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Geflecht gegenseitiger Verdächtigungen und Intrigen, in einer Welt, in der Gut und Böse nicht zu unterscheiden sind, einer Welt, die<br />

bekanntlich von einem hochtourig laufenden Kapitalismus und einer religiös anmutenden Warenverehrung geprägt ist.<br />

Gibson versteht, wie wichtig Dinge für die Menschen sind. Er kniet sich tief hinein in unsere Gegenwart, in der jede einzelne Konsumentscheidung<br />

für uns und unsere (Twitter- oder Facebook-)Freunde, also für die Gesellschaft, irgendwas bedeutet. Wir drücken unsere Wünsche<br />

und Ambitionen durch den Erwerb von Kleidung, Fahrzeugen, Möbeln, und Multimedia-(i)Gadgets aus und bloggen fröhlich unsere Erfolge.<br />

Wie eigentlich alle seine Romane, zeichnet sich auch SYSTEMNEUSTART nicht durch einen raffinierten Plot oder die psychologische Komplexität<br />

der Figuren aus. Absolut folgerichtig! Denn »psychologische Komplexität« spielt in unserem Alltag keine Rolle; wir begegnen ihr allenfalls in der<br />

Literatur oder auf der Couch eines »angesagten« Therapeuten.<br />

In letzter Zeit kommen – in der Wirklichkeit wie im Roman – wieder vermehrt Dinge ins Spiel, die keinerlei ästhetischen Überschuss<br />

auszudrücken beanspruchen: Arbeitskleidung und Uniformen. Zur modischen Bedeutung der Blue Jeans muss man nichts mehr sagen.<br />

Armeeklamotten werden gewöhnlich in ihrer modischen Tragweite unterschätzt. Nicht aber von Gibson, dem Nerd mit der Nase eines<br />

Trendscouts. Es gibt viele junge Männer und Frauen, deren Objekt der Begierde die Armeeoriginale selbst sind, weil sie »mit ihrer Kleidung den<br />

Eindruck erwecken wollen, sie hätten besondere Fähigkeiten«. Gear-queer, nennen die Agenturleute diese spezielle Selbstdefinition über<br />

Äußerlichkeiten. Gibsons erstklassige deutsche Übersetzer, Hannes und Sara Riffel, haben dafür das schöne Wort »ausrüstungsgeil« geprägt.<br />

Ausrüstungsgeile wollen nicht nur das Richtige haben, sondern etwas Besonderes. Dinge, die für spezielle Herausforderungen gemacht sind.<br />

Zudem gibt es viele, die gegen »den Schwachsinn« der Marken sind, gegen »all das Zeug, das sich auslatscht und auseinander fällt, das<br />

einfach nicht echt ist«. Diese Leute wollen Dinge besitzen, die weder an den gegenwärtigen noch einen gewesenen Augenblick gekoppelt sind.<br />

Dinge, die weder ganz neu sind noch irgendwie retro. Dieses ultrakonservative Begehren nach Qualität geht mit einer Form von Exklusivität<br />

einher, die nicht an Geld, sondern an Wissen gekoppelt ist – eine grundlegend »spießige« Haltung, die seit Beginn der zehner Jahre den<br />

Popmainstream herausfordert. Es handelt sich dabei um eine Form der Luxusproduktion, die in bestimmter Hinsicht nicht weit weg von dem<br />

ist, was Bigends Experten im Einklang mit echten Kritikern auf den Aspekt der Ausrüstungsgeilheit reduzieren. Beiden Haltungen ist die<br />

Abneigung gegen eine Markenwelt gemein, in der das Produkt nicht Sachargumenten unterworfen wird, sondern höheren ästhetischen Werten.<br />

Was bedeutet die um sich greifende Ausrüstungsgeilheit? Ist sie Symptom eines neuen Konsumentenbewusstseins? Zeigt sich darin der<br />

Wunsch nach einer glücklichen Verbindung von Nachhaltigkeit und Funktionalismus? Oder ist es doch nur der bekannte alte Warenfetischismus<br />

in besonders raffiniertem Gewand? William Gibson, der Coolhunter unter den zeitgenössischen Romanciers, gibt als kluger Autor keine Antwort<br />

auf diese Fragen. Man muss sie selbst finden. Ich kann an dieser Stelle nur versuchen, es – mit der typischen Replik des 21. Jahrhunderts –<br />

stellvertretend für ihn zu tun: Alles ist möglich, vielleicht sogar zur selben Zeit!<br />

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