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Leseprobe - Albert Knorr

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zubereiten?<br />

„Schmeckt es Ihnen etwa nicht?“<br />

„Doch... doch.“ Alon war kein Freund von Lügen aber unter diesen Umständen erschien<br />

ihm eine Ausnahme mehr als angebracht. „Ich kann mich nicht erinnern, jemals etwas<br />

Vergleichbares gegessen zu haben.“<br />

Ihre tiefgrünen Augen nahmen das Kompliment sichtlich erfreut auf, und ein Hauch von<br />

verlegener Röte erhellte ihre Wangen. „Ein altes Familienrezept.“<br />

Es kostete Alon viel Überwindung, Chess anzulügen, aber er brachte es einfach nicht übers<br />

Herz, sie auf die Klumpen in der Sauce anzusprechen, die er wie Sedimentstücke zwischen<br />

seinen Zähnen zerrieb. Ob sie es in Wirklichkeit auch lieber wegschütten würde? Er blickte<br />

sorgenvoll auf das, was sein übervoller Teller noch für ihn vorrätig hatte. Sie traut sich<br />

vielleicht nur meinetwegen nicht zu sagen, dass bei dem Essen etwas schiefgegangen ist.<br />

„Wissen Sie, was ich mich frage?“<br />

Alon dachte über eine Antwort nach, während er den Bissen hinunterwürgte. Das ist deine<br />

Chance! Sag ihr, dass du gegen Hühnchen allergisch bist. „Sie fragen sich bestimmt, was<br />

ich Ihnen servieren werde, wenn Sie meiner Gegeneinladung folgen.“<br />

Chess neigte den Kopf ein wenig zur Seite. Wenn ich ihr jemals folge. „Das auch“, räumte<br />

sie ein, „aber was mich im Moment viel mehr interessiert, ist, wer Ihnen den Jet zur<br />

Verfügung stellt, mit dem Sie und Hiob reisen.“<br />

„Die Citation?“<br />

„Die Citation.“<br />

„Ich bin nur ein Passagier. Hiob ist der Pilot. Er genießt das volle Vertrauen der<br />

Eigentümerin.“<br />

„Lenken Sie nicht ab, Alon. Außerdem habe ich Hiob bereits darauf angesprochen.“<br />

„Und?“, fragte Alon, als ob er die Antwort nicht längst kennen würde.<br />

„Er hält sich genau an das, was Sie ihm eingebläut haben.“<br />

Alons unschuldiger Blick wirkte wenig überzeugend – und er wusste das.<br />

„Wer ist diese millionenschwere Freundin, die Ihnen so selbstlos die Citation zur privaten<br />

Verwendung überlässt?“<br />

Im Erdgeschoss läutete das Telefon.<br />

„Bitte entschuldigen Sie.“ Chess sprang auf. „Überlegen Sie sich schon mal eine<br />

überzeugende Antwort“, rief sie in Richtung Küche zurück, während sie bereits auf dem<br />

Weg nach unten war.<br />

„Da brauch’ ich nicht lange zu überlegen“, murmelte Alon. Hiob und ich bleiben bei<br />

unserer bisherigen Version. Sein geschultes Auge suchte nach einer unverdächtigen<br />

Möglichkeit, den Teller leer zu bekommen, ehe seine Gastgeberin zurückkommen würde.<br />

Chess beugte sich währenddessen über den kleinen Beistelltisch und griff nach dem Telefon.<br />

„Ja, bitte?“<br />

Eine zutiefst verhasste Stimme meldete sich am anderen Ende der Leitung: „Es war ein<br />

11<br />

schwerer Fehler, die echten Kreuznägel hier im Haus zu behalten.“<br />

Chess stand da wie zur Salzsäule erstarrt.<br />

Währenddessen hatte Alon bei der Küchenspüle Maß genommen und zerteilte sein Essen<br />

hastig in abflussgerechte Stücke. Mit einem anständigen Messer könnte man dieses<br />

Hühnerleder sicher schneller schneiden. Er drehte sich immer wieder zur Tür um, weil er<br />

meinte, Chess’ Schritte auf der Treppe zu hören. In einer der Schubladen fand er ein<br />

Steakmesser. Hoffentlich hat sich nicht nur jemand verwählt.<br />

Doch der Anrufer hatte sich nicht verwählt. Er wusste ganz genau, wen er mit diesem Anruf<br />

in Panik versetzen wollte.<br />

„Shahid ist hier!“, schrie Chess. Ihre Stimme überschlug sich fast.<br />

Ausnahmesituationen wie diese waren für den Durchschnittsbürger in der Tat perfekt<br />

geeignet, um kopflos in Panik zu geraten. Für einen Agenten des Mossad allerdings liefen<br />

die nächsten, die entscheidenden, Sekunden streng nach Plan ab. Sich in solchen Momenten<br />

überhaupt noch an einen Plan zu erinnern, das war die eine Sache – sich dann aber auch<br />

daran zu halten, das war eine ganz andere. Was im Lehrbuch knochentrocken klang, war für<br />

die Agenten überlebenswichtig. Vorrangig sind präventive Gegenmaßnahmen einzuleiten,<br />

anschließend gilt es, die eigene Position an einem strategisch günstigen Punkt zu sichern.<br />

Erst dann ist an Hilfe für Dritte zu denken. Ein solcher Punkt musste nicht bloß einen guten<br />

Überblick bieten, vielmehr bedingte er auch einen leicht zu verteidigenden, sicheren Platz.<br />

Während der Ausbildung half den Agenten eine einfache Formel, die Zeit bis zum<br />

Erreichen des strategisch günstigsten Punktes abzuschätzen.<br />

Immer wenn Alon ein Gebäude zum ersten Mal betrat, suchte er nach solchen Punkten.<br />

Chess’ Haus bot mehrere Möglichkeiten. Alon entschied sich für das Zimmer neben dem<br />

Treppenabgang. Gemessen an der Strecke, die er bis dahin zurückzulegen hatte, gestand<br />

ihm die Formel sechs Sekunden zu. Anders als in anderen Lehrbüchern üblich, orientierte<br />

man sich beim Mossad an optimalen Reaktionszeiten und nicht an durchschnittlichen.<br />

Nach exakt sieben Sekunden erreichte Alon die Küchentür, wo sein rechter Unterarm völlig<br />

unerwartet Bekanntschaft mit einem Stiefel machte. Aus einer Drehung heraus traf ihn das<br />

gestreckte Bein eines versteckten Angreifers und trat seine Hand brutal gegen den<br />

Türrahmen. In hohem Bogen wurde Alons Dienstwaffe weggeschleudert. Das<br />

Überraschungsmoment war zweifellos nicht auf Seiten des Israelis. Die Faust eines zweiten<br />

Eindringlings tauchte wie aus dem Nichts auf und sauste auf Alons Gesicht zu. Doch Alon<br />

dachte gar nicht daran, den Schlag einzustecken. Stattdessen drehte er sich blitzschnell zur<br />

Seite und stach mit dem Steakmesser in seiner Linken zu. Nur unwesentlich länger als einen<br />

Wimpernschlag benötigte er, um zwei Treffer im Oberbauch seines Gegners zu landen,<br />

dann brach die Klinge. Bereits der erste Stich erwies sich als tödlich.<br />

Die Situation bot keinem der Beteiligten Zeit, über Strategien nachzudenken. Das Knie<br />

eines weiteren Angreifers verfehlte Alon nur knapp und durchschlug stattdessen die<br />

hölzerne Küchentür. Erst die dahinter befindliche Mauer vermochte die Wucht zu stoppen.

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