SCHACH IN DER SCHULE - LEBE Lehrerinnen und Lehrer Bern
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schulpraxis spezial<br />
Kurzgeschichte:<br />
«Der Schachspieler» von<br />
Friedrich Dürrenmatt<br />
(1921 – 1990)<br />
16<br />
Dürrematts Liebe zum Schachspiel offenbart<br />
sich in vielen seiner Werke. Eine spezielle Äusserung<br />
hört man in der Verfilmung zu «Der<br />
Richter <strong>und</strong> sein Henker», wo man ihn in einer<br />
Nebenrolle an einem Schachbrett sieht:<br />
«Ich bin der einzige Mensch, der auf<br />
meinem Niveau spielt», sagt Dürrenmatt,<br />
als er gefragt wird, warum er mit sich selber<br />
Schach spiele.<br />
«Sind Sie so gut?» – «Nein, so schlecht.»<br />
– «Und wer gewinnt?» – «Immer der andere.»<br />
Dürrenmatt, selbst ein passionierter Schachspieler,<br />
wies dem königlichen Spiel in seinem<br />
Schaffen etliche Rollen zu. So zeigt seine<br />
Skizze «Im Jenseits» eine Welt mit Schachbrettmustern.<br />
Unerkannte Verbrechen<br />
Die Kurzgeschichte «Der Schachspieler» wurde<br />
erstmals postum in der «Frankfurter Allgemeinen<br />
Zeitung» veröffentlicht (5. September<br />
1998). Im düsteren Prosastück erheben sich die<br />
beiden Protagonisten zu übermenschlichen<br />
Instanzen. Sie spielen um das Leben ihrer<br />
Nächsten <strong>und</strong> unwillkürlich erinnert man sich<br />
hier an die schaurige Wette in «Der Richter<br />
<strong>und</strong> sein Henker» (Seite 67): Gastmann sagt<br />
dort zu Kommissar Bärlach:<br />
«… Ein Verbrechen zu begehen nanntest<br />
du eine Dummheit, weil es unmöglich sei, mit<br />
Menschen wie mit Schachfiguren zu operieren.<br />
Ich dagegen stelle die These auf, mehr,<br />
um zu widersprechen als überzeugt, dass gerade<br />
die Verworrenheit der menschlichen Beziehungen<br />
es möglich mache, Verbrechen zu<br />
begehen, die nicht erkannt werden könnten,<br />
dass aus diesem Gr<strong>und</strong>e die überaus grösste<br />
Anzahl der Verbrechen nicht nur ungeahndet,<br />
sondern auch ungeahnt seien, also nur im<br />
Verborgenen geschehen… »<br />
Dürrenmatts Ansichten über das Schachspiel<br />
sind am eindrücklichsten in seinem Vortrag<br />
«Albert Einstein» von 1979 aus dem Band 7<br />
der Gesammelten Werke (1991) Seite 733 ff<br />
aus dem Diogenes Verlag AG Zürich nachzulesen,<br />
wo er das Weltgeschehen als ein<br />
Schachspiel beschreibt (Siehe Auszug auf der<br />
Homepage).<br />
Zum Inhalt<br />
Ein junger Staatsanwalt geht zur Beerdigung<br />
seines Vorgängers <strong>und</strong> lernt einen Richter<br />
kennen, den Fre<strong>und</strong> des verstorbenen<br />
Staatsanwalts. Während die beiden hinter<br />
dem Leichenzug dahin schreiten, erzählt<br />
der Richter, er habe jeden Monat einmal mit<br />
dem Verstorbenen Schach gespielt. Auch der<br />
Staatsanwalt ist Schachliebhaber. Der Richter<br />
will den Staatsanwalt auch zu einer Schachpartie<br />
einladen. Dieser nimmt die Einladung<br />
an. Bevor das Spiel beginnt, macht der alte<br />
Richter dem Staatsanwalt ein Geständnis. Es<br />
sei zwanzig Jahre her, dass er den verstorbenen<br />
Staatsanwalt kennen gelernt habe, <strong>und</strong><br />
zwar anlässlich der Beerdigung des Richters,<br />
dessen Nachfolger er geworden sei. Auch der<br />
eben verstorbene Staatsanwalt habe mit dem<br />
vor zwanzig Jahren verstorbenen Richter monatlich<br />
eine Schachpartie durchgeführt, <strong>und</strong><br />
zwar eine ganz besondere: Die Schachfiguren<br />
bedeuteten bestimmte Personen. Die Dame<br />
hatte die Person zu sein, die dem Spieler am<br />
nächsten stand. Von beiden Spielern wurden<br />
die Läufer mit befre<strong>und</strong>eten Pastoren oder<br />
<strong>Lehrer</strong>n, die Springer mit Rechtsanwälten oder<br />
Offizieren, die Türme mit Industriellen oder<br />
Politikern gleichgesetzt; die Bauern stellten<br />
einfache Bürger dar, Dienstmädchen oder den<br />
Milchmann.<br />
Die Regel des Schachspiels bestand darin, dass<br />
jeder Spieler, verlor er eine Figur, den Men-<br />
Anmerkung:<br />
Auf der Homepage<br />
wird kurz beschrieben,<br />
wie die in dieser<br />
Kurzgeschichte<br />
erwähnte Thematik der<br />
«Opfer» (Bauernopfer,<br />
Damenopfer,<br />
Königsmord) auch einen<br />
politischen Bezug<br />
haben kann.<br />
Der Schweizer<br />
Dramatiker,<br />
Essayist, Erzähler<br />
<strong>und</strong> Hörspielautor<br />
Dürrenmatt wollte auf<br />
gesellschaftliche <strong>und</strong><br />
moralische Widersprüche<br />
hinweisen <strong>und</strong> sein<br />
Publikum zur kritischen<br />
Reflexion bewegen.<br />
17<br />
schulpraxis spezial<br />
schen, der durch diese Figur dargestellt wurde,<br />
töten musste. Das Spiel konnte erst wieder<br />
aufgenommen werden, wenn der Mord ausgeführt<br />
worden war. Wer schachmatt gesetzt<br />
wurde, musste sich das Leben nehmen, was<br />
dazu führte, dass ein Spiel Jahrzehnte dauerte.<br />
So hatte der alte Staatsanwalt mit dem<br />
Vorgänger des alten Richters fünfzehn Jahre<br />
lang gespielt, bis er diesen mattsetzen konnte,<br />
hatte allerdings vorher – wie auch sein Gegner<br />
– seine Frau ermorden müssen. Wer das Spiel<br />
erf<strong>und</strong>en hatte, war nicht auszumachen.<br />
Der Erklärung des alten Staatsanwalts sei<br />
eine Beichte der Morde erfolgt, die dieser mit<br />
dem verstorbenen Richter begangen hätte.<br />
Seine erste Reaktion, fährt der alte Richter<br />
fort, sei gewesen, den Vorgänger des jetzigen<br />
Staatsanwalts zu verhaften. Dann habe er der<br />
Versuchung nicht widerstehen können, mit<br />
dem Staatsanwalt ein neues Spiel zu beginnen.<br />
Durch das Schachspiel hätten sie über<br />
bestimmte Personen die Macht von Göttern<br />
bekommen.<br />
Zwanzig Jahre hätten sie gespielt, es sei<br />
entsetzlich, gleichzeitig gewaltig gewesen,<br />
wenn man eine Figur habe opfern müssen.<br />
Nie vergesse er den Tag, wo er – um sich vor<br />
dem Schachmatt zu retten – seine eigene<br />
Gattin habe hergeben müssen – bis sich der<br />
alte Staatsanwalt, schachmatt gesetzt, hätte<br />
das Leben nehmen müssen. Die Morde seien<br />
nie entdeckt worden, denn niemand hätte<br />
dahinter ein so ausgefallenes Motiv wie ein<br />
Schachspiel vermuten können.<br />
«Sie können mich verhaften», sagt der<br />
Richter. Der junge Staatsanwalt denkt nach,<br />
greift nachdenklich zu den Figuren <strong>und</strong> stellt<br />
die Dame auf ihren Platz. «Ich setze meine<br />
Frau», sagt er. Der alte Richter entgegnet: «Ich<br />
setze meine Tochter», <strong>und</strong> stellt seine Dame<br />
aufs Spielbrett.