von den deutschen<br />

Besatzern installierte Filmfirma Continental produziert<br />

wurde. Diesem Film gelang das Kunststück, zwischen<br />

alle politischen Fronten zu geraten, er wurde nach<br />

1945 als »unfranzösisch« klassifiziert, verboten, und<br />

bescherte Clouzot sogar ein lebenslanges Arbeitsverbot,<br />

das erst dann auf zwei Jahre reduziert wurde, als<br />

sich französische Intellektuelle und Filmemacher für<br />

ihn einsetzten: Jean-Paul Sartre, Simone de Beauvoir,<br />

René Clair, Marcel Carné, Jacques Becker.<br />

Jahrzehnte später verfasste François Truffaut eine erstaunliche<br />

Eloge auf das umstrittene Werk: »1943 gab<br />

es dann LE CORBEAU von Clouzot, der mich noch mehr<br />

begeisterte als Carnés LE VISITEURS DU SOIR. Ich<br />

muss ihn von seinem Start im Mai 1943 bis zur Befreiung,<br />

als er verboten wurde, etwa sechs oder sieben<br />

Mal gesehen haben. Als er dann wieder freigegeben<br />

wurde, habe ich ihn jedes Jahr mehrmals wiedergesehen,<br />

bis ich den Dialog auswendig konnte – es war ein<br />

sehr erwachsener Dialog, verglichen mit dem anderer<br />

Filme, voller bedeutungsschwerer Sätze, deren Sinn<br />

sich mir erst nach und nach erschloss. Die Handlung<br />

des Films drehte sich ausschließlich um eine Epidemie<br />

von anonymen Briefen, in denen Abtreibungen, Ehebrüche<br />

und alle möglichen anderen Verfehlungen denunziert<br />

wurden – so lieferte der Film eine ziemlich genaue<br />

Illustration dessen, was ich in diesen Kriegs- und Nachkriegsjahren<br />

um mich herum sah, als Kollaboration, Denunziation<br />

und Zynismus, ›Organisieren‹ und Schwarzmarkt<br />

den Ton angaben«.<br />

Einige Filme Clouzots erwiesen sich zu ihrer Zeit als<br />

Flops, zeigen auch Schwächen in der Konstruktion,<br />

offenbaren aber einen thematischen und artikulatorischen<br />

Reichtum, den die standardisierte Clouzot-Sicht<br />

der Filmgeschichtslexika meist unterschlägt. Da ist<br />

seine einzige Komödie, MIQUETTE ET SA MERE (1950):<br />

ungemein temporeich und mit den scharfzüngigsten<br />

Dialogen; oder LES ESPIONS, wo ein kleines Sanatorium<br />

zum Schauplatz eines kafkaesken Spionagekarus-<br />

Henri-Georges Clouzot<br />

81


Henri-Georges Clouzot<br />

82<br />

LE MYSTERE PICASSO<br />

sells wird; LA VERITE (1960) versucht den Zeitgeist der<br />

frühen 1960er Jahre zu erhaschen und schickt Brigitte<br />

Bardot ins Milieu der Pariser Bohème; bei LA PRISON-<br />

NIERE (1968) wendet Clouzot seine Obsessionen (Fetischismus,<br />

Sadomasochismus) bisweilen ins Banale,<br />

doch auch hier gelingen ihm faszinierende Passagen,<br />

wenn er die Wahrnehmungsweise der Op-Art filmisch<br />

zu erforschen versucht.<br />

Clouzot der Pionier: nicht nur bei seinen Suspense-Exzessen,<br />

sogar im Genre der Künstler-Dokumentation.<br />

In LE MYSTERE PICASSO (1956) holt er den exemplarischen<br />

Künstler des 20. Jahrhunderts ins Studio, setzt<br />

ihn vor eine durchscheinende Leinwand und protokolliert<br />

– auch das ein Suspense-Szenario – den schöpferischen<br />

Prozess.<br />

Es gibt Filmemacher, die jede Geste, jedes Bilddetail<br />

perfektionistisch formen wollen und den Zufall als Katastrophe<br />

betrachten: Fritz Lang, Michelangelo Antonioni,<br />

Clouzot. Den Gegensatz dazu markieren Regisseure<br />

wie Roberto Rossellini oder Jean Renoir, die improvisatorisch<br />

arbeiten und den Zufall als Geschenk in die<br />

Szene integrieren. Ein Gegensatz, der sich motivisch<br />

fortsetzt. Für Renoir ist die Umarmung das zentrale<br />

Motiv, für Clouzot das Ausgeschlossensein. Kein Zufall,<br />

dass bei ihm die Eifersucht zum größten Gefühlsdrama<br />

wird. Eifersucht: die Tragödie des ausgeschlossenen<br />

Dritten, der darunter leidet, dass sich die Wirklichkeit<br />

(die Frau) seinem Zugriff immerfort entziehen mag.<br />

Schon bei QUAI DES ORFEVRES drehte sich alles um<br />

Eifersucht, bei L’ENFER (1964) wollte Clouzot das<br />

Thema mit Romy Schneider ganz groß auffächern. Er<br />

erkrankte, das Projekt entglitt seiner Kontrolle und<br />

musste abgebrochen werden. So erzählt auch sein<br />

Œuvre von dem, was seine Filme meisterlich in Szene<br />

setzen: das Drama der scheiternden Ambition, und die<br />

Hoffnung, dass selbst das Scheitern noch als ein Gelingen<br />

gelesen werden kann. Rainer Gansera<br />

L’ASSASSIN HABITE AU 21 (DER MöRDER WOHNT<br />

IN NR. 21) – Frankreich 1942 – R: Henri-Georges<br />

Clouzot – B: Henri-Georges Clouzot, Stanislas-André<br />

Steeman, nach dem Roman von Stanislas-André Steeman<br />

– K: Armand Thirard – M: Maurice Yvain – D:<br />

Pierre Fresnay, Suzy Delair, Jean Tissier, Pierre Larquey,<br />

Noël Roquevert, Louis Florencie – 84 min, OmeU<br />

– Der Mörder hinterlässt seine Visitenkarte an den Tatorten.<br />

Sein Markenzeichen. Die Spur führt in eine Pension,<br />

in der eine Galerie bizarrer, exzentrischer Figuren<br />

logiert. Dort sortiert Pierre Fresnay als gewitzter Kommissar<br />

die Verdächtigen. Clouzots Regiedebüt, das die<br />

klassische Whodunit-Erzählform souverän variiert und<br />

ihr seinen unverwechselbaren persönlichen Stempel<br />

aufprägt: scharfer Blick für das realistische Detail, satirische<br />

Figurenzeichnung, raffinierte Konstruktion von<br />

Krimispannung.<br />

▶ Freitag, 18. Januar 2013, 21.00 Uhr ▶▶ Dienstag,<br />

22. Januar 2013, 18.30 Uhr<br />

LE CORBEAU (DER RABE) – Frankreich 1943 – R:<br />

Henri-Georges Clouzot – B: Louis Chavance, Henri-Georges<br />

Clouzot – K: Nicolas Hayer – M: Tony Aubin – D:<br />

Pierre Fresnay, Ginette Leclerc, Héléna Manson, Pierre<br />

Larquey, Noël Roquevert, Micheline Francey – 92 min,<br />

OmeU – Clouzots legendär »umstrittener« Film, der<br />

nach dem Krieg als »antifranzösische Propaganda« eingestuft<br />

wurde und beinahe seine Karriere ruiniert hätte.<br />

Heute hat sich weitgehend die Sicht durchgesetzt, dass<br />

der Film die Atmosphäre der Kollaboration und Denunziation<br />

im Frankreich der Vichy-Ära »ziemlich genau illustriert«<br />

(Truffaut). In einem Provinzstädtchen tauchen<br />

anonyme Briefe auf, die vorgeben, dunkle Geheimnisse<br />

der Einwohner (Ehebruch, Abtreibung, Korruption) zu<br />

enthüllen und eine giftige Atmosphäre vom Misstrauen<br />

und Hass erzeugen. Pierre Fresnay spielt einen ehebrecherischen<br />

Arzt, der sich auf die detektivische Suche<br />

nach dem hinterhältigen Briefeschreiben begibt.<br />

▶ Samstag, 19. Januar 2013, 21.00 Uhr ▶▶ Mittwoch,<br />

23. Januar 2013, 18.30 Uhr<br />

QUAI DES ORFEVRES (UNTER FALSCHEM VER-<br />

DACHT) – Frankreich 1947 – R: Henri-Georges Clouzot<br />

– B: Henri-Georges Clouzot, Jean Ferry, nach dem<br />

Roman »Légitime Défense« von Stanislas-André Steeman<br />

– K: Armand Thirard – M: Francis López – D:<br />

Louis Jouvet, Simone Renant, Bernard Blier, Suzy Delair,<br />

Pierre Larquey, Claudine Dupuis – 106 min, OmU<br />

– »Du bist nur neidisch auf die Reichen, weil du nicht<br />

weißt, wie man Geld macht!« Die karrieresüchtige<br />

Chansonsängerin Jenny L’Amour (Suzy Delair, Clouzots


erste Ehefrau) beschimpft ihren biederen Ehemann,<br />

einen erfolglosen Pianisten. Sie will sich einem reichen,<br />

alten Impresario an den Hals werfen und treibt den Gatten<br />

in ein Delirium der Eifersucht. Als der Impresario ermordet<br />

aufgefunden wird, springt die Szenerie von der<br />

Music-Hall-Welt in die nüchternen Räume einer Polizeiwache,<br />

wo der altgediente Kommissar die Ermittlungen<br />

aufnimmt.<br />

▶ Sonntag, 20. Januar 2013, 21.00 Uhr ▶▶ Dienstag,<br />

29. Januar 2013, 18.30 Uhr<br />

LE RETOUR DE JEAN (RÜCKKEHR INS LEBEN) –<br />

Frankreich 1949 – R: Henri-Georges Clouzot – B:<br />

Henri-Georges Clouzot, Jean Ferry – K: Louis Page –<br />

M: Paul Misraki – D: Louis Jouvet, Monette Dinay,<br />

Jeanne Pérez, Noël Roquevert, Maurice Schutz –<br />

28 min, OmeU – Der Überlebende eines Konzentra -<br />

tionslagers findet einen verwundeten Nazi-Verbrecher<br />

in seinem Hotel und will alles über dessen Beweggründe<br />

herausfinden. – MANON – Frankreich 1949 –<br />

R: Henri-Georges Clouzot – B: Henri-Georges Clouzot,<br />

Jean Ferry, nach dem Roman »L’Histoire du Chevalier<br />

des Grieux et de Manon Lescaut« von Abbé Prévost –<br />

K: Armand Thirard – M: Paul Misraki – D: Cécile Aubry,<br />

Serge Reggiani, Michel Auclair, Raymond Souplex, Héléna<br />

Manson – 100 min, OmeU – Juni 1944 in der Normandie:<br />

Der Résistance-Kämpfer Robert verfällt der<br />

Lebedame Manon, der enge Beziehungen zu den Nazis<br />

nachgesagt werden. Als sich die Lynchstimmung<br />

gegen Manon verdichtet, fliehen die Liebenden. Clouzot<br />

zeichnet ein düsteres, gewalttätiges Bild vom Frankreich<br />

der Nachkriegszeit mit seiner Schattenwirtschaft<br />

und der Verdrängung jeder Schuld.<br />

▶ Freitag, 1. Februar 2013, 21.00 Uhr<br />

MIQUETTE ET SA MERE (MIQUETTE UND IHRE MUT-<br />

TER) – Frankreich 1950 – R: Henri-Georges Clouzot –<br />

B: Henri-Georges Clouzot, Jean Ferry, nach dem Theaterstück<br />

von Gaston Armand de Caillavet und Robert de<br />

Flers – K: Armand Thirard – M: Albert Lasry – D: Louis<br />

Jouvet, Danièle Delorme, Mireille Perrey, Bourvil, Saturnin<br />

Fabre, Pauline Carton – 95 min, OmeU – Clouzots<br />

einzige Komödie, auch sein einziger Film, der nicht in<br />

der Gegenwart spielt. Angesiedelt in der belle époque<br />

entrollt sich eine vorsätzlich überdrehte, theatralisch<br />

aufgequirlte romantische Komödie, in der eine junge<br />

Provinzlerin unbedingt zur Bühnendiva werden will. Gelegenheit<br />

für Bourvil und Jouvet, mächtig auf die komödiantische<br />

Pauke zu hauen. »Ein Unterhaltungsstück,<br />

das vom Rest von Clouzots Werk aber weniger weit entfernt<br />

ist, als man ihm gern nachsagt. Es sind die sati -<br />

rischen Elemente und manche Charaktere, die mit<br />

andern Clouzot-Figuren durchaus verwandt sind.« (Jac -<br />

ques Chevalier)<br />

▶ Freitag, 8. Februar 2013, 21.00 Uhr<br />

LE SALAIRE DE LA PEUR (LOHN DER ANGST) –<br />

Frankreich 1953 – R+B: Henri-Georges Clouzot, nach<br />

dem Roman von Georges Arnaud – K: Armand Thirard<br />

– M: Georges Auric – D: Yves Montand, Charles Vanel,<br />

Folco Lulli, Peter van Eyck, Véra Clouzot, Jo Dest –<br />

148 min, OmeU – »Es gibt andere Möglichkeiten zu beweisen,<br />

dass man ein ganzer Mann ist«, so heißt es im<br />

Film spöttisch und selbstironisch. Doch für die vier in<br />

einem gottverlassenen Kaff »irgendwo in Südamerika«<br />

gestrandeten Männer gibt es nur diese Möglichkeit:<br />

zwei Lkw, beladen mit hochexplosivem Nitroglyzerin,<br />

durch unwegsames Gelände – teils Dschungel, teils<br />

wüstenhafte Steppe – unter haarsträubenden Bedingungen<br />

im Auftrag eines Ölkonzerns zu chauffieren. Ein<br />

höllischer Sisyphus-Trip, der den beiden Franzosen –<br />

zwei eitle, feige Angeber – die Möglichkeit bietet, doch<br />

noch einen Kern von Anstand und Selbstachtung zu<br />

offenbaren. Clouzots größer Publikumserfolg.<br />

▶ Mittwoch, 30. Januar 2013, 18.30 Uhr ▶▶ Samstag,<br />

2. Februar 2013, 21.00 Uhr<br />

LES DIABOLIQUES (DIE TEUFLISCHEN) – Frankreich<br />

1955 – R: Henri-Georges Clouzot – B: Henri-Georges<br />

Clouzot, Jérôme Géronimi, René Masson, Frédéric<br />

Grendel, nach dem Roman »Celle qui n’était plus« von<br />

Pierre Boileau, Thomas Narcejac – K: Armand Thirard –<br />

M: Georges Van Parys – D: Simone Signoret, Véra<br />

Clouzot, Paul Meurisse, Charles Vanel, Michel Serrault,<br />

Noël Roquevert – 114 min, OmeU – Clouzots zweiter<br />

phänomenaler Kassenerfolg. Der Suspense-Klassiker,<br />

den Kritiker zum Anlass nahmen, Clouzot wegen seiner<br />

vermeintlich grausamen Manipulation sowohl der Figu-<br />

Henri-Georges Clouzot<br />

83


Henri-Georges Clouzot<br />

84<br />

LES DIABOLIQUES<br />

ren wie des Zuschauers anzuklagen. Der Vorwurf übersieht,<br />

dass bei Clouzot die Thriller-Regeln neu definiert<br />

werden. Was an der Oberfläche so aussieht, als würde<br />

der Zuschauer in einen gemeinen Hinterhalt gelockt, ist<br />

im Kern die große Qualität der Erzählung, die einer<br />

bezwingenden Alptraum-Logik folgt. Paul Meurisse als<br />

sadistischer Internatsleiter, der nicht nur seine herzkranke<br />

Ehefrau demütigt, sondern auch seine Geliebte.<br />

▶ Dienstag, 5. Februar 2013, 18.30 Uhr ▶▶ Samstag,<br />

9. Februar 2013, 21.00 Uhr<br />

LE MYSTERE PICASSO (PICASSO) – Frankreich 1956<br />

– R+B: Henri-Georges Clouzot – K: Claude Renoir – M:<br />

Georges Auric – Mit Pablo Picasso, Henri-Georges<br />

Clouzot, Claude Renoir – 78 min, OmU – Der Künstler<br />

bei der Arbeit. Clouzot überredet seinen Freund Pablo<br />

Picasso zu einem einzigartigen Experiment. Er lädt ihn<br />

ein, auf eine transparente Leinwand zu malen, sodass<br />

die Kamera die Bildgenese unmittelbar registrieren<br />

kann. So entsteht eine »filmische Symbiose mit dem<br />

Ereignis der Malerei« (André Bazin). Picassos Zauberhand<br />

entwirft, verwirft, konturiert neu, malt aus, übermalt,<br />

und seine Imagination durchquert in immer<br />

neuen Annäherungen die typischen Picasso-Motive:<br />

Minotaurus, Maler und Modell, der Clown auf der<br />

Bühne, Badende. »Schöpferische Tätigkeit bedeutet<br />

die totale Hingabe seiner selbst.« (Clouzot)<br />

▶ Mittwoch, 6. Februar 2013, 18.30 Uhr ▶▶ Sonntag,<br />

10. Februar 2013, 21.00 Uhr<br />

LES ESPIONS (SPIONE AM WERK) – 1957 – R: Henri-<br />

Georges Clouzot – B: Henri-Georges Clouzot, Jérôme<br />

Géronimi, nach dem Roman von »Le vertige de minuit«<br />

von Egon Hostovsky – K: Christian Matras – M: Georges<br />

Auric – D: Curd Jürgens, Peter Ustinov, O.E. Hasse,<br />

Véra Clouzot, Martita Hunt, Sam Jaffe – 125 min, OmU<br />

– Kafkaesker Spionage-Thriller als bitterer, schwarz -<br />

humoriger Kommentar zum Stand der Dinge in Zeiten<br />

des Kalten Krieges. Paranoia-Studie und absurdes<br />

Theater. Schauplatz ist ein heruntergekommenes Sanatorium,<br />

dessen tölpelhafter Chefarzt ein kurioses Karussell<br />

von Intrigen und Verschwörungen in Gang setzt, als<br />

er sich bereit erklärt, einem flüchtigen Atomwissenschaftler<br />

Unterschlupf zu gewähren. Die Besetzung mit<br />

internationalen Stars brachte nicht den gewünschten<br />

Appeal. Clouzots größter Flop an der Kinokasse.<br />

▶ Dienstag, 12. Februar 2013, 18.30 Uhr ▶▶Freitag,<br />

15. Februar 2013, 21.00 Uhr


LA VERITE (DIE WAHRHEIT) – Frankreich 1960 – R:<br />

Henri-Georges Clouzot – B: Henri-Georges Clouzot,<br />

Véra Clouzot, Jérôme Géronimi, Simone Drieu, Christiane<br />

Rochefort, Michèle Perrein – K: Armand Thirard –<br />

D: Brigitte Bardot, Sami Frey, Charles Vanel, Paul Meurisse,<br />

Claude Berri – 127 min, OmeU – »Die Sezierung<br />

von Lebensweise und Amoralität der desillusionierten<br />

Jugend in den späten fünfziger Jahren, mit Bardot in<br />

ihrer besten Rolle als Mädchen, dessen überstürzte<br />

Flucht aus einem bürgerlichen Elternhaus in eine Reihe<br />

von frustrierenden Affären mit Pariser Intellektuellen<br />

und schließlich zu einer Mordanklage führt. Clouzot ist<br />

in seinen Beobachtungen der französischen Sitten so<br />

kalt und heftig wie immer.« (Geoff Andrew)<br />

▶ Mittwoch, 13. Februar 2013, 18.30 Uhr ▶▶ Samstag,<br />

16. Februar 2013, 21.00 Uhr<br />

LA TERREUR DES BATIGNOLLES (ANGST IN BATI-<br />

GNOLLES) – Frankreich 1931 – R: Henri-Georges<br />

Clouzot – B: Jacques de Baroncelli – D: Louis-Jacques<br />

Boucot, Germaine Aussey, Jean Wall – 15 min, OmeU<br />

– Eine expressionistische Komödie, die in der Pariser<br />

Bohème angesiedelt ist. – L’ENFER D’HENRI-GEOR-<br />

GES CLOUZOT (DIE HöLLE VON HENRI-GEORGES<br />

CLOUZOT) – Frankreich 2009 – R: Serge Bromberg,<br />

Ruxandra Medrea – B: Serge Bromberg – K: Irina Lubtchansky,<br />

Jérôme Krumenacker – M: Bruno Alexieu –<br />

102 min, OmeU – 1964 wagte sich Clouzot an ein großes,<br />

ambitioniertes, mit visionären Bilder sequenzen<br />

ausgestattetes Eifersuchtsdrama. Schon die Vorbereitungen<br />

waren von Misshelligkeiten überschattet, uferten<br />

endlos aus. Als Clouzot eine Herzattacke erlitt, wurden<br />

die Dreharbeiten abgebrochen. Der Filmhistoriker<br />

Serge Bromberg rekonstruierte aus Clouzots Rohmaterial<br />

die tragische Geschichte des gescheiterten Projekts.<br />

▶ Donnerstag, 31. Januar 2013, 19.00 Uhr (Zu Gast:<br />

Ser ge Bromberg) ▶▶ Mittwoch, 19. Februar 2013,<br />

18.30 Uhr<br />

LA PRISONNIERE (SEINE GEFANGENE) – Frankreich<br />

1968 – R+B: Henri-Georges Clouzot – K: Andréas Winding<br />

– D: Laurent Terzieff, Elisabeth Wiener, Bernard<br />

Fresson, Dany Carrel, Michel Etcheverry, Claude Piéplu,<br />

Noëlle Adam – 106 min, OmU – Das sado-masochistische<br />

Verhängnis der Liebe, Clouzots große Obsession,<br />

in einer neuen, verstörenden Variante, die sich im Pariser<br />

Kunstambiente der späten 1960er Jahre abspielt,<br />

in einer Atmosphäre vermeintlicher Permissivität. Ein<br />

Dandy-Galerist frönt bizarren fetischistischen Leidenschaften<br />

und versucht, eine junge Frau in seine Welt zu<br />

locken. Könnte die Konstellation von Beherrschung und<br />

Unterwerfung nicht auch ein Spiel sein, ein lustvolles<br />

gar? Clouzot wirft die Frage auf und belässt sie in einer<br />

merkwürdigen Unentschiedenheit, schwankend zwischen<br />

voyeuristischer Aufheizung, Op-Art-Exkursionen<br />

und Eifersuchtsdrama.<br />

▶ Sonntag, 17. Februar 2013, 21.00 Uhr ▶▶ Mittwoch,<br />

20. Februar 2013, 18.30 Uhr<br />

LA PRISONNIERE<br />

Henri-Georges Clouzot<br />

85


FilmWeltWirtschaft<br />

86<br />

WORK HARD PLAY HARD<br />

DIE AUSBILDUNG<br />

Freiheit statt Vollbeschäftigung? Wenn der Arbeitsgesellschaft<br />

die Arbeit ausgeht, ist die Not groß und sind<br />

die Maßnahmen oft erstaunlich. Kann sich der Mensch<br />

mit seinen Fähigkeiten in die Gesellschaft einbringen,<br />

auch wenn er keiner bezahlten Arbeit nachgeht? Die<br />

Realität der Arbeit und die Vorstellungen davon klaffen<br />

inzwischen immer weiter auseinander. Der Dokumentarfilm<br />

FREIGESTELLT (2012) von Claus Strigel geht der<br />

Frage nach, was frei sein von Erwerbsarbeit persönlich<br />

und gesellschaftlich bedeutet. Die nicht nachlassende<br />

Diskussion über ein bedingungsloses Grundeinkommen<br />

steht auch hier im Mittelpunkt des Films, reale<br />

Personen wie Goetz Werner werden befragt, animierte<br />

Gäste wie Karl Marx, Hannah Arendt und Aristoteles mischen<br />

sich in die heutige Diskussion ein.<br />

Die Arbeit bestimmt das Bewusstsein, und für den Arbeitsplatz<br />

gilt dies in besonderem Maße. In WORK<br />

HARD PLAY HARD (2011) von Carmen Losmann wird<br />

ausgefeilte moderne Architektur wie das Unilever-Gebäude<br />

in der Hamburger HafenCity vorgestellt, das<br />

FilmWeltWirtschaft<br />

Räume bietet, in denen Arbeit und Auszeit fließend ineinander<br />

übergehen. Die Mitarbeiter müssen mit dem<br />

Konzept des »mobilen Büros«, das keine persönlichen<br />

Prägungen mehr zulässt, zurechtkommen. In anderen<br />

Episoden werden Bewerbungsgespräche als stereotype<br />

Veranstaltungen gezeigt, in denen die Bewerber die<br />

Floskeln der Branche so sehr verinnerlicht haben, das<br />

sich ihre Persönlichkeit förmlich aufzulösen scheint.<br />

Die Kamera bei diesem klaren, kommentarlos beobachtenden<br />

Dokumentarfilm führte Dirk Lütter. Mit seinem<br />

Spielfilm DIE AUSBILDUNG (2011) nimmt Lütter das<br />

Ambiente der kalkulierenden Geschäftswelt wieder auf<br />

und porträtiert einen 20jährigen Auszubildenden, der<br />

an der Diskrepanz zwischen Anpassungsdruck und<br />

Freiheitswillen innerlich kaputt geht.<br />

Wie das Arbeitsleben die Menschen verändert, die<br />

Jahre und Jahrzehnte in und mit demselben Job zubringen,<br />

zeigt Alexander Riedel in seiner Doku-Fiction<br />

MORGEN DAS LEBEN (2010), der in München angesiedelt<br />

ist. Der Film porträtiert drei Menschen bei ihrem<br />

Versuch, aus der ewigen Warteschleife ihres bisherigen<br />

Lebens zu entfliehen, einen Schritt in Richtung<br />

Glück und Erfüllung weiterzugehen. Das Thema Arbeit<br />

ist auch bei dieser Frage entscheidend: ob Kündigung,<br />

Umschulung oder Totalverweigerung – Tatsache ist,<br />

man nimmt sich immer selber mit.<br />

Die achte Ausgabe von FilmWeltWirtschaft stellt sich<br />

dem Themenkomplex Arbeit. Wie gewohnt wird das<br />

Programm mit Kurzfilmen, Diskussionen und Gästen ergänzt.<br />

Claudia Engelhardt<br />

▶ Donnerstag, 24. Januar 2013, 19.00 Uhr bis Sonntag,<br />

27. Januar 2013, 21.00 Uhr


<strong>münchen</strong><br />

Do, 30.8. 19.00 Stummfilmtage KAFKA GEHT INS KINO (2002) / NICK WINTER ET LE VOL<br />

DE LA JOCONDE – NICK WINTER UND DER RAUB DER<br />

MO NA LISA (1911) / DEN HIVDE SLAVEHANDELS SIDSTE<br />

OFFER – DIE WEISSE SKLAVIN (1911) Am Flügel: Joachim<br />

Bärenz, Filmerzähler: Norbert Alich, Einführung: Stefan Drößler 3<br />

Fr, 31.8. 18.30 Stummfilmtage HYAKUNENGO NO ARUHI – EIN TAG IN 100 JAHREN (1933)<br />

/ TOKYO NO EIYU – DER HELD VON TOKYO (1935)<br />

Am Flügel und an der Violine: Günter A. Buchwald 3<br />

21.00 Stummfilmtage THE WEDDING MARCH – HOCHZEITSMARSCH (1928)<br />

Am Flügel: Joachim Bärenz 4<br />

Sa, 1.9. 18.30 Stummfilmtage 3 BAD MEN – DREI EHRLICHE BANDITEN (1926)<br />

Am Flügel und an der Violine: Günter A. Buchwald 4<br />

21.00 Stummfilmtage LE VOYAGE DANS LA LUNE – DIE PHANTASTISCHE REISE<br />

NACH DEM MONDE (1902) / ROTAIE – SCHIENEN (1929)<br />

Am Flügel: Joachim Bärenz 4<br />

So, 2.9. 18.30 Stummfilmtage L’INHUMAINE – DIE UNMENSCHLICHE (1923)<br />

Am Flügel: Joachim Bärenz 4<br />

21.00 Stummfilmtage EAST SIDE, WEST SIDE – TITANIC (1927)<br />

Am Flügel und an der Violine: Günter A. Buchwald 5<br />

Mo, 3.9. Keine Vorstellung<br />

Di, 4.9. 18.30 Stummfilmtage DAS WEISSE STADION (1928)<br />

Am Flügel und an der Violine: Günter A. Buchwald 5<br />

21.00 Jean Rollin LES PAYS LOINS – DAS WEITE LAND (1965) / LE VIOL DU<br />

VAMPIRE – DIE VERGEWALTIGUNG DES VAMPIRS (1968)<br />

Einführung: Hans Schmid 8<br />

Mi, 5.9. 18.30 Stummfilmtage OKTJABR – ZEHN TAGE, DIE DIE WELT ERSCHÜTTERTEN<br />

(1927) 5<br />

21.00 Nuri Bilge Ceylan KOZA (1995) / KASABA – DIE KLEINSTADT (1997) 13<br />

Do, 6.9. 19.00 Open Scene SA-MANN BRAND (1933)<br />

Einführung: Thomas Weidner<br />

Fr, 7.9. 18.30 Ulrike Ottinger BILDNIS EINER TRINKERIN (1979) 16<br />

21.00 Martin Scorsese WHO’S THAT KNOCKING AT MY DOOR – WER KLOPFT<br />

DENN DA AN MEINE TÜR? (1968) 21<br />

Sa, 8.9. 18.30 Ulrike Ottinger FREAK ORLANDO (1981) 16<br />

21.00 Martin Scorsese BOXCAR BERTHA – DIE FAUST DER REBELLEN (1972) 21<br />

So, 9.9. 18.00 Ulrike Ottinger DORIAN GRAY IM SPIEGEL DER BOULEVARDPRESSE<br />

(1984) 17<br />

21.00 Martin Scorsese MEAN STREETS – HEXENKESSEL (1973) 21<br />

Mo, 10.9. 19.00 MFZ Mitgliederversammlung im Ignaz-Günther-Haus<br />

Filmmuseum im <strong>Münchner</strong> <strong>Stadtmuseum</strong> · St.-Jakobs-Platz 1 · 80331 München · Tel. 089/233 96450<br />

Kalenderübersicht<br />

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Kalenderübersicht<br />

88<br />

Di, 11.9. 18.30 Martin Scorsese WHO’S THAT KNOCKING AT MY DOOR – WER KLOPFT<br />

DENN DA AN MEINE TÜR? (1968) Seite 21<br />

21.00 Jean Rollin LES AMOURS JAUNES – DIE GELBEN LEIDENSCHAFEN (1958)<br />

/ LA VAMPIRE NUE – DIE NACKTE VAMPIRIN (1970) 9<br />

Mi, 12.9. 18.30 Martin Scorsese MEAN STREETS – HEXENKESSEL (1973) 21<br />

21.00 Nuri Bilge Ceylan MAYIS SIKINTISI – BEDRÄNGNIS IM MAI (1999) 13<br />

Do, 13.9. 19.00 Open Scene TO CATCH A THIEF – ÜBER DEN DÄCHERN VON NIZZA<br />

(1955) Zuvor: Buchpräsentation von Thilo Wydra<br />

Fr, 14.9. 18.30 Ulrike Ottinger PRATER (2007) 17<br />

21.00 Martin Scorsese WHAT’S A NICE GIRL LIKE YOU DOING IN A PLACE LIKE<br />

THIS? (1963) / IT’S NOT JUST YOU, MURRAY! (1964) /<br />

THE BIG SHAVE (1967) / ITALIANAMERICAN (1974) /<br />

AMERICAN BOY (1978) 22<br />

Sa, 15.9. 18.30 Ulrike Ottinger DIE KOREANISCHE HOCHZEITSTRUHE (2009) 17<br />

21.00 Martin Scorsese ALICE DOESN’T LIVE HERE ANYMORE – ALICE LEBT HIER<br />

NICHT MEHR (1974) 22<br />

So, 16.9. 18.30 Ulrike Ottinger UNTER SCHNEE (2011) 17<br />

21.00 Martin Scorsese TAXI DRIVER (1976) 22<br />

Mo, 17.9. Keine Vorstellung<br />

Di, 18.9. 18.30 Martin Scorsese ALICE DOESN’T LIVE HERE ANYMORE – ALICE LEBT HIER<br />

NICHT MEHR (1974) 22<br />

21.00 Jean Rollin JEAN ROLLIN, LE REVEUR EGARE – DER STREUNENDE<br />

TRÄUMER (2011) Zu Gast: Yvan Pierre-Kaiser 9<br />

Mi, 19.9. 18.30 Martin Scorsese TAXI DRIVER (1976) 22<br />

21.00 Nuri Bilge Ceylan UZAK – WEIT (2002) 13<br />

Do, 20.9. 19.00 Prager Frühling KRIK – DER ERSTE SCHREI (1963) / EIN ANLASS ZUM<br />

SPRECHEN (1966) 32<br />

Fr, 21.9. 18.30 Prager Frühling POSTAVA K PODPIRANI – JOSEF KILIAN (1963) / SBERNE<br />

SUROVOSTI – GESAMMELTE ROHHEITEN (1965) / NEZVA-<br />

NY HOST – DER UNGEBETENE GAST (1969) 32<br />

21.00 Martin Scorsese NEW YORK, NEW YORK (1976) 22<br />

Sa, 22.9. 18.30 Prager Frühling PERLICKY NA DNE – PERLEN AUF DEM MEERESGRUND<br />

(1965) 32<br />

21.00 Martin Scorsese THE LAST WALTZ – THE BAND (1978) 22<br />

So, 23.9. 17.30 Das Erinnern<br />

weitertragen<br />

<strong>münchen</strong><br />

WAS BLEIBT (2008)<br />

Zu Gast: Erna de Vries, Gesa Knolle, Birthe Templin 40<br />

21.00 Martin Scorsese RAGING BULL – WIE EIN WILDER STIER (1980) 23<br />

Filmmuseum im <strong>Münchner</strong> <strong>Stadtmuseum</strong> · St.-Jakobs-Platz 1 · 80331 München · Tel. 089/233 96450


<strong>münchen</strong><br />

Mo, 24.9. Keine Vorstellung<br />

Di, 25.9. 19.00 Martin Scorsese NEW YORK, NEW YORK (1976) Seite 22<br />

Mi, 26.9. 18.30 Martin Scorsese RAGING BULL – WIE EIN WILDER STIER (1980) 23<br />

21.00 Nuri Bilge Ceylan IKLIMLER – JAHRESZEITEN (2006) 14<br />

Do, 27.9. 19.00 Open Scene<br />

Fr, 28.9. 18.30 Prager Frühling AZ PRIJDE KOCOUR – WENN DER KATER KOMMT (1963) 32<br />

21.00 Martin Scorsese THE KING OF COMEDY (1983) 23<br />

Sa, 29.9. 18.30 Prager Frühling O NECEM JINEM – VON ETWAS ANDEREM (1963) 33<br />

21.00 Martin Scorsese AFTER HOURS – DIE ZEIT NACH MITTERNACHT (1985) /<br />

MIRROR, MIRROR (1985) 23<br />

So, 30.9. 18.30 Prager Frühling NEJVETSI PRANI – MEIN INNIGSTER WUNSCH (1964) /<br />

KAZDY DEN ODVAHU – MUT FÜR DEN ALLTAG (1964) 33<br />

21.00 Martin Scorsese ROUND MIDNIGHT – UM MITTERNACHT (1986) 24<br />

Mo, 1.10. Keine Vorstellung<br />

Di, 2.10. 18.30 Prager Frühling A PATY JEZDEC JE STRACH – DER FÜNFTE REITER IST DIE<br />

ANGST (1964) 33<br />

21.00 Jean Rollin LE FRISSON DES VAMPIRES – DAS ERSCHAUDERN DER<br />

VAMPIRE (1971) 9<br />

Mi, 3.10. 18.30 Prager Frühling OBCHOD NA KORZE – DAS GESCHÄFT IN DER HAUPT-<br />

STRASSE (1965) 33<br />

21.00 Nuri Bilge Ceylan ÜC MAYMUN – DREI AFFEN (2008) 14<br />

Do, 4.10. bis So, 7.10. Underdox. Festival für Dokument und Experiment 41<br />

Mo, 8.10. 19.00 MFZ Mitgliederversammlung im Ignaz-Günther-Haus<br />

Di, 9.10. 18.30 Prager Frühling NIKDO SE NEBUDE SMAT – NIEMAND WIRD LACHEN (1966) 34<br />

21.00 Jean Rollin LA ROSE DE FER – DIE EISERNE ROSE (1973) 10<br />

Mi, 10.10. 19.00 Nuri Bilge Ceylan ONCE UPON A TIME IN ANATOLIA (2011) 14<br />

Do, 11.10. 19.00 Rumänien CHIPURI – GESICHTER (2002) / CRULIC - DRUMUL SPRE<br />

DINCOLO – DER WEG INS JENSEITS (2011)<br />

Zu Gast: Anca Damian 43<br />

Fr, 12.10. 18.30 Prager Frühling INTIMNI OSVETLENI – INTIME BELEUCHTUNG (1965) 34<br />

21.00 Rumänien MEANDRE – MÄANDER (1967)<br />

Zu Gast: Dan Nutu 43<br />

Sa, 13.10. 18.30 Prager Frühling OSTRE SLEDOVANE VLAKY – LIEBE NACH FAHRPLAN<br />

(1966) 34<br />

21.00 Rumänien 100 DE LEI – DER 100 LEI-SCHEIN (1974)<br />

Zu Gast: Dan Nutu 43<br />

Filmmuseum im <strong>Münchner</strong> <strong>Stadtmuseum</strong> · St.-Jakobs-Platz 1 · 80331 München · Tel. 089/233 96450<br />

Kalenderübersicht<br />

89


Kalenderübersicht<br />

90<br />

<strong>münchen</strong><br />

So, 14.10. 18.30 Prager Frühling RUKA – DIE HAND (1965) / O SLAVNOSTI A HOSTECH –<br />

VOM FEST UND DEN GÄSTEN (1966) Seite 34<br />

21.00 Martin Scorsese BAD (1987) / THE COLOR OF MONEY – DIE FARBE DES<br />

GELDES (1986) 24<br />

Mo, 15.10. Keine Vorstellung<br />

Di, 16.10. 18.30 Martin Scorsese THE KING OF COMEDY (1983) 23<br />

21.00 Jean Rollin LES DEMONIAQUES – DIE DÄMONISCHEN (1974) 10<br />

Mi, 17.10. 18.30 Martin Scorsese AFTER HOURS – DIE ZEIT NACH MITTERNACHT (1985) /<br />

MIRROR, MIRROR (1985) 23<br />

21.00 Rumänien BUNA! CE FACI? – HALLO! WIE GEHT’S? (2011) 44<br />

Do, 18.10. 19.00 Open Scene<br />

Fr, 19.10. 18.30 Prager Frühling SEDMIKRASKY – TAUSENDSCHÖNCHEN (1967) 35<br />

21.00 Martin Scorsese THE LAST TEMPTATION OF CHRIST – DIE LETZTE VER-<br />

SUCHUNG CHRISTI (1988) 24<br />

Sa, 20.10. 18.30 Prager Frühling KONEC SRPNA V HOTELU OZON – ENDE AUGUST IM HOTEL<br />

OZON (1967) Zu Gast: Jan Schmidt 35<br />

21.00 Rumänien PESCUIT SPORTIV – SPORTANGELN (2007) 44<br />

So, 21.10. 17.30 Film und<br />

Psychoanalyse<br />

ANNIE HALL – DER STADTNEUROTIKER (1977)<br />

Einführung: Matthias Baumgart 46<br />

21.00 Rumänien DIN DRAGOSTE CU CELE MAI BUNE INTENTII – AUS LIEBE<br />

MIT DEN BESTEN ABSICHTEN (2011) 44<br />

Mo, 22.10. Keine Vorstellung<br />

Di, 23.10. 18.30 Prager Frühling HORI, MA PANENKO – DER FEUERWEHRBALL (1967) 35<br />

21.00 Jean Rollin LEVRES DE SANG – BLUTIGE LIPPEN (1975) 10<br />

Mi, 24.10. 18.30 Prager Frühling HOTEL PRO CIZINCE – HOTEL FÜR FREMDE (1968) 36<br />

21.00 Rumänien VISUL LUI ADALBERT – ADALBERTS TRAUM (2011) 45<br />

Do, 25.10. 19.00 Open Scene<br />

Fr, 26.10. 18.30 Prager Frühling ZERT – DER SCHERZ (1968) 36<br />

21.00 Rumänien DUPA DEALURI – JENSEITS DER HÜGEL (2012) 45<br />

Sa, 27.10. 18.30 Prager Frühling SPALOVAC MRTVOL – DER LEICHENVERBRENNER (1968)<br />

Zu Gast: Juraj Herz 36<br />

21.00 Rumänien ALEXANDRA (2008) / TOATA LUMEA DIN FAMILIA NOA-<br />

STRA – ALLE IN UNSERER FAMILIE (2012) 45<br />

So, 28.10. 17.30 Das Erinnern<br />

weitertragen<br />

2 ODER 3 DINGE, DIE ICH VON IHM WEISS (2005)<br />

Zu Gast: Malte Ludin 40<br />

21.00 Rumänien FILM PENTRU PRIETENI – EIN FILM FÜR FREUNDE (2011) 45<br />

Filmmuseum im <strong>Münchner</strong> <strong>Stadtmuseum</strong> · St.-Jakobs-Platz 1 · 80331 München · Tel. 089/233 96450


<strong>münchen</strong><br />

Mo, 29.10. Keine Vorstellung<br />

Di, 30.10. 18.30 Olympia 1936 JUGEND DER WELT (1936) / DER OLYMPIA-FILM ENTSTEHT<br />

(1937) Einführungsvortrag: Robert Jaquier & Adrian Wood 50<br />

21.00 Jean Rollin FASCINATION – FASZINATION (1979) 10<br />

Mi, 31.10. 19.00 Olympia 1936 OLYMPIA. DER FILM VON DEN XI. OLYMPISCHEN SPIELEN<br />

BERLIN 1936 (1938) Einführung: Stefan Drößler 50<br />

Do, 1.11. 19.00 Open Scene<br />

Fr, 2.11. 15.00 Rosa von Praunheim Möpse und Menschen Zu Gast: Rosa von Praunheim 53<br />

18.30 Rosa von Praunheim Schauspieler und Dichter 53<br />

21.00 Rosa von Praunheim Schwul-lesbische Welten 53<br />

Sa, 3.11. 15.00 Rosa von Praunheim Berliner Luft 54<br />

18.30 Rosa von Praunheim Gesang, Tanz, Kunst 54<br />

21.00 Rosa von Praunheim Docu vs. Fiction 54<br />

So, 4.11. 15.00 Rosa von Praunheim Leben, Lieben, Sterben 54<br />

18.30 Rosa von Praunheim Film-Künstler 54<br />

21.00 Rosa von Praunheim Schwules Leben 54<br />

Mo, 5.11. Keine Vorstellung<br />

Di, 6.11. 19.00 Martin Scorsese A PERSONAL JOURNEY WITH MARTIN SCORSESE<br />

THROUGH AMERICAN MOVIES (1995) 26<br />

Mi, 7.11. 19.00 Martin Scorsese GOODFELLAS (1990)<br />

Zu Gast: Michael Ballhaus 24<br />

Do, 8.11. 19.00 Open Scene<br />

Fr, 9.11. 18.30 Prager Frühling FARARUV KONEC – DAS ENDE EINES PRIESTERS (1968) 36<br />

21.00 Martin Scorsese NEW YORK STORIES (1989) 24<br />

Sa, 10.11. 18.30 Prager Frühling SPRIZNENI VOLBOU – WAHLVERWANDTSCHAFTEN (1968)<br />

Zu Gast: Karel Vachek & Michal Bregant 37<br />

21.00 Martin Scorsese GOODFELLAS (1990) 24<br />

So, 11.11. 18.30 Prager Frühling VTACKOVIA, SIROTY A BLAZNI – VÖGEL, WAISEN UND<br />

NARREN (1969) 37<br />

21.00 Martin Scorsese DREAMS – AKIRA KUROSAWAS TRÄUME (1990) 25<br />

Mo, 12.11. bis Sa, 17.11. Internationales Festival der Filmhochschulen<br />

So, 18.11. 17.30 Film und<br />

Psychoanalyse<br />

A FISH CALLED WANDA – EIN FISCH NAMENS WANDA<br />

(1988) Einführung: Heidi Spanl, Katharina Leube-Sonnleitner 47<br />

21.00 Martin Scorsese THE KEY TO RESERVA – DER SCHLÜSSEL ZU RESERVA<br />

(2007) / CAPE FEAR – KAP DER ANGST (1991) 25<br />

Filmmuseum im <strong>Münchner</strong> <strong>Stadtmuseum</strong> · St.-Jakobs-Platz 1 · 80331 München · Tel. 089/233 96450<br />

Kalenderübersicht<br />

91


Kalenderübersicht<br />

92<br />

Mo, 19.11. Keine Vorstellung<br />

Di, 20.11. 19.00 Martin Scorsese IL MIO VIAGGIO IN ITALIA – MEINE ITALIENISCHE REISE<br />

(2001) Seite 27<br />

Mi, 21.11. 18.30 Martin Scorsese LOLA MONTEZ (1955)<br />

Zu Gast: Michael Ballhaus 25<br />

21.00 Martin Scorsese THE AGE OF INNOCENCE – ZEIT DER UNSCHULD (1993)<br />

Zu Gast: Michael Ballhaus 26<br />

Do, 22.11. 19.00 Open Scene<br />

Fr, 23.11. 18.30 Prager Frühling JAN 69 – JAN PALACH (1969) / SMUTECNI SLAVNOST –<br />

WUT UND TRAUER (1969) 37<br />

21.00 Martin Scorsese THE AGE OF INNOCENCE – ZEIT DER UNSCHULD (1993) 26<br />

Sa, 24.11. 18.30 Prager Frühling BYT – DIE WOHNUNG (1968) / UCHO – DAS OHR (1969) 37<br />

21.00 Martin Scorsese CASINO (1995) 26<br />

So, 25.11. 17.30 Das Erinnern<br />

weitertragen<br />

<strong>münchen</strong><br />

DAS WIRST DU NIE VERSTEHEN (2003)<br />

Zu Gast: Anja Salomonowitz 40<br />

21.00 Martin Scorsese KUNDUN (1997) 26<br />

Mo, 26.11. Keine Vorstellung<br />

Di, 27.11. 19.00 Martin Scorsese CASINO (1995) 26<br />

Mi, 28.11. 19.00 Martin Scorsese GANGS OF NEW YORK (2002) 27<br />

Do, 29.11. 19.00 Neapel NAPOLI PIAZZA MUNICIPIO (2008) / PASSIONE (2010)<br />

Einführung: Ambra Sorrentino Becker 56<br />

Fr, 30.11. 18.30 Neapel INTO PARADISO (2010) 56<br />

21.00 Martin Scorsese BRINGING OUT THE DEAD (1999) 27<br />

Sa, 1.12. 18.30 Neapel LA SFIDA – DIE HERAUSFORDERUNG (1958) 56<br />

21.00 Martin Scorsese GANGS OF NEW YORK (2002) 27<br />

So, 2.12. 18.30 Neapel GORBACIOF – GORBATSCHOW (2010) 56<br />

21.00 Martin Scorsese THE NEIGHBORHOOD (2001) / FEEL LIKE GOING HOME<br />

(2003) 27<br />

Mo, 3.12. Keine Vorstellung<br />

Di, 4.12. 18.30 Prager Frühling SKRIVANCI NA NITI – LERCHEN AM FADEN (1969)<br />

Zu Gast: Jiří Menzel 38<br />

21.00 Neapel LA KRYPTONITE NELLA BORSA – KRYPTONIT IN DER<br />

TASCHE (2011) 57<br />

Mi, 5.12. 18.30 Martin Scorsese BRINGING OUT THE DEAD (1999) 27<br />

21.00 Neapel COSI PARLO BELLAVISTA – ALSO SPRACH BELLAVISTA<br />

(1984) 57<br />

Filmmuseum im <strong>Münchner</strong> <strong>Stadtmuseum</strong> · St.-Jakobs-Platz 1 · 80331 München · Tel. 089/233 96450


<strong>münchen</strong><br />

Do, 6.12. 19.00 Open Scene Zuschauerkino Seite 58<br />

Fr, 7.12. 18.30 Prager Frühling ZAHRADA – DER GARTEN (1968) / DEN SEDMY – OSMA<br />

NOC – DER SIEBTE TAG, DIE ACHTE NACHT (1969) 38<br />

21.00 Martin Scorsese THE AVIATOR (2004) 28<br />

Sa, 8.12. 18.30 Prager Frühling ZMATEK – DIE KONFUSION (1968) / ZABITA NEDELE –<br />

EIN TOTGESCHLAGENER SONNTAG (1969) 38<br />

21.00 Martin Scorsese THE DEPARTED – UNTER FEINDEN (2006) 28<br />

So, 9.12. 19.00 Martin Scorsese NO DIRECTION HOME: BOB DYLAN (2005) 28<br />

Mo, 10.12. 19.00 MFZ Mitgliederversammlung im Ignaz-Günther-Haus<br />

Di, 11.12. 19.00 Prager Frühling MARKETA LAZAROVA (1967)<br />

Zu Gast: Magda Vašáryová 38<br />

Mi, 12.12. 19.00 Martin Scorsese THE DEPARTED – UNTER FEINDEN (2006) 28<br />

Do, 13.12. 19.00 Sonja Ziemann DIE PRIVATSEKRETÄRIN (1953)<br />

Zu Gast: Sonja Ziemann. Einführung: Werner Sudendorf 60<br />

Fr, 14.12. 18.30 Sonja Ziemann DER ACHTE WOCHENTAG (1958) 61<br />

21.00 Martin Scorsese SHINE A LIGHT (2008) 28<br />

Sa, 15.12. 18.30 Sonja Ziemann MENSCHEN IM HOTEL (1959) 61<br />

21.00 Martin Scorsese SHUTTER ISLAND (2010) 29<br />

So, 16.12. 18.30 Sonja Ziemann THE SECRET WAYS – GEHEIME WEGE (1961) 61<br />

21.00 Martin Scorsese PUBLIC SPEAKING (2010) 29<br />

Mo, 17.12. Keine Vorstellung<br />

Di, 18.12. 18.30 Martin Scorsese SHUTTER ISLAND (2010) 29<br />

21.00 Jean-Marie Straub SCHAKALE UND ARABER (2011) / MACHORKA-MUFF<br />

(1963) / NICHT VERSÖHNT (1965) 64<br />

Mi, 19.12. 18.30 Martin Scorsese HUGO 3D – HUGO CABRET (2011) 29<br />

21.00 Jean-Marie Straub CHRONIK DER ANNA MAGDALENA BACH (1968) / DER<br />

BRÄUTIGAM, DIE KOMÖDIANTIN UND DER ZUHÄLTER<br />

(1968) 65<br />

Do, 20.12. 19.00 Martin Scorsese A LETTER TO ELIA – EIN BRIEF AN ELIA (2010) / AMERI-<br />

CA, AMERICA – DIE UNBEZWINGBAREN (1963) 29<br />

Fr, 21.12. 18.30 Sonja Ziemann DER TRAUM VON LIESCHEN MÜLLER (1961) 61<br />

21.00 Martin Scorsese HUGO 3D – HUGO CABRET (2011) 29<br />

Sa, 22.12. 19.00 Martin Scorsese GEORGE HARRISON: LIVING IN THE MATERIAL WORLD<br />

(2011) 29<br />

So, 23.12.2012 bis Sa, 5.1.2013 Weihnachtspause<br />

Filmmuseum im <strong>Münchner</strong> <strong>Stadtmuseum</strong> · St.-Jakobs-Platz 1 · 80331 München · Tel. 089/233 96450<br />

Kalenderübersicht<br />

93


Kalenderübersicht<br />

94<br />

<strong>münchen</strong><br />

So, 6.1. 18.30 Jean-Marie Straub LA MADRE – DIE MUTTER (2012) / SCHAKALE UND ARA-<br />

BER (2011) / O SOMMA LUCE – O HÖCHSTES LICHT (2010)<br />

/ SICILIA ! (1999) Seite 65<br />

21.00 Jean-Marie Straub DANIELE HUILLET & JEAN-MARIE STRAUB, CINEASTES<br />

– OU GIT VOTRE SOURIRE ENFOUI? – WO LIEGT EUER<br />

LÄCHELN BEGRABEN? (2001) / 6 BAGATELAS (2001) 65<br />

Mo, 7.1. Keine Vorstellung<br />

Di, 8.1. 18.30 Filmemigration MÄDCHEN IN UNIFORM (1931) 72<br />

21.00 Jean-Marie Straub OTHON (1969) / TOUTE REVOLUTION EST UN COUP DE DES<br />

– JEDE REVOLUTION IST EIN WÜRFELWURF (1977) 65<br />

Mi, 9.1. 18.30 Filmemigration MADAME HAT AUSGANG (1931) 72<br />

21.00 Jean-Marie Straub CORNEILLE – BRECHT (2009) / GESCHICHTSUNTERRICHT<br />

(1972) 66<br />

Do, 10.1. 19.00 Denis Villeneuve REW-FFWD (1994) / LE TECHNETIUM (1996) /<br />

120 SECONDS TO GET ELECTED (2006) / NEXT FLOOR<br />

(2008) / UN 32 AOUT SUR TERRE – EIN 32. AUGUST AUF<br />

ERDEN (1998) 78<br />

Fr, 11.1. 18.30 Filmemigration KUHLE WAMPE ODER WEM GEHÖRT DIE WELT? (1932) 73<br />

21.00 Denis Villeneuve MAELSTRÖM (2000) 79<br />

Sa, 12.1. 18.30 Filmemigration DER TRÄUMENDE MUND (1932) 73<br />

21.00 Denis Villeneuve POLYTECHNIQUE (2009) 79<br />

So, 13.1. 17.30 Film und<br />

Psychoanalyse<br />

GROUNDHOG DAY – … UND TÄGLICH GRÜSST DAS MUR-<br />

MELTIER (1993)<br />

Einführung: Mathias Lohmer, Eva Friedrich 47<br />

21.00 Denis Villeneuve INCENDIES – DIE FRAU, DIE SINGT (2010) 79<br />

Mo, 14.1. 19.00 MFZ Mitgliederversammlung im Ignaz-Günther-Haus<br />

Di, 15.1. 18.30 Filmemigration DER BRAVE SÜNDER (1931) 74<br />

21.00 Jean-Marie Straub EINLEITUNG ZU ARNOLD SCHOENBERGS BEGLEITMUSIK<br />

ZU EINER LICHTSPIELSCENE (1973) / MOSES UND ARON<br />

(1975) 66<br />

Mi, 16.1. 18.30 Filmemigration ICH UND DIE KAISERIN (1933) 74<br />

21.00 Jean-Marie Straub FORTINI/CANI – DIE HUNDE VOM SINAI (1976) / ITINÉRAI RE<br />

DE JEAN BRICARD – WEG VON JEAN BRICARD (2008) 66<br />

Do, 17.1. 19.00 Open Scene<br />

Fr, 18.1. 18.30 Filmemigration LIEBELEI (1933) 74<br />

21.00 Henri-Georges Clouzot L’ASSASSIN HABITE AU 21 – DER MÖRDER WOHNT IN<br />

NR. 21 (1942) 82<br />

Filmmuseum im <strong>Münchner</strong> <strong>Stadtmuseum</strong> · St.-Jakobs-Platz 1 · 80331 München · Tel. 089/233 96450


<strong>münchen</strong><br />

Sa, 19.1. 18.30 Filmemigration BRENNENDES GEHEIMNIS (1933) Seite 74<br />

21.00 Henri-Georges Clouzot LE CORBEAU – DER RABE (1943) 82<br />

So, 20.1. 17.30 Das Erinnern<br />

weitertragen<br />

GERDAS SCHWEIGEN (2008)<br />

Zu Gast: Knut Elstermann 40<br />

21.00 Henri-Georges Clouzot QUAI DES ORFEVRES – UNTER FALSCHEM VERDACHT<br />

(1947) 82<br />

Mo, 21.1. Keine Vorstellung<br />

Di, 22.1. 18.30 Henri-Georges Clouzot L’ASSASSIN HABITE AU 21 – DER MÖRDER WOHNT IN<br />

NR. 21 (1942) 82<br />

21.00 Jean-Marie Straub DALLA NUBE ALLA RESISTENZA – VON DER WOLKE ZUM<br />

WIDERSTAND (1979) 67<br />

Mi, 23.1. 18.30 Henri-Georges Clouzot LE CORBEAU – DER RABE (1943) 82<br />

21.00 Jean-Marie Straub ZU FRÜH, ZU SPÄT (1982) 67<br />

Do, 24.1. bis So, 27.1. FilmWeltWirtschaft 86<br />

Mo, 28.1. Keine Vorstellung<br />

Di, 29.1. 18.30 Henri-Georges Clouzot QUAI DES ORFEVRES – UNTER FALSCHEM VERDACHT<br />

(1947) 82<br />

21.00 Jean-Marie Straub DER TOD DES EMPEDOKLES (1987) 67<br />

Mi, 30.1. 18.30 Henri-Georges Clouzot LE SALAIRE DE LA PEUR – LOHN DER ANGST (1953) 83<br />

21.00 Jean-Marie Straub SCHWARZE SÜNDE (1989) / PROPOSTA IN QUATTRO<br />

PARTI – VORSCHLAG IN VIER TEILEN (1985) 67<br />

Do, 31.1. 19.00 Henri-Georges Clouzot LA TERREUR DES BATIGNOLLES – DER TERROR VON BA-<br />

TIGNOLLES (1931) / L’ENFER D’HENRI-GEORGES CLOUZOT<br />

(2009) Zu Gast: Serge Bromberg 85<br />

Fr, 1.2. 18.30 Filmemigration DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE (1933) 75<br />

21.00 Henri-Georges Clouzot LE RETOUR DE JEAN – RÜCKKEHR INS LEBEN (1949) /<br />

MANON (1949) 83<br />

Sa, 2.2. 18.30 Filmemigration EIN LIED GEHT UM DIE WELT (1933) 75<br />

21.00 Henri-Georges Clouzot LE SALAIRE DE LA PEUR – LOHN DER ANGST (1953) 83<br />

So, 3.2. 17.00 Filmemigration FILMEMIGRATION AUS NAZI-DEUTSCHLAND (1975) 76<br />

Mo, 4.2. Keine Vorstellung<br />

Di, 5.2. 18.30 Henri-Georges Clouzot LES DIABOLIQUES – DIE TEUFLISCHEN (1955) 83<br />

21.00 Jean-Marie Straub KLASSENVERHÄLTNISSE (1984) 67<br />

Mi, 6.2. 18.30 Henri-Georges Clouzot LE MYSTERE PICASSO – PICASSO (1956) 84<br />

21.00 Jean-Marie Straub PAUL CEZANNE IM GESPRÄCH MIT JOACHIM GASQUET<br />

(1989) / UNE VISITE AU LOUVRE (2004) 67<br />

Filmmuseum im <strong>Münchner</strong> <strong>Stadtmuseum</strong> · St.-Jakobs-Platz 1 · 80331 München · Tel. 089/233 96450<br />

Kalenderübersicht<br />

95


Kalenderübersicht<br />

96<br />

Do, 7.2. 19.00 Open Scene<br />

Fr, 8.2. 18.30 Filmemigration DER TUNNEL (1933) Seite 75<br />

21.00 Henri-Georges Clouzot MIQUETTE ET SA MERE – MIQUETTE UND IHRE MUTTER<br />

(1950) 83<br />

Sa, 9.2. 18.30 Filmemigration FÄHRMANN MARIA (1936) 76<br />

21.00 Henri-Georges Clouzot LES DIABOLIQUES – DIE TEUFLISCHEN (1955) 83<br />

So, 10.2. 17.30 Das Erinnern<br />

weitertragen<br />

WINTERKINDER (2005)<br />

Zu Gast: Jens Schanze 40<br />

21.00 Henri-Georges Clouzot LE MYSTERE PICASSO – PICASSO (1956) 84<br />

Mo, 11.2. 19.00 MFZ Mitgliederversammlung im Ignaz-Günther-Haus<br />

Di, 12.2. 18.30 Henri-Georges Clouzot LES ESPIONS – SPIONE AM WERK (1957) 84<br />

21.00 Jean-Marie Straub ANTIGONE (1991) 68<br />

Mi, 13.2. 18.30 Henri-Georges Clouzot LA VERITE – DIE WAHRHEIT (1960) 85<br />

21.00 Jean-Marie Straub VON HEUTE AUF MORGEN (1997) / EN RACHACHANT (1982)<br />

/ LOTHRINGEN ! (1994) / UN HERITIER (2011) 68<br />

Do, 14.2. 19.00 Open Scene<br />

Fr, 15.2. 18.30 Filmemigration LAND DER LIEBE (1937) 76<br />

21.00 Henri-Georges Clouzot LES ESPIONS – SPIONE AM WERK (1957) 84<br />

Sa, 16.2. 18.30 Filmemigration LA HABANERA (1937) 76<br />

21.00 Henri-Georges Clouzot LA VERITE – DIE WAHRHEIT (1960) 85<br />

So, 17.2. 17.30 Film und<br />

Psychoanalyse<br />

<strong>münchen</strong><br />

LES VACANCES DE M. HULOT – DIE FERIEN DES<br />

MONSIEUR HULOT (1953)<br />

Einführung: Corinna Wernz, Andreas Hamburger 47<br />

21.00 Henri-Georges Clouzot LA PRISONNIERE – SEINE GEFANGENE (1968) 85<br />

Mo, 18.2. Keine Vorstellung<br />

Di, 19.2. 18.30 Henri-Georges Clouzot LA TERREUR DES BATIGNOLLES – DER TERROR VON BA-<br />

TIGNOLLES (1931) / L’ENFER D’HENRI-GEORGES CLOUZOT<br />

– DIE HÖLLE VON HENRI-GEORGES CLOUZOT (2009) 85<br />

21.00 Jean-Marie Straub OPERAI, CONTADINI – ARBEITER, BAUERN (2001) 68<br />

Mi, 20.2. 18.30 Henri-Georges Clouzot LA PRISONNIERE – SEINE GEFANGENE (1968) 85<br />

21.00 Jean-Marie Straub IL RITORNO DEL FIGLIO PRODIGO – UMILIATI (2003) /<br />

EUROPA 2005, 27 OCTOBRE (2006) / JOACHIM GATTI<br />

(2009) 68<br />

Do, 21.2. 19.00 Jean-Marie Straub QUEI LORO INCONTRI (2006) / IL GINOCCHIO DI ARTEMIDE<br />

(2008) / LE STREGHE. FEMMES ENTRE ELLES (2009) /<br />

L’INCONSOLABILE (2011) / LA MADRE (2012) 69<br />

Filmmuseum im <strong>Münchner</strong> <strong>Stadtmuseum</strong> · St.-Jakobs-Platz 1 · 80331 München · Tel. 089/233 96450


Für Unterstützung und Kooperation bei der Realisierung unseres Programms danken wir:<br />

Stummfilm · Bonner Kinemathek (Franziska Kremser, Bern -<br />

hard Gugsch, Sigrid Limprecht) · Centre National de la Cinéma -<br />

to graphie, Bois d’Arcy (Eric Le Roy) · Cinémathèque Française,<br />

Paris (Emilie Cauquy) · Fondazione Cineteca Italiana, Milano<br />

(Luisa Comencini) · Det Danske Filminstitutet, Kopenhagen<br />

(Thomas Christensen) · International Olympic Committee,<br />

Lausanne (Robert Jaquier) · Library of Congress, Washington<br />

(Rob Stone) · Museum of Modern Art, New York (Anne Morra,<br />

Mary Keene) · National Film Center / National Museum of<br />

Modern Art, Tokyo (Akira Tochigi) · ZDF/ARTE, Maiz (Nina Goslar)<br />

· Hanns Zischler, Berlin<br />

Nuri Bilge Ceylan · Sanartfilm, Nürnberg (Sinem Ilterli) ·<br />

Zeyno Film, Istanbul (Sezgi Üstün)<br />

Martin Scorsese · Bonner Kinemathek (Bernhard Gugsch,<br />

Sigrid Limprecht) · Cinémathèque de la ville de Luxembourg<br />

(Claude Bertemes, Marc Scheffen) · Filmarchiv Austria, Wien<br />

(Nikolaus Wostry) · Filmwelt Verleihagentur, München (Christian<br />

Friedel) · Harvard Film Archive, Manchester (Haden Guest) ·<br />

Österreichisches Filmmuseum, Wien (Regina Schlagnitweit,<br />

Alexander Horwath) · Sikelia Productions, New York (Kent Jones,<br />

Ashley Peter) · Svenska Filminstitutet, Stockholm (Jon Weng -<br />

ström) · UCLA Film and Television Archive, Los Angeles (Todd<br />

Wiener) · Warner Bros, Hamburg (Richard Flynn) · WDR / 3sat<br />

(Reinhard Wulf) · ZDF/ARTE, Mainz (Nina Goslar) · Mark<br />

McElhatten, New York · Michael Ballhaus, Berlin<br />

Prager Frühling · Národní filmový archiv, Prag (Michal<br />

Bregant, Karel Zima) · Slovenský filmový ústav, Bratislava (Viera<br />

Ďuriková) · Tschechisches Zentrum, München (Zuzana Jürgens,<br />

Anett Browarzik) · Haro Senft, München<br />

Das Erinnern weitertragen · KZ-Gedenkstätte Dachau<br />

(Waltraud Burger) · Max-Mannheimer-Studienzentrum Dachau<br />

(Felizitas Raith)<br />

Rumänien · Centrul National al Cinematografiei, Bukarest<br />

(Alina Salcudeanu) · Generalkonsulat von Rumänien, München<br />

(Michael Fernbach) · Gesellschaft zur Förderung der<br />

Rumänischen Kultur und Tradition, München (Brigitte Drodtloff)<br />

· Kulturreferat der LH München (Christoph Schwarz, Christina<br />

Eder) · Rumänisches Kulturinstitut »Titu Maiorescu«, Berlin<br />

(Cristina Hoffman, Andreea Dinca) · TAROM, München · Anca<br />

Damian, Bukarest · Radu Jude, Bukarest · Irene Rudolf, Berlin<br />

Film und Psychoanalyse · Akademie für Psychoanalyse<br />

und Psychotherapie, München (Matthias Baumgart, Eva<br />

Friedrich, Andreas Hamburger, Katharina Leube-Sonnleitner,<br />

Mathias Lohmer, Irmgard Nagel, Vivian Pramataroff-Hamburger,<br />

Heidi Spanl, Corinna Wernz)<br />

Olympia 1936 · International Olympic Committee, Lausanne<br />

(Robert Jaquier) · Adrian Wood, London<br />

Rosa von Praunheim · Klaus Kalchschmid, München · Rosa<br />

von Praunheim, Berlin<br />

Neapel und der Film · Circolo Cento Fiori, München (Ilaria<br />

Furno Weise, Pierangela Hoffmann de Maron, Ambra Sorrentino<br />

Becker) · Filmstadt München (Ursula Wessler)<br />

Sonja Ziemann · CCC-Film, Berlin (Marleen Dyett) · Deutsche<br />

Kinemathek, Berlin (Anke Hahn, Werner Sudendorf) · Friedrich-<br />

Wilhelm-Murnau-Stiftung, Wiesbaden (Gudrun Weiss)<br />

Jean-Marie Straub · Cineteca di Bologna (Anna Fiaccarini,<br />

Rinaldo Censi) · RAI Tre, Rom (Enrico Ghezzi, Roberto Turigliatto)<br />

· Johannes Beringer, Berlin · Pedro Costa, Lissabon · Helmut<br />

Färber, München · Fritz Göttler, München · Peter Kammerer,<br />

Urbino · Peter Nau, Berlin · Jean-Marie Straub, Paris · Barbara<br />

Ulrich, Paris<br />

Filmemigration · Deutsche Kinemathek, Berlin (Anke Hahn,<br />

Dirk Förstner) · Deutsches Filminstitut, Frankfurt (Brigitte<br />

Capitain) · Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung, Wiesbaden<br />

(Gudrun Weiss)<br />

Denis Villeneuve · Bundesverband kommunale Filmarbeit,<br />

Frankfurt (Sabine Schöbel) · La Cinémathèque québécoise,<br />

Montréal (Marie-Pierre Lessard) · Metropolis Hamburg (Rita<br />

Baukrowitz)<br />

Henri-Georges Clouzot · Bureau du Cinéma, Berlin (Anne<br />

Vassevière) · Cinémathèque Française, Paris (Monique Faul -<br />

haber) · Cultures France, Paris · Insititut Français de Munich<br />

(Pascal Filiu-Derleth) · Les Films du Jeudi, Paris (Laurence<br />

Braunberger) · Lobster Films, Paris (Serge Bromberg) · Museum<br />

of Modern Art, New York (Josh Siegel)<br />

FilmWeltWirtschaft · Filmhaus Nürnberg (Christiane<br />

Schleindl) · Initiative Grundeinkommen München · <strong>Münchner</strong><br />

Initiative CSR (Jobst Münderlein)<br />

Fotos · Cinémathèque Suisse, Lausanne (Thomas Bissegger) · Deutsche Kinemathek, Berlin (Wolfgang Theis, Werner Sudendorf) ·<br />

Filmmuseum München (Oleksandr Osherov, Gerhard Ullmann) · Fondazione Cineteca Italiana, Milano (Luisa Comencini) · Narodní<br />

Filmovy Archiv, Prag (Karel Zima) · International Olympic Committee, Lausanne (Robert Jaquier) · Maschafilm (Jens Schanze) · Rosa<br />

von Praunheim Filmproduktion, Berlin


Das Kino der Stadt<br />

Filmmuseum im <strong>Münchner</strong> <strong>Stadtmuseum</strong> · St.-Jakobs-Platz 1 · 80331 München<br />

Tel 089/233 96450 · Fax 089/233 23931 · http://www.filmmuseum-muenchen.de

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