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Leseprobe - Albert Knorr

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und machte ein rotes Kreuz neben der Eintragung. Wozu brauchen wir da oben überhaupt<br />

Schwimmwesten? Wenn einer aus 60 Metern Höhe ins Meer fällt, hilft ihm die Weste auch<br />

nicht mehr.<br />

Es klopfte an der Tür.<br />

„Ja“, brummte der Doktor.<br />

Ein kräftig gebauter Mann mit breitem Schnauzbart betrat das Büro. Es war der für die<br />

Hydraulik zuständige Chefingenieur. „Wir wären soweit, Dr. Qian. Mit Ihrer Zustimmung<br />

würden wir jetzt die abschließende Kalibrierung an den hydraulischen Stabilisatoren<br />

vornehmen“, sagte er, als wäre es das Wichtigste auf der Welt, ließ dabei aber seinen Blick<br />

unbemerkt über die offen liegenden Akten wandern.<br />

„Hab’ ich denn eine andere Wahl?“<br />

„Sie sind der Boss“, antwortete der Mann im blauen Overall.<br />

„Gut, dass Sie mich daran erinnern.“ Der Doktor wirkte müde. „Wie lange werden Sie<br />

brauchen?“<br />

„Eine, vielleicht zwei Stunden. Alle Stationen wurden bereits im Vorfeld informiert. Die<br />

Aktivitäten im Labor werden eingestellt, bis die Arbeiten beendet sind. Mehr als zwei<br />

Drittel der Besatzung sind bereits in ihren Quartieren. Wir werden sie sanft in den Schlaf<br />

schaukeln.“<br />

Qian gab sein Einverständnis, indem er die geöffneten Handflächen zeigte.<br />

Die vollautomatische Niveauregulierungsanlage war das Herzstück der umgebauten<br />

Bohrinsel. Sie sorgte dafür, dass die schwimmende Insel immer waagrecht blieb.<br />

„Soll ich Sie benachrichtigen, sobald wir fertig sind?“<br />

„Nicht nötig. Ich denke, ich merke, wenn alles wieder dort bleibt, wo ich es hinlege.“<br />

„So schlimm wird es nicht werden.“ Dem Träger des Overalls fiel sein künstliches Lächeln<br />

sichtlich schwer.<br />

„Fangen Sie an“, seufzte Qian.<br />

Der Chefingenieur verabschiedete sich und verließ nachdenklich den Raum. Zuerst schindet<br />

er uns wochenlang ohne jede Rücksicht wie Sklaven und jetzt, mitten in der heißesten Phase,<br />

verschwendet er seine Zeit plötzlich mit Schwimmwesten? Claude hat Recht, irgendetwas<br />

stimmt hier nicht!<br />

***<br />

Chess’ Gewächshaus war nicht riesig, aber groß genug, um kurzfristig den Überblick zu<br />

verlieren. Einem Wintergarten nicht unähnlich, war es an zwei Seiten fest mit dem Haus<br />

verbunden. Sie drückte den Schalter neben der Tür. Das Licht war denkbar schwach und<br />

hatte etwas von der Notbeleuchtung in einem Flugzeug. Die bemoosten Leuchtstoffbalken<br />

lockten schon kurz nach dem Einschalten erste Insekten an.<br />

„Du wartest hier beim Eingang auf uns“, befahl Mustafa Shahid seinem hinkenden<br />

15<br />

Begleiter und verschwand mit Chess und dem Glatzkopf zwischen Blumentöpfen und<br />

Hängegewächsen. Bei Nacht war es nicht halb so schwül und drückend wie tagsüber,<br />

dennoch war die Luft sehr feucht.<br />

„Mach schon, ich hab’ nicht den ganzen Abend Zeit“, drängte er Chess.<br />

Du weißt ja gar nicht, wie Recht du hast... Chess entschied sich ganz bewusst für den<br />

längeren Weg. Hier hingen Orchideen und Bromelien so dicht gedrängt von der Decke, dass<br />

man sich aufrecht nur sehr langsam fortbewegen konnte.<br />

Shahid hatte für die Blütenpracht nichts übrig und bekam auch von dem süßlichen Duft<br />

wenig mit. Er konzentrierte sich ganz darauf, mit seinen handgefertigten Maßschuhen nicht<br />

in eine der Pfützen zu treten. Der Glatzkopf trieb Chess mit seiner Pistole vor sich her.<br />

Wenn ich mich jetzt losreiße, schaffe ich es mit etwas Glück durch die Hintertür. Chess<br />

dachte über ihre Möglichkeiten nach, entschied sich dann aber ihren ursprünglichen Plan<br />

durchzuziehen.<br />

Am Ende des Orchideenwalds sorgte ein hüfthoher Steinbrunnen für die nötige<br />

Luftfeuchtigkeit. Aus seinen vielen, mit grünen Algen überzogenen Löchern sprudelte<br />

Wasser, floss herunter und sammelte sich in einem Auffangbecken. Eine rote Gießkanne<br />

lag halb versunken in dem Becken. Der Boden rund um den Brunnen war aufgeweicht und<br />

matschig.<br />

„Ich würde sagen, du hast uns lang genug durch den Dreck geführt.“<br />

Mit Genugtuung erinnerte sich Chess daran, dass Shahid einen richtigen Kult um seine<br />

italienischen Schuhe trieb. Sie ging noch zwei Schritte weiter.<br />

„Hast du was an den Ohren?“<br />

Ein Geräusch, das sie unweigerlich mit dem Durchladen einer Pistole in Verbindung<br />

brachte, unterstrich die Frage.<br />

„Da ist es.“ Chess zeigte auf einen Steingarten, der zwischen der Hauswand und dem<br />

schmalen Weg angelegt war. Er wurde auf allen Seiten von einer knapp 20 Zentimeter<br />

hohen Glasumrandung eingefasst, um seinen Boden trocken zu halten.<br />

„Unter dem großen schwarzen Stein.“<br />

„Für wie blöd hältst du uns?“, fragte die Glatze. „Willst du uns weismachen, dass du die<br />

Nägel hier im Sand vergraben hast?“ Seine Waffe schob sich zwischen ihre Rippen.<br />

„Nein... Nein, natürlich sind die Nägel nicht hier vergraben. Unter dem Stein liegt der<br />

Schlüssel für den Geräteraum. Dort liegen sie.“<br />

„Welcher Geräteraum?“<br />

Sie deutete mit dem Kopf zu dem Steinbrunnen, den sie zuvor passiert hatten. Jetzt erst fiel<br />

den beiden Männern die mit Tarnfarbe gestrichene Tür dahinter auf.<br />

„Wenn ich darunter keinen Schlüssel finde, dann bist du es, die hier liegt.“ Der Glatzkopf<br />

setzte einen Fuß hinter die Glasumrandung.<br />

„Warte!“, rief Shahid.<br />

„Sie soll den Schlüssel da rausholen!“ Der Ägypter griff nach seiner Pistole und visierte

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