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Mathematik und Schach und Schönheit - Mathematik.de

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lung spielt man es mit Figuren auf einem Brett. Doch<br />

letztlich muss man sich nur 64 aufeinan<strong>de</strong>r bezogene<br />

Raumpunkte <strong>und</strong> die Wirkung von Kraftfel<strong>de</strong>rn auf diesen<br />

Raumpunkten vorstellen, <strong>de</strong>nn die Figuren sind nur<br />

Verkörperungen von Kräften, <strong>und</strong> diese benötigen kein<br />

physisch ausge<strong>de</strong>hntes Standfeld.<br />

<strong>Schach</strong> unterliegt Regeln. Diese sind willkürlich <strong>und</strong> von<br />

Menschen geschaffen, ebenso wie die Axiome in <strong>de</strong>r <strong>Mathematik</strong>.<br />

Sie legen fest, was es be<strong>de</strong>utet, <strong>Schach</strong> zu spielen<br />

o<strong>de</strong>r <strong>Mathematik</strong> zu treiben.<br />

Beim <strong>Schach</strong> sind Figurenmuster – ihre Erkennung, Analyse<br />

<strong>und</strong> Bewertung - von entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utung. Die<br />

<strong>Mathematik</strong> an<strong>de</strong>rerseits ist nach einer möglichen Definition<br />

die Wissenschaft von <strong>de</strong>n Mustern. Eines <strong>de</strong>r ältesten<br />

Teilgebiete, die Geometrie, studiert Muster von<br />

Punktmengen in Ebene <strong>und</strong> Raum. Die nicht anspruchslose<br />

intellektuelle Provinz <strong>de</strong>r Zahlentheorie jongliert mit<br />

Mustern in <strong>de</strong>n ganzen Zahlen. Die mo<strong>de</strong>rne Domäne<br />

<strong>de</strong>r Stochastik untersucht Muster in Zufallsvorgängen.<br />

Und nicht zuletzt <strong>und</strong> hier vor allem: <strong>Mathematik</strong> <strong>und</strong><br />

<strong>Schach</strong> sind bei<strong>de</strong>s Quellen stark empf<strong>und</strong>ener <strong>Schönheit</strong>.<br />

Das Empfin<strong>de</strong>n von etwas Schönem ist f<strong>und</strong>amental<br />

mit <strong>de</strong>m Gefühl <strong>de</strong>s Wohlgefallens verb<strong>und</strong>en. Als<br />

Gr<strong>und</strong>voraussetzung für ein ästhetisches Erlebnis benötigt<br />

man mithin etwas, das die Sinne, das Herz o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n<br />

Verstand in positiver Weise berührt: ein formvollen<strong>de</strong>tes<br />

Bauwerk, eine betören<strong>de</strong> Symphonie, einen farbenprächtigen<br />

Sonnenuntergang, ein sympathisches Gesicht, eine<br />

ausgefeilte Gedankenkonstruktion.<br />

Es ist vergleichsweise leicht, <strong>Schönheit</strong> über die Sinne zu<br />

erfahren. Um dagegen intellektuelle <strong>Schönheit</strong> zu spüren,<br />

bedarf es als Gr<strong>und</strong>voraussetzung einer Schulung<br />

<strong>de</strong>s Geistes. Das betrifft <strong>Schach</strong> <strong>und</strong> <strong>Mathematik</strong> gleichermaßen.<br />

Doch die intellektuell empf<strong>und</strong>ene <strong>Schönheit</strong><br />

ist nicht weniger intensiv als die sinnlich empf<strong>und</strong>ene.<br />

Und um an diese letzte Aussage sogleich anzuknüpfen:<br />

Ein wichtiger Gr<strong>und</strong>, sich mit <strong>Mathematik</strong> <strong>und</strong> <strong>Schach</strong> zu<br />

befassen, liegt in <strong>de</strong>r dabei erlebbaren <strong>Schönheit</strong>.<br />

Was die Ästhetik <strong>de</strong>r <strong>Mathematik</strong> betrifft: Die nahtlose<br />

Passform, mit <strong>de</strong>r ein Ensemble von Einzelüberlegungen<br />

<strong>und</strong> kleinen Gedankensplittern sich zu einer stringenten<br />

Argumentationslinie formiert, wie sie ähnlich <strong>de</strong>r<br />

Rädchen eines Uhrwerks ineinan<strong>de</strong>r greifen <strong>und</strong> das größere<br />

Ganze eines geglückten mathematischen Beweises<br />

liefern, hat etwas ungemein Elegantes, Harmonisches<br />

<strong>und</strong> schlichtweg Schönes. Die gelungensten Ausprägungen<br />

dieses Genres lösen bisweilen wahre Feuerwerke<br />

auf <strong>de</strong>r Großhirnrin<strong>de</strong> aus. Die Ästhetik <strong>de</strong>r <strong>Mathematik</strong><br />

steckt in <strong>de</strong>r Ausstrahlung geistreich verknüpfter I<strong>de</strong>en.<br />

<strong>Mathematik</strong> ist „I<strong>de</strong>ologie“, die Lehre von <strong>de</strong>n I<strong>de</strong>en.<br />

Der Bestseller-Autor Simon Singh nennt sie „the sexiest<br />

discipline on the planet“. Und die <strong>Mathematik</strong>er sind die<br />

Ingenieure in dieser w<strong>und</strong>erbaren Welt <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>en.<br />

Korolkow, 1957. Wer setzt in einem Zug Matt?<br />

Mathematische Denkwerkzeuge bei<br />

<strong>Schach</strong>problemen<br />

Mathematische Metho<strong>de</strong>n sind umfassend einsetzbar,<br />

auch im <strong>Schach</strong>. Wir betrachten einmal obiges Beispiel,<br />

das auf eindrucksvolle Weise die Wirksamkeit <strong>und</strong><br />

<strong>Schönheit</strong> auch einfacher mathematischer I<strong>de</strong>en bei <strong>de</strong>r<br />

Lösung von <strong>Schach</strong>problemen <strong>de</strong>monstriert.<br />

Die Problemstellung ist klar, doch eine Antwort scheint<br />

unmöglich. Wäre Weiß am Zug, so könnte er mit 1. Sxc7<br />

Matt setzen. Mit Schwarz am Zug wäre 1 . . . Sxc2 Matt.<br />

Die Fragestellung läuft also darauf hinaus zu ermitteln,<br />

wer in obiger Stellung am Zug ist. Doch wie soll dies<br />

allein aus <strong>de</strong>r Diagrammstellung heraus entschie<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n?<br />

Immerhin können die Springer, Türme <strong>und</strong> Könige<br />

bei<strong>de</strong>r Seiten eine beliebige Anzahl von Zügen ausgeführt<br />

haben <strong>und</strong> scheinbar kann <strong>de</strong>shalb sowohl Weiß als auch<br />

Schwarz jetzt am Zug sein. Dem ist aber bei genauerer<br />

Analyse mit höherer Feineinstellung nicht so. Die Antwort<br />

basiert auf <strong>de</strong>m einfachen Konzept <strong>de</strong>r Parität. Der<br />

Ausdruck Parität wird in <strong>de</strong>r <strong>Mathematik</strong> verwen<strong>de</strong>t, um<br />

bei Zahlen zwischen gera<strong>de</strong> <strong>und</strong> ungera<strong>de</strong> zu unterschei<strong>de</strong>n.<br />

Wenn zwei ganze Zahlen bei<strong>de</strong> gera<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r bei<strong>de</strong><br />

ungera<strong>de</strong> sind, so haben sie dieselbe Parität. Wenn eine<br />

gera<strong>de</strong> <strong>und</strong> die an<strong>de</strong>re ungera<strong>de</strong> ist, so haben sie unterschiedliche<br />

Parität. Es gibt viele geniale Überlegungen, die<br />

auf einfachen Paritätsbetrachtungen beruhen.<br />

Die Lösung <strong>de</strong>s obigen <strong>Schach</strong>problems ist bei Verwendung<br />

<strong>de</strong>s Paritätsprinzips als Werkzeug tatsächlich recht<br />

einfach <strong>und</strong> gleichzeitig ausgesprochen elegant: Ein Springer<br />

wechselt bei je<strong>de</strong>m Zug die Farbe seines Standfel<strong>de</strong>s.<br />

Anfangs stehen die bei<strong>de</strong>n Springer eines Teams auf<br />

Fel<strong>de</strong>rn verschie<strong>de</strong>ner Farbe. Im obigen Diagramm aber<br />

stehen die bei<strong>de</strong>n weißen Springer auf Fel<strong>de</strong>rn gleicher<br />

Farbe <strong>und</strong> haben <strong>de</strong>shalb insgesamt eine ungera<strong>de</strong> Zahl<br />

von Zügen ausgeführt. Wie viele Züge das sind ist unbekannt,<br />

aber es ist eine ungera<strong>de</strong> Zahl. Die bei<strong>de</strong>n weißen<br />

Türme <strong>und</strong> <strong>de</strong>r weiße König zusammen haben eine gera<strong>de</strong><br />

Zahl von Zügen absolviert, außer<strong>de</strong>m ist exakt ein<br />

weißer Bauernzug geschehen. Alle an<strong>de</strong>ren weißen Figuren<br />

haben nicht gezogen. Also ist eine gera<strong>de</strong> Zahl von<br />

MDMV 17 / 2009 | 156–161 FOKUS 157

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