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Der Imre-Nagy-Prozeß in Ungarn und seine - EPA

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342 <strong>Ungarn</strong>-Jahrbuch 24 (1998/1999)<br />

durch se<strong>in</strong>e Intrigen trotzdem, daß <strong>Nagy</strong> 1955 von den Sowjets abgesetzt<br />

wurde. Dies erhöhte aber die Popularität <strong>Nagy</strong>s <strong>in</strong> <strong>Ungarn</strong> noch mehr, so<br />

daß er während des Aufstandes am 24. Oktober 1956 nach entsprechenden<br />

Forderungen der Bevölkerung von der Parteiführung wieder zum M<strong>in</strong>isterpräsidenten<br />

ernannt wurde. In den Augen der Bevölkerung galt <strong>Nagy</strong><br />

als e<strong>in</strong> Symbol für Freiheit, Demokratie <strong>und</strong> Neutralität. Im Gegensatz zu<br />

vielen anderen Politikern des Landes besaß er e<strong>in</strong>e weiße Weste, da er an<br />

Folterungen <strong>und</strong> Verfolgungen anderer nicht teilgenommen hatte. Er war<br />

der legitime M<strong>in</strong>isterpräsident des Landes, der 1955 <strong>und</strong> dann 1956 zu Unrecht<br />

abgesetzt wurde. Kádár war im Unterschied zu ihm e<strong>in</strong> Usurpator,<br />

der illegal <strong>und</strong> nur mit der Waffengewalt e<strong>in</strong>es verhaßten ausländischen<br />

Regimes an die Macht gekommen war.<br />

In e<strong>in</strong>em politisch konsolidierten <strong>Ungarn</strong> wäre <strong>Nagy</strong>, rechtlich gesehen,<br />

immer noch der legal gewählte M<strong>in</strong>isterpräsident des Landes gewesen. Er<br />

wollte <strong>in</strong> <strong>Ungarn</strong> e<strong>in</strong>e Art Pluralismus <strong>in</strong> der Gesellschaft <strong>und</strong> auch <strong>in</strong> der<br />

Partei verwirklichen, welche zu offenen Diskussionen <strong>und</strong> zur Etablierung<br />

e<strong>in</strong>er Demokratie geführt hätte, was auch während des Aufstandes von der<br />

Bevölkerung gefordert wurde. Kádár hätte mit se<strong>in</strong>er politischen Vergangenheit<br />

kaum Chancen gehabt, auf der politischen Bühne zu bleiben. So<br />

dachte er möglicherweise, daß e<strong>in</strong> legaler <strong>und</strong> populärer M<strong>in</strong>isterpräsident,<br />

der ihm nicht freiwillig die Macht übergab, e<strong>in</strong>e potentielle Gefahr darstellte,<br />

selbst wenn er <strong>in</strong>haftiert war. <strong>Nagy</strong> war <strong>in</strong> den Augen der Bevölkerung<br />

das, was Kádár nicht war: e<strong>in</strong> Symbol für Freiheit <strong>und</strong> Legitimität. E<strong>in</strong><br />

Verzicht <strong>Nagy</strong>s auf den Posten des M<strong>in</strong>isterpräsidenten hätte Kádár die<br />

fehlende Legitimität gegeben <strong>und</strong> ihm beim Ausbau se<strong>in</strong>er Macht geholfen.<br />

<strong>Nagy</strong> tat diesen Schritt nicht, weil es se<strong>in</strong>en Pr<strong>in</strong>zipien widersprach. Zudem<br />

konnte Kádár zu diesem Zeitpunkt noch nicht ganz ausschließen, daß<br />

sich die Sowjets e<strong>in</strong>es Tages anders bes<strong>in</strong>nen könnten <strong>und</strong> <strong>Nagy</strong> aufgr<strong>und</strong><br />

se<strong>in</strong>er Popularität <strong>in</strong> der Bevölkerung doch noch als M<strong>in</strong>isterpräsident e<strong>in</strong>setzen<br />

würden, zumal <strong>Nagy</strong> ke<strong>in</strong> sogenannter bürgerlicher Politiker war,<br />

sondern aus der kommunistischen Bewegung kam. Kádár, der ke<strong>in</strong>en potentiellen<br />

Konkurrenten haben wollte, ließ ihn daraufh<strong>in</strong> beseitigen, <strong>und</strong><br />

da er zudem nachtragend <strong>und</strong> rachsüchtig war, spielten sicherlich auch<br />

emotionale Motive e<strong>in</strong>e erhebliche Rolle. 94 Möglicherweise überbewertete<br />

Kádár die Möglichkeit, daß <strong>Nagy</strong> nach 1956 noch e<strong>in</strong>e aktive politische<br />

Rolle <strong>in</strong> <strong>Ungarn</strong> spielen könnte, obwohl <strong>Nagy</strong> erheblich älter war als er. Die<br />

Sowjets hatten zwar ke<strong>in</strong>e Zukunftspläne mit <strong>Nagy</strong>, aber es konnte Kádár<br />

mißtrauisch gemacht haben, daß Chruschtschow erwähnt hatte, daß man<br />

<strong>Nagy</strong> später vielleicht als Agrarfachmann verwenden könnte. Inwieweit<br />

se<strong>in</strong>e unmittelbare Umgebung Kádár <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Entscheidungsf<strong>in</strong>dung bee<strong>in</strong>flußt<br />

hat, ist schwer festzustellen, da die Betreffenden meist nicht mehr<br />

leben oder eisern schweigen. Für diese Leute, die aus der zweiten oder drit-<br />

>M Magyar Nemzet 4. November 1995.

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