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Antike Astronomie: Von Eudoxos bis zum Almagest - Mathematik.de

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<strong>Eudoxos</strong> & Co. – Die Anfänge <strong>de</strong>r wissenschaftlichen<br />

<strong>Astronomie</strong> ©<br />

Norbert Froese<br />

Stand: 07.01.2009<br />

© Dieser Text unterliegt <strong>de</strong>r GNU-Lizenz für freie Dokumentation in Version 1.2 o<strong>de</strong>r später.<br />

Es gibt keine unverän<strong>de</strong>rlichen Abschnitte, keinen vor<strong>de</strong>ren Umschlagtext und keinen hinteren<br />

Umschlagtext. Der Text ist unter http://www.antike-griechische.<strong>de</strong>/<strong>Eudoxos</strong>.odt im odt Format<br />

verfügbar, die verwen<strong>de</strong>ten Abbildungen können über die folgen<strong>de</strong> Adresse herunter gela<strong>de</strong>n<br />

wer<strong>de</strong>n: http://www.antike-griechische.<strong>de</strong>/<strong>Eudoxos</strong>_Abbildungen.zip.<br />

Zu <strong>de</strong>n Copyright Regelungen für die verwen<strong>de</strong>ten Abbildungen siehe Anhang „Abbildungen“.<br />

Zur GNU-Lizenz für freie Dokumentation siehe: http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html


Inhaltsverzeichnis<br />

Einleitung.............................................................................................................................................3<br />

Die mathematischen Leistungen <strong>de</strong>s <strong>Eudoxos</strong> von Knidos..................................................................5<br />

<strong>Eudoxos</strong> und das Buch XII <strong>de</strong>r Elemente........................................................................................5<br />

Das Volumen <strong>de</strong>s Kegels............................................................................................................5<br />

Die Exhaustionsmetho<strong>de</strong>.............................................................................................................6<br />

Die Proportionenlehre <strong>de</strong>s <strong>Eudoxos</strong>................................................................................................7<br />

<strong>Eudoxos</strong>, <strong>de</strong>r einflussreiche Astronom.................................................................................................9<br />

Die astronomischen Mo<strong>de</strong>lle <strong>de</strong>s <strong>Eudoxos</strong> von Knidos................................................................10<br />

Die Überarbeitung <strong>de</strong>r <strong>Eudoxos</strong> Mo<strong>de</strong>lle durch Kallippos...........................................................12<br />

Die Viel-Sphären-Kosmologie <strong>de</strong>s Aristoteles..............................................................................13<br />

Das heliozentrische Weltbild <strong>de</strong>s Aristarchos von Samos.................................................................16<br />

Der <strong>Almagest</strong> – Die Krönung <strong>de</strong>s geozentrischen Denkens..............................................................18<br />

Apollonios: Der Epizykel..............................................................................................................18<br />

Hipparchos: Der Exzenter..............................................................................................................19<br />

Ptolemaios: Der Äquant.................................................................................................................20<br />

Die Mo<strong>de</strong>llierung...........................................................................................................................22<br />

War Ptolemaios ein Kosmologe?...................................................................................................23<br />

<strong>Von</strong> Kopernikus <strong>bis</strong> Newton – ein kurzer Ausblick...........................................................................24<br />

Kopernikus.....................................................................................................................................24<br />

Galilei.............................................................................................................................................24<br />

Kepler.............................................................................................................................................25<br />

Newton...........................................................................................................................................25<br />

Anhang...............................................................................................................................................26<br />

Abbildungen..............................................................................................................................26<br />

Empfehlungen...........................................................................................................................26<br />

Bücher..................................................................................................................................26<br />

Links.....................................................................................................................................26<br />

Schlussbitte....................................................................................................................................27


Einleitung<br />

<strong>Astronomie</strong> gehört <strong>zum</strong> kleinen Kreis <strong>de</strong>r Weltbild-Wissenschaften. Ihre Ergebnisse haben<br />

Einfluss auf unser aller Selbstverständnis und ihre wissenschaftlichen Revolutionen<br />

berühren nicht nur die Denkwelten <strong>de</strong>r jeweiligen Fachexperten.<br />

Die Geschichte <strong>de</strong>r wissenschaftlichen <strong>Astronomie</strong> beginnt mit <strong>Eudoxos</strong>. 1 Obwohl<br />

<strong>Eudoxos</strong> (Eudoxus) von Knidos relativ unbekannt ist, zählt er zu <strong>de</strong>n wirklich wichtigen<br />

und einflussreichen Denkern <strong>de</strong>r griechischen <strong>Antike</strong>. Er lebte etwa von 400 (v.Chr.) <strong>bis</strong><br />

350 (v.Chr.). <strong>Eudoxos</strong> studierte Geometrie bei <strong>de</strong>m Pythagoreer Archytas von Tarent und<br />

Medizin bei Philistion. Es sind zwei Aufenthalte in Athen bezeugt. Er hat dabei auch einige<br />

Zeit an Platons Aka<strong>de</strong>mie verbracht. Nach seinen Aufenthalten an Platons Aka<strong>de</strong>mie hat<br />

<strong>Eudoxos</strong> in seiner Vaterstadt Knidos ein eigenes „Institut“ gegrün<strong>de</strong>t. <strong>Von</strong> seinen Werken<br />

ist außer ein paar kleinen Fragmenten lei<strong>de</strong>r nichts überliefert. Aus <strong>de</strong>r Erwähnung bei<br />

an<strong>de</strong>ren antiken Autoren kennen wir noch die Titel von 6 seiner Werke. Er hat sich mit<br />

Geographie, Philosophie, <strong>Astronomie</strong>, Harmonielehre und <strong>Mathematik</strong> beschäftigt. Seine<br />

mathematischen Arbeiten gelten als Hauptquelle <strong>de</strong>r Bücher V und XII <strong>de</strong>r Elemente <strong>de</strong>s<br />

Euklid.<br />

Das hier vorrangig thematisierte Verdienst von <strong>Eudoxos</strong> liegt auf <strong>de</strong>m Gebiet <strong>de</strong>r<br />

<strong>Astronomie</strong>. <strong>Eudoxos</strong> ist <strong>de</strong>r Autor <strong>de</strong>s ersten differenzierten astronomischen Mo<strong>de</strong>lls.<br />

<strong>Eudoxos</strong> hat als erster versucht ein verstehbares Mo<strong>de</strong>ll zur Erklärung <strong>de</strong>r retrogra<strong>de</strong>n<br />

Bewegungsphasen von Planetenbahnen zu liefern. In seinen geozentrischen Mo<strong>de</strong>llen<br />

wird erstmals <strong>de</strong>taillierte Beobachtung astronomischer Phänomene mit mathematischer<br />

Mo<strong>de</strong>llbildung kombiniert. <strong>Eudoxos</strong> hat damit <strong>de</strong>n Anfangspunkt <strong>de</strong>r wissenschaftlichen<br />

<strong>Astronomie</strong> gesetzt.<br />

Abbildung 1: Die von <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> aus beobachtbare Marsbahn mit (scheinbar)<br />

retrogra<strong>de</strong>r Bewegungsphase (schematische Skizze). Osten liegt links!<br />

1 Wo genau man <strong>de</strong>n Übergang von vorwissenschaftlich zu wissenschaftlich ansetzt, ist auch immer ein <strong>bis</strong>schen<br />

Geschmacksfrage. Die Geschichte <strong>de</strong>r wissenschaftlichen <strong>Astronomie</strong> mit <strong>Eudoxos</strong> beginnen zu lassen ist vertretbar<br />

und für dieses Papier ungemein praktisch.<br />

-3-


Das Phänomen <strong>de</strong>r retrogra<strong>de</strong>n Bewegungsphasen war schon <strong>de</strong>n Babyloniern bekannt.<br />

Aber sie nahmen es nicht <strong>zum</strong> Anlass eines tieferen Nach<strong>de</strong>nkens über <strong>de</strong>n Aufbau <strong>de</strong>s<br />

Kosmos. Erst die griechische <strong>Antike</strong> sah darin ein Rätsel, das es mit <strong>de</strong>n Mitteln <strong>de</strong>s<br />

Verstan<strong>de</strong>s zu lösen galt.<br />

Für neue, gute I<strong>de</strong>en ist die griechische <strong>Antike</strong> <strong>de</strong>r i<strong>de</strong>ale Nährbo<strong>de</strong>n. Und so fin<strong>de</strong>t<br />

<strong>Eudoxos</strong> in Kallippos einen Schüler, <strong>de</strong>r seine Arbeit fortsetzt und die Mo<strong>de</strong>lle verbessert.<br />

Aristoteles (384 - 322 v.Chr.) erkennt die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r <strong>Eudoxos</strong>-Kallippos-Mo<strong>de</strong>lle und<br />

integriert diese Mo<strong>de</strong>lle zu einer geozentrischen Kosmologie. Diese Kosmologie hat<br />

Nachwirkungen, die <strong>bis</strong> tief in die europäische Renaissance hinein spürbar sind. Die in <strong>de</strong>r<br />

Scholastik einsetzen<strong>de</strong> Dogmatisierung <strong>de</strong>r aristotelischen Lehren ist eines <strong>de</strong>r<br />

Haupthin<strong>de</strong>rnisse für eine freie und offene Diskussion über heliozentrische Alternativen.<br />

Heliozentrische Gegenentwürfe zur geozentrischen Kosmologie gab es bereits in <strong>de</strong>r<br />

<strong>Antike</strong>. Aristarchos von Samos legt ein heliozentrisches Weltbild vor, das in seinen<br />

Grundzügen bereits <strong>de</strong>m kopernikanischen Weltbild entspricht. Aristarchos gewinnt in <strong>de</strong>r<br />

<strong>Antike</strong> jedoch kaum Anhänger. Er kann einige recht kluge Einwän<strong>de</strong> gegen die<br />

heliozentrische Weltsicht nicht überzeugend entkräften. Die <strong>Antike</strong> bleibt im wesentlichen<br />

geozentrisch gestimmt.<br />

Da aber selbst die von Kallippos verbesserten <strong>Eudoxos</strong> Mo<strong>de</strong>lle nicht beson<strong>de</strong>rs<br />

zuverlässig sind, wird in <strong>de</strong>r Spätantike an neuen geozentrischen Weltbil<strong>de</strong>rn gearbeitet.<br />

Ausgehend von Apollonios über Hipparchos <strong>bis</strong> hin zu Ptolemaios wer<strong>de</strong>n die Metho<strong>de</strong>n<br />

zur Mo<strong>de</strong>llierung geozentrischer Systeme immer wie<strong>de</strong>r verbessert.<br />

Stück für Stück entfernt man sich dabei vom ursprünglichen antiken I<strong>de</strong>al <strong>de</strong>r<br />

geozentrischen Himmelsmechanik: Der gleichförmigen Kreisbewegung mit <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> im<br />

Mittelpunkt. Das Repertoire <strong>de</strong>r Werkzeuge zur Mo<strong>de</strong>llierung <strong>de</strong>r Himmelsmechanik wird<br />

Stück für Stück erweitert.<br />

Die dadurch für die Mo<strong>de</strong>llierung neu gewonnenen Freiheitsgra<strong>de</strong> nutzt die <strong>Antike</strong> mit<br />

Erfolg. Der <strong>Almagest</strong> von Ptolemaios krönt diese Entwicklung. Das dort vorgestellte<br />

geozentrische Weltbild bleibt für ca. 1500 Jahre in Puncto Zuverlässigkeit und Genauigkeit<br />

unübertroffen.<br />

Noch Kopernikus scheitert am Versuch es mit <strong>de</strong>ssen Genauigkeit aufzunehmen. Erst<br />

Kepler gelingt es die Zuverlässigkeit <strong>de</strong>r ptolemäischen Prognosen zu übertrumpfen. Der<br />

entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Vorteil Keplers gegenüber Kopernikus: Er unterstellt keine gleichförmig<br />

durchlaufenen Kreisbahnen (wie Kopernikus), son<strong>de</strong>rn verwen<strong>de</strong>t Ellipsen, die von <strong>de</strong>n<br />

Planeten mit verän<strong>de</strong>rlicher Geschwindigkeit durchlaufen wer<strong>de</strong>n.<br />

Bis <strong>zum</strong> Erscheinen <strong>de</strong>r Rudolfinischen Tafeln von Kepler (1627) war je<strong>de</strong>r Seemann gut<br />

damit beraten, wenn er sich bei <strong>de</strong>r Navigation auf <strong>de</strong>m offenen Meer lieber <strong>de</strong>n<br />

ptolemäischen Tafeln anvertraute.<br />

Dieser Text schil<strong>de</strong>rt die Hauptetappen <strong>de</strong>r antiken <strong>Astronomie</strong> von <strong>Eudoxos</strong> <strong>bis</strong><br />

Ptolemaios.<br />

Wie so viele an<strong>de</strong>re Wissenschaften auch, verdankt die <strong>Astronomie</strong> ihre Anfänge <strong>de</strong>m<br />

intellektuell so fruchtbaren Bo<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r griechischen <strong>Antike</strong>.<br />

-4-


Die mathematischen Leistungen <strong>de</strong>s <strong>Eudoxos</strong> von Knidos<br />

Heute wird <strong>Eudoxos</strong> (ca. 400 – 350 v.Chr.) für gewöhnlich als <strong>Mathematik</strong>er und Astronom<br />

eingestuft. Ihm selbst dürfte eine solche Klassifikation noch fremd gewesen sein. Er hätte<br />

sich wohl eher als Gebil<strong>de</strong>ten o<strong>de</strong>r Gelehrten bezeichnet. Und in <strong>de</strong>r Tat, <strong>Eudoxos</strong> hat<br />

sich auch noch auf ganz an<strong>de</strong>ren Gebieten betätigt. <strong>Von</strong> seinen Leistungen in <strong>de</strong>n<br />

Bereichen Geographie und Philosophie haben wir jedoch nur noch geringe Kenntnisse.<br />

Seine Leistungen im Bereich <strong>de</strong>r <strong>Mathematik</strong> lassen sich jedoch auf Grund von günstigen<br />

Quellen (antike Euklid Kommentare und Schriften <strong>de</strong>s Archime<strong>de</strong>s) relativ gut<br />

rekonstruieren. Da <strong>de</strong>r so selten richtig gewürdigte <strong>Eudoxos</strong> sich schon allein auf Grund<br />

seiner mathematischen Leistungen ehren<strong>de</strong>s An<strong>de</strong>nken verdient hat, sollen seine Beiträge<br />

zur <strong>Mathematik</strong> hier kurz vorgestellt wer<strong>de</strong>n. Die <strong>Astronomie</strong> muss noch einen Augenblick<br />

warten.<br />

<strong>Eudoxos</strong> und das Buch XII <strong>de</strong>r Elemente<br />

Das älteste uns überlieferte umfassen<strong>de</strong> Lehrbuch <strong>de</strong>r beweisen<strong>de</strong>n <strong>Mathematik</strong> stammt<br />

von Euklid. Euklid wirkte um das Jahr 300 (v.Chr.) in Alexandria. Hier verfasste er sein<br />

mathematisches Lehrwerk Elemente. 2 Es ist in XIII Bücher (Kapitel) geglie<strong>de</strong>rt. Es hat <strong>bis</strong><br />

heute das Bild <strong>de</strong>r mathematischen Metho<strong>de</strong> und <strong>de</strong>s mathematischen Lehrbuchs tief<br />

geprägt.<br />

Nach antiken Kommentaren zu Euklids Elementen ist davon auszugehen, dass die dort im<br />

Buch XII vorgestellten Sätze (<strong>zum</strong>in<strong>de</strong>st in ihrer Mehrzahl) ursprünglich von <strong>Eudoxos</strong><br />

bewiesen wur<strong>de</strong>n. Das Thema von Buch XII <strong>de</strong>r Elemente lautet Stereometrie. Es<br />

beschäftigt sich mit Pyrami<strong>de</strong>n, Prismen, Zylin<strong>de</strong>rn, Kegeln und Kugeln.<br />

Das Volumen <strong>de</strong>s Kegels<br />

Eine in <strong>de</strong>r <strong>Antike</strong> beson<strong>de</strong>rs gewürdigte Leistung <strong>de</strong>s <strong>Eudoxos</strong> ist <strong>de</strong>r Beweis <strong>zum</strong><br />

Volumen <strong>de</strong>s Kegels: Das Volumen eines Kegels ist ein Drittel <strong>de</strong>s Volumens <strong>de</strong>s<br />

umschreiben<strong>de</strong>n Zylin<strong>de</strong>rs. In mo<strong>de</strong>rner Notation lautet <strong>de</strong>r Satz:<br />

V Kegel= 1<br />

3 V <strong>de</strong>s umschreiben<strong>de</strong>n Zylin<strong>de</strong>rs= 1<br />

1 2<br />

Höhe∗Grundfläche= h∗�r<br />

3 3<br />

Wie wir von Archime<strong>de</strong>s (287 -212 v.Chr.) wissen, wur<strong>de</strong> die Tatsache, dass ein Kegel ein<br />

Drittel <strong>de</strong>s Volumens <strong>de</strong>s umschreiben<strong>de</strong>n Zylin<strong>de</strong>rs hat, bereits von Demokrit von Ab<strong>de</strong>ra<br />

(ca. 460 - 370 v.Chr.) vermutet, aber eben erst von <strong>Eudoxos</strong> bewiesen.<br />

Die antiken Griechen machten bereits einen <strong>de</strong>utlichen Unterschied zwischen einer bloßen<br />

Vermutung und einem bewiesenen Satz. Sie wussten allerdings auch die Be<strong>de</strong>utung<br />

wegweisen<strong>de</strong>r Vermutungen zu würdigen. Siehe das folgen<strong>de</strong> Zitat:<br />

2 s. hierzu auch: Euklid und die Elemente unter www.antike-griechische.<strong>de</strong>/Euklid.pdf.<br />

-5-


Das ist ein Grund, weshalb wir im Falle <strong>de</strong>r Sätze, <strong>de</strong>ren Beweis Eudoxus zuerst<br />

gefun<strong>de</strong>n hat, nämlich daß <strong>de</strong>r Kegel <strong>de</strong>r dritte Teil <strong>de</strong>s Zylin<strong>de</strong>rs und die Pyrami<strong>de</strong> <strong>de</strong>s<br />

Prismas ist, die dieselbe Grundfläche und Höhe haben, Demokrit keinen geringeren<br />

Anteil <strong>de</strong>s Verdienstes zuerkennen müssen, <strong>de</strong>r zuerst über die genannte Figur <strong>de</strong>n<br />

Ausspruch getan hat, obwohl er ihn nicht bewiesen hat. (Brief von Archime<strong>de</strong>s an<br />

Eratosthenes) 3<br />

Abbildung 2: Der von einem<br />

Zylin<strong>de</strong>r umschriebene Kegel hat<br />

1/3 <strong>de</strong>s Volumens <strong>de</strong>s Zylin<strong>de</strong>rs<br />

Der Fortschritt, <strong>de</strong>n wir zur Frage <strong>de</strong>s Kegelvolumens seit<br />

<strong>Eudoxos</strong> erreicht haben, besteht einzig darin, dass wir<br />

heute die Fläche <strong>de</strong>s Kreises durch �r 2 bestimmen<br />

können. In Euklids Elementen wird <strong>de</strong>r Satz <strong>zum</strong><br />

Kegelvolumen als Satz 10 von Buch XII vorgestellt. Der<br />

Beweis wird in Form eines Wi<strong>de</strong>rspruchsbeweises<br />

(indirekter Beweis) ausgeführt. Ausgehend von <strong>de</strong>r<br />

Annahme, dass das Volumen eines Kegels stets 1/3 <strong>de</strong>s<br />

Volumens <strong>de</strong>s umschreiben<strong>de</strong>n Zylin<strong>de</strong>rs ist, wird<br />

gezeigt, dass sowohl die Behauptung, dass das Volumen<br />

eines Kegels kleiner ist, wie die Behauptung, dass sie<br />

größer ist, jeweils zu einem Wi<strong>de</strong>rspruch führt. Folglich<br />

muss das Volumen genau gleich 1/3 <strong>de</strong>s<br />

umschreiben<strong>de</strong>n Zylin<strong>de</strong>rs sein.<br />

Die Exhaustionsmetho<strong>de</strong><br />

<strong>Eudoxos</strong> ist <strong>de</strong>r Erfin<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r für die <strong>Mathematik</strong> so<br />

überaus wichtigen Exhaustionsmetho<strong>de</strong>. Die<br />

Exhaustionsmetho<strong>de</strong> ist eine Beweistechnik die sich bei<br />

<strong>de</strong>r Behandlung von geometrischen Problemen als enorm effektiv herausgestellt hat. Die<br />

Grundi<strong>de</strong>e besteht darin, dass man die Fläche bzw. das Volumen einer gegebenen Figur<br />

durch Ausschöpfung (Exhaustion) bestimmt. Im einfachsten Fall einer Bestimmung durch<br />

Exhaustion zerlegt man die gegebene Figur in endlich viele Teilfiguren und ermittelt dann<br />

die Fläche bzw. das Volumen <strong>de</strong>r Ausgangsfigur durch Addition <strong>de</strong>r entsprechen<strong>de</strong>n<br />

Werte <strong>de</strong>r Teilfiguren.<br />

Die erstmals von <strong>Eudoxos</strong> eingesetzte Exhaustionsmetho<strong>de</strong>, wur<strong>de</strong> später von<br />

Archime<strong>de</strong>s mit Meisterschaft angewandt. Mittels <strong>de</strong>r Exhaustionsmetho<strong>de</strong> gelingt<br />

Archime<strong>de</strong>s beispielsweise die Bestimmung <strong>de</strong>r Fläche unter einer Parabel. Die von<br />

Archime<strong>de</strong>s perfektionierte Anwendung <strong>de</strong>r Exhaustionsmetho<strong>de</strong> kann als Vorläufer <strong>de</strong>r<br />

Integralrechnung gelten.<br />

Die (von Archime<strong>de</strong>s geleistete; N.F.) approximative Parabelquadratur (...) entspricht <strong>bis</strong><br />

auf <strong>de</strong>n fehlen<strong>de</strong>n Grenzübergang <strong>de</strong>r heute im Schulunterricht gegebenen Integration<br />

einer stetigen Funktion mittels Rechtecksummen durch Ober- und Untersummen. 4<br />

3 Brief von Archime<strong>de</strong>s an Eratosthenes, zitiert nach: Károly Simonyi: Kulturgeschichte <strong>de</strong>r Physik. Frankfurt am<br />

Main: Harri Deutsch Verlag, 3. Auflage, 2001. S. 96<br />

4 Rüdiger Thiele in: Hans Niels Jahnke (Hrsg.): Geschichte <strong>de</strong>r Analysis. Hei<strong>de</strong>lberg, Berlin: Spektrum<br />

Aka<strong>de</strong>mischer Verlag 1999. S. 33<br />

-6-


Abbildung 3: Unter- und Obersumme - Die Ausgangspunkte <strong>de</strong>s<br />

mo<strong>de</strong>rnen Integralbegriffs<br />

Die Liste <strong>de</strong>r Protagonisten beim Ausbau <strong>de</strong>r Exhaustionsmetho<strong>de</strong> von <strong>de</strong>r <strong>Antike</strong> <strong>bis</strong> hin<br />

zu Newton und Leibniz ist kurz. Und <strong>Eudoxos</strong> steht auf dieser Liste ganz oben. Er machte<br />

<strong>de</strong>n Anfang. Dass es nach Archime<strong>de</strong>s noch so lange gedauert hat, <strong>bis</strong> sich aus <strong>de</strong>r<br />

Exhaustionsmetho<strong>de</strong> die Integralrechnung entwickelt hat, ist fast verwun<strong>de</strong>rlich.<br />

Archime<strong>de</strong>s war damals nur noch wenige Schritte von <strong>de</strong>r Ent<strong>de</strong>ckung <strong>de</strong>r Integralrechnung<br />

entfernt.<br />

Aber erst in <strong>de</strong>r Renaissance wird dieser Fa<strong>de</strong>n wie<strong>de</strong>r aufgenommen und weitergesponnen.<br />

Nach wichtigen Vorarbeiten von Descartes (und an<strong>de</strong>ren) krönen dann im 17.<br />

Jahrhun<strong>de</strong>rt Newton und Leibniz die schon von <strong>Eudoxos</strong> und Archime<strong>de</strong>s in <strong>de</strong>r <strong>Antike</strong><br />

angewandte Exhaustionsmetho<strong>de</strong> durch die Schaffung <strong>de</strong>r Integralrechnung.<br />

Die Proportionenlehre <strong>de</strong>s <strong>Eudoxos</strong><br />

Die Proportionenlehre von <strong>Eudoxos</strong> kennen wir vor allen Dingen aus Buch V von Euklids<br />

Elementen. 5 Vor das Problem gestellt, dass die antike Arithmetik nicht ausdrucksstark<br />

genug war, um alle in <strong>de</strong>r Geometrie konstruierbaren Größenverhältnisse beschreiben zu<br />

können, ersann <strong>Eudoxos</strong> die in <strong>de</strong>n Elementen referierte Proportionenlehre. Sie soll<br />

Größenverhältnisse (Proportionen) auch dort noch beschreibbar machen, wo die (antike)<br />

Arithmetik versagt.<br />

Ein in <strong>de</strong>r <strong>Antike</strong> häufig zitiertes Beispiel für das Problem <strong>de</strong>r versagen<strong>de</strong>n Arithmetik<br />

liefert das Quadrat. In einem Quadrat besitzen Basis und Diagonale schlichtweg kein<br />

gemeinsames Maß. D.h. es gibt keine Strecke, durch <strong>de</strong>ren Vervielfachung man sowohl<br />

Basis wie Diagonale erzeugen kann. In die Sprache <strong>de</strong>r Arithmetik übersetzt be<strong>de</strong>utet<br />

dies: Es gibt keine Bruchzahl, die das Verhältnis Länge <strong>de</strong>r Diagonale : Länge <strong>de</strong>r Basis<br />

wie<strong>de</strong>rgibt. Das Verhältnis ist mit mo<strong>de</strong>rnen Mitteln ganz einfach anzugeben: �2 . Aber<br />

das ist keine Bruchzahl. Und in <strong>de</strong>r <strong>Antike</strong> waren nur natürliche Zahlen (1, 2, 3, ...) und<br />

Bruchzahlen bekannt. Aus <strong>de</strong>r Sicht <strong>de</strong>r antiken <strong>Mathematik</strong> konnten also in <strong>de</strong>r<br />

Geometrie Größenverhältnisse auftreten, die sich nicht mit <strong>de</strong>n Mitteln <strong>de</strong>r (antiken)<br />

Arithmetik beschreiben ließen. Strecken, <strong>de</strong>ren Größenverhältnis nicht durch die antike<br />

Arithmetik beschreibbar waren, hießen inkommensurabel.<br />

5 Eine Diskussion <strong>de</strong>r Proportionenlehre fin<strong>de</strong>t man in: http://www.mi.uni-erlangen.<strong>de</strong>/~geyer/geschich/euklid.ps.<br />

-7-


Die Existenz <strong>de</strong>s Inkommensurablen hat übrigens auch auf die griechische Philosophie<br />

großen Eindruck gemacht. Sowohl Platon wie Aristoteles thematisieren diesen Punkt in<br />

ihren philosophischen Schriften. 6<br />

<strong>Eudoxos</strong> hat also die Proportionentheorie entwickelt, um auch dann noch<br />

Größenverhältnisse (Proportionen) betrachten zu können, wenn diese sich nicht durch<br />

Quotienten natürlicher Zahlen (positive Bruchzahlen) beschreiben lassen. Die Details<br />

dieser sehr abstrakten Theorie wer<strong>de</strong>n hier übergangen.<br />

Heute verwen<strong>de</strong>n wir in solchen Fällen irrationale Zahlen (Beispiele dafür sind �2 o<strong>de</strong>r<br />

die Zahl � für das Verhältnis von Kreisumfang zu Kreisdurchmesser). Irrationale Zahlen<br />

sind reelle Zahlen, die sich nicht als <strong>de</strong>r Quotient aus einer natürlichen und einer ganzen<br />

Zahl darstellen lassen (die also keine Bruchzahlen sind). Irrationale Zahlen haben eine<br />

niemals en<strong>de</strong>n<strong>de</strong>, niemals periodisch wer<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Dezimalbruchentwicklung und waren in<br />

<strong>de</strong>r <strong>Antike</strong> unbekannt.<br />

Die Proportionenlehre ist nicht so leistungsstark wie ein voll ausgereiftes Konzept <strong>de</strong>r<br />

reellen Zahlen (mit Einschluss <strong>de</strong>r irrationalen Zahlen). Sie reichte aber aus, um eine<br />

geometrische Ähnlichkeitslehre zu entwickeln. Euklid stellt in Buch VI <strong>de</strong>r Elemente eine<br />

auf <strong>de</strong>r Proportionenlehre <strong>de</strong>s <strong>Eudoxos</strong> fußen<strong>de</strong> Ähnlichkeitslehre vor. Ähnlich heißen<br />

dabei zwei Figuren dann, wenn sie in ihren Winkeln übereinstimmen und die jeweils<br />

gleiche Winkel umfassen<strong>de</strong>n Seiten dasselbe Größenverhältnis aufweisen (wenn diese<br />

Seiten in Proportion stehen, so die antike Formulierung).<br />

Die Proportionenlehre war die ganze <strong>Antike</strong> hindurch ein wichtiges Hilfsmittel <strong>de</strong>r<br />

<strong>Mathematik</strong>. Eine grundlegen<strong>de</strong> Sanierung <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r <strong>Antike</strong> wahrgenommenen<br />

begrenzten Ausdrucksstärke <strong>de</strong>r Arithmetik fin<strong>de</strong>t erst im 19. Jahrhun<strong>de</strong>rt statt<br />

(s. De<strong>de</strong>kindsche Schnitte).<br />

Auch wenn <strong>Eudoxos</strong> die Leistung De<strong>de</strong>kinds nicht ganz erreicht, er kommt <strong>de</strong>r Sache in<br />

seiner Proportionenlehre doch in manchen Punkten schon sehr nahe. Für diejenigen die<br />

mit <strong>de</strong>n Arbeiten De<strong>de</strong>kinds etwas vertraut sind, hier ein kurzes Zitat zur Charakterisierung<br />

von Größen und Größenverhältnissen in <strong>de</strong>r Proportionenlehre. Bei <strong>de</strong>r Referierung <strong>de</strong>r<br />

Proportionenlehre von <strong>Eudoxos</strong> schreibt Euklid im Buch V <strong>de</strong>r Elemente:<br />

Man sagt, daß Größen in <strong>de</strong>mselben Verhältnis stehen, die erste zur zweiten wie die<br />

dritte zur vierten, wenn bei beliebiger Vervielfältigung die Gleichvielfachen <strong>de</strong>r ersten<br />

und dritten <strong>de</strong>n Gleichvielfachen <strong>de</strong>r zweiten und vierten gegenüber, paarweise<br />

entsprechend genommen, entwe<strong>de</strong>r zugleich größer o<strong>de</strong>r zugleich gleich o<strong>de</strong>r zugleich<br />

kleiner sind; 7<br />

Jemand mit <strong>de</strong>r mathematischen Produktivität eines <strong>Eudoxos</strong> kann sich heutzutage<br />

berechtigte Hoffnungen auf die Erringung <strong>de</strong>r Fields-Medaille machen. 8 Und dabei war<br />

<strong>Eudoxos</strong> nun wirklich sehr interdisziplinär tätig und hat sich keinesfalls auf die <strong>Mathematik</strong><br />

beschränkt.<br />

Allerdings waren die Gelehrten <strong>de</strong>r frühen griechischen <strong>Antike</strong> sowieso alle von Hause aus<br />

sehr interdiszplinär gestimmt. Eine verstärkte Spezialisierung mit einer <strong>de</strong>utlicheren<br />

Abgrenzung <strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>nen Fachgebiete und einer enger verstan<strong>de</strong>nen<br />

Professionalisierung setzt erst ab ca. 300 v.Chr. ein (Hellenismus). Aber auch das war<br />

natürlich immer noch meilenweit von Spezialisierungen heutigen Zuschnitts entfernt.<br />

6 Platon geht dabei so weit, dass er die Beschäftigung mit <strong>de</strong>m Inkommensurablen als Alternative <strong>zum</strong> Zeitvertreib<br />

beim Brettspiel empfiehlt.<br />

7 Euklid: Die Elemente. Bücher I-XIII. Hrsg. u. übers. von Clemens Thaer. Frankfurt a.M.: Harri Deutsch, 3. Aufl.<br />

1997, S. 91<br />

8 Die Fields-Medaille ist eine Art Nobelpreis für <strong>Mathematik</strong>er. Für <strong>Mathematik</strong> gibt es keinen Nobelpreis.<br />

-8-


<strong>Eudoxos</strong>, <strong>de</strong>r einflussreiche Astronom<br />

Als vielfach interessierter Gelehrter beschäftigte sich <strong>Eudoxos</strong> auch mit <strong>de</strong>n Rätseln <strong>de</strong>r<br />

<strong>Astronomie</strong>. Bereits die Babylonier wussten, dass es das eigentümliche Phänomen gibt,<br />

dass Planeten gelegentlich rückwärts zu laufen scheinen (siehe Abb. 1). Frühe<br />

mesopotamische Zeugnisse beschreiben dieses Phänomen beeindruckend präzis:<br />

Auf <strong>de</strong>m Höhepunkt seiner Kraft begann Mars zu glänzen und blieb so mehrere<br />

Wochen lang, wur<strong>de</strong> rückläufig, um danach wie<strong>de</strong>r seine gewohnte Bahn aufzunehmen,<br />

durchlief so zwei- und dreimal <strong>de</strong>nselben Weg. Die Größe <strong>de</strong>s <strong>de</strong>rgestalt dreimal<br />

durchlaufenen Weges war 20 Grad. 9<br />

Solche Sternbeobachtungen waren in <strong>de</strong>r babylonischen Kultur aber mehr Bestandteil <strong>de</strong>r<br />

Astrologie, als Teil einer astronomisch interessierten Verstan<strong>de</strong>skultur. Später, bei <strong>de</strong>r<br />

Eroberung <strong>de</strong>s persischen Großreiches durch Alexan<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Großen, hat sich die<br />

griechische Kultur dann selbst mit <strong>de</strong>m babylonischen Bazillus <strong>de</strong>r Astrologie gründlich<br />

infiziert. Lei<strong>de</strong>r hat sich dadurch die Plage <strong>de</strong>r babylonischen Astrologie <strong>bis</strong> heute in die<br />

westlich geprägten Kulturen vererbt.<br />

Nichts <strong>de</strong>sto trotz sind aber die babylonischen Sternbeobachtungen eine <strong>de</strong>r wichtigen<br />

(vorwissenschaftlichen) Quellen <strong>de</strong>r griechischen <strong>Astronomie</strong>. Der massive Import <strong>de</strong>s<br />

babylonischen Wissens um Himmelsphänomene in <strong>de</strong>n griechischen Kulturraum beginnt<br />

mit Thales von Milet (ca. 625 – 550 v.Chr.). Das Wissen um die (scheinbar) retrogra<strong>de</strong>n<br />

Bewegungsphasen bei Planetenbahnen dürfte im griechischen Kulturraum also schon<br />

100 – 200 Jahre verfügbar gewesen sein, als <strong>Eudoxos</strong> sein Mo<strong>de</strong>ll zur Erklärung dieses<br />

Phänomens vorlegte.<br />

Wenn hier von Planeten die Re<strong>de</strong> ist, ist das ein wenig unpassend. Passen<strong>de</strong>r ist <strong>de</strong>r<br />

Begriff <strong>de</strong>s Wan<strong>de</strong>lsterns. 10 Neben Sonne und Mond unterschie<strong>de</strong>n die antiken Griechen<br />

<strong>de</strong>n Fixsternhimmel und fünf Wan<strong>de</strong>lsterne: Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn. 11<br />

Letztere wur<strong>de</strong>n wegen ihrer verän<strong>de</strong>rlichen (wan<strong>de</strong>lbaren) Position (in <strong>de</strong>n sonst<br />

festgefügten Sternbil<strong>de</strong>rn) gegen die Fixsterne abgegrenzt.<br />

Die Frage, ob alle sichtbaren Himmelskörper über eigenes Licht verfügten o<strong>de</strong>r welche nur<br />

das Licht an<strong>de</strong>rer Quellen reflektierten, wur<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r griechischen <strong>Antike</strong> kontrovers<br />

diskutiert. Der in Athen lehren<strong>de</strong> Philosoph Anaxagoras von Klazomenai (ca. 500 – 430<br />

v.Chr.) hat das Mondlicht zu einem Wi<strong>de</strong>rschein <strong>de</strong>s Sonnenlichts erklärt. Das war damals<br />

für die Athener eine revolutionäre These. Wegen <strong>de</strong>r damals noch irritieren<strong>de</strong>ren<br />

Behauptung, dass die Sonne eine glühen<strong>de</strong> Gesteinsmasse größer als <strong>de</strong>r Peloponnes<br />

sei, wur<strong>de</strong> er dann 436 v.Chr. in Athen wegen Leugnung <strong>de</strong>r Götter angeklagt und zu<br />

Verbannung so wie einer Geldstrafe verurteilt. Die Beschäftigung mit <strong>Astronomie</strong> kann ein<br />

recht gefährliches Geschäft sein.<br />

<strong>Eudoxos</strong> hat sich <strong>zum</strong> Glück durch Derartiges nicht davon abhalten lassen seine<br />

astronomischen Forschungen voranzutreiben und zu veröffentlichen.<br />

9 Mesopotamische Sternbeobachtung aus <strong>de</strong>m 7. o<strong>de</strong>r 6. vorchristlichen Jahrhun<strong>de</strong>rt. Zitiert nach:<br />

André Pichot: Die Geburt <strong>de</strong>r Wissenschaft: <strong>Von</strong> <strong>de</strong>n Babyloniern zu <strong>de</strong>n frühen Griechen. Köln: Parkland Verlag<br />

2000 (Son<strong>de</strong>rausgabe). S.121<br />

10 Laut Fremwörterlexikon ist ein Planet ein Himmelskörper <strong>de</strong>r einen Stern umkreist und kein eigenes Licht besitzt.<br />

Obwohl „Planet“ etymologisch über passen<strong>de</strong> griechische Wurzeln verfügt, verwen<strong>de</strong> ich ab jetzt das weniger mit<br />

mo<strong>de</strong>rnen Vorstellungen aufgela<strong>de</strong>ne Wort „Wan<strong>de</strong>lstern“. Es steht heute <strong>de</strong>r antiken I<strong>de</strong>e eines „Planeten“ näher.<br />

11 Die weiter außen liegen<strong>de</strong>n Planeten sind ohne Hilfsmittel wie Fernrohr o<strong>de</strong>r Teleskop nicht zu ent<strong>de</strong>cken. Allen<br />

antiken Kulturen, und keineswegs nur <strong>de</strong>n Griechen, waren <strong>de</strong>swegen die äußeren Planeten entgangen.<br />

-9-


Die astronomischen Mo<strong>de</strong>lle <strong>de</strong>s <strong>Eudoxos</strong> von Knidos<br />

Die Rekonstruktion <strong>de</strong>r astronomischen Mo<strong>de</strong>lle von <strong>Eudoxos</strong> ist trotz <strong>de</strong>s Verlustes<br />

seiner Werke möglich, weil wir glücklicher Weise zwei einschlägige antike Quellen haben,<br />

die die Leistung <strong>de</strong>s <strong>Eudoxos</strong> besprechen: Einerseits das Kapitel 8 aus <strong>de</strong>m XII. Buch <strong>de</strong>r<br />

Metaphysik von Aristoteles, sowie an<strong>de</strong>rerseits die Ausführungen <strong>de</strong>s spätantiken<br />

Aristoteles Kommentators Simplikios (Simplicius).<br />

<strong>Eudoxos</strong> ging von einer Kugelgestalt <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> aus. Er kannte 7 astronomische Objekte,<br />

die sich relativ <strong>zum</strong> Fixsternhimmel bewegen: Sonne, Mond und die fünf Wan<strong>de</strong>lsterne<br />

Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn. Für je<strong>de</strong>s dieser 7 astronomischen Objekte hat<br />

<strong>Eudoxos</strong> je ein eigenes Mo<strong>de</strong>ll entwickelt. Sie bestehen jeweils aus <strong>de</strong>r äußeren<br />

Fixsternsphäre und 2 o<strong>de</strong>r 3 inneren Spähren. Die innerste Sphäre trägt dabei jeweils das<br />

astronomische Objekt. Im Zentrum <strong>de</strong>r homozentrischen Sphären ruht die Er<strong>de</strong>. Sie führt<br />

auch keine Eigendrehung aus. Mit je<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r 7 Mo<strong>de</strong>lle kann nur die Bahn eines einzigen<br />

<strong>de</strong>r 7 Himmelskörpers mo<strong>de</strong>lliert wer<strong>de</strong>n.<br />

Die Fixsternsphäre dreht sich einmal pro (si<strong>de</strong>rischem) Tag 12 um 360°. An <strong>de</strong>r<br />

Fixsternsphäre ist die erste innere Sphäre über eine Drehachse befestigt. So wird die<br />

erste innere Sphäre einerseits mit <strong>de</strong>r Fixsternsphäre mitgeführt, an<strong>de</strong>rseits dreht sie sich<br />

aber auch relativ zur Fixsternsphäre. Ganz analog ist die zweite innere Sphäre an <strong>de</strong>r<br />

ersten inneren Sphäre befestigt. Für die Mo<strong>de</strong>llierung <strong>de</strong>s Sonnen- und Mondbahn<br />

verwen<strong>de</strong>t <strong>Eudoxos</strong> jeweils nur zwei innere Sphären. Dort ist das astronomische Objekt<br />

(eben Sonne o<strong>de</strong>r Mond) auf <strong>de</strong>r zweiten inneren Sphäre befestigt. Bei <strong>de</strong>r Mo<strong>de</strong>llierung<br />

<strong>de</strong>r Wan<strong>de</strong>lsterne Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn setzt <strong>Eudoxos</strong> aber drei innere<br />

Sphären ein. Hier ist dann <strong>de</strong>r Wan<strong>de</strong>lstern auf <strong>de</strong>r dritten inneren Sphäre befestigt.<br />

Der in <strong>de</strong>r Skizze dargestellte Querschnitt (s. Abb. 4, nächste Seite) bezieht sich auf die<br />

nur äußerst selten eintreten<strong>de</strong> Konstellation, dass alle Drehachsen in einer Ebene liegen.<br />

Das ist natürlich im Regelfall nicht so. Der Querschnitt einer typischeren Situation wäre<br />

allerdings nicht so informativ. 13<br />

Durch die Winkel, die die Drehachsen miteinan<strong>de</strong>r bil<strong>de</strong>n, die Orientierung <strong>de</strong>r Drehung<br />

und die unterschiedlichen Winkelgeschwindigkeiten <strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>nen Drehungen lassen<br />

sich sehr komplexe Muster <strong>de</strong>r Bewegung gegenüber <strong>de</strong>r Fixsternsphäre erzeugen. Und<br />

das, obwohl die Winkelgeschwindigkeit an je<strong>de</strong>r einzelnen Drehachse konstant ist.<br />

Einerseits können so komplexe Bewegungsabläufe und auch retrogra<strong>de</strong><br />

Bewegungsphasen mo<strong>de</strong>lliert wer<strong>de</strong>n, an<strong>de</strong>rerseits wer<strong>de</strong>n die Bewegungen <strong>de</strong>r<br />

Himmelskörper durch Überlagerung perfekt kreisförmiger Bewegungen nachgeahmt.<br />

Damit verbin<strong>de</strong>t <strong>Eudoxos</strong> in seinen sieben Mo<strong>de</strong>llen das Streben nach genauer<br />

Mo<strong>de</strong>llierung <strong>de</strong>r Naturphänomene mit <strong>de</strong>n philosophisch-ästhetischen Grundsätzen aus<br />

Platons Überlegungen zur Himmelsmechanik. Für Platon kamen nämlich nur gleich- wie<br />

kreisförmige Bewegungen als Grundlage <strong>de</strong>r Himmelsmechanik in Betracht. 14<br />

12 Der bürgerliche Tag von Sonnenhöchststand zu Sonnenhöchststand dauert bekanntlich 24 Stun<strong>de</strong>n. Der si<strong>de</strong>rische<br />

Tag ist ca. 4 Minuten kürzer. Aus mo<strong>de</strong>rner Sicht gesprochen ist ein si<strong>de</strong>rischer Tag die Zeit, die die Er<strong>de</strong> benötigt,<br />

um sich relativ <strong>zum</strong> Fixsternhimmel einmal um die eigene Achse zu drehen. <strong>Eudoxos</strong> wusste wahrscheinlich schon,<br />

dass die scheinbare Umdrehung <strong>de</strong>s Fixsternhimmels weniger Zeit benötigt, als ein Sonnentag dauert. Wie genau er<br />

damals schon die Zeitdifferenz bestimmen konnte ist allerdings unklar.<br />

13 Vielleicht ist <strong>zum</strong> Erfassen <strong>de</strong>r Grundi<strong>de</strong>e <strong>de</strong>r <strong>Eudoxos</strong> Mo<strong>de</strong>lle auch ein Blick auf folgen<strong>de</strong>s Bild im Internet<br />

hilfreich: http://www.astro.washington.edu/tjbook/eudoxusmo<strong>de</strong>l.jpg<br />

14 Siehe hierzu auch: Platon – <strong>Mathematik</strong>, I<strong>de</strong>enlehre und totalitäre Staatsutopien unter<br />

http://www.antike-griechische.<strong>de</strong>/Platon.pdf (Abschnitt: Platons Aka<strong>de</strong>mie)<br />

-10-


Abbildung 4: Querschnitt durch die homozentrischen Kugeln eines<br />

<strong>Eudoxos</strong> Mo<strong>de</strong>lls (schematische Skizze)<br />

Eine echte Kosmologie liefern die 7 Mo<strong>de</strong>lle <strong>de</strong>s <strong>Eudoxos</strong> allerdings noch nicht. Erst<br />

Aristoteles hat das Sphärenmo<strong>de</strong>ll <strong>de</strong>s <strong>Eudoxos</strong> zu einer einheitlichen Kosmologie weiter<br />

entwickelt. 15<br />

Bei <strong>Eudoxos</strong> müssen wir, je nach<strong>de</strong>m für welchen Himmelskörper wir uns interessieren,<br />

das jeweils speziell einschlägige Mo<strong>de</strong>ll benutzen. Lediglich die einfach zu behan<strong>de</strong>ln<strong>de</strong><br />

Fixsternsphäre wird in allen 7 Mo<strong>de</strong>llen gleichwertig mo<strong>de</strong>lliert.<br />

Mit <strong>de</strong>n Mitteln <strong>de</strong>r heutigen Technologie könnte man allerdings mit ein paar Glaskugeln,<br />

Achsen samt Elektromotoren (und sehr viel Bastelei) alle 7 Mo<strong>de</strong>lle bauen und dann<br />

anstelle eines Mo<strong>de</strong>lls <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> jeweils eine kleine Vi<strong>de</strong>okamera ins Zentrum setzen.<br />

Wür<strong>de</strong> man dann die Bil<strong>de</strong>r aller 7 Vi<strong>de</strong>okameras überblen<strong>de</strong>n, so erhielte man eine<br />

Gesamtschau <strong>de</strong>r Prognosen <strong>de</strong>r 7 Einzelmo<strong>de</strong>lle von <strong>Eudoxos</strong>.<br />

15 Ich nehme an, <strong>Eudoxos</strong> hat auf eine Integration seiner sieben Mo<strong>de</strong>lle zu einem einheitlichen kosmologischen<br />

Mo<strong>de</strong>ll bewusst verzichtet. Der Trick, <strong>de</strong>n Aristoteles anwen<strong>de</strong>t, um aus <strong>de</strong>n sieben Mo<strong>de</strong>llen eins zu machen, ist<br />

nämlich relativ simpel. Hätte <strong>Eudoxos</strong> angefangen über eine Integration seiner sieben Mo<strong>de</strong>lle nachzu<strong>de</strong>nken, wäre<br />

ihm die von Aristoteles benutzte Konstruktionsmetho<strong>de</strong> sicherlich sofort ins Auge gesprungen. <strong>Eudoxos</strong> war<br />

schließlich ein exzellenter <strong>Mathematik</strong>er und hat wesentlich schwierigere Probleme gelöst. Vielleicht hätte er aber<br />

auch die von Aristoteles verwen<strong>de</strong>te Metho<strong>de</strong> als zu plump verworfen.<br />

-11-


Die Überarbeitung <strong>de</strong>r <strong>Eudoxos</strong> Mo<strong>de</strong>lle durch Kallippos<br />

Kallippos aus Kyzikos (ca. 370 – 325 v.Chr.) war ein <strong>Eudoxos</strong> Schüler, <strong>de</strong>r in Athen mit<br />

Aristoteles an <strong>de</strong>r Verfeinerung <strong>de</strong>r <strong>Eudoxos</strong> Mo<strong>de</strong>lle arbeitete. Kallippos war ein sowohl<br />

theoretisch wie beobachtend arbeiten<strong>de</strong>r Astronom. Er hat z.B. die Länge <strong>de</strong>s<br />

astronomischen Jahres auf 365¼ Tage bestimmt. Das weicht vom heutigen Messwert nur<br />

um ein paar Minuten ab.<br />

Obwohl die <strong>Eudoxos</strong> Mo<strong>de</strong>lle viele Eigenheiten <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> aus beobachtbaren<br />

Bahnen von Himmelskörpern qualitativ gut nachahmen konnten, waren sie in Puncto<br />

Genauigkeit <strong>de</strong>r Vorhersagen wohl doch nicht voll befriedigend.<br />

Die Probleme, die bei einer geozentrischen Mo<strong>de</strong>llierung <strong>de</strong>r Bahnen von Sonne, Mond<br />

und Wan<strong>de</strong>lsternen zu bewältigen sind, sind allerdings auch beträchtlich. Nutzen wir unser<br />

mo<strong>de</strong>rnes Wissen, um einen kurzen Blick auf die Ursachen dieser Probleme zu werfen:<br />

Die Erdachse steht nicht senkrecht auf <strong>de</strong>r Ebene <strong>de</strong>r Umlaufbahn um die Sonne.<br />

Die Umlaufbahn <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> um die Sonne, wie die aller an<strong>de</strong>ren Planeten, beschreibt<br />

keinen Kreis, son<strong>de</strong>rn ist elliptisch. 16<br />

Die Geschwindigkeit <strong>de</strong>r Planeten auf ihren Bahnen ist nicht konstant, son<strong>de</strong>rn<br />

variiert in Abhängigkeit von <strong>de</strong>r Entfernung zur Sonne.<br />

Die Planetenbahnen liegen nicht alle in einer Ebene.<br />

Die Herausfor<strong>de</strong>rung, die Position eines Wan<strong>de</strong>lsterns am Fixsternhimmel im Rahmen<br />

eines geozentrischen Mo<strong>de</strong>lls vorherzusagen, ist also nicht zu unterschätzen. 17 Es ist also<br />

nicht verwun<strong>de</strong>rlich, dass mit <strong>de</strong>m ersten Wurf von <strong>Eudoxos</strong> noch nicht alle Probleme vom<br />

Tisch waren. Es beginnt <strong>de</strong>r lange und <strong>bis</strong> heute noch nicht abgeschlossene Prozess <strong>de</strong>r<br />

Verbesserung unserer astronomischen Mo<strong>de</strong>lle. Den Beitrag Kallippos fasst Aristoteles in<br />

seiner Metaphysik kurz zusammen:<br />

Kallippos stimmte in Betreff <strong>de</strong>r Lage <strong>de</strong>r Sphären, d.h. <strong>de</strong>r Ordnung ihrer Abstän<strong>de</strong> mit<br />

<strong>Eudoxos</strong> überein, auch schrieb er <strong>de</strong>m Jupiter und <strong>de</strong>m Saturn dieselbe Anzahl von<br />

Sphären zu wie jener; doch <strong>de</strong>r Sonne und <strong>de</strong>m Mond, meinte er, müßten noch je zwei<br />

hinzugefügt wer<strong>de</strong>n, wenn man die wirklichen Erscheinungen darstellen wolle, und<br />

je<strong>de</strong>m an<strong>de</strong>ren <strong>de</strong>r übrigen Planeten noch eine. (Aristoteles, Metaphysik, Buch XII,<br />

Kapitel 8, 1073b) 18<br />

Fasst man die Unterschie<strong>de</strong> zwischen <strong>de</strong>n früheren <strong>Eudoxos</strong>- und <strong>de</strong>n späteren <strong>Eudoxos</strong>-<br />

Kallippos Mo<strong>de</strong>llen tabellarisch zusammen, so ergibt sich für die Anzahl <strong>de</strong>r verwen<strong>de</strong>ten<br />

Sphären (bzw. inneren Sphären) folgen<strong>de</strong>s Bild:<br />

Mo<strong>de</strong>ll Sonne Mond Merkur Venus Mars Jupiter Saturn Summe<br />

<strong>Eudoxos</strong> 3 (2) 3 (2) 4 (3) 4 (3) 4 (3) 4 (3) 4 (3) 26 (19) 19<br />

<strong>Eudoxos</strong>-Kallippos 5 (4) 5 (4) 5 (4) 5 (4) 5 (4) 4 (3) 4 (3) 33 (26)<br />

Auf <strong>de</strong>r Grundlage <strong>de</strong>r durch Kallippos bearbeiteten <strong>Eudoxos</strong> Mo<strong>de</strong>lle formuliert dann<br />

Aristoteles sein kosmologisches Mo<strong>de</strong>ll im Buch XII <strong>de</strong>r Metaphysik.<br />

16 Dabei ist die Erdbahn allerdings längst nicht so weit von einem Kreis entfernt, wie dies z.B. beim Mars <strong>de</strong>r Fall ist.<br />

17 Ist man an wirklich langfristigen Prognosen interessiert, so kommen übrigens noch weit <strong>de</strong>likatere Probleme hinzu.<br />

Einschlägige Stichworte sind: Periheldrehung <strong>de</strong>r Planetenbahnen, taumeln<strong>de</strong> Erdachse (Perio<strong>de</strong> ca. 26.000 Jahre).<br />

18 Aristoteles: Metaphysik. Übersetzt von Hermann Bonitz. Reinbek: Rowohlt 1999, 2. Auflage. S. 322<br />

19 Wieso sowohl manchmal in eigentlich seriöser Literatur, wie auf <strong>de</strong>r Mehrzahl <strong>de</strong>r einschlägigen Internetseiten von<br />

27 Sphären bei <strong>Eudoxos</strong> gesprochen wird, ist mir unerklärlich.<br />

-12-


Die Viel-Sphären-Kosmologie <strong>de</strong>s Aristoteles<br />

Unmittelbar nach <strong>de</strong>r Besprechung <strong>de</strong>r Vorleistungen von <strong>Eudoxos</strong> und Kallippos kommt<br />

Aristoteles auf seine Theorie <strong>de</strong>s Kosmos zu sprechen (Metaphysik Buch XII, Kapitel 8,<br />

1074a). Ausgehend von <strong>de</strong>n durch Kallippos bearbeiteten 7 Mo<strong>de</strong>llen <strong>de</strong>s <strong>Eudoxos</strong> wird<br />

ein einziges Sphärenmo<strong>de</strong>ll zur Beschreibung <strong>de</strong>s gesamten Kosmos vorgestellt. Die<br />

Prognosekraft <strong>de</strong>r aristotelischen Kosmologie stimmt dabei in allen Stärken wie<br />

Schwächen mit <strong>de</strong>n 7 <strong>Eudoxos</strong>-Kallippos-Mo<strong>de</strong>llen überein. Diese aristotelische<br />

Kosmologie hat die philosophische Diskussion um <strong>de</strong>n Aufbau <strong>de</strong>s Kosmos <strong>bis</strong> tief in die<br />

Renaissance hinein geprägt.<br />

Abbildung 5: Die innerste Sphäre bewegt sich synchron<br />

zur Fixsternsphäre<br />

Der Trick, <strong>de</strong>n Aristoteles benutzt, um<br />

die 7 Mo<strong>de</strong>lle zu einem einzigen<br />

Mo<strong>de</strong>ll zu integrieren, ist relativ<br />

einfach. Über das Einschieben<br />

zusätzlicher Zwischen-Sphären verschafft<br />

er sich immer wie<strong>de</strong>r neue<br />

Sphären, die sich synchron mit <strong>de</strong>r<br />

Fixsternsphäre bewegen. Man<br />

beginne mit <strong>de</strong>r Mo<strong>de</strong>llierung <strong>de</strong>s<br />

Saturn. Hierzu übernimmt man 1 zu 1<br />

das <strong>Eudoxos</strong>-Kallippos-Mo<strong>de</strong>ll für<br />

<strong>de</strong>n Saturn. Bevor man jetzt mit <strong>de</strong>r<br />

Mo<strong>de</strong>llierung <strong>de</strong>s Jupiter beginnt,<br />

schiebt man 3 neue Zwischen-<br />

Sphären ein. Bei je<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r 3 neuen<br />

Sphären ist die Lage <strong>de</strong>r Drehachsen<br />

und <strong>de</strong>r Betrag <strong>de</strong>r Winkelgeschwindigkeit<br />

in Übereinstimmung<br />

mit jeweils einer (an<strong>de</strong>ren) <strong>de</strong>r 3<br />

inneren Sphären <strong>de</strong>s <strong>Eudoxos</strong>-<br />

Kallippos-Mo<strong>de</strong>lls für <strong>de</strong>n Saturn. Sie<br />

hat jedoch jeweils die genau<br />

entgegengesetzte Orientierung <strong>de</strong>r<br />

Drehrichtung (s. Abb. 5)<br />

Das Resultat: Die innerste <strong>de</strong>r neu<br />

eingefügten Zwischen-Spähren<br />

bewegt sich synchron zur äußersten<br />

Sphäre: Der Fixsternsphäre. Aristoteles hat sich also eine Art 2. Fixsternsphäre verschafft.<br />

An dieser 2. Fixsternspähre (die allerdings keine Fixsterne trägt, das bleibt das Privileg <strong>de</strong>r<br />

1. Fixsternsphäre) wer<strong>de</strong>n jetzt die inneren Sphären <strong>de</strong>s <strong>Eudoxos</strong>-Kallippos-Mo<strong>de</strong>lls für<br />

<strong>de</strong>n 2. Wan<strong>de</strong>lstern, <strong>de</strong>n Jupiter aufgehängt. Da sich die 2. Fixsternsphäre genau so<br />

bewegt wie die 1. Fixsternsphäre stimmt, <strong>de</strong>r prognostische Gehalt für die Jupiter-Position<br />

vor <strong>de</strong>m Hintergrund <strong>de</strong>s Fixsternhimmels mit <strong>de</strong>m <strong>Eudoxos</strong>-Kallippos-Mo<strong>de</strong>ll für <strong>de</strong>n<br />

Jupiter überein. So kann man also die bei<strong>de</strong>n <strong>Eudoxos</strong>-Kallippos-Mo<strong>de</strong>lle für Saturn und<br />

Jupiter zu einem einzigen Mo<strong>de</strong>ll integrieren.<br />

Um <strong>de</strong>n Mars integrieren zu können, verschafft man sich wie<strong>de</strong>rum durch Einschiebung<br />

neuer, zurückführen<strong>de</strong>r Zwischen-Sphären eine 3. Fixsternsphäre. Und so kann man<br />

fortfahren, <strong>bis</strong> alle 7 Mo<strong>de</strong>lle in ein einziges Mo<strong>de</strong>ll integriert sind.<br />

-13-


Wie viele Sphären benötigt man bei diesem Vorgehen zur Integration <strong>de</strong>r <strong>Eudoxos</strong>-<br />

Kallippos-Mo<strong>de</strong>lle?<br />

Die Rechnung ist einfach:<br />

1 Fixsternsphäre 1<br />

3 innere Sphären für Saturn + 3 zurückführen<strong>de</strong> Sphären 6<br />

3 innere Sphären für Jupiter + 3 zurückführen<strong>de</strong> Sphären 6<br />

4 innere Sphären für Mars + 4 zurückführen<strong>de</strong> Sphären 8<br />

4 innere Sphären für die Sonne + 4 zurückführen<strong>de</strong> Sphären 8<br />

4 innere Sphären für Venus + 4 zurückführen<strong>de</strong> Sphären 8<br />

4 innere Sphären für Merkur + 4 zurückführen<strong>de</strong> Sphären 8<br />

4 innere Sphären für <strong>de</strong>n Mond 4<br />

--------------<br />

Summe 49<br />

Verblüffen<strong>de</strong>r Weise nennt aber Aristoteles die Zahl 55! Ich <strong>de</strong>nke, da ist Aristoteles ein<br />

kleiner Fehler unterlaufen. Aristoteles diskutiert die Details <strong>de</strong>s Sphärenmo<strong>de</strong>lls nicht<br />

beson<strong>de</strong>rs ausführlich, son<strong>de</strong>rn überschlägt nur mal eben so die Gesamtanzahl <strong>de</strong>r<br />

benötigten Sphären:<br />

Da nun <strong>de</strong>r Sphären, in welchen die Planeten selbst bewegt wer<strong>de</strong>n, 8 und 25 sind, und<br />

von diesen nur diejenigen nicht brauchen zurückgeführt zu wer<strong>de</strong>n, in welchen <strong>de</strong>r<br />

unterste Planet sich bewegt, so ergeben sich 6 Sphären, welche die <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n obersten<br />

zurückführen, und 16 für die folgen<strong>de</strong>n, und als Anzahl <strong>de</strong>r gesamten Sphären, <strong>de</strong>r<br />

bewegen<strong>de</strong>n sowohl als <strong>de</strong>r zurückführen<strong>de</strong>n, 55 (Hervorhebung von N.F.). (Aristoteles:<br />

Methaphysik, Buch XII, Kapitel 8, 1074a) 20<br />

Die Anzahl <strong>de</strong>r zurückführen<strong>de</strong>n-Sphären bestimmt Aristoteles korrekt mit 6 + 16. Er<br />

benötigt aber nicht alle 33 (8 + 25) Sphären aus <strong>de</strong>n 7 <strong>Eudoxos</strong>-Kallippos-Mo<strong>de</strong>llen. Diese<br />

enthalten nämlich pro Mo<strong>de</strong>ll eine Fixsternsphäre. Aristoteles benötigt davon aber nur eine<br />

einzige Fixsternsphäre. Den Ersatz für die 2. - 7. Fixsternsphäre erzeugt er sich ja mittels<br />

seines kleinen Tricks durch die „zurückführen<strong>de</strong>n“ Sphären. Genau dadurch ermöglicht er<br />

es ja die 7 Mo<strong>de</strong>lle zu einem einzigen kosmischen Mo<strong>de</strong>ll integrieren. Also ergibt sich bei<br />

korrekter Rechnung: (8 + 25) – 6 + (6 + 16) = 49.<br />

Beruhigend, dass auch großen Denkern kleine Fehler unterlaufen.<br />

Aber die ganz genaue Anzahl <strong>de</strong>r Sphären ist für Aristoteles (<strong>zum</strong>in<strong>de</strong>st an dieser Stelle)<br />

sowieso nicht das zentrale Anliegen. Freimütig räumt er nämlich ein, dass, wenn man auf<br />

<strong>de</strong>n Nachvollzug <strong>de</strong>r ein o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Erweiterung <strong>de</strong>r <strong>Eudoxos</strong>-Mo<strong>de</strong>lle durch Kallippos<br />

verzichtet, man auch mit weniger (als seinen angeblich 55) Sphären in <strong>de</strong>r Kosmologie<br />

auskommen könne.<br />

Zentrales Anliegen ist wohl eher <strong>de</strong>r Nachweis, dass sich die 7 verschie<strong>de</strong>nen Mo<strong>de</strong>lle zu<br />

einem einzigen Mo<strong>de</strong>ll integrieren lassen. Welche präzise Zahl an Sphären sich dabei<br />

ergibt ist für Aristoteles eher sekundär. Wichtig ist hingegen, dass nun, nach<strong>de</strong>m gezeigt<br />

wur<strong>de</strong>, dass sich die 7 Mo<strong>de</strong>lle zu einem Gesamtmo<strong>de</strong>ll vereinigbar sind, es viel leichter<br />

möglich ist, <strong>de</strong>n (vorher eher als geometrisches Hilfsmittel zur Mo<strong>de</strong>llierung von<br />

Himmelsphänomen benutzten) Sphären eine reale Existenz als Bestandteil unseres<br />

Kosmos zuzusprechen.<br />

20 Aristoteles: Metaphysik. Übersetzt von Hermann Bonitz. Reinbek: Rowohlt 1999, 2. Auflage. S. 323<br />

-14-


In <strong>de</strong>r Kosmologie <strong>de</strong>s Aristoteles spielen diese (für ihn real existieren<strong>de</strong>n) Sphären eine<br />

zentrale Rolle. Die unterste (die uns nächste Sphäre) trägt <strong>de</strong>n Mond und trennt die<br />

sublunare Welt <strong>de</strong>s Verän<strong>de</strong>rlichen wie Vergänglichen von <strong>de</strong>n Himmelsphären <strong>de</strong>s<br />

Ewigen, Unverän<strong>de</strong>rlichen und Unvergänglichen.<br />

Sublunar gibt es für unbelebte Körper nur eine Art von natürlicher Bewegung, die ohne<br />

unmittelbare Einwirkung von Außen möglich ist, und die geht immer in Richtung <strong>de</strong>s<br />

„natürlichen“ Ortes. (Das meint Fallen in Richtung Erdmittelpunkt für Schweres und<br />

Aufsteigen in Richtung lunarer Sphäre für Leichtes.) In <strong>de</strong>r himmlischen Welt hingegen<br />

kann eine gleichförmige Kreisbewegungen auch ohne unmittelbare Einwirkung von außen<br />

Bestand haben. Einmal erzeugt, kann sich dort eine Kreisbewegung auf ewig fortsetzen<br />

(so Aristoteles).<br />

Zur Erklärung <strong>de</strong>s Beginns <strong>de</strong>r Bewegungen in <strong>de</strong>r Himmelsmechanik postuliert<br />

Aristoteles unbewegte Beweger. Sie haben <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen Sphären <strong>de</strong>n ersten<br />

Schubs gegeben. <strong>Von</strong> da an lief und läuft die Maschinerie alleine weiter. Das aristotelische<br />

Nach<strong>de</strong>nken über unbewegte Beweger wird im späten Mittelalter, nach <strong>de</strong>r Aristoteles<br />

Rezeption in <strong>de</strong>r Scholastik, zu einem anachronistisch erbrachten christlichen Gottesbeweis<br />

umge<strong>de</strong>utet.<br />

Obwohl die im Mittelalter erfolgen<strong>de</strong> Wie<strong>de</strong>rent<strong>de</strong>ckung einer Vielzahl aristotelischer<br />

Schriften für die etwas traurig anmuten<strong>de</strong> Bildungslandschaft <strong>de</strong>s mittelalterlichen Europas<br />

erst einmal ein immenser Zugewinn war, hat sich die dann erfolgen<strong>de</strong> Dogmatisierung <strong>de</strong>r<br />

aristotelischen Lehren als ein Hemmnis für <strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Renaissance einsetzen<strong>de</strong>n freien<br />

Verstan<strong>de</strong>sgebrauchs herausgestellt. 21<br />

Aber wenn auch nur die himmlischen Sphären das Privileg <strong>de</strong>s Ewigen und<br />

Unverän<strong>de</strong>rlichen haben, das Zentrum <strong>de</strong>r Welt, um das sich wortwörtlich alles dreht, ist<br />

die Er<strong>de</strong>. Wahrscheinlich auch weil, sie <strong>de</strong>r menschlichen Eitelkeit so sehr entgegen<br />

kommt, fin<strong>de</strong>t diese Sicht <strong>de</strong>r Dinge bei <strong>de</strong>n Griechen viel Anklang. Die antiken Griechen,<br />

die (nicht ganz grundlos) einen ausgeprägten Stolz auf ihr Hellenentum besaßen, neigten<br />

sowieso schon dazu sich für die Krönung <strong>de</strong>r Menschheit zu halten. Wenn die Hellenen<br />

die Krönung <strong>de</strong>r Menschheit sind, so wie die Menschen die Krönung <strong>de</strong>s irdischen Lebens<br />

sind und jetzt auch noch die Er<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Mittelpunkt <strong>de</strong>r Welt ist, dann klingt das doch nach<br />

einer, <strong>zum</strong>al für griechische Ohren, ganz akzeptablen Welt<strong>de</strong>utung.<br />

Trotz dieser etwas süffisanten Zwischenbemerkung:<br />

Die von <strong>Eudoxos</strong> eingeführte und von seinem Schüler Kallippos sofort weiterentwickelte<br />

Metho<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Kombination von astronomischem Beobachtungswissen mit mathematischer<br />

Mo<strong>de</strong>llierung und <strong>de</strong>m Streben nach Genauigkeit <strong>de</strong>r Vorhersagen, war nicht mehr und<br />

nicht weniger als die Begründung <strong>de</strong>r Tradition <strong>de</strong>r wissenschaftlichen <strong>Astronomie</strong>. Wenn<br />

wir heute so viel mehr über <strong>de</strong>n Aufbau <strong>de</strong>s Himmels wissen als <strong>Eudoxos</strong> und Kallippos,<br />

dann <strong>de</strong>swegen, weil sich die von ihnen begrün<strong>de</strong>te Tradition als so fruchtbar erwies.<br />

Aristoteles hat die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r Leistungen von <strong>Eudoxos</strong> und Kallippos sofort erkannt<br />

und hat sich daran versucht, <strong>de</strong>ren mathematisch-geometrischen Mo<strong>de</strong>lle zu einem Bild<br />

<strong>de</strong>s Kosmos fortzuentwickeln. Man kann ihn schlecht für die Borniertheit seiner Anhänger<br />

in späteren Jahrtausen<strong>de</strong>n verantwortlich machen.<br />

Bis heute sind möglichst genaue Beobachtungsdaten, mathematisches know how und das<br />

Streben nach einer Orientierung in dieser Welt die Grundlage für wissenschaftliche<br />

Fortschritte in <strong>de</strong>r <strong>Astronomie</strong>. Und so, wie die <strong>Antike</strong> ihre Fehler gemacht hat, so machen<br />

wir heute unsere. Fortschritt besteht meist nur darin überlieferte Irrtümer durch neue,<br />

intelligentere Irrtümer zu ersetzen.<br />

21 Siehe auch: Aristoteles: Logik und Methodik in <strong>de</strong>r <strong>Antike</strong> (www.antike-griechische.<strong>de</strong>/Aristoteles.pdf).<br />

-15-


Das heliozentrische Weltbild <strong>de</strong>s Aristarchos von Samos<br />

Aristarchos (Aristarch) von Samos (ca. 310 – 230 v.Chr.) war <strong>Mathematik</strong>er und Astronom.<br />

Er hat eine brillante Metho<strong>de</strong> zur Bestimmung <strong>de</strong>s Verhältnisses <strong>de</strong>r Entfernungen<br />

Er<strong>de</strong>/Sonne und Er<strong>de</strong>/Mond ersonnen. Lediglich Probleme bei <strong>de</strong>r genauen Bestimmung<br />

von Winkeln haben ihn daran gehin<strong>de</strong>rt, das Verhältnis mit einem Fehler kleiner als 1<br />

Promille zu bestimmen. Da aber das von ihm ersonnene Verfahren sehr sensibel auf<br />

Messfehler reagiert, hat er <strong>de</strong>n tatsächlichen Wert <strong>de</strong>utlich verfehlt.<br />

Aristarchos hat sowohl aus geo- wie aus heliozentrischer Sicht über Probleme <strong>de</strong>r<br />

<strong>Astronomie</strong> nachgedacht. Überliefert ist aber nur eine geozentrische Schrift, so dass wir<br />

für eine Rekonstruktion seiner heliozentrischen Arbeiten auf die lei<strong>de</strong>r nicht sehr<br />

ergiebigen Sekundärquellen angewiesen sind. Soviel ist aber klar: Aristarchos ging von<br />

einer Eigendrehung <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> als Ursache für <strong>de</strong>n Tag/Nacht Rhythmus, wie einem<br />

jährlichen Umlauf um die Sonne als Ursache für <strong>de</strong>n Wechsel <strong>de</strong>r Jahreszeiten aus. 22<br />

Aristarch von Samos gab die Erörterung gewisser<br />

Hypothesen heraus, in welchen aus <strong>de</strong>n gemachten<br />

Voraussetzungen erschlossen wird, daß <strong>de</strong>r Kosmos ein<br />

Vielfaches <strong>de</strong>r von mir angegebenen Größe sei. Es wird<br />

nämlich angenommen, daß die Fixsterne und die Sonne<br />

unbeweglich seien, die Er<strong>de</strong> sich um die Sonne, die in <strong>de</strong>r<br />

Mitte <strong>de</strong>r Erdbahn läge, in einem Kreise bewege, die<br />

Fixsternsphäre aber, <strong>de</strong>ren Mittelpunkt die Sonne bil<strong>de</strong>, so<br />

groß sei, daß die Peripherie <strong>de</strong>r Erdbahn sich <strong>zum</strong> Abstan<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>r Fixsterne verhalte wie <strong>de</strong>r Mittelpunkt <strong>de</strong>r Kugel zu<br />

ihrer Oberfläche. (Archime<strong>de</strong>s: Die Sandzahl) 23<br />

Das Archime<strong>de</strong>s Zitat stützt <strong>de</strong>utlich die Annahme, dass<br />

Aristarchos, als in Geometrie geschulter <strong>Mathematik</strong>er und<br />

Astronom, sich darüber im Klaren war, dass ein heliozentrisches<br />

Weltbild nach einer parallaktischen Verschiebung <strong>de</strong>r<br />

Fixsternpositionen im Wechsel <strong>de</strong>r Jahreszeiten verlangt. D.h. die<br />

Positionen <strong>de</strong>r Fixsterne müssen im Wan<strong>de</strong>l <strong>de</strong>r Jahreszeiten mit<br />

an<strong>de</strong>ren Winkeln gemessen wer<strong>de</strong>n (s. Abb. 6). Da eine<br />

Parallaxe damals nicht messbar war, konnte das (aus<br />

heliozentrischer Sicht) nur be<strong>de</strong>uten, dass die Fixsterne eine<br />

Entfernung zur Er<strong>de</strong> haben, die mit riesig nicht einmal annähernd<br />

angemessen beschrieben ist.<br />

Die Parallaxe existiert. Beim erdnächsten Stern (Proxima<br />

Centauri) beträgt sie 0,722''. 24 Abbildung 6: Die im<br />

heliozentrischen<br />

Weltbild zu erwarten<strong>de</strong><br />

Parallaxe bei Fixsternbeobachtungen<br />

Das lag weit außerhalb <strong>de</strong>r<br />

Messmöglichkeiten <strong>de</strong>r <strong>Antike</strong>. Erst im 19. Jahrhun<strong>de</strong>rt konnte<br />

erstmals die Existenz einer Parallaxe für Fixsterne nachgewiesen<br />

wer<strong>de</strong>n (Bessel, 1838). Noch Kopernikus hätte wohl sein letztes<br />

Hemd für <strong>de</strong>n Nachweis einer solchen Parallaxe gegeben. Aber<br />

auch er hatte keine Chance.<br />

Wir wissen nicht, wie intensiv sich Aristarchos in die Ausarbeitung seines heliozentrischen<br />

Systems vertieft hat. Überragend genaue Prognosen hat er damit je<strong>de</strong>nfalls nicht erzielt.<br />

22 Das Auftreten scheinbar retrogra<strong>de</strong>r Bewegungsphasen bei Wan<strong>de</strong>lsternen ergibt sich daraus dann ganz natürlich.<br />

23 Archime<strong>de</strong>s: Über Spiralen, Kugel und Zylin<strong>de</strong>r [u.a.]. Frankfurt am Main: Deutsch, 1996. S. 349f<br />

24 Das ist weniger als <strong>de</strong>r millionste Teil eines Vollkreises!<br />

-16-


Er wird wohl die gleichen Erfahrungen gemacht haben, wie Kopernikus ca. 1800 Jahre<br />

später: Es ist verdammt schwierig ein quantitativ brauchbares, heliozentrisches Mo<strong>de</strong>ll zu<br />

entwickeln, so lange man an <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>r kreisförmigen Umlaufbahnen festhält.<br />

Insgesamt bleibt das heliozentrische Weltbild in <strong>de</strong>r <strong>Antike</strong> eine etwas exotische<br />

Außenseiterposition. 25 Wir haben keine unmittelbare Wahrnehmung <strong>de</strong>r Bewegung <strong>de</strong>r<br />

Er<strong>de</strong>, eine Parallaxe ist nicht messbar und prognostisch hoch potente Mo<strong>de</strong>lle fehlen.<br />

Abbildung 7: Zwei frühe Weltbil<strong>de</strong>r (Pythagoreer: Die<br />

relative Position „Gegener<strong>de</strong> - Er<strong>de</strong>“ ist unsicher.<br />

Hierzu sind die Quellen etwas mager.)<br />

Trotz <strong>de</strong>s geringen Wi<strong>de</strong>rhalls <strong>de</strong>r<br />

heliozentrischen Sicht und trotz <strong>de</strong>r<br />

beinahe einhelligen Ablehnung bei<br />

<strong>de</strong>n führen<strong>de</strong>n Köpfen Griechenlands:<br />

<strong>Von</strong> einer irgend gearteten<br />

Verfolgung von Aristarchos o<strong>de</strong>r<br />

einem seiner wenigen Anhänger ist<br />

nichts bekannt. 26<br />

Aristarchos war übrigens keineswegs<br />

<strong>de</strong>r erste, <strong>de</strong>r die Er<strong>de</strong> in Bewegung<br />

sah. Die Pythagoreer, eine von<br />

Pythagoras gegrün<strong>de</strong>te mathematisch-religiöse<br />

Bru<strong>de</strong>rschaft (mit<br />

leicht feministischem Einschlag),<br />

bevorzugten ebenfalls eine nicht<br />

geozentrische Sicht <strong>de</strong>r Dinge. Das<br />

wohl auf <strong>de</strong>n Pythagoreer Philolaos<br />

(480 - ? v.Chr.) zurückgehen<strong>de</strong><br />

Mo<strong>de</strong>ll hat allerdings zwei kuriose<br />

Beson<strong>de</strong>rheiten. Zum einen geht es<br />

von <strong>de</strong>r Existenz einer Gegener<strong>de</strong><br />

aus, die aber auf Grund ihrer Bahn<br />

von uns nie am Himmel<br />

aus<strong>zum</strong>achen ist. Zum an<strong>de</strong>ren wird<br />

unterstellt, dass die Sonne kein<br />

eigenes Licht hat, son<strong>de</strong>rn nur im<br />

Wi<strong>de</strong>rschein eines Zentralfeuers<br />

erstrahlt. Dass wir das Zentralfeuer<br />

noch nicht bemerkt haben, erklären die Pythagoreer so: Die Er<strong>de</strong> umrun<strong>de</strong>t einmal am<br />

Tag das Zentralfeuer. Dabei wen<strong>de</strong>t sie <strong>de</strong>m Zentralfeuer stets die selbe Seite zu. Diese<br />

ist aber eben wegen <strong>de</strong>s Zentralfeuers viel zu heiß, um bewohnbar zu sein. Wir leben auf<br />

<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Halbkugel und sehen <strong>de</strong>swegen nur die im Wi<strong>de</strong>rschein <strong>de</strong>s Zentralfeuers<br />

erstrahlen<strong>de</strong> Sonne.<br />

Diese bei<strong>de</strong>n Annahmen (Gegener<strong>de</strong>, Zentralfeuer) können wohl nicht als durch<br />

Beobachtung und/o<strong>de</strong>r theoretische Überlegungen innerhalb eines astronomischen<br />

Denkhorizonts inspiriert gelten. Es ist <strong>de</strong>swegen durchaus vernünftig, Aristarchos als <strong>de</strong>n<br />

ersten zu betrachten, <strong>de</strong>r innerhalb <strong>de</strong>r Tradition <strong>de</strong>r wissenschaftlichen <strong>Astronomie</strong> für<br />

eine bewegte Er<strong>de</strong> eintrat.<br />

Nun, so etwas ist allerdings immer auch etwas Geschmacksfrage. Ein belastbares,<br />

trennscharfes Kriterium, mit <strong>de</strong>ssen Hilfe man genau zwischen wissenschaftlich einerseits<br />

und vor- bzw. unwissenschaftlich an<strong>de</strong>rerseits unterschei<strong>de</strong>n könnte, gibt es nicht.<br />

25 Immerhin ein antiker Anhänger <strong>de</strong>s heliozentrischen Weltbil<strong>de</strong>s von Aristarchos ist namentlich bekannt: Der<br />

griechische Astronom Seleukus von Seleukia (um 150 v.Chr.).<br />

26 Einige Anhänger <strong>de</strong>r Philosophenschule Stoa hielten ein heliozentrisches Weltbild allerdings für Religionsfrevel.<br />

-17-


Der <strong>Almagest</strong> – Die Krönung <strong>de</strong>s geozentrischen Denkens<br />

<strong>Almagest</strong> ist <strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>m ara<strong>bis</strong>chen stammen<strong>de</strong> Name <strong>de</strong>s astronomischen .Hauptwerks<br />

von Klaudios Ptolemaios (Ptolemäus, Ptolemeius). Der griechische <strong>Mathematik</strong>er,<br />

Astronom und Geograph (ca. 100 – 160 n.Chr.) lebte und wirkte in Alexandria. Der<br />

griechische Original Titel seines astronomischen Hauptwerks lautet: Megale syntaxis.<br />

Es wur<strong>de</strong> um 800 ins Ara<strong>bis</strong>che übersetzt. Nach<strong>de</strong>m man im Europa <strong>de</strong>s frühen<br />

Mittelalters <strong>de</strong>n Kontakt zur antiken Bildungs- und Wissenskultur weitgehend verloren<br />

hatte, wur<strong>de</strong> es im Europa <strong>de</strong>s späten Mittelalters auf <strong>de</strong>m Umweg über die islamische<br />

Kultur wie<strong>de</strong>r ent<strong>de</strong>ckt. Daher <strong>de</strong>r ara<strong>bis</strong>ch-stämmige Name. 1175 wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r <strong>Almagest</strong><br />

ins Lateinische übersetzt. Bei <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rerschließung <strong>de</strong>s <strong>Almagest</strong> griff man neben<br />

ara<strong>bis</strong>chen auch auf griechische (byzantinische) Quellen zurück. 1496 wur<strong>de</strong> das Werk in<br />

Venedig erstmals gedruckt.<br />

Der <strong>Almagest</strong> war für ca. 1500 Jahre das Referenzwerk <strong>de</strong>r wissenschaftlichen<br />

<strong>Astronomie</strong>. Er basiert auf einem geozentrischen Weltbild und gestattet erstaunlich<br />

zuverlässige Prognosen zur Position <strong>de</strong>r Wan<strong>de</strong>lsterne.<br />

Eine Lebensdauer von an<strong>de</strong>rthalb Jahrtausen<strong>de</strong>n ist für eine Theorie, <strong>de</strong>ren Voraussagen<br />

Tag für Tag mit <strong>de</strong>n Beobachtungen verglichen wer<strong>de</strong>n können, aller Ehren wert. 27<br />

Die hohe Zuverlässigkeit erreichte Ptolemaios, in<strong>de</strong>m er verschie<strong>de</strong>ne Typen<br />

geometrischer Konstruktionen aufs Geschickteste miteinan<strong>de</strong>r kombinierte. Er steht dabei<br />

am En<strong>de</strong> einer langen Tradition griechischer <strong>Mathematik</strong>er und Astronomen. Die<br />

Hauptetappen dieser Entwicklung sollen hier kurz nachgezeichnet wer<strong>de</strong>n. <strong>Von</strong><br />

beson<strong>de</strong>rem Interesse ist dabei, wie sich die spätantike <strong>Astronomie</strong> langsam von <strong>de</strong>r<br />

radikal geozentrischen Vorstellung <strong>de</strong>s Aristoteles abwen<strong>de</strong>t und ihre Erfolge mit einem<br />

gemäßigt geozentrischen Weltbild erzielt.<br />

Im Weltbild <strong>de</strong>s Aristoteles wer<strong>de</strong>n die Postionsverän<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r Gestirne durch<br />

Überlagerung von Kreisbewegungen mo<strong>de</strong>lliert. Das bleibt auch bei Ptolemaios so. Aber<br />

bei Ptolemaios befin<strong>de</strong>t sich die Er<strong>de</strong> nicht immer im Zentrum <strong>de</strong>r zur Mo<strong>de</strong>llierung<br />

herangezogenen Kreise und die Bewegung auf <strong>de</strong>n Kreisen ist auch nicht immer<br />

gleichförmig (die Winkelgeschwindigkeit ist nicht immer konstant).<br />

Diese Lockerung <strong>de</strong>r Geozentrik verschafft <strong>de</strong>n Spielraum <strong>de</strong>r zur Erstellung eines sehr<br />

zuverlässigen Mo<strong>de</strong>lls benötigt wird.<br />

Apollonios: Der Epizykel<br />

Apollonios (Apollonius) von Perge (ca. 260 – 190 v.Chr.) lebte als <strong>Mathematik</strong>er und<br />

Astronom in Alexandria. Als <strong>Mathematik</strong>er ist er vor allem wegen seiner Lehre <strong>de</strong>r<br />

Kegelschnitte be<strong>de</strong>utend. Begriffe wie Ellipse, Parabel und Hyperbel entstan<strong>de</strong>n zuerst bei<br />

<strong>de</strong>r Diskussion von Kegelschnitten. Die hierzu von Apollonius erzielten Resultate waren<br />

<strong>bis</strong> <strong>zum</strong> Aufkommen <strong>de</strong>r analytischen Geometrie (also über 1500 Jahre) Stand <strong>de</strong>r<br />

Wissenschaft. Noch Galilei und Kepler haben die Kegellehre <strong>de</strong>s Apollonios studiert.<br />

27 Károly Simonyi: Kulturgeschichte <strong>de</strong>r Physik. Frankfurt am Main: Harri Deutsch Verlag, 3. Auflage, 2001. S. 97<br />

-18-


Abbildung 8: Deferent,<br />

Epizykel und Wan<strong>de</strong>lstern<br />

Die entschei<strong>de</strong>ndste Leistung <strong>de</strong>s Apollonius als Astronom<br />

war die Verwendung von Epizyklen. Er ist <strong>de</strong>r erste<br />

griechische Astronom, <strong>de</strong>r Epizyklen zur Mo<strong>de</strong>llierung <strong>de</strong>r<br />

Bahnen von Wan<strong>de</strong>lsternen einsetzt.<br />

Die Grundi<strong>de</strong>e <strong>de</strong>r Epizyklen ist einfach. Auf einem Kreis, in<br />

<strong>de</strong>ssen Mittelpunkt die Er<strong>de</strong> liegt, befin<strong>de</strong>t sich ein zweiter<br />

Kreis. Letzterer ist mit seinem Mittelpunkt auf <strong>de</strong>r Kreislinie<br />

<strong>de</strong>s Ersteren „befestigt“ und trägt an seinem Rand einen<br />

Himmelskörper (s. Abb. 8). Wenn sich nun bei<strong>de</strong> Kreise um<br />

ihre jeweiligen Mittelpunkte drehen, beschreibt <strong>de</strong>r<br />

Himmelskörper eine Bahn, die sich aus <strong>de</strong>r Überlagerung<br />

<strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Kreisbewegungen ergibt.<br />

Der Hauptkreis, in <strong>de</strong>ssen Mittelpunkt die Er<strong>de</strong> liegt wird<br />

Deferent genannt. Der zweite Kreis, <strong>de</strong>ssen Mittelpunkt auf<br />

<strong>de</strong>r Kreislinie <strong>de</strong>s Deferenten liegt, heißt Epizykel<br />

(Nebenkreis).<br />

Durch Variation <strong>de</strong>r Radien wie <strong>de</strong>r Winkelgeschwindigkeiten <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Kreise lässt sich<br />

eine Vielzahl von Bahnen mo<strong>de</strong>llieren. Insbeson<strong>de</strong>re die von <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> aus retrograd<br />

erscheinen<strong>de</strong>n Bewegungsphasen von Wan<strong>de</strong>lsternen können so, <strong>zum</strong>in<strong>de</strong>st qualitativ,<br />

ge<strong>de</strong>utet wer<strong>de</strong>n.<br />

Das Epizyklenkonzept ist ein erstes, vorsichtiges Abrücken von <strong>de</strong>r radikal geozentrischen<br />

Sicht bei Aristoteles. Epizyklen haben nicht mehr die Er<strong>de</strong> als Mittelpunkt. Allerdings liegt<br />

ihr Mittelpunkt auf <strong>de</strong>r Kreislinie eines Deferenten, in <strong>de</strong>ssen Mittelpunkt dann die Er<strong>de</strong><br />

liegt. Dadurch bleibt doch ein <strong>de</strong>utliches Maß an Geozentrik gewahrt.<br />

Hipparchos: Der Exzenter<br />

Hipparchos (Hipparch) von Nicaea (ca. 190 – 125 v.Chr.) war <strong>Mathematik</strong>er, Geograph<br />

und Astronom. Er lebte und wirkte (wahrscheinlich) auf Rhodos. Hipparchos ist in <strong>de</strong>r<br />

<strong>Mathematik</strong> dafür berühmt, dass er eine Vorform unserer heutigen Trigonometrie<br />

geschaffen hat. Als Astronom gilt er als <strong>de</strong>r be<strong>de</strong>utendste griechische Astronom <strong>de</strong>r<br />

ganzen <strong>Antike</strong>. Er war in seinem Denken ungewöhnlich frei und hat in vielen Bereichen<br />

neue Wege beschritten.<br />

Hipparchos, <strong>de</strong>n man nicht genug loben kann, ent<strong>de</strong>ckte einen neuen Stern, <strong>de</strong>r zu<br />

seiner Zeit erschienen war ... Er begann sich zu wun<strong>de</strong>rn und zu fragen, ob solche<br />

Ereignisse nicht öfters stattfin<strong>de</strong>n und jene Sterne, die wir als Fixsterne bezeichnen,<br />

vielleicht doch Bewegungen ausführen. Er tat, was selbst einem Gotte Kühnheit<br />

abfor<strong>de</strong>rte: er zählte die Sterne und Sternbil<strong>de</strong>r ab und gab ihnen Namen. Zu diesem<br />

Zwecke konstruierte er Meßinstrumente, mit <strong>de</strong>nen er Lage und Form eines je<strong>de</strong>n<br />

Sternes bestimmen konnte. Dank seiner Bemühungen können wir jetzt nicht nur<br />

mühelos feststellen, ob ein Stern erlischt o<strong>de</strong>r geboren wird, son<strong>de</strong>rn auch, ob er sich<br />

aus seiner Lage fortbewegt hat o<strong>de</strong>r sogar, ob seine Helligkeit angewachsen ist o<strong>de</strong>r<br />

nicht.<br />

So hinterließ er <strong>de</strong>n Sternenhimmel als Erbe allen die ihn nach ihm in Besitz nehmen<br />

wollen. (Plinius: Historia naturalis) 28<br />

28 Zitiert nach: Károly Simonyi: Kulturgeschichte <strong>de</strong>r Physik. Frankfurt am Main: Harri Deutsch Verlag, 3. Auflage,<br />

2001. S. 99<br />

-19-


Hipparchos ist auch <strong>de</strong>rjenige, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n exzentrischen Kreis (Exzenter) in die<br />

geozentrische <strong>Astronomie</strong> einführt. Exzentrisch heißt hierbei einfach, dass <strong>de</strong>r Kreis die<br />

Er<strong>de</strong> umspannt, die Er<strong>de</strong> aber nicht im Mittelpunkt <strong>de</strong>s Kreises liegt.<br />

Hipparchos hat sich mit <strong>de</strong>r genauen Länge <strong>de</strong>s astronomischen Jahres und <strong>de</strong>r<br />

(astronomischen) Jahreszeiten beschäftigt. Um die Unterschie<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r Länge <strong>de</strong>r vier<br />

astronomischen Jahreszeiten zu erklären, nahm er eine exzentrische Bahn <strong>de</strong>r Sonne um<br />

die Er<strong>de</strong> an.<br />

Das war gemessen an <strong>de</strong>n damaligen Denkwelten durchaus kühn. Psychologisch war<br />

damit ein weiterer Schritt zur Aufweichung <strong>de</strong>r radikalen Geozentrik <strong>de</strong>s Aristoteles getan.<br />

Abbildung 9: Bei passend gewählten<br />

Parametern kann man mit Epizyklen eine<br />

zu einer Exzenterkonstruktion gleichwertige<br />

Bahn erzeugen (schematische<br />

Skizze).<br />

Ptolemaios: Der Äquant<br />

Man kann allerdings bei geschickter Wahl <strong>de</strong>r<br />

Parameter, in einem Epizyklenmo<strong>de</strong>ll ebenfalls<br />

eine exzentrische Bahn mo<strong>de</strong>llieren.<br />

Zumin<strong>de</strong>st Ptolemaios (vielleicht aber sogar<br />

schon Hipparchos) wusste dies. 29 Die Exzenter<br />

<strong>de</strong>s Hipparchos waren aber trotz<strong>de</strong>m<br />

i<strong>de</strong>engeschichtlich ein wichtiger Schritt<br />

vorwärts. Durch die Einführung <strong>de</strong>r Exzenter<br />

verliert die Er<strong>de</strong> ganz offensichtlich ihre<br />

Stellung als Zentrum <strong>de</strong>r ganzen Welt.<br />

Mit Epizykel und Exzenter hat die Er<strong>de</strong> ihre Stellung als unbestrittener Mittelpunkt aller<br />

Drehbewegungen <strong>de</strong>s Kosmos bereits verloren. Aber noch wird von allen<br />

Drehbewegungen verlangt, dass sie gleichförmig erfolgen. Noch kennt man keine<br />

Beschleunigungen o<strong>de</strong>r Verzögerungen auf <strong>de</strong>n Kreisbahnen.<br />

Es ist Ptolemaios selbst, <strong>de</strong>r das Prinzip <strong>de</strong>r unbedingt konstanten Winkelgeschwindigkeit<br />

verabschie<strong>de</strong>t. Vor Ptolemaios konnten zwar die verschie<strong>de</strong>nen an einer Mo<strong>de</strong>llierung<br />

beteiligten Kreisbewegungen unterschiedliche Winkelgeschwindigkeiten und sogar<br />

entgegengesetzte Orientierungen haben, aber je<strong>de</strong> Kreisbewegung für sich betrachtet<br />

hatte eine konstante Winkelgeschwindigkeit: Sie war gleichförmig.<br />

Die Art und Weise, in <strong>de</strong>r Ptolemaios mit <strong>de</strong>r For<strong>de</strong>rung nach gleichförmiger<br />

Kreisbewegung bricht, verrät, dass er sich dabei nicht ganz wohl gefühlt hat.<br />

Er gewinnt die ungleichförmige Bewegung auf einem Kreis A durch Konstruktion mittels<br />

einer gleichförmigen Bewegung auf einen Hilfskreis B. Man versteht die Grundi<strong>de</strong>e am<br />

schnellsten wenn man von einem Hilfskreis B mit <strong>de</strong>m Radius rB ausgeht (s. Abb. 10).<br />

29 Den Hinweis <strong>zum</strong> antiken Wissen um die Mo<strong>de</strong>llierbarkeit von Exzentern durch Epizyklen verdanke ich Frau<br />

Sandra Trosien. Sie hat mich auf die hierfür relevanten Stellen im Buch 3, Kapitel 3 <strong>de</strong>s <strong>Almagest</strong> hingewiesen.<br />

Dort wird insbeson<strong>de</strong>re ab Hei 226 die Möglichkeit <strong>de</strong>r Mo<strong>de</strong>llierung von exzentrischen Bahnen durch Epizyklen<br />

zur Sprache gebracht. Vgl. z.B.: K. Manitius (Hrsg); Ptolemäus: Handbuch <strong>de</strong>r <strong>Astronomie</strong>, Bd. 1; B.G. Teubner<br />

Verlagsgesellschaft Leipzig 1963. S.148ff.<br />

-20-


Sei B unser Hilfskreis, auf <strong>de</strong>ssen Kreislinie sich ein Punkt P gleichförmig (mit konstanter<br />

Winkelgeschwindigkeit)<br />

bewegt. Nun <strong>de</strong>nken wir<br />

uns einen Zeiger <strong>de</strong>r im<br />

Mittelpunkt MB <strong>de</strong>s Hilfskreises<br />

B und einem<br />

Kreispunkt P befestigt sei.<br />

Er wird von P durch<br />

<strong>de</strong>ssen Bewegung auf <strong>de</strong>r<br />

Kreisbahn um MB gedreht.<br />

Halten wir gedanklich die<br />

Bewegung von P einen<br />

Augenblick an. Markieren<br />

wir jetzt im Hilfskreis B<br />

einen Punkt MA und ziehen<br />

dann mit <strong>de</strong>m Radius rB<br />

einen Kreis um diesen<br />

Punkt (rA = rB). Die Stelle<br />

an <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Zeiger <strong>de</strong>n Kreis<br />

A schnei<strong>de</strong>t nennen wir P'.<br />

Wir „befestigen“ P' so am<br />

Zeiger, dass er (auf <strong>de</strong>r<br />

Kreislinie von A<br />

verbleibend) <strong>de</strong>m Zeiger<br />

folgen muss.<br />

Jetzt starten wir die<br />

gleichförmige Bewegung<br />

von P neu. Auch P' bewegt sich. Aber seine Bewegung ist keine gleichförmige Bewegung<br />

auf <strong>de</strong>m Kreis A. Die Winkelgeschwindigkeit von P' auf <strong>de</strong>m Kreis A ist nicht konstant.<br />

Ptolemaios nennt sie aber gleichförmig relativ zu MB, <strong>de</strong>m Mittelpunkt <strong>de</strong>s Hilfskreises B. 30<br />

Abbildung 10: Äquant<br />

<strong>Von</strong> dieser Konstruktion ausgehend ist es nur noch ein kleiner Schritt <strong>bis</strong> <strong>zum</strong><br />

Äquantenkonzept. Der Kreis A sei ein Exzenter, also ein exzentrischer Kreis, <strong>de</strong>r die Er<strong>de</strong><br />

„umschließt“. Zusätzlich sei <strong>de</strong>r Abstand von MA zu MB gleich <strong>de</strong>m Abstand<br />

Erdmittelpunkt zu MA. Wenn jetzt noch alle drei Punkte ( MA, MB, Erdmittelpunkt) auf einer<br />

Gera<strong>de</strong>n liegen, dann heißt <strong>de</strong>r Hilfskreis B circulus äquans (Ausgleichskreis) und <strong>de</strong>ssen<br />

Mittelpunkt punctum äquans o<strong>de</strong>r kurz Äquant..<br />

Solche über Äquanten konstruierten, ungleichmäßigen Kreisbewegungen auf einem<br />

Exzenter betrachtet Ptolemaios als zulässiges Konstruktionselement bei <strong>de</strong>r<br />

astronomischen Mo<strong>de</strong>llierung.<br />

Immerhin: Die Bewegung besitzt eine konstante Winkelgeschwindigkeit in Bezug auf <strong>de</strong>n<br />

Mittelpunkt <strong>de</strong>s Hilfskreises (punctum äquans). Und damit ist nach Ptolemaios <strong>de</strong>r<br />

For<strong>de</strong>rung nach gleichförmiger Bewegung hinreichend genüge getan. Er hat sich also<br />

geschickt von <strong>de</strong>r allzu strengen For<strong>de</strong>rung nach gleichförmiger Kreisbewegung <strong>de</strong>utlich<br />

weg bewegt, ohne ganz mit ihr zu brechen.<br />

30 Letzteres macht mathematisch gesehen durchaus Sinn.<br />

-21-


Die Mo<strong>de</strong>llierung<br />

Zur geozentrischen Mo<strong>de</strong>llierung <strong>de</strong>r Bahnen von Wan<strong>de</strong>lsternen, Sonne und Mond<br />

benutzt Ptolemaios im <strong>Almagest</strong> neben <strong>de</strong>m gewöhnlichen zentrischen Kreis (Er<strong>de</strong> im<br />

Mittelpunkt) die eben vorgestellten Hilfsmittel: Epizykel, Exzenter, Äquant.<br />

Diese Werkzeuge wer<strong>de</strong>n dabei ganz nach Bedarf miteinan<strong>de</strong>r kombiniert. So können<br />

einem Exzenter, <strong>de</strong>m über eine Äquantenkonstruktion eine ungleichförmige Bewegung<br />

zugeordnet wur<strong>de</strong>, falls erfor<strong>de</strong>rlich zusätzlich Epizyklen beigegeben wer<strong>de</strong>n.<br />

Abbildung 11: Kombination<br />

von 2 Epizyklen<br />

(schematische Skizze)<br />

Die gemäßigte Geozentrik <strong>de</strong>s<br />

Ptolemaios wird schnell zur vorherrschen<strong>de</strong>n<br />

astronomischen Theorie<br />

und bleibt dies für ca. 1500 Jahre.<br />

Aber auch das System vom Ptolemaios<br />

hat seine Probleme. Es gelingt nicht<br />

(durchgängig) die Variation von<br />

Position und Helligkeit <strong>de</strong>r Gestirne in<br />

ein einheitliches System zu integrieren.<br />

Um scheinbare Größe und Helligkeit<br />

richtig vorhersagen zu können, muss<br />

Ptolemaios für ein und dasselbe<br />

Himmelsobjekt zwei Mo<strong>de</strong>lle anbieten.<br />

Das eine erklärt, an welcher Position<br />

das Objekt erscheint, das an<strong>de</strong>re<br />

erklärt, mit welcher Größe und<br />

Helligkeit es erscheint.<br />

Der <strong>Almagest</strong> benutzt dabei auch schon mal mehr als nur<br />

einen Epizykel (Nebenkreis), um vertrackte Probleme einer<br />

Wan<strong>de</strong>lsternbahn in <strong>de</strong>n Griff zu bekommen (s. Abb. 11).<br />

Durch gut angepasste Konstruktionen, die Variation <strong>de</strong>r<br />

Ebenen in <strong>de</strong>nen die Kreise liegen, die geschickte Wahl <strong>de</strong>r<br />

Orientierung <strong>de</strong>r Drehrichtungen sowie <strong>de</strong>r Winkelgeschwindigkeiten<br />

und Radien <strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>nen<br />

Drehbewegungen, gelingt es Ptolemaios ein beeindruckend<br />

zuverlässiges Prognose-Instrument zu entwickeln.<br />

Um dieses Ziel zu erreichen, hat sich Ptolemaios von zwei im<br />

griechischen Kulturraum sehr beliebten Dogmen trennen<br />

müssen. Bei Ptolemaios ist die Er<strong>de</strong> nicht <strong>de</strong>r Mittelpunkt<br />

aller Kreisbewegungen. Und bei Ptolemaios sind die<br />

Kreisbewegungen nicht immer gleichförmig.<br />

Da aber die Erfolge seines Mo<strong>de</strong>lls überwältigend sind,<br />

verzeiht man Ptolemaios diese kleinen Abweichungen vom<br />

Konzept <strong>de</strong>r radikalen Geozentrik.<br />

Abbildung 12: Vereinfachte Darstellung <strong>de</strong>s inneren<br />

Teils <strong>de</strong>s geozentrischen Systems von Ptolemaios<br />

(schematische Skizze)<br />

Dieses sehr lästige Problem konnte in <strong>de</strong>r Tat erst im Rahmen mo<strong>de</strong>rner Weltbil<strong>de</strong>r gelöst<br />

wer<strong>de</strong>n.<br />

-22-


War Ptolemaios ein Kosmologe?<br />

Häufig wird Ptolemaios als ein zwar begna<strong>de</strong>ter Mo<strong>de</strong>llbildner, aber eben als kein richtiger<br />

Kosmologe vorgestellt. 31 Sein <strong>Almagest</strong> kann, so eine gängige These, zwar die<br />

Phänomene retten, liefert aber keine echte Kosmologie wie die Metaphysik <strong>de</strong>s<br />

Aristoteles. So wird Ptolemaios auf die Rolle <strong>de</strong>s Technikers einer klug ausgedachten<br />

Himmelsmechanik reduziert, wohingegen Aristoteles, <strong>de</strong>ssen an <strong>Eudoxos</strong> und Kallippos<br />

angelehnte Kosmologie längst keine so hervorragen<strong>de</strong>n Prognosen gestattete, als<br />

philosophisch tiefsinniger gilt, weil er verstehen wollte, wie die Welt wirklich aufgebaut ist.<br />

Ich <strong>de</strong>nke diese Beurteilung ist nicht ganz stimmig. Es lassen sich drei be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong><br />

Einwän<strong>de</strong> gegen eine solche Sichtweise vorbringen:<br />

1. Ptolemaios entschei<strong>de</strong>t sich sehr bewusst gegen ein heliozentrisches und für ein<br />

geozentrisches Weltbild. Ptolemaios kannte <strong>de</strong>n ungefähren Erdumfang (± 25%)<br />

und konnte abschätzen, welch hohe Geschwindigkeiten auftreten müssen, wenn<br />

die Er<strong>de</strong> einmal binnen 24 Stun<strong>de</strong>n um die eigene Achse rotiert. (Am Äquator liegt<br />

die Geschwindigkeit oberhalb <strong>de</strong>r Schallgeschwindigkeit.) Er hält <strong>de</strong>n Anhängern<br />

eines heliozentrischen Weltbil<strong>de</strong>s vor, wie sie es <strong>de</strong>nn angesichts dieser<br />

Geschwindigkeiten erklären wollen, dass Wolken genauso gut nach Osten wie nach<br />

Westen ziehen können. Dass wir we<strong>de</strong>r eine direkte Wahrnehmung <strong>de</strong>r<br />

Eigenrotation <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong>, noch ihres Umlaufs um die Sonne haben, war lange Zeit für<br />

alle Vertreter eines heliozentrischen Weltbil<strong>de</strong>s ein echtes Problem. Und natürlich<br />

kannte Ptolemaios auch <strong>de</strong>n zweiten Haupteinwand gegen ein heliozentrisches<br />

Weltbild: Das Fehlen einer messbaren Fixsternparallaxe.<br />

2. Ptolemaios hat eine Viel-Sphären-Kosmologie vorgelegt. Diese Viel-Sphären-<br />

Kosmologie verarbeitet die Erfolge seiner Konstruktionen zur Positionsbestimmung<br />

<strong>de</strong>r Gestirne zu einer kosmologischen Gesamtschau, ganz analog, wie die<br />

Kosmologie <strong>de</strong>s Aristoteles die (<strong>de</strong>utlich geringeren) Erfolge <strong>de</strong>r <strong>Eudoxos</strong>-Kallippos<br />

Mo<strong>de</strong>lle verarbeitet.<br />

3. Die geozentrische Kosmologie von Ptolemaios hat hinsichtlich einer realistischen<br />

Interpretation kein Problem, das nicht auch die Kosmologie von Aristoteles hat.<br />

Aristoteles konnte im Rahmen seiner Kosmologie die Än<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r scheinbaren<br />

Größe und Helligkeit <strong>de</strong>r Gestirne nicht erklären. (Dies wur<strong>de</strong> übrigens schon in <strong>de</strong>r<br />

<strong>Antike</strong> als Einwand gegen die Kosmologie <strong>de</strong>s Aristoteles vorgebracht.) Ptolemaios<br />

konnte diese Än<strong>de</strong>rungen im Rahmen seiner Mo<strong>de</strong>llierung <strong>de</strong>r Positionen von<br />

Gestirnen auch nicht stimmig erklären. Er hat aber wenigstens prognostisch<br />

brauchbare Zusatz-Mo<strong>de</strong>lle angeboten. Diese Mo<strong>de</strong>lle sind von <strong>de</strong>n Mo<strong>de</strong>llen zur<br />

Positionsbestimmung getrennt zu betrachten. Wahrscheinlich hat Ptolemaios diese<br />

Spezialkonstruktionen zur Vorhersage von Helligkeitsschwankungen tatsächlich als<br />

bloße Konstruktionen zur Rettung <strong>de</strong>r Phänomene gesehen: Als Mo<strong>de</strong>lle, auf die<br />

man nur behelfsweise und vorübergehend zurückgreift, solange ein echtes<br />

Verständnis noch fehlt.<br />

Angesichts dieser Tatsachen ist es mir etwas unverständlich, warum Ptolemaios auch<br />

heute noch immer wie<strong>de</strong>r als bloßer Techniker und Mo<strong>de</strong>llbildner vorgestellt wird. Er war<br />

nicht mehr o<strong>de</strong>r weniger Kosmologe als Aristoteles. Wenn man Aristoteles als einen<br />

Kosmologen sieht, dann ist Ptolemaios das auch.<br />

31 Vergleiche z.B.: William Shea: Kopernikus: Der Begrün<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s mo<strong>de</strong>rnen Weltbil<strong>de</strong>s. Hei<strong>de</strong>lberg: Spektrum <strong>de</strong>r<br />

Wissenschaft 2003, S. 19.<br />

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<strong>Von</strong> Kopernikus <strong>bis</strong> Newton – ein kurzer Ausblick<br />

Kopernikus<br />

Nikolaus Kopernikus (Copernikus) lebte von 1473 – 1543. Durch ihn wird die Tradition<br />

heliozentrischer Weltbil<strong>de</strong>r neu belebt. Wie Aristarchos versucht er sich an einem Mo<strong>de</strong>ll<br />

mit kreisförmigen Planetenbahnen um die Sonne. Unglücklicherweise nimmt er<br />

ausgerechnet an <strong>de</strong>n Äquantenkonstruktionen bei Ptolemaios beson<strong>de</strong>ren Anstoß. Er<br />

verpflichtet sich auf ein Mo<strong>de</strong>ll mit gleichförmig durchlaufenen Kreisen. In dieser Hinsicht<br />

steht Kopernikus <strong>de</strong>n I<strong>de</strong>alen <strong>de</strong>r frühen <strong>Antike</strong> näher als <strong>de</strong>r <strong>Almagest</strong>. Und genau dies<br />

macht die Bemühungen, ein heliozentrisches Weltbild mit quantitativer Genauigkeit zu<br />

kombinieren, chancenlos. Obwohl Kopernikus sich jahrzehntelang abquält: Seine<br />

Versuche, es in Puncto Zuverlässigkeit mit <strong>de</strong>m <strong>Almagest</strong> aufzunehmen, scheitern alle.<br />

Trotz<strong>de</strong>m fin<strong>de</strong>n die kopernikanischen I<strong>de</strong>en in <strong>de</strong>r europäischen Wissenschaftselite<br />

einigen Anklang.<br />

Galilei<br />

Galileo Galilei (1564 – 1642) bekennt sich zwar <strong>zum</strong> kopernikanischen Weltbild, aber an<br />

<strong>de</strong>r sehr mühseligen Suche nach einem auch prognostisch hochwertigen heliozentrischen<br />

Weltbild beteiligt sich Galilei (praktisch) nicht. Mit <strong>de</strong>m von ihm verbesserten Fernrohr<br />

gelingen ihm aber wichtige astronomische Beobachtungen. Er ent<strong>de</strong>ckt die Jupitermon<strong>de</strong><br />

und die Sonnenflecken. Dadurch ist einerseits klar gestellt, dass sich nicht alles im<br />

Universum um die Er<strong>de</strong> dreht, und an<strong>de</strong>rerseits ist gezeigt, dass die Himmelskörper<br />

keineswegs überirdisch perfekt sind. Bei<strong>de</strong>s ist für Anhänger <strong>de</strong>s damals<br />

vorherrschen<strong>de</strong>n, stark dogmatisierten aristotelischen Weltbil<strong>de</strong>s sehr irritierend.<br />

Dem Problem <strong>de</strong>r nicht direkt wahrnehmbaren Bewegung <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> rückt Galilei mit seinen<br />

Überlegungen zur Trägheit zu Leibe. Er ist kurz davor, das Trägheitsprinzip <strong>de</strong>r<br />

klassischen Physik zu formulieren:<br />

Ein Körper, auf <strong>de</strong>n keine Kraft wirkt, verharrt im Zustand <strong>de</strong>r Ruhe o<strong>de</strong>r bewegt<br />

sich geradlinig mit konstanter Geschwindigkeit fort.<br />

In dieser Deutlichkeit und Klarheit wird es aber erst von Newton formuliert. Manchmal<br />

jedoch liegen die Formulierungen Galileis nur noch knapp daneben.<br />

Galilei büßt sein Eintreten für die kopernikanische Lehre mit lebenslanger Haft. In einem<br />

legendär gewor<strong>de</strong>nen Prozess <strong>de</strong>r Inquisition wird er unter Androhung von Folter zu einer<br />

<strong>de</strong>mütigen<strong>de</strong>n Abschwörungsprozedur gezwungen und zu einer Haftstrafe mit<br />

unbestimmter Dauer verurteilt. Diese muss er als lebenslangen Hausarrest verbüßen.<br />

Galilei stirbt als unfreier Mann.<br />

Gemessen an <strong>de</strong>n Maßstäben <strong>de</strong>r Inquisition ist Galilei dabei noch glimpflich davongekommen.<br />

Im Jahre 1600 (also zu Lebzeiten Galileis) wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Naturphilosoph<br />

Giordano Bruno wegen unliebsamer Thesen über an<strong>de</strong>re Welten von <strong>de</strong>r Inquisition auf<br />

<strong>de</strong>m Scheiterhaufen verbrannt. Vielleicht war es das internationale Ansehen Galileis (er<br />

galt als einer <strong>de</strong>r be<strong>de</strong>utendsten Wissenschaftler seiner Zeit), das ihn wenigstens vor<br />

diesem Schicksal bewahrt hat.<br />

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Kepler<br />

Johannes Kepler (1571 – 1630) gelingt bei <strong>de</strong>r Suche nach einem heliozentrischen<br />

Weltbild <strong>de</strong>r entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Durchbruch. 1627 erscheinen seine Rudolfinischen Tafeln.<br />

Erstmals wird <strong>de</strong>r <strong>Almagest</strong> in Puncto Zuverlässigkeit übertroffen und das auf <strong>de</strong>r<br />

Grundlage eines heliozentrischen Weltbil<strong>de</strong>s. Keplers Erfolg ruht auf drei Säulen:<br />

Den vom dänischen Astronomen Tycho Brahe gesammelten astronomischen<br />

Daten;<br />

Der Bereitschaft immer wie<strong>de</strong>r Wochen über Wochen, Monate über Monate mit<br />

mühseligen astronomischen Rechnungen zu verbringen;<br />

Dem durchschlagen<strong>de</strong>n Einfall ungleichförmig durchlaufene Ellipsen statt<br />

gleichförmig durchlaufene Kreise als Grundform <strong>de</strong>r Planetenbewegungen zu<br />

unterstellen.<br />

Die von ihm gefun<strong>de</strong>nen drei Keplerschen Gesetze sind die stechen<strong>de</strong>n Trümpfe im<br />

Kampf um die vorherrschen<strong>de</strong> Kosmologie. Nun sind die Tage <strong>de</strong>s geozentrischen<br />

Weltbil<strong>de</strong>s gezählt.<br />

Newton<br />

Isaac Newton (1642 – 1727) gelingt es, mit Hilfe <strong>de</strong>s Gravitationsgesetzes die Kernpunkte<br />

<strong>de</strong>r keplerschen Planetengesetze im Rahmen seiner Mechanik abzuleiten. Damit ist <strong>de</strong>r<br />

Übergang von <strong>de</strong>r Kinematik zur Dynamik vollbracht. Während in <strong>de</strong>r Kinematik nur nach<br />

Regeln <strong>de</strong>r Bewegungen gesucht wird, zielt die Dynamik auf ein (kausales) Verstehen mit<br />

Hilfe von Kräften und Wechselwirkungen. Keplers Kinematik ist einfach genug, um <strong>de</strong>n<br />

Übergang zur Dynamik zu ermöglichen. Auf <strong>de</strong>r Grundlage <strong>de</strong>s geozentrischen <strong>Almagest</strong>s<br />

wäre dies wohl kaum möglich gewesen. Die Kinematik ist dort <strong>de</strong>rart komplex aufgebaut,<br />

dass wohl kein menschlicher Genius das dort formulierte Regelwerk als Ausdruck einer<br />

unterliegen<strong>de</strong>n Dynamik hätte verstehen können.<br />

Da Newton aus <strong>de</strong>nselben Voraussetzungen nicht nur Keplers Kinematik <strong>de</strong>r<br />

Planetenbewegungen, son<strong>de</strong>rn auch Galileis Fallgesetz herleiten kann, beginnt jetzt auch<br />

<strong>de</strong>r Traum von <strong>de</strong>r verstehbaren Einheit <strong>de</strong>r Natur Gestalt anzunehmen. Die von<br />

Aristoteles formulierte (und ab <strong>de</strong>r Scholastik lange dogmatisch tradierte) Trennung<br />

zwischen sublunar und himmlisch wird endgültig hinfällig.<br />

Mit Hilfe <strong>de</strong>r dynamischen Sichtweise Newtons gelingt es in <strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n Jahrhun<strong>de</strong>rten,<br />

die Bewegungen <strong>de</strong>r Himmelskörper noch viel genauer zu berechnen, als dies allein auf<br />

Grundlage <strong>de</strong>r keplerschen Gesetze möglich gewesen wäre.<br />

Bis <strong>zum</strong> Auftritt <strong>de</strong>r Allgemeinen Relativitätstheorie im Jahr 1915 bleibt die newtonsche<br />

Physik das beste Instrument zur Analyse <strong>de</strong>r Himmelsbewegungen.<br />

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Anhang<br />

Abbildungen<br />

Die Abbildung auf <strong>de</strong>r Titelseite (Fantasieportrait aus <strong>de</strong>r Neuzeit) wird manchmal als<br />

Darstellung von <strong>Eudoxos</strong>, häufig aber auch als Ptolemaios Portrait eingestuft.<br />

Ich überlasse <strong>de</strong>m Leser die Wahl.<br />

Die Abbildung ist gemeinfrei.<br />

Alle an<strong>de</strong>ren Abbildungen wur<strong>de</strong>n selbst erstellt und sind gemeinfrei.<br />

Empfehlungen<br />

Bücher<br />

Simon Singh: BIG BANG – Der Ursprung <strong>de</strong>s Kosmos und die Erfindung <strong>de</strong>r<br />

mo<strong>de</strong>rnen Wissenschaft<br />

München, Wien: Hanser 2005<br />

Eine gut geschriebene, populärwissenschaftliche Darstellung <strong>de</strong>r Geschichte <strong>de</strong>r <strong>Astronomie</strong> und<br />

Kosmologie: <strong>Von</strong> <strong>de</strong>r <strong>Antike</strong> <strong>bis</strong> <strong>zum</strong> Urknall Mo<strong>de</strong>ll.<br />

Links<br />

http://www.astrophysik.uni-kiel.<strong>de</strong>/skripte/schlueter/gescha.pdf<br />

Vorlesungsskript von D. Schlüter zur Geschichte <strong>de</strong>r <strong>Astronomie</strong>.<br />

Das PDF-Dokument (123 S.) beginnt mit seiner Darstellung bei <strong>de</strong>r <strong>Astronomie</strong> <strong>de</strong>r frühen<br />

Hochkulturen und verfolgt die Geschichte <strong>de</strong>r <strong>Astronomie</strong> <strong>bis</strong> En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s 19. Jahrhun<strong>de</strong>rts.<br />

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Schlussbitte<br />

Lieber Leser,<br />

wenn Du einen sachlichen Fehler in diesem Papier ent<strong>de</strong>ckst, dann lass es mich doch<br />

bitte wissen. Eine kurze Nachricht reicht: Angabe <strong>de</strong>r fehlerhaften Stelle und<br />

gegebenenfalls <strong>de</strong>r Quellen, an Hand <strong>de</strong>rer ich meinen Fehler einsehen kann. Ich wer<strong>de</strong><br />

mich dann bemühen <strong>de</strong>n Fehler zu korrigieren.<br />

Hinweis: Sollte unter <strong>de</strong>r Adresse zu viel Junk auflaufen, dann wer<strong>de</strong> ich mich vielleicht<br />

dazu entschließen, diese Adresse wie<strong>de</strong>r zu löschen und durch eine neue zu ersetzen.<br />

Die jeweils aktuelle Adresse fin<strong>de</strong>t man dann im Impressum <strong>de</strong>r Seite<br />

www.antike-griechische.<strong>de</strong><br />

Kleiner Schutz gegen automatisches<br />

Auslesen durch die Jungs von <strong>de</strong>r SPAM<br />

Fraktion<br />

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