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kritische berichte - Hartware MedienKunstVerein

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46 <strong>kritische</strong> <strong>berichte</strong> Als Abwechslung zu dem ‹Retro-Biedermeier› des deutschen Films, der nach<br />

zwanzig Jahren Reduzierung von Komplexität geradezu ‹totalitär› mit allen verfügbaren<br />

Budgets die filmische Fantasie limitiert, wünsche ich mir: ein realkomplexes<br />

Raketenmuseum. Wie ein Kunstmuseum sammelt es nicht nur Artefakte,<br />

die es thematisch präsentiert, sondern betreibt ebenso Forschung und Politik. Da<br />

nach Friedrich Kittler gelten darf: «Raketentechnologie braucht Filmtechnologie<br />

und umgekehrt», wäre ein derart forschendes Museum auch ein exemplarisches<br />

Praxisfeld für realkomplexes Filmemachen.<br />

3.2009<br />

4 Ziel des Raketenmuseums wäre es,<br />

publikums- und forschungsorientiert alle im Raketengeschehen zusammenfließenden<br />

Wirklichkeiten experimentell zu verbinden, künstlerisch und wissenschaftlich<br />

zu erforschen und zu vermitteln, um auf diese Weise wirksame Aufklärung<br />

oder Abklärung zu leisten.<br />

Vielleicht genügt dies nicht, aber beispielsweise wäre es zu wünschen, wenn<br />

ein solches Raketenmuseum in Zukunft dazu beitragen könnte, die gefährliche<br />

Eskalierung zu vermeiden, die etwa US-Außenministerin Condoleeza Rice auslöste,<br />

als sie den russischen Entscheidungsträgern mitteilte, sie würde es nicht<br />

verstehen, worüber sie sich aufregten, handle es sich doch nur um einige wenige<br />

Raketen vor ihrer Landesgrenze. Diese mehrfache Demütigung könnte fiktional<br />

als Szenario entfaltet werden und gehört deshalb in eine Abteilung des vielstimmigen<br />

Raketenmuseums. Thema dieses Raumes wäre der Raketeneinsatz als letzter<br />

Ausweg einer uneingestanden verzweifelten Partei. Immer dann, wenn die<br />

Rakete ins Zentrum der politischen, kollektivsymbolischen und militärischen<br />

Wahrnehmung gerückt wird, weiß mindestens eine der Parteien weder ein noch<br />

aus. Wer Raketen startet oder stationiert, versucht, die nicht mehr zu bewältigende<br />

Komplexität (etwa des Irakkriegs) auf die Gestalt eines simpel-schönen Objekts<br />

zu reduzieren und mittels einer Tat zu bannen, die Erlösung verspricht:<br />

Countdown, Treffer, Klarheit, Eindeutigkeit. Eine Rakete zu starten, bedeutet<br />

dann, aus der Verzweiflung heraus einen Hilferuf abzusetzen und zugleich eindeutig<br />

Stärke zu behaupten, was allerdings keine Gestaltung, sondern das Auslösen<br />

einer unkontrollierbaren Eigendynamik zur Folge hat, zwischen Zerstörung<br />

und Weltraumträumerei. Das klingt ‹schizo› und ist es auch. Und entspricht gerade<br />

dadurch dem Charakter der Rakete, die eine Show garantiert, aber nicht sagt,<br />

welche. Man sollte diesen Charakter aus dem Zentrum politischer Entscheidungsprozesse<br />

und medialer Kommunikation herausrücken und ‹erden›.<br />

Das Raketenmuseum könnte die Raketengeschichte mit verschiedenen Medien<br />

‹realkomplex› entfalten und wahrnehmbar machen, Faszination und Denken<br />

miteinander in Beziehung setzen und auf dieser Basis als medialer Akteur das tagesaktuelle<br />

Raketengeschehen beeinflussen. Die analog zur Rakete in diesem Museum<br />

zusammenfließenden Wirklichkeiten müssen das Akademisch-Interdisziplinäre<br />

überschreiten, da auch Erfahrungsräume wie space park rides, Filme aller<br />

Couleur sowie andere Formen der populären Interaktion berücksichtigt werden<br />

sollten. Als Modell für die nötige enzyklopädische Grundhaltung darf weiterhin<br />

«der genaueste aller Romane» gelten, der wegen seiner großen Spannbreite von<br />

Perspektiven und Tonlagen nichts von seiner Faszination eingebüßt hat. 5 Will<br />

man der Rakete und den ‹planetarischen Perspektiven›, die sie uns eröffnet, auf<br />

die Schliche kommen, empfiehlt es sich, die faustische Show zu transzendieren<br />

und mit Pynchon zu konstatieren, dass die Rakete «jenseits der simplen Erektion<br />

aus Stahl ein ganzes System ist, abgewonnen einem weiblichen Dunkel». 6 Dieses

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