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Chess ergriff die Gelegenheit und zog unbemerkt ihre Hand aus dem Terrarium. Höchste<br />
Zeit die Arena zu verlassen. Hoffentlich löst sich kein Schuss aus seiner Pistole, wenn er<br />
jetzt gestochen wird.<br />
Shahid hatte das Objekt seiner Begierde gepackt und drehte es ein Stück nach rechts. Dann<br />
war der Weg frei und er holte die Schatulle heraus. „Los, gehen wir ans Licht!“ Der<br />
Waffenstahl drückte ihren Kopf in Richtung Ausgang.<br />
Chess verdrängte den Gedanken daran, was gleich passieren würde. Sie konnte nicht<br />
glauben, dass ihr Plan nicht funktioniert hatte. Wieso wurde er nicht gestochen?<br />
„Mach schon!“ Er stieß Chess unsanft durch die Tür, wo sie von dem Glatzkopf empfangen<br />
wurde.<br />
„Pass auf sie auf!“, befahl ihm Shahid. Er selbst machte sich hastig daran seine Beute<br />
auszupacken. Der Deckel der schlichten Holzschatulle war nur mit einem einfachen Haken<br />
gesichert. Darin lagen, einzeln in drei Plastikbeutel verpackt und fachgerecht beschriftet,<br />
die Kreuznägel.<br />
Sein breiter Mund deutete ein zufriedenes Lächeln an. „Hoffen wir für dich, dass es diesmal<br />
die richtigen sind!“ Er klappte die Schatulle wieder zu. „Und jetzt raus hier,<br />
bevor...“ Irritiert zuckte er zurück und starrte auf die Kuppe seines Ringfingers, auf der sich<br />
ein kleiner roter Punkt bildete.<br />
„Ein Skorpion!“, rief der Glatzkopf ihm zu. „Auf Ihrer Jacke sitzt ein Skorpion!“<br />
Shahid ließ sofort alles fallen und schüttelte wild beide Arme. Ein dünner, hellgelber<br />
Skorpion landete neben den Kunststoffbeuteln auf dem nassen Sandboden. „Verdammtes<br />
Ungeziefer!“ Wütend trat der Ägypter mit dem Absatz seines rotbraunen Schuhs auf das<br />
Spinnentier, das sich mit einem matschigen Knacksen verabschiedete.<br />
„Hat er dich gestochen?“<br />
„Sieht ganz so aus“, Shahid bückte sich nach den eingeschweißten Nägeln. „Ist aber halb so<br />
wild. Wahrscheinlich hat mich das Vieh vorhin schon erwischt. Es war aber kaum was zu<br />
spüren.“ Er drehte seinen Handrücken ins Licht. Zwei rote Flecken von der Größe eines<br />
Fingernagels hatten sich gebildet. „Das Biest hat dreimal zugestochen“, bemerkte er lapidar<br />
und stand wieder auf. Ein leichtes Brennen machte sich rund um die Einstichwunde des<br />
Fingers bemerkbar, doch Shahid schenkte ihm keine Beachtung. „Machen wir, dass wir hier<br />
wegkommen.“<br />
Chess begann zu lachen, zunächst ganz verhalten, doch gleich darauf wurde ihr Lachen<br />
lauter. Es war ein böses Lachen, das weder Shahid noch der Glatzkopf von ihr erwartet<br />
hätten. Ihr hübsches Gesicht verwandelte sich vor den Augen der beiden Männer in eine<br />
dämonische Grimasse. „Drei Skorpione haben Sie gestochen?“ Chess’ unverhohlene Häme<br />
übertraf ihre geheuchelte Anteilnahme bei weitem. „Welche Verschwendung, wo doch ein<br />
einziger Stich bereits ausreicht, um dich Dreckschwein zu töten!“<br />
Der Glatzkopf warf seinem Boss einen verunsicherten Blick zu.<br />
„Spürst du es schon?“, zischte Chess euphorisch.<br />
17<br />
Shahid konnte oder wollte nicht begreifen, was sie damit meinte. Noch nicht. Doch in<br />
seiner Hand begann sich rund um die Einstichstellen unangenehme Hitze auszubreiten.<br />
Die Art und Weise, wie Chess diesen Moment der Rache genoss, verhieß nichts Gutes.<br />
„Zunächst brennt es nur – manche Menschen spüren das gar nicht. Erst wenn das Gift<br />
beginnt sich unter der Hautoberfläche zu verteilen, kommt die Hitze dazu. Spürst du sie<br />
schon? Bestimmt spürst du sie schon! Bald breitet sich das Gift in dir aus. Dein<br />
beschleunigter Herzschlag wird dafür sorgen. Nicht mehr lange und die erste Übelkeit stellt<br />
sich ein. Und dann folgen die Muskelkrämpfe. Sie sind das Schlimmste. Das Skorpiongift<br />
sorgt dafür, dass sich die Muskeln in deinem Körper immer schneller und fester<br />
zusammenziehen. Jeder Einzelne von ihnen... immer schneller... immer fester... Es ist, als<br />
würden sie deine Knochen zermahlen.“<br />
Chess’ Augen glänzten. „Du wirst länger leiden als mein Bruder! Die nächsten drei Stunden<br />
werden die schlimmsten in deinem Leben.“ Sie klopfte auf die silberne Uhr an ihrem<br />
Handgelenk. „Es werden deine letzten sein, denn das nächste Antiserum lagert in Amman.<br />
Wenn du dich dort blicken lässt, werden sie dich schnappen und dir beim Krepieren<br />
zusehen.“<br />
Shahid bemerkte beunruhigende Parallelen zwischen Chess’ Beschreibung und seinem<br />
Befinden. Geistesgegenwärtig hob er die Überreste des Skorpions auf. „Ich brauche sofort<br />
einen Hubschrauber!“<br />
Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, begab er sich zum Ausgang. Sein vorletztes<br />
Kommando galt dem fußlahmen Mann vor der Tür zum Glashaus. „Erledigt sie! Erledigt<br />
das alles hier – und beeilt euch.“ Shahid verschwand im Haus.<br />
Mit beißender Stimme forderte er Alons Bewacher auf, ihn zum Wagen zu begleiten.<br />
***<br />
In London neigte sich ein herrlicher Herbsttag dem Ende zu. Lustlos tippte David Wilder<br />
auf der Tastatur seines Laptops herum. Er programmierte seit dem frühen Vormittag an<br />
einer neuen Datenbankschnittstelle für einen Kunden. Die Arbeit sorgte für Zerstreuung.<br />
Etwas, das David dringend benötigte. Die Anspannung der vergangenen Wochen war<br />
abgefallen, sein bisher gefährlichstes Abenteuer mehr schlecht als recht überstanden. Jetzt<br />
galt es, sich an den bitteren Beigeschmack zu gewöhnen, den sein neues Leben hatte.<br />
„Irgendwie ist für heute die Luft raus...“, seufzte er und klappte den Bildschirm herunter.<br />
„Ein Spaziergang wäre jetzt genau das Richtige.“ David sah Goliath an, der es sich auf<br />
seinen Füßen gemütlich gemacht hatte. „Was meinst du, mein Riese?“<br />
Das weiße Riesenkaninchen wackelte mit seinen aufgestellten Löffeln.<br />
„Ich werte das als Zustimmung.“<br />
Goliaths neues Brustgeschirr war farblich auf die Leine abgestimmt. Beide erstrahlten in<br />
einem kräftigen Blau mit ganz vielen weißen Pfotenabdrücken darauf. Es war ein Geschenk