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kritische berichte - Hartware MedienKunstVerein

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50 <strong>kritische</strong> <strong>berichte</strong> ihr Regierungsprogramm im gewünschten Moment zur radikalen Ambivalenz gesteigert<br />

werden. Erkennbar gelingt es kriegführenden Parteien, mit der Rakete alle<br />

anderen Themen zu überlagern. So kann im ‹Ernstfall› nicht nur der Nachrichtenfluss<br />

in diese Richtung gesteuert werden, sondern als einzig noch handlungsfähig<br />

erscheint stets, wer Raketen schießen kann, was einer Propagandaabteilung, die<br />

über viele Raketen oder Cruise-Raketen verfügt, entgegenkommt. Für die <strong>kritische</strong><br />

Öffentlichkeit bedeutet diese Propaganda, dass sie regelmäßig stillgestellt werden<br />

kann, sobald die Rakete Ernst macht. Das realkomplexe Raketenmuseum sollte deshalb<br />

vorausschauende, vorgefertigte Parodien für verschiedene Ernstfallmuster<br />

entwickeln und ständig in homöopathischen Dosen ausgeben.<br />

Basierend auf einem seit 1998 zusammengetragenen Überblickfolgt hier eine<br />

Skizze zum Raketengeschehen (Abb. 1). In Zusammenarbeit mit den Teilnehmern<br />

der Tagung Planetarische Perspektiven, der Hochschule für bildende Künste Hamburg<br />

(HfbK) und dem jüngst gegründeten Institut Forschender Film (IFF Hamburg)<br />

ließe sich diese grafische Beobachtungsperspektive für ein Raketenmuseum<br />

ausarbeiten und konkretisieren. Die verwendeten Quellen repräsentieren<br />

drei unterschiedliche Wahrnehmungsschwellen und -formen: 1. Die Tageszeitung<br />

(taz); 2. Tageschau, Heute; 3. Bild, Berliner Zeitung (BZ).<br />

Der erste Vorfall ereignete sich nach zehn Jahren andauernder Propaganda<br />

für eine deutsche Remilitarisierung im zerfallenden Jugoslawien. Er wurde mitten<br />

in den einfallslosen Retrofuturismus der nahenden Jahrtausendwende gesetzt,<br />

den der Reiseveranstalter TUI unfreiwillig zynisch mit seiner Plakatwerbung<br />

auf den Punkt brachte: Ein bekanntes Apollo 17-Foto aus dem Jahr 1973 war<br />

untertitelt mit dem Spruch «Machen Sie doch mal neue Bilder». Eine Rakete aus<br />

dem unter deutscher Beteiligung geführten Kriegs der NATO gegen Serbien hatte<br />

einen Zug mit Flüchtlingen getroffen und 75 Menschen getötet.<br />

3.2009<br />

18 Diese Rakete<br />

war, laut BZ vom 15. April 1999, «die Rakete, die auch uns trifft». Durch diese erste<br />

mehr oder weniger deutsche Rakete seit dem Zweiten Weltkrieg wurde<br />

Deutschland wieder zum militärischen Akteur. Dennoch scheiterte seit den<br />

1980er Jahren das selbsttherapeutische Verlangen der Remilitarisierer wiederholt,<br />

die zur ‹Normalität› (Volker Rühe) zurückzukehren möchten. ‹Normalität›<br />

sollte bedeuten, dass deutsche Soldaten im Ausland wieder andere oder sich<br />

selbst töten. Über viele Jahre ereigneten dabei nur banale, unheroische tödliche<br />

Unfälle: So kamen drei deutsche Soldaten um, als sie in Zentralasien mit einem<br />

Hammer auf den Kopf sowjetischer Flugabwehrraketen aus den 1950er Jahren<br />

schlugen, die daraufhin explodierten. Auffallend ist, wie im Raketengeschehen<br />

von 1999 bis 2009 Elemente der deutschen Remilitarisierung oft eng mit der Ambivalenz<br />

der Rakete, die zwischen Gut und Böse changiert, verkoppelt sind. Plötzlich<br />

– im Mai 2009 – hat sich diese starre Koppelung in eine lose verwandelt. Zwischen<br />

dem 12. und dem 15. Mai 2009 gruppierten sich drei Ereignisse, scheinbar<br />

ohne jeden Zusammenhang, nebeneinander: 1. NASA und ESA inszenieren mit<br />

den Starts von Atlantis und Ariane, den Satelliten Hubble, Herschel und Planck das<br />

Vollbild ziviler Weltraumbegeisterung, wobei die Erforschung der Entstehungsgeschichte<br />

der Planeten «letztlich auch Hinweise auf unser Schicksal» zu geben<br />

versprechen. 19 2. Der deutsche Papst Benedikt II. betrauert in Yad Vashem, Israel,<br />

den Holocaust. 3. Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg gesteht die Bundeswehr,<br />

dass deutsche Soldaten im Ausland Gegner getötet haben, allerdings<br />

nicht absichtlich, sondern «aufgrund der unübersichtlichen Lage». 20

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