Außen- und Innensicht - Fantastik-online.
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Übereinstimmung von <strong>Außen</strong>- <strong>und</strong> <strong>Innensicht</strong>: Realistik<br />
Die Liste der inneren Wirklichkeiten eines Werkes, bei denen die Welt der Figuren<br />
mit der Welt des Betrachters begrifflich übereinstimmt, ließe sich fortsetzen. Solche<br />
Übereinstimmung von Aspekten der <strong>Außen</strong>- <strong>und</strong> <strong>Innensicht</strong> trifft sicherlich auf alle<br />
Werke zu, deren Hauptfiguren „normale Menschen“ sind, die in fiktionalen Welten<br />
agieren, die der unserer Norm-Wirklichkeit sehr nahe kommen. Solche Werke zählen<br />
zur Realistik.<br />
Aber ist die <strong>Innensicht</strong> tatsächlich konstant?<br />
Bisher ist gezeigt: Entgegen der Dynamik der <strong>Außen</strong>sicht verbleibt die <strong>Innensicht</strong> für<br />
sich in stets gleichem Zustand. Der Blick aus den Augen der Figuren ändert sich<br />
niemals, denn das Werk ist stets das Werk. Zu klären bleibt aber weiterhin die Frage,<br />
ob denn die in sich konstante <strong>Innensicht</strong> überhaupt als konstant erlebt werden kann,<br />
wenn sie von Betrachtern aus unterschiedlichen <strong>Außen</strong>sichten kommend betrachtet<br />
wird. Oder mit anderen Worten: Bringt nicht jeder Betrachter automatisch <strong>und</strong><br />
unbewusst einen Teil seiner <strong>Außen</strong>maßstäbe mit ins Werk hinein <strong>und</strong> schaut zwar<br />
aus den Augen der Figuren, aber immer mit verändertem Interpretationshintergr<strong>und</strong>?<br />
Lassen sich <strong>Außen</strong>- <strong>und</strong> <strong>Innensicht</strong> überhaupt komplett voneinander trennen, oder<br />
sind es siamesische Zwillinge, stets verb<strong>und</strong>en?<br />
Wenn in einem Buch aus dem Jahr 1889 steht: „Herr XY ging an einer belebten<br />
Straße entlang“, dann steht das dort heute <strong>und</strong> auch in 100 Jahren noch. Ein Mensch<br />
geht an einem Verkehrsweg herunter, auf dem viel los ist. Ein Leser des Jahres 1889<br />
sieht bei genügend Eintauchtiefe <strong>und</strong> Hingabe ans Geschehen bei diesem Satz<br />
sicherlich eine steingepflasterte Straße, auf der sich Kutschen <strong>und</strong> Droschken von<br />
hier nach da bewegen. Ein Leser aus heutiger Zeit stellt sich Autos auf Asphalt vor,<br />
<strong>und</strong> ein Leser in 100 Jahren womöglich Schwebekabinen auf Magnetrampen. –<br />
Sicherlich wird das Werk in sich so viele Querbezüge haben, dass aus dem<br />
Zusammenhang der erzählten Welt stets klar ist, dass es im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert spielt.<br />
Insofern würde sich auch der heutige Mensch <strong>und</strong> der Zukunftsleser zurückversetzen<br />
<strong>und</strong> sich auch Kutschen vorstellen. Aber schon die Vorstellungen dürften anders<br />
ausfallen. Der 1889er Leser kennt Kutschen. Sie fahren gerade an seinem<br />
Lesezimmer vorbei. Unsereins erinnert solche Szenen aus Filmen, aber schon die<br />
sind verflacht <strong>und</strong> geschönt. Und der Mensch der Zukunft weiß im Groben etwas<br />
über Kutschen gerade noch aus Datenbanken eines historischen Programms heraus<br />
<strong>und</strong> hat eine sehr holzschnitthafte Vorstellung davon. Seine Vorstellung der<br />
Innenwelt des Werkes wird blasser <strong>und</strong> diffuser bleiben oder von eigenen<br />
Ergänzungen verzerrter sein, als das Bild vor dem geistigen Auge des 1889er<br />
Lesers. – Ein anderes Beispiel: Wenn in einem Text steht, dass eine Hauptfigur<br />
höllische Schmerzen durch eine Kriegsverletzung hat <strong>und</strong> Seelenqualen durch<br />
Traumata, dann wird ein Leser, der selbst kriegsversehrt ist, diese Textpassagen<br />
völlig anders empfinden, als ein ges<strong>und</strong>er Mensch, der nie im Krieg war. Und wenn<br />
der Autor alles noch so plastisch ausführt: Der Leser in der Norm-Wirklichkeit mit<br />
Verletzungserfahrung wird immer tiefere <strong>und</strong> andere Assoziationen einbringen, als<br />
derjenige, der davon nur liest.