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Andrea Lühmann<br />
Wenn ein Mensch auf der Straße, in der Straßenbahn,<br />
im Café oder sonst wo aus irgend einem<br />
Grund unser Interesse weckt und wir ihn eine<br />
Weile beobachten – weil er etwas Ausgefallenes<br />
trägt oder uns an jemanden erinnert oder bloß<br />
weil er uns zufälligerweise gerade gegenüber sitzt<br />
–, so wenden wir in der Regel diskret den Blick von<br />
ihm ab, sobald er uns ebenfalls anschaut. Wir<br />
fühlen uns ertappt, möchten nicht aufdringlich<br />
erscheinen, wollen nicht stören.<br />
Andrea Lühmann beobachtet gerne Menschen.<br />
Durch die Kamera. Ihre Position dahinter erlaubt<br />
ihr den langen, unverstellten und ungestörten<br />
Blick auf ihr Gegenüber, ohne Hemmungen und<br />
Peinlichkeit.<br />
Andrea Lühmann ist neugierig auf Menschen.<br />
Ihre journalistische Tätigkeit liefert ihr zahlreiche<br />
Möglichkeiten, diese Neugier zu befriedigen, viele<br />
interessante Menschen kennenzulernen und deren<br />
Geschichten zu erfahren. So, beispielsweise, wenn<br />
sie Interviews und Berichte über Personen der kulturellen<br />
Öffentlichkeit mit fotografischen Porträts<br />
begleitet und ergänzt.<br />
Diese Neugier bildet auch die Grundlage ihrer<br />
künstlerischen Arbeit. Dabei interessiert sie weniger<br />
die vereinzelte Fotoaufnahme, als vielmehr die<br />
Reihung, das Nebeneinander von mehreren Aufnahmen<br />
zum selben Thema, mit dem gleichen<br />
Motiv, und das, was erst in der Wiederholung und<br />
durch den Vergleich entsteht. Dabei nimmt sie sich<br />
jeweils einer Gruppe von Menschen an, die entweder<br />
beruflich oder durch ihre Situation oder auf<br />
sonst eine Weise zusammenhängen. Im Jahre 1995<br />
schuf sie die Serie der »Fußballerinnen«, in der sie<br />
die Mitglieder einer Bremer Fußballmannschaft –<br />
richtiger: Fußballfrauschaft – in ihren roten Trikots<br />
in frontalen Brustbildern porträtierte, und im selben<br />
Jahr die Serie »Hochzeit«, wobei die Künstlerin<br />
an einem bestimmten Tag frisch vermählte Paare<br />
vor dem Standesamt in einer künstlichen Innenraumkulisse<br />
zur Aufnahme bat. 1998 entstanden<br />
»Mein Frisör« mit Darstellungen von Friseuren und<br />
Friseusen in ihren Salons und eine fortlaufende<br />
Reihe von Porträts älterer Frauen. In ihren neuesten<br />
Arbeiten hat sie unter dem Titel »Frauen« Passantinnen<br />
aus Achim fotografiert, und in »blind«<br />
bilden blinde und sehbehinderte Menschen das<br />
Sujet ihrer Aufnahmen.<br />
Die Fotografin geht dabei konzeptuell vor: Der<br />
Rahmen, in dem die Aufnahmen gemacht werden,<br />
wird zunächst abgesteckt, die gleichbleibenden<br />
Elemente der Serie, sozusagen ihre »Koordinaten«,<br />
werden festgelegt. Bei den »Fußballerinnen« waren<br />
dies z.B. die Wahl des Ausschnittes als Brustbild<br />
und die streng frontale Positionierung vor dem<br />
selben Hintergrund, die Friseure wurden im<br />
Panoramaformat in ihrem Salon, ohne Kunden,<br />
fotografiert, bei den Schwarz-Weiß-Fotos der alten<br />
Damen, deren Aufnahmen durch ein Originalzitat<br />
jeder Einzelnen ergänzt wurden, bildete deren<br />
eigenes Wohnzimmer den Hintergrund. Bei der an<br />
einem einzigen Tag aufgenommenen Serie<br />
»Hochzeit« wurden die frisch Vermählten gebeten,<br />
sich vor den selben hellblauen Vorhang nebeneinander<br />
zu stellen. Das strenge, klar definierte<br />
Konzept schließt den Zufall mit ein: Die »Frauen«<br />
wurden auf der Straße angesprochen, diejenigen,<br />
die zustimmten, wurden auf einer kleinen Bühne