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Alons Handknöchel rasten unterdessen auf einen ganz speziellen Punkt im Körper seines<br />
nächsten Gegners zu. Als Agent des Mossad kannte er die wenigen Stellen, an denen ein<br />
einziger Treffer einen Kampf entscheiden konnte. Alon zielte auf den Vagusnerv in Höhe<br />
des Brustkorbs. Ein Schlag gegen den zehnten Hirnnerv stellte jeden ruhig – mitunter war<br />
er sogar tödlich. Soweit der Israeli die Lage richtig einschätzte, hatte er damit zwei von vier<br />
Feinden erledigt, ehe sein kräftiger Fußtritt die Kniescheibe des dritten Angreifers aus ihrer<br />
Verankerung löste.<br />
Alon tat sein Bestes, um möglichst schnell Herr der Lage zu werden, doch Shahid hatte<br />
nichts dem Zufall überlassen. Zu groß war die Übermacht, zu viele Männer hatte der<br />
Ägypter mit dem Überfall beauftragt.<br />
Ein letztes Mal konnte Alon einer Faustattacke ausweichen, musste sich dann aber<br />
endgültig einem Pistolengriff geschlagen geben, der seinen Hinterkopf traf.<br />
***<br />
Am Stadtrand von Tel Aviv stand eine Reihe unauffälliger Bürogebäude. Ihre Fassaden<br />
unterschieden sich kaum voneinander. In die Jahre gekommene Firmenschilder neben den<br />
Eingangstüren verstärkten den biederen Anblick der Häuser. Sollten Touristen sich hierher<br />
verirren, käme bestimmt keiner von ihnen auf die Idee, Fotos zu machen. Das dritte<br />
Gebäude auf der rechten Seite diente, so man dem überklebten Klingelknopf Glauben<br />
schenken wollte, einer französischen Telefonfirma als Unternehmenssitz, die das Büro erst<br />
im zurückliegenden Sommer angemietet hatte. Keiner hatte zuvor von dieser Firma gehört,<br />
keiner interessierte sich für sie. Es war eben eine Gegend, in der eine Firma die andere<br />
ablöste, ohne dass irgendwer sie vermisste.<br />
Wer in dem Gebäude ein und aus ging, war entweder mit Systemwartung oder mit<br />
Verwaltungsarbeit betraut und besaß, so wie die Israelin Nurit Shalev, einen Schlüssel samt<br />
Zutrittskarte. Nurit hatte bereits für die Vorgängerfirma, eine britische Telefongesellschaft,<br />
gearbeitet. Über ihren Bruder hatte sie von einem freien Job in der Verwaltung erfahren.<br />
Das war jetzt zwölf Jahre her.<br />
Ihr eigentlicher Arbeitsplatz war ein klimatisiertes Rechenzentrum auf Ebene U2. Der<br />
israelische Inlandsgeheimdienst Shabak betrieb mehrere dieser getarnten Anlagen.<br />
Für Nurit war es ein Job wie jeder andere, ein guter Job. Wie gewöhnlich um diese Zeit<br />
führte ihr Weg zum Kaffeeautomaten. Dass sie dafür eine Sicherheitstür passieren musste,<br />
war eine der Kleinigkeiten, die sie nervten - ihre vielen Nachtdienste in diesem Monat eine<br />
andere.<br />
Sie nahm einen vorsichtigen Schluck aus dem dampfenden Becher. Schon mein vierter<br />
Nachtdienst in dieser Woche. Wenn das so weitergeht, kann ich die Wohnung aufgeben und<br />
mein Bett in der Notrufzentrale aufstellen. Dort ist es im Sommer wenigstens schön kühl<br />
und den Hund des Nachbarn hör’ ich auch nicht.<br />
12<br />
Einen wichtigen Teil der geheimen Einrichtung bildete die vollautomatisierte<br />
Notrufzentrale, die in einem pulverbeschichteten Serverschrank von etwa zwei Metern<br />
Höhe untergebracht war. Im Laufe der Jahre war die gesamte Hardware viele Male<br />
getauscht und ergänzt worden, alles, bis auf ein Detail der ersten Stunde. Ein Blechschild,<br />
das aussah wie ein altes Autokennzeichen, dem zu viel Sonne seine Farbe gestohlen hatte,<br />
war auf den dunkelbraunen Schrank genietet.<br />
Nurit hatte ihre Kaffeepause beendet. Ihr Rückweg führte sie an dem Schild mit den<br />
eingestanzten Buchstaben CQD vorbei. Kaum einer der anderen Mitarbeiter schenkte ihm<br />
Beachtung. Nurit schon. Einer der ersten Shabak-Direktoren, dessen Hobby das Sammeln<br />
von Marine-Antiquitäten gewesen war, hatte es auf das ursprüngliche Notrufsystem<br />
montieren lassen. Seine Nachfolger übernahmen nicht nur das Schild, sondern auch die<br />
damit verbundene Bezeichnung der Anlage. So wie der SOS-Notruf stammte auch der<br />
ältere CQD-Notruf aus der Seefahrt. Durch Morsen der drei Buchstaben CQ und D hatte<br />
man früher alle Stationen (CQ) über einen Notfall (Distress) informiert.<br />
Nurit kannte die Bedeutung des Schildes durch ihren Chef. Selbstverständlich hatte sie<br />
dessen Geschichte nachgeprüft, wie der Shabak es von seinen aufmerksamen Mitarbeitern<br />
erwartete. Sie stimmte.<br />
Die Israelin blieb vor dem CQD-System stehen und starrte durch die Rauchglasscheibe. Es<br />
gehörte zwar nicht zu ihren Aufgaben sich darum zu kümmern, aber die vielen grünen<br />
Lämpchen hatten etwas Beruhigendes. Jedes davon konnte einem Agenten zugeordnet<br />
werden. Neben dem elften Lämpchen in der achten Reihe stand die Nummer ihres Bruders.<br />
„Grün, wie immer“, flüsterte Nurit beruhigt und ging zurück an ihren Schreibtisch, auf dem<br />
ein Stapel Berichte wartete.<br />
Hinter dem getönten Glas änderte indessen eine der Leuchtdioden ihre Farbe. Sie wurde<br />
gelb und zeigte das Eingehen eines Notsignals an. CQD identifizierte vollautomatisch den<br />
Anrufer und registrierte gleichzeitig seinen aktuellen Standort. Die Nummer neben der<br />
gelben Diode gehörte Alon Kollek, dem Vorgesetzen von Nurits Bruder. Über zwei<br />
geheime Servicenummern in dem Kurzwahlspeicher seines Mobiltelefons konnte jeder<br />
Agent rasch Unterstützung anfordern. Je nachdem welche der beiden Nummern er gewählt<br />
hatte, ging CQD in bloße Alarmbereitschaft oder löste sofort Vollalarm aus. Gelbes Licht<br />
bedeutete Alarmbereitschaft.<br />
Alon hatte im Zuge der Erstregistrierung die Rufnummern von vier ihm persönlich<br />
bekannten Agentenkollegen angeben müssen. Jetzt wählte CQD zwei davon aus, die sich<br />
laut aktueller GPS-Ortung nicht in Alons unmittelbarer Umgebung aufhielten, und<br />
informierte sie über die Situation. Durch den Abgleich der GPS-Daten stellte das System<br />
sicher, dass sich die angerufenen Kollegen nicht gerade in derselben Notsituation befanden.<br />
Mit einem dritten Anruf meldete CQD den Vorfall an die Zentrale und startete einen<br />
Countdown von 300 Sekunden bis zum Vollalarm.<br />
Das war die Zeit, die einem Agenten noch blieb, um die Situation selbst wieder unter