kritische berichte - Hartware MedienKunstVerein
kritische berichte - Hartware MedienKunstVerein
kritische berichte - Hartware MedienKunstVerein
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
16 <strong>kritische</strong> <strong>berichte</strong> nehmung einer Schlossanlage aus der fahrenden Kutsche heraus stehen in ihrer<br />
Gesamtheit [...] für ein multiperspektivisches Planungsverfahren».<br />
3.2009<br />
24 Dabei erlaubt<br />
gerade die Vogelperspektive, die das Objekt aus beliebiger Höhe zeigen kann, in einer<br />
Art Intensivierung oder Überdehnung des räumlichen Eindrucks auch besondere<br />
Eigenschaften noch besonders herauszustellen.<br />
Die Kunst des Barockkennt auch so etwas wie die Umdrehung der Vogelperspektive,<br />
eine kunstvolle Inszenierung also nicht nur des Blicks von oben, sondern<br />
auch nach oben. Mit der malerischen Öffnung des Blickfeldes in Richtung<br />
Himmel ist im barocken Illusionismus der Anschauungsraum so gekippt wie anders<br />
herum in den Weltlandschaften. Die Deckenmalerei entwickelt sich im 16.<br />
Jahrhundert weit über die Vorstufen in der Frührenaissance hinaus und gipfelt in<br />
den Arbeiten Pietro da Cortonas und Andrea Pozzos, und später noch einmal bei<br />
Giovanni Battista Tiepolo. Decken oder Kuppeln werden ihrer raumabschließenden<br />
Funktion enthoben, Blicke in perspektivischer Untersicht über gemalte Architekturen<br />
und Figuren aus dem Realraum hinaus in einen unbegrenzten Himmelsraum<br />
geführt. Bei solchen Malereien ist das gewohnte Koordinatensystem<br />
außer Kraft, die irdische Tektonik gerät weit mehr als bei den Vogelperspektiven<br />
in die Schwebe. Der Bezug auf unsere Körperachse und die vertrauten Begriffe<br />
von Richtung und Schwere, zu denen wir horizontal organisierte Bildwelten unwillkürlich<br />
in Bezug setzen, ist nicht mehr gegeben. Wo das Hintereinander von<br />
Figuren zu einem Übereinander an der Decke geworden ist, verändern sich alle<br />
Relationen. Die Betrachtung solcher Werke ist also, wie Wolfgang Schöne einmal<br />
formulierte, «vom Steuer der Schwerkraft gelöst». 25<br />
Wenn sich hier also nach der horizontalen auch verschieden gerichtete vertikale<br />
Modi der Raumerfassung zeigen, so wären die spatialen Strategien des Barockdoch<br />
nicht zureichend beschrieben, käme nicht auch noch die Frage der Dimensionierung<br />
ins Spiel. Hier ist so etwas wie ein Sprung ins maximal Mögliche<br />
zu beobachten, vor allem, wenn man barocke Größenskalierung mit der in vorangegangenen<br />
Epochen vergleicht. Leonardo Benevolo weist diesbezüglich in seinem<br />
schönen kleinen Buch Fixierte Unendlichkeit auf Alexandre Koyrés Werk Von<br />
der geschlossenen Welt zum unendlichen Universum hin und sieht, wo letzterer für<br />
die Wissenschaftsgeschichte des 17. Jahrhundert einen Aufbruch ins Unendliche<br />
feststellte, etwas entsprechendes auch in der Architektur, nämlich den Versuch,<br />
«in den noch unerforschten Bereich der großen Dimension vorzudringen». 26 Was<br />
dies bedeutet, zeigt ein Vergleich mit dem Mittelalter (und auch der Renaissance):<br />
Bis dahin waren Architekturen, zumindest die der griechisch-römischen Tradition,<br />
in der Regel von überschaubarer, den menschlichen Sinnen angemessener<br />
Größe, was auch in Bezug auf die Reichweite der Stimme gilt. Vor allem aber entfalten<br />
diese Bauten «innerhalb einer Entfernung von dreihundert Metern [...] ihre<br />
maximale räumliche Wirkung»; jenseits dessen wirken sie deutlich flacher. Ausnahmen<br />
waren exponierte und auf weite Distanz sichtbare Anlagen wie etwa die<br />
Akropolis in Athen oder die Tempelformation von Agrigent: Hier wurde der Gefahr<br />
der Verflachung durch sorgfältige Platzierung und Konturierung entgegengewirkt,<br />
während die mächtigen gotischen Kathedralen immer entschieden auf<br />
Nahsicht hin detailliert sind. 27<br />
Die bis dahin also meist respektierten Grenzen wurden schon in der Renaissance<br />
langsam verschoben, Donato Bramante bietet Abweichungen gleich in<br />
zwei Richtungen: Sein Tempietto zeigt eine leise befremdende Miniaturisie-