44/45 Ohne Titel 1996, Ölfarben und Eisen-III-Chlorid, 220 x 160 cm
Sabine Straßburger Wer die Entwicklung der Malerei von Sabine Straßburger im vergangenen Jahrzehnt verfolgt hat, wird feststellen können, dass in ihrem Werk zwei Ebenen der Malerei durchgängig eine gleichwertige Rolle spielen. Es ist zum einen die analytisch-konzeptionelle Dimension in der Behandlung des Stellenwertes bzw. der In-Frage-Stellung der konstruktiven und konstitutiven Elemente des Bildes wie Bildraum, Fläche, Binnenformen, Format. Zum anderen die Malerei, wie sie sich in der Materialität, der Struktur und Textur oder der verschiedenen Wirkungen der Farbe äußert. Die Bilder zu Beginn der 90er Jahre sind oft wie Reihungen oder Additionen mehrerer Einzelbilder angelegt. Es dominieren Hell-Dunkel-Kontraste und ein subtiler, meist mehrschichtiger Farbauftrag, der die Verhaltensweise der Farbe auf verschiedenen Gründen – als Transparenz, Überlagerung oder Abstoßung – thematisiert. Das Motiv auf den einzelnen Bildtafeln sind Zeichen, die an Schrift oder archaische Symbole erinnern. Die Bilder suggerieren Lesbarkeit, sowohl in Bezug auf die Entzifferung der Zeichen als auch in Bezug auf ihre Abfolge als Leserichtungen. Das Bildganze setzt sich so – vergleichbar einem Satz oder Wort – wie eine quasi lexikalische Einheit zusammen. 1993 schreibt Guido Boulboullé über die Bilder von Sabine Straßburger von einer »Ambivalenz zwischen einer gleichermaßen figurativen wie diskursiven Wahrnehmung [...] Sie können als materiale Farbkörper und als symbolische Zeichen zugleich gesehen werden.« In den vergangenen Jahren hat die Auseinandersetzung zwischen malerischer Farbschichtung und abstrahierenden Zeichen nicht nur eine schärfere Kontur angenommen, sondern auch eine weitere Dimension. Immer häufiger verwendet Sabine Straßburger keine individuellen Zeichen, die mit Symbolen oder Text in Verbindung zu bringen sind, sondern solche, die ein hohes Maß an Konventionen enthalten und einen Ort oder Raum definieren, so wie Passermarken, Kreuze, Klammern, Maßeinheiten oder die Schutzecken eines Rahmens. Das Zeichen steht also nicht mehr allein für sich oder in Bezug zu anderen Zeichen, sondern verweist auf die Ebene eines konventionellen Umganges mit Begrenzungen und Definitionen von Fläche oder Raum. Die analytisch-konzeptionelle Auseinandersetzung verlagert sich hin zu den Maßstäben, mit denen wir den Raum, den Ort des Bildes bemessen, das ja nicht mehr die Abbildung der äußeren Welt ist, die in einem Rahmen eingefangen wurde. Die Linien – als Ecken, Teilkreise oder Kreuze – auf Sabine Straßburgers Bildern sind die minimalsten Definitionen zur Markierung einer Fläche. Es ist eine Grenzziehung zwischen Innen- und Außenraum, wobei wir gewohnt sind, die innere Fläche dem eigentlichen Bildgeschehen zuzuordnen. Der Bildraum ist damit zwar als Fläche definiert, er bleibt aber zugleich offen. Die Zeichen sind nach beiden Seiten hin auch Verweis auf die Flächen mit ihrem subtilen, unregelmäßigen Farbauftrag, dessen lasierende Schichten Tiefe erzeugen. Wenn die Eckpunkte einer Fläche als Kreuzform markiert werden, so ist das vergleichbar mit dem, was wir beim Fotografieren kennen, wenn der Bildausschnitt markiert wird, weil das, was wir