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SCHACH IN DER SCHULE - LEBE Lehrerinnen und Lehrer Bern

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schulpraxis spezial<br />

Ideen für den Deutschunterricht<br />

Vom Kriminalroman bis zur Erlkönigparodie<br />

– das Schachspiel ist Thema in verschiedenen literarischen<br />

Erzeugnissen, die in der Schule gelesen<br />

<strong>und</strong> mit denen gearbeitet werden kann.<br />

Anmerkung:<br />

Auf der Homepage<br />

wird eine mögliche<br />

Mattsetzung des<br />

schwarzen Königs<br />

gezeigt, wie sie in<br />

diesem Gedicht<br />

geschildert wird.<br />

Gedicht: «Ein Mensch» von<br />

Eugen Roth (1895–1976)<br />

12<br />

Mit der Formel «Ein Mensch… » beginnen die<br />

Gedichte in den heiter-philosophischen Versbüchern,<br />

mit denen der Münchner Schriftsteller<br />

Eugen Roth Millionenauflagen erzielte. Das<br />

Allzumenschliche war Roths Thema. Verskomik<br />

<strong>und</strong> Wortspiele waren die Mittel, mit denen er<br />

sanfte Kritik an alltäglichen Verhaltensmustern<br />

übte. In seinem Werk «Ein Mensch» (Duncker<br />

Verlag Weimar) ist das Gedicht «Die Meister»<br />

enthalten, das sich mit dem Schachspiel auseinandersetzt:<br />

Ein Mensch sitzt da, ein schläfrig trüber,<br />

Ein andrer döst ihm gegenüber.<br />

Sie reden nichts, sie stieren stumm.<br />

Mein Gott, denkst du, sind die zwei dumm!<br />

Der eine brummt, wie nebenbei,<br />

Ganz langsam: Turm c sechs c zwei.<br />

Der andere wird allmählich wach.<br />

Und knurrt: Dame a drei g drei Schach!<br />

Der erste, weiter nicht erregt,<br />

Starrt vor sich hin <strong>und</strong> überlegt.<br />

Dann plötzlich, vor Erstaunen platt,<br />

Seufzt er ein einzig Wörtlein: matt!<br />

Und die du hieltst für niedre Geister,<br />

Erkennst du jetzt als hohe Meister!<br />

Roman: «Die Schachspielerin»<br />

von Bertina<br />

Henrichs (*1966)<br />

Die in Frankfurt am Main geborene Autorin<br />

studierte Literatur- <strong>und</strong> Filmwissenschaft <strong>und</strong><br />

lebt heute in Paris, wo sie als Filmemacherin<br />

arbeitet. 2005 schrieb sie ihren ersten Roman<br />

«Die Schachspielerin».<br />

Zum Inhalt: Als Szenerie dient die griechische<br />

Insel Naxos. Die Hauptperson ist das Zimmermädchen<br />

Eleni. Bei ihrer täglichen Arbeit in<br />

einem Hotel stösst sie im Zimmer eines französischen<br />

Ehepaares an ein Schachbrett mit<br />

einer unvollendeten Partie. Eine Figur purzelt<br />

zu Boden, Eleni stellt sie neben das Brett. Mit<br />

der betrüblichen Erkenntnis, ein geistiges<br />

Tête-à-tête gestört <strong>und</strong> eine Zauberkraft der<br />

Logik erahnt, aber nicht begriffen zu haben.<br />

Ein Wunsch, der alle Konventionen ihres bisherigen<br />

Lebens sprengt, beginnt zu reifen.<br />

Erst wird der Ehemann Panos, Automechaniker,<br />

als Lernpartner auserkoren. Sie schenkt<br />

ihm einen Schachcomputer, der allerdings<br />

bei ihm keinerlei Interesse auslöst, womit<br />

Anmerkung:<br />

Auf der Homepage<br />

werden hierzu konkrete<br />

Beispiele gezeigt.<br />

Anmerkung:<br />

Der Roman wurde<br />

im Jahre 2009 mit<br />

Sandrine Bonnaire <strong>und</strong><br />

Kevin Kline erfolgreich<br />

verfilmt. Siehe hierzu die<br />

Angaben zur DVD im<br />

Literaturverzeichnis.<br />

Auf der Homepage<br />

sind Fragebögen<br />

aufgeführt, mit denen<br />

dieser Roman in<br />

Schulklassen ausgewertet<br />

werden kann.<br />

13<br />

schulpraxis spezial<br />

nur der Weg der Selbsterkenntnis bleibt. Ihr<br />

ehemaliger <strong>Lehrer</strong> unterstützt bei heimlichen<br />

Treffen ihr Üben, Lehrbücher geben Ideen<br />

grosser Meister preis <strong>und</strong> der Computer – in<br />

der Tiefkühltruhe gut vor der Familie versteckt<br />

– versüsst die nachmittägliche Langeweile. Der<br />

Alltag gerät plötzlich aus den Fugen: Ehekrach,<br />

Unverständnis der beiden Kinder, Missachtung<br />

durch die Dorfgemeinschaft, Getratsche über<br />

ihre plötzliche Verrücktheit. Aber nichts bringt<br />

Eleni davon ab, in die Tiefen des Schachspiels<br />

vorzudringen. Schliesslich soll ihre Spielleidenschaft<br />

auf eine grosse Probe gestellt werden<br />

durch die Teilnahme an einem Schachturnier in<br />

der Hauptstadt. Die Reise nach Athen wird für<br />

Eleni der endgültige Schritt zur Emanzipation.<br />

Dies erkennt als erster ihr Trainingspartner,<br />

der ihr als ausgebildeter Apotheker nach <strong>und</strong><br />

nach Respekt zollt. Auch daheim schlägt die<br />

Stimmung um, so dass das Abenteuer einen<br />

Ausweg nimmt, der mit verkrustetem Traditionsdenken<br />

nicht möglich wäre.<br />

Obwohl einige «schachtechnische Mängel»<br />

im Buch auftauchen – zum Beispiel, dass<br />

Fernschach nicht mit dem Telefon gespielt<br />

wird, dass bei einem Angriff auf den schwarzen<br />

König die weissen Figuren nicht auf der<br />

siebten <strong>und</strong> achten Diagonalen ankommen,<br />

sondern auf der siebten <strong>und</strong> achten Reihe<br />

oder dass bei der Bauernumwandlung neben<br />

Dame, Turm <strong>und</strong> Springer auch ein Läufer<br />

möglich ist – besticht die Autorin durch gute<br />

Schachkenntnisse, was sich zum Beispiel in<br />

den Bezeichnungen der Eröffnungen <strong>und</strong><br />

Verteidigungen zeigt.<br />

Henrichs äussert sich über die wenigen im<br />

Schach auftauchenden Frauen (Seite 84):<br />

«… Das Schachspiel verlangte allerdings so<br />

viel Konzentration, dass sie darüber ihre Einsamkeit<br />

vergass. Ob künftige Meisterin oder<br />

verirrte Hochstaplerin, sie konnte nichts halb<br />

machen. Das Universum der vier<strong>und</strong>sechzig<br />

Felder verlangte nach absoluter Unterwerfung.<br />

Eleni kommunizierte auf geheimnisvolle<br />

Weise mit den grossen Erfindern der Partien.<br />

Jeder von ihnen schien ihr die Lösungen für<br />

ihre Probleme einflüstern zu wollen. Über<br />

Epochen hinweg schienen sie miteinander zu<br />

diskutieren, bestimmte Themen je nach Temperament<br />

zu untermauern oder abzulehnen.<br />

Diese Zänkereien nisteten sich in Elenis Kopf<br />

ein. Sie wusste, dass sie all diese Herren davonjagen<br />

musste, um einem Gegner mit klarem<br />

Kopf entgegen zu treten, aber sie fühlte sich<br />

schwach, eine formbare Puppe in den Händen<br />

der grossen, legendären Schmiede.<br />

In so einer Nacht des Kampfes wurde ihr<br />

bewusst, dass alle grossen Theoretiker Männer<br />

waren. Sie hatte noch nie von einer bedeutenden<br />

Schachspielerin gehört. Das Genie<br />

des Schachbretts sass offenbar irgendwo in<br />

den Hoden. Sicher nicht in denen von Panos,<br />

wohl aber in denen der Meister. Und trotzdem<br />

herrschte nicht der König über die Partie,<br />

ebenso wenig wie der Turm, der Springer oder<br />

die Dame. Nur im Zusammenspiel erhielten<br />

die Figuren ihre Bedeutung. Der Bauer war<br />

die Basis des Spiels, der kleine gehorsame<br />

Soldat, der geradewegs auf sein einziges Ziel<br />

zumarschierte: der Blockade der feindlichen<br />

Armee oder dem gesellschaftlichen Aufstieg.<br />

Er konnte zur Dame, zum Turm oder Springer<br />

werden, je nach Bedarf im Spiel. Wenn der<br />

Bauer die Seele des Spiels war, wie Philidor<br />

behauptete, so war die Dame das Herz.<br />

Irgendwo zwischen dem Bauern <strong>und</strong> der<br />

Dame, dem Schwächsten <strong>und</strong> der Stärksten,<br />

zwischen Beharrlichkeit <strong>und</strong> Macht gab es einen<br />

Platz, den Eleni einnehmen konnte. Daran<br />

musste sie sich halten. Wenn es ihr gelang, das<br />

Spiel mit ihrer eigenen Fantasie zu beleben,<br />

konnte sie gewinnen. Das Feld der abstrakten<br />

Beziehungen zu verlassen <strong>und</strong> sich die Psyche<br />

dieser Figuren zu Eigen zu machen, war der<br />

einzige Weg, den Sieg davonzutragen.<br />

Aber sobald sie wieder vor dem Schachbrett<br />

sass, gegenüber von Kouros, dessen<br />

Besorgnis sie instinktiv wahrnahm, kehrten<br />

die Meister des Scharfsinns <strong>und</strong> der Belehrung<br />

zurück <strong>und</strong> machten ihr das Leben schwer…»

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