kritische berichte - Hartware MedienKunstVerein
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14 <strong>kritische</strong> <strong>berichte</strong> Merkmal ist die Entwicklung vom «Vielheitlichen zum Einheitlichen» zu nennen;<br />
die Selbständigkeit der einzelnen Teile wird graduell durch den Wunsch nach<br />
Einheitlichkeit oder nach «Unterordnung der übrigen Elemente unter ein unbedingt<br />
führendes» abgelöst.<br />
3.2009<br />
18 Man vergleiche nur den Platz vor dem Findelhaus in<br />
Florenz mit dem Petersplatz in Rom, und diese grundsätzliche Differenz zeigt<br />
sich genauso wie zwischen einer der gemalten idealen Stadtansichten der Renaissance<br />
und der Alexanderschlacht, von der ja Oskar Kokoschka nicht zufällig<br />
meinte, dass hier zum ersten Mal der Barocksichtbar werde. 19 Der die Dinge<br />
nicht separierende, sondern synthetisierend verschmelzende Blickvon oben gehört<br />
also auch in die Geschichte der grundsätzlichen Veränderung der Sehweise,<br />
wie sie zwischen Renaissance und Barockzu beobachten ist.<br />
Wollte man nun ein Leitmotiv der mit dem Barockheraufziehenden Epoche<br />
von Absolutismus und Gegenreformation benennen, so könnte man von Herrschaftsausübung<br />
durch Blickachsenorganisation sprechen. Dies gilt für jede nur<br />
denkbare Richtung im Raum; stets geht es um die Möglichkeit der Supervision,<br />
den Punkt, von dem aus und auf den hin das Zueinander von Dingen und Menschen<br />
organisiert wird. Räume werden in einem bisher unbekannten Maß gleichsam<br />
choreografisch durchgearbeitet, die Teile auf ein Ganzes bezogen. Zentralperspektivische<br />
Ordnungsverfahren, obwohl ursprünglich nicht für diesen<br />
Zweckentwickelt, sind unter solchen Umständen besonders den Interessen eines<br />
absoluten Souveräns dienstbar. «Nur in einer Gesellschaft,» so Rudolf zur Lippe,<br />
«in der eine Person das richtige Sehen aller für sie und vor ihnen repräsentativ<br />
wahrnimmt, nur an einem absolutistischen Hof gibt es einen ‹idealen Betrachter›,<br />
der, im Distanzpunkt sitzend, der perspektivischen Darstellungswirklichkeit<br />
politisch die Geltung in der gesellschaftlichen Wirklichkeit verleihen kann.» 20<br />
Hier ließe sich eine Linie ziehen, deren Ausgangspunkt Andrea Palladios um<br />
1580 entstandenes Teatro Olympico ist, mit seinem schräg ansteigenden Bühnenboden<br />
und fest eingebauten Kulissen, angedeuteten Straßenzügen, die sich<br />
nach fünf Richtungen hin von einem zentralen Punkt im Zuschauerraum aus verzweigen<br />
oder auf diesen zulaufen, den idealen Beobachtungspunkt eben auch.<br />
Den Endpunkt bildeten die zentralen Räume in Versailles, um die herum sich die<br />
Architektur des Schlosses genauso wie die Anlage von Garten und Stadt organisieren.<br />
In diesem Fall kann man auch von einem Achsenkreuz sprechen, wobei<br />
die eine Achse aus der Stadt durch das Schloss in den Garten hinein verläuft,<br />
während die andere in Versailles durch den Spiegelsaal, und im Normaltyp des<br />
barocken Schlosses durch die Enfilade gebildet wird, eine verbindende Querachse,<br />
die von einem Ende zum anderen durchsehen werden kann. In einem allgemeinen<br />
Sinn setzte damit der Absolutismus ein zentralistisches Herrschaftsprinzip<br />
durch, das auch moderne Staatsformen weiterentwickeln sollten, allerdings<br />
in weniger visuell offensichtlicher und grandioser Form. 21<br />
Idealtypisch müsste dieser Weise einer horizontalen Raumerfassung eine vertikale<br />
entsprechen. Und tatsächlich gehört mit dem Blick von oben eine solche<br />
genauso zum Epochenprofil. Allerdings handelt es sich hier zumeist nicht um reine<br />
Vertikal- oder Plansichten, sondern um ein weites Spektrum schräger Blickwinkel,<br />
um Vogelperspektiven also. Eine typische Bildform sind die Topografien.<br />
Die wohl berühmtesten Stadtansichten dieses Typs stammen von Matthäus Merian,<br />
einem Kupferstecher und Verleger, in dessen in der Zeit des Hochbarockerschienener<br />
Topographia Germaniae schließlich über zweitausend Orte dargestellt