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ISSN 1613-7124<br />

<strong>Literaturzirkel</strong> Belletristik,<br />

Science Fiction & Fantasy<br />

Ausgabe 3/2011 vom 16. Juni 2011<br />

Druckversion der 308. Ausgabe des Literaturmagazins<br />

1


Editorial<br />

Liebe Bücherfreunde, Literaturliebhaber und Leseratten,<br />

es ist mir nach der langen Zwangspause eine Ehre und ein Vergnügen, Sie ganz herzlich zu begrüßen und Ihnen hier die 308. Ausgabe<br />

unseres Literaturmagazins vorzustellen. Und es ist meinen Kollegen ein Anliegen, sich auch an dieser Stelle noch einmal für die vielen<br />

Genesungswünsche zu bedanken, die in der Redaktion eingegangen sind. Vielen Dank für Ihren ermunternden Zuspruch! Ihre große<br />

Anteilnahme hat sicherlich dazu beigetragen, dass sich unser Online-Redakteur Dr. Christian Gerber und die Rezensenten Annegret<br />

Wegener, Bernhardt D’Alemagne und Sebastièn Auclaire-Meier so schnell und vollständig von ihren schweren Verletzungen erholt haben.<br />

Leider muss ich Sie ein weiteres Mal dafür um Verzeihung zu bitten, dass unsere Internetpräsenz noch immer nur eingeschränkt zur<br />

Verfügung steht. Zwar ist seit kurzem das Update unseres Servers abgeschlossen, leider hat die Zeit aber nicht gereicht, das neue<br />

Konzept in all seinen Funktionen umzusetzen. Ich bitte Sie um Ihr Verständnis und um Ihre Geduld.<br />

Bis es endlich soweit ist, genießen Sie hoffentlich die dreiundzwanzig Bücher und neun Hörbücher, die wir Ihnen in diesem Heft vorstellen<br />

– es ist sicherlich für jeden Geschmack und jede Stimmungslage etwas Passendes dabei.<br />

Unsere nächste Ausgabe erscheint in rund vier Wochen, am Freitag, dem 15. Juli 2011.<br />

Bis dahin wünsche ich Ihnen – wie immer an dieser Stelle –<br />

viel Vergnügen bei der weiteren Lektüre unseres Magazins und<br />

beim lustvollen Schmökern in den empfohlenen Büchern<br />

oder dem aufmerksam/entspannten Genuss der Audioliteratur!<br />

Maran Alsdorf<br />

Chefredakteurin<br />

<strong>Literaturzirkel</strong> Belletristik,<br />

Science Fiction & Fantasy<br />

3


Inhalt<br />

Editorial Seite 3<br />

Neue Rezensionen – Pure Leselust!<br />

Paolo Bacigalupi: BIOKRIEG<br />

Rezensiert von Horst Illmer<br />

Stephan Brüggenthies: DIE TOTE SCHWESTER<br />

Rezensiert von Robert Veitlehner<br />

Anne Delaflotte: MATHILDE UND DER DUFT DER BÜCHER<br />

Rezensiert von Griseldis Malkowsky-Bren<br />

William Gibson: SYSTEMNEUSTART<br />

Rezensiert von Waldemar »hawking« Grosch<br />

Tom Knox: CAGOT<br />

Rezensiert von Axel Hallsteiner<br />

Jeff Lemire: ESSEX COUNTY Band 1: Geschichten vom Land.<br />

Rezensiert von Regnier Le Dyckt<br />

Jonathan Lethem: CHRONIC CITY<br />

Rezensiert von Axel Hallsteiner<br />

Andrej Longo: SARAHS MÖRDER<br />

Rezensiert von Bernhardt D’Alemagne<br />

Klaus Modick: SUNSET<br />

Rezensiert von Waldemar »hawking« Grosch<br />

Hannu Rajaniemi: QUANTUM<br />

Rezensiert von Horst Illmer<br />

Tore Renberg: UND ZUM FRÜHSTÜCK HELLER SIRUP<br />

Rezensiert von Annegret Wegener<br />

4<br />

Seite 6 Alastair Reynolds: UNENDLICHE STADT<br />

Rezensiert von Regnier Le Dyckt<br />

Seite 8<br />

Karen Rose: TODESSTOSS<br />

Rezensiert von Bea Falk<br />

Seite 10 Seth: CLYDE FANS<br />

Rezensiert von Horst Illmer<br />

Seite 12<br />

A.K. Shevchenko: EIN FATALES ERBE<br />

Rezensiert von Robert Veitlehner<br />

Seite 14 Roger Smith: STAUBIGE HÖLLE<br />

Rezensiert von Sebastièn Auclaire-Meier<br />

Seite 16<br />

Seite 18<br />

Michael Stanley:<br />

KUBU UND DER TOTE IN DER WÜSTE<br />

KUBU UND DER ZWEITE TOD VON GOODLUCK TINUBU<br />

Rezensiert von Bea Falk<br />

Seite 20 Vidar Sundstøl: TRAUMLAND<br />

Rezensiert von Bernhardt D’Alemagne<br />

Seite 22<br />

Shaun Tan: DER VOGELKÖNIG UND ANDERE SKIZZEN<br />

Rezensiert von Regnier Le Dyckt<br />

Seite 24 Laura Whitcomb: SEELENHÜTER<br />

Rezensiert von Griseldis Malkowsky-Bren<br />

Seite 26 Liv Winterberg: VOM ANDEREN ENDE DER WELT<br />

Rezensiert von Annegret Wegener<br />

Seite 28<br />

Seite 30<br />

Seite 32<br />

Seite 34<br />

Seite 36<br />

Seite 38<br />

Seite 42<br />

Seite 44<br />

Seite 46<br />

Seite 48


Neue Rezensionen – reiner Hörgenuss!<br />

Sven Böttcher: PROPHEZEIUNG<br />

Rezensiert von Herrmann Ibendorf-Rosenhof<br />

Vane sa Diffenbaugh: DIE VERBORGENE SPRACHE DER BLUMEN<br />

Rezensiert von Griseldis Malkowsky-Bren<br />

Wolfgang Herrndorf: TSCHICK<br />

Rezensiert von Maran Alsdorf<br />

Steven Knight: DAS VERMÄCHTNIS DES WILL WOLFKIN<br />

Rezensiert von Maran Alsdorf<br />

Donna Leon: AUF TREU UND GLAUBEN<br />

Rezensiert von Árpád A. Pajkosság<br />

F. Scott Fitzgerald: DER GROSSE GATSBY<br />

Rezensiert von Ricarda Ingel-Pérez<br />

Arno Strobel: DAS WESEN<br />

Rezensiert von Rainer Uebermuth<br />

Martin Walker: SCHWARZE DIAMANTEN<br />

Rezensiert von Maran Alsdorf<br />

Jan Wallentin: STRINDBERGS STERN<br />

Rezensiert von Rainer Uebermuth<br />

5<br />

Seite 50<br />

Seite 52<br />

Seite 54<br />

Seite 56<br />

Seite 58<br />

Seite 60<br />

Seite 62<br />

Seite 64<br />

Seite 66<br />

Impressum<br />

Verlag: <strong>Literaturzirkel</strong> Belletristik, Science Fiction & Fantasy, Würzburg, D.<br />

Herausgeberin: The MA1stNews Editors Foundation, Boston/Mass., USA.<br />

Für das Magazin zeichnen verantwortlich:<br />

Chefredakteurin: Maran Alsdorf<br />

Stellvertretender Chefredakteur: Bernhardt D'Alemagne<br />

Spartenredakteure:<br />

Belletristik: Bernhardt D'Alemagne<br />

Science Fiction: Horst Illmer<br />

Audioliteratur: Rainer Uebermuth<br />

Online-Redaktion: Dr. Christian Gerber<br />

Lektorat: Maran Alsdorf und Dr. Christian Gerber<br />

In dieser Ausgabe -<br />

Buchrezensionen von:<br />

Maran Alsdorf, Sebastièn Auclaire-Meier, Bernhardt D’Alemagne,<br />

Bea Falk, Waldemar »hawking« Grosch, Axel Hallsteiner,<br />

Horst Illmer, Regnier Le Dyckt, Griseldis Malkowsky-Bren,<br />

Robert Veitlehner und Annegret Wegener<br />

Hörbuchrezensionen von:<br />

Maran Alsdorf, Herrmann Ibendorf-Rosenhof, Ricarda Ingel-Pérez,<br />

Griseldis Malkowsky-Bren, Árpád A. Pajkosság und Rainer Übermuth<br />

Kontakt -<br />

Postanschrift: <strong>Literaturzirkel</strong> Belletristik, Science Fiction & Fantasy<br />

Redaktion<br />

Maillingerstraße 22<br />

D-97082 Würzburg<br />

Telefon: + 49 (0)931 / 41 62 65<br />

eMail: redaktion@literaturzirkel.eu<br />

Web-Master: Dr. Christian Gerber (mailto:online-redaktion@literaturzirkel.eu)<br />

Post-Master: Maran Alsdorf (mailto:redaktion@literaturzirkel.eu)<br />

© 2011 by:<br />

<strong>Literaturzirkel</strong> Belletristik, Science Fiction & Fantasy, Würzburg, Deutschland<br />

a public institution of: The MA1stNews Editors Foundation, Boston/Mass., USA.


Paolo Bacigalupi: BIOKRIEG<br />

DEUTSCHE ERSTAUSGABE<br />

(The Windup Girl. 2009)<br />

Aus dem Englischen von Hannes Riffel<br />

und Dorothea Kallfass<br />

München, Heyne, 02/2011<br />

ISBN 978-3-8218-6131-9<br />

608 Seiten, broschiert<br />

Euro 9,99 [D]<br />

Online → Leseprobe (.pdf – 322 kb)<br />

6<br />

Paolo Bacigalupi ist bereits als Kurzgeschichtenautor<br />

in Erscheinung getreten bevor er mit Biokrieg<br />

seinen ersten Roman veröffentlichte, der vom Time<br />

Magazine promt in die Top Ten der besten Romane<br />

des Jahres aufgenommen wurde. Auch für seine<br />

Kurzgeschichten erhielt Paolo Bacigalupi schon<br />

mehrere Auszeichnungen. Er lebt mit seiner Frau<br />

und seinem Sohn in West Colorado.<br />

Foto: © Paul & Peter Fritz AG<br />

Jupiterstraße 1<br />

8032 Zürich<br />

Schweiz<br />

Bangkok, Thailand – für Europäer seit Jahrhunderten der Inbegriff des Exotischen, Fremden. Daran hat sich auch in Bacigalupis<br />

Zukunftsversion wenig geändert: In einer völlig aus den Fugen geratenen Welt, voller furchtbarer Hungersnöte, ausgelöst unter anderem<br />

durch gentechnisch veränderte und außer Kontrolle geratene Pflanzenschädlinge, in die Welt gesetzt von skrupellosen Konzernen, die<br />

damit ihre Gewinne maximieren wollten, und mit einem durch die Klimaveränderung deutlich gestiegenen Meeresspiegel und<br />

unvorhersehbaren Wetterkapriolen, versuchen seine Protagonisten, in dem undurchschaubaren Machtgefüge der Multimillionen-Stadt am<br />

Leben zu bleiben und zurecht zu kommen.<br />

Am besten gelingt dies noch Anderson Lake, einem mit allen Wassern gewaschenen hochrangigen Mitarbeiter von AgriGen, einem der<br />

größten Nahrungsproduzenten der Welt. Allerdings dient die Spannfederfabrik, die AgriGen in Bangkok zu Forschungszwecken betreibt,<br />

nur Andersons Tarnung. In Wirklichkeit ist er einer der weltweit gefürchteten und gehassten »Kalorienjäger« und bereit, für den Zugang<br />

zu den thailändischen Genlabors und ihren Samenbänken über Leichen zu gehen – wenn es sein muss, über sehr viele Leichen.<br />

Seine Gegenspieler sind weniger die führenden Leute in der thailändischen Politik, sondern eine nationalistische Gruppe um den<br />

unbestechlichen Hauptmann Jaidee, die sogenannten Weißhemden, die versuchen, den Einfluss der Fremden, der »Farang«,<br />

zurückzudrängen. Jaidee weiß, dass er sich damit jede Menge Feinde einhandelt, doch der »Tiger« setzt auf seine Popularität beim<br />

thailändischen Volk. Es ist schließlich ausgerechnet seine einzige Vertraute und Stellvertreterin Kanya, die auf der Gehaltsliste des<br />

Gegners steht und seinen Untergang herbeiführt.


Mit dem Exil-Chinesen Hock Seng, ehemals einer der reichsten Männer der Welt und nun als geduldeter »Yellow Card«-Hilfsarbeiter für<br />

Anderson tätig, und der zur Prostitution gezwungenen Emiko, einem japanischen »Aufziehmädchen«, hat Bacigalupi zwei weitere,<br />

bemerkenswerte Charaktere in die Handlung eingebaut. Während Hock Seng alles daran setzt, die Konstruktionspläne der Spannfedern<br />

aus der Fabrik zu entwenden und zu Geld zu machen, gelingt es Emiko, mehr durch Zufall, Andersons Interesse zu wecken und ihn für<br />

sich einzunehmen.<br />

Überhaupt stellt Emiko das faszinierendste Element in BIOKRIEG, Bacigalupis mit Preisen überhäuftem Erstlingsroman, dar. Sie gehört zu<br />

den »Neuen Menschen«, im Labor gezüchteten und gentechnisch »optimierten« Wesen, die ihren Schöpfern in fast allen Belangen<br />

überlegen sind – und deshalb mit eingebauten Sperren und Konditionierungen (wie zum Beispiel Unfruchtbarkeit und dem Verlangen,<br />

einem Meister zu dienen) ausgeliefert werden. Wobei »ausgeliefert« für Emiko in mehrfacher Hinsicht zutrifft. Sie wurde als »Ballast« von<br />

ihrem japanischen Erstbesitzer in Bangkok zurückgelassen, wo sie von den Einheimischen verabscheut und gefürchtet wird. Deshalb<br />

bleibt ihr nichts anderes übrig, als sich in einem Sexclub allabendlich auf der Bühne vorführen zu lassen. Dabei sind es vor allem ihre<br />

(einprogrammierten) ruckartigen Bewegungen, die das »Aufziehmädchen« (»The Windup Girl« lautet der amerikanische Originaltitel) für<br />

die Gäste zur exotischen Attraktion machen.<br />

In der schwül-warmen Hitze des zukünftigen Bangkoks brodelt eine explosive Mischung aus Korruption, Gen-Spionage, Rassismus,<br />

Nationalismus und dem unbedingten Streben aller nach möglichst viel Gewinn – immer noch sind alle gefangen im Glauben an die<br />

alleinseligmachende Macht des Geldes. Doch in einer Stadt, die, umgeben von Deichanlagen, inzwischen zum größten Teil weit unterhalb<br />

des Meeresspiegels liegt, genügt ein winziger Funke, um die Katastrophe herbeizuführen.<br />

Die erzählerische Kraft und Unbekümmertheit Paolo Bacigalupis ist bemerkenswert. Mit BIOKRIEG hat er eine exakt recherchierte und<br />

(leider) äußerst glaubwürdige Schwarze Utopie vorgelegt, die voll ist, mit jenen winzigen literarischen Preziosen, die aus einem guten<br />

Buch ein sehr gutes Buch machen. Dazu gehören die allgegenwärtigen Cheshire-Katzen, gentechnisch aufgerüstete Vorläufer der Neuen<br />

Menschen, die wegen fehlender Beschränkungen innerhalb kürzester Zeit alle »normalen« Katzen verdrängten. Oder die Figur des Gen-<br />

Ingenieurs Gibbons, der sich, trotz erheblicher körperlicher und charakterlicher Mängel, für eine Art Gottvater hält – und dessen Genius<br />

für alle Konfliktparteien so wichtig ist, dass sie ihn in diesem Glauben auch noch bestärken.<br />

BIOKRIEG ist ein sehr unterhaltsamer und zum Nachdenken anregender Zukunftsroman, der eine nur noch schwer vermeidbare<br />

Entwicklung stringent weiterverfolgt und mit Bangkok einen faszinierenden Schauplatz wählt, der für westliche Leser oft so fremdartig<br />

wirkt, wie ein ferner Planet. Unbedingt empfehlenswert!<br />

7<br />

Horst Illmer


Stephan Brüggenthies: DIE TOTE SCHWESTER<br />

ORIGINALAUSGABE<br />

Frankfurt am Main, Eichborn, 02/2011<br />

ISBN 978-3-8218-6131-9<br />

436 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag<br />

Euro 16,95 [D]<br />

Online-Leseprobe des Verlags<br />

8<br />

Stephan Brüggenthies, geboren 1968 in Münster,<br />

studierte zunächst Musikwissenschaft, Germanistik<br />

und Betriebswirtschaft und arbeitete als Musik-<br />

und Filmjournalist.<br />

Nach einem weiteren Studium an der Filmakademie<br />

Baden-Württemberg schrieb und<br />

inszenierte er vielfach preisgekrönte Kurzfilme,<br />

gewann den SAT1-Nachwuchspreis und schrieb<br />

zwei Drehbücher für die ARD-Reihe Tatort.<br />

Brüggenthies lebt in Köln.<br />

DER GEHEIMNISLOSE JUNGE ist sein erster<br />

Roman, DIE TOTE SCHWESTER der zweite um<br />

Kommissar Zbigniew Meier.<br />

Auf dem Dach des Rockefeller Center wird Zbigniew Meier klar: Er ist glücklich. Nach den Strapazen seines letzten Falles, nach Monaten<br />

der Auszeit, ist der Kommissar in der Stadt seiner Träume angelangt, in New York. Mit dabei: Die Frau seiner Träume – Lena.<br />

»... für einige Minuten kam es Zbigniew so vor, als ob dies der Moment reinen Glücks war, der Moment, den jeder Mensch nur ein<br />

einziges Mal im Leben erlebt, ein Moment, der niemals wiederkehren würde.«<br />

Lena ist endlich volljährig geworden, und so haben die beiden beschlossen, ein paar Tage in der amerikanischen Metropole zu verbringen.<br />

Sie lernen einen netten, älteren Herren kennen, Samuel Weissberg, der Zbigniew auf der Straße anspricht. Die Wellen des<br />

»Geheimnislosen Jungen« sind über den großen Teich geschwappt, weshalb Weissberg Zbigniew um Hilfe bittet.<br />

Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges verschwand Samuels kleine Schwester Eva, kurz, nachdem ihre Eltern ermordet worden waren. Seit<br />

Jahren sucht er nach ihr, doch ohne Erfolg. Er ließ sie sogar für tot erklären, doch der Geist seiner Schwester lässt Weissberg nicht ruhen:<br />

»Meine Schwester ... das ist das große Rätsel meines Lebens«<br />

Zbigniew wehrt ab, sehr zum Unbill Lenas, die sich auf eigene Faust ein weiteres Mal mit Samuel trifft.


Zurück in Deutschland, nimmt der Liebesurlaub ein abruptes Ende: Lena wird am Flughafen in ein Auto gezerrt und entführt.<br />

Während die offizielle Ermittlungskommission an eine Verbindung Lenas in terroristische Kreise denkt, verfolgt Zbigniew eine ganz andere<br />

Spur – die Eva Weissbergs.<br />

Bald legen sich ihm unerwartete Verbindungen offen: Steht Evas Verschwinden in Zusammenhang mit Kunstraubzügen der Nazis am<br />

Ende des Zweiten Weltkrieges? Sollten einige verschollen geglaubte »entartete« Gemälde der Grund für Lenas Entführung sein?<br />

Zbigniew versucht herauszufinden, was Samuel Weissberg Lena anvertraut haben könnte. Doch auch er ist verschwunden ...<br />

Nach DER GEHEIMNISLOSE JUNGE legt Autor Stephan Brüggenthies nun den zweiten Fall Zbigniew Meiers vor. Auch in DIE TOTE<br />

SCHWESTER begibt sich der eigenwillige Kommissar in mehr als eine brenzlige Situation, um den Fall zu lösen, in den er diesmal eher<br />

widerwillig hineingezogen wurde. Da er persönlich involviert ist, darf er nicht offiziell ermitteln und geht auf eigene Faust den knappen<br />

Hinweisen nach, die er von Weissberg erhalten hat.<br />

Gewohnt nervenaufreibend und spannend bis zum letzten Absatz führt Stephan Brüggenthies seine Leser an der Seite seines<br />

Protagonisten von New York nach Köln bis in die Niederlande, einer heißen Spur nach der anderen folgend, bis schließlich alle Fäden an<br />

einem unerwarteten Punkt zusammenlaufen.<br />

Dieser Roman zeichnet sich neben der geschickt erzählten Handlung durch eine realistische Darstellung der Personen aus. Zwar nimmt<br />

Brüggenthies oft Bezug auf den Roman DER GEHEIMNISLOSE JUNGE, doch dem Autor gelingt es mit leichter Hand, seinen Lesern die<br />

notwendigen Bezüge zu geben, sodass auch für diejenigen, welche den ersten Fall von Zbigniew Meier nicht verfolgt haben, die Lektüre<br />

keine wesentlichen Fragen offen lässt.<br />

Was an diesem Roman besonders fasziniert, ist die gemeinsam mit Meier unternommene Suche nach der Lösung dieses Falles. Niemals<br />

bedient sich Brüggenthies in seinem Kriminalroman einer, in diesem Genre zu beliebten vordergründigen Action. Vielmehr versteht er es<br />

hervorragend, die Spannung durch Schilderung detektivischer Kleinarbeit zu halten und im Lauf der Handlung sogar zu erhöhen. Das<br />

Finale ist atemberaubend und erzähltechnisch ohne Übertreibung als große Literatur zu bezeichnen.<br />

Wer intelligente und spannende Unterhaltung sucht, wird mit diesem Roman sein Ideal finden.<br />

9<br />

Robert Veitlehner


Anne Delaflotte: MATHILDE UND DER DUFT DER BÜCHER<br />

DEUTSCHE ERSTAUSGABE<br />

(La relieuse du gué. Paris, Gaia Éditions, 2008)<br />

Aus dem Französischen von Christian Kolb<br />

Reinbek, Kindler, 03/2011<br />

ISBN 978-3-463-40593-3<br />

252 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag<br />

Euro 19,95 [D]<br />

Online → Leseprobe (.pdf – 172 kb)<br />

10<br />

Anne Delaflotte, geboren 1967 in Auxerre, ist im<br />

Burgund aufgewachsen. Sie studierte<br />

Internationales Recht in Paris und ist gelernte<br />

Buchbinderin. 1993 eröffnete sie mit ihrem<br />

Mann, dem Schriftsteller Alexander Mehdevi, in<br />

Prag eine internationale Buchhandlung. Heute<br />

lebt sie dort als freie Autorin.<br />

MATHILDE UND DER DUFT DER BÜCHER ist ihr<br />

erster Roman und gewann in Frankreich<br />

mehrere Preise.<br />

Foto: © Zdenek Helfert<br />

Eine junge Frau gibt ihre Diplomatenkarriere auf und zieht in ein kleines Dorf in der Dordogne – zu Ehren ihres Lieblingsautors Cyrano de<br />

Bergerac, der aus der Gegend stammte. Dort besinnt sich Mathilde auf das Handwerk ihres Großvaters, die Buchbinderei. Sie liebt die<br />

Ruhe und Konzentration, die sie in ihrer Werkstatt bei der Arbeit an den ihr anvertrauten Büchern findet.<br />

Eines Tages überlässt ihr ein junger Mann, den sie noch nie in der Gegend gesehen hat, ein altes Buch mit Brandspuren zur Restauration.<br />

Der Mann ist nicht sehr gesprächig und so erschöpft, dass er zu Mathildes Füßen in Ohnmacht fällt. Doch er will sich nicht helfen lassen;<br />

er will zum Bahnhof, einen Zug erreichen – und in ein paar Tagen wiederkehren.<br />

Ein guter Buchbinder liest nicht, hat Mathildes Großvater immer gesagt. Doch wie soll sie der Versuchung widerstehen, zumal ihr der<br />

geheimnisvolle, hübsche Fremde nicht mehr aus dem Kopf geht?<br />

Das Buch enthält Zeichnungen und Aquarelle einer galloromanischen Tempelanlage in einem Wald. Beim Restaurieren entdeckt Mathilde<br />

außerdem eine im Rücken verborgene, handgeschriebene Namensliste. Als Mathilde erfährt, dass ihr schöner Auftraggeber vor dem<br />

Bahnhof von einem Lastwagen überrollt und getötet wurde, ist sie mehr als bestürzt. Es gibt keinen Hinweis auf die Identität des Mannes.<br />

Wem soll sie nun das kostbare Buch zurückgeben? Sie beschließt, sich auf die Suche nach seiner Familie zu machen und hofft, dass die<br />

Namensliste ihr Hinweise gibt.


Doch während sie den Spuren ihres Auftraggebers nachgeht, geschehen seltsame Dinge. In ihre Werkstatt wird eingebrochen, aber es<br />

wird nichts gestohlen. Gleichzeitig verliert sie Aufträge der umliegenden Gemeinden, deren Archive sie restaurieren sollte. Wer versucht<br />

ihr zur schaden und warum?<br />

»Eine Ode an die Buchbinderkunst und an die Welt der Bücher!« schrieb der Kritiker des »Le Soir« über Anne Delaflotte-Medehvis<br />

Romandebüt. Und es ist wahr, dass man durch diesen Roman unglaublich viel über den Aufbau und die Instandsetzung eines gebundenen<br />

Buches und das Handwerk(szeug) eines Buchbinders erfahren kann – sachkundig beschrieben, ohne technisch überfrachtet zu sein.<br />

Bibliophile werden allein schon von diesen Textteilen in Verzückung versetzt.<br />

Es ist aber auch fast unglaublich, wie viel die Autorin in diesen, mit seinen rund 250 Seiten nicht sehr umfangreichen, Roman gepackt hat.<br />

Sie schildert den schleichenden Zerfall einer Beziehung, den beruflichen Ausstieg und Neuanfang ihrer Protagonistin, die Schönheit der<br />

Dordogne, das Leben dort in einer kleinen französischen Gemeinde, das Beziehungsgeflecht zwischen Nachbarn und zwischen<br />

Vergangenheit und Gegenwart. Mathildes Suche nach der Identität ihres verstorbenen Auftraggebers führt sie nicht nur zurück in die Zeit<br />

der Résistance, sondern auch in die Vergangenheit ihrer eigenen Familie.<br />

Doch damit nicht genug. Über allem schwebt ein Zauber. Gibt es Liebe auf den ersten Blick? Wie viele Gesichter hat die Liebe?<br />

Anne Delaflotte-Medehvi zeigt, wie viele aussehen: von frisch Verliebten und lange Verheirateten, von Geschwistern, Freunden und<br />

Nachbarn. Perfekte Momentaufnahmen, brillante Psychogramme.<br />

MATHILDE UND DER DUFT DER BÜCHER ist wahrhaftig nur im Hinblick auf seine Seitenzahl ein dünnes Buch.<br />

11<br />

Griseldis Malkowsky-Bren


William Gibson: SYSTEMNEUSTART<br />

DEUTSCHE ERSTAUSGABE<br />

(Zero History. New York, Putnams, 2010)<br />

Aus dem Amerikanischen von Hans und Sarah Riffel<br />

Stuttgart, Tropen, 03/2011<br />

ISBN 978-3-608-50113-1<br />

487 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag<br />

Euro 24,95 [D]<br />

Online → Leseprobe (.pdf – 222 kb)<br />

12<br />

William Gibson wurde 1948 in Conway/South<br />

Carolina geboren. Seinen Vater verlor er früh. Bis<br />

zu seinem fünfzehnten Lebensjahr lebte er mit<br />

seiner Mutter in einer 2000-Seelen-Gemeinde in<br />

Virginia. Um der Einberufung in den Vietnam-<br />

Krieg zu entgehen, wanderte er 1967 nach<br />

Kanada aus. 1972 ließ er sich in Vancouver<br />

nieder, wo er noch heute mit seiner Frau und<br />

zwei Kindern lebt.<br />

Während seines Studiums der Englischen<br />

Literatur begann Gibson, Science Fiction-Stories<br />

zu schreiben.<br />

In seinem 1984 erschienenen ersten Roman<br />

NEWROMANCER (den er naturgemäß auf einer<br />

Schreibmaschine schrieb – es gab noch keine PCs) erfand er den Begriff<br />

»Cyberspace« und nahm bereits viele der heute alltäglichen Phänomene wie das<br />

Internet voraus, wenn auch in weitaus drastischerer Art.<br />

Mit NEUROMANCER gewann William Gibson sämtliche bedeutenden Science<br />

Fiction-Preise, den NEBULA AWARD, den HUGO GERNSBACK AWARD, den<br />

LOCUS AWARD und den PHILIP K. DICK AWARD. Er fand aber auch weit über<br />

den Umkreis der Science Fiction hinaus höchstes Lob in der Kritik. William<br />

Gibson gilt heute gleichermaßen als Kultautor wie als moderner Klassiker. Der<br />

Vielschreiber und erklärte Nicht-Computer-Freak ohne eigene E-Mail-Adresse ist<br />

auch in Hollywood als Drehbuchautor gut im Geschäft.<br />

Hollis Henry bekommt von Hubertus Bigend einen neuen Auftrag. Gemeinsam mit einem Junkie soll sie für Blue Ant ein Underground-Label<br />

ausspionieren. Es geht um vielmehr als einzigartig geschnittene Hosen im Militarylook: Für eine Ausschreibung der amerikanischen Armee soll<br />

ein Konkurrent ausgeschaltet werden. Am besten ist es, niemandem zu trauen, vor allem nicht seinem eigenen Auftraggeber ...<br />

Es gibt wohl kaum einen Autor in unserer globalisierten Welt, der Verschwörungstheorien so spannend erzählt wie William Gibson. Mit<br />

SYSTEMNEUSTART, dem letzten Teil der Blue-Ant-Trilogie, setzt er einen furiosen Schlusspunkt unter die beiden Vorgängerromane<br />

MUSTERERKENNUNG und QUELLCODE.<br />

Ein abgetakelter Rockstar, ein undurchschaubarer Geschäftsmann und ein unsichtbares Modelabel: Sie alle sind verstrickt in ein unentwirrbares


Geflecht gegenseitiger Verdächtigungen und Intrigen, in einer Welt, in der Gut und Böse nicht zu unterscheiden sind, einer Welt, die<br />

bekanntlich von einem hochtourig laufenden Kapitalismus und einer religiös anmutenden Warenverehrung geprägt ist.<br />

Gibson versteht, wie wichtig Dinge für die Menschen sind. Er kniet sich tief hinein in unsere Gegenwart, in der jede einzelne Konsumentscheidung<br />

für uns und unsere (Twitter- oder Facebook-)Freunde, also für die Gesellschaft, irgendwas bedeutet. Wir drücken unsere Wünsche<br />

und Ambitionen durch den Erwerb von Kleidung, Fahrzeugen, Möbeln, und Multimedia-(i)Gadgets aus und bloggen fröhlich unsere Erfolge.<br />

Wie eigentlich alle seine Romane, zeichnet sich auch SYSTEMNEUSTART nicht durch einen raffinierten Plot oder die psychologische Komplexität<br />

der Figuren aus. Absolut folgerichtig! Denn »psychologische Komplexität« spielt in unserem Alltag keine Rolle; wir begegnen ihr allenfalls in der<br />

Literatur oder auf der Couch eines »angesagten« Therapeuten.<br />

In letzter Zeit kommen – in der Wirklichkeit wie im Roman – wieder vermehrt Dinge ins Spiel, die keinerlei ästhetischen Überschuss<br />

auszudrücken beanspruchen: Arbeitskleidung und Uniformen. Zur modischen Bedeutung der Blue Jeans muss man nichts mehr sagen.<br />

Armeeklamotten werden gewöhnlich in ihrer modischen Tragweite unterschätzt. Nicht aber von Gibson, dem Nerd mit der Nase eines<br />

Trendscouts. Es gibt viele junge Männer und Frauen, deren Objekt der Begierde die Armeeoriginale selbst sind, weil sie »mit ihrer Kleidung den<br />

Eindruck erwecken wollen, sie hätten besondere Fähigkeiten«. Gear-queer, nennen die Agenturleute diese spezielle Selbstdefinition über<br />

Äußerlichkeiten. Gibsons erstklassige deutsche Übersetzer, Hannes und Sara Riffel, haben dafür das schöne Wort »ausrüstungsgeil« geprägt.<br />

Ausrüstungsgeile wollen nicht nur das Richtige haben, sondern etwas Besonderes. Dinge, die für spezielle Herausforderungen gemacht sind.<br />

Zudem gibt es viele, die gegen »den Schwachsinn« der Marken sind, gegen »all das Zeug, das sich auslatscht und auseinander fällt, das<br />

einfach nicht echt ist«. Diese Leute wollen Dinge besitzen, die weder an den gegenwärtigen noch einen gewesenen Augenblick gekoppelt sind.<br />

Dinge, die weder ganz neu sind noch irgendwie retro. Dieses ultrakonservative Begehren nach Qualität geht mit einer Form von Exklusivität<br />

einher, die nicht an Geld, sondern an Wissen gekoppelt ist – eine grundlegend »spießige« Haltung, die seit Beginn der zehner Jahre den<br />

Popmainstream herausfordert. Es handelt sich dabei um eine Form der Luxusproduktion, die in bestimmter Hinsicht nicht weit weg von dem<br />

ist, was Bigends Experten im Einklang mit echten Kritikern auf den Aspekt der Ausrüstungsgeilheit reduzieren. Beiden Haltungen ist die<br />

Abneigung gegen eine Markenwelt gemein, in der das Produkt nicht Sachargumenten unterworfen wird, sondern höheren ästhetischen Werten.<br />

Was bedeutet die um sich greifende Ausrüstungsgeilheit? Ist sie Symptom eines neuen Konsumentenbewusstseins? Zeigt sich darin der<br />

Wunsch nach einer glücklichen Verbindung von Nachhaltigkeit und Funktionalismus? Oder ist es doch nur der bekannte alte Warenfetischismus<br />

in besonders raffiniertem Gewand? William Gibson, der Coolhunter unter den zeitgenössischen Romanciers, gibt als kluger Autor keine Antwort<br />

auf diese Fragen. Man muss sie selbst finden. Ich kann an dieser Stelle nur versuchen, es – mit der typischen Replik des 21. Jahrhunderts –<br />

stellvertretend für ihn zu tun: Alles ist möglich, vielleicht sogar zur selben Zeit!<br />

13<br />

»hawking«


Tom Knox: CAGOT<br />

DEUTSCHE ERSTAUSGABE<br />

(The Marks of Cain. London, HarperCollins, 2010)<br />

Aus dem Englischen von Sepp Leeb<br />

Hamburg, Hoffmann und Campe, 03/2011<br />

ISBN 978-3-455-40317-6<br />

477 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag<br />

Euro 19,99 [D]<br />

Online → Leseprobe (.pdf – 2,30 MB)<br />

14<br />

Tom Knox wurde 1963 in England geboren. Als<br />

Journalist für die Times, den Guardian sowie die<br />

Daily Mail hat er die ganze Welt bereist. 2007<br />

wurde er von der Sunday Times zum<br />

Reisejournalisten des Jahres gewählt.<br />

Sein erster Thriller, GENESIS SECRET, war ein<br />

internationaler Erfolg und erstürmte in England<br />

die Bestsellerlisten. THE MARKS OF CAIN ist sein<br />

zweiter, nicht weniger erfolgreicher Thriller.<br />

Wenn Tom Knox nicht gerade auf Reisen ist, lebt<br />

er in London.<br />

Eine Serie entsetzlicher Ritualmorde erschüttert England. Allen Morden gemeinsam ist: das hohe Alter der Opfer, deren baskische<br />

Herkunft und Deformierungen an Händen und Füßen. Journalist Simon Quinn ermittelt und wird auf einen Volksstamm aufmerksam, der<br />

wegen seiner »Andersartigkeit« von jeher verfolgt wurde – die Cagots.<br />

Quinn arbeitet als freier Journalist und wittert in der Mordserie eine ganz große Story. Seine Recherchen führen ihn in ein<br />

Genforschungsinstitut, wo er nicht nur mehr über das geschundene Volk der Cagots erfährt, sondern auch von den Untersuchungen des<br />

deutschen Arztes und Rassenhygienikers Eugen Fischer, der unter Hitler im französischen Internierungslager Gurs seine Studien machte.<br />

Zu den Gefangenen zählten neben Juden und Basken auch Angehörige des Volksstamms der Cagots. Warum gerieten die Fischer-Akten<br />

unter Verschluss, und was haben die aktuellen Morde damit zu tun?<br />

Während Quinn von London aus ermittelt, spitzen sich an einem zweiten Schauplatz – im Baskenland – die Dinge dramatisch zu.<br />

David Martinez trauert um seinen verstorbenen Großvater, der nach einem früheren Unfalltod seiner Eltern, sein letzter<br />

Familienangehöriger war. Völlig überrascht erfährt Martinez, dass ihm sein seit jeher in ärmlichen Verhältnissen lebender Großvater ein<br />

Vermögen von rund zwei Millionen Dollar hinterlassen hat. Eine einzige Bedingung ist an das Erbe geknüpft: David muss nach Spanien<br />

reisen, um dort in Lesaka einen gewissen Jose Garovillo zu treffen. Doch in Lesaka gibt es schnell Probleme, denn dieser Ort befindet sich<br />

in der Hand der baskischen ETA, dessen großes Idol jener Garovillo ist. Als sich Martinez nach diesem erkundet gerät er in eine<br />

Auseinandersetzung mit Miguel, genannt Otsoko der Wolf. Er, Jose Garovillos Sohn, gilt als der brutalste Killer der ETA und trachtet


Martinez fortan nach dem Leben, während dieser verzweifelt versucht, seine wahre Identität herauszufinden. War sein Großvater ein<br />

Baske? Mit Hilfe der jungen Amy Myerson, einer früheren Freundin von Miguel, begibt er sich auf familiäre Spurensuche und stellt dabei<br />

erschreckende Dinge fest. Eine entscheidende Spur führt ihn letztlich zu den Cagots, einer Gruppe von Ausgestoßenen, die seit langer Zeit<br />

verfolgt werden…<br />

Wer die Romane von Dan Brown und ähnlichen Vertretern dieses Genres kennt, ahnt was ihn in Tom Knox’ zweitem Roman erwartet:<br />

Schnelle, häufig wechselnde Szenarien und am Ende eines Kapitels zumeist vortrefflich gesetzte Cliffhanger, Figuren, die weitgehend<br />

farblos bleiben, und ein so beschleunigter Handlungsablauf, dass man dessen logische Lücken kaum registrieren kann.<br />

Handwerklich ist CAGOT durchaus ordentlich gemacht, zudem wurden alle Themenbereiche in ihren Grundlagen sorgfältig recherchiert.<br />

Wer sich für die Forschungen von Eugen Fischer interessiert, einem Nachfolger von Francis Galton, dem Begründer der modernen<br />

Eugenik, die letztlich die Grundlage für die Rassenlehre der Nazis und das »Rassenhygiene-Gesetz« bildete, lernt hier einige<br />

erschreckende Details kennen. Umso mehr überrascht es, dass Fischer nach Kriegsende ungestraft als Professor weiterarbeiten konnte;<br />

aber auch hierfür findet der Autor eine Erklärung.<br />

Wer an temporeicher Action gepaart mit Geschichte, Religion und Genforschung interessiert ist, darf gerne zu CAGOT greifen und den<br />

Roman als kurzweiligen Zeitvertreib genießen.<br />

Tom Knox’ Buch taugt jedoch nicht als Lektüre für unkritische Leser, denn die Schlussfolgerungen des Autors (hinsichtlich der Förderer<br />

von Miguel, um nur ein Beispiel zu nennen) sind – um es einmal sehr, sehr freundlich zu formulieren – »recht weit hergeholt«.<br />

Dies trifft in erster Linie auf seine Darstellung der Cagots und ihrer Besonderheiten zu, die weitgehend im reinen Wiederkäuen uralter<br />

Vorurteile besteht. Würde man der »Logik des Plots« folgen, wäre die Verfolgung, unter denen die Cagots seit dem 12. Jahrhundert zu<br />

leiden hatten, zumindest teilweise rational begründet. Doch dafür gibt es keinerlei historische Fakten. Offiziell erhielten die Cagots durch<br />

die Französische Revolution sämtliche Bürgerrechte. De facto wurden sie jedoch vielerorts noch lange danach diskriminiert; besonders aus<br />

der Bretagne wanderten viele von ihnen nach Amerika aus, um dort ein neues Leben zu beginnen. Wer dazu neigt, Gelesenes allzu<br />

schnell für bare Münze zu nehmen, sollte besonders diese Tatsachen im Kopf behalten.<br />

15<br />

Axel Hallsteiner


Jeff Lemire: ESSEX COUNTY Band 1: Geschichten vom Land<br />

DEUTSCHE ERSTAUSGABE<br />

(Essex County Vol. 1: Tales from the Farm.<br />

Top Shelf 2007)<br />

Übersetzung von Thomas Schützinger<br />

Wuppertal, Edition 52, 2010<br />

ISBN 978-3-935229-75-3<br />

122 Seiten, Hardcover<br />

Euro 11,00 [D]<br />

16<br />

Der kanadische Comicautor Jeff Lemire wurde 1976 auf einer kleinen Farm<br />

im Essex County (Ontario) in der Nähe des Eriesees geboren. Er besuchte<br />

eine Filmhochschule, entschied sich dann jedoch für Comics, als er<br />

realisierte, dass Filmemachen nicht so gut zu seiner eigenbrötlerischen<br />

Personalität passt. Lemire ist bekannt für seine launischen, humanistischen<br />

Geschichten und seinen skizzenhaften, filmischen Schwarzweiß-Zeichenstil.<br />

Nachdem er 2005 in Eigenverantwortung das mit dem Xeric Award<br />

ausgezeichnete Comicbuch LOST DOGS veröffentlichte, wurde er von Top<br />

Shelf Productions unter Vertrag genommen. Die ESSEX COUNTY TRILOGY,<br />

welche zwischen 2008 und 2009 erschien, war sein erstes Werk für Top Shelf<br />

und erhielt eine Eisner Award-, sowie eine Harvey Award-Nominierung.<br />

Anfang Juni 2011 wurde bekannt, dass das Comic TALES FROM THE FARM<br />

unter dem Titel Super Zero von John Dykstra verfilmt wird, wobei John Carr<br />

das Drehbuch schrieb und Steven Gilder sowie Alex Chorches als<br />

Produzenten fungieren.<br />

Aktuell lebt Jeff Lemire in Toronto, Kanada. Er ist verheiratet und hat einen<br />

Sohn.<br />

Waisenkinder gibt es auf der ganzen Welt, doch in den nur wenig besiedelten Weiten Kanadas hat ein kleiner Junge wohl nicht von<br />

ungefähr das Gefühl, sehr allein und einsam zu sein. Für Lester, der seit dem Tod seiner Mutter bei seinem alleinstehenden Onkel Ken<br />

lebt, gibt es außer dem Füttern der Hühner und der Schule nur seine Superheldenträume, an denen er sich festklammert. Verspottet von<br />

seinen Mitschülern und belächelt von seinem Onkel findet er nur bei dem ehemaligen Eishockeyspieler Lester so etwas wie Verständnis.<br />

Gemeinsam sitzen sie in den Sommermonaten am Bach und lassen ihrer Phantasie freien Lauf: Sie sind die letzte Bastion der Menschen<br />

gegen die Alien-Invasion …<br />

Jeff Lemire erzählt Lesters Geschichte mit einer einfühlsamen Lakonie, die der Landschaft entsprungen scheint, in der sie spielt. Dort, im<br />

südlichsten Zipfel Kanadas, ist selbst die Großstadt nicht groß und die Gegend von Feldern und einsam dazwischen verstreuten Farmen<br />

geprägt. Abwechslung bietet nur das abendliche Fernsehprogramm und die wenigen Fahrten zur Tankstelle, die gleichzeitig auch<br />

Gemischtwarenladen und Supermarkt und Kiosk sein muss. Lesters Liebe zu den Superhelden-Comics wird durch die bodenständige<br />

Nüchternheit seines Onkels auf eine harte Probe gestellt – doch den beiden gelingt schließlich etwas, dass die meisten Superhelden nicht<br />

schaffen würden: sie springen über ihren Schatten.


17<br />

Als Lester sein Superhelden-Kostüm ablegt, tut er dies aus freien Stücken und im<br />

Bewusstsein, dass er nicht ganz so einsam und allein ist, wie befürchtet.<br />

Lemire arbeitet seine Bilder sehr dynamisch und mit kräftigen Pinselstrichen in Tusche. Die<br />

starken Kontraste wirken auf den ersten Blick wenig detailfreudig, doch findet man schnell<br />

heraus, dass Lemire ein Meister seines Fachs ist. Figuren, Handlungsräume, Landschaften<br />

haben einen sehr hohen Wiedererkennungsgrad, Jahreszeiten sind auf den ersten Blick<br />

erkennbar, selbst Gefühle entdeckt das Auge des Betrachters ohne Mühe – ein Stil, der<br />

eingängig ist und sich als für Lemire typisch erweist.<br />

GESCHICHTEN VOM LAND ist der überzeugende erste Teil einer Graphic-Novel-Trilogie, auf<br />

deren weitere Bände man sich erwartungsvoll freuen darf.<br />

Regnier Le Dyckt


Jonathan Lethem: CHRONIC CITY<br />

DEUTSCHE ERSTAUSGABE<br />

(Chronic City. New York, Doubleday, 2009)<br />

Aus dem Amerikanischen von Johann Christoph Maass<br />

und Michael Zöllner<br />

Stuttgart, Klett-Cotta, 02/2011<br />

ISBN 978-3-608-50107-0<br />

491 Seiten, Hardcover mit Lesebändchen<br />

Euro 24,95 [D]<br />

Online → Leseprobe (.pdf – 471 kb)<br />

18<br />

In den USA gehört der 1964 im New Yorker<br />

Stadtteil Brooklyn geborene Jonathan Lethem<br />

spätestens seit dem - für den Roman<br />

MOTHERLESS BROOKLYN (1999) - Gewinn des<br />

»National Book Critics Circle Award« zur<br />

Kategorie der neuen jungen Autoren (wie<br />

Jonathan Franzen oder Jeffrey Eugenides), die<br />

man unbedingt gelesen haben muss. Damit<br />

gelang es ihm endgültig, aus der SF-Genre-Ecke<br />

auszubrechen, in die man ihn seit seinem 1994<br />

erschienenen Erstling GUN, WITH OCCASIONAL<br />

MUSIC gesteckt hatte.<br />

Seinem Roman THE FORTRESS OF SOLITUDE<br />

(2003; deutsche Ausgabe unter dem Titel DIE<br />

FESTUNG DER EINSAMKEIT, 2004) verlieh die<br />

New York Times gleich nach der Veröffentlichung<br />

das Prädikat »best novel of the year«.<br />

Lethems intensive Beschäftigung mit allem, was im kulturellen Leben der<br />

USA geschieht, findet ihren Ausfluss in der Veröffentlichung vielbeachteter<br />

Anthologien, von Buch- und Filmrezensionen und lesenswerter Zeitungsartikel.<br />

2005 erschien eine erste Sammlung von Essays unter dem Titel<br />

THE DISSAPOINTMENT ARTIST bei Doubleday.<br />

Sein jüngster in deutscher Sprache vorliegender Roman ist CHRONIC CITY,<br />

sein siebter Roman, der in der Originalausgabe bereits 2009 erschienen.<br />

Chase Insteadman, ein ehemaliger Kinderstar, ist fester Bestandteil der New Yorker High Society. Sein soziales Ansehen verdankt er einem<br />

Unglück, das in der Klatschpresse für Furore sorgt: Seine Verlobte Janice Trumbull schwebt manövrierunfähig im Weltraum, von wo sie ihm<br />

herzzerreißende Liebesbriefe schreibt.<br />

Auch Chase treibt haltlos durch seinen Alltag, bis er den schielenden Kulturkritiker Perkus Tooth kennen lernt. Zwischen Migräneanfällen und<br />

durchkifften Nächten scheint Tooth als Einziger durch die glitzernde Oberfläche auf die Realität zu blicken.<br />

Gemeinsam versuchen sie das Rätsel um einen Tiger, die Nebelschwaden über der Wall Street und den Schokoladengeruch in Manhattan zu<br />

lösen.<br />

Dabei entdecken sie auf der Insel, auf der alles käuflich ist, etwas äußerst Seltenes: die Wahrheit.


In seinem neuen großen New-York-Roman nach »Die Festung der Einsamkeit« und »Motherless Brooklyn« erzählt Jonathan Lethem in seinen<br />

eigenen, so zarten wie klaren, so zauberhaften wie präzisen Worten, Bildern und Gestalten von nichts anderem als von der Wirklichkeit unsere<br />

Tage, da alle nach dem richtigen Leben suchen und immer das falsche finden.<br />

Lethem zeichnet ein New York, das es so nicht gibt und das wir doch alle zu kennen glauben. Die Stadt wird regiert von einem<br />

milliardenschweren Bürgermeister, eine Mischung aus Rudolph Giuliani und Michael Bloomberg. Manhattan wird nicht nur von einem angeblich<br />

entlaufenen Tiger unsicher gemacht, bei dem es sich indes auch um einen außer Kontrolle geratenen Tunnelbohrer handeln könnte, der<br />

unversehens Löcher in die Stadtlandschaft reißt. Ein postmoderner Künstler überzieht die Metropole zudem mit bedeutungsschwangeren<br />

Kratern und Fjorden, die das Unterste nach oben kehren. Erste Risse in der Oberfläche zeigen sich. Was jedoch im vornehmsten Viertel, der<br />

Upper East Side, symbolisch gesprochen, zutage befördert wird, ist letztendlich erschreckender als alles, was im Untergrund schlummert.<br />

Chase, der sich in diesen noblen Kreisen bewegt, fehlt dafür aber der Durchblick. Der von Migräne geplagte Perkus dagegen durchschaut den<br />

ganzen Schwindel, die Scheinheiligkeit von Politik und Presse, die Geistlosigkeit der Schickeria. Obgleich er dabei ist, den Bezug zur Realität zu<br />

verlieren, nimmt er Chase unter seine Fittiche, während der versucht, ein wenig Ordnung in Perkus' verkrachte Existenz zu bringen.<br />

Gemeinsam erliegen sie derweil der Faszination einer geheimnisvollen Art Keramik, die eine bewusstseinserweiternde Erfahrung in sich birgt.<br />

Wenn sie sich schließlich als Trugbild entpuppt, hat Lethems irrlichternder Plot die Grenze zwischen Schein und Sein bereits mehrmals<br />

überquert. »Du bist der perfekte Avatar für die Virtualität der Stadt«, sagt Perkus zu Chase, womit die Verhältnisse endgültig auf den Kopf<br />

gestellt werden, da zuvor noch ein Obdachloser mit online gefertigten Schätzen in einem künstlichen Universum echte Dollars verdiente.<br />

Mit dieser Persiflage der virtuellen Welt Second Life ist Jonathan Lethem allerdings etwas spät dran. Längst muss man sagen: Die<br />

augenzwinkernde Reflektion der Wechselwirkungen zwischen Realität und Fiktion in der Postmoderne ist inzwischen ein alter Hut.<br />

Doch davon unverdrossen und auf seltsame Weise zeitlos zeichnet Jonathan Lethem ein eindrucksvolles Porträt eines dekadenten Manhattans,<br />

dessen Einwohner in Medienmanipulationen und politischen Betrügereien gefangen sind und hat damit einen großen Gesellschaftsroman über<br />

die eisige Welt des Geldes und des schönen Scheins, der Dinnerpartys und der Charity-Events geschaffen.<br />

Anhand der sich mählich entwickelnden Freundschaft von Chase und Perkus, die im Zentrum dieses mitreißenden und vielschichtigen Romans<br />

steht, zeigt Lethem, wie man den Boden unter den Füßen verliert, um anschließend wieder Tritt zu fassen. Er führt vor, wie man trotz all der<br />

popkulturellen Referenzen, die er stilsicher in das Geschehen verwebt, klaren Kopf bewahrt, und wie zumindest Chase das richtige Leben im<br />

falschen erkennt, obwohl sein Dasein dem rührseligen Drehbuch eines bekifften Ghostwriters zu entspringen scheint. Ihm auf der Suche nach<br />

Wahrheit durch ein verzweigtes Labyrinth aus Lügen, Intrigen und medialen Manipulationen zu folgen ist eine ungemein spannende Lektüre.<br />

19<br />

Axel Hallsteiner


Andrej Longo: SARAHS MÖRDER<br />

DEUTSCHE ERSTAUSGABE<br />

(Chi ha ucciso Sarah? Rom, Adelphi, 2009)<br />

Aus dem Italienischen von Constanze Neumann<br />

Frankfurt am Main, Eichborn, 04/2011<br />

ISBN 978-3-426-28356-1<br />

191 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag<br />

Euro 14,99 [D]<br />

Online-Leseprobe des Verlags<br />

20<br />

Andrej Longo wuchs in Neapel auf und arbeitete dort viele Jahre als<br />

Bademeister, Surflehrer, Pizzabäcker. Hat für das Radio und das Theater<br />

gearbeitet. Seit einigen Jahren ist er »nur« noch Schriftsteller, ein<br />

erfolgreicher Drehbuchautor in Rom, doch sein Lebensthema bleibt Neapel.<br />

ZEHN, der 2010 erschienene Erzählband, ist sein erstes ins Deutsche<br />

übersetzte Buch.<br />

Sein aktueller Roman SARAHS MÖRDER ist in Italien bereits ein Bestseller.<br />

Gewinner des Premio Vittorini 2008, Premio Bagutta 2008, Premio Bergamo<br />

2008, Premio Cala di Volpe 2008 und Premio Chiara 2008. Nominiert für<br />

den Premio Comisso, Premio Alassio und Premio Bancarella.<br />

Andrej Long lebt abwechselnd in Rom, Neapel und auf der Insel Ischia, die<br />

mit dem Schnellboot von Neapel aus in einer halben Stunde zu erreichen ist<br />

und in SARAHS MÖRDER eine Minirolle spielt.<br />

Acanfora, ein naiver junger Polizist, findet in einem vornehmen Stadtviertel Neapels eine Leiche: ein Mädchen, so alt wie er selbst, mit<br />

einer Wunde auf der Stirn und nackten Füßen. Bislang war er leidenschaftslos und angepasst, wollte vor allem wenig Aufsehen erregen,<br />

doch dieses Ereignis reißt ihn aus seiner Lethargie: Acanfora verbeißt sich in den Fall, er legt sich mit den Etablierten und Wohlhabenden<br />

an, er erkennt, wie sehr alles um ihn herum von kriminellen Strukturen beherrscht wird. Und am Ende, als sich die überraschende Lösung<br />

offenbart, ist für ihn nichts mehr, wie es war.<br />

Wie in seinem preisgekrönten Erzählungsband ZEHN erzählt Andrej Longo auch in SARAHS MÖRDER von den Bewohnern einer Stadt, in<br />

der das Verbrechen regiert. Wer ZEHN gelesen hat, zehn Geschichten aus seiner Heimatstadt Neapel, erzählt entlang der zehn Gebote,<br />

wird sich sicherlich ohne zu zögern auf diesen Roman stürzen. Andrej Longo Sprache kommt aus dem Herzen der kleinen Leute. Und geht<br />

mühelos ins Herz derer, die seine Geschichten lesen.<br />

Die Geschichte, die Longo in SARAHS MÖRDER erzählt, ist die eines Kriminalfalls, aber ihr Zentrum ist nicht die Jagd nach einem Mörder.<br />

Im Vordergrund stehen die Menschen, die in diesem Moloch Neapel leben, die kleinen Leute. Longo kommt direkt zur Sache, erzählt<br />

temporeich und schnörkellos, reißt den Leser gleich in den Mordfall hinein. Im typisch schnoddrigen, auch mal recht rüden Polizei-Jargon


tritt der 20-jährige, noch etwas naive Beamte Acanfora als Ich-Erzähler auf. Ein Polizist, der seine Stelle durch Beziehungen erhalten hat,<br />

der nachts nach langer Schicht ins Hotel Mama kommt, denn eine eigene Wohnung kann er sich von seinem Polizistenlohn nicht leisten.<br />

Das Leben eines Polizisten in Neapel ist vom Wegschauen geprägt. Drei Jungs auf einem Mofa? Wen kümmert's? Die illegalen<br />

Kioskbetreiber? Sie werden in Ruhe gelassen. Im Gegenzug muss kein Polizist dort bezahlen. Das Motto lautet: Leben und leben lassen.<br />

Der Tod des jungen Mädchens bewirkt in Acanfora eine Veränderung. Er zeigt Eigeninitiative. Anstatt sich um den Schreibkram im Büro zu<br />

kümmern, bittet er den Commissario darum, Aufgaben im Außendienst zu übernehmen. Dieses Engagement fällt auf, und das Verhältnis<br />

zu seinem Chef verändert sich langsam. Santagata ist anders als die restlichen Polizisten. Es ist etwas in seiner Vergangenheit. Keine<br />

unproblematische Vergangenheit, aber eine Vergangenheit, die er bewältigt hat. Er ist als rechtschaffener, integrer Mensch daraus<br />

hervorgegangen, der keine Vorteile in Anspruch nehmen will. Wenn ihm ein Straßenpolizist anbietet, einen Strafzettel wegen falschen<br />

Parkens zu vernichten, so verzichtet Santagata darauf. Ein vorbildliches Verhalten, das auf den jungen Acanfora abfärbt - wie sich am<br />

Ende des Buches zeigen wird. In der Person des Commissario vereinigen sich Abgeklärtheit, Pflichtbewusstsein, Integrität. Ein Hoffnungsschimmer<br />

in einer ansonsten hoffnungslosen Stadt?<br />

Auf der anderen Seite zeigt der Autor am Beispiel des Anwalts, dass es nicht ausreicht, wenn man sich auf seiner Vergangenheit ausruht,<br />

die Gegenwart aber ignoriert. Der polierte Orden in dem Glaskasten auf der Kommode zeugt nur von vergangenen Taten. Zwei Kinder hat<br />

er vor den Nazis gerettet. Im Hier und Heute hat er jedoch versagt.<br />

Andrej Longo beschreibt nicht nur akribisch die Recherchen der Polizisten, vor allem anderen handelt dieses Buch von den Menschen in<br />

Neapel. Denen in den besseren Viertel, und denen die nichts haben. Es handelt vom Wegschauen, vom Nicht-Sehen-Wollen. Es handelt<br />

auch von Vorurteilen und einem Verhalten, das auf Vorurteilen basiert. Bemerkenswert ist dabei, dass man nie das Gefühl hat, der Autor<br />

verurteilt dieses Verhalten. Er beschreibt es, liebevoll fast, auf jeden Fall verständnisvoll. Und er zeigt auf, dass es auch andere Seiten<br />

gibt. Menschen, die durch ihre Taten Hoffnung versprechen.<br />

In wenigen, brütend heißen Hochsommertagen entfaltet sich die Geschichte eines Erwachens – und ein atmosphärisch dichter<br />

Kriminalroman, der zugleich eine Hommage an Neapel ist. Dass als Auflösung des Kriminalfalls letztendlich ein überraschendes Ergebnis<br />

präsentiert wird, passt zu einer Geschichte, die Milieustudie, Entwicklungsroman und vor allem eines ist: eine Gesellschaftskritik.<br />

21<br />

Bernhardt D’Alemagne


Klaus Modick: SUNSET<br />

ORIGINALAUSGABE<br />

Frankfurt am Main, Eichborn, 02/2011<br />

ISBN 978-3-608-50208-4<br />

191 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag<br />

Euro 19,95 [D]<br />

Online-Leseprobe des Verlags<br />

22<br />

Klaus Modick, 1951 in Oldenburg geboren, lebt<br />

nach längeren Aufenthalten, u. a. in Hamburg<br />

und im niedersächsischen Wiefelstede, wieder in<br />

seiner Heimatstadt. Modick studierte Germanistik,<br />

Kunstgeschichte, Philosophie und Geschichte, ist<br />

ausgebildeter Gymnasiallehrer und arbeitete<br />

nebenbei als Werbetexter. 1984 veröffentlichte<br />

Modick seine erste Novelle MOOS und ist<br />

seitdem als freier Schriftsteller und Kolumnist -<br />

u.a. für die TAZ - tätig. Modick übernimmt<br />

zudem Lehraufträge - u.a. unterrichtet er in den<br />

USA kreatives Schreiben - und arbeitet als<br />

Übersetzer. 1994 wurde er mit dem Bettinavon-Arnim-Preis<br />

ausgezeichnet. Neben vielen anderen Auszeichnungen und<br />

Ehrungen wurde ihm auch der Nicolas-Born-Preis verliehen.<br />

Bis heute verfasste Klaus Modick zahlreiche Romane, Essays, Novellen und<br />

Gedichte, darunter Werke wie DER FLÜGEL (1994), DAS KLIFF (1995), DER<br />

MANN IM MAST (1997), BESTSELLER (2000) DER KRETISCHE GAST (2003)<br />

oder das Kinderbuch WO DIE SONNE SCHLAFEN GEHT (2000).<br />

Er lebt mit seiner Frau und seinen zwei Töchtern in Oldenburg.<br />

Weltberühmt und wohlhabend, aber argwöhnisch beschattet von den Chargen der McCarthy-Ära, lebt Lion Feuchtwanger 1956 noch<br />

immer im kalifornischen Exil – der letzte der großen deutschen Emigranten.<br />

Als ihn an einem Augustmorgen die Nachricht vom plötzlichen Tod Bertolt Brechts erreicht, ist er tief erschüttert. Er hatte Brechts Genie<br />

entdeckt, hatte ihn gefördert, war ihm eng verbunden gewesen. In stummer Zwiesprache mit dem toten Freund ruft Feuchtwanger die<br />

Stationen dieser Freundschaft wach, ihren Beginn im München der Räterepublik, die literarischen Triumphe der Zwanzigerjahre, die Flucht<br />

und das Leben im Exil.<br />

Aus seinen Erinnerungen kristallisieren sich zugleich die Antriebsfedern des eigenen literarischen Schaffens heraus: die Trauer um die als<br />

Säugling verstorbene Tochter, seine Schuldgefühle und sein Ehrgeiz, die Traumata seiner Kindheit – und schließlich die Liebe und die<br />

Vergänglichkeit. Am Ende des Tages, als die Sonne im Stillen Ozean versinkt, ist der alte Feuchtwanger sich seiner Stärken und<br />

Schwächen hell bewusst und hat eine Bilanz des eigenen Lebens gezogen.


1980 promovierte Klaus Modick mit einer Arbeit über Lion Feuchtwanger zum Dr. phil in Literaturwissenschaft. Nun hat er einen Roman<br />

über ihn geschrieben: SUNSET lautet der vieldeutige Titel: »Sonnenuntergang« aber auch »Lebensabend«.<br />

Am Ende des Romans ist Lion Feuchtwanger tot, gestorben an Krebs. Der jüdische Autor, der vor den Nazis erst nach Südfrankreich und<br />

dann in die USA fliehen musste, hat es nicht mehr zurück nach Deutschland geschafft, ein Exilantenschicksal wie viele andere und doch<br />

ein besonderes – eines, das ein Buch verdient.<br />

SUNSET ist eine Hommage an den klugen, gebildeten Schriftsteller, der unbeirrt an seinen ebenso umfangreichen wie erfolgreichen<br />

Werken weiterarbeitete, den Nazis genauso zum Trotz wie dem Gesinnungsterror der McCarthy-Ära in den USA.<br />

Das Thema ist nicht neu: Michael Lentz beispielsweise hat den deutschen Schriftstellern in Kalifornien seinen dicken Roman PAZIFIK EXIL<br />

gewidmet. Lion Feuchtwanger ist dort eine der wichtigsten Figuren.<br />

Aber Klaus Modick behandelt das Thema ungleich eleganter, erzählt die Geschichte konzentrierter und überzeugender. Modick stellt<br />

Feuchtwangers lange Freundschaft zu Bertolt Brecht in den Mittelpunkt, den Feuchtwanger unterstützte, seit er den jungen, wilden und<br />

damals noch unbekannten Dichter und Dramatiker in München kennen gelernt hatte. Er nimmt das Telegramm, mit dem der<br />

Kulturminister der DDR Johannes R. Becher Feuchtwanger zu Brechts Beerdigung bat, als Ausgangspunkt, die Geschichte der beiden so<br />

unterschiedlichen Schriftsteller Revue passieren zu lassen, die sich im Exil wieder begegnen. Er beschreibt ihre Beziehung mit viel Humor:<br />

Feuchtwanger wird bei ihm zum väterlichen Mentor, der Brecht auch mal den Kopf wäscht, wenn der es mit seinen Frauengeschichten<br />

übertreibt oder ihn ins Bordell einlädt, um ihn auf andere Gedanken zu bringen. Brecht, in den USA chronisch erfolglos, erscheint als<br />

übellauniger Egomane, der sich oft Geld leiht, es aber selten zurückzahlt und aus jedem Einfall ein Drehbuch machen möchte. Nicht jedes<br />

Detail, nicht jeder Dialog ist authentisch, aber Modick orientiert sich an den Fakten – und an Feuchtwangers Werken.<br />

In einem der letzten Kapitel verabschiedet sich Brecht von Feuchtwanger. Am nächsten Tag soll Feuchtwanger nach Washington reisen,<br />

um sich den Befragungen zu stellen, bei denen McCarthy und dessen Gefolgschaft alle Jene öffentlich vorführten, die »unamerikanischer<br />

Umtriebe« verdächtigt wurden. Brecht hatte da längst beschlossen, die USA zu verlassen. Feuchtwanger blieb – bis zu seinem Tod am 21.<br />

Dezember 1958. Am 22. Dezember 1958 bekam seine Frau Martha die Nachricht über ihre Einbürgerung. Lion Feuchtwanger war ein<br />

Heimatloser geblieben, der keinem Land so recht gehörte, nur der Welt der Literatur.<br />

Klaus Modick hat darüber ein eindrucksvolles Buch geschrieben, eines, das den Lesern keine Mühen abverlangt und sie en passant noch<br />

einiges lernen lässt über Brecht und Feuchtwanger, über Literatur und das Exil der Literaten im Zweiten Weltkrieg.<br />

23<br />

»hawking«


Hannu Rajaniemi: QUANTUM<br />

DEUTSCHE ERSTAUSGABE<br />

(The Quantum Thief. 2010)<br />

München/Zürich, Piper, 03/2011<br />

ISBN 978-3-492-70193-8<br />

432 Seiten, Klappenbroschur<br />

Euro 16,95 [D]<br />

Online → Leseprobe (.pdf – 213 kb)<br />

24<br />

Hannu Rajaniemi, geboren am 9. März 1978<br />

Ylivieska, studierte Mathematik an den<br />

Universitäten von Oulu und Cambridge und<br />

Mathematische Physik an der Universität<br />

Edinburgh. Er promovierte zum Thema Stringtheorie.<br />

Der Finne lebt, lehrt und arbeitet seit vielen<br />

Jahren in Edinburgh und hat dort seine<br />

Erzählkunst in Schreibwerkstätten erworben,<br />

gemeinsam mit den Autoren Hal Duncan und<br />

Alan Campbell.<br />

Der Science-Fiction-Roman QUANTUM ist sein<br />

überwältigendes Debüt.<br />

»Gefängnisse sind doch immer gleich.«<br />

Wer könnte dies besser wissen, als Jean le Flambeur, seines Zeichens der beste Dieb des Sonnensystems. Sehr zu seinem Missfallen<br />

wurde er jedoch erwischt und in ein Dilemma-Gefängnis der Archonten mitten im Nichts des Weltraums gesteckt: Eine ausgeklügelte<br />

Manipulationsmaschinerie, aus der kein Ausbruch möglich ist. Wieder und wieder wird der Proband in moralische Dilemmata verwickelt,<br />

deren Lösung entweder sehr schmerzhafte Folgen (falsche Entscheidung) oder Verbesserungen in der Zellenausstattung (richtige<br />

Entscheidung) nach sich zieht. Wie nicht anders zu erwarten, befindet sich Jean in einer äußerst kargen Zelle.<br />

Bevor er jedoch zum millionsten Mal getötet und wieder zusammengesetzt wird, geschieht das Unmögliche: Jean le Flambeur wird befreit.<br />

Im Auftrag einer KI-Wesenheit hat sich die Söldnerin Mieli ins Gefängnis eingeschleust. Gemeinsam gelingt ihnen die Flucht. Aber<br />

natürlich wurde Flambeur nicht befreit weil er so ein Charmebolzen ist – wenngleich ihm diese Eigenschaft doch immer sehr nützt –,<br />

sondern weil er etwas stehlen soll. Der Meisterdieb muss diesmal ganz tief in seine Trickkiste greifen – und dabei tritt er einigen<br />

gottähnlichen Wesen gehörig auf die Zehen …


Hannu Rajaniemi geht bei seinem Erstling mit sehr viel Begeisterung in die Offensive: Flotte Sprache, schnelle Szenenwechsel, viel Action,<br />

viel Gefühl, jede Menge Techno-Zukunft (oder auch Zukunftstechnologie) wie intelligente Raumschiffe, Nanomaschinen, bewegliche<br />

Marsstädte und Persönlichkeitskopien per Datenupload.<br />

QUANTUM ist ein beschwingter, manchmal sogar swingender Entwurf einer Zukunft, in welcher der Mensch nur noch eine (und bei<br />

weitem nicht die klügste) von vielen Intelligenzformen im Sonnensystem darstellt. Allerdings geben sich Rajaniemis<br />

Computerprogramme, Künstliche Intelligenzen, Software-Gottheiten sowie Biosynth- und Computron-Hardware alle Mühe, möglichst<br />

menschliche Schwächen zu zeigen. Die Aufmerksamkeit des Lesers wird halt immer noch eher von Hass, Liebe und Abenteuer gefesselt,<br />

als von noch so faszinierender Mathematik.<br />

Man merkt QUANTUM zwar noch an, dass Rajaniemi mit den klassischen SF-Titeln und (nach seiner eigenen Aussage) vor allem mit<br />

Maurice Leblancs Gentlemen-Dieb Arsène Lupin vertraut ist – aber das sind ja keine schlechten Vorbilder für den Start einer<br />

Schriftstellerkarriere.<br />

Als Auftakt einer Trilogie geplant, kann QUANTUM auch als Einzelroman bestehen. In dieses Buch sollte man unbedingt mal die Nase<br />

reinstecken.<br />

25<br />

Horst Illmer


Tore Renberg: UND ZUM FRÜHSTÜCK HELLER SIRUP<br />

DEUTSCHE ERSTAUSGABE<br />

(Charlotte Isabel Hansen. Oslo, Forlaget Oktober, 2008)<br />

Aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs<br />

München, Deutscher Taschenbuchverlag, 06/2011<br />

ISBN 978-3-608-93914-9<br />

367 Seiten, Breitklappenbroschur<br />

Euro 14,90 [D]<br />

Online → Leseprobe (.pdf – 187 kb)<br />

26<br />

Tore Renberg, 1972 in Stavanger geboren,<br />

debütierte als Autor bereits 1995 mit einem<br />

Erzählband und gewann dafür gleich einen<br />

Literaturpreis.<br />

Seither hat er mehrere preisgekrönte Romane<br />

geschrieben, die durch ihre Sprachgewalt und<br />

ihre ungewöhnliche Themenwahl jeweils für gewaltigen<br />

Wirbel in der Öffentlichkeit sorgten.<br />

Er veröffentlicht in verschiedenen Genres: Romane,<br />

Kinderbücher, Theaterstücke und Filmdrehbücher.<br />

Renberg, der heute in Norwegen zu den meistgelesenen<br />

Autoren gehört, moderiert eine eigene<br />

Sendung im norwegischen Fernsehen, in der er<br />

Literatur präsentiert, eine Art nordisches<br />

»Literarisches Quartett«.<br />

Foto: © Dag Knudsen<br />

»Was, bitte, soll die Welt mit noch einem Kind? Braucht sie wirklich noch ein kleines blondes Wesen, das sich fragt, wie weit der Mond<br />

weg ist, und das sich sein armes Köpfchen darüber zerbricht, ob Blumen weinen können und wer im Herbst die Blätter von den Bäumen<br />

pflückt?«<br />

Vier Wochen vor dem stillsten Tag des Jahres findet der Literaturstudent Jarle Klepp, 25, eine polizeiliche Vorladung im Briefkasten und<br />

fällt aus allen Wolken. Was legt man ihm zur Last? Hausfriedensbruch? Erregung öffentlichen Ärgernisses beim Beischlaf mit Herdis<br />

Snertamo im Park?<br />

Nein, weit schlimmer: Er ist angeblich Vater eines kleinen Kindes. Aber wer zum Teufel war Anette Hansen? Sollte er ein Kind mit einem<br />

Menschen haben, den er gar nicht kennt? Ein Kind, das jetzt bald – sieben Jahre alt ist?<br />

Und was um alles in der Welt soll ein Mädchen von fast sieben Jahren mit Jarle Klepp als Vater?<br />

Unmöglich ... doch nun bittet ihn die Polizei um eine Blutprobe. Die bringt schließlich die Wahrheit ans Licht: Jarle ist der biologische Vater<br />

des Kindes und das schon seit sieben Jahren.


Wenig später erhält Jarle Post von der Mutter, die ihm mitteilt, dass sie für eine Woche ins Ausland reisen muss. Er soll sich also eine<br />

Woche um Charlotte Isabel kümmern. Für so etwas hat er nun wirklich keine Zeit. Das Schlimmste aber: Charlotte Isabel Hansen ist<br />

bereits auf dem Weg zu ihm!<br />

Plötzlich muss Jarle, der sich sonst mit hoher Geisteswissenschaft beschäftigt, in die Kinderwelt einer Siebenjährigen eintauchen. Eine<br />

ganze Woche lang Gelegenheit für Jarle, endlich seinen Mann (sprich Vater) zu stehen.<br />

Und irgendwie nimmt ihn dieses kleine, zierlich blonde Mädchen gefangen. Immer mehr gefällt ihm seine Papa-Rolle und er kramt dabei<br />

Erinnerungen aus seiner eigenen Kindheit hervor ...<br />

Obwohl Tore Renberg in Norwegen zu den meistgelesenen Autoren gehört, ist UND ZUM FRÜHSTÜCK HELLER SIRUP erst der zweite<br />

seiner Romane, der in deutscher Übersetzung vorliegt. UND ZUM FRÜHSTÜCK HELLER SIRUP ist ein Buch voller Humor, Rhythmus,<br />

originellen Charakteren und einer eigenwilligen Bildlichkeit, das in Norwegen bereits verfilmt wurde.<br />

In seinem Heimatland ist dem vielfach ausgezeichneten Autor ein sehr guter Ruf zu eigen – ein Ruf wie Donnerhall.<br />

Ähnliches gilt für Dr. Gabriele Haefs. Sie studierte in Bonn und Hamburg Sprachwissenschaft. Seit 25 Jahren übersetzt sie u.a. aus dem<br />

Dänischen, Englischen, Niederländischen und Walisischen. Sie wurde dafür u.a. mit dem Gustav-Heinemann-Friedenspreis und dem<br />

Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet, zuletzt 2008 mit dem Sonderpreis für ihr übersetzerisches Gesamtwerk.<br />

An ihren Fähigkeiten als Übersetzerin gibt es nicht den leisesten Zweifel. Und doch habe ich es nur selten so sehr bedauert, dass ich nicht<br />

die Originalfassung lesen konnte. Denn obwohl eine Vater/Tochter-Geschichte erzählt wird – und das aus auktorialer Sicht und auf eine<br />

eigentlich unverwechselbare Art – hatte sich nach den ersten Kapiteln durch den literarischen Stil die Vorstellung in meinem Kopf<br />

festgesetzt, dass dies das Werk einer Autorin sein muss.<br />

Dieser ironische Blick auf die Männerwelt, diese süffisanten Beschreibungen des Literaturbetriebs und, und, und … – kann ein Mann mit<br />

soviel Selbstironie schreiben ohne zynisch zu sein? Irgendein Mann wahrscheinlich nicht – Tore Renberg schon!<br />

Das schon sehr harsche Zitat am Anfang ist wie die falsche Spur in einem Kriminalroman. Man folgt ihr ... und entdeckt nicht das<br />

Erwartete, sondern etwas völlig anderes. Wer Renbergs Roman liest, wird auf vieles stoßen, das sich zu Entdecken lohnt: Unter anderem<br />

auf eine Zartheit, die berührt und einen Tiefgang, der nachdenklich stimmt.<br />

UND ZUM FRÜHSTÜCK HELLER SIRUP ist einfach wunderbar erzählt und uneingeschränkt empfehlenswert!<br />

27<br />

Annegret Wegener


Alastair Reynolds: UNENDLICHE STADT<br />

DEUTSCHE ERSTAUSGABE<br />

(Terminal World. London, Gollancz, 03/2010)<br />

Aus dem Englischen von Usch Kiausch<br />

München, Heyne, 03/2011<br />

ISBN 978-3-453-52767-6<br />

816 Seiten, broschiert<br />

Euro 9,99 [D]<br />

Online → Leseprobe (.pdf – 170 kb)<br />

28<br />

Alastair Reynolds wurde am 1. April 1966 im<br />

walisischen Barry geboren.<br />

Er wuchs in Cornwall auf und studierte später<br />

Astronomie in Newcastle und St. Andrews.<br />

1991 zog er in die Niederlande, wo er als<br />

Astrophysiker für die Europäische Raumfahrt-<br />

Agentur ESA arbeitete und seine französische<br />

Frau Josette traf.<br />

Mit seinem Roman-Erstling UNENDLICHKEIT<br />

(Revelation Space. 2000) gelang ihm auf Anhieb<br />

der Sprung in die Beststellerlisten.<br />

2004 machte sich Reynolds dank des großen<br />

Erfolges seiner Romane als Schriftsteller selbständig. 2008 kehrte Alastair<br />

Reynolds nach Wales zurück und lebt nun mit seiner Frau in Glamorgan in<br />

der Nähe von Cardiff.<br />

Bis 2008 sind im Revelation Space-Zyklus die Bände CHASM CITY, DIE<br />

ARCHE, OFFENBARUNG und AURORA erschienen.<br />

Außerhalb des Revelation Space-Zyklus sind von Alastair Reynolds in<br />

deutscher Sprache die Romane HIMMELSSTURZ (Originaltitel: Pushing Ice.<br />

2007), EWIGKEIT (Originaltitel: Century Rain. 2008), DAS HAUS DER<br />

SONNEN (Originaltitel: House of Suns. 2009) und UNENDLICHE STADT<br />

erschienen.<br />

Wie wir alle aus den aktuellen TV-Serien wissen, ist die Position eines Autopsie-Arztes eine der Schlüsselstellungen der modernen<br />

Zivilisation. So nimmt es denn auch nicht Wunder, dass sich Doktor Quillon in Neon Heights genau diesen Job ausgesucht hat. Schließlich<br />

ist er ein genveränderter Engel, der die Menschen in diesem speziellen Stadtteil von Spearpoint ausspähen soll.<br />

Was hier noch etwas konfus klingt, entwickelt sich in UNENDLICHE STADT, Alastair Reynolds neuestem Roman, schnell und unkompliziert<br />

zu einer spannenden Science-Fiction-Geschichte mit jeder Menge Anknüpfungspunkten zur Schauerliteratur, zu Religion, Krimi, Western<br />

und Horrorstory. Angelpunkt und unübersehbares Zentrum des Romans ist die Megastadt Spearpoint, angelegt als vertikale Metropole,<br />

die von der Basis bis zu ihrer Spitze in den »Himmlischen Höhen« bewohnt ist.<br />

Aufgrund besonderer Umstände (ferne Zukunft, einzige Stadt der Erde, sich verändernde »Zonen«, in denen nur angepasste Lebewesen<br />

überleben können) hat sich in den ringförmig um die Basis angelegten Stadtteilen jeweils eine eigenständige Zivilisation entwickelt. So<br />

verfügt man bei den Engeln, die natürlich ganz oben »wohnen«, über eine extrem weit entwickelte Hochtechnologie, die jedoch in den


tieferen Zonen nicht mehr funktionsfähig ist. In Neon Heights befindet man sich technisch etwa auf der Stufe des 20. Jahrhunderts,<br />

während sich die Menschen am Fuße der Stadt mit den primitiven Gerätschaften des frühen 19. Jahrhunderts am Leben erhalten müssen.<br />

Für die jeweiligen Bewohner dieser Zonen ist es zudem praktisch unmöglich, in tieferen oder höheren Regionen Spearpoints dauerhaft zu<br />

überleben.<br />

Als Dr. Quillon den Leichnam eines abgestürzten Engels zur Autopsie erhält, beginnen bei ihm alle Alarmglocken zu läuten. Erschaffen, um<br />

die niedrigeren Regionen zu infiltrieren, hat er sich inzwischen in Neon Heights etabliert, jeden Kontakt zu seinen Auftraggebern<br />

abgebrochen und den Versuch unternommen, ein »normales« Leben zu führen. Das Auftauchen des Engels sagt ihm jedoch, dass es<br />

nötig ist, für einige Zeit aus Spearpoint zu verschwinden.<br />

Geführt von der Söldnerin Meroka begibt sich Quillon auf den gefährlichen Weg nach unten und hinaus aus der Stadt. Bereits auf ihrer<br />

ersten Etappe zeigt sich jedoch, dass Quillons Ex-Auftraggeber nicht gewillt sind, ihn einfach ziehen zu lassen …<br />

Reynolds erzählt die Geschichte von Quillons Reise, die ihn nach unzähligen Abenteuern im Umland von Spearpoint doch nur wieder nach<br />

Neon Heights führt, mit einer bewusst angelegten Ruhe und Ausführlichkeit, die stark an die umfangreichen Großstadtromane eines<br />

Charles Dickens oder Eugene Sue erinnern. (Ich hätte das Buch hier auch mit dem bei modernen High-Fantasy-Romanen üblichen Stil der<br />

ausführlichen Personen- und Reisebeschreibungen vergleichen können, aber Dickens klingt einfach besser und kam mir bei der Lektüre<br />

auch eher in den Sinn.)<br />

Die Vielzahl an handelnden Personen und die sehr differenziert geschilderten Milieus, in die es Quillon und Meroka verschlägt, ergeben<br />

einen bunten Erzählreigen, für den die über 800 Seiten fast noch zu wenig sind, und so wird es wohl kaum jemanden wirklich<br />

verwundern, dass am Ende von UNENDLICHE STADT noch ein paar Rätsel ungelöst sind und neue Abenteuer darauf warten, bestanden<br />

zu werden.<br />

Herrlich altmodische Unterhaltung, die sich abseits hält von modischen Hektik und Kürze – ein idealer Ferienschmöker für den<br />

herannahenden Sommer mit seinen endlosen Strandtagen (ebenso wie für die unweigerlich folgenden langen und dunklen<br />

Winterabende).<br />

29<br />

Regnier Le Dyckt


Karen Rose: TODESSTOSS<br />

DEUTSCHE ERSTAUSGABE<br />

(I Can See You.<br />

New York, Grand Central/Hachette, 2009)<br />

Aus dem Amerikanischen von Kerstin Winter<br />

München, Knaur, 05/2011<br />

ISBN 978-3-426-66357-8<br />

636 Seiten, Breitklappenbroschur<br />

Euro 14,99 [D]<br />

Zusätzliches Bonusmaterial:<br />

Interview mit Karen Rose<br />

Bibliografie Karen Rose bei Knaur<br />

Online → Leseprobe (.pdf – 722 kb)<br />

30<br />

Karen Rose, aufgewachsen in Washington, D.<br />

C., studierte an der Universität von Maryland<br />

und arbeitete viele Jahre als Lebensmittelingenieurin,<br />

bevor sie ihr Hobby Schreiben<br />

äußerst erfolgreich zum Beruf machte. Ihre<br />

Romane sind preisgekrönt und internationale<br />

Topseller.<br />

Wenn Karen Rose nicht gerade Thriller schreibt<br />

oder auf Weltreise ist, lebt sie mit ihrem Mann<br />

und ihren zwei Töchtern in Florida.<br />

Foto: ©Brian Friedman/b-freed.com<br />

Eve Wilson hat die Hölle auf Erden erlebt. Nach einem Mordanschlag ist sie für immer gezeichnet. Dennoch versucht sie, sich eine neue<br />

Existenz aufzubauen: Sie studiert Psychologie und ist Leiterin eines Forschungsprojekts. Als sechs ihrer Testpersonen auf grausame Weise ums<br />

Leben kommen, hat Eve ein schockierendes Déjà-vu. Steht sie erneut auf der Liste eines psychopathischen Killers?<br />

Ein Fall für Detective Noah Webster, der die schöne und verletzliche Eve um jeden Preis schützen will …<br />

In der Redaktionskonferenz sagte ich: »Hat schon jemand den neuen Karen Rose vorgestellt? Sonst mach’ ich das jetzt.«<br />

Die Antwort war ein würgendes Geräusch und ein genuscheltes »Spiegel-Bestsellerliste, Platz 1!«<br />

»Wie bitte? Soll das heißen, dass ich TODESSTOSS nicht vorstellen darf, weil es ein ›Selbstläufer‹ ist?«<br />

»Nein, das soll heißen, dass Du, verdammt noch mal, erklären sollst, warum das so erfolgreich ist!«<br />

Yes, Ma’am’! Um dem Befehl Folge leisten zu können, muss ich erst einmal klarstellen, was mit »das« gemeint ist, nämlich »Romantic<br />

Suspence Novels«. Eigentlich ist recht einfach zu erklären, warum dieses Genre so erfolgreich ist: Wegen der ROMANTIK! (Man mu s das<br />

einfach groß schreiben, ganz groß!)<br />

Liebesromane und Spannungsromane, im Aufbau eigentlich völlig konträre Literaturformen, haben sich in der Romantic Suspence-Literatur zu<br />

einer einzigartigen Mischung verschmolzen, die besonders bei jungen Erwachsenen, jungen und älteren Frauen und verheirateten Frauen sehr<br />

beliebt ist. Im Gegensatz zu typischen Liebesromanen haben Romantic Suspence-Romane nicht unbedingt ein Happy End, tatsächlich<br />

erscheinen sie oft in Serie ohne offensichtliches Ende. Einige Werke der Romantic Suspence Fantasy hat einer meiner Kollegen einmal recht


uncharmant als »Hausfrauen-Pornos« bezeichnet. Das hört sich zwar nicht sehr nett an, trifft den Kern der Sache jedoch ziemlich genau. Bei<br />

den Lady Thrillern, der Mischung aus Liebes- und Kriminalroman ist es prinzipiell das Gleiche, jedoch weniger offensichtlich. Ihr zentrales<br />

Thema ist die Liebe in Ausnahmesituationen – und wenigstens eine heiße Sexszene gehört unbedingt dazu!<br />

Das Genre Noir, speziell der Hardboiled-Krimi, zeigt den Helden oder die Heldin meist als eine Person, die von Liebesdingen die Nase voll hat.<br />

Zuviel emotionale Verletzung hat sich angestaut; nun schirmt sie ein dicker Panzer vor Versuchung ab. Rational erklärt sie ihre Liebesangst mit<br />

der Notwendigkeit beruflicher Objektivität und der eigenen Lebensweise, die meist so chaotisch ist, dass sie keine Beziehung in ihr zulassen<br />

kann. Als Liebesersatz dienen Drogen oder der unbedingte Wille zur Karriere. Karen Rose ist mit ihren Lady Thrillern so erfolgreich, weil sie sich<br />

nicht gänzlich von diesen Elementen trennt. Noah ist trockener Alkoholiker. Eve ist nicht irgendeine, auf die er im Laufe von Ermittlungen trifft;<br />

er kennt sie schon seit einem Jahr, da Eve in einer einschlägigen Polizisten-Kneipe in Minneapolis hinterm Tresen steht. Der Strang Eve & Noah<br />

trägt das Buch TODESSTOSS auf der Unterfütterung durch einen Serienmörder, der natürlich irgendwann auch Eve ins Visier nimmt und die<br />

komplette Mordkommission blamieren will. TODESSTOSS ist in zweifacher Hinsicht etwas sehr Familiäres zu eigen. Zum einen bedient die<br />

Autorin ihre Stammleser mit immer wiederkehrenden Figuren aus vorangegangenen Büchern. Zum anderen kennen sich in ihrem Plot von<br />

vornherein alle Cops untereinander, bis in ihre Familien hinein, und betrachten die Kneipe, in der Eve arbeitet, als zweites Wohnzimmer. Man<br />

schätzt sich, kümmert sich, kritisiert sich gelegentlich, doch das alles in großer Harmonie. Als Gegenpol soll der Serienmörder dienen, doch<br />

Karen Rose schreibt hier oberflächlich, fast unkonzentriert; seine Morde sollen ideenreich und grausam wirken, bleiben aber eine wenig<br />

spannende Auflistung. Sie sind in nur jeweils etwa dreiseitiger Länge in den Strang um das angehende Liebespaar eingepasst – und das ist kein<br />

Zufall! Denn die »Ladies«, die von diesem Thriller angesprochen werden, schätzen es gar nicht, wenn ein Roman seine Spannung aus brutalen<br />

Gewalt- oder Ekelszenen bezieht. Die Faustregel lautet: Je größer der Abstand zum Geschehen, desto angenehmer der Nervenkitzel!<br />

So bleibt nur eine Dramatik, die durch die Komprimierung der Ausgangslage forciert wird, Schicksale von der Größe eines Monstertrucks. Eve<br />

war bereits vor Jahren Opfer einer Gewalttat. Sie kämpft immer noch mit den körperlichen und seelischen Auswirkungen, unter anderem mit<br />

einer entstellenden Narbe im Gesicht. Cop Noah verlor bei einem Autounfall Ehefrau und Kind. Beide lassen sich seit Jahren auf keine<br />

Liebesbeziehung ein. Ganz geschickt geht Karen Rose den Tanz der zwei umeinander rum an, mit den konzentrischen Kreisen, die immer<br />

enger werden. Sal, der Ex-Cop, der die Kneipe leitet, ist eine weitere tolle Figur; ein Motor, jemand der andere bei ihren Entscheidungsfindungen<br />

in die »richtige« Richtung schubst.<br />

Zudem findet sich in TODESSTOSS ein weiteres Standard-Krimi-Element: Der Mörder sucht die Opfer in einer Virtuellen Realität, die an das<br />

reale Second Life angelehnt ist. Abgedroschen – und doch hat das Ganze seinen Reiz! Denn Karen Rose beherrscht den Spagat zwischen<br />

Liebes- und Spannungsroman wie kaum eine andere. Und genau darauf kommt es beim Lady Thriller an: Auf diese Beweglichkeit und die<br />

Kraft, sich exakt an der Grenze zwischen Unmöglichem und Realem, zwischen Übertreibung und Glaubhaftem zu halten.<br />

Bea Falk<br />

31


Seth: CLYDE FANS<br />

DEUTSCHE ERSTAUSGABE<br />

(CLYDE FANS. 2004)<br />

Amerikanischen von Andreas Kötter<br />

Wuppertal, Edition 52, 2004<br />

ISBN 3-935229-29-1<br />

160 Seiten, zweifarbig, Klappenbroschur<br />

Euro 20,00 [D]<br />

32<br />

Seth ist der Künstlername von Gregory Gallant,<br />

geboren am 16. September 1962 in Clinton,<br />

einer Kleinstadt in South-Ontario, Kanada. Hier<br />

lebt auch die bekannte kanadische<br />

Schriftstellerin Alice Munro. Jedem, der die<br />

ruhigen Städte und Orte liebt, die den<br />

Hintergrund von Seths Geschichten bilden,<br />

würden auch die Geschichten von Alice Munro<br />

gefallen. Beide sind sensible Beobachter, die tief<br />

bewegt sind von den vergessenen Details des<br />

alltäglichen Lebens.<br />

Wenn man Seths Arbeiten betrachtet, ist es<br />

hilfreich seine Einflüsse zu kennen. In seiner<br />

Kindheit war er ein Fan von den »Peanuts« und Jack Kirbys »Eternals«, in<br />

den frühen 80ern besuchte Seth das Ontario College of Art in Toronto.<br />

In seiner Schulzeit entdeckte er das Werk von Robert Crumb, Edward<br />

Gorey, den Hernandez Brüdern, Herge, Yves Chaland, John Stanley und<br />

den coolen, trockenen Witz der New Yorker Cartoonisten der 50/60er-Jahre<br />

wie Whitney Darrow Jr., Cobean, Syd Hoff, Charles Adams und Peter Arno.<br />

Diese sehr unterschiedlichen Inspirationsquellen haben ihn stark geprägt<br />

und er hat aus ihnen seinen ganz eigenen, unverkennbaren Illustrationsstil<br />

der letzten Jahrzehnte entwickelt, der auch bei Zeitungen und Zeitschriften<br />

wie der Washington Post, Spin, The New York Times und The New Yorker<br />

sehr viel Anklang findet.<br />

Eines seiner jüngsten und bekanntesten Illustrationsprojekte ist die<br />

künstlerische Gestaltung von CD und Webseite von der Singer/Songwriterin<br />

Aimee Mann – Kunst, die CNN als sehnsüchtig bezeichnete und von der<br />

Aimee Mann selbst sagt, dass sie den gleichen melancholischen Touch hat<br />

wie ihre Lieder.<br />

Seth gilt als einer der großen Cartoonisten der letzten Jahrzehnte und er ist<br />

beinah synonym zu Stil und Empfindsamkeit der Drawn & Quarterly Books.<br />

D&Q veröffentlichte 1991 »Palooka-Ville« #1, 1996 seinen Roman »It‘s a<br />

good life, if you don‘t weaken«, seine aktuellen Serie »Clyde Fans« und, so<br />

oft ihm dies sein voller Terminkalender erlaubt, Ausgaben von »Palooka-<br />

Ville«.<br />

Seth lebt in Guelph, Ontario mit drei Katzen, einer riesigen Sammlung alter<br />

Schallplatten, Comicheften, Kanada-Memorabilia des 20. Jahrhunderts und<br />

einer in der Tat sehr geduldigen Ehefrau.


Hin und wieder gibt es zwischen all den Katastrophenmeldungen doch auch Erfreuliches zu entdecken: zum Beispiel, dass Shaun Tan<br />

einen OSCAR für THE LOST THING gewonnen hat – oder, dass es von Seth in der Edition 52 eine weitere Graphic Novel zu entdecken gibt<br />

(und das schon seit 2004, shame on me!).<br />

Der für deutsche Leser etwas ungewöhnliche Titel CLYDE FANS bezieht sich auf einen Hersteller von Ventilatoren (»Fans«), eines in<br />

amerikanischen und kanadischen Haushalten und Büros sehr gebräuchlichen Gegenstandes. Diese Geräte an den Mann, beziehungsweise<br />

an den Einzelhändler zu bringen, war und ist die Aufgabe reisender Handelsvertreter. (Wer jetzt das berühmte Stück »Tod eines<br />

Handlungsreisenden« von Arthur Miller vor dem inneren Auge hat, liegt schon ganz richtig.)<br />

In CLYDE FANS erzählt Seth die melancholische Geschichte zweier ungleicher Brüder, deren Schicksal mit der Firma »Clyde Fans« aufs<br />

Innigste verbunden ist. Während im ersten Teil, der 1997 spielt, der ältere Bruder Abraham Matchcard über Aufstieg und Fall des<br />

mittelständischen Unternehmens und seine eigenen, damit einhergehenden, beruflichen und privaten Erfolge und Rückschläge sinniert,<br />

erlebt der Leser im zweiten Teil das grandios vorgeführte tragische Scheitern von Simon Matchcard mit, der 1957 in die kanadische<br />

Provinz reist, um sich als Vertreter zu bewähren.<br />

In beiden Teilen bleibt Seth mit seinen Bildern ganz nah am jeweiligen Protagonisten. Er begleitet die Brüder bei ihren alltäglichen<br />

Verrichtungen und den wenig aufregenden Begegnungen, die ihnen widerfahren, blendet nur ganz kurz auf die Landschaft oder die<br />

Straßen und Häuser, in denen seine Figuren agieren. Das eigentliche Drama findet in den Sprechblasen statt – und in der Körpersprache,<br />

die Seth mit seinem an der Ligne Claire geschulten Strich präzise abbildet.<br />

In CLYDE FANS nimmt Seth Anlauf, er »sortiert« seine Möglichkeiten, testet Blickwinkel und Erzähltechniken, thematisiert persönliche<br />

»Ticks« seiner Figuren und macht erste (gelungene) Probesprünge über die Hürden der erzählerischen Konventionen, bevor er im Jahr<br />

darauf mit WIMBLEDON GREEN sein bisheriges Meisterwerk vorlegt.<br />

So ist CLYDE FANS beides, eine gelungene Versuchsanordnung – und eine stimmungsvolle, kleine und traurige Geschichte aus der<br />

Vergangenheit des zukunftsfroh-optimistischen 20. Jahrhunderts.<br />

33<br />

Horst Illmer


A.K. Shevchenko: EIN FATALES ERBE<br />

DEUTSCHE ERSTAUSGABE<br />

(Bequest. London, Headline, 2010)<br />

Aus dem Englischen von Sabine Hübner<br />

Hamburg, Hoffmann und Campe, 03/2011<br />

ISBN 978-3-455-40307-7<br />

346 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag<br />

Euro 19,99 [D]<br />

Online → Leseprobe (.pdf – 1,15 MB)<br />

34<br />

Anna Shevchenko, aufgewachsen in der Ukraine,<br />

studierte Sprachwissenschaften an den Universitäten<br />

von Kiew und Cambridge. Sie spricht sieben<br />

Sprachen. Nach ihrem Studium begann sie als<br />

Übersetzerin, Beraterin und Unterhändlerin zu<br />

arbeiten. Shevchenko ist für hochrangige politische<br />

Anlässe und Organisationen tätig und leitet eine<br />

Agentur für interkulturelle Mediationsberatung. Ein<br />

fatales Erbe ist ihr erster Roman. Im März dieses<br />

Jahres erhielt sie den Hosking Trust Prize für Writers<br />

in Residence.<br />

EIN FATALES ERBE ist ein Roman, der teilweise auf wahren Begebenheiten basiert. Es geht laut Guinness-Buch der Weltrekorde<br />

um das wohl zweitgrößte noch nicht eingeforderte Erbe auf der ganzen Welt. Und da bleibt Platz für Geheimnisse, Intrigen und<br />

sinistre Kontakte bis in die ganz hohe Politik. Die Legende vom Kosakengold, das einst dem Zaren Peter der Grosse gehörte und<br />

durch den Kosaken Pawlo Polubotko gestohlen wurde, ist in der Ukraine zum nationalen Traum geworden.<br />

Die weibliche Hauptrolle in diesem Buch besetzt Kate, eine Londoner Anwältin, die auf Erbrecht spezialisiert ist. Sie wird durch den<br />

Ukrainer Andreji beauftragt, ihm bei der Suche und Interpretation eines alten Testaments zu helfen. Bei den geheimen Unterlagen,<br />

die er ihr zu lesen gibt, wird Kate bald klar um was es geht: um das legendäre Kosakengold.<br />

Da sie selbst ukrainische Wurzeln hat, lässt ihr die Sache keine Ruhe und schon steckt sie mitten drin. Zusammen reisen sie nach<br />

Argentinien um das besagte Testament zu holen. Kaum wieder in London, wird Andreji umgebracht. Kate schwört angesichts der<br />

Ermordung ihres Freundes, die Hintergründe zu untersuchen. Sein Tod muss mit ihrer gemeinsamen Suche verknüpft sein. Kate,<br />

ausgestattet mit dem Testament, den Dokumenten und all dem Wissen, das ihr Andreji weitergeben hat, ist nun auf sich allein<br />

gestellt und ahnt nicht, dass sie keineswegs die Einzige ist, die das brisante Rätsel um Europas Vergangenheit und Zukunft<br />

aufdecken will ...


Die männliche Hauptrolle spielt Taras Petrenko, ein ukrainischer Historiker und Soldat, der nach dem Wehrdienst zum FSB<br />

(Inlandsgeheimdienst der Russischen Föderation) rekrutiert wurde. Aber statt in der Spionage tätig zu sein, hat man ihn in ein<br />

Archiv gesteckt. Dort muss er alte Akten durchsehen und beurteilen, ob sie für die Öffentlichkeit freigeben werden können oder als<br />

geheim abgelegt werden müssen.<br />

Als Petrenko bei seinen Recherchen auf die Akte N1247 stößt, ist ihm die Reichweite seines Fundes zunächst nicht bewusst.<br />

Obwohl drei entscheidende Dokumente fehlen, erkennt er aber schnell, dass der über 200 Jahre alte Fall das Potenzial birgt,<br />

Europas Machtgefüge in seinen Grundfesten zu erschüttern und die bisher gekannte Ordnung zu zerstören. Die Akten scheinen<br />

den Raub des legendären Goldschatzes von Zar Peter dem Großen durch den Kosaken Polubotok zu belegen.<br />

Auf der Suche nach Beweisen trifft Petrenko auf Kate und der Wettlauf beginnt: Wer von ihnen kann zuerst das Geheimnis um das<br />

Zarengold lösen?<br />

Um das Wichtigste zuerst zu nennen: EIN FATALES ERBE ein sehr gutes, überaus spannendes Buch!<br />

Es ist aber auch ein Roman, der seinen Lesern einiges an Konzentration abverlangt. Praktisch jedes Kapitel ist in einer anderen<br />

Zeit und an einem anderen Ort angesiedelt – und nicht in chronologischer Reihenfolge. Da der geschilderte Zeitraum rund 250<br />

Jahre umfasst, muss man schon ein bisschen aufpassen, um nicht den Anschluss zu verlieren.<br />

Anna Shevchenkos Debütroman ist von der ersten bis zur letzten Seite fesselnd. Das Ende bringt dann nochmals einen<br />

unerwarteten Höhepunkt mit sich. Handwerklich ist EIN FATALES ERBE wirklich gekonnt gemacht: Präzise recherchiert,<br />

fantasievoll ausgeschmückt, stilistisch einwandfrei (wobei hier das Lob auch der Übersetzerin Sabine Hübner gilt) präsentiert es<br />

einen geschickt aufgebauten Erzählbogen, der durch die Parallelen zwischen den Kapiteln mit wechselnden Protagonisten immer<br />

wieder neu gespannt wird.<br />

EIN FATALES ERBE ist ideales Lesefutter für alle, die spannende Krimis und Thriller mögen. Man muss nicht unbedingt ein Fan von<br />

Spionagethrillern sein, um diesen Roman mit Lust zu goutieren. Die Geschichte schneidet zwar das Thema des russischen<br />

Spionageapparats immer wieder an, geht dabei nicht ins Detail. EIN FATALES ERBE ist ein echter »page turner«, ein Buch, bei<br />

dem man nicht nur dran bleiben muss, um nicht Faden zu verlieren, sondern es auch wirklich will, weil einen die Neugier vorwärts<br />

treibt. Spannend gestrickter, sehr unterhaltsamer Thriller. Was könnte man sich Besseres wünschen?<br />

35<br />

Robert Veitlehner


Roger Smith: STAUBIGE HÖLLE<br />

DEUTSCHE ERSTAUSGABE<br />

(Dust Devils. 2010)<br />

Aus dem Englischen von Jürgen Bürger<br />

und Peter Torberg<br />

Stuttgart, Tropen, 2011<br />

ISBN 978-3-608-50210-7<br />

331 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag<br />

Euro 19,95 [D]<br />

Online → Leseprobe (.pdf – 158 kb)<br />

36<br />

Roger Smith, 1960 in Johannesburg geboren,<br />

ist Drehbuchautor, Regisseur und Produzent.<br />

Während der südafrikanischen Apartheidjahre<br />

hat er das erste hautfarbenübergreifende Filmkollektiv<br />

gegründet. Daraus ist eine Reihe von<br />

wichtigen, international erfolgreichen Protestfilmen<br />

hervorgegangen.<br />

2009 erschien sein Debütroman MIXED BLOOD<br />

auch in deutscher Fassung unter dem Titel<br />

KAP DER FINSTERNIS.<br />

2010 folgten die Ethnothriller WAKE UP DEAD<br />

(dt. BLUTIGES ERWACHEN. 2010) und DUST<br />

DEVILS (dt. STAUBIGE HÖLLE. 2011).<br />

Smith lebt in Kapstadt.<br />

Robert Dell ist auf der Flucht. Seine Frau und Kinder sind auf grausame Weise umgebracht worden, er selbst steht plötzlich unter<br />

Mordverdacht. Dells einziger Verbündeter ist sein verhasster Vater, ein ehemaliger CIA-Killer und überzeugter Rassist, der gerade<br />

aus dem Gefängnis entlassen ist.<br />

Auf einem blutigen Roadtrip, der sie tief ins Landesinnere führt, machen Dell und sein Vater Jagd auf den wirklichen Mörder – und<br />

decken dabei eine Verschwörung auf, die bis in die höchsten Regierungskreise reicht. Immer weiter eskalieren Gewalt und<br />

Vergeltung, denn im Zeitalter der Post-Apartheid scheint ein Menschenleben nicht mehr viel wert zu sein.<br />

Wer KAP DER FINSTERNIS oder BLUTIGES ERWACHEN gelesen hat, weiß schon ungefähr, was ihn in STAUBIGE HÖLLE erwartet:<br />

Ein Bild Südafrikas, das so gar nichts mit der Postkartenidylle zu tun hat, als die sich das Land vergangenes Jahr bei der Fußball-<br />

WM präsentierte. Smiths Südafrika basiert viel mehr auf Fakten wie diesen: Alle zehn Minuten wird eine Frau vergewaltigt, jeden<br />

Tag sterben 50 Menschen bei Gewaltverbrechen, jeder Vierte hat Aids. Und das Land wird von einem Mann regiert, der behauptet,<br />

dass man sich durch Duschen vor Ansteckung schützen kann.<br />

Auch Zulu-Warlord Inja Mazibuko, der monströse Killer aus diesem Roman, glaubt nicht an die Errungenschaften der<br />

Schulmedizin: Er will eine Jungfrau heiraten, weil er überzeugt davon ist, dass der Sex in der Hochzeitsnacht ihn von Aids heilen<br />

wird. Seine Auserwählte ist die junge Zulu Sunday. Sie soll mit ihm zwangsverheiratet werden. Dass Inja ihre ganze Familie


ermordet hat ist kein Hindernis – es macht die Sache nur noch leichter. Vor der Hochzeit hat Inja aber noch jede Menge<br />

Drecksarbeit für seinen Boss, den südafrikanischen Finanzminister, zu erledigen. Und so kreuzen sich seine Wege mit denen von<br />

Robert Dell, arbeitsloser Journalist und bis dahin überzeugter Pazifist. Dells Frau weiß zu viel über Injas Machenschaften. Also<br />

bringt dieser sie und ihre beiden Kinder kurzerhand um. Auch Dell soll sterben, doch bekommt er unerwartet Hilfe von seinem<br />

Vater, einem todkranken früheren CIA-Agenten. Gemeinsam machen sich die beiden auf die Jagd nach Inja. Am Ende des blutigen<br />

Rachefeldzugs gibt es nur Verlierer.<br />

In STAUBIGE HÖLLE verlassen die Protagonisten Kapstadt und nehmen die Leser mit auf eine Reise durch Südafrika. Doch Smith<br />

verzichtet auf ausgiebige Naturbilder. Statt dessen thematisiert er erneut Gewalt, Drogen, den geringen Wert von Menschenleben.<br />

Er bietet in STAUBIGE HÖLLE jedoch auch einen Blick auf andere Probleme Afrikas im Allgemeinen und Südafrikas im Besonderen:<br />

Zwangsheirat, Polygamie, HIV/AIDS, Folter und Zustände in Gefängnissen. Die Leser erhalten zudem spannende Einblicke in ein<br />

Afrika der Magie, der abergläubischen Überzeugungen und der Ahnenkulte. Hier gelingt dem Autor eine hervorragende Verwebung<br />

von Magie und Realität, die überzeugend und authentisch wirkt.<br />

Auch in seinem dritten Buch geht es um Mord, um Flucht und um Rache – und Smith erzählt seine Geschichte in harter, direkter<br />

und wenig beschönigender Sprache. Ihm geht es darum, eine überschaubare Anzahl von – meist kriminellen – Figuren möglichst<br />

schnörkellos einem Showdown zuzuführen. Dabei setzt er auf Reduktion: kurze Sätze, keine umständlichen Erklärungen, so wenig<br />

Adjektive wie möglich. Dieser Stil geht nicht nur unter die Haut, er trifft direkt in Herz und Verstand.<br />

»Man muss Roger Smith bewundern für die Ökonomie seiner Narration und die Unerbittlichkeit seines Blicks. Bei aller Brutalität,<br />

die er schildert, bei all den Morden, Vergewaltigungen und Folterszenen, bleibt seine Erzählstimme kühl und sachlich, fast<br />

distanziert. Nicht, als ob ihn das alles nichts angehe. Sondern als ob er es anders nicht ertragen könnte« schrieb Marcus<br />

Müntefering in seiner Rezension des Romans in der Kultursparte von SPIEGEL-Online vom 1.6.2011. Genau diesen Eindruck hatte<br />

ich bei der Lektüre auch. Wie Roger Smith’ frühere Romane ist auch STAUBIGE HÖLLE ein Buch, das man nicht »lieben« kann.<br />

Wer am liebsten optimistische Romane mit Happy End liest, Gewalt verabscheut und den zum Teil brutalen Alltag in den Provinzen<br />

Südafrikas als Lesestoff nicht besonders anziehend findet, wird es schon nach den ersten Seiten angeekelt zur Seite legen.<br />

Wer allerdings starke Nerven hat, den Blick nicht vor der Realität verschließt und sich bereits das ein oder andere Mal mit den<br />

Themen AIDS, Korruption und blutigen Stammesfehden in Südafrika auseinandergesetzt hat, wird Roger Smith für diesen Roman<br />

bewundern – und mit ihm leiden.<br />

37<br />

Sebastièn Auclaire-Meier


Michael Stanley: KUBU UND DER TOTE IN DER WÜSTE<br />

Michael Stanley: KUBU UND DER ZWEITE TOD VON GOODLUCK TINUBU<br />

DEUTSCHE ERSTAUSGABE<br />

(A Carrion Death. 2008).<br />

Aus dem südafrikanischen Englisch von Stefanie Schäfer<br />

Frankfurt am Main, Eichborn, 02/2010<br />

ISBN 978-3-8218-6109-8<br />

533 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag<br />

Euro 21,95 [D]<br />

Online → Leseprobe (.pdf – 44,2 kb)<br />

DEUTSCHE ERSTAUSGABE<br />

(The Second Death of Goodluck Tinubu. 2009)<br />

Aus dem südafrikanischen Englisch von Stefanie Schäfer<br />

Frankfurt am Main, Eichborn, 05/2011<br />

ISBN 978-3-8218-6123-4<br />

479 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag<br />

Euro 21,95 [D]<br />

Online → Leseprobe (.pdf – 52,8 kb)<br />

38<br />

Michael Stanley ist das Pseudonym<br />

von Michael Sears und Stanley Trollip<br />

(beide geboren 1947), zwei<br />

südafrikanischen Professoren im<br />

Ruhestand, die seit vielen Jahren eine<br />

Liebe zu Afrika, seinen Völkern, seiner<br />

Natur und seinen Kulturen teilen.<br />

Michael Sears ist Mathematiker, hat<br />

aber auch für eine Diamantenmine<br />

gearbeitet. Er lebt in Johannesburg.<br />

Stanley Trollip ist Lernpsychologe und<br />

lebt in Minneapolis und Südafrika. Foto: © Aron Frankental<br />

Gemeinsam haben sie zahlreiche Safaris in Botswana und Simbabwe<br />

unternommen - dabei entstand die Idee für Kubu und eine Krimiserie, die<br />

in Botswana spielt.<br />

Assistent Superintendent David Bengu vom Criminal Investigation Department (CID), das seinen Sitz in der Hauptstadt Gaborone hat, ist<br />

gewieft wie Columbo, ein Feinschmecker wie Pepe Carvalho und schwergewichtig wie Nero Wolfe – deshalb der Spitzname Kubu, zu Deutsch:<br />

Nilpferd. Und er ist der beste Polizist Botswanas.<br />

Den ersten Fall, bei dem die Leser ihn begleiten können, beginnt Kubu mit schlechter Laune: Weil an einem heiligen Wasserloch inmitten der<br />

Kalahari die Überreste eines Mannes gefunden wurden, muss er einen strapaziösen Ausflug in die Wüste unternehmen – was obendrein die<br />

Wahrscheinlichkeit eines guten Abendessens dramatisch senkt. Am Tatort liegt der Geruch von Aas in der Luft; von Geiern und Hyänen<br />

abgenagt, ist am Skelett nicht viel übrig geblieben, was eine Identifizierung möglich machen könnte. Erschwerend kommt hinzu, dass der<br />

Mörder, seine Spuren bestens verwischt hat. Dem Opfer wurden sämtliche Zähne ausgeschlagen und ein Arm fehlt. Abdrücke von Reifen<br />

verlieren sich in den nahe liegenden Sanddünen. Kubu steht bei seiner Ankunft vor einem Rätsel. Keiner scheint den Toten zu ke nen und<br />

niemand wird vermisst. Im Umkreis von vielen Kilometern gibt es nichts außer trostloser Einöde. Wie wurde die Leiche an diesen Ort geschafft?


Und gerade, als die Ermittlungen in Gang kommen, tauchen die nächsten Leichen auf.<br />

Von den ausgetrockneten Flussbetten der Kalahari bis hinauf in die Chefetagen eines internationalen Diamantenkonzerns folgt Kubu den<br />

blutigen Spuren eines Falles, in den einflussreiche Personen verwickelt zu sein scheinen, die auch vor Mord nicht zurückschrecken. Doch Kubu<br />

trägt seinen Spitznamen nicht umsonst: Das Nilpferd, scheinbar so gutmütig, ist eines der gefährlichsten Tiere des Kontinents ...<br />

Botswana als Handlungsschauplatz einer Krimiserie ist nicht ganz neu – wer Ethnokrimis liebt, kennt sicherlich Alexander McCalls Mma<br />

Ramotswe-Romane. Vergleiche sind allerdings unangebracht, denn Michael Sears und Stanley Trollip gehen mit ihren Romanen ganz eigene<br />

Wege. Sie präsentieren ein Afrika, das man so bislang selten kennen gelernt hat. Im Gegensatz zu den umliegenden Ländern Angola,<br />

Simbabwe oder Südafrika ist Botswana ein politisch äußerst stabiles Land. Seit es 1966 vom britischen Protektorat in die Unabhängigkeit<br />

entlassen worden ist, hat es sich, auch dank des Tourismus und der äußerst ertragreichen Diamantenminen, rasant entwickelt. Geleitet von<br />

einer friedlichen Demokratie, verfügt das Land dabei unter anderem über engagierte und effiziente Polizeikräfte, sowie ein Rechtssystem, das<br />

auf Bestrafung und Rehabilitation setzt. Für westliche Leser ein ungewohnter Aspekt, da man aufgrund der Weltnachrichten Afrika vor allem<br />

mit Chaos, Hungersnöten und rauer Wildnis verbindet. Oberflächlich betrachtet scheint es, als würde das Autorenduo eine heile Welt<br />

präsentieren; wer aber genau liest, merkt, dass sie die Probleme des Landes keineswegs verschweigen.<br />

Dass in Botswana trotz einer bereits 1980 von der Regierung gestarteten Alphabetisierungskampagne immer noch keinerlei Schulpflicht<br />

besteht, wird ebenso thematisiert, wie die Diskriminierung und die Zwangsumsiedlungen der San, wenn auf deren angestammtem Land<br />

Bodenschätze ausgebeutet werden sollen, das AIDS-Problem, das in trotz des inzwischen fast flächendeckend arbeitenden staatlichen<br />

Therapieprogramms Masa 23,9 % der erwachsenen Bevölkerung betrifft, oder das Problem der Flüchtlinge und illegalen Einwanderer aus<br />

Simbabwe, deren Zahl Ende 2008 auf fast 800.000 geschätzt wurde. Sears und Trollip stellen diese und andere Probleme des Landes jedoch<br />

nicht in den Mittelpunkt – ihre Leser erfahren davon, wenn Kubu im Zuge seiner Ermittlungen Überlegungen anstellt. So wird im ersten Fall<br />

auch der Schmuggel von Blutdiamanten aus Anglola erfrischend neu interpretiert und intelligent in den Plot eingeflochten und die Korruption in<br />

Regierung und Verwaltung aufgezeigt.<br />

Kubu selbst stammt aus ärmlichen Verhältnissen. Dank der guten Beziehungen eines Geistlichen erhielt er ein Stipendium und somit eine<br />

hervorragende Schulbildung. Bei der Polizei hat er sich schnell nach oben gearbeitet. Er singt gerne (wenn auch nicht gut) Mozartarien, diniert<br />

mit Joy (der besten Ehefrau von allen! [Verzeihung, Ephraim Kishon, für diese Anleihe!]) auf der Terrasse seines Hauses, trinkt teuren Wein<br />

und betrachtet verträumt den Sternenhimmel. Mindestens einmal in der Woche stattet er seinen Eltern einen Besuch ab, der von traditionellen<br />

Regeln und Respektsbezeugungen geprägt ist. Und immer wieder muss Kubu sich dabei eingestehen, dass er die Lebensweise seiner Eltern<br />

nicht mehr versteht – so, wie sie die seine nicht verstehen.<br />

In KUBU UND DER TOTE IN DER WÜSTE agiert Assistent Superintendent David Bengu zunächst sehr behäbig. Die Autoren lassen sich viel Zeit<br />

und Raum, ihre Hauptfigur einzuführen und dabei einen sehr genauen Blick auf die botswanische Polizeiarbeit zu werfen. Das ist sehr gut<br />

39


gelungen – aber versierte Krimileser und Shakespeare-Kenner (Jedem Kapitel ist ein Shakespeare-Zitat vorangestellt, das den Kundigen sehr<br />

eindeutige Hinweise liefert!) sind Kubu dann meist einen oder gar zwei Schritte voraus.<br />

Dass der Roman trotzdem fesselt, liegt an den großartigen Landschaftsbeschreibungen, welche den schwarzen Kontinent in seiner ganzen<br />

Schönheit projizieren. Zwischenzeitlich hat man das Gefühl, einen Bildband in Händen zu halten, derart bildreich und farbenfroh erweckt das<br />

Autorenteam die landschaftliche Vielfalt Botswanas zum Leben. Die Autoren zeigen nicht nur mit der gefälligen und guten Sprache, die sich in<br />

Stefanie Schäfers deutscher Fassung sehr schön widerspiegelt, dass sie ihr Handwerk verstehen. Besonders auf den letzten zweihundert Seiten<br />

wird das Tempo forciert, die Ereignisse überschlagen sich fast und die Auflösung wird zielgerichtet vorangetrieben.<br />

KUBU UND DER TOTE IN DER WÜSTE ist ein rundum gut gelungenes Debüt. Allerdings ist der Roman kein geeignetes Lesefutter für »Action«-<br />

Süchtige, Liebhaber knallharter Thriller oder sich stets in Eile befindende Stadtneurotiker. Der Roman erzählt auf beschauliche und intelligente<br />

Weise von einer tragischen Geschichte und stellt sehr umfassend deren Hintergrund dar. Er nimmt sich Zeit.<br />

Wer sich Zeit nimmt, ihn in Ruhe zu lesen, wird jede Minute genießen!<br />

Schauplatz im zweiten Roman, KUBU UND DER ZWEITE TOD VON GOODLUCK TINUBU, ist ein kleines, altmodisches Busch-Hotel am Linyanti,<br />

auf einer sumpfigen Halbinsel, die durch kleine Wasserläufe vom Festland getrennt ist. Eigentlich ist das Jackalberry Bush Camp ein<br />

abgeschiedenes, wildromantisches Urlaubsziel im botswanischen Chobe Nationalpark – bis ein grausamer Doppelmord Detective Joseph Mooka<br />

und später Assistent Superintendent David Bengu auf den Plan ruft. Einem Gast – Goodluck Tinubu, Lehrer aus Mochudi – wurde in seinem<br />

Zelt die Kehle durchgeschnitten. Ein weiterer Tourist, Sipho Langa, der mit einem südafrikanischen Pass unterwegs war wurde hinterrücks<br />

erschlagen. Und ein dritter Gast, Ishmael Zondo, ist urplötzlich abgereist.<br />

Die Sache scheint klar: Der dritte Mann, ein in Simbabwe gesuchter Dissident, muss der Mörder sein. Doch je mehr Kubu sich mit dem Camp<br />

und dessen Bewohnern beschäftigt, desto sicherer ist er, dass er auf eine falsche Fährte gelockt werden soll und der Kreis der Verdächtigen<br />

sehr viel größer ist. Das Ergebnis der forensischen Untersuchung bestätigt, dass dieser Fall in der Tat mysteriöser ist, als es den Anschein<br />

hatte: Tinubu ist nämlich schon einmal gestorben – dreißig Jahre zuvor im rhodesischen Bürgerkrieg …<br />

Wie Kubu hat auch sein junger Kollege Joseph Mooka einen Spitznamen: Er wird wegen seiner Größe und seines schmalen Körperbaus Tatwa<br />

(in der Landessprache Setswana das Wort für Giraffe) genannt. Kubu kennt Tatwa schon seit dessen Ausbildung; die beiden pflegen einen<br />

freundschaftlich-respektvollen Umgang.<br />

Kubus und Tatwas Untersuchungen an diesem abgelegenen Tatort werfen die Frage auf, wie ein Täter nachts zwei Menschen töten ka n, ohne<br />

dass Gäste und Mitarbeiter des Camps in ihren Zelten davon etwas mitbekommen und dann unbemerkt verschwinden, während im Dunkel der<br />

Nacht Flusspferde und andere Tiere in ihrem Revier aktiv sind.<br />

Geleitet wird das Camp von Dupie und Salome, die sich seit ihrer Kindheit kennen und im damaligen Rhodesien auf benachbarten Farmen<br />

aufgewachsen sind. Enoch, der Manager und Touristen-Guide, spielt offenbar im Team eine wichtigere Rolle als das Faktotum Dupie.<br />

40


In dem kleinen Camp sind nur wenige Gäste: Das Ehepaar Boardman, Stammgäste am Linyanti, beobachtet Vögel und handelt mit San-<br />

Antiquitäten, Boy Gomwe, ein Handlungsreisender aus Südafrika, interessiert sich auffällig wenig für Natur und Tierwelt der Gegend, die<br />

britischen Schwestern Munro, denen nur sehr zögerlich der Grund ihres Aufenthaltes zu entlocken ist, betätigen sich als Portrait-<br />

Schriftstellerinnen.<br />

Ein Hinweis auf das Motiv der Tat könnte die verkehrsgünstige Lage des Camps in einem dünn besiedelten, grenznahen Landstrich sein. Als es<br />

noch während der laufenden Ermittlungen zu einem dritten Mord kommt, fragen sich Kubu und Tatwa, ob das Motiv für die Taten in der<br />

Vergangenheit einiger Camp-Bewohner während des Unabhängigkeitskampfes in Rhodesien liegen könnte (alte Kameraden, alte<br />

Verpflichtungen). Kubu, dessen Ermittlerverstand nur funktioniert, wenn der Magen gefüllt ist, ermittelt unter schwierigen Umständen – was<br />

nichts mit seiner Verpflegung zu tun hat. Mit den Behörden im Nachbarland Simbabwe ist keine Zusammenarbeit möglich; die Kollegen aus<br />

Südafrika ermitteln längst nach Gutsherrenart, ohne die Kripo in Botswana zu informieren.<br />

Zunächst ist von den Hintergründen der Geschichte – wie von einem Krokodil im Wasser – nur sehr wenig erkennbar, ehe allmählich die<br />

vollständigen Zusammenhänge vor den Augen der Leser auftauchen. In Kubus zweitem Fall erfahren sie weitere Details aus Kubus<br />

Familienleben und können in liebenswert verfassten Szenen verfolgen, wie Kubu sein familiäres Netzwerk für seine Ermittlungen einspannt. Als<br />

charmante Nebenfiguren treten der schottische Gerichtsmediziner Ian auf, der Kubus Chef, CID-Director Jacob Mabaku, bei einem Besuch im<br />

Autopsiesaal übel mitspielt, und der Koch des Camps mit seinem zahmen Graulärmvogel Kweh, dessen Ruf ähnlich klingt wie »Go away«.<br />

Bereits der Prolog des Buches führt kurz und knapp in die Geschichte Süd-Rhodesiens ein, das sich nach einseitiger Erklärung der<br />

Unabhängigkeit von Großbritannien 1965 in Simbabwe umbenannte. Das an Bodenschätzen reiche Land ist zum Zeitpunkt der Handlung<br />

ruiniert, das Volk verarmt, viele Bürger suchen Arbeit in Südafrika und Botswana. Ich hätte es im Bezug auf die Krimihandlung geschickter<br />

gefunden, diesen Abriss als Anhang beizufügen. An den Anfang gestellt ist er ein knüppeldicker und leider unübersehbarer Hinweis auf die<br />

Lösung des Falls.<br />

Der Schauplatz abgelegenes Touristencamps auf einer schwer zu erreichenden Insel im überfluteten Marschland wirkt perfekt recherchiert und<br />

bietet den Autoren wiederum Gelegenheit, auf die Schönheit des Landes hinzuweisen. Tatwa, der sich »im Busch« hervorragend auskennt,<br />

kann sich in diesem Band bei seinem ersten großen Fall als findiger Ermittler bewähren. Der zweite, unabhängig vom ersten zu lesende<br />

Botswana-Krimi des Teams Sears & Trollip wirkt in jeder Hinsicht üppig. Viele Indizien werden präsentiert, unterschiedlichste Theorien zum<br />

Tathergang aufgestellt, sowie eine großzügige Portion Privatleben der Bengus eingeschoben. Die Autoren legen diverse Fährten aus und locken<br />

ihre Leser auf Umwege. Das mit Landkarte und Rudyard-Kipling-Zitat zu jedem Kapitel sorgfältig gestaltete Buch kann ich Liebhabern<br />

ungewöhnlicher Tatorte und liebevoll charakterisierter Protagonisten nur empfehlen. Wie schon der erste Krimi der Kubu-Reihe ist auch<br />

dieser Roman wunderbares Lesefutter für Liebhaber »altmodisch« ruhiger Kriminalromane. Zwar vergleicht man Kubu mit Columbo, Pepe<br />

Carvalho und Nero Wolfe – mir erscheint er aber eher wie ein afrikanisches Pentand zu Agatha Christies’ Hercules Poirot.<br />

Bea Falk<br />

41


Vidar Sundstøl: TRAUMLAND<br />

DEUTSCHE ERSTAUSGABE<br />

(Drømmenes Land. Oslo, Tiden Norsk, 2008)<br />

Aus dem Norwegischen von Ulrich Sonnenberg<br />

Hamburg, Hoffmann und Campe, 02/2011<br />

ISBN 978-3-455-40282-7<br />

352 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag<br />

Euro 19,95 [D]<br />

Online → Leseprobe (.pdf – 1,53 MB)<br />

42<br />

Vidar Sundstøl, geboren 1963, wuchs in der<br />

norwegischen Stadt Drangedal auf und kam erst<br />

auf Umwegen zum Schreiben. Seinen ersten Roman<br />

veröffentlichte er mit einundvierzig Jahren.<br />

Mit TRAUMLAND, seinem vierten Buch, hat er<br />

seinen ersten Kriminalroman geschrieben.<br />

DRØMMENES LAND wurde in Norwegen mit dem<br />

Riverton Prize für den besten Krimi des Jahres<br />

2008 ausgezeichnet.<br />

Nach einigen Jahren in den USA und Ägypten lebt<br />

er heute im norwegischen Kristiansand.<br />

Foto: © Paal Audestad<br />

Ranger und Polizist Lance Hansen geht arglos einem Hinweis auf Wildcamper nach und stößt auf einen jungen Mann, der, nackt und<br />

verwirrt, in einer fremden Sprache stammelt. Nicht weit davon liegt ein zweiter – übel zugerichtet und für immer mundtot.<br />

Hansen hat norwegische Wurzeln, wie so viele Bewohner am Lake Superior in Minnesota, wo sich im 19. Jahrhundert viele Einwanderer<br />

aus Skandinavien ansiedelten. Deshalb merkt er bald, dass es sich bei dem verwirrten Nackten um einen Norweger handelt. Der junge<br />

Mann, dessen Freund brutal erschlagen wurde, steht unter Schock.<br />

Und Hansen hat ein Problem: Es ist nicht nur der erste Mordfall in der Gegend, dessen Zeuge er geworden ist, er hat am Abend zuvor das<br />

Auto seines Bruders in der Nähe des Tatorts gesehen – und schweigt darüber.<br />

Statt sich dem Konflikt zu stellen, verbeißt er sich in die Frage, ob es wahr sein kann, dass es in der Gegend nie zuvor einen Mord<br />

gegeben hat. Er vergräbt sich in das historische Archiv, dessen Hüter er ist, und die Geschichte der Region und stößt am Ende doch noch<br />

auf einen weiteren Mordfall – der ein Jahrhundert zurückliegt.<br />

»Eine Klasse für sich!« So deklarierte der Kritiker der Zeitung »Dagbladet« den Bestseller aus Norwegen, der dort 2008 als bester Krimi<br />

des Jahres ausgezeichnet wurde. TRAUMLAND ist ein traumhaft gut geschriebenes Buch – und wahrhaft eine Klasse für sich, denn es ist<br />

weder ein konventioneller Kriminalroman noch ein klassischer Thriller, sondern ein spannendes Psychogramm mit offenem Ende.


Ja, Sie haben richtig verstanden: Es gibt am Ende keine Lösung – aber auch keinen Cliffhanger, der zum Lesen einer Fortsetzung zwingt.<br />

Das Buch spielt in Minnesota, am Lake Superior, dicht an der kanadischen Grenze. Die Flucht in die Vergangenheit, die Lance Hansen, der<br />

Protagonist antritt, führt ihn zurück in die Siedlungszeit, als man die Ureinwohner aus der Gegend verjagte.<br />

Der Roman wird zu etwas Besonderem, weil sein Autor nicht beim Krimistoff bleibt. Vidar Sundstøl hat selbst in Minnesota am Oberen See<br />

gelebt. Auf faszinierende und bedrückende Weise erzählt er von den zwei Wellen europäischer Besiedlung und von der Vertreibung der<br />

Ureinwohner. Erst, ab dem 17. Jahrhundert kamen französische Pelzjäger in die Region, ab 1880 dann die Norweger. Hansen, der<br />

Hobbyhistoriker, vergleicht die Siedler mit einem Schwarm Heuschrecken: »Und noch immer fressen wir dieses Land kahl.«<br />

Unter den Legenden von der friedlichen Landnahme der Norweger entdeckt er andere Geschichten. Blutige, schmutzige Geschichten,<br />

Lügen und Fälschungen.<br />

Sundstøls Protagonist ist ein schwergewichtiger Mann, 46, geschieden, freundlich und bei seinen Mitmenschen wohlgelitten. Aber er ist<br />

auch ein Einzelgänger, der wenig Kontakt mit seiner Familie hat. Seinen Bruder sieht er nur einmal im Jahr, wenn sie gemeinsam einen<br />

Jagdausflug unternehmen. Mit seiner Exfrau wechselt er gelegentlich ein paar Worte; seinen Schwiegervater hat er seit seiner Scheidung<br />

nicht mehr besucht, obwohl er ihn als guten Freund betrachtet. Nur seinen kleinen Sohn holt er regelmäßig zu sich. Mit der Aufklärung<br />

des Mordes hat Hansen eigentlich nichts zu tun, das FBI und ein Experte aus Norwegen ermitteln. Aber dass er seinen Bruder in der Nähe<br />

des Tatorts gesehen hat, stürzt ihn in einen Solidaritätskonflikt. Soll er den Ermittlern seine Beobachtung melden? Er kann sich nicht<br />

entscheiden, forscht aber auf eigene Faust – schließlich geschah das Verbrechen in seinem Revier -, und Sundstøl lässt uns teilhaben an<br />

Hansens Funden, am Hin und Her seiner Gedanken. Hat der eine Norweger den anderen erschlagen, der Freund den Freund? Waren die<br />

Paddler schwul, geschah die Tat aus Eifersucht? Hielt sich sonst irgendwer in der Gegend auf? Hansen kennt die Antwort – und er kennt<br />

seinen Bruder, erinnert sich an einen schwerwiegenden Vorfall aus ihrer Jugendzeit, in dem Homophobie eine entscheidende Rolle spielte.<br />

Nun kämpfen Wissen und Gewissen miteinander – verrät er die Familie oder seine Berufsehre?<br />

Das Buch ist unterhaltsam und spannend geschrieben, ein Buch mit großem Bogen und glaubhaften Ausflügen in die Psyche des<br />

Protagonisten. TRAUMLAND ist aber auch ein Roman mit einer seltsamen, ganz eigenen Anmut. Es hat etwas von der Leichtigkeit eines<br />

Tagtraums im hellen Sonnenlicht, wenn Sundstøl den Schauplatz und das Zusammenleben der Menschen dort schildert, und der Schwere<br />

eines Alptraums, wenn Lance Hansen mit seinem Gewissen hadert. »Das ist lediglich der Anfang, dachte er.« So lautet der letzte,<br />

programmatische Satz des Romans: Vidar Sundstøl hat die Story zu einer Trilogie ausgeweitet. Man kann TRAUMLAND als einzelnes, für<br />

sich selbst stehendes Werk lesen – aber man wird der Fortsetzung wohl kaum widerstehen können.<br />

43<br />

Bernhardt D’Alemagne


Shaun Tan: DER VOGELKÖNIG UND ANDERE SKIZZEN<br />

DEUTSCHE ERSTAUSGABE<br />

(The Bird King and other sketches. 2010)<br />

Aus dem Englischen von Eike Schönfeld<br />

Hamburg, Carlsen, 2011<br />

ISBN 978-3-551-51759-3<br />

136 Seiten, Halbleinen<br />

Euro 24,90 [D]<br />

44<br />

Shaun Tan, 1974 in Perth in Australien geboren,<br />

ist in seiner Heimat bereits hoch gerühmt und<br />

vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem New South<br />

Wales Premier's Literary Award für die Graphic<br />

Novel EIN NEUES LAND.<br />

Bei CARLSEN erschienen im August 2008 mit<br />

GESCHICHTEN AUS DER VORSTADT DES<br />

UNIVERSUMS und EIN NEUES LAND gleich zwei<br />

seiner Bücher als deutsche Erstausgaben.<br />

Für GESCHICHTEN AUS DER VORSTADT DES<br />

UNIVERSUMS wurde Shaun Tan mit dem Deutschen<br />

Jugendliteraturpreis 2009 ausgezeichnet.<br />

Im November 2009 folgte, ebenfalls bei Carlsen,<br />

mit dem Band DIE FUNDSACHE die deutsche Erstausgabe seiner im Original<br />

bereits im Jahres 2000 erschienenen Graphic Novel THE LOST THING.<br />

Während ich hier im sonnigen Frankenland sitze und diese Buchbesprechung in die Tasten klopfe,<br />

wird dem australischen Künstler und frischgebackenem OSCAR-Gewinner Shaun Tan in der nur<br />

wenige Breitengrade südlicher gelegenen Internationalen Jugendbibliothek in München von der<br />

schwedischen Kronprinzessin Victoria der Astrid Lindgren Memorial Award verliehen – die<br />

Globalisierung lässt schön grüßen. Da trifft es sich ganz gut – und ist vielleicht auch Teil des<br />

Erfolgsrezepts – dass die Bücher von Shaun Tan nur wenige bis gar keine Worte enthalten.<br />

Doch Vorsicht! DER VOGELKÖNIG ist kein neuer Band mit Geschichten, Comics oder einer Graphic<br />

Novel, sondern eine Zusammenstellung mit mehr oder weniger ausgearbeiteten Skizzen Tans.<br />

Wie wohl alle Künstler kritzelt, zeichnet, malt und skizziert auch Tan praktisch ununterbrochen –<br />

und nur Weniges davon erreicht normalerweise den Status einer öffentlichen Form. Allerdings<br />

haben die bei Zweitausendeins veröffentlichten Sketchbooks von Robert Crumb gezeigt, dass es<br />

für ein interessiertes Publikum (und nicht nur für die eingefleischtesten Fanatiker) durchaus auch<br />

hier Tolles und Spannendes zu entdecken gibt.


So ist auch DER VOGELKÖNIG trotz des vielfach Fragmentarischen und Unfertigen,<br />

das hier zu sehen ist, ein anregendes und aufregendes Buch geworden. In kurzen<br />

Einleitungstexten erstellt Shaun Tan eine Art »poetologisches« Programm des<br />

Künstlers, der seine »Striche spazieren führt« (Paul Klee). Auf den meisten Seiten<br />

befindet sich die »Idee« eines Bildes – ausgeführt in Bleistift, mit Farbstiften,<br />

Kugelschreiber, auch ein wenig Acryl, Öl und Tusche – in einem Stadium der<br />

Fertigstellung, irgendwo zwischen »erkennbar« und »warum hat er das denn nicht<br />

veröffentlicht?«.<br />

Was Tan in den letzten zehn Jahren in seinen Notizbüchern, Sketchbooks und<br />

Schreibtischschubladen angesammelt hat, zeigt einen jungen Künstler, der<br />

ununterbrochen die Welt beobachtet und an seinen Fertigkeiten feilt – seine Auswahl<br />

dieser Bilder ist mutig und gelungen: DER VOGELKÖNIG ermöglicht so einen Blick in<br />

die geheime Werkstatt, voller Inspiration und harter Arbeit.<br />

Der vorbildlich edierte und liebevoll ausgestattete Band (inklusive Fadenheftung und<br />

Lesebändchen) enthält im Anhang eine exakte Bildbeschreibung sowie eine<br />

Übersetzung der Bildtitel und -inschriften.<br />

Mit diesem Buch lässt sich die Wartezeit bis zum nächsten »offiziellen« Titel von<br />

Shaun Tan sehr gut überbrücken.<br />

45<br />

Regnier Le Dyckt


Laura Whitcomb: SEELENHÜTER<br />

DEUTSCHE ERSTAUSGABE<br />

(The Fetch. New York, Houghton Mifflin, 2009)<br />

Aus dem Amerikanischen von Sabine Thiele<br />

München, Pan, 05/2011<br />

ISBN 978-3-426-28332-5<br />

362 Seiten, gebunden, Flexcover<br />

Euro 14,99 [D]<br />

Online → Leseprobe (.mp3 – 402 kb)<br />

46<br />

Laura Louise Whitcomb ist in Pasadena, Kalifornien<br />

aufgewachsen. Sie studierte Englisch an der<br />

California State University in Northridge und erwarb<br />

ihren Abschluss 1993. Bevor sie ihre Leidenschaft<br />

fürs Schreiben entdeckte, hat sie als Englischlehrerin<br />

in Californien und Hawaii gearbeitet.<br />

Für ihren Debütroman »A Certain Slant of Light«<br />

(2005. Dt. SILBERLICHT, 03/2010) gewann sie 4<br />

Literaturpreise und war für weitere 5 Awards<br />

nominiert.<br />

Heute lebt und arbeitet sie in Portland, Oregon.<br />

Beim Anblick ihres rotgoldenen Haares, das ihr Gesicht wie ein Heiligenschein umrahmte, durchfuhr es ihn wie ein Blitz.<br />

Die Frau berührte Calders Herz, so vertraut wirkte sie, obwohl er wusste, dass er ihr nie zuvor begegnet war.<br />

Calder ist ein Seelenhüter, der den Menschen seit 330 Jahren die Tür in das Leben nach dem Tod öffnet. Wenn Menschen sich für den Tod<br />

entscheiden, begleitet er sie in den Himmel und übergibt sie dem Captain der Todeseskorte. Als Seelenhüter muss er jeden Entschluss<br />

akzeptieren, ohne Fragen, ohne Urteil, und sich danach direkt dem nächsten Sterbenden zuwenden. Er liebt seine Aufgabe und eri nert<br />

sich kaum noch an sein irdisches, nur neunzehn Jahre währendes Leben.<br />

Doch als er eines Tages das Zimmer eines kranken Jungen betritt, geschieht etwas Unerwartetes: Er verliebt sich auf den ersten Blick in<br />

die am Bett wachende, bildschöne junge Frau, die er für eine Kinderfrau hält. Erstmalig rührt ihn die Verzweiflung dieser Frau, die so<br />

heftig um das Kind weint und ihm kleine Gebete und Beschwörungen ins Ohr flüstert. Das Baby entscheidet sich gegen den Tod und<br />

Calder zieht sich wieder zurück.<br />

Acht Jahre später ist er wieder am Sterbebett desselben Jungen und wieder sieht er die Frau, die er bei sich Glory nennt. Der Junge<br />

möchte sterben, doch Calder überredet ihn zu bleiben, weil seine Mutter ihn so liebt. Und er versucht alles, um sich der Frau sichtbar zu<br />

machen, doch einzig der Junge und eine seiner Schwestern können ihn sehen. Calder muss sie verlassen.<br />

Doch er will unbedingt zu der schönen Frau zurück, die er für eine Seelenverwandte hält.<br />

Tatsächlich scheint ihm dieser Wunsch gewährt zu werden und er bricht alle Gesetze der Seelenhüter – mit fatalen Folgen ...


Schon Laura Whitcombs Debütroman SILBERLICHT stellt im Genre der seit einiger Zeit den Buchmarkt überflutenden esoterischen<br />

Phantastik eine wohltuende Ausnahme dar. Mit SEELENHÜTER ist der Autorin ein weiteres Werk der Extraklasse gelungen.<br />

Seelenhüter – am ehesten vielleicht noch mit Engeln vergleichbar, jedoch charakterlich »unbelastet« durch biblische Beschreibungen –<br />

sind ganz neue Figuren in der Fantasy, schöne, tröstliche Figuren. Calder, Whitcombs wirklich sympathische Hauptfigur, ist glücklicherweise<br />

nicht »perfekt«, sondern trotz seines Jahrhunderte dauernden Dienstes noch immer ein »leicht entflammbarer«, hitzköpfiger<br />

Jugendlicher, der die Konsequenzen seines Handelns nicht überschaut.<br />

Wie bei Laura Whitcomb eigentlich nicht anders zu erwarten, bietet SEELENHÜTER nicht nur Spannung und viel Gefühl, sondern auch eine<br />

Überraschung, auf die der Klappentext mit keinem Wort hinweist. Ich habe lange mit mir gehadert, ob ich darauf eingehen soll. Obwohl<br />

ich damit etwas vom Inhalt vorweg nehme, habe ich mit dafür entschieden, denn die Autorin spricht damit all jene an, die sich zumindest<br />

oberflächlich für historische Figuren interessieren. Ein Großteil des Buches beschreibt – ohne deswegen ein historisierender Roman zu<br />

sein, der Anspruch auf eine korrekte Wiedergabe der Fakten erheben kann – die letzte russische Zarenfamilie. Der sterbende Junge ist<br />

niemand anders als des Alexis, Sohn des Nikolaj Alexandrowitsch Romanow, bekannt als Zar Nikolaus II. und der Marie Sophie Frederikke<br />

Dagmar, Prinzessin von Dänemark, genannt Marija Fjodorowna. Das kleine Mädchen, das Calder ebenfalls sehen kann, ist Anastasia<br />

Nikolajewna Romanowa, um die sich – als angeblich einzige Überlebende der Zarenfamilie – eine eigene Legendenbildung rankt. Und<br />

natürlich hat auch einer der umstrittensten Charaktere am Zarenhof seinen großen Auftritt: Grigori Jefimowitsch Rasputin, der berühmtberüchtigte<br />

Wanderprediger und Geistheiler. Wie Laura Whitcomb diese Figuren in ihre Fantasystory einbaut, hat wahrlich kaum etwas<br />

mit dem historischen Geschehen zu tun, ist aber ungemein spannend und in sich schlüssig erzählt.<br />

Wie schon SILBERLICHT ist auch SEELENHÜTER gespickt mit literarischen Anspielungen, die – wie die historischen Figuren – dazu<br />

anregen (sollen!), sie thematisch aufzugreifen und ihnen nachzulesen. Ich liebe das und hoffe immer, dass es bei möglichst vielen jungen<br />

Lesern funktioniert.<br />

Über Whitcombs wunderbaren Stil und Sabine Thieles erstklassige Übersetzung muss ich mich sicherlich nicht weiter auslassen; die<br />

beiden haben sich schon bei SILBERLICHT als kongeniales Team erwiesen.<br />

SEELENHÜTER ist ein einfallsreicher, wunderschön geschriebener und sehr unterhaltsamer Roman, dessen schöne Gestaltung das<br />

ihre dazu beiträgt, dass man ihn gerne liest und gerne immer wieder genießt.<br />

47<br />

Griseldis Malkowsky-Bren


Liv Winterberg: VOM ANDEREN ENDE DER WELT<br />

Deutschsprachiges Hörbuch - Autorisierte Lesefassung<br />

(Spiral. Aus dem Amerikanischen Rainer Schmidt)<br />

Hörbuchfassung: Katia Semprich<br />

Sprecher: Johannes Steck<br />

Regie: Lutz Schäfer<br />

Berlin, Argon, 2010<br />

ISBN 978-3-8398-1071-2<br />

6 CDs, 76 Tracks, 432 Min,<br />

Euro 19,95 [D]<br />

Online → Leseprobe (.pdf – 9,50 MB)<br />

48<br />

Liv Winterberg, 1971 in Berlin geboren, studierte<br />

Germanistik, Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft.<br />

Sie arbeitet für Film und Fernsehen als Drehbuchautorin<br />

und Rechercheurin. VOM ANDEREN ENDE<br />

DER WELT ist ihr Romandebüt.<br />

Liv Winterberg lebt mit ihrer Familie in Berlin.<br />

England, spätes 18. Jahrhundert: Von ihrem Vater, einem Arzt und Wissenschaftler, zur Botanikerin ausgebildet, träumt die junge Mary<br />

Linley davon, die Welt zu bereisen. Doch als sie – nach dem Tod des Vaters Mündel ihrer Tante – verheiratet werden soll, sieht sie nur<br />

eine Möglichkeit, ihrer Berufung zu folgen. Sie verkleidet sich als Mann, nennt sich nach dem Butler ihres Vaters Marc Middleton und lässt<br />

sich als Zeichner anwerben, um an Bord der Sailing Queen im Stab des Botanikers Sir Carl Belham auf Expeditionsfahrt zu gehen.<br />

Ihr Glück ist, dass sie nicht in den Mannschaftsquartieren untergebracht ist, sondern sich nur mit Belhams Gehilfen eine Kabine teilt. So<br />

bleibt ihr Versteckspiel bis zur Ankunft in Tahiti unentdeckt.<br />

Trotzdem ist die Reise nicht so, wie sie es sich nach den Erzählungen ihres Vaters vorgestellt hat. Die Lebensbedingungen auf See<br />

erschüttern sie, denn Entbehrungen, Krankheiten und Tod prägen den Alltag. Dennoch glaubt sie, ihr Ziel erreicht zu haben: Sie erkundet<br />

fremde, faszinierende Länder. Erst durch die Liebe zu Sir Carl Belham erkennt sie, dass sie sich für ihre Ideale selbst verleugnet ...<br />

VOM ANDEREN ENDE DER WELT ist – trotz einiger winziger Schwächen – ein überzeugendes Debüt. Überraschend ist die Vielschichtigkeit<br />

dieses Romans, der sich anfangs als Regency-Geschichte im Stil einer George Heyer präsentiert. Doch aus dem netten »Hosenrollen-<br />

Abenteuer« wird schnell ein kenntnisreich geschriebenes, bedrückendes Zeugnis eines harten Lebens. Liv Winterberg beschreibt sehr<br />

schön, wie ihre Protagonistin ihre Reise mit großer Naivität antritt, aber schnell merkt, dass sie sich ganz falsche Vorstellungen gemacht<br />

hat. Der wenig romantische Alltag auf dem Segelschiff setzt nicht nur der unerfahrenen Mary zu, sondern der ganzen Mannschaft.


Besonders aber den Kindern, die als Schiffsjungen an Bord sind. So verbirgt sich hinter dem vermuteten – und letztlich auch gelieferten –<br />

Liebesroman das eindrucksvolle Protokoll einer langwierigen und schwierigen Seereise. Es ist dem Erzähltalent der Autorin zu verdanken,<br />

dass man glaubt, den Seegang zu spüren, das Knarren der Wanten und die heiseren Befehle des Kapitäns zu hören. Dass man glaubt,<br />

den pelzigen Geschmack schimmligen Zwiebacks auf der Zunge spüren, der nach dem Ausklopfen der Maden verzehrt werden muss. Aber<br />

– und das macht Winterbergs Roman besonders intensiv – es ist nicht etwa ein einzelner, drastisch geschilderter Sturm, sondern die<br />

feinfühlige Schilderung des ganz normalen Alltags, die diese Empfindungen hervorruft. Die Autorin erzählt mit einem gerüttelt Maß an<br />

Menschenkenntnis und großer Empathie von den Problemen der Menschen, die in einer gnadenlosen Hierarchie viel zu lange auf viel zu<br />

engem Raum miteinander leben müssen.<br />

Beeindruckend ist auch, wie sich Liv Winterbergs Erzählstimme verändert, wenn sie von der Zeit berichtet, die Mary Linley mit Carl<br />

Belham auf Tahiti verbringt. Sie schildert nicht nur die Liebesbeziehung der beiden, sondern auch die Probleme, die sich für die Tahitianer<br />

aus dem Kontakt mit den Seefahren ergeben – vom Verfall der traditionellen Werte in nur einer Generation bis hin zum fürchterlichen<br />

Massensterben aufgrund eingeschleppter Seuchen.<br />

So intensiv die Erlebnisse der Leser bei diesem Buch auch sind, so leichtfüßig liest sich die Geschichte. Liv Winterbergs Stil ist flüssig,<br />

schnörkellos und direkt, und lädt gerade dazu ein, sich ganz auf den Inhalt einzulassen. Ihre Charaktere sind ausgereift, haben<br />

ausnahmslos Tiefe und zeigen äußerst menschliche Züge, die Stärken und Schwächen beinhalten. Vielleicht macht es gerade diese<br />

feinfühlige Figurenzeichnung aus, dass die Mannschaft so lebendig scheint. Bei Winterbergs Protagonistin, die sich einerseits als sehr naiv,<br />

andererseits als überaus zupackend erweist, mag in einigen Szenen leiser Zweifel an der Glaubwürdigkeit aufkommen. Da diese Figur<br />

allerdings auf der Lebensgeschichte von Jeanne Baret beruht, der französischen Naturforscherin, die als Jean Baré verkleidet Mitglied der<br />

zwischen 1766 und 1769 stattfindenden Expedition von Louis Antoine de Bougainville mit den Schiffen La Boudeuse und L'Étoile in den<br />

Südpazifik war und vermutlich als erste Frau, die Welt umschifft hat, darf man diese Charakterisierung wohl als historisch verbürgt<br />

hinnehmen.<br />

Die beigefügte Landkarte, das Nachwort, in dem die Autorin kurz auf die französische Forscherin eingeht, ein übersichtliches<br />

Personenverzeichnis und das umfangreiche Glossar ergänzen den Roman optimal.<br />

VOM ANDEREN ENDE DER WELT ist ein gelungener und tiefgründiger Roman. Man darf mit Spannung auf ein weiteres Werk dieser höchst<br />

talentierten Autorin hoffen.<br />

49<br />

Annegret Wegener


Sven Böttcher: PROPHEZEIUNG<br />

Originalsprachiges Hörbuch – Gekürzte Lesung<br />

Hörbuchfassung: Katia Semprich<br />

Sprecher: Heikko Deutschmann<br />

Regie: Kai Lüftner<br />

München, Der Hörverlag GmbH, 02/2011<br />

ISBN 978-3-86717-699-6<br />

6 CDs, 92 Tracks, ca. 420 Min.<br />

Euro 19,95 [D]<br />

Online → Hörprobe (.mp3 – 2,52 MB)<br />

50<br />

Sven Böttcher, geboren 1964, ist Schriftsteller und<br />

Übersetzer. Er hat bereits für mehrere TV-<br />

Produktionen als Comedyautor gearbeitet u. a. für ran<br />

fun und Comedy Club. Sven Böttcher schrieb<br />

zusammen mit dem englischen Kultautor Douglas<br />

Adams und John Lloyd das bemerkenswerte<br />

Wörterbuch DER TIEFERE SINN DES LABENZ und u. a.<br />

die Krimis DER AUSLÖSER, SHERMAN SCHWINDELT,<br />

STÖRMER IM DRECK, MORD ZWISCHEN DEN ZEILEN<br />

und PSYCHOPATHOS sowie die Drehbücher zu<br />

Fernsehfilmen, wie EIN KUCKUCKSKIND DER LIEBE<br />

und MANATU.<br />

PROPHEZEIUNG ist sein erster SF/Öko-Thriller.<br />

Heikko Deutschmann, am 13. Februar 1962 in Innsbruck geboren, studierte in Berlin Schauspiel und besuchte die dortige<br />

Drehbuchakademie. Noch während seines Studiums kam er an der Berliner Schaubühne unter Peter Stein zu seinem ersten<br />

Engagement. Seine nächsten Wirkungsstätten waren das Hamburger Thalia Theater und das Schauspielhaus Köln. Seit seinem ersten<br />

Fernsehfilm im Jahr 1984 hat Deutschmann u. a. in Jo Baiers Strittmatter-Verfilmung »Der Laden«, Stephan Wagners »In Sachen<br />

Kaminski«, im Mehrteiler »Kanzleramt« und in etlichen Tatort-Produktionen mitgewirkt. Für den Hörverlag ist er in den Hörspielen<br />

»Das Lied der Sirenen«, »Ein kalter Strom« sowie »Schlussblende« von Val McDermid zu hören und hat Steve Mosbys »Der Fifty-<br />

Fifty-Killer« sowie »Limit« von Frank Schätzing eingelesen.<br />

Naturschutz ist inzwischen ein internationales Multi-Millionengeschäft geworden. Jede Partei, ja fast jeder einzelne Politiker, hat eine<br />

Umwelt-Agenda im Gepäck. Nobelpreise werden an Umweltschutzorganisationen verliehen. Massenmedien erzielen gigantische Auflagen<br />

mit Öko-Horror-Szenarien. Der »Mann auf der Straße« lauscht und liest mit wohlig gerunzelter Gänsehaut, was ihm auf diese, geschickt<br />

und immer interessengesteuert gefilterte, Weise präsentiert wird. Denn entweder kommt der Weltuntergang in ferner Zukunft oder er<br />

trifft nur »Die Anderen«.


Sven Böttcher spielt nun in seinem neuesten Werk die Idee durch, dass die ferne Zukunft bereits morgen beginnt und eine<br />

weltumfassende Klimakatastrophe sowohl direkt vor unserer Haustüre stattfindet, als auch »Die Anderen« dazu zwingt, die rettende<br />

»Insel« Europa anzusteuern. Geschickt lässt er dabei immer wieder auftretende, saisonale und regionale Wetter-Kapriolen mit einer<br />

passenden (und absolut präzisen) langfristigen Wettervorhersage zu einer – selbsterfüllenden – PROPHEZEIUNG zusammentreffen.<br />

Im Mittelpunkt des Geschehens steht die Klimaforscherin Mavie Heller aus Hamburg, die nach ihrem Eintritt in eine mysteriöse, aber mit<br />

praktisch unbegrenzten Finanzmitteln ausgestattete Forschungsbehörde auf einige Merkwürdigkeiten stößt. Da ist zum einen ein<br />

Computerprogramm, welches zwar fundierte Wettervorhersagen für vergangene Zeiten erstellt, aber angeblich keine Prognosen für<br />

morgen. Zudem erweisen sich die Hintermänner der Organisation als absolut skrupellos, wenn es darum geht, die Verbreitung ihres<br />

»Herrschaftswissens« zu unterbinden.<br />

Als Mavie ihre beste Freundin Helen, die als Reporterin bei einem Hamburger Nachrichtenmagazin arbeitet, um Unterstützung bittet, stirbt<br />

diese kurz darauf bei einem angeblichen Verkehrsunfall. Zusammen mit Helens Bruder Philip beginnt Mavie einen ungleichen Kampf David<br />

gegen Goliath. Im Verlauf der Auseinandersetzungen, bei denen es vor allem darum geht, wer wann mit welchen Daten die<br />

Weltöffentlichkeit über den weiteren Verlauf der immer größere Ausmaße annehmenden Klimaveränderung informiert, finden sich<br />

plötzlich völlig unerwartete Helfer an Mavies Seite. Doch außer bei ihrem Vater kann sie sich bei keiner Person oder Gruppe über die<br />

wirklichen Gründe für die Unterstützung sicher sein…<br />

PROPHEZEIUNG segelt als »deutscher Thriller« geschickt auf der gleichen Welle wie Frank Schätzings DER SCHWARM, unterliegt<br />

allerdings den gleichen Einschränkungen – der Tagesaktualität. Die als »Randfiguren« namentlich angeführten Politiker und<br />

Organisationen verleihen der Geschichte deutlich Realismus, werden aber in einigen Jahren wohl nur noch Schulterzucken hervorrufen.<br />

Bis dahin aber ist PROPHEZEIUNG gutgemachte und spannende Unterhaltung, die von Heikko Deutschmann adäquat vorgetragen wird.<br />

51<br />

Herrmann Ibendorf-Rosenhof


Vanessa Diffenbaugh: DIE VERBORGENE SPRACHE DER BLUMEN<br />

Gekürzte Lesung<br />

(The Language of Flowers. 2010)<br />

Aus dem Amerikanischen von Karin Duffner<br />

Sprecherin: Laura Maire<br />

Köln, Lübbe Audio, 03/2011<br />

ISBN 978-3-426-19904-6<br />

6 CDs im Jewelcase, 79 Tracks, 453 Minuten<br />

Euro 19,99 [D]<br />

Online → Hörprobe (.mp3 – 7,37 MB)<br />

52<br />

Vanessa Diffenbaugh ist Kunsterzieherin und<br />

Schriftstellerin. Sie ist 32 Jahre alt, verheiratet und hat<br />

zwei Kinder.<br />

Sie ist nicht nur künstlerisch, sondern auch sozial sehr<br />

engagiert. Diffenbaugh weiß, wovon sie schreibt: Sie<br />

hat bereits mehrfach Pflegekinder in ihre Familie<br />

aufgenommen und über längere Zeit betreut.<br />

Sie lebt mit ihrer Familie in Boston.<br />

Victoria Jones kennt von Geburt an nur Waisenhäuser und Pflegefamilien. Von ihren Mitmenschen hält sie nichts und ist daher am liebsten<br />

allein. Aufgewachsen in einer lieblosen Umgebung, ohne Familie und ohne Zuhause, hat die junge Victoria vor allem eines gelernt: von<br />

Menschen Abstand zu halten.<br />

Elizabeth, eine ihrer vielen Pflegemütter, war der einzige Mensch, der ihr jemals Gefühle von Liebe, Verständnis und einem Zuhause<br />

gegeben hat. Von ihr hat Victoria die verborgene Bedeutung der Blüten gelernt, die Sprache der Blumen. Mit ihrer Hilfe teilt sie sich einer<br />

Welt mit, die ihr nicht zuhört.<br />

Mit achtzehn Jahren ist Victoria schließlich dem Waisenhaus entwachsen, obdachlos und auf sich allein gestellt – bis sie einen Job in dem<br />

kleinen Blumenladen »Flora« findet. Weil sie die Sprache der Blumen kennt, weiß sie die richtigen Sträuße zu binden und hat damit Erfolg.<br />

Während der Tätigkeit für die beinahe mütterliche Renata, die nach eigenen Angaben nie Mutter sein wollte, begegnet Victoria auf dem<br />

Blumenmarkt einem jungen Mann. Sie stellt erstaunt fest, dass Grant ebenfalls die Sprache der Blumen versteht. Es dauert nicht lang, bis<br />

Victoria ihn wiedererkennt. Grant ist Elizabeths Neffe, den sie als Jugendlichen mit leichtem Bartflaum im Streit mit Elizabeth in<br />

Erinnerung hat. Zum ersten Mal seit langer Zeit hofft sie wieder auf Liebe und eine Familie. Doch Victoria hütet ein Geheimnis, das sich<br />

nun wieder in ihr Bewusstsein drängt. Wird das Geheimnis sie von Grant fernhalten? Oder wird es sie näher zueinander bringen? Ist<br />

Victoria bereit für die Liebe? Ihre Vergangenheit, ihr Gefühl, nichts wert zu sein, holen sie immer wieder ein …<br />

Bis ich diesen Roman las, hatte ich angenommen, die Sprache der Blumen sei schon lange in Vergessenheit geraten. Ich habe sie als Kind<br />

von meiner Urgroßmutter gelernt – die schon vor mehr als 30 Jahren glaubte, mir längst vergessenes Wissen zu vermitteln. Wann immer


ich in einem Museum Gemälde betrachte, gedenke ich ihrer in Liebe und Dankbarkeit, denn fast immer ist in Bildern aus dem 18. und 19.<br />

Jahrhundert die Blumen zeigen, eine Botschaft enthalten. Ich amüsiere mich oft mit dem Gedanken, dass so manchem Auftraggeber<br />

entgangen ist, welch scharfsinnige Anmerkungen zu seinem Charakter der Maler in einem dekorativ seinem Portrait beigeordneten<br />

Sträußchen hinterlassen hat. Gefühle mit Blumen auszudrücken war in vergangenen Zeiten nicht nur eine schöne Geste, es war eine<br />

Kunst, eine internationale Geheimsprache der Gebildeten. Leider ist heute nur noch die Bedeutung der roten Rose jedem bekannt.<br />

DIE VERBORGENE SPRACHE DER BLUMEN hat mich aber nicht nur gepackt, weil es diese schöne Kunst beschreibt. Es hat mich gefesselt<br />

und nicht mehr losgelassen, weil die Autorin so psychologisch kenntnisreich und einfühlsam von den zwei Jahren erzählt, in denen Victoria<br />

tastend versucht, zu sich selbst zu finden. Diesen Episoden sind mit zeitlichen Rückgriffen verwoben, in denen Victorias Leben bei ihrer<br />

Pflegemutter Elisabeth geschildert wird. Vanessa Diffenbaugh lässt sich viel Zeit, bis sie das Geheimnis um die große Last, die Victoria mit<br />

sich herumträgt, lüftet. Der Kampf, den die junge Frau mit sich und auch gegen sich selbst führt, bis sie an dem Punkt anlangt, an dem<br />

sie nicht wie sonst davonlaufen kann, sondern sich den Gegebenheiten stellen muss, ist so wunderschön und sensibel beschrieben, dass<br />

man keine Zeile davon missen möchte.<br />

Vanessa Diffenbaughs Debüt ist keine schwülstige Liebesromanze, sondern ein feinfühlig und glänzend geschriebener Roman über die<br />

Liebe – in erster Linie über die Liebe zwischen Mutter und Tochter oder Pflegetochter, bei der es ganz gleich ist, ob es sich um<br />

Blutsverwandte handelt oder nicht. Die Autorin beleuchtet die Grauzonen der Liebe und verbindet mit ihrer ruhigen, ausdrucksstarken<br />

Sprache, die schreien und weinen kann, ohne zu entgleisen, ein schwieriges Thema mit einem Funken Hoffnung. Es ist wundervoll, dass<br />

ihre Figuren nicht perfekt sind, dass sie das Muttersein und die Liebe nicht als perfektes Glück schildert, dafür aber als beständiges und<br />

dauerhaftes Gefühl. DIE VERBORGENE SPRACHE DER BLUMEN ist ein kleines literarisches Juwel. Diesen zauberhaften Roman kann ich<br />

uneingeschränkt allen empfehlen, die leise, feine Töne zu schätzen wissen.<br />

Laura Maire, die am 11. Oktober 1979 in Pfaffenhofen an der Ilm geborene Tochter des Schauspielers und Synchronsprechers Fred Maire,<br />

ist sehr erfolgreich in die beruflichen Fußstapfen ihres Vaters getreten. Nach ihrer Ausbildung an der Hochschule für Musik und<br />

darstellende Kunst Frankfurt wurde sie durch ihre Hauptrolle in der Fernsehserie »Verdammt verliebt« bekannt. Seit 1986 arbeitet sie<br />

auch erfolgreich als Sprecherin für Hörbücher und war an diversen preisgekrönten Hörspielproduktionen beteiligt. Für ihre Lesung des<br />

Romans NICHTS von Janne Teller erhielt sie in diesem Jahr den Deutschen Hörbuchpreis in der Kategorie »Beste Interpretin«. Sie hätte<br />

diese Auszeichnung auch für DIE VERBORGENE SPRACHE DER BLUMEN verdient, die sie uns auf wahrhaft bezaubernde Weise präsentiert.<br />

Lassen Sie sich von ihrer Stimme betören und erleben Sie DIE VERBORGENE SPRACHE DER BLUMEN hautnah mit. Sie werden keine<br />

Sekunde des Zuhörens bereuen!<br />

53<br />

Griseldis Malkowsky-Bren


Wolfgang Herrndorf: TSCHICK<br />

Originalsprachiges Hörbuch - Autorisierte Lesefassung<br />

Sprecher: Hanno Koffler<br />

Berlin, Argon, 2011<br />

ISBN 978-3-8398-4012-2<br />

4 CDs in Multibox, 49 Tracks, 297 Minuten<br />

Euro 19,95 [D]<br />

Online → Hörprobe (.mp3 – 7,78 MB)<br />

54<br />

Wolfgang Herrndorf, geboren 1965 in Hamburg, studierte in Nürnberg<br />

Malerei. Er arbeitete als Illustrator u.a. für den Haffmans Verlag und für die<br />

Zeitschrift Titanic. Von ihm stammen auch Beiträge im Fanzine Luke &<br />

Trooke. 2002 erschien beim Zweitausendeins-Verlag sein Debütroman IN<br />

PLÜSCHGEWITTERN, der von der Kritik der Popliteratur zugeordnet wurde.<br />

Im September 2010 veröffentlichte der Schriftsteller nach einer Hirntumor-<br />

OP sein Tagebuch. Im gleichen Jahr erschien sein Roman TSCHICK.Im Juli<br />

2011 wird Wolfgang Herrndorf für TSCHICK der mit 10.000.—Euro dotierte<br />

Clemens Brentano Preis der Stadt Heidelberg überreicht.<br />

Maik Klingenberg, genannt »Maiki« oder »Psycho«, ist trotz seines Spitznamens ein extrem unauffälliger Schüler, der in seiner 8. Klasse<br />

keine Freunde hat und als langweilig gilt.<br />

Zu Hause ist bei ihm auch nicht gerade alles einfach: Seine Mutter ist Alkoholikerin und fährt regelmäßig ein paar Wochen auf eine<br />

Beauty-Farm (wie Maiks Vater die Entziehungsklinik im Scherz nennt), während der Vater mit seiner Assistentin fremdgeht.<br />

Als ein neuer Schüler mit einer bewegten Schulvergangenheit in Maiks Klasse kommt, ändert sich einiges für Maik. »Tschick«, wie der<br />

Aussiedlerjunge Andrej Tschichatschow wegen seines komplizierten Namens meist nur genannt wird, ist erst seit vier Jahren in<br />

Deutschland, hat sich jedoch seitdem von der Förderschule bis zum Gymnasium hochgearbeitet. Allerdings macht Tschick den Eindruck,<br />

als wäre er ziemlich verwahrlost, es scheint so, als käme er öfter alkoholisiert in die Schule.<br />

Zu Beginn der Sommerferien freunden sich Maik und Tschick an – just in dem Moment, als Maiks Mutter wieder auf eine Entziehungskur<br />

geht und der Vater mit seiner Assistentin Mona angeblich geschäftlich für zwei Wochen unterwegs ist. Der Anweisung des Vaters, keinen<br />

Unsinn zu machen, kommt Maik nicht nach, als er mit Tschick beschließt, mit einem »geborgten« klapprigen Lada in die Walachei zu<br />

fahren, zu Tschicks Großvater. Da sie keine Ahnung haben, wo das genau liegt, brechen sie auf gen Süden, Tschick am Steuer, Maik<br />

daneben und im Radio eine Audiokassette mit der »Gold Collection« von Richard Clayderman. Und damit beginnt eine Reise ohne Karte<br />

und Kompass durch die sommerglühende deutsche Provinz – für zwei Vierzehnjährige ohne Fahrerlaubnis ein ziemlich gewagtes<br />

Unterfangen, das sie in viele Grenzsituationen bringt …<br />

Was man im Filmgeschäft »Roadmovie« nennt, sortiert sich – wenn es denn gut ist –, in der Literatur meist in die Sparte<br />

»Entwicklungsroman«. Weniger gute Geschichten lassen sich oft noch einigermaßen unterhaltsam als Abenteuerroman lesen. Aber von<br />

einer weniger guten Erzählung würden wir an dieser Stelle gar nicht sprechen. Wolfgang Herrndorfs intelligente und zugleich extrem


lustige Geschichte TSCHICK hingegen ist sooo guuut, dass wir unbedingt darüber reden müssen. Für TSCHICK, unvergesslich wie die<br />

Flussfahrt von Tom Sawyer und Huck Finn, erhält der in Berlin lebende Autor und Illustrator Wolfgang Herrndorf im Juli dieses Jahres den<br />

mit 10.000 Euro dotierten Clemens Brentano Förderpreis für Literatur. Die Jury würdigte die Sprache Herrendorfs, die den Jugendslang<br />

aufnehme und diesen in bleibende Literatur verwandle. So ernsthaft nüchtern kann man einen Text beschreiben, der Worte wie<br />

»vollgeschifft«, »Strahlkotzen«, »endgestört«, »endbescheuert«, »Dackelgesicht« oder »Arsch offen« enthält – und dabei verschweigen,<br />

dass man sich bei dessen Lektüre köstlich amüsiert, geradezu kaputtlacht, nicht allein der Wortwahl wegen, sondern weil dieser Text<br />

zudem voller großartiger Situationskomik steckt! Allerdings läuft in TSCHICK bei allem Witz, all den komischen Dialogen und he rlichen<br />

Szenen stets eine zweite Tonspur mit. Darauf erklingen Lieder von Außenseitertum, Einsamkeit, Freundschaft, erster Liebe, und da zeigt<br />

sich Herrndorfs großes Einfühlungsvermögen in wunderbarer, tief berührender Weise.<br />

TSCHICK ist nicht linear erzählt, sondern beginnt damit, dass Maik von dem Ende der Reise berichtet. Erst nach vier oder fünf kurzen<br />

Kapiteln wird dann die Geschichte von hinten aufgerollt. Ein klein wenig lange dauert es dann, bis Tschick und Maik sich schließlich auf der<br />

Straße befinden und der Roman alles bietet, was man sich von einer rastlosen Reise ins Unbekannte erwartet. Es passieren ziemlich<br />

abgedrehte und skurrile Dinge. Natürlich können zwei Vierzehnjährige nicht einfach an einer Tankstelle vorfahren, um Benzin<br />

nachzufüllen. Wie die beiden doch an ihr Benzin kommen, ist eine längere Geschichte, bei der einiges Unerwartete geschieht. Dabei<br />

lernen sie auf einem Schrottplatz z. B. Isa, ein herumstreunendes und schrecklich stinkendes Mädchen, kennen. Isa heftet sich den<br />

beiden Jungen an die Fersen, obwohl diese das gar nicht wollen. Also sind sie eine Zeit lang zu dritt unterwegs. Und selbstverständlich<br />

kommt irgendwann die Polizei ins Spiel. Herrndorf reiht in seinem von kauzigen Figuren bevölkerten Roman eine seltsame Situation an<br />

die andere. Er erzählt von einer ungewöhnlichen Freundschaft, die immer wieder auf die Probe gestellt wird, sie jedoch jedes Mal besteht.<br />

Hanno Koffler, der 1980 in Berlin geborene Theater- und Filmschauspieler, der sich u.a. mit seinen Rollen in KRABAT, DER ROTE BARON<br />

und NACHT VOR AUGEN einen Namen gemacht hat, lässt seine Zuhörer mit seiner jungen, eindringlichen Stimme die Odyssee von Maik<br />

und Tschick hautnah miterleben. Durch ihn wird klar, wie präzise Wolfgang Herrndorf seinen Helden aufs Maul zu schauen vermag. Ohne<br />

dass es je aufdringlich oder peinlich wird, spricht er die Sprache von zwei pubertierenden Jugendlichen. Die Dialoge stimmen, und der<br />

Autor kommt mit seinem Wissen- und Erfahrungsvorsprung seinem überzeugenden jungen Erzähler Maik nie in die Quere. Die<br />

Authentizität, die der große Stilist und blendend aufgelegte Autor Herrndorf in seinem Roman geschaffen hat, wird in Hanno Kofflers<br />

kongenialer und fesselnder Lesung perfekt transportiert. TSCHICK ist einfach unwiderstehlich gut geschrieben – und ebenso gut gelesen.<br />

Am Ende des Romans wird man noch mit einer filmreifen und bedeutungsschwangeren Szene belohnt und kann das Hörbuch dann<br />

glücklich auf den Stapel derer legen, die man in nicht allzu ferner Zukunft noch einmal genießen möchte.<br />

55<br />

Maran Alsdorf


Steven Knight: DAS VERMÄCHTNIS DES WILL WOLFKIN<br />

Deutschsprachiges Hörbuch - Gekürzte Lesung<br />

(The Last Words of Will Wolfkin<br />

Aus dem Amerikanischen von Ulli und Herbert Günther)<br />

Sprecher: Simon Jäger<br />

Köln, Lübbe Audio, 02/2011<br />

ISBN 978-3-7857-4486-4<br />

4 CDs im Jewelcase, 51 Tracks, 312 Minuten<br />

Euro 16,99 [D]<br />

56<br />

Simon Jäger, geboren am 16. März 1972 in Berlin, arbeitet<br />

schon seit seiner Kindheit erfolgreich als Sprecher. Bekannt<br />

ist er vor allem als Synchronstimme von Matt Damon, Luke<br />

Wilson oder Heath Ledger. Darüber hinaus arbeitet er als<br />

Dialogregisseur und Synchronautor. Für seine Leistungen als<br />

Sprecher im Hörspielbereich wurde er mit verschiedenen<br />

Preisen ausgezeichnet. So auch im Jahr 2008 mit dem<br />

Hörspiel Award als Bester Sprecher in einer Hauptrolle.<br />

DAS VERMÄCHTNIS DES WILL WOLFKIN ist das erste Jugendbuch von Steven Knight. Ein Debüt ist immer Anlass, sich die Vita des<br />

Verfassers etwas genauer anzuschauen. Steven Knight wurde im 1959 in Marlborough geboren und wuchs in Birmingham auf. Nach dem<br />

Studium der Englischen Literatur am University College London, arbeitete er als Radio-Produzent und dann als Werbetexter und gewann<br />

mehrere Auszeichnungen. Im Jahr 1987 begann er eine erfolgreiche Fernseh-Karriere als Autor und Regisseur. Knight kreierte mehrere<br />

Gameshows. Seine Arbeit am Drehbuch für »Dirty Pretty Things« brachte ihm den Edgar Award für das beste Filmdrehbuch und den<br />

London Film Critics Circle Award für den besten britischen Drehbuchautor des Jahres 2002 ein.<br />

Steven Knight, der diesen Roman für seine eigenen Kinder geschrieben hat, ist also keineswegs ein Neuling. Dass er ein alter Fuchs ist,<br />

der genau weis, wohin der Hase läuft, merkt man diesem, in jeder Bedeutung des Wortes »wundervollen« Buch auch an.<br />

Für DAS VERMÄCHTNIS DES WILL WOLFKIN hat der Verlag mit Ulli und Herbert Günther zudem das vielleicht beste Übersetzerpaar für<br />

Kinder- und Jugendliteratur engagiert – und mit der Verpflichtung von Simon Jäger als Sprecher der Hörbuchproduktion noch ein<br />

Krönchen aufgesetzt. Hören Sie selbst: Online → Hörprobe (.mp3 – 5,82 MB)<br />

Und weil eben absolut alles möglich ist, wird Toby Walsgrove in einer Vollmondnacht von Egil, einem Krieger der Fel, abgeholt. Von Toby,<br />

dem Ich-Erzähler der Geschichte, erfahren wir nicht nur, was von diesem Moment an geschieht, sondern auch die Vorgeschichte der<br />

Ereignisse: Das uralte Volk der Fel führte, abgeschieden und vergessen von den Menschen, seit Jahrtausenden unter Islands ewigem Eis<br />

ein friedliches Leben – bis ein Streit um die Nachfolge des legendären Königs Will Wolfkin ausbrach.<br />

Das uralte Feenvolk ist in sich gespalten. Vor fast 100 Jahren starb der alte König und seit einiger Zeit hat Helvar Gulkin, der Neffe des<br />

Königs, die Macht an sich gerissen und herrscht nun mit strenger Hand. Doch Einige wollen sich dieser Unterdrückung nicht beugen. Ihr<br />

demokratischer Geheimbund fand heraus, dass zwei Menschenkinder die legitimen Nachfahren sind: Toby Walsgrove und das


sudanesische Mädchen Emma. Auf abenteuerliche Weise werden die beiden nach Island gebracht und sehen sich völlig unvorbereitet vor<br />

eine gigantische Aufgabe gestellt. Doch mit Hilfe guter Freunde und dank magischen Wissens wachsen den Kindern ungeahnte innere und<br />

äußerliche Kräfte: Sie können plötzlich laufen, schwimmen, tauchen, fliegen und blitzschnell ihre Gestalt wandeln – Fähigkeiten, die ihnen<br />

im dramatischen Kampf gegen einen skrupellosen Gewaltherrscher von großem Nutzen sein werden ...<br />

DAS VERMÄCHTNIS DES WILL WOLFKIN ist eine absolut ungewöhnliche, blendend gut erzählte Fantasygeschichte. Oberflächlich<br />

betrachtet scheint es sich um eine einfache, auf Elementen der nordischen Mythologie basierende Erzählung zu handeln, ein typisches,<br />

flott erzähltes Buch für Jugendliche in der Altersgruppe der Protagonisten. Doch das ist eine Fehleinschätzung. DAS VERMÄCHTNIS DES<br />

WILL WOLFKIN ist ein fesselndes Abenteuer, eine magische Erzählung in einer ungewöhnlichen Kulisse mit großartigen, detailgenau<br />

beschriebenen Charakteren. Es handelt sich um äußerst intelligent konstruierte All-Age-Fantasy, die einen Großteil ihrer Spannung aus<br />

der psychologischen Ausgangssituation bezieht. Die Erfahrungswelt eines intelligenten, durch seine vollständige Lähmung in sich selbst<br />

isolierten Jungen und eines von schauerlichen Kriegserlebnissen in seiner Heimat geprägten und dem traditionellen Glauben seines Volkes<br />

verhafteten Mädchen prägen die Geschehnisse im Fel-Reich auf einzigartige Weise. Sich mit Toby und Emma zu identifizieren ist also nicht<br />

ganz einfach – aber durchaus lohnend. Die Fel erwarten von den beiden nicht nur, sich gegen den Thronräuber zu behaupten, und sich als<br />

neues Königspaar durchzusetzen, sondern auch, ihre neu gewonnene machtvolle Stellung umgehend an ein demokratisch gewähltes<br />

Parlament abzugeben, und in ihre eigene Welt zurückzukehren. Ihr Lohn sollen Reichtum und magische Kräfte sein. Werden die beiden<br />

sich darauf einlassen? Und wenn, aus welchen Beweggründen? Und wie wird sich die Welt der Fel verändern, wenn ihnen Erfolg<br />

beschieden ist? Zumindest auf diese letzte Frage, erhalten wir keine Antwort, denn es handelt sich hier um den furiosen Auftakt einer<br />

tollen, neuen Fantasy-Reihe. Der Roman endet nicht mit einem unbefriedigenden Cliffhanger, sondern mit einem fast schmerzhaft<br />

tragischen Epilog – der zwar alles in Frage stellt, aber auch eine fast unbezähmbare Neugier auf den Fortgang der Ereignisse weckt.<br />

Simon Jäger ist auch in dieser Produktion Garant für ein absolut fesselndes, tiefschichtiges Hörerlebnis. Durch seine Interpretation<br />

erwachsen die Charaktere bereits nach wenigen Sätzen zum Leben. Er schafft es, die jeweilige Stimmung sehr gut mit seiner Stimme zu<br />

transportieren. Die Hörer werden von Simon Jäger großartig in ein Netz mythischer Visionen eingebunden. Sie können dem Sog dieser<br />

bilder-, detail-, figuren- und überraschungsreichen Geschichte nicht widerstehen. Es ist eine Freude ihm zuzuhören. Gönnen Sie sich das<br />

Vergnügen!<br />

57<br />

Maran Alsdorf


Donna Leon: AUF TREU UND GLAUBEN<br />

Deutschsprachiges Hörbuch - Autorisierte Lesefassung<br />

(A Question of Belief.<br />

Aus dem Englischen von Werner Schmitz)<br />

Sprecher: Jochen Striebeck<br />

Zürich, Diogenes, 06/2011<br />

ISBN 978-3-257-80303-7<br />

8 CDs im Karton, 64 Tracks, 549 Min.<br />

Euro 31,90 [D]<br />

Online → Hörprobe (.mp3 – 3,70 MB)<br />

58<br />

Donna Leon verließ mit 23 Jahren New<br />

Jersey, wo sie 1942 geboren wurde, um in<br />

Perugia und Siena weiterzustudieren. Seit<br />

1965 lebt sie ständig im Ausland, sie<br />

arbeitete als Reiseleiterin in Rom, als<br />

Werbetexterin in London sowie als Lehrerin<br />

an amerikanischen Schulen in der Schweiz,<br />

im Iran, in China und Saudi-Arabien. Seit<br />

1981 wohnt und arbeitet Donna Leon in<br />

Venedig. Commissario Brunetti machte sie<br />

weltberühmt.<br />

Jochen Striebeck, geboren am 7. Mai 1942 in Schneidemühl, absolvierte nach der Oberschule die Schauspielschule an der Hochschule<br />

für Musik und darstellende Kunst in Hamburg. 1961 kam er als Eleve an das Thalia Theater zu Intendant Willy Maertens, 1962 gab er<br />

sein Debüt am Theater der Stadt Heidelberg. Es folgten Gastspiele am Stadttheater Basel, an den Bühnen der Stadt Bonn (jeweils<br />

1962) und Engagements in Heidelberg (1962/63) und am Staatstheater Wiesbaden (1963 bis 1966). 1966 bis 1973 war er am<br />

Bayerischen Staatsschauspiel in München engagiert und seit 1973 gehört er zum Ensemble der Münchner Kammerspiele. 1997 bis<br />

1999 war er Künstlerischer Leiter der Burgfestspiele Jagsthausen. Neben der Bühnentätigkeit wirkte er in zahlreichen Film-, Fernseh-,<br />

Synchronisations- und Rundfunkproduktionen mit.<br />

Er ist die Synchronstimme von Donald Sutherland und Philippe Noiret. Außerdem synchronisierte er 1980 den Fuchs Smirre in Die<br />

wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen und 2006 in dem Film Cars den Sheriff. Daneben lieh der dem<br />

Charakter Ok-Koto in Hayao Miyazakis Anime-Film Prinzessin Mononoke und Clint Eastwood in »Gran Torino« seine Stimme.<br />

Er hat zwei Kinder, Matthias und Franziska.<br />

Donna Leon-Fans wissen es: Auf ihre Lieblingsautorin ist Verlass! Seit 1992 kommt jedes Jahr Ende Mai ein neuer Brunetti-Krimi – kein<br />

einziges Mal hat sie ausgesetzt oder sich verspätet. Mit gleicher, völlig unitalienischer Präzision gibt Diogenes vier Wochen später die<br />

ungekürzte Lesung als Hörbuch heraus. So auch in diesem Jahr, in dem Commissario Brunettis 19. Fall wieder von Jochen Striebeck<br />

gelesen wird.<br />

Es ist heiß in Venedig, zäh und schwül dringt die Hitze in jede Ritze, in jede Pore. Commissario Brunetti klebt lustlos an seinem<br />

Schreibtisch und träumt von Urlaub in kühleren Gefilden. Er ist ferienreif, will mit seiner Familie nach Südtirol in die Berge fahren, unter<br />

dem Federbett verschwinden und Geschichtsbücher lesen. Sogar die Verbrecher scheinen erschöpft, so dass sich der Commissario Zeit


nehmen kann für zwei sehr persönliche Fälle: Ispettore Lorenzo Vianelli macht sich Sorgen um seine Tante. Aus heiterem Himmel ist Zia<br />

Anita dabei, das Familienvermögen durchzubringen. Vianello fürchtet, sie stehe unter dem Einfluss eines gefährlichen Betrügers. Durch<br />

welche Kanäle fließt das Geld?<br />

Sein Freund Toni Brusca, Leiter der Städtischen Personalverwaltung, bringt Guido Brunetti heimlich Gerichtsakten, die eine seltsame,<br />

systematische Verschleppung von Prozessen belegen und ein sehr schlechtes Licht auf Richterin Coltellini werfen.<br />

Brunetti will beides nach den Ferien aufklären und sitzt schon im Zug – da gibt es einen Toten.<br />

Der Mord an einem Gerichtsdiener führt den Commissario in brütender Hitze kreuz und quer durch ein Venedig der Scharlatane. Brunetti<br />

kämpft gegen Hinterhältigkeit und Scheinheiligkeit, gegen Durchtriebenheit und Korruption – und, wie üblich, gegen die Ignoranz seines<br />

Vorgesetzen Vicequestore Patta. Geduldig entwirrt er dabei ein schmutziges Knäuel aus fehlgeleiteten Sehnsüchten, missbrauchtem<br />

Vertrauen und Liebe auf Abwegen.<br />

AUF TREU UND GLAUBEN lebt – stärker noch als frühere Fälle – von der geschilderte Atmosphäre. Gegen wen Brunetti tatsächlich<br />

ermittelt und was er schließlich dabei herausfindet, ist fast egal. Die von Donna Leon stets und ständig heraufbeschworene, lähmende<br />

Augusthitze scheint der Autorin gehörig zugesetzt zu haben. So entwickelt sich der »Fall« doch recht zäh, um dann irgendwann sehr<br />

unvermittelt aufgelöst zu werden.<br />

Den Fans dürfte das gleichgültig sein. Hauptsache ist doch, dass sie alle wieder da sind: Brunetti und Vianello, Patta und die ebenso<br />

schöne wie schlaue Signorina Elettra. Und fast noch wichtiger: Brunettis Familie geht es gut. Letztendlich dürfen die Brunettis doch noch<br />

zusammen Urlaub machen – in den kühlen Bergen. Und spätestens dann sind auch alle Zuhörer irgendwie glücklich.<br />

Daran hat Jochen Striebecks Interpretation des Textes großen Anteil. Seine bärige Stimme, verbunden mit den detailreichen, oft<br />

minutiösen Schilderungen Leons, ziehen die Hörer schnell in die Geschichte hinein. Jochen Striebeck liest mit einem Tonfall, der feine<br />

Ironie versprüht und damit die ruhige Arbeitsweise des beliebten Commissarios genau trifft. Einige der auftretenden Personen<br />

charakterisiert Striebeck durch eine eigene, unverwechselbare Tonlage. Er erledigt seinen Job souverän und unaufgeregt, in jenem sehr<br />

gemächlichen Tempo, das der brütenden Augusthitze geschuldet ist.<br />

Das ist nicht unanstrengend – die lähmende Hitze scheint sich klebrig auch auf die Stirn der Zuhörer zu legen. Doch am Ende ist man<br />

auch ohne einen ökologischen Exzess unter der Dusche einfach glücklich und mit dem Gehörten sehr zufrieden.<br />

59<br />

Árpád A. Pajkosság


F. Scott Fitzgerald: DER GROSSE GATSBY<br />

Deutschsprachiges Hörbuch – Ungekürzte Lesung<br />

(The Great Gatsby. 1925<br />

Aus dem Amerikanischen von Lutz-W. Wolff)<br />

Sprecher: Burghart Klaußner<br />

Regie: Margit Osterwold<br />

Hamburg, HörbucHHamburg, 04/2011<br />

ISBN 978-3-8398-1071-2<br />

6 CDs, 76 Tracks, 432 Min, Euro 19,95 [D]<br />

Online → Hörprobe (.mp3 – 3,85 MB)<br />

60<br />

F. Scott Fitzgerald, am 24. September 1896 in St. Paul<br />

(Minnesota) geboren, hatte nach den Studienjahren in<br />

Princeton mit nur 24 Jahren bereits sein Ziel erreicht: Sein<br />

erster Roman »This Side of Paradise« (dt. DIESSEITS VOM<br />

PARADIES) machte ihn auf einen Schlag berühmt und reich,<br />

mit seiner Frau Zelda stand Fitzgerald im Mittelpunkt von<br />

Glanz und Glimmer. Alles endete im schrecklichen Kater der<br />

Wirtschaftskrise: Alkohol, Zank und Geldprobleme zerstörten die Ehe mit<br />

Zelda. Sein 1925 vollendetes, berühmtestes Werk THE GREAT GATSBY,<br />

verkaufte sich zu seinen Lebzeiten nicht gut. Auch die späteren Werke waren<br />

finanzielle Misserfolge. Um Geld zu verdienen, ging Fitzgerald 1937 als<br />

Drehbuchautor nach Hollywood, wo er am 21. Dezember 1940 nach zwei<br />

Herzinfarkten starb.<br />

Burghart Klaußner wurde am 13. September 1949 in Berlin geboren. 1969 begann er ein Studium der Germanistik und Theaterwissenschaft<br />

an der Freien Universität Berlin, wechselte im selben Jahr an die Berliner Max-Reinhardt-Schule für Schauspiel, um Schauspieler zu werden.<br />

Von 1970 bis 1972 arbeitete er an der Schaubühne am Halleschen Ufer. Er wurde danach vom Hamburger Schauspielhaus, dem Schiller-<br />

Theater und dem Maxim-Gorki-Theater in Berlin sowie Bühnen in Frankfurt am Main, Bochum und Zürich verpflichtet.<br />

2005 wurde er für seine Nebenrolle in »Die fetten Jahre sind vorbei« mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet, 2006 erhielt er beim<br />

Filmfestival von Locarno den Goldenen Leoparden als bester Darsteller für seine Rolle als Botschafter in dem Film »Der Mann von der<br />

Botschaft«. 2010 erhielt Klaußner den Deutschen Filmpreis als Bester Hauptdarsteller für »Das weiße Band. Im selben Jahr war er am<br />

Staatsschauspiel Dresden in »Don Carlos als spanischer König Philipp II. zu sehen. 2011 erhielt Klaußner den Deutschen Hörbuchpreis in<br />

der Kategorie »Bester Interpret«. Burghart Klaußner ist Mitglied der Freien Akademie der Künste in Hamburg und der Deutschen<br />

Filmakademie, in deren Vorstand er 2010 gewählt wurde.<br />

Bei einem Abendessen mit seiner Cousine Daisy hört Nick den Namen dieses Mannes zum ersten Mal: Jay Gatsby. Der Mann, der dieses<br />

große, von Musik und Licht erfüllte Haus direkt neben Nicks kleinem Häuschen besitzt, bei dem jeden Abend Unmengen von Leuten<br />

auftauchen, um zu feiern, ohne meist den Gastgeber auch nur zu kennen. Dafür wird umso mehr über ihn getratscht. Er soll einen<br />

Menschen umgebracht haben, und woher sein Reichtum stammt, ist auch nicht so ganz klar.<br />

Nick erlebt einen Sommer mit allen Vergnügungen der wirklich Reichen – mit Tom, Daisys Mann, mit Gatsby – sie leben ganz nach ihren<br />

Launen, ohne Rücksichten zu nehmen. Eines Tages äußert Gatsby eine seltsame Bitte: Nick möge doch Daisy zum Tee einladen; und er<br />

würde ganz zufällig auch vorbeikommen. Fünf Jahre hat er sie nicht mehr getroffen, fünf Jahre, in denen er nicht aufgehört hat, sie zu<br />

lieben. Seinen ganzen Reichtum hatte er nur für sie gescheffelt – sie, die damals nicht auf ihn warten wollte, weil er zu arm war ...


Was für eine Welt beschreibt F. Scott Fitzgerald in seinem wunderbaren Roman DER GROSSE GATSBY! Eine Welt voller Musik, Partys,<br />

charmantem, sinnlosem Geplapper, Strömen von Alkohol, Flirts, Seitensprüngen, schönen Kleidern, Geld – viel zu laut und schrill, um auf<br />

Nuancen zu hören. Obwohl Gatsby, der sein frisch erworbenes Geld protzig zur Schau stellt, alles verkörpert, was Nick abstößt, erkennt er<br />

ihn am Ende der Geschichte trotzdem als den Einzigen, der moralisch integer geblieben war.<br />

Sein Leben für einen Traum zu führen und dann, wenn dieser Traum sich zu erfüllen scheint, feststellen zu müssen, dass er der Realität<br />

nicht standhält, hat Fitzgerald hier wunderbar geschildert. Nicht umsonst wird dieser gesellschaftskritische Roman aus dem Jahr 1925,<br />

der im New York der 1920er Jahre, den Roaring Twenties, spielt, zum Wichtigsten der Amerikanischen Literatur gezählt.<br />

DER GROSSE GATSBY erschien 1928 in einer Übersetzung von Maria Lazar erstmals in deutscher Sprache. 1953 folgte die deutsche<br />

Fassung von Walter Schürenberg, die – in verschiedenen Verlagen aufgelegt – trotz einiger anderer Überarbeitungen zur<br />

Standardausgabe wurde. 2002 entstand mit Sky Du Mont unter der Regie von Margit Osterwold erstmals eine ungekürzte Lesung dieser<br />

Textfassung – ein längst vergriffenes Hörbuch-Juwel.<br />

Bereits 2006 gab Diogenes die Neuübersetzung von Bettina Abarbanell heraus und präsentierte diese vor kurzem als ungekürzte Lesung<br />

von Gerd Heidenreich unter der Regie von Günther Krusemark.<br />

Im April dieses Jahres veröffentlichte der Deutsche Taschenbuchverlag eine kongeniale Neuübersetzung von Lutz-W. Wolff, die –<br />

zeitgleich mit der Diogenes-Produktion – auch als Hörbuch erschien. Es liest Burghart Klaußner unter der Regie von (Tusch!) Margit<br />

Osterwold. In dieser Neuübersetzung ist die schlichte und zugleich poetische Sprache des Romans erstmals perfekt getroffen. Und<br />

Burghart Klaußner macht jede Nuance, jedes hinter der glatten Fassade brodelnde Gefühl, den Überschwang wie die große Ernüchterung,<br />

hörbar.<br />

Genießen Sie mit der Hörprobe einen kleinen Auszug aus dieser glänzenden Lesung. Margit Osterwold ist mit dieser Produktion wieder ein<br />

Hörbuch-Juwel gelungen. Sichern Sie es sich, bevor es vergriffen ist!<br />

61<br />

Ricarda Ingel-Pérez


Arno Strobel: DAS WESEN<br />

Originalsprachiges Hörbuch - Autorisierte Lesefassung<br />

Sprecher: Sascha Rothermund<br />

Berlin, Argon, 12/2010<br />

ISBN 978-3-8398-1085-9<br />

6 CDs im Jewelcase, 65 Tracks, 414 Minuten<br />

oder<br />

ISBN 978-3-8398-5076-3<br />

1 Daisy-CD in Amaray-Box mit Brailleetikett<br />

jeweils Euro 19,95 [D]<br />

Online → Hörprobe (.mp3 – 3,87 MB)<br />

62<br />

Arno Strobel, 1962 in Saarlouis geboren, studierte Informationstechnologie<br />

und arbeitet heute bei einer großen deutschen Bank. Mit dem Schreiben<br />

begann er im Alter von fast vierzig Jahren. Arno Strobel lebt mit seiner<br />

Familie in der Nähe von Trier.<br />

2010 erschienen seine Psychothriller DER TRAKT und DAS WESEN.<br />

Sascha Rotermund, geboren 13. Juni 1974 in Arnsberg in Westfalen, studierte nach seinem Abitur am Walburgisgymnasium Menden im Jahr 1993 zunächst<br />

Lehramt an den Universitäten Dortmund und Siegen, bevor er 1997 seine Schauspielausbildung an der Hochschule für Musik und Theater Hannover begann<br />

und sie 2001 mit dem Diplom abschloss. Sein erstes festes Engagement am Theater Magdeburg. Er gastierte auf den Bühnen in Bremen, Lübeck und<br />

Hannover.<br />

Seit Mitte der 2000er Jahre ist Rotermund überwiegend im Bereich der Filmsynchronisation tätig. Er ist die deutsche Stimme diverser Haupt- und<br />

Nebendarsteller in Filmen und Serien. Seit Mitte der 2000er Jahre setzt Rotermund seine Stimme zudem als Hörbuchinterpret ein. Für Lübbe Audio las er<br />

unter anderem DER HEILIGE GRAL UND SEINE ERBEN von Henry Lincoln, Michael Baigent und Richard Leigh, SO FINSTER IST DIE NACHT, SO RUHET IN<br />

FRIEDEN und MENSCHENHAFEN von John A. Lindqvist, DIE ACHTE SÜNDE von Philipp Vandenberg, DAS PAULUS-EVANGELIUM von Wolfgang Hohlbein und<br />

DAS DOPPELLÄUFIGE GEWEHR von Amanda Cross.<br />

In der Hörspielserie »Christoph Schwarz« ist Rotermund seit 2008 in der Rolle des gleichnamigen Protagonisten zu hören. Im Rahmen der bundesweiten »Drei<br />

Fragezeichen«-Tournee »Der seltsame Wecker – Live and Ticking« trat er im Herbst 2009 in verschiedenen Rollen als Gastsprecher auf.<br />

Sascha Rotermund lebt in Berlin.<br />

Ein kleines Mädchen stirbt, und der Hauptverdächtige wandert in den Knast – verurteilt aufgrund von Indizien, ohne Geständnis.<br />

15 Jahre später: Wieder verschwindet ein Kind, und der Albtraum beginnt von vorn – für die Ermittler und den Täter von damals.<br />

Diese Ausgangssituation kommt Ihnen – wenn Sie ein Fan von psychologisch fundierten Kriminalromanen sind – sicherlich bekannt vor.<br />

Doch was Arno Strobel aus dieser Situation entwickelt, ist einzigartig.<br />

Zunächst lässt Strobel in zwei parallel verlaufenden Strängen seinen Erzähler, Kommissar Alexander Seifert, von den Ermittlungen im<br />

alten und dem aktuellen Fall berichten. 1994 wird die Leiche eines jungen Mädchens gefunden. Sie wurde ermordet und in einem kleinen<br />

Waldstück abgelegt. Die Suche nach dem Mörder gestaltet sich schwierig, doch vor allem der leitende Ermittlungsbeamte.


Kriminaloberkommissar Bernd Menkhoff, kommt mehr und mehr zu der Überzeugung, dass der angesehene Psychiater Dr. Joachim<br />

Lichner der Täter sein muss. Dieser beteuert bis zum Schluss seine Unschuld, doch die Indizien sind recht eindeutig, so dass er zu 15<br />

Jahren Haft verurteilt wird – ein Urteil, das bei dem noch recht unerfahrenen jungen Kommissar Seifert einen schalen Nachgeschmack<br />

hinterlässt.<br />

2009: Kurz vor Dienstschluss erreicht Menkhoff ein anonymer Anruf. Ein kleines Kind soll aus einer Wohnung verschwunden sein.<br />

Menkhoff und sein Partner Alexander Seifert staunen nicht schlecht als sie vor der angegebenen Wohnung stehen und ihnen Dr. Lichner<br />

die Tür öffnet. Seine zweijährige Tochter soll verschwunden sein, aber Dr. Lichner bestreitet, eine Tochter zu haben. Eine Nachbarin<br />

bestätigt den Polizisten jedoch, ein kleines Mädchen gesehen zu haben, und so wandert Dr. Lichner kurzerhand in Untersuchungshaft.<br />

Aber wo ist das kleine Mädchen – oder existiert es gar nicht? Eine Überprüfung der Geburtsbescheinigung im Krankenhaus ergibt, dass<br />

diese offensichtlich gefälscht wurde, und selbst die Nachbarin ändert plötzlich ihre Meinung. Man habe ihr für die Falschaussage Geld<br />

gegeben. Während Menkhoff glaubt, dass Dr. Lichner ein perfides Spiel mit ihnen treibt, verstärken sich in seinem Partner zunehmend die<br />

Zweifel, dass damals tatsächlich der wahre Mörder verhaftet wurde. Mehr und mehr gerät Dr. Lichners frühere Lebensgefährtin Nicole<br />

Klement in den Fokus der Ermittlungen, nicht zuletzt, da sie kurz nach dem Urteilsspruch längere Zeit mit Menkhoff liiert war ...<br />

Arno Strobel präsentiert seinem Publikum sehr eigenwillige Figuren. Alex Seifert, für den der damalige Fall die Feuerprobe war, und der in<br />

den ganzen Jahren Zweifel in sich trug, ist ein großer Sympathieträger. Ganz anders Oberkommissar Bernd Menkhoff. Er ist in seinem<br />

Streben nach Gerechtigkeit gänzlich blind für Argumente, die den Verdächtigen entlasten könnten – den er aus sehr persönlichen<br />

Gründen hasst. Und schließlich Dr. Joachim Lichner, ein hochintelligenter, arroganter Narziss, der mit seinem ständigen Sarkasmus die<br />

Polizisten zur Weißglut treibt.<br />

Sascha Rotermund liest mit einer unglaublich starken, magnetischen Stimme, wie geschaffen für den absolut packenden Stoff, treibend,<br />

tiefgründig und unheimlich. Durch ihn lässt dieser Thriller seine Hörer nicht mehr los. In der autorisierten Lesefassung fesseln die langen<br />

Dialoge zwischen Menkoff und Lichner; man kann die Rhetorik-Schlachten zwischen Jäger und Gejagtem genießen – besonders, wenn der<br />

Gejagte plötzlich zum Jäger wird. DAS WESEN ist ein Hörbuch für Leute mit starken Nerven, denn sie werden auf eine wahre<br />

Achterbahnfahrt der Gefühle geschickt. Obgleich im späteren Verlauf alles klar zu sein scheint, nimmt die Handlung nochmals eine<br />

überraschende Wendung bis hin zu einer Auflösung, die einem den Atem raubt.<br />

Stobels Erzählstil mit zahlreichen, blendend gesetzten Cliffhangern und Rotermunds kongeniale Interpretation machen DAS WESEN, ein<br />

erbittertes Psychoduell um Schuld und Rache, zu einem tief berührenden Hörerlebnis, das lange nachhallt.<br />

63<br />

Rainer Uebermuth


Martin Walker: SCHWARZE DIAMANTEN<br />

Deutschsprachiges Hörbuch – Ungekürzte Lesung<br />

(Spiral. Aus dem Englischen von Michael Windgassen)<br />

Sprecher: Johannes Steck<br />

Zürich, Diogenes, 05/2011<br />

ISBN 978-3-257-80306-8<br />

8 CD im Karton, 89 Tracks, 528 Min.<br />

Euro 31,90 [D]<br />

Online → Hörprobe (.mp3 – 6,66 MB)<br />

64<br />

Schauspieler und Erzähler Johannes Steck, geboren am<br />

15. März 1966 in Würzburg, erlernte das Schauspiel an<br />

der Schauspielschule von Professor Krauss in Wien, an<br />

der er von 1988 bis 1991 studierte. Außerdem belegte<br />

der gelernte Theatermaler 1998 einen Kurs in dem<br />

renommierten Hollywood Acting Workshop.<br />

Sein Theaterdebüt gab er 1990 in dem Erfolgsstück<br />

»Der kleine Prinz« im »Theater der Jugend«, Wien.<br />

Seit 1999 ist der charismatische Schauspieler auch in<br />

der Hörspiel- und Buchwelt zu Hause. Über 80 Hörbuchproduktionen,<br />

von Balzac bis Wilde, von Rilke bis Heine,<br />

aber auch Bestsellern wie DIE DREI FRAGEZEICHEN, Krimis und Fantasy<br />

verlieh Johannes Steck durch seine warme, klangvolle Stimme eine ganz<br />

eigene Note. Heute liegt sein Lebensmittelpunkt auf dem Land, in der Nähe<br />

von München, wo er mit seiner Frau und drei seiner vier Kinder lebt und<br />

arbeitet. In seinem Tonstudio tut er das, was ihm am meisten Spaß macht:<br />

Er spricht und produziert Hörbücher und Hörspiele.<br />

Martin Walker, geboren 1947 in Schottland, ist nicht nur Schriftsteller, sondern auch Historiker und politischer Journalist. Er studierte<br />

Geschichte in Oxford sowie internationale Beziehungen und Wirtschaft in Harvard. Danach war er 25 Jahre lang Journalist bei der britischen<br />

Tageszeitung »The Guardian«. Heute ist Martin Walker Vorsitzender des Global Business Policy Council, eines privaten Think Tanks für<br />

Topmanager mit Sitz in Washington. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, unter anderem über den Kalten Krieg, Gorbatschow und die<br />

Perestroika, über Präsident Bill Clinton sowie über das neue Amerika. Seine Bruno-Romane erscheinen gleichzeitig in zehn Sprachen.<br />

Martin Walker lebt in Washington und im Périgord und es dürfte in seiner Wahlheimat keinen weiteren »Zugereisten« geben, dem die<br />

Einheimischen so tiefe Einblicke in ihre Seelen und Befindlichkeiten gewähren.<br />

Sonst hätte dieser Roman, der die französische Geschichte von den Kolonialkriegen in Vietnam bis heute widerspiegelt, wohl kaum<br />

entstehen können. Diese nationale Geschichte wirkt tief auf die Befindlichkeiten der Menschen Frankreichs ein. Einstieg in die Geschichte<br />

ist, wie könnte es im Périgord anders sein, das Essen, speziell die Trüffel.<br />

Das Périgord ist die Heimat der schwarzen Trüffel – sie sind, bei einem Preis von 700 bis 1.000 Euro pro Kilo, der wichtigste Bodenschatz<br />

der Region. Als ruchbar wird, dass die »schwarzen Diamanten« auf dem Trüffelmarkt des Nachbarorts Saint Albert mit billigen Importen<br />

aus Asien verschnitten werden, muss Bruno Courrèges als Chef de police von Saint Denis ermitteln.


Bruno ist einer jener genügsamen Menschen, die freiwillig auf eine Karriere und die dazu gehörenden Annehmlichkeiten verzichten und<br />

ihren Lebensinhalt im Wirken für das Gemeinwohl finden. Selbstbewusst aber nie arrogant, mit Nachdruck, aber nie sein Amt<br />

missbrauchend, kümmert er sich um die Belange seiner Mitmenschen. Bruno ist Rugby-Trainer, Headhunter und Seelsorger in<br />

Personalunion oder mimt glänzenden Kinderaugen zuliebe schon mal den Weihnachtsmann. Ihm entgeht nichts, sei es ein Falschparker,<br />

die Plattitüden im Wahlprogramm eines Bürgermeisterkandidaten oder Migrantenkinder, die nach französischem Gesetz eingeschult<br />

werden müssen.<br />

Doch trotz seiner Bemühungen ist im Périgord die Welt keineswegs so in Ordnung, wie es auf den ersten Blick erscheint.<br />

Und sein aktueller Fall nimmt eine dramatische Wendung, als ein furchtbar brutaler Mord begangen wird – an Brunos altem Jagdfreund<br />

Hercule, dem größten Trüffelexperten der Region. Bruno steht nun vor der Herausforderung, die Verbindung zwischen diesem und einigen<br />

lange zurückliegenden Verbrechen zu finden, die eng mit Frankreichs unrühmlicher kolonialer Vergangenheit in Indochina verknüpft sind<br />

– und läuft, wie immer in äußerst schwierigen Situationen, zu Hochform auf. Die Nachwirkungen historischer Konflikte und aktuelle<br />

politische Probleme wie illegale Einwanderung und Veruntreuung öffentlicher Fördergelder sind die bestimmenden Aspekte dieses<br />

komplexen Falls.<br />

Der Roman, eine Geschichte mit Dominoeffekt, die als beschauliche Erzählung über eine kulinarische Spezialität beginnt und sich zu<br />

einem rasanten Thriller steigert, der mehrere Kontinente und ein halbes Jahrhundert umspannt, ist aus vielen Gründen faszinierend.<br />

Spannend, lehrreich und unnachahmlich gut schildert Martin Walker voller Begeisterung für dieses Fleckchen Erde und die französische<br />

Lebensart wie das globalisierte Verbrechen in eine scheinbar geordnete Welt einbricht.<br />

Zum unverwechselbaren Charme dieses amüsanten Krimis gehört unbedingt das durch nichts zu erschütternde Vertrauen in das Gute und<br />

die gelassene Lebensfreude seiner Hauptfigur. Walker stattet Bruno Courrèges – wie auch die meisten seiner Nebenfiguren – mit einer<br />

emotionalen Tiefe aus, wie sie im Krimigenre nur sehr selten zu finden ist.<br />

Johannes Steck, der mit seiner sonoren Stimme wunderbar variantenreich liest, macht nicht nur die atmosphärische Dichte dieses<br />

Romans hör- und erlebbar, sondern vermittelt auch auf wunderbar lebendige Weise das emotionale Beziehungsgeflecht zwischen den<br />

Figuren. Ihm ist in dieser Produktion erneut eine Lesung von bestechender Qualität gelungen.<br />

Den Genuss dieses Hörbuchs sollten Sie sich unbedingt gönnen – allerdings keinesfalls mit leerem Magen, denn hungrige Zuhörer dürften<br />

sich bei Walkers Schilderungen erlesener Weine und vorzüglicher Speisen kaum konzentrieren können. Das aber wäre ausgesprochen<br />

schade, denn man mag nicht eine Nuance dieses intelligent konzipierten und vielschichtigen Krimis missen!<br />

65<br />

Maran Alsdorf


Jan Wallentin: STRINDBERGS STERN<br />

Deutschsprachiges Hörbuch – Gekürzte Lesung<br />

(Strindbergs stjärna. 2010.<br />

Aus dem Schwedischen<br />

von Antje Rieck-Blankenburg)<br />

Lesefassung: Anke Albrecht<br />

Sprecher: Matthias Brandt<br />

München, Der Hörverlag, 03/2011<br />

ISBN 978-3-86717-700-9<br />

8 CDs im Jewelcase, 119 Tracks, 606 Min.<br />

Euro 24,95 [D]<br />

Online → Hörprobe (.mp3 – 5,87 MB)<br />

66<br />

Jan Wallentin, geboren 1970 in Linköping, ist<br />

Journalist und arbeitet beim Schwedischen<br />

Fernsehen. Sein erster Roman Strindbergs Stern<br />

sorgte bereits vor seinem Erscheinen im Oktober<br />

2010 international für großes Aufsehen.<br />

STRINDBERGS STERN wurde bisher in 24 Länder<br />

verkauft.<br />

Matthias Brandt wurde 1961 als jüngster Sohn Willy Brandts in Berlin geboren. Er studierte Schauspiel an der<br />

Hochschule für Musik und Theater in Hannover und war anschließend an verschiedenen Theatern engagiert, u. a.<br />

am Bayerischen Staatsschauspiel und dem Schauspiel Frankfurt. Seit 2000 ist Matthias Brandt regelmäßig in<br />

Fernseh- und Kinorollen zu sehen, so z. B. in Im Schatten der Macht, Contergan, Ein Mann, ein Fjord oder Ken<br />

Folletts Eisfieber. Für den Hörverlag las Matthias Brandt Ingo Schulzes Roman Adam und Evelyn ein.<br />

Im März diesen Jahres erschien der von Antje Rieck-Blankenburg ins Deutsche übersetzte Debütroman des schwedischen Fernseh-<br />

Journalisten Jan Wallentin im S. Fischer Verlag. Inzwischen hat STRINDBERGS STERN für Furore und eine zwischen Begeisterung und<br />

harscher Kritik schwankende Aufnahme gesorgt.


Nun liegt dieser stark polarisierende Roman auch in einer gekürzten Lesung von Matthias Brandt als Hörbuch vor. Während ich meist –<br />

und fast schon reflexartig – gegen die Unsitte gekürzter Lesungen protestiere, bin ich diesmal für die redaktionelle Bearbeitung durch den<br />

Hörverlag aufrichtig dankbar. Denn in der Lesefassung von Anke Albrecht wurden viele Fehler ausgemerzt, welche die vom Fischer-Verlag<br />

so hipp mit einem Internet-Auftritt samt Trailer und Gewinnspiel beworbene, aber leider nur unzureichend lektorierte deutsche Fassung<br />

für kritische Leser so unbefriedigend macht.<br />

Der junge Autor – Jan Wallentin wurde am 8. April 1970 im schwedischen Linköping geboren – eröffnet seinen zwischen Thriller und<br />

Mysterygeschichte oszillierenden Roman mit der detailreichen Schilderung eines Tauchgangs durch die verschlungenen Schächte einer<br />

alten Mine in Falun. Der Hobbytaucher Erik Hall stößt auf Unheimliches. Mitten auf einem Stein liegt eine mumifizierte Leiche. Und neben<br />

der Leiche ein mysteriöses Kreuz. Ein finsteres uraltes Geheimnis tut sich auf. Nur einige Wenige kennen dieses Kreuz, die Eingeweihten<br />

wissen: ein Stern gehört dazu, und Kreuz und Stern bilden zusammen einen magischen Gegenstand, der unendliche Macht verleiht. Doch<br />

der Stern ist verschollen.<br />

Eine mörderische Jagd beginnt, und alle haben nur ein Ziel – sie wollen den Stern: Don Titleman, tablettensüchtiger Experte für<br />

altnordische Mythologie und von seiner dunklen Vergangenheit besessen. Ein deutscher Geheimbund, der sich zu okkulten Riten auf einer<br />

Burg trifft. Und die unbändig schöne Hex, die sich in die Computer des europäischen Verkehrssystems hackt. Jeder will der Erste sein.<br />

Doch dann wird die Jagd nach dem Stern zur Jagd nach den Jägern …<br />

Verzeihen Sie mir bitte, dass ich Ihnen kaum mehr als dies über die Handlung verraten werde – zumindest nicht in chronologischer<br />

Reihenfolge. Allerdings möchte ich Ihnen nicht verschweigen, warum der Roman den Titel STRINDBERGS STERN trägt.<br />

In einer gelungenen Verquickung von Fiktion und Historie schildert Jan Wallentin das erste Auftauchen der mystischen Gegenstände, die<br />

im Mittelpunkt seines Romans stehen. 1895 unternimmt der schwedische Forscher Sven Hedin eine seiner ersten Forschungsreisen, die<br />

ihn unter anderem in die menschenleere, innerasiatische Sandwüste Taklamakan führt. Bei der Durchquerung kam er wegen<br />

Wassermangels nur knapp mit dem Leben davon. Die dramatische Reise wurde zu einem bis heute anhaltenden Mythos, den Wallentin<br />

sich zunutze macht. Nach seiner Lesart findet Hedin in den Ruinen einer alten Stadt einen fünfzackigen Stern und ein Henkelkreuz. Da er<br />

mit beiden Objekten nichts anzufangen weiß, schickt er sie an den befreundeten, schon damals als Allround-Genie bekannten August<br />

Strindberg. Auch Strindberg scheitert an einer näheren Bestimmung und leitete die Objekte an seinen Neffen Nils Strindberg weiter.<br />

Dieser – noch sehr jung an Jahren – ist Wissenschaftler und Fotograf in Stockholm. Er unterzieht Stern und Kreuz verschiedenster<br />

physikalischer Untersuchungen und stellt fest, dass sie bei einer bestimmten Temperatur miteinander verschmelzen, wobei sich dann<br />

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geheimnisvolle Sphären aufbauen, die einen Teil des arktischen Himmels zeigen. Ein vom Polarstern ausgehender Strahl weist auf genau<br />

lokalisierbare Stellen im Polareis. Fasziniert von den, für ihn an Wunder grenzenden Erscheinungen beschließt er, den Dingen auf den<br />

Grund zu gehen.<br />

Gemeinsam mit dem schwedischen Ingenieur und Polarforscher Salomon August Andrée plant Nils Strindberg eine Expedition ins Ewige<br />

Eis. Da sie keine schwedischen Finanziers finden können, akzeptieren sie das Geld, das von einem deutschen Konsortium bereitgestellt<br />

wird. Es solle eine Reise ohne Wiederkehr werden. Das historisch belegte Scheitern der Expedition markiert allerdings nicht das Ende der<br />

Vermischung von Geschichte und Fiktion.<br />

Jan Wallentin hat seiner Fantasie freien Lauf gelassen und seine Schöpfung sehr geschickt in den historischen Kontext eingebaut.<br />

Ausgehend von Sven Hedins Forschungsreisen, über die missglückte Arktis-Expedition von Strindberg und Andrée spannt er einen Bogen<br />

bis zum österreichischen Okkultisten Karl Maria Wiligut und dem Reichsführer-SS Heinrich Himmler, dessen wahnsinnige Rassen- und<br />

Ahnenforschung ausgiebig beleuchtet wird. Auf die Initiative Himmlers und Wiliguts gründet auch der Umbau der Wewelsburg bei<br />

Paderborn zu einer Ordensburg der SS, die Jan Wallentin in eine Kultstätte für seine fiktive Organisation verwandelt.<br />

Als Kontrapunkt zu soviel Nazi-Ideologie hat der Autor seinen Helden Don Titleman aufgebaut, dessen Gedanken oft um das Leiden seiner<br />

Großmutter im KZ Ravensbrück kreisen. Auch beruflich beschäftigt sich der Historiker intensiv mit Nazi-Devotionalien. Schade ist nur,<br />

dass Wallentin seinen »Helden« recht despektierlich behandelt. Er lässt Titleman Psychopharmaka konsumieren, Tag für Tag, von<br />

morgens bis abends und Mengen, die – realistisch betrachtet – das Ende jeden klaren Gedankens bedeuten würde.<br />

Don Titleman ist in Wallentins Figurenkabinett keine Ausnahme. Auch die meisten anderen Charaktere sind verschroben bis seltsam oder<br />

verfügen über geheimnisvolle Kräfte. Aber gegen außergewöhnliche Figuren ist nichts einzuwenden. Es gibt auch kein Argument gegen<br />

die Tatsache, dass im Laufe der Geschichte die phantastischen Elemente zunehmen, bis sie in einem geradezu »höllischen« Finale gipfeln.<br />

Jan Wallentin sind dabei ausdrucksstarke Bilder gelungen, die geradezu nach einer Verfilmung schreien.<br />

Eine Reihe nur angedeuteter Erklärungen und bildlicher Beschreibungen, die Raum für breite Assoziationen lässt, ergibt tatsächlich über<br />

lange Strecken eine Geschichte voller Magie, Okkultismus und Mystik, welche die Zuhörer beständig in den Bann zu ziehen vermag.<br />

Mehr noch als die Fehlerbereinigung und Straffung des Textes ist es der Interpret, der dafür sorgt, dass die Hörbuchfassung der<br />

Buchausgabe deutlich überlegen ist.<br />

Matthias Brandt, am 7. September 1961 als jüngster Sohn Willy Brandts in Berlin geboren, studierte Schauspiel an der Hochschule für<br />

Musik und Theater in Hannover und war anschließend an verschiedenen renommierten Theatern engagiert. Seit 2000 ist er regelmäßig in<br />

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Fernseh- und Kinorollen zu sehen, so beispielsweise in dem 2003 ausgestrahlten Fernsehfilm »Im Schatten der Macht« über die letzten<br />

Tage vor dem Rücktritt seines Vaters vom Amt des Bundeskanzlers, in dem er die Rolle des Günter Guillaume spielte. Für seine<br />

darstellerische Leistung wurde er mehrfach mit Preisen ausgezeichnet, zuletzt 2008 mit der Goldenen Kamera in der Kategorie »Bester<br />

deutscher Schauspieler«.<br />

Matthias Brandt brillierte bereits in einer Reihe erstklassiger Hörbuchproduktionen, unter anderem in Ake Edwardsons DER HIMMEL AUF<br />

ERDEN, das im letzten Jahr mit dem Deutschen Hörbuchpreis in der Kategorie »Das besondere Hörbuch/Bester Krimi« ausgezeichnet<br />

wurde.<br />

Auch für diese Lesung hätte er eine Auszeichnung verdient. Brandt stellt erneut sein untrügliches Gespür für Rhythmus und perfektes<br />

Timing unter Beweis. Mit fast minimalistisch eingesetzten Abwandlungen in Sprachduktus und Tonhöhe verleiht er jeder Figur eine<br />

unverwechselbare, dem Charakter und der emotionalen Befindlichkeit geschuldeten Stimme.<br />

Lassen Sie sich von Matthias Brandt durch diesen spannenden und immer wieder verblüffenden Roman geleiten – Sie werden jede Minute<br />

genießen!<br />

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Rainer Uebermuth

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