Mathematik und Schach und Schönheit - Mathematik.de
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Abbildung 2. 4 × 4-<strong>Schach</strong>brett mit äquivalentem verbotenem<br />
Bereich<br />
Der Übergang erklärt sich durch Vertauschung <strong>de</strong>r 2. <strong>und</strong><br />
4. Reihe <strong>de</strong>s ursprünglichen Brettes. Das Turm-Polynom<br />
dieses neuen Brettes kann berechnet wer<strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>n<br />
Turm-Polynomen <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n einfachen 2 × 2-Teilbretter<br />
S1 <strong>und</strong> S2 mit verbotenen Bereichen wie markiert:<br />
Abbildung 3. Dekomposition <strong>de</strong>s Brettes von Abbildung 2 in<br />
2x2-Teilbretter S1 <strong>und</strong> S2<br />
Es ist nämlich ganz offensichtlich<br />
<strong>und</strong> somit<br />
t(S1,x)= t(S2,x)= 1 + 3x + x 2<br />
t(S,x) = t(S1,x) . t(S2,x)= (1 + 3x + x 2 ) 2<br />
= 1 + 6x + 11x 2 + 6x 3 + x 4<br />
Durch Ablesen <strong>de</strong>r Koeffizienten erhält man für dieses<br />
Brett die Anzahlen t1(S) = 6, t2(S) = 11, t3(S) = 6,<br />
t4(S) = 1 nebst t0(S) = 1.<br />
Zusammenfassend ergibt sich dann die gewünschte Lösung<br />
N0 = 4! − 6 . 3! + 11 . 2! − 6 . 1! + 1 . 0! = 5<br />
Bei <strong>de</strong>r Anwendung dieser Überlegungen auf das Kartenlegeproblem<br />
ist n = 52. Und die verbotenen Positionen<br />
auf <strong>de</strong>m zugehörigen 52 × 52-<strong>Schach</strong>brett sind alle Fel<strong>de</strong>r<br />
entlang <strong>de</strong>r Diagonalen von oben links nach unten<br />
rechts. Wie viele Möglichkeiten tk gibt es, k sich nicht<br />
angreifen<strong>de</strong> Türme auf dieser Diagonalen zu platzieren?<br />
Offensichtlich ist tk gleich <strong>de</strong>r Anzahl <strong>de</strong>r Möglichkeiten,<br />
k <strong>de</strong>r 52 Diagonalfel<strong>de</strong>r auszuwählen, also ganz einfach<br />
� �<br />
52<br />
tk =<br />
k<br />
Das führt uns sofort zu<br />
52�<br />
� �<br />
52<br />
N0 = (52 − k)!(−1)<br />
k<br />
k<br />
k=0<br />
= 52!(1 − 1 1 1<br />
1<br />
+ − +···+ ) ≈ 52!e−1<br />
1! 2! 3! 52!<br />
Somit ist die Wahrscheinlichkeit p, dass das Kartenauf<strong>de</strong>cken<br />
ohne Fixpunkt abläuft, <strong>de</strong>r Quotient aus <strong>de</strong>r Zahl<br />
<strong>de</strong>r Permutationen ohne verbotene Einträge <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Gesamtzahl<br />
aller möglichen Permutationen:<br />
p ≈ 52!e−1<br />
52! = e−1 = 0, 3679<br />
Und die Wahrscheinlichkeit für min<strong>de</strong>stens einen Fixpunkt<br />
beträgt<br />
1 − p ≈ 0, 6321<br />
Das ist eine doch recht hohe Wahrscheinlichkeit von<br />
knapp 2/3 für dieses anfangs als nicht sehr wahrscheinlich<br />
eingeschätzte Ereignis. Es ist also günstig, auf das Ereignis<br />
gleicher Karten in gleicher Position zu wetten.<br />
Dieser Problemtyp ist nur eine von vielen schönen Anwendungen<br />
von Turm-Polynomen in <strong>de</strong>r <strong>Mathematik</strong>. Sie<br />
erweisen sich nicht nur bei kombinatorischen Problemen<br />
als äußerst nützliche Hilfsmittel, son<strong>de</strong>rn auch in <strong>de</strong>r<br />
Gruppentheorie <strong>und</strong> in vielen Bereichen <strong>de</strong>r Zahlentheorie.<br />
Auszüge aus <strong>de</strong>m Eröffnungsvortrag bei <strong>de</strong>r <strong>Schach</strong>olympia<strong>de</strong> Dres<strong>de</strong>n<br />
2008 <strong>und</strong> einem Festvortrag an <strong>de</strong>r Universität Stuttgart 2009.<br />
Prof. Dr. Christian Hesse, Universität Stuttgart, Institut für Stochastik<br />
<strong>und</strong> Anwendungen, Pfaffenwaldring 57, 70569 Stuttgart.<br />
christian.hesse@mathematik.uni-stuttgart.<strong>de</strong><br />
Der Harvard-Absolvent Christian Hesse ist Professor für <strong>Mathematik</strong><br />
an <strong>de</strong>r Universität Stuttgart. Die Forschungsschwerpunkte <strong>de</strong>s<br />
nach seiner Berufung 1991 jüngsten Professors <strong>de</strong>r B<strong>und</strong>esrepublik<br />
liegen im Bereich <strong>de</strong>r Stochastik. Neben zahlreichen wissenschaftlichen<br />
Arbeiten <strong>und</strong> einigen Lehrbüchern veröffentlichte er 2006 das<br />
<strong>Schach</strong>buch Expeditionen in die <strong>Schach</strong>welt, vom Wiener Standard als<br />
„eines <strong>de</strong>r geistreichsten <strong>und</strong> lesenswertesten Bücher, das je über<br />
das <strong>Schach</strong>spiel verfasst wur<strong>de</strong>“ gerühmt. Er wur<strong>de</strong> zusammen mit<br />
<strong>de</strong>n Klitschko-Brü<strong>de</strong>rn, mit Fußballtrainer Felix Magath, <strong>de</strong>m Film-<br />
Produzenten Artur Brauner, <strong>de</strong>r Schauspielerin <strong>und</strong> Sängerin Vaile<br />
<strong>und</strong> <strong>de</strong>m Ex-Weltmeister Anatoli Karpov zum internationalen Botschafter<br />
<strong>de</strong>r <strong>Schach</strong>olympia<strong>de</strong> Dres<strong>de</strong>n 2008 ernannt. Im Mai 2009<br />
ist sein neuestes Buch erschienen: Das kleine Einmaleins <strong>de</strong>s klaren<br />
Denkens – 22 Denkwerkzeuge für ein besseres Leben.<br />
MDMV 17 / 2009 | 156–161 FOKUS 161